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1 | Umweltfreundliche Produktentwicklung Schlaglichter der umweltfreundlichen Produktentwicklung. Konzepte und Projekte.

Schlaglichter der umweltfreundlichen Produktentwicklung ......Gewerbeparkour Mutter Gesellschaft für Design und Vermarktung mbH Milk-Tumbler morethanshelters GmbH Mobile Notunterkunft

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1 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

Schlaglichter der umweltfreundlichen Produktentwicklung. Konzepte und Projekte.

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2 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

Grußwort

Umweltfreundliche Produkte sind ein Schlüssel für die wachsenden Herausfor-derungen im Klima-, Umwelt- und Res-sourcenschutz. Sie zu entwickeln heißt, alle Umweltfaktoren auf dem gesamten Lebensweg eines Produktes von Beginn an zu betrachten und zu optimieren. Denn der größte Teil der Umweltauswir-kungen wird bereits während der Ent-wicklung festgelegt.

Für alle an Herstellung und Vertrieb von Produkten Beteiligten schafft die umwelt-freundliche Produktentwicklung erhebli-che Wettbewerbsvorteile. Neue Potenziale für Ressourceneffi zienz und Kreislaufwirt-schaft können erschlossen, Marktpositio-nen gestärkt und der Zugang zu neuen Kunden ermöglicht werden.

Mit dem Wettbewerb Umweltfreundli-che Produktentwicklung der Umwelt-Partnerschaft waren wir auf der Suche nach Hamburger Ideen und Lösungen, die dazu beitragen, die ökologischen und ökonomischen Potenziale von Produkten zu heben und zu fördern.

Im Rahmen dieses Wettbewerbs haben wir viele vielversprechende Ideen und herausragende Lösungen für zukunfts-fähige Produkte präsentiert bekommen – viel mehr als wir am Ende auszeichnen konnten.

Deshalb lade ich Sie herzlich ein, durch diese Broschüre zu stöbern und sich selbst ein Bild von den Projekten zu machen. Lassen Sie sich anregen und inspirieren. Sie haben bereits eine Idee, wie man Ihr Produkt nachhaltiger gestalten kann oder möchten sich am Hamburger Netzwerk Umweltfreundliche Produktentwicklung beteiligen? Noch besser. Mein Team steht Ihnen gerne mit Rat und Tat zur Verfü-gung. Sprechen Sie uns an!

Ihre

Jutta Blankau, Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt der Freien und Hansestadt Hamburg

Gute Lösungen sind gute Ratgeber

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Inhalt

Teilnehmer des Wettbewerbs stellen sich vor.15 Konzepte und Projekte zur umweltfreundlichen Produktentwicklung

Berendsohn AGBerendsohn Blue Line Kollektion

Das CaféhausBio-Kaffeerösterei

Gall & Seitz Systems GmbHMoRU – Mobile Robot Unit

Gewerbeparkour

Mutter Gesellschaft für Design und Vermarktung mbHMilk-Tumbler

morethanshelters GmbHMobile Notunterkunft DOMO

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Außerdem Interviews mit

Dr. Ulrike EberleNetzwerk Umweltfreundliche Produktentwicklung ............... 14/15/16

Prof. Dr. Kerstin KuchtaTechnischer UmweltschutzQualitäts- und Umweltmanagement....................24/25

Antje KnaackFachreferentin Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt ..................................32/33

Stefan SchriddeSelbständiger Dipl. Betriebswirt und Blog-Betreiber .......................40/41

Jens WilligFachingenieurDB Services GmbH .......................48/49

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5 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

Daimler AG, Mercedes-Benz Werk HHIntelligenter Leichtbau im Kfz-Bau

Diehl Service Modules GmbH GreenUNIT

Effenberger Vollkornbäckerei

MHID | Agentur für ganzheitliches Produktdesign GreenPlay sports (e-kinect)

MHID | Agentur für ganzheitliches Produktdesign GreenPlay

Helmut-Schmidt-UniversitätFrühzeitige energetische Produktbeeinflussung

Protonet UG Protonet-Box

SafeRetoure Verpackung GmbH Safe2Go

Santa Fe Natural Tobacco Company: Germany GmbH Umweltfreundliches Innenleben für Zigarettenschachteln

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Das Projekt

Wie ressourcenintensiv ist ein Produkt in der Herstellung? Wie viel Energie benötigt es während der Nutzung? Ist es möglich, das Produkt am Lebensende zu recyceln oder sogar durch eine Instandsetzung weiter zu verwenden? Fragen, die sich Verbraucher im Endkundensegment, wie auch im Geschäftsbetrieb stellen, aber nur selten beantwortet bekommen. Eine Kennzeichnung für Umweltauswirkun-gen, die den gesamten Produktlebens-zyklus bewertet, existiert bislang nicht. Insbesondere bei komplexeren Produkten ist eine vollständige Ökobilanzierung mit viel Aufwand verbunden. Dabei gibt eine genaue Analyse des Produktes vielfältige Hinweise darüber, wie die Umweltauswir-kungen eines Produktes signifi kant ver-

bessert werden können. Auffällig dabei ist, dass das Produktdesign die entscheidende Stellschraube ist. Langlebigkeit, Toxizität, Reparaturfreundlichkeit und Recyclingfä-higkeit sind Beispiele für Kriterien, die alle schon beim Design des Produktes festge-legt werden und die Umwelteffekte eines Produktes entscheidend beeinfl ussen.

Aus dieser Erkenntnis heraus hat die Hamburger Behörde für Stadtentwick-lung und Umwelt ein Projekt ins Leben gerufen, dass die Produktentwicklung nach Umweltaspekten in den Fokus stellt.Das Projekt Umweltfreundliche Pro-duktentwicklung ist im Sommer 2011 gestartet und mit einer Laufzeit bis Ende 2013 geplant. Es zielt darauf ab, den Stel-

lenwert der Produktentwicklung für die ökologische Gesamtbilanz zu verdeutli-chen und Instrumente zu etablieren, die die Nachhaltigkeit von Produkten in die-ser wichtigen Phase und damit im kom-pletten Lebenszyklus verbessert.

Hierfür wurde ein breites Angebot ge-schaffen, wovon verschiedene Maßnah-men über 2013 hinaus von der Umwelt-Partnerschaft fortgeführt werden.

Aufbau eines BeraterpoolsEs wurden gezielte Informationswork-shops angeboten, die erfahrenen Fach-beratern – z.B. Industrie-Designern oder Entwicklungsingenieuren – die ergänzen-de Expertise für diese Beratungs- und Un-terstützungsleistungen vermitteln. Unter-nehmensberater haben auf diese Weise die Möglichkeit, die notwendige Fachkunde für die umweltgerechte Produktentwick-lung und die darauf bezogenen Beratungs-maßnahmen zu erwerben.

Förderung betrieblicher Beratungs- und UmsetzungsmaßnahmenUnternehmen, die sich bei entsprechen-den Vorhaben zur umweltfreundlichen Produktentwicklung von fachkundigen

Umweltfreundliche ProduktentwicklungAngebote der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt Hamburg

Fachkonferenz Refurbishing, HAW Hamburg

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Beraterinnen und Beratern unterstützen lassen wollen, können hierfür Förderung aus den Mitteln des aktuellen Projektes erhalten. Die Behörde für Stadtentwick-lung und Umwelt übernimmt zwei Drittel der entstehenden Beratungskosten bis zu einer Obergrenze von 6.000 Euro netto.

Aufbau eines regionalen KompetenznetzwerkesBetriebspraktikern, Fachexperten sowie Vertreterinnen und Vertretern von Hoch-schulen und Forschungseinrichtungen aus der Wirtschaftsregion Hamburg wird in regelmäßigen Workshops die Gelegen-heit zur Diskussion und zum fachlichen Austausch geboten, um ein regionales Kompetenznetzwerk zur Thematik zu etablieren. Dieser kooperative Ansatz des Projektes soll in Hamburg eine dauerhafte Plattform für ökologisch innovative Pro-dukte schaffen.

FachveranstaltungenWichtiger Bestandteil des Projektes ist das Angebot einer Reihe von Fachveran-staltungen zu verschiedenen Themen, die die unterschiedlichen Aspekte des Pro-duktlebenszyklus und der umweltfreund-lichen Produktentwicklung behandeln. Neben dem Vermitteln von Informatio-

nen stehen der Erfahrungsaustausch und das Netzwerken im Vordergrund. Z.B. zeigte eine Ausstellung im Rahmen der Fachkonferenz Refurbishing praktische Umsetzungen des Refurbishing-Ansatzes und bot die Gelegenheit, die Vorteile, aber auch die Herausforderungen eines solchen Konzeptes besser zu verstehen.

Wettbewerb Umweltfreundliche ProduktentwicklungIm Jahr 2012 wurde ein Wettbewerb aus-gelobt, bei dem besonders erfolgverspre-chende Vorhaben sowie gut gelungene Umsetzungen einer umweltfreundlichen Produktentwicklung öffentlichkeitswirk-sam prämiert wurden. Die guten Beispie-le aus diesem Wettbewerb, die in dieser

Broschüre zu finden sind, sollen Anreiz für Unternehmen sein, sich stärker mit der Umweltfreundlichkeit von Produkten auseinanderzusetzten. Denn sie zeigen, dass es Unternehmen, die ihre Produkte möglichst umweltfreundlich entwickeln und gestalten, vielfach gelingt, neue Po-tenziale zu erschließen, die Marktpositi-on zu stärken und Zugang zu neuen Kun-den zu finden.

Alle Unternehmen und einschlägigen Fachleute sind eingeladen, sich im Projekt zu engagieren und die Beratungs- und Förderangebote zu nutzen. Damit um-weltfreundliche Produkte aus Hamburg auch in Zukunft eine herausragende Rol-le im Wettbewerb spielen.

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Ausstellung Refurbishing, HAW Hamburg

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8 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

Idee

Wir schenken gern: ob zum Geburtstag, Weihnachten, Jubiläum oder schlicht mal zwischendurch. Auch zwischen Unter-nehmen sind Give-Aways als Kunden-bindungselement sowie Geschenke zu

geschäftlichen Anlässen üblich. Allerdings haben gerade Werbemittel oft nur einen geringen Gebrauchswert und genügen schon gar nicht bestimmten Umweltkri-terien. Häufi g genug landen dann die gut gemeinten Produkte allzu schnell im Müll.

Langlebige und umweltfreundliche WerbeartikelHier hat die Berendsohn AG mit einer neuen Geschenk-Linie Abhilfe geschaf-fen. York von Sobbe, verantwortlich für das Produktmarketing und Gabriela Voß, Produkt- und Umweltmanagerin des Un-ternehmens, entwickelten die Berend-sohn Blue Line Kollektion. Sie verbindet Ästhetik und Werthaltigkeit der Produkte mit ökologischen Kriterien. In Zusam-menarbeit mit dem WWF Deutschland und international erfolgreichen Architek-ten und Designern, wie Alfredo Häberli, Matteo Thun oder Phoenix Design, ent-stand eine erste Serie von 13 verschiede-nen Produkten. Das Memo-Spiel Binus, gestaltet vom Porsche Design Studio, ver-anschaulicht zum Beispiel auf einfache Weise, wie stark die jeweils abgebildete Tierart vom Aussterben bedroht ist. Für die Spielplättchen wird das biologisch ab-baubare Material Arboblend® verwendet, so dass der Ökologie nicht nur inhaltlich,

sondern auch durch die Herstellung ge-nüge getan wird. Binus wurde bereits mit mehreren renommierten Designpreisen ausgezeichnet. Auch die zwölf anderen Produkte bestehen aus wenigen, umwelt-freundlichen Materialien, die hochwer-tig verarbeitet werden. Dadurch sind sie besonders langlebig und lassen sich im Falle einer Entsorgung gut trennen. Die Berendsohn Blue Line Kollektion wird überwiegend in Deutschland hergestellt, wodurch transportbedingte Treibhaus-gasemissionen reduziert werden. Dass sämtliche Verpackungsmaterialien zu 100 Prozent aus Recyclingmaterialien bestehen, ist nur logische Konsequenz dieses Konzeptes.

