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Samstag, 10. März 2018, 15:00 Uhr ~15 Minuten Lesezeit „Viele Menschen sind einfach müde vom Krieg“ Interview mit Auslandskorrespondentin Karin Leukefeld zum Kriegsalltag in Syrien. von Nina Forberger Foto: Melih Cevdet Teksen/Shutterstock.com Die Rubikon-Jugendredaktion traf sich in Mainz mit der Journalistin Karin Leukefeld. Nina Forberger sprach mit ihr über ihre Arbeit im Mittleren Osten, den Alltag in Syrien, ihre Ängste sowie das autonome Projekt der Kurden in Nordsyrien.

Samstag, 10. März 2018, 15:00 Uhr „Viele Menschen sind ... · Samstag, 10. März 2018, 15:00 Uhr ~15 Minuten Lesezeit „Viele Menschen sind einfach müde vom Krieg“ Interview

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Samstag, 10. März 2018, 15:00 Uhr~15 Minuten Lesezeit

„Viele Menschen sindeinfach müde vomKrieg“Interview mit Auslandskorrespondentin Karin Leukefeld zum Kriegsalltag in Syrien.

von Nina Forberger Foto: Melih Cevdet Teksen/Shutterstock.com

Die Rubikon-Jugendredaktion traf sich in Mainz mitder Journalistin Karin Leukefeld. Nina Forbergersprach mit ihr über ihre Arbeit im Mittleren Osten, denAlltag in Syrien, ihre Ängste sowie das autonomeProjekt der Kurden in Nordsyrien.

Das ist natürlich nicht einfach. Ich habe sicherlich das Glück, dassich schon lange in dem Land arbeite. Ich kenne Syrien noch aus derZeit vor dem Krieg und aus dieser Zeit stammen auch meineKontakte, die bis heute, Gott sei Dank, auch noch Bestand haben.

Meine Kontakte sind sehr zuverlässig und erprobt. Es ist sehrwichtig, dass man Personen kennt und Kontakte hat, also einNetzwerk. Das ermöglicht mir, über Ereignisse zu sprechen,nachfragen zu können, wie eine Situation eingeschätzt wird, ob ichalles richtig verstanden, oder etwas vergessen habe.

Dieses Überprüfen meiner eigenen Wahrnehmung ist sehr wichtigfür meine Berichterstattung. Wenn ich nur in Deutschland wäre,oder in Athen sitzen würde und von dort aus berichten wollte,würde mir ein ganz großer Teil von Erkenntnis fehlen.

Ich bemühe mich natürlich sehr genau zu berichten. Manchmalkollidiert das mit Vorgaben die mir bei Zeitungen oder beiInterviews gegeben werden. Entweder ist nicht genug Platz, umetwas ausführlich darzustellen oder nicht genügend Zeit um dieunterschiedlichen Aspekte zu erklären. Je länger der Krieg dauertdesto schwieriger wird das.

In welcher Sprache verständigen Sie sich mit den Einheimischen?

Mein Arabisch ist sehr rudimentär, aber es reicht für denAlltagsgebrauch. Ich kann kurze Gespräche führen. Nachfragenselbst stellen und die Antworten verstehen. Für grundlegendeInterviews, zum Beispiel Straßeninterviews, habe ich immer einen

Frau Leukefeld, wie schaffen Sie es, aus einem Krisenherd wieSyrien sachlich und plural zu berichten, bei den vielen beteiligtenParteien und Verstrickungen?

Übersetzer dabei. Meine Hauptsprache in Syrien ist Englisch.

Wie leben Sie in Syrien und wie viel Zeit im Jahr verbringen Siedort?

Ich hatte eine Wohnung in Damaskus. Als der Krieg anfing, wurdedas Stadtviertel leider etwas unsicher, und ich musste die Wohnungaufgeben. Inzwischen lebe ich in einem einfachen Familienhotel.Dort erlebt man auch sehr viel, man lernt viele unterschiedlicheLeute kennen.

