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Hintergrund: Russland Nr. 47 / August 2015 | 1 Regionalwahlen 2015 – Ausschluss von Opposition Julius von Freytag-Loringhoven & Louise von Wallmoden Hintergrund: Russland Nr. 47 / 12. August 2015 Zusammenfassung Am 13. September 2015 finden in zahlreichen russischen Regionen Wahlen von Gouverneuren und Regionalparlamenten statt. Doch bereits einen Monat vor der Wahl steht fest, dass profilierte Oppositionszusammenschlüsse um die liberale Republikanische Partei Russlands – Partei der bürgerlichen Freiheit (RPR- PARNAS) und um die liberale Partei „Bürgerinitiative“ von der Wahl ausgeschlos- sen bleiben. Die Partei „Jabloko“ bleibt die einzige liberale Oppositionspartei, die zu den Wahlen zugelassen ist. Dass im Juli 2015 unerwartet in Moskau das Büro der wichtigsten unabhängigen russischen Wahlbeobachtungsorganisation „GO- LOS“ (dt.: „Stimme“), genauso wie die Privatwohnungen ihres Führungspersonals, durchsucht wurde – vorgeblich wegen Steuerfragen – kann als weiteres Zeichen der Nervosität der Behörden vor den Wahlen gedeutet werden.

Russland: Regionalwahlen ohne Opposition

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Am 13. September 2015 finden in zahlreichen russischen Regionen Wahlen von Gouverneuren und Regionalparlamenten statt. Doch bereits einen Monat vor der Wahl steht fest, dass profilierte Oppositionszusammenschlüsse um die liberale Republikanische Partei Russlands – Partei der bürgerlichen Freiheit (RPR-PARNAS) und um die liberale Partei "Bürgerinitiative" von der Wahl ausgeschlossen bleiben. Die Partei "Jabloko" bleibt die einzige liberale Oppositionspartei, die zu den Wahlen zugelassen ist. Dass im Juli 2015 unerwartet in Moskau das Büro der wichtigsten unabhängigen russischen Wahlbeobachtungsorganisation "GOLOS" (dt.: "Stimme"), genauso wie die Privatwohnungen ihres Führungspersonals, durchsucht wurde – vorgeblich wegen Steuerfragen – kann als weiteres Zeichen der Nervosität der Behörden vor den Wahlen gedeutet werden.

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Hintergrund: Russland Nr. 47 / August 2015 | 1 Regionalwahlen 2015 Ausschluss von Opposition Julius von Freytag-Loringhoven & Louise von Wallmoden Hintergrund: Russland Nr. 47 / 12. August 2015 Zusammenfassung Am 13. September 2015 finden in zahlreichen russischen Regionen Wahlen von Gouverneuren und Regionalparlamenten statt. Doch bereits einen Monat vor der Wahlstehtfest,dassprofilierteOppositionszusammenschlsseumdieliberale RepublikanischeParteiRusslandsParteiderbrgerlichenFreiheit(RPR-PARNAS) und um die liberale Partei Brgerinitiative von der Wahl ausgeschlos-sen bleiben. Die Partei Jabloko bleibt die einzige liberale Oppositionspartei, die zu den Wahlen zugelassen ist. Dass im Juli 2015 unerwartet in Moskau das Bro derwichtigstenunabhngigenrussischenWahlbeobachtungsorganisationGO-LOS (dt.: Stimme), genauso wie die Privatwohnungen ihres Fhrungspersonals, durchsucht wurde vorgeblich wegen Steuerfragen kann als weiteres Zeichen der Nervositt der Behrden vor den Wahlen gedeutet werden. Hintergrund: Russland Nr. 47 / August 2015 | 2 Die Rahmenbedingungen im Jahr 2015 Seit 2014 ein neues Wahlgesetz in Kraft trat, knnen Kandidaten nicht im Parlament vertretener Par-teien nur an Wahlen teilnehmen, wenn sie eine bestimmte Anzahl an Unterschriften in ihren Wahlbe-zirkengesammelthaben.EinzigeAusnahmedabeibleibtdieliberaleParteiJabloko,diebeiden Dumawahlen2011ber3%erhaltenhatteunddeshalbregulr,auchohneUnterschriften,anden Wahlenteilnehmendarf.UmdieChanceneinererfolgreichenTeilnahmezusteigern,schlossensich mehreredemokratischeParteienundKandidatenzusammen.