Sensibilisierung für nachhaltige BeschaffungUm diese Produktlinie herstellen zu kön-nen, hat die Berendsohn AG Produktions-abläufe mit ihren Lieferanten optimiert und zum Teil zertifi zieren lassen. Eine Ausweitung des Konzepts auch auf wei-tere Produktgruppen ist geplant, um so die Kunden zunehmend für nachhaltige Werbeartikel zu sensibilisieren. Denn ins-besondere durch den Direktvertrieb mit Geschäftskunden werden Impulse in viele andere Branchen gegeben.

Berendsohn AGBerendsohn Blue Line Kollektion

Die Blue Line Kollektion umfasst 13 verschiedene Produkte

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ExpertenurteilNachhaltigkeit im Werbemittelmarkt ein-zuführen, ist eine drängende Aufgabe, da besonders hier durch Wegwerfartikel der unrefl ektierte Ressourcenverbrauch zu be-klagen ist.Dr. Irene Antoni-Komar, CENTOS, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Ästhetische und wert-haltige Werbeartikel unter ökologischen Kriterien entwickelt – die Blue Line Kollektion.

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Projekt

Die erste Fünf-Sterne-Konditorei Deutsch-lands befi ndet sich im Nordosten von Hamburg im Stadtteil Rahlstedt. Ge-meinsam mit seiner Frau Susanne betreibt Klaus Lange Das Caféhaus seit 20 Jahren und in zweiter Generation. Ausgezeich-nete Qualität und bester Service sind die Aushänges childer der Konditorei, die der Kunde bei einem Besuch sofort erlebt. We-niger offensichtlich, aber mit mindestens genauso viel Herz arbeiten die Betreiber an der ökologischen Ausrichtung des ge-samten Unternehmens.

Ins Auge fällt die eigene Kaffeeröstma-schine. Nur Kaffeebohnen aus biolo-gischem Anbau werden hier vor Ort selber geröstet und gemahlen. So kann gewährleistet werden, dass auch dieser Produktionsschritt – wie alles im Unter-nehmen – mit Ökostrom erfolgt. Sämt-liche Stromverbräuche für Produktion und Betrieb werden von Klaus Lange gründlich bis ins letzte Detail auf Ener-gieeinsparmöglichkeiten untersucht. Die komplette Beleuchtungsanlage ist auf die energiesparenden LED-Leuchtmittel um-gestellt. Ein eigenes Blockheizkraftwerk liefert Wärme und Strom. Um Lastspitzen zu vermeiden, wurde eine Energieopti-

mierungsanlage installiert. Derzeit wird eine Wärmerückgewinnungsanlage ins-talliert, um die Abwärme zu nutzen, die bei der Kühlung der Tresen entsteht. Alle Produkte, die am Produktionstag nicht verkauft wurden, gehen zu 100 Prozent an die Tafel, einer gemeinnützigen Or-ganisation, die qualitativ einwandfreie Lebensmittel, die sonst im Müll landen würden, an sozial und wirtschaftlich Be-nachteiligte verteilt. Selbst Restmüll fällt in der Konditorei so gut wie keiner an.

Kleinwindkraftanlage liefert StromDie neueste Errungenschaft auf dem Weg zur Unabhängigkeit von fossilen Roh-stoffen ist die erste genehmigte Klein-windkraftanlage im Raum Hamburg. In neun Metern Höhe und von außen gut zu erkennen liefert die Anlage bei gutem Wind zwei kWh Strom, der direkt für den Betrieb der Konditorei genutzt wird. Dass sich eine solche Anlage erst in etwa acht bis neun Jahren auszahlt, ist für den Un-ternehmer nicht entscheidend. Allein die öffentliche Wahrnehmung und die Aner-kennung sind Grund genug, mit gutem Beispiel voranzugehen. Gerne unterhält sich Klaus Lange mit seinen Kundinnen und Kunden über seine Bemühungen,

Energie so effi zient wie möglich einzu-setzen. So dient Kommunikation als ent-scheidendes Element, umweltfreundliches Handeln zu fördern. Was wäre da besser geeignet als ein Kaffeehaus.

Das CaféhausBio-Kaffeerösterei

Technische Lösungen und Kundengespräche für mehr Umweltfreundlichkeit

Geschäftsführer Klaus Lange

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ExpertenurteilDer Betrieb verfolgt eine systematische Energieoptimierung. Die Tatsache, dass im vorliegenden Fall die Umweltwirkungen auch im Bereich der vorgelagerten Herstel-lung reduziert werden, ist auf eine bewuss-te Einbeziehung der gesamten Wertschöp-fungskette zurückzuführen. Die Nähe zum Kunden ist hervorzuheben, weil damit auch das Problembewusstsein für nachhaltige Produkte über die sinnliche Erfahrung von Qualität wächst.Dr. Joachim Nibbe, Umweltökonom und zugelassener Umweltgut-achter, Sustainability Center BremenDr. Irene Antoni-Komar, CENTOS, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Das Caféhaus – Fünf-Sterne-Konditorei in Hamburg Rahlstedt

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Projekt

Das Gewicht eines Fahrzeugs beeinfl usst nicht nur sein Fahrverhalten, auch für den Kraftstoffbedarf und damit für den CO2-Ausstoß ist das Gewicht eine entscheiden-de Größe. Durch höhere Sicherheitsstan-dards und höhere Komfortanforderungen sind die Fahrzeuge in den letzten Jahren jedoch immer schwerer geworden – eine große Herausforderung für die Fahrzeug-entwicklung. Es kommt darauf an, jedes Bauteil so leicht und gleichzeitig so stabil wie möglich zu konstruieren. Das Mer-cedes-Benz Werk Hamburg hat ein inno-vatives Verfahren entwickelt, um durch einen neuen Multi-Material-Mix das Ge-wicht der Cockpit-Querträger erheblich zu verringern.

Gewichtsreduktion durch InnovationDieser Querträger dient der Befestigung des gesamten Cockpits mit der Instrumen-tentafel und der Lenksäule und stellt einen bedeutenden Beitrag für die Stabilität der Karosse und somit dem Insassenschutz dar. Anstatt das Bauteil aus Stahl herzu-stellen und aufwendig zu stanzen, umzu-formen und zu schweißen, geht man im Werk Hamburg neue Wege: Ein Alumini-um-Rohr wird in ein geschlossenes Form-werkzeug eingebracht und von innen mit

einem Druck von mehreren hundert Bar an das Werkzeug gepresst, so dass es die gewünschte Form erhält. Diese Technik des Innenhochdruckumformens (IHU) wird durch einen neuen Verfahrensschritt ergänzt, bei dem das Aluminium zur glei-chen Zeit mit Kunststoff umspritzt wird. Dieses One-Shot-Verfahren ist eine In-novation „made in Hamburg“. Stabili-tät und Verbindung erhalten die Bauteile durch eine spezielle Oberfl ächenbeschaf-fenheit der beiden Materialien, so dass der normalerweise verwendete, lösemittelhal-tige Haftvermittler (Primer) nicht mehr benötigt wird. So wird auch das Recycling des Bauteils optimiert. Durch diesen neu-artigen Multi-Material-Mix konnte das Gewicht des Bauteils bei der neuen SL-Klasse von 6,65 Kilogramm auf 4,9 Ki-logramm gesenkt werden – das entspricht einer Einsparung von 26 Prozent. In Ko-operation mit den Kolleginnen und Kolle-gen aus dem Mercedes-Benz Werk Sindel-fi ngen wurde eine systematische Analyse der Umweltauswirkungen für den in der neuen A- und B-Klasse verbauten Quer-träger durchgeführt. Dabei konnte über den gesamten Lebenszyklus eine auf das Bauteil bezogene CO

2-Reduzierung je-weils um rund 10 Prozent nachgewiesen

werden. Aber nicht nur dieses Ergebnis überzeugt: Auch Produktionsprozess und Arbeitssicherheit konnten durch dieses innovative Verfahren verbessert werden, weil der beim Schweißen sonst anfallen-de Schweißrauch entfällt. Ein geringeres Brandrisiko und wesentlich verbesserte Raumluft sind die Folge.

Das Mercedes-Benz Werk Hamburg macht es vor: Durch Investitionen in in-novative Produktentwicklung lassen sich erhebliche Potenziale für den Umwelt-schutz erschließen. Aber nicht nur das – auch das Unternehmen profi tiert von der Neuentwicklung im Leichtbau durch eine deutliche Senkung der Bauteilkosten. Diese guten Erfahrungen regen das Unter-nehmen an, nach weiteren Optimierungs-möglichkeiten zu suchen.

Daimler AG, Mercedes-Benz Werk HamburgIntelligenter Leichtbau im Kfz-Bau

eine deutliche Senkung der Bauteilkosten. Diese guten Erfahrungen regen das Unter-nehmen an, nach weiteren Optimierungs-

Innenhochdruckumformungbei gleichzeitiger Kunststoff-umspritzung. Eine Innovation aus dem Mercedes-Benz Werk Hamburg.

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ExpertenurteilDie Realisierung von kraftschlüssigen Me-tall/Kunststoffverbindungen bei derart hohen Anforderungen ist ausgesprochen komplex und bedarf erheblicher Entwick-lungsanstrengungen. Bei auskonstruierten Komponenten wie KfZ-Bauteilen ist eine Reduktion des Gewichts um 26 Prozent eine wirklich große ingenieurtechnische Leis-tung, die zu einer erheblichen Einsparung von Ressourcen führt. Durch den Verzicht auf lösemittelhaltige Komponenten und den Wegfall von Schweißstäuben kommt es zu einem weiteren Umweltentlastungseffekt und einer deutlichen Verbesserung des Ar-beitsumfeldes.Helmut Horn, Leiter Department Maschinenbau und Produktion, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg – Fakultät Technik und InformatikDipl.-Ing. Sandra Eilmus, PKT Institut für Produktentwicklung und Konstruktionstechnik, Technische Universität Hamburg-Harburg

Der neue Cockpit-Querträger im Einsatz

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Interview

Sie führen selbst Beratungen in Un-ternehmen durch. Können Sie sich an ein besonderes Erfolgserlebnis bei einer solchen Beratung erinnern?Eberle: Ein Unternehmen, das ich be-raten habe, hat gerade den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2012 gewonnen. Ich habe es insbesondere bei der Klima-

schutzstrategie begleitet und kritische Prüfungen der Klimabilanzen durch-geführt. Die Auszeichnung ist jetzt ein schöner Erfolg! Aber nicht jede Beratung führt zu so unmittelbaren Erfolgserleb-nissen. Grundsätzlich will ich in der Bera-tung Denkanstöße geben und Prozesse und Wertschöpfungsketten gemeinsam mit den Unternehmen unter Umwelt-/Nachhaltigkeitsperspektive refl ektieren.

Wie läuft denn so eine Beratung ab? Eberle: Wichtig ist zunächst das Ver-ständnis, dass die wahren Experten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens sind. Sie kennen die unternehmensinternen Prozesse und Abläufe. Als Berater kann man an diese Prozesse aus Umwelt- und Nachhaltig-keitsperspektive neue Fragen stellen und Tipps für Optimierungen geben. Wesentlich ist auch, dass es ein kla-res Commitment des Unternehmens gibt und dass die Leitungsebene die Beiträge der Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter wertschätzt. Als Berater geben wir Denkanstöße und zeigen die Fragen auf, die man stellen muss. Zum Beispiel fragen wir häufi g nach der Wertschöp-fungskette eines Unternehmens und

stellen dabei fest, dass diese im Un-ternehmen nicht komplett bekannt ist. Denn Nachhaltigkeit ist nur dann um-setzbar, wenn sie integraler Bestandteil der Geschäftspolitik ist und ins Kern-geschäft des Unternehmens einfl ießt. Welches Know-how dafür im Unterneh-men aufgebaut wird, und welche Leis-tungen eingekauft werden sollen, muss dann individuell beantwortet werden.