Ich habe das Glück, eine Akkreditierung als Journalistin in Syrien zuhaben. Dadurch habe ich einen syrischen Presseausweis und kannmich eigentlich solange im Land aufhalten, wie ich möchte. Ich kannproblemlos ein- und ausreisen. Das ist ein großer Vorteil gegenüberanderen Journalisten, die ein Journalistenvisum beantragen müssen.Darauf muss man oft lange warten, außerdem ist die Zeit, die mansich dann im Land aufhalten kann, befristet.

Wieviel Zeit ich in Syrien verbringe? Als ich noch eine Wohnunghatte, habe ich sehr viel mehr Monate dort verbracht. Jetzt ist es so,dass ich hin und her pendle. Letztes Jahr, war ich insgesamt einhalbes Jahr dort, verteilt auf drei Fahrten. Jetzt war ich einen Monatüber den Jahreswechsel dort.

Vor Ostern fahre ich wieder und bin dann drei Monate in der Regionunterwegs, nicht nur in Syrien. Ich komme auch immer wieder nachDeutschland zurück, weil ich hier natürlich Verpflichtungen habe,zum Beispiel halte ich Vorträge.

Das Pendeln ist dem Krieg geschuldet. Es sind viele Stadtteile sehrunsicher, es gibt teilweise keine richtige Stromversorgung, keinenInternetanschluss, den ich natürlich brauche, um meine Artikelabsetzen zu können. Ich kann auch nicht so lange an einem Ortbleiben, denn es ist teurer im Hotel zu leben als eine eigene kleine

Wohnung zu haben.

Haben Sie Angst? Sie sagten Ihre Wohnung lag in der Schusslinie.Gab es Situationen in denen Sie Überlebensangst hatten?

Angst, Unsicherheit gibt es schon und 2012/13 war die Situationauch in Damaskus sehr gefährlich. Ich konnte oft gar nicht in andereGebiete fahren. Das ist jetzt ganz anders. Ich fahre regelmäßig nachAleppo, ich war in Deir-ez-Zor, war ganz oben im Norden desLandes in den kurdischen Gebieten, in Afrin.

Die Situation hat sich entgegen dem, was wir tagtäglich in denMedien hören, verbessert. Es gibt aber bis heute in Damaskus nochden Raketen- und Granatenbeschuss von bewaffneten Truppen ausden Vororten, die jetzt auch sehr massiv von syrischerRegierungsseite angegriffen werden.

Es kann tatsächlich auch passieren, wenn man in der Altstadt vonDamaskus ist, dass einem die Granaten vor die Füße fallen. Ich habedas erlebt und habe mit Leuten gesprochen, die das erlebt haben.Auch dort, wo ich wohnte — also vor dem Haus — sind Granateneingeschlagen.

Ich bewege mich so, wie sich die Syrer auch bewegen. Ich habe einGrundvertrauen in diese Gesellschaft, welches ich sicherlich nurhabe, weil ich Syrien von früher kenne. Im Großen und Ganzenarbeite ich daher angstfrei dort.

Gibt es trotzdem Gefahren, denen Sie sich nicht aussetzenwürden, also eine Grenze, die Sie nicht überschreiten würden umam Geschehen zu sein?

Ich bin vorsichtig, gehe kein Risiko ein. Ich fahre nicht an die Front,auch wenn die Front einem manchmal unverhofft entgegenkommt.

Ich komme oftmals auch gar nicht in diese gefährlichen Gebiete. DieStraßen sind dann gesperrt, wenn dort eine Frontlinie verläuft.

Auf Aleppo werden bis heute Raketen abgeschossen. DiesenGefahren versuche ich — so gut es geht — aus dem Weg zu gehen.Natürlich ist durch den Krieg die Kriminalität gestiegen. Es wärealso durchaus möglich, entführt zu werden. Mit Entführungen wirdauch Geschäft gemacht, das war auch im Irak so.

Ausländer, ausländische Journalisten, aber auch die Kinder vonbekannten Politikern, von Ärzten oder Professoren werden entführt.Diese Art von Kriminalität gab es früher nicht in Syrien und istsicherlich ein Unsicherheitsfaktor.

