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Veranstaltungszeitung der Konferenz vom 2./3. Mai 2008 in Tübingen „Was wir wissen, ist ein Tropfen; was wir nicht wissen, ein Ozean.“ Dieser Überzeugung von Isaac Newton wirk- ten die ersten Salzburg-Tübinger Rhe- torikgespräche entscheidend entge- gen. Vortragsinhalte wie auch die Aus- wahl der Referenten waren vielfältig: Die Konferenz brillierte mit theoreti- schen und geschichtlichen Themen, befasste sich inhaltlich mit der Synthe- se von rhetorischer Fortbildung und Praxis und erörterte Bildungsmöglich- keiten in Schule bzw. an Universitäten. Als erste Tagung auf der sich mir als Doktorandin die Möglichkeit bot, ei- nen Vortrag zu halten, bildete SaTüR die optimale Plattform. Erfreut war ich über das rege Interesse an meinen Untersuchungsresultaten. Die Rück- fragen und das Feedback stellten auf- schlussreiche Anhaltspunkte dar, an welchen Stellen meiner Arbeit ich meine Gedanken und Ergebnisse noch expliziter ausführen könnte. Einen angenehmen Rahmen bildeten der gut organisierte Ablauf, die span- nenden Pausengespräche und die Anregungen am abendlichen (sehr schmackhaften) Buffet. Der fachliche und persönliche Austausch mit Menschen aus ähnlichen Forschungsgebieten hat meine Motivation für eine zügige Fortführung meiner Dis- sertation gestärkt. Die Literatur- empfehlungen waren äußerst gedankenvoll und auch ich hof- fe, mit meinem Beitrag einigen Teilnehmern wertvolle Impulse vermittelt zu haben. Insbesondere in Erinnerung geblieben sind mir der Eröff- nungsvortrag von Herrn Prof. Dr. Kienpointer über unter- schiedliche Perspektiven der „Topik und Didaktik“. Neben dem Überblick über die Vor- und Nachteile des Ge- brauchs argumentativer Topoi zur Auswahl geeigneter Argumente gefiel mir der thematische Bezug zur Gegen- wart. Als Inspiration empfinde ich die Integration der Materien„Rhetorikaus- bildung und Persönlichkeitsbildung“, welche von Herrn Dr. Kirchner behan- delt wurde. Passend dazu erschien auch die abschließende Podiumsdis- kussion zum Thema „Zukunftspers- pektiven der Rhetorikausbildung“. Treffend wie einstimmig war der Ap- pell an Forschung und Lehre, sich immer wieder auf die realen Bedürf- nisse der Wirtschaft einzustellen und die Arbeit an diesen zu orientieren. In diesem Zusammenhang allerdings steht auch meine vorsichtige Kritik an einer Reihe der Referenten. Um es in die Worte von Goethe zu fassen: „Ein edles Beispiel macht die schweren Taten leicht.“ Anders gesagt, wenngleich sich bei Präsentationsmedien wie Po- wer Point die Gemüter scheiden, so sollte eine freie Rede nicht durch das Vorlesen eines Textes ersetzt werden. Insbesondere dort, wo Akteure aus Wirtschaft und Politik noch nicht um- fassend auf den Nutzen der Arbeit von ausgebildeten Rhetorik- und Sprech- wissenschaftlern aufmerksam gewor- den sind, ist der eigene Auftritt häufig die überzeugendste Visitenkarte. Und wer sollte sich besser mit Persuasion auskennen als der geübte Rhetoriker? Rückblickend bleiben mir eine Reihe unvergesslicher Erinnerungen an die SaTüR-Tagung und die Vorfreude auf ein Wiedersehen in Salzburg. S aTüR – Eine optimale Pla ttf orm für den erst en V or tr ag Anna-Maria Silinger Anna-Maria Silinger M.A. – Studiengang „Spra- che und Kommunikation“ an der Philipps-Univer- sität Marburg (B. A., 2006); M. A. „Discourse and Argumentation Studies“ an der Universiteit van Amsterdam, Abschluss im August 2007. Promotionsprojekt an der Philipps-Universität Marburg zum Thema „Interne Unternehmens- kommunikation“.

[sa|tü|r] Rhetorikausbildung

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Tagungszeitung zur Konferenz am 2. und 3. Mai 2008 in Tübingen

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Veranstaltungszeitung der Konferenz vom 2./3. Mai 2008 in Tübingen

„Was wir wissen, ist ein Tropfen; waswir nicht wissen, ein Ozean.“ DieserÜberzeugung von Isaac Newton wirk-ten die ersten Salzburg-Tübinger Rhe-torikgespräche entscheidend entge-gen. Vortragsinhalte wie auch die Aus-wahl der Referenten waren vielfältig:Die Konferenz brillierte mit theoreti-

schen und geschichtlichen Themen,befasste sich inhaltlich mit der Synthe-se von rhetorischer Fortbildung undPraxis und erörterte Bildungsmöglich-keiten in Schule bzw. an Universitäten.

Als erste Tagung auf der sich mir alsDoktorandin die Möglichkeit bot, ei-nen Vortrag zu halten, bildete SaTüRdie optimale Plattform. Erfreut war ichüber das rege Interesse an meinenUntersuchungsresultaten. Die Rück-fragen und das Feedback stellten auf-

schlussreiche Anhaltspunkte dar, anwelchen Stellen meiner Arbeit ichmeine Gedanken und Ergebnissenoch expliziter ausführen könnte.

Einen angenehmen Rahmen bildetender gut organisierte Ablauf, die span-nenden Pausengespräche und die

Anregungen am abendlichen(sehr schmackhaften) Buffet.Der fachliche und persönlicheAustausch mit Menschen ausähnlichen Forschungsgebietenhat meine Motivation für einezügige Fortführung meiner Dis-sertation gestärkt. Die Literatur-empfehlungen waren äußerstgedankenvoll und auch ich hof-fe, mit meinem Beitrag einigenTeilnehmern wertvolle Impulsevermittelt zu haben.

Insbesondere in Erinnerunggeblieben sind mir der Eröff-nungsvortrag von Herrn Prof.Dr. Kienpointer über unter-

schiedliche Perspektiven der „Topikund Didaktik“. Neben dem Überblicküber die Vor- und Nachteile des Ge-brauchs argumentativer Topoi zurAuswahl geeigneter Argumente gefielmir der thematische Bezug zur Gegen-wart. Als Inspiration empfinde ich dieIntegration der Materien „Rhetorikaus-bildung und Persönlichkeitsbildung“,welche von Herrn Dr. Kirchner behan-delt wurde. Passend dazu erschienauch die abschließende Podiumsdis-kussion zum Thema „Zukunftspers-

pektiven der Rhetorikausbildung“.Treffend wie einstimmig war der Ap-pell an Forschung und Lehre, sichimmer wieder auf die realen Bedürf-nisse der Wirtschaft einzustellen unddie Arbeit an diesen zu orientieren.