Eigentlich müssen die Beratungen doch sehr attraktiv für Unternehmen sein, weil Verbesserungen im Um-weltbereich doch auch häufi g mit Kosteneinsparungen verbunden sind. Müssen Sie nicht eigentlich von An-fragen überrollt werden?Eberle: Im Klima- und Energiebereich ist es meistens so, dass Kosteneinspa-rungen realisiert werden können. Aber auch da muss man investieren. Generell sind ökologische Maßnahmen nicht im-mer mit direkten Kosteneinsparungen im Unternehmen verbunden. Oft haben Investitionen auch lange Amortisations-zeiträume oder der Erfolg der Maßnah-me ist nicht direkt zu beziffern. Auch sind natürlich die Einsparpotenziale un-terschiedlich groß. Wenn Umweltschutz

„Berater werfen Fragen auf und geben Denkanstöße, die Experten sind meistens schon im Haus.“

Im Rahmen des Netzwerks berät Dr. Ulrike Eberle Unternehmen zu Fragen der umweltfreundlichen Produktentwicklung. Die selbstständige Chemikerin und Biologin bringt langjährige Erfahrung aus Beratung und Forschung zu Nachhaltigkeitsthemen mit und berichtet im folgenden Interview über ihre Erfahrungen im Beratungsalltag.

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15 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

aber ehrlich und gut umgesetzt wird, dann ist es immer ein Imagegewinn und somit eine gute Investition in die Zu-kunft. Nicht zuletzt, weil das Unterneh-men dadurch auch für die Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter attraktiver wird.Die Hemmnisse sind unterschiedlich und häufig in der Unternehmenskultur begründet. Erkennbar ist, dass gerade Familienunternehmen oft langfristiger orientiert sind und kurzfristige Kosten-einsparungen deswegen eine geringere Rolle spielen. Unternehmen, die hin-gegen eine absurde Rendite erwarten, rechnen meist mit kurzfristigeren Amor-tisationszeiträumen. Es gibt natürlich aber auch Überzeugungstäter. Und man darf nicht davon ausgehen, dass Unter-nehmen immer betriebswirtschaftlich denken. Zum Beispiel ist es in großen Unternehmen häufig so, dass die In-vestitions- und Betriebskosten in unter-schiedlichen Abteilungen verwaltet wer-den. Dann kann es sein, dass ein Gerät in der Anschaffung zwar günstig ist, aber hohe Betriebskosten hat. Das wiederum stört den Einkauf nicht, da es ja nicht von ihrem Budget gezahlt wird. Das sind Di-lemmata, auf die wir in einer Beratung hinweisen können.

Wie kommt eine Beratung zustande? Haben die Unternehmen schon kon-krete Ideen und suchen dann Hilfe oder kommen sie eher mit einer all-gemeinen Anfrage auf Sie zu?Eberle: Oft sind es Impulse von außen, durch die Unternehmen auf die Thema-tik aufmerksam werden. Der Klimawan-del zum Beispiel ist ja seit 2007 stark in der öffentlichen Debatte und in den Me-dien vertreten. Das hat viele angetrie-ben, sich damit auseinander zusetzen. Die britische Supermarktkette TESCO hat damals zum Beispiel angekündigt, alle Produkte mit einem Carbon Foot-print zu versehen. Bei vielen Zulieferern hat das dazu geführt, sich ebenfalls Gedanken über Klimaschutz zu ma-chen. Auch der Film „Eine unbequeme Wahrheit“ von Al Gore war für viele ein solcher Anstoß. Manche Unternehmen kommen aber auch mit konkreten Fra-gestellungen zu einzelnen Produkten, Prozessen oder zur Unternehmensstra-tegie auf uns zu.

Gibt es Warnsignale, die ein Unterneh-men erkennen lassen, dass eine exter-ne Beratung sinnvoll sein könnte?Eberle: Aus meiner Sicht ist es unab-

dingbar, dass Unternehmen ihren Status quo im Umweltbereich kennen. Die be-triebswirtschaftlichen Zahlen sind ja auch präsent, im Umweltbereich weiß hinge-gen kaum jemand, wie es steht. Damit müssen sich die Unternehmen beschäf-tigen. Umweltmanagementsysteme wie ISO 14001 sind da ein Anfang. Aber auf die Frage, wo denn die Baumwolle für die produzierten T-Shirts wächst, kann häufig keiner antworten. Dabei wäre es wichtig, die eigenen Wertschöpfungsket-ten zu kennen.

Gibt es auch Widerstände bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?Eberle: Ja, natürlich, aber wenn die Unternehmensleitung sich committed hat, mehr Umweltschutz umzusetzen und die notwendigen Handlungsspiel-räume gegeben werden, dann ist es auch ein attraktives Thema. Es ist wich-tig, Schritt für Schritt besser werden zu wollen, das sollte das Ziel sein. Wie groß die Schritte dann jeweils sind, ist unterschiedlich. Man darf die Unterneh-men auch nicht überfordern. Natürlich würde ich gerne oft weitergehen, aber es ist gut, manchmal zumindest einen Zugang geschaffen zu haben.

„Berater werfen Fragen auf und geben Denkanstöße, die Experten sind meistens schon im Haus.“

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16 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

InterviewInterview

Ein gutes Beispiel um Widerstände zu erkennen, ist immer die Dienstwagen-fl otte. Für die Klimabilanz macht die Flotte zwar meist nicht viel aus, das liegt im Bereich von etwa ein Prozent, aber sie hat einen hohen symbolischen Wert. Das führt häufi g zu schwierigen Diskussionen im Unternehmen, an de-nen man erkennen kann, wie weit das Unternehmen gehen will und bereit ist, sich zu bewegen. Dienstwagen drücken ja auch Hierarchien aus. Dabei kann man durchaus in einer Wagenklasse bleiben und trotzdem den mit dem geringsten CO2-Ausstoß nehmen. Wenn auch die Chefetage einen umweltfreundlicheren Dienstwagen fährt, ist das durchaus ein Signal ins Unternehmen hinein, dass Kli-maschutz ernst gemeint ist.

Wie schnell erkennt man, ob Potenzi-ale im Unternehmen vorhanden sind?Eberle: Im Effi zienzbereich gibt es ei-gentlich immer Potenziale. In vielen Be-ratungen geht es aber darum, die Wert-schöpfungsketten eines Unternehmens zu betrachten und zu analysieren. Wir raten den Unternehmen, sich zunächst dort Ziele zu setzen, wo sie direkten Ein-fl uss haben. Der Einfl uss auf die Wert-

schöpfungsketten ist meist indirekter. Zudem sind die Wertschöpfungsketten oft sehr diffus und variabel, so dass es wesentlich schwieriger und komplexer ist, Einfl uss zu nehmen. Das geht in der Regel nur über Kooperationen. Hier ist nicht zuletzt der Einkauf gefragt, der zumeist gehalten ist, nach rein ökono-mischen Kriterien zu handeln. Oft ist im Arbeitsvertrag auch ein Bonus für den geringsten Preis festgeschrieben. Um-welt- und Nachhaltigkeitskriterien fehlen hingegen meistens.

Hamburg fördert die Erstberatung. Ist dies Motivation genug, um den ersten Schritt zu gehen?Eberle: Das kann Motivation sein, das glaube ich schon. Insgesamt sollte das Beratungsangebot noch bekannter wer-den. Der Antragsaufwand ist ja zum Glück vergleichsweise gering.

Was muss geschehen, damit das The-ma noch stärker in den Fokus rückt?Eberle: Was wir brauchen, sind klare Rahmenbedingungen und klare Orien-tierungen. Unternehmen sind sehr wohl in der Lage, sich danach auszurichten, wenn der Rahmen klar und verlässlich ist.

„Es ist wichtig, Schritt für Schritt besser werden zu wollen, das sollte das Ziel sein.“

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17 | Umweltfreundliche ProduktentwicklungFo

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18 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

Projekt

Projekt GreenUNIT

Passive Trolleykühlung

Modulare Aufsätze

Hygieneoberflächen

Umweltgerechte Werkstoffe

Rendering vorläufiges Produktdesign

Gewichtsreduzierte Bauweise

Flugzeuge verbinden viele von uns mit Urlaub, Reisen und Fernweh. Die Treib-hausgasemissionen, die durch den Flug-verkehr in großer Höhe entstehen, sind allerdings erheblich und zugleich bis zu viermal schädlicher als die gleiche Menge am Boden. Damit der Traum vom Reisen nicht zum Albtraum wird, wird zunehmend Wert auf die Umwelt-freundlichkeit von Flugzeugen gelegt. Besonders entscheidend ist das Gewicht der Flugzeuge, da jedes eingesparte Ki-logramm den Kerosinverbrauch eines Flugzeugs reduziert.

Innovative Produkte durch Zusammenarbeit von Unternehmen und WissenschaftEinen Beitrag hierzu leistet das Projekt, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung der Diehl Ser-vice Modules GmbH. Das Unternehmen fertigt mit seinen rund 200 Mitarbeitern Bordküchen, Stauschränke und ähnliche Leichtbauteile für Passagier- und Fracht-fl ugzeuge. In Kooperation mit dem PKT Institut für Produktentwicklung und Konstru ktionstechnik an der Technischen Universität Hamburg-Harburg wurde nun eine umweltfreundliche Selbstbedie-nungsstation für Passagiere entwickelt,

die aufgrund ihres modularen Aufbaus sowohl als Getränkebar, Verkaufsfenster oder Bordküche zum Einsatz kommen kann. Bei der Konstruktion dieser Green-UNIT ist es gelungen, auf eine aktive Kühlung zu verzichten. Elektrische Kühl-aggregate werden somit nicht mehr be-nötigt, wodurch sich das Gesamtgewicht der Einheit und der Energieverbrauch erheblich reduzieren. Systeme und Ge-neratoren im Flugzeug können kleiner ausgelegt werden, was zu einer weiteren Senkung des Fluggewichtes und des CO

2-Ausstoßes führt.

In der Herstellung der GreenUNITS ist geplant, alternative Werkstoffe einzuset-zen. Ziel ist es, den Energieaufwand in der Fertigung zu reduzieren und gleich-zeitig den Gefahrenstoff Phenol aus der Fertigung zu verbannen. Derzeit wird in vielen Flugzeugausstattungen aus Brand-schutzgründen Phenol verwendet. Durch den Verzicht auf diesen gesundheitsschäd-lichen Stoff verbessert sich auch die Recy-clingfähigkeit der Materialien. Eine wei-tere Besonderheit ist die Verwendung von Hygieneoberfl ächen. Die häufi g stark be-anspruchten Module können dank dieser Technologie einfacher gereinigt werden.

Die Diehl Service Modules GmbH er-wartet durch das umweltfreundliche Pro-duktdesign ein Alleinstellungsmerkmal am Markt und ist sich bewusst, dass das Projekt nicht auf die Luftfahrtindustrie beschränkt bleiben muss. Auch im Schie-nenverkehr oder für Reisebusse ist eine Anwendung grundsätzlich denkbar.

Diehl Service Modules GmbHGreenUNIT

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19 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

Projekt GreenUNIT

Passive Trolleykühlung

Modulare Aufsätze

Hygieneoberflächen

Umweltgerechte Werkstoffe

Rendering vorläufiges Produktdesign

Gewichtsreduzierte Bauweise

ExpertenurteilDas Projekt hat das Potenzial für deutliche Umwelteffekte. Denn Gewichtsreduktionen im Luftverkehr führen grundsätzlich zu erheb-lichen CO2-Einsparungen. Die Transferierbar-keit in CO2-produzierenden Mobilitätsberei-chen ist aussichtsreich.Dr. Irene Antoni-Komar, CENTOS, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Gewichtsreduzierung und Verzicht auf aktive Kühlung unter Verwendung von alternativen Materialien sorgen für CO2-Einsparungen im Flugverkehr

Die GreenUNIT im Flugbetrieb

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Projekt

Über 14.000 Meisterbetriebe mit über 290.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter zählte der Zentralverband des deut-schen Bäckerhandwerks im Jahr 2011 in Deutschland. Ein ganz besonderer Vertre-ter dieser Zunft ist Thomas Effenberger, der sechs Filialen und zwei Marktfahr-zeuge der Effenberger Vollkornbäckerei in der Hansestadt Hamburg betreibt. Für ihn zählt nicht nur die Wirtschaftlichkeit seines Betriebes, sondern auch die Nach-haltigkeit seiner Produkte. Jeden Stein hat er im Unternehmen umgedreht, um seine Erzeugnisse so ökologisch wie mög-lich zu produzieren.

