7
Fachthemen DOI: 10.1002/dama.201300581 220 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Mauerwerk 17 (2013), Heft 4 Im Februar 2009 kam es zu einem Teileinsturz der historischen Stadtmauer Hildburghausen auf einer Länge von ca. 10 m. Als Konsequenz aus dem Einsturz wurde die Sanierung eines erwei- terten Areals beschlossen. Diese umfasste die statische Siche- rung sowie die Steinrestaurierung der Mauerfassade eines ca. 100 m langen Abschnittes. Der vorliegende Beitrag stellt die Mauerwerksrekonstruktionen im Bereich der Einsturzstellen so- wie in weiteren akut einsturzgefährdeten Abschnitten vor. Na- hezu das gesamte 5 m hohe Wandmauerwerk wurde mittels Erd- verankerungen gegen Umkippen gesichert. Eine Besonderheit bildeten die abschließenden Arbeiten zur Wiederherstellung des eingestürzten Gewölbestollens. Rehabilitation of the lower historic town wall of Hildburghau- sen – Structural safeguarding and stone restoration. In February 2009 there was a partial collapse of 10 m length of the historic town wall Hildburghausen. As a consequence of the collapse the rehabilitation of an extended area was decided. This included the structural safeguarding and stone restoration of a 100 m long section of the wall façade. The paper describes the masonry re- constructions done in the collapsed area as well as in further sections that were in danger of collapsing. Almost the whole 5 m high wall was secured against tilting by means of soil anchoring. A special feature were the final works of recovering the col- lapsed tunnel vault. 1 Einleitung Im Februar 2009 kam es zu einem Teileinsturz der Stadt- mauer auf einer Länge von ca. 10 m (Bild 1). Als Konse- quenz aus dem Einsturz wurde die Sanierung eines erwei- terten Areals beschlossen. Der bearbeitete Bauabschnitt umfasste die statische Sicherung sowie die Stein- restaurierung der Mauerfassade eines ca. 100 m langen Abschnittes der historischen Stadtmauer unterhalb des Caritas Altenpflegeheimes, beginnend am gläsernen Fahr- stuhlturm bis zum Höhenvorsprung der Mauer. Wesentli- che Arbeiten stellten die Mauerwerksrekonstruktionen im Bereich der Einsturzstellen sowie in weiteren akut einsturz- gefährdeten Abschnitten dar. Nahezu das gesamte 5 m hohe Wandmauerwerk wurde mittels Erdverankerungen gegen Umkippen gesichert. Eine Besonderheit bildeten die ab- schließenden Arbeiten zur Wiederherstellung des einge- stürzten Gewölbestollens. Die Leistungen übernahm die Stadt Hildburghausen komplett, obwohl sich das gesamte Gewölbeareal im Besitz der Caritas befindet. Flankierend erfolgte die Herstellung eines Mauerkronenweges inklusive Geländersicherung. Der Ausführungszeitraum erstreckte sich von März 2010 bis November 2010. 2 Statische Sicherung Im Bereich der Einsturzstelle wurde als dauerhafte Bau- grubensicherung eine perforierte und bewehrte Spritzbe- tonschale, Schalendicke ca. 25 cm eingebaut. Die Entwäs- serungsdurchlässe 70 cm wurden mit ca. 1 Stück/2 m² dimensioniert. Es erfolgte flankierend eine Anpassung und statische Sicherung der Flanken an den Obergängen links/ rechts der Baugrube zur Bestandswand. Die vorhandenen Strebenbockabstützungen inklusive Schwellholz und zwei Kantholzhorizontaltraversen mussten mehrfach teilde- montiert und im jeweiligen Instandsetzungsabschnitt mon- tiert werden. Hervorzuheben ist die Abstützungserforder- nis beim Rückbau der sehr stark verwölbten und mit Erde hinterfüllten Stützmauerbereiche. Temporäre Sicherungen des Mauerwerkes erfolgten durch einen zimmermannsmä- ßigen Verbau. Hierbei wurde im Zuge des sukzessiven Rückbaus der verwölbten Abschnitte direkt temporär im oberen Bereich mittels verformungsrelevanter Auskeilun- gen gesichert. Ebenfalls erfolgte eine Notsicherung gegen Erdrutsch im Zuge der Abbaggerung an der großen Ein- Sanierung der unteren historischen Stadtmauer in Hildburghausen – Statische Sicherung und Steinrestaurierung Ronald Betzold Bild 1. Teileinsturz der Stadtmauer Fig. 1. Partial collapse of the town wall