Um noch einmal kurz einen Schritt zurückzugehen, gibt es durchIhre Akkreditierung Vorwürfe gegen Sie, Sie wären „die Stimmedes Regimes“?

Ja, die gibt es. Seit 2011 werden diese Vorwürfe, vor allem von derOppositionsseite der syrischen Regierung in Deutschland erhoben.Die unterschiedlichsten Gruppierungen werfen mir das vor. Das fälltauch auf, wenn man zum Beispiel die Besprechung meiner Bücherliest.

Da kommt immer wieder vor, ich hätte zu viel Verständnis und ichsei auf der Seite des Regimes, auch bei Veranstaltungen wird mirdas oft vorgehalten. Man verstehe schon, dass ich nicht kritisch sei,sonst würde man mir den Aufenthalt entziehen.

Es gibt also sehr viele Anschuldigungen, die damit zu tun haben,dass ich ganz offiziell akkreditiert bin. Das bin ich aber nicht erstseit zwei Jahren, sondern schon seit 2010. Seit der Zeit noch vordem Krieg, als sich das Land sehr geöffnet hatte. Damals gab es sehrviele Deutsche und Europäer dort. Ich habe auf die Akkreditierungfünf Jahre gewartet, ich war hartnäckig und wollte schon gern dort

arbeiten. Mir vorzuwerfen, dass ich offiziell dort arbeite, halte ichfür unzulässig.

Jeder der in einem anderen Land gute Arbeit leisten will, sollte sichan die dortigen Regeln halten und für Journalisten bedeutet das,sich akkreditieren zu lassen. Das ist in Deutschland auch so. Ichhabe mir nichts vorzuwerfen.

Karin Leukefeld zur aktuellen Lage in Syrien

Wie wird Ihre Arbeit von den Syrern wahrgenommen? Sieberichten von vor Ort für deutsche Medien, nicht wie zumBeispiel die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte —eine Person in London —, auf die sich viele der Mainstreammedienbeziehen. Spielt das für die Syrer eine Rolle, wie über ihr Land und

ihre Situation berichtet wird?

Ja meine Arbeit wird schon wahrgenommen. Man muss dazu sagen,dass viele der Menschen einfach müde geworden sind — nach sovielen Jahren Krieg. Viele schauen gar keine Nachrichten mehrsondern versuchen, ihren Alltag zu organisieren. Aber diejenigen,die den Medien folgen, verfolgen nicht nur ein Medium, sondernviele verschiedene Medien, und sie nehmen sehr wohl wahr, wieüber ihr Land berichtet wird. Sie kritisieren das auch. Dass danneine Journalistin vor Ort ist wird sehr positiv wahrgenommen.

Vor dem Krieg bin ich auch Menschen begegnet, die mit mir alsJournalistin gar nicht reden wollten, sie waren sehr zurückhaltend,aber mit jedem Kriegsjahr sind die Leute sehr viel offener geworden.Sie reden über ihre Situation, sie beschönigen auch nichts und sindsehr dankbar dafür, dass sich eine ausländische Journalistin für ihreSituation vor Ort interessiert.

In Deir-ez-Zor mussten wir einmal an einem Checkpoint anhalten.Da war ein alter Mann, der an Krücken ging und sehr elend aussah.Ich habe ihn mit Hilfe des Übersetzers angesprochen, habe ihngefragt wo er herkommt, wo er hin will und so weiter. Es warendann ziemlich schnell junge Männer um mich, ich glaube sie warenvom Militär, aber in Zivil unterwegs. Sie fragten: „Wo kommen Sieher? Sind Sie aus Russland?“ Ich sagte: „Nein, ich komme ausDeutschland.“ Und sie meinten: „Was aus Deutschland?! Ahh BayernMünchen!“ und ein anderer: „Nein, Nein, Borussia Dortmund!“ Abereiner sagte dann auch: „Sagen Sie Ihrer Kanzlerin, sie soll endlichaufhören, den Krieg gegen unser Land zu unterstützen.“

Also die Leute nehmen die Situationen schon wahr, um mir auchihre Meinung zu sagen. Dann ist es natürlich auch meineVerpflichtung, darüber zu berichten.