[Siehe:Brennpunkt:Russland(21-2015)]. Der bekannte Oppositionelle Alexey Navalny und seine Partei Fortschritt hatten sich fr die WahlmitRPR-PARNASzusammengeschlossen.AuchdieausderProtestbewegungvon2011/2012 entstandeneliberaleParteides5.Dezember,dieLibertreParteiRusslandssowiedieliberal-konservativeParteiDemokratischeWahlwarenderKoalitionbeigetreten.KurznachderGrndung hatte sich eine zweite Koalition um die Partei Brgerinitiative des ehemaligenWirtschaftsministers Andrey Nechaev abgespalten, untersttzt voneinerReihe von bekannten liberalen (Vladimir Ryzhkov und Maxim Katz) und sozialdemokratischen (Dimitri und Gennadi Gudkov) Oppositionspolitikern. Beide Koalitionen planten in den meisten Regionen miteinander zu kooperieren, genauso wie mit der Partei Jabloko.UndbeideKoalitionenversuchtenihreMittelentsprechendeigenerregionalerStrkenzu bndeln.DasBndnisumPRP-PARNASkonzentriertesichaufvierRegionen(Kaluga,Kostroma, MagadanundNovosibirsk),dasBndnisumdieParteiBrgerinitiativealleinaufKalugaund Magadan. In den vergangenen Wochen wurden indiesen Regionenentsprechend fleiigUnterschrif-tengesammelt.DochnunwenigeWochenvorderWahlscheinendieletztenHoffnungenaufeine Teilnahme zu schwinden. In allen genannten Fllen wurden die gesammelten Unterschriften derBe-wohner,diefreineRegistrierungundTeilnahmeandenWahlennotwendigsind,vondenjeweils zustndigen Wahlkommissionen nicht anerkannt. Kaluga Autostadt an der Oka in Zentralrussland InKalugawurdenvonderregionalenWahlkommissionwederdieUnterschriftenvonRPR-PARNAS noch die der Brgerinitiative anerkannt. Die Partei PRP-PARNAS kndigte daraufhin an, nicht an der Wahl teilzunehmen. Es wurden insgesamt 6.300 Unterschriften gesammelt, von denen 2.500 geflscht zuseinschienen.VertreterbeiderWahlbndnissebeschuldigtenKreml-naheAktivisten,sichdem Wahlkampfstab angeschlossen zu haben, um gezielt und systematisch Unterschriften zu flschen. Hintergrund: Russland Nr. 47 / August 2015 | 3 Kostroma Heimat der Romanows an der Wolga Der bekannte liberale Politiker Andrey Pivovarov ausSt.PetersburgwurdealsLeiterdesWahl-kampfstabesvonRPR-PARNASinKostromaim Juli verhaftet. Seine Haftstrafe von zwei Mona-tendecktdengesamtenZeitraumdesWahl-kampfesab.Ihmwirdvorgeworfen,sichillegal ZugangzuPersonaldatenverschafftzuhaben. LautPivovarovsAnwltenseienjedochbeider VerhaftungeinigeFehlerunterlaufen.DemAn-geklagtenwurdenichtmitgeteilt,wasgenau derGrundderAnklagesei.DasGerichtent-schiedzudem,ihnauchnichtaufKautionauf freien Fu zu setzen. Ein breiter Aufruf russischer IntellektuellerundPolitikerPivovarovfreizulas-sen wurde bislang noch nicht beantwortet. Der Vizeprsident von Liberal International Markus Lning (FDP)fordert,PivovarovunmittelbarauffreienFuzusetzen:DieVerhaftungvonAndreyPivovarov passt in das Bild von Schikanierung und Behinderung liberaler Politiker, die sich in Russland an Wah-len beteiligen. Er ist unter dubiosen Vorwrfen mitten im Wahlkampf verhaftet und eingesperrtwor-den.WiedereinmalwerdeninPutinsRusslandWahlkmpferunterDruckgesetztundverfolgt.Das