Sanierung der unteren historischen Stadtmauer in Hildburghausen - Statische Sicherung und Steinrestaurierung

  • Upload
    ronald

  • View
    254

  • Download
    6

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Sanierung der unteren historischen Stadtmauer in Hildburghausen - Statische Sicherung und Steinrestaurierung

Fachthemen

DOI: 10.1002/dama.201300581

220 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Mauerwerk 17 (2013), Heft 4

Im Februar 2009 kam es zu einem Teileinsturz der historischen Stadtmauer Hildburghausen auf einer Länge von ca. 10 m. Als Konsequenz aus dem Einsturz wurde die Sanierung eines erwei-terten Areals beschlossen. Diese umfasste die statische Siche-rung sowie die Steinrestaurierung der Mauerfassade eines ca. 100 m langen Abschnittes. Der vorliegende Beitrag stellt die Mauerwerksrekonstruktionen im Bereich der Einsturzstellen so-wie in weiteren akut einsturzgefährdeten Abschnitten vor. Na-hezu das gesamte 5 m hohe Wandmauerwerk wurde mittels Erd-verankerungen gegen Umkippen gesichert. Eine Besonderheit bildeten die abschließenden Arbeiten zur Wiederherstellung des eingestürzten Gewölbestollens.

Rehabilitation of the lower historic town wall of Hildburghau-sen – Structural safeguarding and stone restoration. In February 2009 there was a partial collapse of 10 m length of the historic town wall Hildburghausen. As a consequence of the collapse the rehabilitation of an extended area was decided. This included the structural safeguarding and stone restoration of a 100 m long section of the wall façade. The paper describes the masonry re-constructions done in the collapsed area as well as in further sections that were in danger of collapsing. Almost the whole 5 m high wall was secured against tilting by means of soil anchoring. A special feature were the final works of recovering the col-lapsed tunnel vault.

1 Einleitung

Im Februar 2009 kam es zu einem Teileinsturz der Stadt­mauer auf einer Länge von ca. 10 m (Bild 1). Als Konse­quenz aus dem Einsturz wurde die Sanierung eines erwei­terten Areals beschlossen. Der bearbeitete Bauabschnitt umfasste die statische Sicherung sowie die Stein­restaurierung der Mauerfassade eines ca. 100 m langen Abschnittes der historischen Stadtmauer unterhalb des Caritas Altenpflegeheimes, beginnend am gläsernen Fahr­stuhlturm bis zum Höhenvorsprung der Mauer. Wesentli­che Arbeiten stellten die Mauerwerksrekonstruktionen im Bereich der Einsturzstellen sowie in weiteren akut einsturz­gefährdeten Abschnitten dar. Nahezu das gesamte 5 m hohe Wandmauerwerk wurde mittels Erdverankerungen gegen Umkippen gesichert. Eine Besonderheit bildeten die ab­schließenden Arbeiten zur Wiederherstellung des einge­stürzten Gewölbestollens. Die Leistungen übernahm die Stadt Hildburghausen komplett, obwohl sich das gesamte Gewölbeareal im Besitz der Caritas befindet. Flankierend

erfolgte die Herstellung eines Mauerkronenweges inklusive Geländersicherung. Der Ausführungszeitraum erstreckte sich von März 2010 bis November 2010.

2 Statische Sicherung

Im Bereich der Einsturzstelle wurde als dauerhafte Bau­grubensicherung eine perforierte und bewehrte Spritzbe­tonschale, Schalendicke ca. 25 cm eingebaut. Die Entwäs­serungsdurchlässe ∅ 70 cm wurden mit ca. 1 Stück/2 m² dimensioniert. Es erfolgte flankierend eine Anpassung und statische Sicherung der Flanken an den Obergängen links/rechts der Baugrube zur Bestandswand. Die vorhandenen Strebenbockabstützungen inklusive Schwellholz und zwei Kantholzhorizontaltraversen mussten mehrfach teilde­montiert und im jeweiligen Instandsetzungsabschnitt mon­tiert werden. Hervorzuheben ist die Abstützungserforder­nis beim Rückbau der sehr stark verwölbten und mit Erde hinterfüllten Stützmauerbereiche. Temporäre Sicherungen des Mauerwerkes erfolgten durch einen zimmermannsmä­ßigen Verbau. Hierbei wurde im Zuge des sukzessiven Rückbaus der verwölbten Abschnitte direkt temporär im oberen Bereich mittels verformungsrelevanter Auskeilun­gen gesichert. Ebenfalls erfolgte eine Notsicherung gegen Erdrutsch im Zuge der Abbaggerung an der großen Ein­