Glauben Sie, die Menschen öffnen sich Ihnen auch deswegen

besser, weil sie in Zivil und ohne Militärs zum Schutz unterwegssind?

Ja, das glaube ich schon. Einmal, weil ich nicht besonders auffalle,als Ausländerin schon, aber ich habe jetzt keine Sicherheitskräfte anmeiner Seite, und zum anderen, weil ich im Allgemeinen keineKamera dabei habe. Ich stelle mich immer vor und frage, ob ichFotos oder kleine Videoclips machen darf und stürze auch nichtsofort mit einem Mikrofon auf die Leute zu. Außerdem tauche ichauch an Stellen auf, wo sie gar keine Medien erwarten.

Sie sagten, es gibt viele Menschen, die sich versuchen demKriegsgeschehen so gut es geht zu entziehen und ihren Alltag zuorganisieren. In den Medien sieht man nur Bilder von zerbombtenStädten. Steht da überhaupt noch ein Stein auf dem anderen? Gibtes diesen „normalen Alltag“, und wenn ja, wie muss man sichdiesen vorstellen?

Ja den Alltag gibt es. Er ist sehr unterschiedlich. Es gibt in fast jederStadt große Verwüstungen: in Damaskus in den Randgebieten, inHoms, in Aleppo, manche Dörfer sind zerstört, Deir ez-Zor istweitgehend zerstört, und was nicht zerstört ist, ist meist nicht mehrintakt. Syrien ist ja auch nicht nur einem Krieg ausgesetzt ist,sondern auch ganz massiven Wirtschaftssanktionen von der EU undden USA. Diese Sanktionen verhindern, dass Handel getrieben wird.Es kommen keine Ersatzteile ins Land, die Versorgung zum Beispielmit Medikamenten ist schwierig.

Die Not der Menschen ist schon groß, aber es gibt natürlich auchüberall noch intakte Häuser und Dörfer. Die Familien helfen sichsehr stark gegenseitig. Die Unterstützung untereinander ist groß.Viele Inlandsvertriebene sind zum Beispiel bei Familien in Damaskusuntergekommen, jede Familie die ein Haus oder eine großeWohnung hat, ist zusammengerückt und hat jeweils ein Zimmereiner anderen Familie zur Verfügung gestellt. Das ist

bewundernswert.

Natürlich helfen auch private Stiftungen, die Hilfsorganisationen derUNO, des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, die Kirchenhelfen, die Moscheen helfen, also überall wird geholfen, aber esreicht natürlich nicht…

Viele Menschen haben auch ihre Arbeit verloren, es ist nicht nurWohnraum, sondern auch Arbeitsraum zerstört worden. Das Landmuss von Grund auf neu aufgebaut werden. Viele Familienbekommen auch finanzielle Unterstützung von Angehörigen ausdem Ausland. Hundert Dollar oder hundert Euro im Monat, dass istviel Geld in Syrien, und damit versuchen sie über die Runden zukommen.

Wie groß ist der Einfluss der Rebellen? Gibt es die überhaupt,oder sind das alles Terroristen?

Anders als es hier leider berichtet wird, unterscheidet die syrischeRegierung durchaus zwischen Rebellen und Terroristen. Es hat vieleVerhandlungen gegeben. Es gibt ein Amnestieangebot für Männer,die ihre Waffen niedergelegt haben. Sie können straffrei ausgehen,wenn sie nicht irgendwelche Verbrechen begangen haben. Undtausende von Männern haben davon Gebrauch gemacht. Ich habemit vielen von denen gesprochen. Sie sind durch so eine ArtVersöhnungsprozess gelaufen.