In diesem Zusammenhang allerdingssteht auch meine vorsichtige Kritik aneiner Reihe der Referenten. Um es indie Worte von Goethe zu fassen: „Einedles Beispiel macht die schweren Tatenleicht.“ Anders gesagt, wenngleichsich bei Präsentationsmedien wie Po-wer Point die Gemüter scheiden, sosollte eine freie Rede nicht durch dasVorlesen eines Textes ersetzt werden.Insbesondere dort, wo Akteure ausWirtschaft und Politik noch nicht um-fassend auf den Nutzen der Arbeit vonausgebildeten Rhetorik- und Sprech-wissenschaftlern aufmerksam gewor-den sind, ist der eigene Auftritt häufigdie überzeugendste Visitenkarte. Undwer sollte sich besser mit Persuasionauskennen als der geübte Rhetoriker?

Rückblickend bleiben mir eine Reiheunvergesslicher Erinnerungen an dieSaTüR-Tagung und die Vorfreude aufein Wiedersehen in Salzburg.

SaTüR – Eine optimale Plattform für den ersten VortragAnna-Maria Silinger

Anna-Maria Silinger M.A. – Studiengang „Spra-che und Kommunikation“ an der Philipps-Univer-sität Marburg (B. A., 2006); M. A. „Discourse andArgumentation Studies“ an der Universiteit vanAmsterdam, Abschluss im August 2007.Promotionsprojekt an der Philipps-UniversitätMarburg zum Thema „Interne Unternehmens-kommunikation“.

SWR2: Joachim Knape, Professor für Rhetorik, ist das Interesse an Rhetorik in den letzten Jah-ren tatsächlich größer geworden?

Knape: Das Interesse ist sehr groß. Wir haben in Deutschland nach vorsichtigen Schätzungen etwa30.000 privatwirtschaftlich arbeitende Rhetoriktrainer, sehr viele größere Institute, die sich mitRhetoriktrainings und Kommunikationstrainings im weiteren Sinn befassen. Wobei ich allerdingssagen muss, es geht nicht um allgemeine Kommunikation, sondern Rhetorik ist eine Disziplin, die

nur in Tübingen als wissenschaftliches Institut aneiner Universität in Deutschland verankert ist.Rhetorik hat mit etwas ganz Speziellem zu tun,nämlich den Erfolgs- und Effektivitätsbedingun-gen von Kommunikation. Es muss um die Fragegehen, wie ich überzeugend rede, wie ich mich inder Kommunikation auf Erfolg einstellen kann,und was da für Spezialprobleme auftreten. DiesesProblem treibt natürlich überall, wo Menschen inirgendeiner Form etwas herüberbringen müssen,etwas durchsetzen, die Menschen um - in derWirtschaft vor allen Dingen -, deswegen hat sichdieser große Markt inzwischen entwickelt. DieTagung hatte den Sinn, Praktiker und Theoretikerzusammen zu bringen, um zu prüfen, was fürProbleme sich angesichts dieser Situation stellen.

SWR2: Was sind denn die Probleme? Wer in Tübingen zum Beispiel Rhetorik studiert, der brauchtein paar Jahre. Wenn ich jetzt zu einem Schnellkurs in Rhetorik gehe, dann dauert der einenTag oder ein Wochenende. Bringt das was? Haben Sie darüber gesprochen?

Knape: Ja, darüber haben wir gesprochen. Wer in Wochenendseminaren verspricht, dass sieanschließend Rhetorik beherrschen, kann dies niemals einlösen. Wenn das nicht über mehrereWochen oder über mehrere Tage oder Sitzungen geht, wird nichts hängen bleiben. Es gibt auchForschungen, die das zeigen. Insofern muss man ein bisschen skeptisch sein bei den Angeboten,die in großer Menge auch im Internet abzurufen sind. Es gibt allerdings auch andere, die ebenfallsauf unserer Tagung vertreten waren, die das längst begriffen haben und die lernpsychologischenBedingungen etwas schärfer in den Blick nehmen und auch darauf setzen, dass sich Dinge sedi-mentieren, dass sie wiederholt werden, dass man was aufgreift, in der nächsten Sitzung weiter-fährt und so weiter.

SWR2: Wenn wir jetzt mal von der Praxis ausgehen, ich arbeite in der Wirtschaft oder bin Juristinund möchte überzeugend auftreten, überzeugend argumentieren lernen, auf was muss ichachten, was macht die Qualität rhetorischer Schulungen dann aus?

Knape: Ich würde zunächst mal, wenn Sie zu mir kämen, ein Gespräch mit Ihnen führen undfragen, an welcher Stelle Sie selbst das Gefühl haben, dass Ihnen etwas fehlt. Das kann sein, dassich Schreibprobleme oder Formulierungsprobleme habe. Das kann sein, dass ich mit meinerKörpersprache nicht zufrieden bin, dass ich das Gefühl habe, meine Intonation, meine Artikulationist nicht in Ordnung. Oft ist ja auch ein diffuses Gefühl da, dann kann so ein Wochenendseminar,wenn es richtig gemacht würde, schon Einsichten bringen. Mehr aber auch nicht!

Interview des SWR2 mit Joachim Knape zu „SaTüR“ am 5.05.2008

Rhetorik – die Kunst des Redens. Egal, ob in der Wirtschaft, der Politik oder vor Gericht, auch privat spielt diese Diszi-plin eine große Rolle. Das Angebot an Rhetorikseminaren ist riesig und unübersichtlich. Wie es mit der rhetorischenAusbildung steht, das war an diesem Wochenende das Thema einer deutsch-österreichischen Fachtagung in Tübin-gen, am Tübinger Seminar für Allgemeine Rhetorik.

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SWR2: An unseren Schulen setzt ja da inzwischen langsam ein Umdenken ein, es wird mehrWert auf das Vortragen von Referaten gelegt, man übt, vor einer Gruppe zu sprechen. Wie könnteman die Rhetorik noch besser an den Schulen oder Universitäten schon ganz früh einüben,damit man vielleicht später so ein Seminar gar nicht braucht?