Sanierung der unteren historischen Stadtmauer in Hildburghausen – Statische Sicherung und Steinrestaurierung

Ronald Betzold

Bild 1. Teileinsturz der Stadtmauer Fig. 1. Partial collapse of the town wall

Page 2: Sanierung der unteren historischen Stadtmauer in Hildburghausen - Statische Sicherung und Steinrestaurierung

R. Betzold · Sanierung der unteren historischen Stadtmauer in Hildburghausen – Statische Sicherung und Steinrestaurierung

221Mauerwerk 17 (2013), Heft 4

sturzstelle. Auf eine geplante Unterfangung der Stützmauer im gesamten Abschnitt konnte nach der vorgenommenen Erhöhung der Geländeoberkante am Stützwandfuß in Ab­sprache mit der Prüfstatikerin verzichtet werden. Lediglich im neu errichteten Wandabschnitt im Bereich der Einsturz­stelle erfolgte eine frostfreie Gründung, die waagerechte Abdichtung erfolgte mittels Bitumenbahn G 200 DD.

3 Anker-, Vernadelungs- und Verpressarbeiten

In drei Nagelebenen wurde die Mauerwerkswand durch­bohrt, hinter dem Mauerquerschnitt im Schleuderverfah­ren für jeden Bodennagel ein Hohlraum von 40 cm Tiefe und 80 cm Durchmesser geschaffen und die Dauerboden­nägel in diese Hohlräume eingebunden. Durch das Ver­pressen der Hohlräume mit einem Ankermörtel – hochsul­

Bild 2. Grundriss Stadtmauerverlauf mit unterirdischen Gewölben Fig. 2. Ground-plan of the town wall with underground vaults

Bild 3. Seitenansicht losgelöste sowie verwölbte Vorder-schaleFig. 3. Side view with the removed and deformed front leaf

fatbeständig und mit Quellmaß beim Abbinden – konnte mit diesen geschaffenen Lastverteilungselementen der ak­tive Erddruck von der historischen Mauerwerkswand ge­nommen werden. Insgesamt kamen 132 Lastverteilungs­elemente und Dauerbodennägel zum Einsatz.

3.1 Ankerarbeiten Daueranker mit Ankerplatte3.1.1 Sicherung über Spritzbetonschale mit Erdvernagelung

(Bilder 4 bis 8)

Arbeitsschritte: – Einmessen und Markieren der Bohransatzpunkte – Herstellen der Bohrlöcher mittels Unterflurhammer in

den rückwärtigen Boden bis zur vorgegebenen Endtiefe – Bohrlochdurchmesser: 90 mm, Bohrneigung: 15 Grad

zur Horizontalen, Bohrlochtiefe: 6,00 m ab Hinterkante Verpresskörper

– Liefern und Einbau der Bodennägel inklusive Injektions­schlauch zur Verpressung des Bodennagels

– Bodennagel: System Spantec – Bauer, Nageldurchmes­ser: 25 mm mit doppeltem Korrosionsschutz, Nagellänge: 6 m + Mauerwerksdicke abzüglich 20 bis 30 cm

– Injizieren der Bohrlochkanäle um die Bodennägel – Material: Ankermörtel AM 25 – HS von Quick Mix – Liefern und Einbauen der Nagelkopfplatte und der zu­

gehörigen Kugelbundmutter – Vermauern der 2. Kopfplatte im Zuge der Aufmauerung

der Stützwand – Verlängerung Bodennägel sowie Anbringen einer 2. Kopf­

platte

3.1.2 Daueranker mit Lastverteilungselement – Erdveranke-rung mit mauerrückseitigen Lastverteilungselementen (Bilder 9 bis 11)