Konsequente Umweltoptimierungen für Produkt und BetriebDies beginnt mit dem Bezug des Getrei-des. Nur regionale Ökobauern beliefern das Unternehmen. Die Lieferanten wer-den für ihre Treue mit Preisen, die deut-lich über dem Marktpreis liegen, ent-lohnt. Für die optimale Frische wird das Getreide erst direkt vor Ort gemahlen. Die eigene Mühle ist genau wie alle ande-ren Produktions- und Einrichtungsgegen-stände in den Filialen besonders langlebig konstruiert. Durch optimale Betriebspla-nung und Weiterverwendung unverkauf-

ter Backerzeugnisse ist es dem Unterneh-men gelungen, eine Retourenquote von weniger als drei Prozent zu erreichen und faktisch keinen Müll zu produzieren. Be-trachtet man den Branchendurchschnitt, der bei einer Retourenquote von 15 bis 18 Prozent liegt, wird die beachtliche Verbes-serung deutlich. Ebenso innovativ ist die Schwadendampfkondensation: Der beim Backen anfallende Wasserdampf wird zu-rück gewonnen. Die Kondensationswär-me wird für warmes Brauchwasser und die Beheizung von sechs Wohneinheiten genutzt. Durch diese Maßnahmen er-reicht der Backofen einen Wirkungsgrad von ca. 116 Prozent. Normale öl- oder gasbetriebene Backöfen haben im Ver-gleich lediglich einen Wirkungsgrad von ca. 60 Prozent. Die Außendämmung, eine eigene Solaranlage auf dem Dach, LED-Beleuchtung und Elektrofahrzeuge für die Auslieferung runden das Gesamtkon-zept ab. Natürlich werden die Fahrzeuge wie auch die restlichen elektrischen Gerä-te im Unternehmen mit Ökostrom betrie-ben. Im Vergleich zu anderen Betrieben verbraucht die Effenberger Vollkornbä-ckerei nur ein Drittel an Energie und das trotz des Mehraufw andes, der durch das Mahlen des Getreides entsteht.

Diese vielen kleinen Mosaiksteinchen fügen sich zu einem überzeugenden Ge-samtkonzept zusammen, das nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich ist. Effenberger ist überzeugt: „Nachhal-tig ist wirtschaftlich.“ Der Erfolg gibt ihm Recht. Kunden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind begeistert von den kleinen Kunstwerken der Bäckerei. Und die Reise geht weiter, wie Thomas Effen-berger betont. Alle Mittel, die durch Res-sourceneinsparungen gewonnen werden, fl ießen in weitere, nachhaltige Investitio-nen. Denn auch in nahezu nachhaltig ope-rierenden Unternehmen fi nden sich noch Steine, unter denen sich die nächste um-weltfreundliche Einsparung fi nden lässt.

Effenberger Vollkornbäckerei

Lieferungen mit Elektrofahrzeugen, betrieben durch Ökostrom

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ExpertenurteilEs handelt sich um ein absolut überzeugen-des, ganzheitliches und nachhaltiges Kon-zept der Produktion von Lebensmitteln, das die gesamte Prozesskette integriert und das Wertschöpfungsnetz berücksichtigt. Nicht nur das nachhaltige, ökologische Produkt steht im Fokus, sondern auch sämtliche Stufen der naturgemäßen und fairen Pro-duktion vom Anbau des Getreides und der ressourcenschonenden Verarbeitung bis hin zur Fürsorge für Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter und nicht zuletzt für die Kundinnen und Kunden.Dr. Irene Antoni-Komar, CENTOS, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Nachhaltig produzierte Lebensmittel. Ressourcenschonung im Bäckerhandwerk.

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Projekt

Die Schifffahrtsindustrie ist seit je her in Hamburg ansässig. Zu den Traditionsun-ternehmen dieser Branche gehörte Gall & Seitz seit 1888, aus dem heraus sich Gall & Seitz Systems GmbH seit 2009 etabliert und erfolgreich weiterentwickelt hat. Mit Blick auf den zunehmenden glo-balen Wettbewerb wurden die Zeiten für die Branche allerdings immer schwieriger. Geschäftsführer Jörg Buschhoff ist sich sicher, dass das Unternehmen nur durch echte Innovationen gegenüber der wach-senden Konkurrenz aus dem Ausland be-stehen kann. In diesem Zusammenhang investierte Gall & Seitz Systems GmbH in eine technische Neuentwicklung.

Wirtschaftliche Instandsetzung auf höchstem NiveauIn Kooperation mit dem Bremer Institut für angewandte Strahltechnik entwickelte Gall & Seitz Systems GmbH eine Lösung für ein Problem, dass in vielen Anwen-dungsbereichen präsent ist: Verschleiß von Metallbauteilen während ihrer Nutzungs-phase. Anstatt diese instand zu setzen, wurden viele dieser Bauteile in der Ver-gangenheit ausgetauscht. Das hatte einen guten Grund, denn bislang war eine In-standsetzung wirtschaftlich und technisch

oft noch nicht möglich. Das innovative und für den industriellen Einsatz perfek-tionierte Laserpulverauftragsschweißen von Gall & Seitz Systems GmbH stellt die Lösung dar. Nachhaltig und mit mini-malem Energie- und Ressourcenaufwand

ermöglicht das Verfahren, beispielsweise defekte Dieselmotorkolben so aufzuar-beiten, dass sie im Vergleich zum Neuteil oft sogar bessere Materialeigenschaften aufweisen. Möglich wird dies, indem ein pulverförmiger Zusatzstoff mit hochener-getischer Laserstrahlung auf ein defektes Werkstück geschweißt wird, das in sei-ner Stabilität dem Original überlegen ist und somit eine längere Haltbarkeit verspricht. Mit der Einbringung von we-nigen Gramm speziell abgestimmter Me-tallkombination kann auf diese Weise die Neuproduktion eines Bauteils vermieden werden. Durch die Aufarbeitung eines Dieselmotorkolbens spart ein Unterneh-

men zudem etwa die Hälfte der Kosten gegenüber dem Neukauf. Gall & Seitz Systems GmbH ist nach dem Erfolg des neuen Verfahrens noch einen Schritt wei-ter gegangen: Mit MoRU – der Mobile Robot Unit – hat das Unternehmen die Schweißtechnik für den mobilen Einsatz erweitert, so dass es inzwischen möglich ist, die Rekonditionierung direkt vor Ort und sogar im eingebauten Zustand vorzu-nehmen. Für die Kunden reduzieren sich dadurch Stillstandzeiten und der damit verbundene Ausfall von Industrieanla-gen und Maschinen. Auch zeitintensive Schwertransporte der teilweise sehr gro-ßen Bauteile entfallen.

MoRU - in ganz Europa im EinsatzDie Einsatzfelder von MoRU scheinen unbegrenzt. Bereits nach wenigen Mona-ten war der Roboter in verschiedenen eu-ropäischen Ländern im Einsatz und dabei längst nicht mehr auf die Schifffahrtsin-dustrie beschränkt. Auch auf dem Gebiet der Lebensmittelproduktionsanlagen und der Behebung von Bearbeitungsfehlern an Großbauteilen hat sich MoRU erfolg-reich für Reparaturen etabliert.

Gall & Seitz Systems GmbHMoRU – Mobile Robot Unit

Instandsetzung statt Neuproduktion von Industrie-anlagen und Maschinen. Das mobile Laserpulver-auftragsschweißen spart Energie und Ressourcen.

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ExpertenurteilEin innovatives Vorhaben, das den Ansatz der Ressourcenschonung gezielt aufgreift und sich kostensenkend auswirkt. Die Schließung von Kreisläufen nimmt bei Pro-jektierung einen hohen Stellenwert. Durch seinen Pilotcharakter gibt es Anstoß zu weiteren Entwicklungen in dieser Richtung auch auf anderen Anwendungsgebieten.Dr. Joachim Nibbe, Umweltökonom und zugelassener Umweltgut-achter, Sustainability Center BremenK. Michael Kühne, Vorsitzender Region Nord, VDID Verband deutscher Industrie Designer

Reconditioning nennt Gall & Seitz Systems ihre ReparaturleistungReconditioning nennt Gall & Seitz Systems ihre Reparaturleistung

Die Geschäftsführer Jörg Buschhoff und Dr.-Ing. Florian Wagner

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Interview

Sie kommen aus dem technischen Umweltschutz und forschen viel in der Abfall- und Kreislaufwirtschaft. Gab es eine persönliche Motivation, sich auf diese Gebiete zu konzentrieren?Kuchta: Es ist schon ein Weltrettungs-gedanke, der einen als junger Mensch umtreibt. So kam ich zu der Erkenntnis, dass sich viel verändern muss. Aber um die Zeit zu geben, dass sich politisch und gesellschaftlich etwas verändern kann,

müssen wir Ingenieurinnen und Ingeni-eure alles so am Laufen halten, dass es auch noch möglich ist. Und dafür waren die Kreislaufführung und das Recycling natürlich ideal. Ich promovierte dann zum Thema Qualitätssicherung und Ver-wendung von Müllverbrennungsaschen - getrieben von der Idee, nicht einfach alles unbedingt zu deponieren, sondern möglichst viel sinnvoll weiterzunutzen.

Bei Ihrem Beitrag auf unserer Fach-veranstaltung zum Thema Refur-bishing an der Hochschule für An-

gewandte Wissenschaften im April 2012 meine ich herausgehört zu ha-ben, dass Sie froh sind, dass das The-ma umweltfreundliche Produktent-wicklung in Hamburg wieder auf der Agenda ist?Kuchta: Ja, extrem froh. Wie gesagt war ich in den Neunzigern in den gro-ßen Bundesforschungsvorhaben zur umweltgerechten Produktentwicklung involviert. Wir haben beim Automobil

angefangen und dann auch im kleinen Elektronikbereich sehr viel mit Firmen zusammengearbeitet. Die Projektteil-nehmer aus Wirtschaft und Wissen-schaft waren begeistert, nur die kon-krete Umsetzung der Projekte und die Schaffung passender Unternehmens-strukturen fehlte völlig. Scheinbar wa-ren andere Aspekte wohl viel wichtiger. Das Thema fi el unter den Tisch. Nun bin ich wirklich froh, dass es wieder Bewe-gung gibt. Es ist Zeit, dass wir umwelt-freundliche Produktentwicklung am Schopfe packen und erkennen, dass

es der Motor für Ressourcenschonung und Kreislaufführung ist.

Das ist auch der Gedanke, der in der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt vorherrscht. Deshalb wurde der Fokus in diesem Projekt auf die Produktentwicklung gelegt. Stim-men Sie zu, dass dort ein Großteil der Umweltauswirkungen des Pro-duktes festgelegt wird?