Knape: Da bewegt sich sehr viel. Also, wir haben die Hertie-Stiftung, die eine große Initiativegestartet hat, „Jugend debattiert“. Wir sind auf dem guten Wege, in den Schulen dieses zu veran-kern. In Bayern gibt es zum Beispiel sogar ein richtiges Unterrichtsmodul, wo man Dialog auch imLehrer-Schüler-Gespräch als ernsthaften Schulgegenstand inzwischen verhandeln kann und nichtnur in AGs oder in Workshops und so weiter. Das heißt, da bewegt sich sehr viel - übrigens auch inÖsterreich. Deswegen haben wir uns mit Salzburg zusammengetan. Wir wollen jetzt im jährlichenTurnus die Leute zusammenführen, die solche Initiativen interessieren und sich auch aktiv beteili-gen. Ich bin da sehr optimistisch, dass sich in den Schulen viel bewegt. Es kommen auch Lehrer zuuns, die hier in Tübingen noch mal ins Studium einsteigen und sich weiterbilden wollen. Also,durch die Medien, durch das Fernsehen, die Talkshows, die vielen Sendungen im Fernsehen, indenen man gewissermaßen nur überlebt , wenn man sich sprachlich gut artikulieren kann - dashat ein vollkommen neues Bewusstsein auch in der Schule für die „Skills“, also für rhetorischenFähigkeiten geweckt. Insofern wird sich da in Zukunft sehr viel bewegen.

SWR2: Wobei es ja auch haarsträubende Beispiele gibt, ich denke da an manche Talkshows,bei denen einem allein vom Zuhören die Haare zu Berge stehen - wie sehen Sie das denn?

Knape: Das ist das schönste Anschauungsmaterial, dasBewusstsein dafür zu schärfen, dass man sieht, wer esnicht gelernt hat, wer gewissermaßen drauflos quasseltund wer dann im Gegensatz elaboriert und auch mitGeschick reden kann und mit ganz anderen Vorausset-zungen in so ein Gespräch hineingeht. Also insofern:Jeder hat eigentlich Optimierungsbedarf. Und dasReflektierte und das Gekonnte und das, na ja, sagen wirauch ruhig trainierte Reden ist immer von Vorteil. Mandarf nur, das war ja der Anfang unseres Gesprächs, keinefalschen Versprechungen machen in Lehrformaten, diedas nicht bedienen können.

Das Gespräch führte Karin GramlingDas Rhetorikforum dankt dem SWR2 für die freundlicheAbdruckgenehmigung.

Prof. Dr. Joachim Knape – Professor für Allgemeine Rhetorik und Dekan derNeuphilologischen Fakultät der Universität Tübingen. Promotion 1982, Habi-litation 1988 mit einer Untersuchung zu Leben und Werk des deutschen Hu-manisten Sebastian Brant. Herausgeber der Buchreihen „Gratia. TübingerSchriften zur Renaissanceforschung und Kulturwissenschaft“ und „Neue Rhe-torik“. Wissenschaftlicher Leiter des Projekts „Virtuelle Rhetorik“; Tübinger Lei-ter der Salzburg-Tübinger Rhetorikgespräche.

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Der Eröffnungsvortrag greift ältereund neuere Reflexionen auf, die diearistotelische Topiktradition nutzbarzu machen versuchen, um schnell, um-fassend und effizient plausible Argu-mente pro und kontra einer strittigenPosition zu finden.

Schon früh in der Topiktradition, näm-lich bei Cicero und Quintilian, findensich diesbezügliche Überlegungen.Während im Mittelalter die Topiktradi-tion im Wesentlichen bewahrend wei-tergeführt wird, beurteilt in der frühenNeuzeit Antoine Arnauld die Möglich-keit, mittels argumentativer Topoi Ar-gumente zu finden, sehr kritisch.

Giambattista Vicos leidenschaftlichesPlädoyer für die Topik als Antwort aufdiese Kritik aus dem Jahr 1708 findetihre Fortsetzung in nicht wenigen Vor-schlägen aus der aktuellen Argumen-tationsforschung (vgl. Kienpointner1997, Kopperschmidt 2000, Rigotti2006), die den praktischen Nutzen derTopik betonen und sie wiederzubele-ben versuchen.

Literaturhinweise:Aristoteles (2004): Topik. Übers. u. komm. v. T. Wagner/Chr. Rapp. Stuttgart.Arnauld (1972): Die Logik oder Die Kunst des Denkens. Übers. v. Chr. Alexos. Darm-

stadt.Cicero (1976): De Oratore/Über den Redner. Hg. u. übers. v. H. Merklin. Stuttgart.Hample, D. (2003): Inventional Capacity. In: F.H. van Eemeren/J.A. Blair/Ch.A.

Willard/F. Snoeck Henkemans (eds.): Proceedings of the Fifth Conference of theInternational Society of Argumentation. Amsterdam. 437-440.

Kienpointner, M. (1997): On the Art of Finding Arguments: What Ancient andModern Masters of Invention Have to Tell Us About the ‚Ars Inveniendi’. In:Argumentation 11.2: 225-236.

Kopperschmidt, J. (2000): Topik als Argumentationsheuristik. Wie aus Lady Di eine„sterbliche Göttin“ wurde. In: Th. Schirren/G. Ueding (Hg.): Topik und Rhetorik.Tübingen. 669-683.

Quintilian (1972/1975): Institutio oratoria/Ausbildung des Redners. Hg. u. übers. v. H.Rahn. Darmstadt.

Rigotti, E. (2006): Relevance of Context-Bound loci to Topical Potential in theArgumentation Stage. In: Argumentation 20.4. 519-540.

Vico, G. (1947): De nostri temporis studiorum ratione. Hg. u. übers. v. W.F. Otto.Godesberg.

Univ.-Prof. Mag. Dr. Manfred Kienpointner – Pro-fessor für Allgemeine und Angewandte Sprach-wissenschaft und Vorstand des Instituts für Spra-chen und Literaturen an der Universität Inns-bruck. Promotion 1982, Habilitation 1990 mit dervielbeachteten Arbeit „Alltagslogik“ (ISSADistinguished Research Award 1998). Mitglied inden Redaktionsbeiräten der Zeitschriften „Argu-mentation“, „Gesprächsforschung“ und „Prag-matics“.

Eine Sichtung dieser klassischen undmodernen Ansätze zur argumentati-ven Topik zeigt, dass zwar methodi-sche und didaktische Schritte gesetztwerden müssen, um diese alte Traditi-on zu einer leistungsfähigen „Suchma-schine für Argumente“ zu machen, diefür vielfältige Zwecke und Situationenund auch unter Zeitdruck einsetzbarist.