widerspricht den von der russischen Verfassung garantierten Rechten und den Verpflichtungen Russ-lands aus seiner Mitgliedschaft im Europarat, freie und faire Wahlen abzuhalten. Ich fordere die russi-schen Behrden auf, die Rechte ihrer Brger auf freie Meinungsuerung und freie Wahlen zu achten und zu schtzen und Andrey Pivovarov unmittelbar auf freien Fu zu setzen." Wolfgang Gerhardt, der VorstandsvorsitzendederFriedrich-Naumann-StiftungfrdieFreiheit,verlangtePivovarovsFreilas-sung mit den Worten: Der unbegrndete Freiheitsentzug ohne Prozess des liberalen Oppositionspoliti-kersAndreyPivovarov,unddasmittenimWahlkampf,wirfteinschlechtesLichtaufdierussischen Behrden.IchforderedieBehrdeninKostromaauf,dievonderrussischenVerfassunggarantierten RechteauffreieWahlensowieeinenfairenProzesszuwahrenundzurespektierenundAndrey Pivovarov unmittelbar aus der Haft zu entlassen! Magadan Eisfreier Hafen im Nrdlichen Pazifik In der Region Magadan im Fernen Osten Russlands wurden weder die Unterschriftensammlungen von RPR-PARNASnochdiederBrgerinitiativeanerkannt.Beispielsweisewurden25der614Unter-schriftenfrGeorgyAlburov,KandidatfrdieMagadanerRegionalwahlenundMitarbeiterinNa-valnys Stiftung gegen Korruption, aberkannt. Ein Unterschriftensammler soll in seinem Fall die Unter-schriften geflscht haben, indem er Whlern 300 Rubel fr ihre Unterschriften bot. In Magadan wurde daraufhinvonRPR-PARNASeineBeschwerdegegendieWahlkommissioneingereicht,umdenFall, wenn ntig, vor Gericht entscheiden zu lassen. Oppositionelle Aktivisten planen zudem eine Kampag-ne gegen Vertreter der regierenden Partei Einiges Russland. Alburov schrieb Anfang August in seinem Blog:JederBewohnerderRegionMagadansollwissen,dassdieRegionvonteuflischenBetrgern regiert wird, die ihre Mandate kaufen, und den Versuch ehrliche Vertreter zu whlen verhindern. Andrey Pivovarov, Facebook-Seite Hintergrund: Russland Nr. 47 / August 2015 | 4 Nowosibirsk Metropole Westsibiriens InderdrittgrtenStadtRusslandswurdedieRPR-PARNAS-ListevonderWahlkommissionabge-lehnt, weil nach offiziellen Angaben 1.487 der 11.682 gesammelten Unterschriften ungltig gewesen seien.Entsprechendfehlten470Unterschriften,umsichfrdieWahlregistrierenzuknnen.Die meisten der fr ungltig erklrten Unterschriften seien nicht in einer Datenbank der regionalen Glie-derung des Fderalen Migrationsdienstes (FMS) erkannt worden. Leonid Volkov, Leiter der Wahlkam-pagne des Bndnisses in Nowosibirsk, schrieb daraufhin in seinem Blog: Die Datenbank war veraltet und voll von Fehlern, doch die Behrden lehnten alle Erklrungen und Begrndungen ab. Es gebe kei-nenGrund,demFMSnichtzuglauben.Volkovschriebzudem:WenndieDatenbankzumBeispiel InformationenbereinePersonenthlt,derenPassvonderUdSSRausgestelltwordenist,undwir eine neuere Nummer in unserer Unterschriftenliste haben, ist das unser Fehler oder eurer?. Darauf sei von der Stelle geantwortet worden, dass die Daten des FMS korrekt und aktuell seien. Der Wahlkamp-stab verdchtigte zudem einige Unterschriftensammler, gezielt die Unterschriften geflscht zu haben. DieseAnklagevonUnregelmigkeitenwurdevondenBehrdenjedochRPR-PARNASvorgeworfen. Der Behrdensprecher Vladimir Markin verlautbarte: Die Ermittlungsbehrde in Nowosibirsk berprft die Klage eines Brgers Nikiforov, er habe kein Honorar fr das Sammeln von Unterschriften erhalten. Wirermitteln