Kuchta: Ja, wir haben inzwischen so viele Kenntnisse aus dem Recycling und der Verknappung der Rohstoffe gewon-nen, dass wir eigentlich genug Wissen haben, um es für die Produktentwick-lung nutzbar zu machen. Und es gilt jetzt noch einmal zu pushen: Umweltfreund-lichkeit muss integraler Bestandteil bei der Neuentwicklung von Produkten sein. Das ist der Impuls, der weitergetragen werden muss. Es ist gut, dass über um-weltfreundliche Produktentwicklung ge-sprochen wird. Der Wettbewerb und die Publizität helfen dabei. Und wir haben

„Die vielen Erkenntnisse aus dem Recycling und der Verknappung der Rohstoffe müssen wir jetzt für die Produktentwicklung nutzen.“ Prof. Dr. Kuchta ist Expertin in der Abfallwirtschaft. Sie studierte technischen Umweltschutz und beschäftige sich lange Zeit mit der Infrastrukturplanung für Abfall. Schon in den Neunzigern verlagerte sich ihre Forschungsarbeit aus Überzeugung weiter nach vorne im Produktlebenszyklus und konzentrierte sich auf das Qualitäts- und Umweltmanagement. Einen Schwerpunkt legte sie auf den damaligen Sonderforschungsbereich umweltgerechte Produktentwicklung. Kreislaufschließung unter besonderer Berücksichtigung von Material- und Energieeffizienz bilden bis heute den Schwerpunkt ihrer Arbeit.

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natürlich auch den wichtigen Auftrag, die umweltfreundliche Produktentwick-lung in die universitäre Ausbildung zu implementieren.

Das heißt, die Studierenden wis-sen eigentlich, wie man ein Produkt umweltfreundlich entwickeln kann, VDI-Richtlinien geben da Auskünf-te. Rückwärts gedacht, kann also das Kreislaufwirtschaftsgesetz auch Impulse zum umweltfreundlicheren Produktdesign geben?Kuchta: Ja, aber es ist immer noch sehr am Ende der Kette orientiert. Sie müs-sen auch sehen, dass mit der Recycling-wirtschaft immer noch viel Geld verdient wird. Insofern ist auch diese Wirtschaft froh, dass Materialien ankommen, die dann recycelt werden können und nicht so im Produkt angelegt sind, dass sie direkt weiterverwertet werden können. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz hat den Daseinsvorsorgeanspruch, dass alles sauber für die Leute ist. Zeitgleich soll die Entsorgungswirtschaft mit Stoffen versorgt werden. Ich glaube, da brau-chen wir flankierende Gesetze, die noch weiter vorne in der Produktentwicklung ansetzen.

Was wären denn geeignete flankie-rende Gesetze?Kuchta: Zum Beispiel Recyclingpässe, wie sie im Rahmen der Integrierten Pro-duktpolitik entwickelt wurden, wären

klasse. So könnte dargestellt werden, dass das eine Produkt am Ende seines Lebenszyklus entsorgt werden muss und ein Anderes grün ist und zurückge-führt wird. Und das eben nicht nur bei Pfandflaschen, sondern auch bei Han-dys. Wir könnten auch dort ein Pfandsys-tem einführen. Das würde von den Stoff-strömen einiges bringen. Denn dort wo Hersteller ihre Produkte zurücknehmen, werden die Produkte besser, das wissen wir. Ein eigenes Recycling führt zu mehr Verantwortung beim Produktdesign.

Recyclingpässe gibt es leider nicht und Pfandsysteme gibt es nur für ausgewählte Produkte. Wie kann der Konsument denn im Vorfeld erken-nen, ob ein Produkt umweltfreund-lich konstruiert wurde? Gibt es pas-sende Kennzeichnungen?Kuchta: Es gibt verschiedene Label um nachhaltig gewonnene Rohstoffe zu er-kennen, zum Beispiel für Produkte wie Papier oder Holz. Das ist schon einmal sehr gut, sagt aber noch nichts über die Produktgestaltung aus. Da müsste tat-sächlich noch nachgebessert werden. Dies kann ein Verbraucher aktuell nicht erkennen. Eine Kennzeichnung für die Kreislauffähigkeit und nachhaltige Pro-duktgestaltung wäre eine schöne Sa-che. Wichtig ist beispielweise, ob ein Produkt reparierfähig oder modular auf-gebaut ist, so dass man Verschleißteile ersetzen kann. Als Negativbeispiel neh-

men wir etwa Mobiltelefone, bei denen man an den Akku nicht heran kommt.

Man vermutet, dass Kaufentschei-dungen für Vorprodukte in Unterneh-men noch seltener nach Umweltge-sichtspunkten getroffen werden. Kuchta: Tatsächlich sind die Entscheidun-gen in der Regel ökonomisch ausgerich-tet. Es gibt einige sehr verantwortungs-bewusste Unternehmen, die viel Wert auf Umweltfreundlichkeit legen und die Informationen auch weitergeben. Das muss einfach Schule machen. Hilfreich ist, wenn sich auch auf der Nachfragesei-te der Anspruch erhöht und somit Druck auf die Unternehmen ausgeübt wird, mehr Verantwortung für den gesamten Produktlebenszyklus zu übernehmen.

Das heißt dann aber auch, dass im Bereich der umweltfreundlichen Pro-duktentwicklung noch riesige Poten-ziale offen liegen.Kuchta: Ja und im Moment scheint wirklich eine Morgendämmerung an-gebrochen zu sein, so dass man sagen kann, es gibt einen Boden dafür. Die Verbraucher und auch die Hersteller sind gerade sensibel, viel mehr als in den Neunzigern. Diese Chance sollte man nicht vorbeigehen lassen. Erneut sind Unternehmen und Politik gemein-schaftlich gefordert, tätig zu werden, um umweltfreundliche Produkte besser auf dem Markt platzieren zu können.

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Idee

In Deutschland wurden Gewerbegebie-te, abgesehen von ihrer Anbindung an eine vorgegebene Infrastruktur, zumeist ohne darüber hinausgehende und un-ternehmensübergreifende Konzeptionen erschlossen. Nach Fakhria Najem vom Beratungsunternehmen Gewerbeparkour liegen die größten ökonomischen Potenzi-ale jedoch in einer konsequenten Ausrich-tung von Unternehmenskooperationen auf Nachhaltigkeitsziele. Sie ist davon überzeugt, dass eine stärkere Nutzung dieser Potenziale zu wesentlichen Wettbe-werbsvorteilen führt.

Unternehmen eines Gewerbeparks am runden TischWährend ihres Studiums ist sie auf die Arbeit des renommierten Ökonomen Prof. Dr. Michael von Hauff aufmerksam geworden, der national vor allem auf dem Gebiet der nachhaltigen Entwick-lung von Gewerbe- und Industriegebieten bekannt ist. Beeindruckt von der Idee, für Gewerbeparks unter Nutzung der Syner-gien ein nachhaltiges Wirtschaftskonzept zu erstellen und dem damit verbundenen Potenzial, entschloss sich Najem, sich voll auf die Vermarktung dieses Ansatzes zu konzentrieren. Neben Prof. Dr. von

Hauff wird sie dabei mittlerweile von Se-bastian Vehmann und Reiner Uhlenbrok unterstützt. Vehmann ist Experte auf dem Gebiet Kooperationen und Netz-werke, Uhlenbro k bringt seine langjäh-rige Erfahrung aus dem Personalbereich und der Unternehmensführung in das Unternehmen ein. Gemeinsam mit der verantwortlichen Wirtschaftsförderung holt Fakhria Najem mit ihrem Team die

Unternehmen eines Gewerbeparks an ei-nen runden Tisch und erläutert die Idee, die Wirtschaftlichkeit und Attraktivität der Einzelunternehmen durch Synergien erheblich zu steigern. Ein gemeinsames Energiemanagement unter Nutzung re-generativer Energien, verbesserte gemein-same Logistikkonzepte, Kinderbetreuung sowie Mitarbeiterqualifi zierung sind nur einige Maßnahmen, die KMU´s alleine

kaum umsetzen können. Erst durch den Zusammenschluss und die Vernetzung von Unternehmen können diese ökono-mischen, ökologischen und sozialen Po-tenziale optimal genutzt werden.

Einsparungen durch KooperationLediglich durch eine präzise Analyse und Kommunikation ist es beispielsweise in einem Gewerbepark in Bottrop gelungen, die Routenführung einer Buslinie des öf-fentlichen Nahverkehrs so zu optimieren, dass sie für die Berufspendler wesentlich attraktiver geworden ist und jetzt pro Jahr 25 Millionen gefahrene Pkw-Kilo-meter vermieden werden. Die Wieder-erschließung einer nicht mehr genutzten Bahnstrecke, die Realisierung von Ein-kaufsgemeinschaften oder die Installati-on einer Windenergieanlage sind andere Beispiele dafür, dass erst durch den Zu-sammenschluss der Unternehmen Ein-sparungen von Ressourcen, Energie und damit von Kosten ermöglicht werden.

Wenn es nach Fakhria Najem geht, sind Gewerbegebiete, die nur eine Ansamm-lung einzelner Unternehmen sind, bald Geschichte. Gemeinsam mehr erreichen, gilt von nun an auch für Gewerbeparks.

Gewerbeparkour

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ExpertenurteilWenn durch den integrierten Ansatz und durch die ganzheitliche Beratung ganze Gewerbegebiete synergetische Umstellun-gen vornehmen, können sehr große ökolo-gische Entlastungen realisiert werden. Die projektspezifi sche Berücksichtigung von sozialen Aspekten – Kooperation zwecks Kinderbetreuung, Optimierung der Arbeits-platzerreichbarkeit – ist hervorzuheben.Dieter Fuhrmann, ZEWU Zentrum für Energie, Wasser- und Umwelttechnik, Handwerkskammer HamburgDr. Joachim Nibbe, Umweltökonom und zugelassener Umweltgut-achter, Sustainability Center Bremen

Nutzung von Synergien in Gewerbeparks für mehr Nachhaltigkeit

Geschäftsführerin Fakhria Najem und Sebastian Vehmann vom Gewerbeparkour

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Idee

28 Umweltfreundliche Produktentwicklung28 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

Mehr als acht Millionen Menschen in Deutschland nutzen die Angebote der Fitnesszentren – Tendenz steigend. Sie verbrennen an den unterschiedlichsten Geräten Energie, um sich fi t und gesund zu halten. Gleichzeitig engagieren sich immer mehr Menschen für den Klima-schutz und suchen nach Möglichkeiten, selbst etwas zu tun. Wie wäre es also, wenn die verbrauchte Energie im Fitness-studio nicht wie selbstverständlich nur als Schweiß abfl ießt oder in den Mus-kelaufbau investiert wird, sondern recy-celt und als Strom in das Netz gespeist wird? Wie müssen Crosstrainer und Indoor-Fahrräder ausgerüstet sein, damit Muskelkraft in Strom umgewandelt wer-den kann? Und was haben Fitnessstudios und die Trainierenden davon?

Die Antwort auf diese Frage hat ein innovatives Büro in Hamburg gefun-den. MHID | Agentur für ganzheitliches Produktdesign versteht sich als Ideen-pool mit dem Anspruch, gutes Design mit den Prinzipien der Nachhaltigkeit zu verbinden. Aus diesem Gedanken ist ein Gesamtkonzept entstanden, bei dem über den Einsatz von Energiewand-lern in Fitnessgeräten ein großer Teil der mechanischen Trainingsenergie in elektrische Energie überführt und der gewonnene Strom ins Netz eingespeist wird. Auch wenn die Menge des erzeug-ten Stroms im Vergleich zum Gesamt-stromverbrauch nicht hoch ist, kann sie bei steigenden Energiepreisen doch dazu beitragen, die Kosten der Betreiber zu reduzieren oder der Ertrag kann an die

Mitglieder weitergegeben werden. Die-ser neue Ansatz hat auch Potenziale zur Mitgliederbindung.

Eingespeiste kWh als TrainingserfolgDie individuelle Stromeinspeisung kann auf den Mitgliedskarten protokolliert werden. Trainingserfolge können in ihrer Gesamtheit nicht nur kurzfristig betrach-tet werden, sondern zur eigenen Über-prüfung auf den gängigen technischen Geräten verfolgt werden. So kann der Trainierende erkennen, welchen Beitrag er durch seine sportliche Aktivität zur nachhaltigen Stromerzeugung geleistet hat und zusätzlich seine Trainingserfolge messen. Gleichzeitig besteht die Möglich-keit, den Mitgliedern ihren Beitrag zur Stromerzeugung auf ihren Mitgliedsbei-trag anzurechnen. Auch der gemeinnüt-zige Einsatz ist denkbar, indem die Mit-glieder ihren Beitrag spenden oder das gesamte Fitnessstudio an einem Aktions-tag für den guten Zweck trainiert. Aus diesen Elementen ergibt sich ein ganzheit-liches Konzept, das im Sinne einer Verbin-dung von Klimaschutz, Energiekostenein-sparung und Umweltsensibilisierung sehr gut geeignet ist, Nachhaltigkeit für jeden erlebbar zu machen.