Das aristotelische Erbe kann aberdurch Explizitmachung von Suchstra-tegien, durch Nutzung variabler Topik-Kataloge, durch zielgerichtete Aus-wahl aus den zur Verfügung stehen-den Topoi je nach Thema der Redeoder Debatte zu einem effizienten In-strument der Argumentfindung wei-terentwickelt werden.

Dadurch kann die gegenwärtige Kon-zentration der Argumentationsfor-schung auf Argumentationsanalysezugunsten einer Beschäftigung mitder „inventorischen Kapazität“ (vgl.Hample 2003) sinnvoll ergänzt wer-den.

Topik und DidaktikZur Lehrbarkeit der Findung von Argumenten

Manfred Kienpointner

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Wir hatten ein Problem in Salzburg. Denn dieAbkürzung S-A-R-G für die Salzburger Rhetorik-gespräche lies kein Prosperieren erwarten.Thomas Schirren

Zwei Veranstaltungsorte (Salzburgund Tübingen), zwei Perspektiven(Theorie und Praxis), zwei Trennstricheim Logo – da ist es nur natürlich, dassdas Logo der Salzburg-Tübinger-Rhe-torikgespräche auch zwei offensicht-liche Bedeutungsebenen hat.

Die erste Ebene ist trivial: Beide Zen-tren der deutschsprachigen Rhetorik,beide Kooperationspartner stehengleichberechtigt nebeneinander undwerden mit derRhetorik zusam-mengehalten. Sieunterscheidensich einzig durcheine leichte Fet-tung der jeweilsausrichtendenUniversität – eineEmphase, die dergleichberechtig-ten Zusammen-arbeit unter wechselnder Federfüh-rung gerecht wird.

Die zweite Ebene ist eine offene Einla-dung für die freie Interpretation, dasmetaphorische Gedankenspiel. SaTüR– Satyr. Das Lustvolle am Gedanken-austausch erkennen. Die intensive,vielleicht beinahe ekstatische Beschäf-tigung mit einer gemeinsamen Lei-denschaft? Die phonetische Nähe vonSaTüR und Satyr lädt zu mancherleiVergleich ein – und das mit voller Ab-sicht.

Eine Parallele liegt jedoch mehr als alleanderen auf der Hand: Der Vergleichder Tagung nicht mit den bärtigen Fa-belwesen selbst, sondern mit den

nach ihnen benannten Satyrspielen.Diese Satyrspiele waren nicht nurrecht heitere und doch teilweise tief-sinnige Veranstaltungen (Eigenschaf-ten, die die Tagung hoffentlich mit ih-nen gemeinsam hat), sondern vor al-lem auch der Abschluss von einer Rei-he von Tragödien. In der klassischenZeit formten jeweils drei Tragödienund ein Satyrspiel eine Tetralogie.

In der Moderne, in unserer Zeit hat dieRhetorik in Theo-rie und Praxisebenfalls mehrals eine Tragödieerlebt (erinnertsei exemplarischnur an den Verfallder Rhetorik alsklassisches Lehr-fach an Universi-täten und ihreVerdrängung aus

weiten Teilen des Bildungskanons).

Vielleicht ist es nun aber an der Zeit,die Verhältnisse zu verändern undnicht mehr ein Satyrspiel an mehrereTragödien anzuschließen, sondernstattdessen mit vielen SaTüR-Spielenzu kontern. Dies mag zwar nicht mehrder klassischen Lehre entsprechen,aber die Nähe zwischen SaTüR undSatyr ist ja auch keine systematische,sondern nur eine allegorische.

Und so können wir uns noch zahlloseweitere SaTüR-Gespräche wünschenund freuen uns auf eine weiterefruchtbringende Kooperation zwi-schen den Universitäten von Salzburgund Tübingen.

Michael Hoppmann M.A. – Geschäftsführer desVereins zur Förderung der Rhetorik in Wissen-schaft und Praxis e.V. (Tübingen). Promotion inRhetorik, seit September 2008 NortheasternUniversity in Boston. Arbeitsschwerpunkte Anti-ke Rhetorik, Moderne Argumentationstheorieund Rhetorische Übungslehre.

Das TagungslogoMichael Hoppmann

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Führungspersönlichkeiten müssen auchnarzisstische Antriebe haben,

sonst sind sie Lahmärsche.Baldur Kirchner

Die Salzburger Rhetorikgesprächewaren eine Veranstaltung, die demAustausch von unterschiedlichen In-teressen an der Rhetorik dienen soll-te. In seiner dreijährigen Dauer hatsich ein deutschsprachiges Rhetorik-zentrum etabliert, das durch die Publi-kation der Vorträge in der Reihe Salz-burger Beiträge zu Rhetorik und Argu-mentationstheorie auch weitere Be-achtung fand.

Die Tübinger Rhetorik hat durch zweiGroßveranstaltungen in den Jahren1989 und 1997 internationale For-scher zu zwei Themen versammelt, diegerade der Tübinger Rhetorik nahelagen, nämlich die rhetorische Be-griffsgeschichte, die durch die ansehn-lichen Bände des Historischen Wörter-buches der Rhetorik eine einzigartigeForschung dokumentiert, und die rhe-torische Topik, die in ihrer Mittelstel-lung zwischen Argumentationstheo-rie und literarischer Produktion bzw.Analyse eine eigentümliche, oftschwer fassbare Gestalt annimmt.

Neben diesen von Gert Ueding orga-nisierten und konzipierten Großkon-gressen, die in den hauseigenen Rhe-torikforschungen publiziert wurden,gab es auch die von Joachim Knapeins Leben gerufenen Tübinger interna-tionalen Expertengespräche zu zen-tralen Fragen der Rhetoriktheorie: DieBedeutung des Aristoteles für die Rhe-torikgeschichte (2000), Medienrheto-rik (2005), Bildrhetorik (2007).

Die Kooperation mit dem SalzburgerRhetorikbüro soll nun den SalzburgerGedanken eines größeren Rhetorik-Forums mit dem einer Fachtagung soverknüpfen, dass spezifische Fragender Rhetorik in unterschiedlicher Per-spektive, zumal der von praktischerRhetorik und Rhetoriktheorie bzw.

Rhetorikgeschichte, für die jeweiligenGespräche leitend sind.