Arbeitsschritte: – Einmessen und Markieren der Bohransatzpunkte für

das Entnehmen der Decksteine bzw. Bohren der Kern­bohrlöcher in den neuen Quadersteinen, Entnehmen der Decksteine im Bereich Bruchsteinmauerwerk

Page 3: Sanierung der unteren historischen Stadtmauer in Hildburghausen - Statische Sicherung und Steinrestaurierung

R. Betzold · Sanierung der unteren historischen Stadtmauer in Hildburghausen – Statische Sicherung und Steinrestaurierung

222 Mauerwerk 17 (2013), Heft 4

– Bohrneigung: 15 Grad zur Horizontalen, Bohrlochdurch­messer: 150 mm, Bohrraster: Nach Vorgabe der Ausfüh­rungsplanung und dem Steinbestand Quadermauerwerk erfolgte die Anzeichnung vor Ort mit dem Planer.

– Bohren einer Kernbohrung bis zu 60 cm Tiefe zur spä­teren Aufnahme des Verpresspackers für die Lastvertei­lungselemente, Vertiefen der Kernbohrung mittels Unter­flurhammer bis in den rückwärtigen Mauerbereich

Bild 5. Herstellen Spritzbetonschale im Bereich der Einsturz-stelle, temporärer Stützbock bei MauerwerksverwölbungFig. 5. Producing of shotcrete shell in the collapse area, temporary support block in the deformed area

Bild 6. Herstellen der Erdvernagelung im Bereich Einsturz-stelleFig. 6. Producing of soil nailing in the collapse area

Bild 7. Neuaufmauerung über komplette MauerdickeFig. 7. Newly built masonry over complete wall thickness

Bild 8. Einbindung der verlängerten Zugstähle in das neu erstellte Mauerwerk mittels AnkerplattenFig. 8. Anchorage of the tensioned steels in the new masonry by anchor plates

Bild 4. Systemplan Sicherung Spritz-betonschale mit ErdvernagelungFig. 4. System plan for securing the shotcrete shell by soil nailing

Page 4: Sanierung der unteren historischen Stadtmauer in Hildburghausen - Statische Sicherung und Steinrestaurierung

R. Betzold · Sanierung der unteren historischen Stadtmauer in Hildburghausen – Statische Sicherung und Steinrestaurierung

223Mauerwerk 17 (2013), Heft 4

– Packerdurchmesser: 140 mm, Material: Ankermörtel AM 25 – HS von Quick Mix, vorgegebener Druck: maxi­mal 3 bar (da Injektion auch im Mauerwerk drückt)

– Ausbau der Packer und Liefern und Einbauen der Nagel­kopfplatten und der zugehörigen Kugelbandmutter

– Vermörteln der Kopfplatte und Einsetzen des entnom­menen Mauersteines bzw. Steinkerns mit Mauermörtel (Beim Einbau der Steinkerne wurde der obere Abschluss steinmetzmäßig mit Steinersatzmörtel abgeglichen.)

3.2 Vernadelungsarbeiten

Die Kernbohrungen zur Mauerwerksvernadelung mit ∅ 40 mm konnten trocken durchgeführt werden. Es erfolg­ten sowohl horizontale als auch schräge Bohrungen mit einer gemäßigten Anforderung an die Zielgerichtetheit (maximal 5 cm vertikale und horizontale Abweichung mit 15 m Bohrkanal). Als Vernadelungsanker kamen Mauer­werksnadeln (Durchmesser 10 bis 16 mm) im Bereich der verwölbten belassenen Mauerwerksbereiche sowie im de­solaten Strebepfeilerbereich zum Einsatz.

– Vertiefen der Bohrlöcher mittels Unterflurhammer in den rückwärtigen Boden bis zur vorgegebenen Endtiefe

– Bohrlochdurchmesser: 9 mm, Bohrneigung 15 Grad zur Horizontalen, Bohrlochtiefe: 6,00 m ab Hinterkante Ver­presskörper

– Einsetzen des Schleuderkopfes zur Herstellung der Last­verteilung in die Bohrlöcher von 150 mm Durchmesser. Es wurde darauf geachtet, dass das Ende des Schleuder­kopfes die Nagelbohrlöcher durch Andruck verschließt.