MHID | Agentur für ganzheitliches ProduktdesignGreenPlay sports (e-kinect)

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ExpertenurteilDie Kundenansprache und werbewirksame Aufbereitung des Themas könnten gute Mit-macheffekte bei den Kunden auslösen. Die Schaffung eines Bewusstseins für eine brei-te Zielgruppe im Bereich erneuerbare Ener-gien wird ersichtlich. Eine Ausweitung der Nutzung auch in den privaten Bereich hinein sowie ins Ausland ist durchaus denkbar. Dieter Fuhrmann, ZEWU Zentrum für Energie, Wasser- und Umwelttechnik, Handwerkskammer Hamburg Dipl.-Wirt.-Ing. Alois Kritl, Innovations Kontakt Stelle

Stromerzeugung im Fitnessstudio sensibilisiert für den Klimaschutz

Geschäftsführerin Manuela Haskamp

Ideengeber Josef Bocklage

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Idee

Spielplätze sind Orte, an denen Kinder Er-fahrungen sammeln, die bis ins Erwach-senenalter wirken. Sie gehören damit zu den wichtigen Orten des spielerischen Lernens. Wie auch Fragen der Umwelt-bildung auf Spielplätzen auf kreative Art und Weise vermittelt werden können, zeigt die Projektidee der MHID | Agentur für ganzheitliches Produktdesign.

Energie für junge Menschen erfahrbar machenDie Grundidee ist so einfach wie be-stechend: Die von den Kindern an den Spielplatzgeräten eingesetzte Bewegungs-energie wird in elektrische Energie umge-wandelt und durch unterschiedliche Nut-zungen vor Ort für die jungen Menschen erfahrbar gemacht. So können die Kinder unmittelbar erleben, wie beispielsweise ein sich drehendes Karussell eine Wasser-pumpe oder eine Leuchte mit Strom ver-sorgt. Wenn sie das Karussell zuvor mit

eigener Muskelkraft angeschoben haben, erleben sie am eigenen Leib, wie kostbar Strom eigentlich ist. Im Vordergrund steht dabei nicht die Menge der erzeugten Ener-gie. Josef Bocklage und seinem Team geht es vielmehr darum, für Energieverbräu-che, erneuerbare Energie und alternative Energiekonzepte auf spielerische Weise zu sensibilisieren. Spielplätze sind auch Orte der Begegnung. Kinder und ihre Eltern verbringen hier gemeinsam Zeit und tref-fen auf Gleichgesinnte. Dies bietet neue Kommunikations- und Lernmöglichkei-ten für beide Generationen. Vertiefende Hintergrundinformationen können digi-tal oder auf Informationstafeln bereitge-stellt werden und das Umweltwissen und –bewusstsein zusätzlich fördern.

Bestandteil der Idee ist zudem, bereits existierende Spielplätze mit diesem Kon-zept aufzuwerten. Dies spart Ressourcen und trägt zum Werterhalt kommunalen Eigentums bei. Auch die Einbindung sozi-aler Freiwilligendienste wie das Freiwilli-ge Ökologische Jahr ergänzt das Konzept um eine zusätzliche soziale Komponente. Perspektivisch können die Spielplätze durch den Einsatz von Kleingeneratoren zur Aufnahme von Bewegungsenergie der Spielgeräte, Photovoltaik-Anlagen oder vertikaler Kleinwindanlagen erweitert und somit die Erfahrbarkeit regenerativ erzeugter Energie erheblich gesteigert werden.

Dieser generationenübergreifende Ansatz weckt Neugier und vermittelt als themen-basierter Lehrpfad Aufklärung zu einem der wichtigsten Themen unserer Gesell-schaft – dem Klimaschutz.

MHID | Agentur für ganzheitliches ProduktdesignGreenPlay

Spielerisches Fördern von Umweltwissen und -bewusstsein

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ExpertenurteilDas Projekt ist vor allem im Bereich der Umweltbildung positiv zu bewerten. Kin-der werden spielerisch an die Thematik der Energiewende herangeführt und auch die sie begleitenden Erwachsenen kommen hier in neue Erfahrungsräume. Vor allem das ReUse-Konzept ist im Sinne suffizienter Nachhaltigkeitsstrategien hervorzuheben.Dr. Irene Antoni-Komar, CENTOS, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

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InterviewInterview

Warum haben Sie sich in diesem Pro-jekt speziell auf die Phase der Pro-duktentwicklung konzentriert?Knaack: IPP will eine Denkweise ver-mitteln, bei der der Lebenszyklus von Produkten unter ökologischen Gesichts-punkten betrachtet wird. Da gibt es un-terschiedliche Ansatzpunkte, aber beson-ders entscheidend ist die Entwurfs- und

Designphase, weil hier bereits der über-wiegende Teil der Umweltbelastungen festgelegt wird. Deswegen wollen wir an dieser Stelle den Hebel ansetzen, um die Hamburger Wirtschaft zu sensi-bilisieren, ihre Produkte zu überarbeiten und unter umweltfreundlichen Gesichts-punkten zu entwickeln. Wir sehen hier das größte Potenzial. IPP basiert auf drei wesentlichen Grundsätzen: Denken in Kreisläufen und Herstellerverantwortung in allen Lebensphasen des Produktes, Zusammenarbeit mit dem Markt und Einbeziehung aller Beteiligten. Gerade die Einbeziehung aller Akteure entlang

des Lebenszyklus spiegelt sich in der neuen europäischen Roadmap „nach-haltiger Konsum und nachhaltige Pro-duktion“ wider, in die die Integrierte Pro-duktpolitik eingefl ossen ist. Produzenten und Konsumenten stehen sich nicht als Pole gegenüber, sondern können von-einander lernen und sich beeinfl ussen. Für die Praxis ist wichtig, dass Umwelt-

freundlichkeit nicht als absoluter Zustand verstanden wird. Vielmehr müssen Ver-besserungen laufend durchgeführt wer-den und Prozesse hinterfragt werden. Umweltfreundlichkeit ist also eher als Innovationsrichtung zu verstehen. Schulungen für Berater, Beratungs-förderung, zahlreiche Fachveranstal-tungen, eine Netzwerkgründung und der Wettbewerb sind ja ein ganzer Strauß an Anreizen für Hamburger Unternehmen. Zahlen sich die Bemü-hungen aus?Knaack: Uneingeschränkt ja. Ich be-treue das Thema seit 2005. Wir starte-

ten im Gesundheitswesen und haben Krankenhäuser und Hersteller von bild-gebenden Diagnostikgeräten an einen Tisch geholt, um Transparenz in Pro-duktdaten zu bringen, die ökologische Relevanz für die Einkaufsentscheidung und Nutzungsphase hatten. Ich kann mich noch gut an die Akquisearbeit und Vermarktung erinnern, da steckte viel

Arbeit drin. Aber es fruchtet. Gerade letztens rief mich ein Krankenhaus an und erkundigte sich nach den neuesten Entwicklungen im Politikfeld der nach-haltigen Produktentwicklung. Ich versuche aktuelle Diskussionen aufzunehmen und Raum zum Erfah-rungsaustausch und Wissenstransfer zu schaffen. Mir ist aber bewusst, dass die Maßnahmen, die wir anschieben, auf Freiwilligkeit beruhen. Zudem kann ich die Maßnahmenpakete, die ich am Schreibtisch schnüre, nicht vorher testen. Im Jahr 2007 haben wir das erste Mal einen Wettbewerb gestartet, der als Pro-

„Verbesserungen müssen laufend durchgeführt, Produkte und Prozesse hinterfragt werden.“ Antje Knaack ist Fachreferentin für Integrierte Produktpolitik (IPP) bei der Behörde für Stadtent-wicklung und Umwelt und betreut das Projekt zur Umweltfreundlichen Produktentwicklung. Sie ist Ansprechpartnerin für alle Unternehmen, die sich mit der Umweltfreundlichkeit ihrer Produkte befassen wollen, und stellt sich im Folgenden einigen Fragen zu Erfolg und Perspektive des Projektes.

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totyp gelten kann. Daraus hat sich dann dieses dreijährige Projekt mit seinen verschiedensten Aktivitäten entwickelt. Aber wir können nicht sicher sein, wie die Angebote angenommen werden. Eine Lebenszyklusbetrachtung hat so viele Ansatzpunkte und eine sehr hohe Komplexität. Ich spreche branchenüber-greifend an und damit Unternehmens-strukturen und Produkte, wie sie vielfäl-tiger nicht sein könnten. Damit sich alle angesprochen fühlen, bedarf es daher auch vielfältiger Angebote. Man muss experimentierfreudig bleiben. Manches Thema braucht seine Zeit um zu reifen.

Aber hat der Wettbewerb nicht gera-de gezeigt, dass die breite Ansprache der Unternehmen auch gut funktio-nieren kann?Knaack: Ich bin hochgradig begeistert – sowohl von der Vielfalt der Bewer-bungen als auch der Branchen, die sich beworben haben. Es ist großartig zu sehen, dass umweltfreundliche Pro-duktentwicklung eben keine abgehobe-ne Theorie ist, sondern tatsächlich auch eine Umsetzung in der Unternehmens-welt erfährt und in der Gesellschaft an-gekommen ist. In einer Welt von knap-per werdenden Ressourcen werden mittelfristig nur Unternehmen am Markt fortbestehen, die frühzeitig ökologische Merkmale von Produkten in die Unter-nehmensstrategie einbeziehen. Ich den-ke, wir müssen anders und neu denken

lernen. Schon Einstein hat erkannt, das Probleme niemals mit derselben Denk-weise gelöst werden können, durch die sie entstanden sind. Die Wettbewerbs-beiträge zeigen, dass die Unternehmen nach vorne blicken, Neues probieren und nicht in angestammten Geschäftsfel-dern verweilen. Auch mit Dienstleistun-gen im Bereich der umweltfreundlichen Produktentwicklung lässt sich gutes Geld verdienen. Dies ist auch ein Schritt in Richtung Produktnutzungssystem. Es darf nicht mehr länger nur darum ge-hen, so viele Produkte wie möglich zu verkaufen. Vielmehr muss es darum ge-hen, den Produktnutzen optimiert über alle Lebenszyklen in den Vordergrund zu stellen.

Der Wettbewerb war für umgesetzte Projekte und Ideen offen. Welche Ka-tegorie war härter umkämpft?Knaack: Tatsächlich wurden Bewerbun-gen für umgesetzte Projekte und Ideen in gleichem Maße eingereicht. Die Be-werbungen lagen sehr eng beieinander und das auf einem sehr hohen Niveau. Das zeigt, dass es bereits viele Unter-nehmen gibt, die mit ganz viel Engage-ment dabei sind. Es wird Zeit, dass der Markt dafür bereit ist.

Wenn Unternehmen in die umwelt-freundliche Produktentwicklung ein-steigen wollen – was ist der erste Schritt?

Knaack: Interessierte Unternehmen können mich gerne persönlich anspre-chen. Außerdem haben wir einen Inter-netauftritt, auf dem viele Informationen rund um das Thema umweltfreundliche Produktentwicklung zu finden sind. Zu-dem können Unternehmen unser Be-ratungsangebot in Anspruch nehmen, um ökologische Verbesserungspoten-ziale bei ihren Produkten aufzudecken. Sie können sich aus einem Beraterpool einen Berater suchen. Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt über-nimmt zwei Drittel der Beratungskos-ten bis zu einer Obergrenze von 6.000 Euro netto.