Diese alternierend in Tübingen undSalzburg unter dem Namen SaTüRstattfindenden Symposien verfolgendas Ziel, Praktikern wie Theoretikerndienlich zu sein, indem beide von-einander lernen können: die Praktiker,indem sie das eigene Tun im Kontextder antiken ars zu sehen lernen, dieTheoretiker, indem sie merken, dass siedie Theorien nur angemessen verste-hen und formulieren können, wenn siedie dabei ablaufenden Prozesse in derrhetorischen Wirklichkeit wieder er-kennen können. Im Idealfall lassen sichdurch solche Verbindungen also her-meneutische und praktische Gewinneerzielen. Die ersten SaTüR geben An-lass zu berechtigter Hoffnung, dassdies auch gelingen kann.

Das für die nächsten Gesprächezugrunde gelegte Thema, Rhetorikund Persönlichkeitsbildung, gehörtgenau in diesen Schnittpunkt vonTheorie und Praxis. In der lateinischenTradition ist es der eloquens, dessenBedeutung weit über den eines blo-ßen disertus (beredt) hinausgeht, weiler auch die sozialen Qualitäten besitzt,die ihn als sprachlichen Kommunika-tor auszeichnen und zu Leadership-Qualitäten verhelfen.

Es war die Entdeckung der Sophisten,dass die Demokratie nur durch dieEntwicklung einer „politischen Tu-gend“ gelingen kann, die insbeson-dere die sprachliche Kommunikationbetrifft. Wir können in unserer heuti-gen Welt auf solche Eigenschaftennicht verzichten, nach ihren Ursachenzu fragen und systematisch zu entwi-ckeln muss daher ein gesellschaftli-ches wie rhetoriktheoretisches Inter-esse sein.

Univ.-Prof. Dr. Thomas Schirren – Professor fürGräzistik und Bereichsleiter Klassische Philologieund Wirkungsgeschichte der Antike an der Uni-versität Salzburg. Promotion 1995, Habilitation2004 mit der Arbeit „Philosophos Bios“. ZuvorWissenschaftlicher Assistent am Seminar für All-gemeine Rhetorik und am Philologischen Semi-nar der Universität Tübingen. Salzburger Leiterder Salzburg-Tübinger Rhetorikgespräche.

SaTüRThomas Schirren

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Ohne persönliche Betroffenheitist Veränderung kaum möglich.Alexander Kirchner

Die Universität Salzburg konnte sich inden letzten Jahren zu einem zweitenZentrum der deutschsprachigen Rhe-torik entwickeln, was die Mühen der-jenigen belohnt, die sich darum ver-dient gemacht haben, allen voran Prof.Lothar Kolmer, dem ersten Leiter derSalzburger Rhetorik.

Neben den Aktivitäten in Forschungund Lehre hatte die Salzburger Rhe-torik sehr bald auch eine eigene Kon-ferenz, die Salzburger Rhetorikgesprä-che, die im Jahre 2004 zum ersten Malveranstaltet wurden. Diese Konferenzwar ein Teamprojekt des Büros desRektorats – Rhetorik und ging auf dieInitiative von Günther Kreuzbauer zu-rück. Bei der Gründung orientierteman sich am Vorbild einer anderenKonferenz, die nach dem gleichenMuster, allerdings in einem ganz an-deren Wissenschaftsbereich durchge-führt wurde, nämlich den „SalzburgerRechtsinformatikgesprächen“. DieseKonferenz, welche sich zwischen-zeitlich zum „Internationalen Rechts-informatiksymposion Salzburg“ entwi-ckelt hat, wird nach wie vor sehr er-folgreich jeden Februar in denselbenRäumlichkeiten wie die SalzburgerRhetorikgespräche veranstaltet.

Die Salzburger Rhetorikgespräche ver-standen sich als offenes Forum, aufdem der jeweils gegenwärtige Standder Rhetorik in Theorie und Praxis vor-gestellt und diskutiert werden sollte.Dies war mit einem anti-elitären An-spruch verbunden, was dem deut-schen bzw. österreichischen Universi-tätssystem mit seinen bekannter-maßen steilen Hierarchien bewusstentgegenwirken sollte. Aus diesemGrunde wurde besonders großer Wertdarauf gelegt, jüngeren Wissenschaft-lerinnen und Wissenschaftlern dieGelegenheit zu Vorträgen zu geben,sodass auch diese ihre Forschungser-gebnisse präsentieren konnten.

Daneben wollte die Konferenz auchein internationales Forum sein undverfolgte das Ziel, irgendwann einmalzu den größeren international beach-

teten Fachkonferenzen zu gehören.Bezüglich des Formats orientierte mansich an internationalen Vorbildern, wieder alle vier Jahre in Amsterdam statt-findenden ISSA International Confe-rence on Argumentation. Außerdemwurde versucht, englischsprachigeBeiträge zu forcieren.

Ein weiteres Spezifikum bestand in derInterdisziplinarität der Konferenz, alsoin dem Versuch, nicht nur Vorträgeüber klassische Rhetorik anzubieten,sondern auch über modernere Ansät-ze. Da neben der Rhetorik auch die Ar-gumentationstheorie gleichwertigvertreten war, enthielt das Programmauch eine große Anzahl von argumen-tationstheoretischen und logischenBeiträgen.

Diese Grundprinzipien der SalzburgerRhetorikgespräche waren nie unum-stritten. Einiges, wie etwa die Integra-tion einer psychologischen und einerempirischen Rhetorik, ist weniger ge-lungen, und auch die Verbindung zwi-schen Wissenschaft und Praxis liefnicht immer nach den Vorstellungender Veranstalter(inn)en.

Im Ergebnis waren die Salzburger Rhe-torikgespräche dennoch ein ziemli-cher Erfolg: Es war nicht nur möglich,die rhetorische Lehre zu forcieren undneue Forschungsergebnisse zu gewin-nen, sondern es konnten auch einigevielversprechende junge Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftlergefördert werden.

Im Jahre 2007 wurde die Arbeit durchdie neue Partnerschaft mit der Univer-sität Tübingen beloht, womit sich diebeiden Zentren der deutschsprachi-gen Rhetorik zu dem Ziele verbundenhaben, gemeinsam die Rhetorik vor-anzubringen. Gerade diese Zusam-menarbeit, die sich auch darin aus-drückt, dass die Salzburger Rhetorik-gespräche zu SaTüR, also den Salz-burg-Tübinger Rhetorikgesprächenwurden, ist ein Anlass dafür, optimis-tisch in die Zukunft der Rhetorik zusehen.