– Ausschleudern des Lastverteilungshohlraumes, Hohl­raumdicke: 40 cm, Hohlraumdurchmesser: 80 cm, Schleu­derzeit: mindestens 3 min. abhängig vom Austrag

– Liefern und Einbauen der Bodennägel inklusive Injek­tionsschlauch zur Verpressung des Bodennagels

– Bodennagel: System Spantec – Bauer, Nageldurchmes­ser: 25 mm mit doppeltem Korrosionsschutz, Nagellänge: 6 m + Mauerwerksdicke abzüglich 20 bis 30 cm

– Injizieren des Bohrlochkanales um den Bodennagel – Material: Ankermörtel AM 25 – HS von Quick Mix – Setzen des Verpresspackers zur Injektion der Lastvertei­

lung und Injizieren des Hohlraumes

Bild 9. Systemplan mauerrückseitige LastverteilungselementeFig. 9. System plan for load distribution elements on the back side of the wall

Bild 10. Bohrlochraster für Lastverteilungselemente in den Joch- und StrebepfeilerbereichenFig. 10. Drill hole pattern for load distribution elements in the area of buttresses

Bild 11. Detailaufnahme modifiziertes Bohrgestänge zum Ausfräsen der MauerrückseiteFig. 11. Detail of the modified drill pipes to recess the back side of the wall

Page 5: Sanierung der unteren historischen Stadtmauer in Hildburghausen - Statische Sicherung und Steinrestaurierung

R. Betzold · Sanierung der unteren historischen Stadtmauer in Hildburghausen – Statische Sicherung und Steinrestaurierung

224 Mauerwerk 17 (2013), Heft 4

zeigte Erfolg. Der optische Zustand der Gesteinsoberflä­che konnte wesentlich verbessert werden, Materialauflage­rungen sowie Materialneubildungen wurden ohne Eingriff in die Gesteinssubstanz entfernt. Die historische Patina blieb erhalten.

Lose und geschädigte Altergänzungen sowie Holz­ und Eisenteile konnten durch Ausbohren bzw. mit einem geeigneten Steinmetzwerkzeug gelöst und entfernt werden. Die Ergänzung der entstandenen Bohrlöcher bzw. Fehl­stellen erfolgte mit Steinrestaurierungsmörtel. Desolates Fugenmaterial sowie Fugenmaterial auf der Basis von sehr festem Zementmörtel konnte vollständig entfernt werden. Die Öffnung der Fugen erfolgte ohne Verwendung von Wasser mit einem Steinmetzwerkzeug. Die Beschädigung der Fugenflanken der Werkstücke wurde weitestgehend vermieden, da die Mörtelfugen zur Entspannung fugenmit­tig mittels Flex eingeschnitten wurden. Nach dem Entfernen des Fugenmateriales waren Ausräumtiefen bis zu 30 cm sichtbar. Daran schloss sich ein Ausblasen mit der Druck­luftpistole sowie eine Feinreinigung mit dem Industriestaub­sauger an. Die komplette 1. Steinschale stellte sich als völ­lig lose dar. Es wurden daher nur kleine Abschnitte geöff­net und diese temporär mittels Auskeilung sofort gesichert. Aufgrund der augenscheinlichen Salzbelastung (Salzaus­blühungen, Absandungen und Schalenbildung) musste eine einmalige Entsalzung mit konfektioniertem Kompressen­material nach dem Verfahren Dr. Ettl/Dr. Schuh vorge­nommen werden. Durch das Anlegen der Remmers­Kom­pressen wurden Sulfate mobilisiert und in das Kompres­ sionsmaterial eingelagert. Grundlegende Bedingung für eine dauerhafte Reduzierung des Salzgehaltes an der Stein­oberfläche wäre die komplette Beseitigung der Ursache des Salztransportes und somit des ständigen Feuchtigkeits­eintrages. Eine erhebliche Reduzierung des Feuchtigkeits­eintrages erfolgte durch Einbau einer Drainage sowie Ab­dichtung des Mauerkronenweges.