wegen Betrugs. Und wir werden prfen, ob die Partei PARNAS der Wahlkommission in Nowosibirsk absichtlich geflschte Unterschriftenlisten vorgelegt hat. Die Kandidaten Egor Savin und Sergei Boyko sowie derWahlkampfleiter Leonid Volkov traten daraufhin aus Protest in den Hunger-streik, welcher am vergangenen Sonntagaus gesundheitlichen Grnden beendet werden musste, als Sergei Boyko in eine Intensivstation verlegt wurde. Bewertung der Geschehnisse im Vorfeld der Regionalwahlen 2015 Oppositionsfhrer aller betroffenen Oppositionsparteien, angefangen mit Mikhail Kasianov und Alexey Navalny, machen den Kreml fr die enormen Schwierigkeiten bei den Regionalwahlen verantwortlich. DerWunsch,dieOppositionsostarkwiemglichanderTeilnahmeandenWahlenzuhindern,sei daherleichtzuerklren.Navalnydrcktedassoaus:DerKremlfrchtetWahlenzujedemZeit-punkt. In der Moscow Times vom 10. August 2015 sagte der unabhngigePolitikwissenschaftler Di-mitryOreshkininHinblickaufdieSituationinNowosibirsk:DieHilfsmittelvon(Vladimir)Churov (demVorsitzendenderrussischenZentralenWahlkommission,derschonseit2011beschuldigtwird, Wahlergebnisse im Sinne des Kremls zu flschen) sind nicht endlos. Im Juli wurden bereits die Bros vonGOLOS,dergrtenundwichtigstenunabhngigenWahlbeobachtungsorganisationRusslands, unddiePrivatwohnungenihrerLeitungdurchsuchtundeineReihevonDokumentenundComputern beschlagnahmt,angeblichumineinemSteuerverfahrenaufzuklren.DassaberderDruckaufunab-hngigeWahlbeobachterzueinemsolchenZeitpunktsteigt,istkeingutesZeichen.AndreyBuzin, Direktor vonGOLOS, erklrte zu den Vorkommnissen in den genannten Regionen recht nchtern:Es ist recht schwierig, die Stimmen (bei den Wahlen) zu verflschen, denn das wre ein Verbrechen. Die Ablehnung der Registrierung (aufgrund einer unzureichenden Nummer von Unterschriften) dagegen ist dereinfachsteWeg.LautBuzinhabedieKoalitionkeineChance,solangedieveralteteBrger-Datenbank des FMS weiterhin genutzt werde, denn mit ihren fehlerhaften und veralteten Datenstzen wurde wiederholt Oppositionskandidaten die Teilnahme an Wahlen verweigert. Hintergrund: Russland Nr. 47 / August 2015 | 5 Unabhngig davon, welche Datenstze zur berprfung angelegt wrden, zeige der rabiate und kom-promisslose Umgang mit den unabhngigen Partei-Gruppierungen, wie gro die Nervositt der russi-schen Behrden vor jeder Form von Opposition und Unabhngigkeit geworden ist. Auch das harte Vor-gehen gegenGOLOS scheint darauf hinzudeuten, dass man sich im Kreml ber die imJuni 2015 ge-messeneRekordzustimmungsratedesPrsidentenvon89%angesichtsderbeginnendenWirtschafts-krise nicht so sicher zu sein scheint. In seinem letzten Interview beim Radiosender Echo Moskvy am 27. Februar 2015 sagte der ermorde-te liberale Oppositionspolitiker Boris Nemtsov, Co-Vorsitzender von RPR-PARNAS: Wir glauben, dass eineReihevonpolitischenVernderungenessentiellsind,umOrdnungimLandeinkehrenzulassen unddieKrisebewltigenzuknnen.InsbesonderesindehrlicheWahlenmitnatrlichauchderTeil-nahme der Opposition essentiell und ein Ende der Zensur. JuliusvonFreytag-LoringhovenistProjektleiterderFNFfrRusslandundZentralasienmitSitzin Moskau. Louise von Wallmoden ist Praktikantin im Moskauer Bro der FNF. Impressum Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit (FNF) Bereich Internationale Politik Referat fr Querschnittsaufgaben Karl-Marx-Strae 2 D-14482 Potsdam