Ass.-Prof. MMag. Dr. Günther Kreuzbauer – Assis-tenzprofessor am Fachbereich Sozial- und Wirt-schaftswissenschaften der Rechtswissenschaft-lichen Fakultät der Universität Salzburg; Studiumder Rechtswissenschaft, Geschichte und Philoso-phie an der Universität Salzburg, Statistik-Di-plom an der Universität Essex. Im Jahr 1996 Pro-motion zum Dr.iur, Habilitationsprojekt über diementalen Grundlagen der juristischen Argumen-tation. Zahlreiche Publikationen, insbesonderezu rechtsphilosophischen und argumentations-theoretischen Themen.

Salzburger Rhetorikgespräche 2004-2007Günther Kreuzbauer

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Wenn Tübingen das Mekka der Rhetorik ist,dann ist Salzburg gewiss das Medina.

Manfred Kienpointner

Rhetorikforum: Die Salzburg-Tübinger Rhetorikgespräche bringen Theoretiker und Praktiker derRhetorik zusammen. In den letzten Jahren hat es immer wieder Diskussionen zwischen den Gruppengegeben. Wie erleben Sie das Aufeinandertreffen von Theorie und Praxis?

AK: Es war gelegentlich durchaus eine gereizte Stimmung, die deutlich gemacht hat, dass es unterschiedli-che Lager gibt. Insgesamt ist das Klima aber konstruktiv. Aus diesem Zusammenhang heraus entstand dasdiesjährige Tagungsthema „Rhetorikausbildung“.

Rhetorikforum: Wo liegt der größte Bedarf für eine bessere Verständigung?

BK: Zentral ist die Bezeichnung der Praxis als „Training“. Aus Sicht der Persönlichkeitsanalyse ist dieserBegriff eher der Verhaltensnormierung und der Verhaltenstherapie als der Tiefenpsychologie und derethisch orientierten Psychoanalyse – wie bei Erich Fromm – zugeordnet. „Ausbildung“ ist ein objektiverBegriff. „Training“ ist möglich, ordnet aber die Teilnehmenden und die Anbieter einer bestimmten Methodezu.

AK: Ein wesentliches Dilemma ist, dass die praktische Seite – also die Ausbildung für wirtschafts- undprofitorientierte Zwecke – geprägt ist von einer hohen Ignoranz gegenüber dem, was wissenschaftlichpassiert. Gleichermaßen ist die wissenschaftliche Seite geprägt von einer Ignoranz und Überheblichkeit,mitunter aber auch von Missgunst und Neid gegenüber der praktischen Seite – wohl auch, weil man sichüber die praktische Seite materiell sehr gut versorgen und eine hohe Prominenz erreichen kann. EinAustausch aber muss stattfinden, wie es sich aktuell auch im Tagungsprogramm zeigt: Was sindbeispielsweise die praktischen Inhalte in der juristischen Ausbildung?

BK: Die wissenschaftliche Rhetorik möge etwas mehr Praxisnähe anstreben und dafür auch die Bedingun-gen schaffen. Es setzt auch bei den universitären Dozenten die Vorbildung und den Willen voraus, sichgegenüber den Praktikern verständlich zu machen.

Rhetorikforum: Sie beziehen sich vielfach auf den Traditionsschatz der Rhetorik. Kurz gefragt : Wersind Ihre Lieblingstheoretiker?

BK: Aristoteles, Augustinus, Chrysostomos, Thomas von Aquin sowie die gesamte Patristik.

AK: Isokrates, z.B. mit den ethischen Vorstellungen, die sich in der Nikokles-Rede ausdrücken; Tacitus undsein „Niedergang der Beredsamkeit“, in dem die Beziehung zwischen der politischenVerfasstheit einer Gesellschaft und dem öffentlichen Stellenwert des Wortes zumAusdruck kommt – und Nietzsche!

Rhetorikforum: Welches sind die wichtigsten Elemente aus dem Traditions-schatz, die Sie auch für die Praxis nutzen?

BK: Von der Überzeugungsqualität her: phronesis, eunoia, aretê; dann êthos, pathos,logos. Bei Chrysostomos die praktische Exegese und Homiletik, er spricht in wunder-schönen Bildern. Bei Augustinus die ständig geforderten Identifikationsangebote: „Indir muss brennen, was du im anderen entzünden willst!“

Alexander Kirchner, Sie sind Politikwissenschaftler und haben im Grenzbereichvon Politik und Rhetorik publiziert. Arbeiten Sie häufig mit Politikern?

AK: Gelegentlich. Wir sind selten auch in der Politikberatung aktiv, arbeiten sonstaber eher wissenschaftlich und nicht in der politischen Praxis. Im „HistorischenWörterbuch der Rhetorik“ habe ich die Artikel „Nationalsozialismus“ und „Propagan-datheorie“ geschrieben und zu Herrn Kopperschmidts Hitler-Band beigetragen. Daswaren also eher theoretische Arbeiten. Politiker haben schon in jungen Jahren eineumfassende Ausbildung in Parteistiftungen. Daher ist es eher selten, dass sie im Altervon 40 Jahren noch Beratung in Anspruch nehmen. Sie sind schon recht gut ausge-bildet, auch im Vergleich mit Wirtschaftsführern. Und gemessen an den Anforderun-gen schlagen sie sich ganz gut. Denn sie haben viele üble Redesituationen, wiePressekonferenzen, zu bewältigen.

BK: Es ist oft floskelhaft, was sie sagen, seelenlose öffentliche Sprachschablonen…

Dr. Baldur Kirchner – freier Dozent für Persön-lichkeitsbildung im eigenen Seminarhaus Etten-beuren. Über 30.000 Teilnehmer in den seit 1972veranstalteten Seminaren und Kolloquien. Studi-um der Philosophie, Katholischen Theologie undKlassischen Philologie in Ost-Berlin und Tübin-gen; 1968 Promotion zum Dr. phil. an der Univer-sität Tübingen. Vortragsredner und Autor zahlrei-cher Fachbücher.

Interview mit Baldur und Alexander Kirchner

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AK: … und nicht glaubwürdig …

BK: … sie wissen sich aber eher zu helfen.

Rhetorikforum: Herr Kirchner, welche Bedeutung hat Ihr Theologiestudium für Ihre praktische Arbeit?

BK: Mein Rigorosum habe ich in Alter Kirchengeschichte bei Professor Stockmeyer abgelegt, also in derPatristik, Homiletik und Exegese der Texte. Das ist in meine rhetorisch-dialektische Tätigkeit eingeflossen.Insbesondere auch die Sachaussagen der Bergpredigt.