4.2 Restauratorische Maßnahmen

Die Formergänzungen mit Restauriermörtel dienten der Wiederherstellung der künstlerischen Aussage sowie der konstruktiv­technischen Gestaltung am Bauwerk. Das Ein­setzen von Vierungen wurde, soweit technisch möglich, vermieden. Es wurden nichtprofilierte Vierungen im Be­reich der Strebepfeilerabdeckungen gesetzt. Als Steinmate­rial kam geeignetes Austauschmaterial zum Einsatz. Frie­dewalder Quarzsandstein ersetzte Fehlstellen im Sand­stein, nachdem eine Bemusterung von Probestücken stattfand. Die eingesetzten Vierungen garantieren eine gute Übereinstimmung hinsichtlich der technischen Para­meter. Sämtliche Vierungen wurden passgenau (Pressfuge) in den Stein eingesetzt. Die Tiefe der ausgearbeiteten Öff­nungen bestimmte die Form und Größe der Vierungen. Die Ausarbeitung erfolgte manuell mit Steinmetzwerkzeu­gen. Die auf die Baustelle gelieferten Sägestücke mussten rückseitig aufgespitzt sein, um eine optimierte Verbundwir­kung zu erzielen. Es erfolgte ein punktuelles spannungs­freies Überkleben, wobei das Klebematerial hinter der Steinoberfläche zurück trat. Im Bedarfsfalle kamen zusätz­lich Edelstahlanker zur Anwendung. Zur vollflächigen Verfüllung der rückseitigen Vertikalfuge mussten schräg nach unten führende Einfülllöcher gebohrt werden. Die

Arbeitsschritte: – Einmessen der zu vernadelnden Bereiche – horizontale bzw. Schrägbohrungen, drehend und schla­

gend bzw. Kernbohrungen – Bohrlöcher mit einem hochleistungsstarken Industrie­

staubsauger aussaugen – Gewindestangen 10 bis 16 mm, entfettet (Bohrlochlänge

abzüglich 5 cm), inklusive Abstandshaltern sowie End­verankerungen einbauen und anspannen

– Bohrkanal mit Ankerverbundmörtel vom Bohrlochende aus entlüftet verfüllen

3.3 Verpressen von Hohlräumen

Die Injektionsbohrungen ∅ 22/25 mm zur Hohlraumver­füllung erfolgten ausschließlich im Bereich des Fugennet­zes des Bruchsteinmauerwerks. Es wurde trocken gebohrt bis zu einer Tiefe von 40 bis 60 cm, anschließend das Bohr­loch mit Druckluft ausgeblasen. Das Setzen der Stahl­packer der Firma DESOI (mehrfach wieder verwendbar) sowie das Verdämmen von Rissen mit Werg bildeten den Abschluss der Injektionsvorbereitung. Der Injektion des Bruchsteinmauerwerks ging ein gründliches Vornässen der Packerkanäle mit Wasser voran. Das eigentliche Injizieren erfolgte mit einem Druck von 1,5 bar (Verpressmörtel HSV­p). Die Injizierung kam lagen­ und abschnittsweise von unten nach oben mit einer mittleren Schichtdicke von 40 cm zur Ausführung. Hierbei war eine ständige Beobach­tung der Kontrollpacker notwendig. Die aufgetretenen Ver­schmutzungen durch Injektionsmörtel wurden unverzüg­lich beseitigt. Bei einem Mörtelmengenverbrauch von 50 l/m² erfolgte eine erneute Injizierung. Dazu war ein noch­maliges Aufbohren der entsprechenden Bohrlöcher erfor­derlich. Nach Beendigung des Injizierens und Erhärten des Mörtels wurden die Stahlpacker entfernt und die Bohrlö­cher mit Fugenmörtel verschlossen.

4 Steinrestaurierung4.1 Steinreinigung

Ziel der durchgeführten Reinigungsmaßnahmen war das Entfernen sämtlicher Oberflächenauflagerungen sowie Materialneubildungen, welche eine weitere Schädigung der Substanz zur Folge hätten. Es kamen keine chemischen Reinigungsmittel zum Einsatz. Die Beurteilung des Reini­gungsergebnisses wurde zusammen mit der Bauleitung an­hand von Probeflächen vorgenommen. Die mechanische Reinigung der Oberflächen diente in erster Linie als Vor­bereitung zur Pulverstrahlreinigung. Mit einem Steinmetz­werkzeug konnten sämtliche hartnäckigen Stoffauf­ und Stoffeinlagerungen entfernt werden. Die Bearbeitung er­folgte ausschließlich in Bereichen mit speziellem Material­gefüge bzw. Auflageform. Es wurden Reste von Efeu, Grä­sern und Trockenpflanzen entfernt. Ziel der Reinigung war es, die Natursteinoberfläche substanzschonend mittels Pulverstrahl­Verfahren zu reinigen. Hierbei waren insbe­sondere Krusten, Verschmutzungen und Ausblühungen zu entfernen.