Wie geht es nach dem Wettbewerb weiter?Knaack: Das Projekt Umweltfreundliche Produktentwicklung ist auf drei Jahre angelegt und läuft bis Ende 2013, da-nach wird es eine Fortführung geben. Die Fortsetzung des Förderprogramms zu Entwicklungs- und Forschungsprojek-ten des Produktdesigns ist für weitere zwei Jahre geplant. Auch unser wis-senschaftliches Netzwerk wird fortge-führt. Wir werden also weiter im Aus-tausch bleiben und Informationen und Workshop-Reihen zum Thema anbieten. Produktentwicklung, Materialeffizienz, Ressourcenschonung und Kreislaufwirt-schaft haben einen festen Platz in der UmweltPartnerschaft Hamburg.

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Idee

Dipl.-Ing. (FH) Dennis Pape

Dipl.-Ing. (FH) Dennis Pape

Prof. Dr.-Ing. Frank Mantwill

Folie 1

Frühzeitige energetische Produktbeeinflussung durch

Nutzung von Kausalverkettungen im Automobilbau

In heutigen Ingenieurstudiengängen lernen Studierende die vielfältigen An-sätze umweltrelevanter Entscheidungs-fi ndung kennen. Eine Vielzahl von ent-sprechenden Richtlinien ist Gegenstand der Lehrpläne. Vom Produktdesign bis zur Wiederverwendung wird der ganze Produktlebenszyklus analysiert, um ein Produkt mit den bestmöglichen Umwelt-eigenschaften zu entwickeln. In der Re-alität sieht es dann oft ganz anders aus. Im Arbeitsalltag ist die Zeit meist knapp und so konzentrieren sich die Ingenieure auf für ihre Arbeitswelt vorrangige Ziel-konfl ikte wie Kosten-Nutzen oder Stabi-lität-Gewicht. Die Umweltrelevanz wird häufi g ausgeblendet oder zumindest nicht intensiv betrachtet. Dennis Pape von der Helmut-Schmidt-Universität kennt und versteht diesen Arbeitsalltag und hat des-halb eine Software entwickelt, mit der die Umweltauswirkungen des Produktes in den Fokus gerückt werden – und das für die Herstellungs-, Nutzungs- und Rück-führungsphase.

Frühe positive EinflussnahmeEr ist davon überzeugt, dass eine nach-trägliche Ökobilanz weniger positive Auswirkungen hat als ein System, das

dem Konstrukteur bereits im Design-prozess umweltoptimale Handlungs-optionen anbietet. Nach diese m First-Time-Right Prinzip bietet das von ihm entwickelte Tool daher Werkstoff- und Bearbeitungsoptionen an, die beispiels-weise direkt zeigen, welche energeti-schen Auswirkungen die Verwendung von Aluminium statt Stahl oder das Verkleben anstatt dem Punktschweißen

hat. Dabei reicht die Betrachtung von der Verhüttung der Rohstoffe bis zum Recycling. Die Datengrundlage ist für die optimale Auswertung der Informati-onen entscheidend. An diesem Punkt ist jedoch noch Forschungsarbeit zu leisten. Dies betrifft nicht nur die Energie- und Umweltbilanz der einzelnen Materialien, auch muss eine vollständige Transparenz im Produktionsprozess erreicht werden. Liegen alle relevanten Daten vor, kön-nen zum Beispiel in der Fahrzeugent-wicklung ganze Energielandkarten von

Bauteilgruppen in einfachen Schritten erstellt werden. Energieintensive Bautei-le werden sichtbar und können ersetzt oder optimiert werden.

Verbraucher über Energie- und Umwelteffekte informierenAber nicht nur der Konstrukteur soll-te in der Lage sein, seine Wahl anhand umweltrelevanter Faktoren zu treffen. Mathias Tralau von der Helmut-Schmidt-Universität möchte die gewonnenen Er-kenntnisse der Forschungsarbeit nutzen, um auch dem Verbraucher Hinweise zu liefern, welche Energie- und Umwelteffek-te das Produkt in seiner Herstellungs- und Rückführungsphase hat. Informationen zum Energieverbrauch in der Nutzungs-phase von Produkten könnten zusätzlich durch Mechanismen sozialer Netzwerke verbessert werden. So könnten sich Haus-besitzer beispielsweise miteinander in Bezug auf ihre Energieeinsparungen ver-gleichen. Über einen gesunden Wettstreit würden Daten für zukünftige Hausbesit-zer generiert und wichtiges Wissen und Erfahrungen ausgetauscht. Eine solche Transparenz würde neue Entscheidungs-hilfen für alle die anbieten, die Produkte ganzheitlich betrachten möchten.

Helmut-Schmidt-UniversitätFrühzeitige energetische Produktbeeinflussung

Eine Software zeigt optimale Handlungs-optionen zur energieeffizienten Produktentwicklung

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35 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

ExpertenurteilDie größten Beeinfl ussungseffekte sind in den ersten Entwicklungsphasen zu erwar-ten. Durch das Tool wird Transparenz über die Wirkung gewisser Entwicklungsent-scheidungen für die Produktion erreicht. Prof. Dr.-Ing. Henning Albers, Fakultät 2 – Abteilung Umwelt-ingenieurwesen, Internationaler Studiengang für Umwelttechnik, Hochschule BremenDipl.-Ing. Sandra Eilmus, PKT Institut für Produktentwicklung und Konstruktionstechnik, Technische Universität Hamburg-Harburg

Dipl.-Ing. (FH) Dennis Pape

Energietransparenz

Bild nach Quelle: Dr. Uwe Holzkamp/ Karosseriebauplanung PKP-K/A 24

• Energielandkarte der Entwicklung Fotomontage

Dipl.-Ing. (FH) Dennis Pape und Dipl.-Wi.-Ing. Mathias Tralau von der Helmut-Schmidt-Universität

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36 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

Idee

Milch enthält viele wertvolle Inhaltsstof-fe: Milchfett, Milchzucker, Mineralstoffe, Spurenelemente und Vitamine machen sie zu einem gesunden Lebensmittel. In Deutschland werden durchschnittlich 100 Liter pro Jahr und Bundesbürger verbraucht. Der größte Teil dieser acht Milliarden Liter erreicht die Verbraucher in einem ein Liter fassenden Verbund-karton – kurz Tetrapack. Auch wenn die Verpackung theoretisch zu 100 Prozent recycelbar ist, wird davon nur circa ein Drittel tatsächlich einer Wiederverwer-tung zugeführt.

Diese Verschwendung von Ressourcen sowie der Wunsch nach einer stärkeren Regionalisierung und direkten Vermark-tung hat die Mutter Gesellschaft für Design und Vermarktung mbH gemein-sam mit dem BFGF Design Studios GbR

animiert, sich über eine innovative und ressourcenschonende Verpackung sowie über neue Vertriebswege für Frischmilch aus der Region Gedanken zu machen. Herausgekommen ist der Milk-Tumbler, eine einzigartige Milchverpackung mit neuem Vertriebskonzept.

Kurze Wege für frische MilchDer Milk-Tumbler wird aus nur einem Grundstoff hergestellt. Der verwendete Bio-Rohkunststoff PLA (Polylactide) be-steht aus Milchsäuremolekülen und lässt sich fast beliebig oft recyceln. Ganz nach dem cradle-to-cradle-Prinzip nach Braun-gart und McDonough entsteht so ein ge-schlossener Wertstoffkreislauf. Sowohl das Material als auch die Flaschenform eröffnen für die Vermarktung von Milch ganz neue Möglichkeiten. Der Milk-Tumbler wurde speziell für naturbelassene

Milch konzipiert, bei der sich das Fett vom Wasser absetzt. Durch die spezielle Form des Milk-Tumblers bleibt die Milch in Be-wegung, so dass diese so genannte Aufrah-mung verhindert wird. Der Tumbler soll in einem eigens dafür entwickelten Vertriebs-weg nur regional eingesetzt werden. Hier-zu gehört auch die Entwicklung eines Au-tomatensystems, in dem rund um die Uhr frische Milch eingekauft und leere Gefäße zurückgegeben werden können. Auf lange Lagerzeiten und Transportwege wird so zugunsten von Lokalität und Frische ver-zichtet. Ein Lieferservice kann die Milch den Kundinnen und Kunden per Lasten-fahrrad bis vor die Haustür bringen. Diese Schaffung von Arbeitsplatzangeboten für geringqualifi zierte Menschen vervollstän-digt den durchdachten Ansatz.

Der regionale Einsatz und die lückenlose Kreislaufführung verschaffen dem Milk-Tumbler einen ökologischen und wirt-schaftlichen Vorteil gegenüber der klassi-schen Verpackung. Langfristig sollen die Versorgungspunkte in den Stadtteilen als Teil einer neuen regionalen Kultur wahr-genommen und so der Konsum von re-gional erzeugten Lebensmitteln gefördert werden.

Mutter Gesellschaft für Design und Vermarktung mbHMilk-Tumbler

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37 | Umweltfreundliche Produktentwicklung37 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

ExpertenurteilDie Transferierbarkeit ist überdurchschnitt-lich hoch, da dem Entwicklungskonzept eine produktunabhängige Philosophie zugrunde liegt und damit auch für andere Dienstleis-tungen und Güter übertragbar ist. Darüber hinaus wurde von Anfang an partnerschaft-lich mit mehreren Designbüros zusammen-gearbeitet und weitere Kooperationspoten-ziale aufgezeigt, die rasche Realisierung wahrscheinlich machen.Dr. Joachim Nibbe, Umweltökonom und zugelassener Umweltgut-achter, Sustainability Center BremenDipl.-Theol. Matthias Schock, CSM Centre for Sustainability Management, Leuphana Universität Lüneburg

Der Milk-Tumbler – ein neues Verpackungssystem für naturbelassene Milch im regionalen Kreislauf

Geschäftsführer Carsten Buck

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38 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

Idee

Laut Schätzungen der Vereinten Nationen wird im Jahr 2050 ein Drittel der Welt-bevölkerung in sogenannten informellen Behausungen leben. Bevölkerungswachs-tum, Krisen und der Klimawandel sind Gründe dafür. So sind Zeltstädte trotz fehlender Wasseranschlüsse, Sanitäranla-gen und Privatsphäre oft viel länger als geplant ein Zuhause für Flüchtlinge, Ob-dachlose und Slumbewohner.

Variabel, modular, langlebig und umweltfreundlichUm die Lebenssituation der betroffenen Menschen zu verbessern und sie dabei zu unterstützen, sich aus der Notsituation zu befreien, hat sich die morethanshelters GmbH gegründet. In Zusammenarbeit mit der Hochschule für bildende Küns-

te in Hamburg, dem Fraunhofer Institut für Bauphysik sowie der EPEA Interna-tionale Umweltforschung GmbH ist ein mobiles Notunterkunftssystem entstan-den, das den Kriterien der Nachhaltigkeit genügt und dabei modular aufgebaut ist, um dem jeweiligen Einsatzort und -zweck entsprechend angepasst werden zu können. Besonders wichtig ist Ge-schäftsführer Daniel Kerber dabei, dass die Unterkünfte aus umweltfreundlichen Materialien bestehen und sehr langlebig sind. Herkömmliche Zeltunterkünfte be-stehen teilweise aus toxischen Materia-len und müssen nach wenigen Monaten ausgetauscht werden. Auch die techni-schen Komponenten sind so konzipiert, dass sie möglichst lange einsatzfähig

bleiben und in technische Kreisläufe in-tegriert werden können. Das ökologische Konzept umfasst alle Produktions- und Vertriebsschritte bis hin zu den Trans-portverpackungen, die entweder Teil der Konstruktion sind oder als Gebrauchsge-genstände dienen können, so dass auch

hier kein Abfall produziert wird. Durch den modularen Aufbau der Unterkünfte ist es darüber hinaus möglich, kulturelle Besonderheiten wie Bräuche und religiö-se Handlungen sowie das Bedürfnis nach Privatsphäre zu berücksichtigen. Die Notunterkünfte von morethanshelters tragen daher nicht nur zur Umweltent-lastung bei, sondern verbessern auch di-rekt die Lebenssituation der Betroffenen. Perspektivisch werden Module zur Was-seraufbereitung, eigenständigen Energie-gewinnung sowie verschiedene Ausstat-tungsvarianten wie Lager, Werkstätten oder Versammlungsräume entwickelt.