Sie haben mir erzählt, warum sie am Anfang da mitgemacht, warumsie Waffen getragen haben, wie es dazu kam, dass sie die Waffenauch wieder niedergelegt haben und dass es auch schwer war, dieWaffen wieder abzugeben. Denn es gibt eben Gruppierungen, diedas verhindern wollen. Diejenigen, die das verhindern wollen, nenneich Kampfverbände.

Das sind im Allgemeinen islamistische Gruppen. Sie werden

unterstützt von den Golfstaaten, von der Türkei und von den USA.Sie haben viele Kämpfer unter Waffen, und sind relativ modernausgerüstet. Das behindert natürlich einen Übergang zu einerpolitischen Lösung.

Die syrische Armee hat ein Drittel ihrer Soldaten verloren und wirdunterstützt vom Iran und von der Hisbollah aus dem Libanon. Undnatürlich von Russland. Es gibt nationale Verteidigungskräfte, dassind Milizen, die Stämmen angehören oder einfache Bewohner sind,die aber der syrischen Armee unterstehen.

Natürlich ist überall da, wo gekämpft wird, kein Platz für Zivilisten.Es gibt immer wieder Verhandlungen und den Versuch, die Kämpferaus den Wohngebieten rauszuholen, oder dass die Kämpfer dieZivilisten gehen lassen. Dafür braucht man dann eine Garantie, es istalso ein sehr komplizierter Verhandlungsprozess, der immer auchwieder scheitert und dann wieder von Neuem beginnt, eine sehrmühsame Entwicklung.

Ich finde, dass man in Syrien sehr gut sehen kann, wie eine zivileÖkonomie, die es gab, in eine Kriegsökonomie umkippt. Heuteverdienen die Leute damit Geld, dass es Krieg gibt. Besonders dieseKampfverbände haben — wenn der Krieg aufhört — nichts mehr undmüssen sich anderweitig einen Lebensunterhalt suchen. Auch dasverhindert eine friedliche Lösung.

Sie haben jetzt von Männern gesprochen, die zur Waffe gegriffenhaben. Es gingen allerdings auch Bilder durch die Medien, dieFrauen zeigen, die in Milizen kämpfen. Welche Rolle haben denndie Frauen in diesem Krieg?

Die Frauen, die Sie ansprechen, sind vor allem in den kurdischenVerbänden aktiv. Sie laufen unter dem Obernamen SyrischeDemokratische Kräfte, SDK oder SDF. Aber es gibt die YPG und die

YPJ, die Volksverteidigungskräfte der Männer und der Frauen. Siewerden organisiert von der Partei der demokratischen Union (PYD),die im Norden sehr aktiv ist, und vor allem dort sind Frauen aktiv,sowohl politisch, als auch militärisch.

Es gibt aber auch Frauen auf der Seite der syrischen Armee, diehäufig in den Sanitätseinrichtungen arbeiten. Sie übernehmen aucheine Sicherheitsfunktion von Gebieten, die von Islamisten befreitwurden, sie sind dann an Checkpoints von Stadtvierteln. Das sindaber weitaus weniger Frauen, als bei den kurdischen Verbänden.

Die syrischen kurdischen Frauen sind sehr fortschrittlich. DieIdeologie, der sie folgen, geht zurück auf den Gründer derArbeiterpartei Kurdistans (PKK) Abdullah Öcalan. Er lebte lange imExil in Syrien und konnte dort die Partei und Ideologie entwickelnund verbreiten. Diese Ideologie hat aber nichts mit der Ideologie dersyrischen Regierung zu tun. Trotzdem gibt es eine Verbindungzwischen den kurdischen Verbänden und der syrischenRegierungsseite, auch wenn beide das nicht gerne zugeben.

Ich würde die kurdischen Verbände auch keinesfalls in Verbindungbringen oder mit den Kampfverbänden vergleichen, von denen ichvorhin sprach. Auch wenn die Kurden im Wesentlichen von der US-Armee unterstützt werden, was sicherlich für die kurdische Seitenoch Probleme mit sich bringen wird.

Bleiben wir bei den Kurden in Nordsyrien. Wie war es möglich,dass sich das autonome Gebiet entwickeln konnte und welcheStrukturen entstanden?