Die ausgeführte Reinigungstechnologie: – Eurorubber­Verfahren (Niederdruck­Strahlverfahren) – Strahlmedium Eurorubber EURO 4 und EURO 6 – Strahldruck 0,8 bis 1,5 bar

Page 6: Sanierung der unteren historischen Stadtmauer in Hildburghausen - Statische Sicherung und Steinrestaurierung

R. Betzold · Sanierung der unteren historischen Stadtmauer in Hildburghausen – Statische Sicherung und Steinrestaurierung

225Mauerwerk 17 (2013), Heft 4

Ausführung auf dem Friedewalder Quarzsandstein kam wie folgt zur Anwendung: – Scharrierbreite unterschiedlich – natürlicher Hieb – gewöhnlich scharriert, d. h. nicht exakt in Rille – Hiebweite 4 bis 6 mm – Stöße des Scharriereisens beim Neuansatz deutlich sicht­

bar

5 Flankierende Instandsetzungsmaßnahmen

Hinter dem neu errichteten Abschnitt der Einsturzstelle musste bis zur Sohle ein Drainagekies eingebaut werden. Erd­ und Wegebauarbeiten erfolgten auf dem gesamten oberen Abschluss der Stützwand. Hier wurde ein 2 m brei­ter Mauerkronenweg angelegt. Sinnvoll war hierbei der vollflächige Einbau einer lose verlegten Folienabdichtung, bestehend aus FD­Folie (GETIFIX). Eine Hochführung dieser Folienabdichtung konnte an der Rückseite des Stütz­mauerabschlusses seitlich vertikal ausgeführt werden. Zwecks Sicherung des Mauerkronenwegs erfolgte zur Stütz­mauer hin die Montage eines Geländerzaunes, bestehend aus Rechteckrahmenprofilen für Obergurt/Untergurt, senk­rechten Füllstäben und einem aufgesetzten Handlauf.

Stärke der Vierungen betrug i. d. R. 10 cm. Verbleibende Restfugen wurden mit Steinrestauriermörtel verschlossen. In sehr großen Bereichen war es unumgänglich, geschädig­tes Mauerwerk (besonders in Riss­ und Einsturzbereichen) vorsichtig und erschütterungsfrei herauszulösen, was eine Ausführung per Hand mit Steinmetzwerkzeug erforderte. Parallel erfolgte eine temporäre Sicherung extrem instabiler Mauerbereiche durch Auskeilen bzw. Abstützen. Das be­schriebene herausgenommene Mauerwerk aus Buntsand­stein wurde komplett neu aufgemauert, geschädigte Steine hierbei durch analoges Material (Friedewalder Quarzsand­stein) ersetzt. Das Austauschmaterial hatte hinsichtlich Materialart, Firma und Färbung dem ursprünglichen Sand­stein zu entsprechen. Die Ausbildung des Gussmauerwerks erfolgte lagenweise mit dichtem Gefüge. Eine satte Verle­gung, weitestgehend im Verband, konnte realisiert werden. Hierbei fiel besonderes Augenmerk auf die ausreichende Verzahnung zum bestehenden Mauerwerk. Der Ausbau der temporären Verkeilungen und Abstützungen erfolgte nach Abschluss der Mauerarbeiten. Der Jahreszeit ange­passt, kam das Nachbehandeln durch Feuchthalten des Mörtels über einen Zeitraum von 14 Tagen zur Anwen­dung.

Entsprechend Färbung, Textur, Struktur und physika­lisch­chemischer Eigenschaften wurde beim Natursteinaus­tausch, analog dem Versetzen von Vierungen, verfahren. Ein Natursteinaustausch fand großflächig in Teilbereichen statt. Nichtprofilierte Ganzsteine konnten vor Ort manuell steinmetzmäßig ihrer Umgebung angepasst werden. Ein Neuaufbau war im Bereich des Gewölbestollens sowie im Bereich des Entwässerungskanales erforderlich. Sämtliche Steinverankerungen (Klammern sowie partielle konstruk­tive Vernadelungen) erfolgten mit Edelstahl. Alle Fugen wurden in den geschädigten Bereichen einheitlich mit Ra­jasil Fugenmörtel HSNA verfugt. Es erfolgte eine kontinu­ierliche Anpassung des Größtkornes an die Fugendimen­sionen durch Aussieben.