Rhetorikforum: Und inwieweit stellen Sie diese Inhalte zur Diskussion im Seminar?

BK: Unter ethischen Gesichtspunkten. In der Bergpredigt ist zu lesen, wie man mit Urteilen umgehen soll,vor allem in den Sachaussagen gegen Heuchler und Pharisäer. Es heißt zum Beispiel „Wenn du fastest, machkein finsteres Gesicht.“ Also: Mach’ nicht in narzisstischer Weise auf dich aufmerksam. Man muss die Inhaltenur modern deuten. Da geht es um Identität und Authentizität. Aber ich missioniere niemanden.

Rhetorikforum: Manche Seminarteilnehmer stellen die Frage „Wie werde ich authentischer?“ oderhaben die paradoxe Forderung „Sei authentisch!“ im Hinterkopf.

BK: Genau. Oder „Jetzt glaub’ mir doch mal!“. „Jetzt lieb’ mich doch mal!“…

Rhetorikforum: Wie gehen Sie mit solchen Erwartungen um?

AK: Der Begriff „Authentizität“ ist heute völlig überbewertet. Seit 5 bis 8 Jahren ist er ein Schlagwort, unterdem man alle möglichen Forderungen von Sittlichkeit verbirgt, die aber de facto nicht erbracht werden.Glaubwürdigkeit und Authentizität sind elementar, aber der Begriff ist überstrapaziert. Eine Wahrhaftigkeitsich selbst gegenüber ist hier das ganz Entscheidende. Otto Friedrich Bollnow, Theologe und Ethiker hier inTübingen, hat in seinem schönen Buch „Wesen und Wandel der Tugenden“ den Begriff von der „ehrlichenLüge“ geprägt. Es gibt eine „ehrliche Lüge“, die sehr überzeugend vorgetragen wird, und keiner kommtdarauf, dass da etwas nicht stimmt. Entscheidend bei der „ehrlichen Lüge“ aber ist, dass man sich selbstgegenüber wahrhaftig bleibt. Und das ist für mich Authentizität.

BK: Es ist wie mit „betroffen“. Eigentlich ein edles und wichtiges Wort, das inzwischen aber inflationärgenutzt wird.

Rhetorikforum: Wie kam Ihre Entscheidung für die Unterstützung der Salzburg-Tübinger Rhetorikgespräche zustande?

AK: Ich war als Referent in Salzburg angefragt worden, um die Perspektive derSeminaranbieter zu vertreten, und habe dort dann vor drei Jahren das erste Malreferiert. Das war der eigentliche Ursprung. Unsere Motivation für die Unterstützungbesteht darin, dass wir die Einrichtung der Salzburg-Tübinger Rhetorikgespräche fürsehr sinnvoll erachten, um den Austausch und Dialog zwischen Wissenschaft undPraxis zu gewährleisten. Und um deutlich zu machen, dass uns auch persönlichetwas daran liegt, das Thema der Rhetorik in einem weiteren Sinne publik zumachen.

BK: Es ist auch ein emotionaler Wert. Wir wollen andere an dem, was wir verdienen,teilhaben lassen.

AK: Hinzu kommt: Wir leben zentral von der Rhetorik. Wenn wir also etwas unterstüt-zen, dann Rhetorik. Und hinzu kommt, dass die Geisteswissenschaften keine Lobbyhaben und ohnehin förderungsbedürftig und auch förderungswürdig sind. Und dieRhetorik ist uns näher als zum Beispiel die Unterstützung eines Kongresses zumThema „Verkaufsförderung in der Wirtschaft“.

Das Gespräch führte Simon Wolf für die SaTüR Veranstaltungszeitung.

Dr. Alexander Kirchner – freiberuflicher Seminar-leiter seit 1999. Studium der Politischen Wissen-schaft, Psychologie und Volkswirtschaftslehresowie Philosophie in Augsburg und in Ulm;Sprechunterricht an der Otto-Falckenberg-Schu-le in München. 2000 Promotion über das ThemaRhetorik und Politik. Lehraufträge an den Univer-sitäten Augsburg und aktuell Salzburg.

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Eine universalistische Kompetenzver-mittlung gehört sicherlich in die zen-tralen Bereiche jeglichen Personalma-nagements. Und schaut man in dieeinschlägigen Trainingssparten, soscheint man allerorten auf das Wirkenvon modernen Sophisten zu stoßen: jenach Niveau fällt jedoch sehr unter-schiedlich aus, was sich die Schülersolcher Sophisten erhoffen dürfen. EinWohlfühlwochenende zum Nachspü-ren der eigenen vielleicht nochschlummernden Kompetenzen oderein solides Seminar, das einen wohl-dosierten Impuls geben möchte, eige-ne Mängel und Stärken differenzierterwahrzunehmen. Hätten die alten So-phisten nicht auch dergleichen ma-chen wollen? Und haben sie dasvielleicht sogar getan? Was wir ausden Fragmenten schließen könnenund was deren verbissene Kritiker er-klären, läßt immerhin erahnen, dass sienach dem Humanum fragten undselbst an der Perfektionierung diesesZustandes, dieser Entität arbeiteten.Wenn auch gewinnorientiert. Aberwer möchte ihnen das verdenken?

Der sich in Delphi, dem Zentrum derWelt, schon zu Lebzeiten vergoldendeGorgias ist doch mit dieser Repräsen-tation auch ein augenfälliger Beleg fürseinen Erfolg; und wer einigen zah-lungskräftigen Kunden zur Brillanzverholfen hat, möchte der diesesGlück nicht auch anderen angedeihenlassen? Der goldene Gorgias ist eineWerbestrategie, die das bekannte Dik-tum vom Silber des Redens nicht mitdem Gold des Schweigens fortsetzt,sondern dieses Edelmetall der tech-nisch ausgefeilten Rede vorbehaltenmöchte: Reden ist Silber, technischangeleitet Reden ist Gold. Brillanz istdas Erkennungsmerkmal des Sophis-ten, Glanz und Gloria waren ehedem,was Publicity und Glamour heute sind.Klar, dass dies manche Neider auf denPlan rief, die an den von den Sophis-ten vermittelten Kompetenzen man-

ches auszusetzen hatten. Was wärendie heutigen Ziele solcher Kritiker?