Das ist eine lange Geschichte, ich will versuchen, es kurz zuerklären. Die Grundideologie der PKK ist — wie gesagt — in Syrienentstanden, das heißt es gibt dort seit langem eine ideologischeBasis und Strukturen, aus denen die Partei der demokratischenUnion entstanden ist.

Die haben sich am Anfang des Konflikts zur Selbstverteidigung zwarbewaffnet, aus den Kämpfen aber herausgehalten und standenweder auf der Seite der Regierung, noch auf der oppositionellenSeite der Freien Syrischen Armee (FSA). Erst als sie dann 2014angegriffen wurden vom Islamischen Staat, haben sie ihre Waffenmassiv eingesetzt. Das war der Zeitpunkt, als die Amerikanerbegannen, die kurdischen Verbände direkt militärisch zuunterstützten.

Die Kurden haben bei dem schweren Angriff auf Kobane — dasarabisch Ain al Arab heißt — schwere Verluste gehabt. Später aberhaben sie von der US-amerikanischen Unterstützung profitiert.Schon vor dem Angriff auf Kobane, zwischen 2011 und 2014 habensie ihre regionale Selbstverwaltung organisiert und sind dabei auchnicht von der syrischen Regierung gestört worden. Damals gab esauch ein Bündnis mit der nicht bewaffneten, politischen Oppositionin Syrien.

2016 riefen sie eine Demokratische Föderation Nordsyrien aus, diehier vielfach in kurdischer Sprache „Rojava“ genannt wird. Diesyrischen Oppositionellen kritisierten das und zogen sich zurückmit der Begründung, dass der Schritt nicht gemeinsam diskutiertwar und von der syrischen Opposition nicht mitgetragen wurde.

Es hat sich dann eine eigenständige Struktur entwickelt, die sehrstark mitgetragen wird von Kurden aus Europa und von den Kurdenaus der Türkei und aus dem Irak. Das Projekt hat eine Eigendynamikentwickelt. Die Amerikaner haben in diesem Gebiet östlich desEuphrat großen Einfluss.

Sie haben dort inzwischen 16 Militärbasen aufgebaut und wollen esganz offensichtlich von Syrien abtrennen. Rex Tillerson, derAußenminister, hat sich jetzt im Januar entsprechend geäußert underklärt, die US-Armee werde in Syrien bleiben. Das war zwar nichtdas Ziel der Kurden, aber sie leben nun damit, dass die Amerikaner

die Bestrebungen der Kurden für ihre eigenen Interessen nutzen.

Man muss abwarten, wie es sich dort weiterentwickelt. Hinzukommt, dass es in Afrin die Konfrontation mit der türkischen Armeegegeben hat, die auch zusätzlich zeigt, dass dieses kurdische Projekttatsächlich verletzlich ist.

Die Kurden in Afrin werden inzwischen von syrischer Seiteunterstützt. Die Lage ist insgesamt sehr kompliziert. Die PYD selbst— in ihrer inneren Struktur — hält natürlich an ihrem Projekt fest.Das bedeutet schon eine gewisse Demokratisierung, aber der Preiskönnte sein, dass Syrien geteilt wird und die kurdischen Gebieteunter US-Kontrolle stehen.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

(https://www.rubikon.news/unterstuetzen)

Nina Forberger, Jahrgang 2001, ist Schülerin an einemsächsischen Gymnasium und hofft, dieses 2019 mit demAbitur verlassen zu können. Ihre dann erlangte Freiheitmöchte sie erst einmal im Ausland genießen. Sie ist einejunge Friedensbewegte, die in Zeiten von Kriegen undzerstörerischem Neoliberalismus in ihren Texten nichtnur analysieren und kritisieren, sondern vor allem zuSolidarität und Liebe aufrufen möchte. Sie ist Mitgliedder Rubikon-Jugendredaktion und schreibt für dieKolumne „Junge Federn(https://www.rubikon.news/kolumnen/junge-federn)“.

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