Arbeitsschritte: – schonendes Vornässen der ausgeräumten bzw. vorver­

fugten Fugen mittels Handsprühflasche – hohlraumfreies und kraftschlüssiges Einbringen des re­

zeptierten Fugenmörtels durch Spezialkartuschen bzw. maschinelle Vorinjektion

– Entfernen der Sinterhaut nach dem ersten Austrocknen (i. d. R. nach einem Tag) mit Holzspatel bzw. Holzkeil

Speziell im Bruchsteinbereich, insbesondere bei allen Stre­bepfeilern, war eine tiefliegende mehrfache Stopfverfugung erforderlich. Hier wurde eine lagenweise (maximal drei La­gen) Einbringung des oben genannten Fugenmörtels aus­geführt. Die Nachbehandlung der Fugen erfolgte durch Ver­nebeln von Wasser, 14 Tage lang. Als Schutz gegen Wind und direkte Sonneneinstrahlung wurden abschnittsweise Jute­Vlies­Bahnen angebracht, welche stets mit Wasser ge­tränkt, am Gerüst abgehängt und vorgehalten werden muss­ten. Entsprechend den Vorgaben durch die Fachplanung wurden die Fugen mittels Rundspatel bzw. dünner Fugen­kelle geglättet. Das Ziel der Oberflächenformulierung be­stand in der Anpassung der neu geschaffenen Oberflächen an das Umfeld. Daraufhin erfolgte die Scharrierung des 3 mm überhöht angetragenen Steinrestauriermörtels. Die

Bild 12. Fertiggestellter Mauerabschnitt mit MauerkronenwegFig. 12. Completed wall section with coping way

6 Gewölbeinstandsetzung (Bilder 13 bis 16)

Nach Herstellung der Baugrube wurde diese komplett zim­mermannsmäßig gesichert. Der eingestürzte Gewölbestol­len im Bereich der Caritas wurde aus Naturstein aufge­mauert (in der Form an den Bestand angepasst), inklusive Herstellen einer Gewölbeschalung. Das eingestürzte ma­rode Ziegelmauerwerk wurde entsorgt. Oberseitig erhielt der Gewölbestollen, nach Aufbringen einer Ausgleichs­schicht aus Natursteinmauerwerk, eine flächige Folienab­dichtung inklusive Schutzschicht, bestehend aus Schotter. Nach Abschluss dieser Arbeiten wurde die Baugrubensiche­rung zurückgebaut und der gesamte Bereich wieder lagen­weise verfüllt, inklusive Verdichten des eingebauten Mine­ralbetons.

Page 7: Sanierung der unteren historischen Stadtmauer in Hildburghausen - Statische Sicherung und Steinrestaurierung

R. Betzold · Sanierung der unteren historischen Stadtmauer in Hildburghausen – Statische Sicherung und Steinrestaurierung

226 Mauerwerk 17 (2013), Heft 4

Quellenverzeichnis Bilder:Bild 1: Schulz, Bauamt Stadt HildburghausenBilder 2, 13: Vermessungsbüro Hammerschmidt, SchleusingenBilder 3, 5–8, 10, 12, 14, 15, 16: Betzold, Betzold + Maak, Hinter­

nahBilder 4, 9: Lau, Ingenieurbüro Lau, HildburghausenBild 11: Kühnapfel, Kühnapfel Spezialbau, Radeberg

Autor dieses Beitrages:Dipl.-Ing. Ronald BetzoldBetzold+Maak Baumanufaktur GmbH & Co. KGWaldauer Berg 7, 98553 Hinternah

Bild 13. Übersicht der Gewölbeanlage inkl. ZugangsstollenFig. 13. Overview of the vaulting complex incl. access tunnel

Bild 14. Eingestürzter Gewölbestollen aus ZiegelmauerwerkFig. 14. Collapsed tunnel vault of brick masonry

Bild 16. Aus Naturstein neu gemauerter Gewölbestollen nach Demontage BogenschalungFig. 16. New tunnel vault of natural stone masonry after removing formwork

Bild 15. Baugrube GewölbestollenFig. 15. Building pit of the tunnel vault