Hierfür müssen wir den Blick weiterschweifen lassen. Denn professionel-le Besserwisserei als Streben nach derTüchtigkeit (areté) scheint keineswegsauf das Gebiet der Rhetorik be-schränkt zu sein. Die heutigen Schlüs-selkompetenzen sind der ignoranteBlick von außen. Es ist der umtriebige,angeblich vernetzt denkende unddoch oftmals nur gehetzt wirkendeUnternehmensberater, Mitte Zwanzig,mit jener Arroganz des Twen, die daswenige, was er weiß oder vielleichteinmal erfahren hat (machen solcheMenschen überhaupt Erfahrungen?),für dasjenige Maß halten, an das sieeinfach alles anlegen. Und das ist viel.Denn sie sollen ja alles umkrempelnund auf den Kopf stellen, worauf sietreffen. Sie schreiten die Schreibtischevon Mitarbeitern ab, kündigen voll-mundig Personalentwicklung an, wovielleicht nur an Personalabwicklunggedacht wird, und ermöglichen so denAuftraggebern, sich auf Entscheidun-gen von angeblich allkompetentenGreenhorns zu berufen; die Auftragge-ber denken natürlich nicht daran, ir-gendetwas tatsächlich umzusetzen,sondern nur endlich die Dinge zu ar-rangieren, die man immer schon woll-te, aber ohne das Votum der Besser-wisser gegen den Betriebsrat nichtdurchzusetzen sind. Und da solcheBeratungen ja wirklich teuer sind undsein dürfen (Wertschöpfung!), kannman auch schnell noch ein anderesGeschäft einfädeln und mit einigenüberschüssigen Millionen stiften ge-hen.

Das wäre das Betätigungsfeld dermodernen Sophisten. Möglich, dassPlaton bei den alten Sophisten seinerTage ähnliche Typen ausmachte undeinem ehrwürdigen Protagoras zu-schrieb, was er an einem seiner Afters-assen auszusetzen fand.

Univ.-Prof. Dr. Thomas Schirren – Professor fürGräzistik und Bereichsleiter Klassische Philo-logie und Wirkungsgeschichte der Antike ander Universität Salzburg. Promotion 1995,Habilitation 2004 mit der Arbeit „PhilosophosBios“. Zuvor Wissenschaftlicher Assistent amSeminar für Allgemeine Rhetorik und am Phi-lologischen Seminar der Universität Tübingen.Salzburger Leiter der Salzburg-Tübinger Rhe-torikgespräche.

Gibt es eine moderne Sophistik?Thomas Schirren

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Rhetorik – das heißt nicht:Einer machts Maul auf – that’s rhetoric!Joachim Knape

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Auf Wiedersehen in Tübingen

Impressum

Veranstaltungszeitungder SaTüR

V.i.S.d.P.:Prof. Dr. Joachim KnapeWilhelmstraße 5072074 Tübingen

07071 29-78431

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Redaktion, Satz und Layout:Nikos AndreadisMatthias ErnstSimon Wolf

Photos und Bildrechte:Alexander BlumUlrich SchermaulAnne Ulrich

Weitere Informationen:www.rhetorikgespraeche.atwww.rhetorikforum.de/rhetorikgespraeche

SaTüR 2008 – Die Tagung und der RhetorikvereinSimon Wolf

Die Salzburg-Tübinger Rhetorikge-spräche, die in diesem Jahr unter demübergreifenden Thema „Rhetorikaus-bildung“ standen, boten eine Vielfaltthematische geordneter Sektionen:Die Bandbreite reichte von Fragen derRhetoriktheorie und -geschichte überAspekte des rhetorischen Trainings,besonders in der Wirtschaft, bis zudem aktuellen Stellenwert der Rheto-rik in Schule und Hochschule.

Ihr allseits anerkanntes Gelingen ver-dankt die Tagung zu einem wichtigenTeil der tatkräftigen Unterstützung ausden Reihen des Rhetorikvereins. Abernicht nur hinter den Kulissen der Kon-ferenz waren Vereinsmitglieder aktiv;auch zum Vortragsprogramm liefertensie mehrere spannende Beiträge. Vorallem aber bot die Konferenz den rund100 Teilnehmern die Gelegenheit,Rhetorikforscher ebenso wie Praktikerder rhetorischen Ausbildung persön-lich kennenzulernen: In den Diskussi-onen im Anschluss an die Vorträge,aber auch im intensiven Zwiege-spräch über einer Tasse Kaffee, wurdenerprobte Trainingskonzepte sowie ak-tuelle Forschungsfragen aus der Näheerfahrbar.

Die theoretischen und praktischenFragen der Rhetorikausbildung botenvielfältigen Gesprächsstoff und trugendamit unmittelbar zu einer weiterenVerknüpfung und zum Austausch zwi-schen Praktikern und Theoretikern bei.Durch mehrere Einzelvorträge ange-regt, kreisten die Gespräche beispiels-weise immer wieder um die Möglich-keiten und Grenzen der Evaluationvon Rhetorikseminaren. Der produkti-ve Austausch und die gute Atmosphä-re der Konferenz werden fortgeführtmit der Anschlusstagung, die im kom-menden Jahr turnusgemäß an der Pa-ris-Lodron-Universität Salzburg statt-finden wird: Vom 22. bis 23. Mai 2009gilt die Aufmerksamkeit der Teilneh-mer dann dem Schwerpunkt „Rheto-rik und Persönlichkeitsbildung“.

Schon heute begrüßt der erste Vorsit-zende des Vereins, Prof. Dr. JoachimKnape, die deutsch-österreichischeKooperation ganz ausdrücklich: „DieSalzburg-Tübinger Rhetorikgesprächebelegen das stark wachsende Interes-se an der Rhetorik und sind ein exzel-lentes Forum für die Vernetzung derdeutschsprachigen Rhetorikfors-chung.“

Verein zur Förderung der Rhetorikin Wissenschaft und Praxis e.V.

Matthias Ernst

Der Verein zur Förderung der Rhetorikin Wissenschaft und Praxis wurde1997 an der Universität Tübingengegründet. Er unterstützt die wissen-schaftliche Forschung und Lehre inder Rhetorik und bietet eine Plattformfür den Austausch zwischen For-schung und Praxis. Zu diesen Zwecken

veranstaltet und fördert der Vereinwissenschaftliche Tagungen, Publika-tionen, Überset-zungen, Bibliotheks-oder Archivbesuche und Rhetoriker-tage. Darüber hinaus schafft er Raumfür weitere Aktivitäten, die die Zusam-menarbeit von Rhetorik-interessiertenMenschen erleichtert und fördert.

Seminar fürAllgemeine Rhetorik