Insgesamt ist ein ökologisch und sozial verantwortungsbewusstes Gesamtkon-zept entstanden, mit dem Menschen in Not ein würdevolles Zuhause gegeben werden kann. Und nicht nur das: Durch die Einbeziehung lokal vorhandener Materialien und Ressourcen in den mo-dularen Aufbau der Unterkünfte werden Betroffene in die Gestaltung ihres Umfel-des einbezogen. Hierdurch können lokale Wertschöpfungsketten entstehen, die den Menschen neue fi nanzielle Perspektiven bieten und ihnen dabei helfen, die Notsi-tuation zu überwinden.

morethanshelters GmbHMobile Notunterkunft DOMO

Mobile Notunterkünfte aus nachhaltigen Materialien für hilfsbedürftige Menschen

Geschäftsführer Daniel Kerber

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39 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

ExpertenurteilDas Projekt ist ein interdisziplinärer Ansatz, der gleich mehrere Wirkungen bedenkt und kombiniert. Die Individualisierbarkeit durch das modulare Design ist innovativ. Konkrete Umwelteffekte im Vergleich zu existieren-den Produkten sollten sich realisieren las-sen. Die beworbene Lösung scheint zudem überaus wettbewerbsfähig zu sein.Dipl.-Wirt.-Ing. Alois Kritl, Innovations Kontakt StelleDipl.-Theol. Matthias Schock, CSM Centre for Sustainability Management, Leuphana Universität Lüneburg

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40 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

InterviewInterview

Sie haben den Blog „Murks? Nein danke!“ im Februar 2012 gegründet. Wie kam es dazu?Schridde: Zum einen waren die eigenen Erlebnisse für mich die Initialzündung. Man kennt das ja: Reißverschlüsse, die zu schnell kaputt gehen, Schuhsohlen,

die schnell abgelaufen sind. Dann habe ich den Dokumentarfi lm „Kaufen für die Müllhalde“ gesehen, der sich mit geplan-ter Obsoleszenz befasst und eindrucks-volle Beispiele dafür zeigt. Die Bilder von Kindern in Afrika, die über unseren Müll laufen und die giftigen Dämpfe einatmen, haben mich als Vater von zwei Kindern schließlich dazu bewogen, verstärkt zur Aufklärung über dieses Thema beitragen zu wollen. Der Blog „Murks? Nein dan-ke“ war eigentlich nur als Zwischenlö-sung gedacht, aber mittlerweile hat er ja schon sehr viel Impulskraft gezeigt.

Tatsächlich hat Ihr Blog schon nach kurzer Zeit über 5 Millionen Leserin-nen und Leser weltweit, mehr als 100

aktive Unterstützer bundesweit. Sie scheinen mit dem Thema einen Nerv der Zeit getroffen zu haben. Schridde: Der Zustand der Krankheit scheint so stark zu sein, dass er von allen wahrgenommen wird. Alle ken-nen das Problem, dass Produkte viel zu

schnell oder direkt nach dem Ablauf der Garantie kaputt gehen, und fragen sich: Warum ist das so? Da habe ich wohl ei-nen neuralgischen Punkt getroffen.

Steckt denn bei den Unternehmen tatsächlich System dahinter?Schridde: Unternehmen laufen heute nur noch dem Applaus der Shareholder hinterher. Aber reine Rendite-Kriterien reichen nicht aus, um als Unternehmen erfolgreich zu sein. Wenn Firmen nur auf die Rendite und die Zufriedenheit der Shareholder schauen, produzieren sie am Markt vorbei. Der Markt lässt sich das aber nicht gefallen und dann passiert eben so etwas wie „Murks? Nein danke!“. Außerdem werden so

Möglichkeiten für andere Unternehmen eröffnet, in den Markt einzutreten und dann schwindet die Widerstandsfähig-keit eines Unternehmens. Für mich ist klar: Geplante Obsoleszenz schadet allen, auch den Unternehmen. Unser Ziel muss eine funktionierende Kreis-

laufwirtschaft sein, in der es keine End-verbraucher mehr gibt. Solange die Wirt-schaft das nicht verstanden hat, wird sie weiter am Markt vorbei produzieren. Es muss darum gehen, die Kunden zu Part-nern zu machen und sie einzubeziehen.

Wie kann das funktionieren?Schridde: Das Prinzip der Kundenorientie-rung muss wiederentdeckt werden. Das Ziel muss die Langlebigkeit von Kunden-beziehungen sein, nicht nur die Langlebig-keit von Produkten. Dadurch erhöht sich die Resilienz von Unternehmen in einem globalen Wettbewerb. Dabei müssen die Anforderungen der werdenden Kreislauf-gesellschaft ins Zentrum des unterneh-merischen Zielsystems gestellt werden.

„Alle kennen das Problem, dass Produkte viel zu schnell oder direkt nach dem Ablauf der Garantie kaputt gehen.“Stefan Schridde betreibt den Internet-Blog „Murks? Nein danke!“, der sich dem Thema der geplanten Obsoleszenz verschrieben hat und sich für eine nachhaltige Produktverantwortung von Herstellern einsetzt. Unter geplanter Obsoleszenz versteht er eine Strategie von Herstellern, Geräte bewusst so zu konstruieren, dass sie nach einer gewissen Zeit, beispielsweise kurz nach Ablauf der Garantie, kaputt gehen. Menschen können auf der Plattform solche Produkte melden und so geplante Obsoleszenz sichtbar machen. Ein Gespräch mit dem selbständigen Dipl. Betriebswirt (FH) Stefan Schridde über Ziele, Motivation und die Macht der Verbraucher.

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41 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

Welche Rolle spielt denn der Händler in dieser Debatte? Hat er nicht auch eine Beratungsfunktion gegenüber den Kunden?Schridde: Die Komplexität von Produk-ten ist zu groß geworden. Allein beim Kauf eines Telefons gibt es schon so viele Funktionen und Details zu berück-sichtigen, dass viele Menschen es sich leicht machen wollen und sagen: Ich kaufe das Telefon, weil ich der Marke vertraue. Die Leute erwarten zu Recht vom Handel qualifizierte und nachhalti-ge Sortimentskompetenz. Beratung als solche findet gar nicht mehr statt. Der Handel setzt auf die kurzlebigen Schnell-dreher. Wir müssen Unternehmen in die Pflicht nehmen, Produkte herzustellen, die sich aufs Wesentliche konzentrieren und das in einer Qualität, die den von der kaufenden Gesellschaft zu setzen-den Mindeststandards genügt.

Ihr Blog schafft ja Bewusstsein für das Problem der geplanten Obsoleszenz. Wird dadurch ausreichend Druck auf die Hersteller ausgeübt oder müssen noch andere Wege gegangen werden?Schridde: Auf jeden Fall brauchen wir auch andere Wege. Aktuell veröffentli-che ich ein für die Fraktion der Grünen/Bündnis‘90 im Bundestag erstelltes Gutachten, das ca. 50 Beispiele für ge-plante Obsolezenz sowie mehr als 70 Handlungsempfehlungen enthält, wie wir die geplante Obsoleszenz beenden

können. Dann planen wir das „Murkse-um“ in Berlin. Da sollen Produkte mit geplanter Obsoleszenz vorgestellt wer-den. Wir wollen auch Produktentwick-ler dorthin einladen, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Außerdem ver-fassen wir derzeit ein Gutachten über Testergebnisse der Stiftung Warentest. Wir prüfen Produkttestergebnisse, die mit „sehr gut“ getestet wurden, und zeigen an diesen, wo geplante Obsole-zenz übersehen wurde. Damit wollen wir zeigen, dass auch Stiftung Waren-test seine Bewertungskriterien überprü-fen und erweitern muss. Alternativen in der Herstellung werden heute nämlich gar nicht überprüft. Dabei könnte man in der Herstellung von Konsumgüterelek-tronikprodukten mit einer zusätzlichen Investition von einem Euro Materialkos-ten pro Stück oft schon eine um zehn Jahre verlängerte Haltbarkeit erreichen.

Wenden sich mittlerweile auch Her-steller an Sie, weil für sie das Verbrau-cherfeedback interessant sein könnte?Schridde: Bisher waren es eher Tritt-brettfahrer, die „Murks? Nein danke!“ als Plattform für neu entwickelte Positiv-Label nutzen wollten. Aber ich wurde auch schon von Unternehmen eingela-den und habe dort mit Produktentwick-lern zusammengesessen. Es bewegt sich also etwas, erste Schritte sind ge-macht. Es muss jedoch noch deutlich mehr geschehen, damit wir eine brei-

te öffentliche Debatte erhalten. Was ebenso noch nicht stattfindet, ist die Beschäftigung mit der Frage, wie wir wegkommen von der Betrachtung des Produktzyklus und hinkommen zu Stoff-kreisläufen, in denen Kunden keine End-verbraucher, sondern Partner sind.

Was sind Ihre nächsten Schritte?Schridde: Wir sind gerade dabei, einen bürgerschaftlich orientierten Verbrau-cherschutzverein zu gründen. Dieser soll Initiativen und Kampagnen rund ums Thema geplante Obsoleszenz pla-nen, durchführen und auch Seminare und Workshops anbieten. Eintreten kann jeder, dem das Thema am Herzen liegt. Für das „Murkseum“ sind wir ge-rade auf der Suche nach Sponsoren und einem Standort in Berlin. Geplant ist, das „Murkseum“ noch dieses Jahr zu eröffnen. Insgesamt möchten wir die Bewegung auf eine breitere Basis stel-len. Ich werde mittlerweile sehr viel für Vorträge aus dem deutschsprachigen Raum angefragt und es kommen immer mehr Menschen, die mitmachen und sich engagieren wollen. Dazu dient der Verein, den wir gerade gründen. Es soll eine Anlaufstelle für Interessierte sein und auch dabei helfen, Spendengelder zu bekommen. Social Business ist hier die große Klammer. Ich bin ein großer Freund davon, gesellschaftliche Lösun-gen so zu organisieren, dass sie Geld einbringen und Arbeitsplätze schaffen.

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42 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

Projekt

Cloud Computing ist der größte IT-Trend der vergangenen Jahre, ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. Zu verlockend ist das Angebot für Unternehmen und Privatper-sonen, den eigenen Daten ein neues Zu-hause zu geben, das von jedem Computer und mobilen Endgerät überall erreichbar ist. Aber mit dieser grenzenlosen Freiheit steigen auch die Sorgen der Nutzer, ihre Daten könnten in falsche Hände fallen und von den Cloud-Dienstanbietern für eigene Zwecke genutzt werden. Was noch nicht so sehr im öffentlichen Fokus steht, aber mindestens ebenso problematisch ist, ist der enorme Energiebedarf der be-nötigten Serverfarmen. Diese bestehen zum Teil aus tausenden von Servern, die rund um die Uhr in Betrieb sind und aufgrund der hohen Wärmeentwicklung ständig gekühlt werden müssen. Die größten von ihnen verbrauchen so viel

Strom wie 250.000 europäische Haushal-te. Im Vergleich mit dem Stromverbrauch aller Länder dieser Welt liegen die Clouds bereits auf Platz fünf – Tendenz steigend.

Die eigene Cloud für UnternehmenAn diesem Punkt setzt das junge Ham-burger Startup-Unternehmen Protonet mit ihrer Protonet-Box an. Sie haben eine Hard- und Software geschaffen, die die Vorteile und den Komfort einer Cloud mit Energieeffi zienz und Datenhoheit ver-bindet. Die Protonet-Box wird in Ham-burg gefertigt und montiert. Kommt sie beim Kunden in der weiter- und wieder-verwendbaren Verpackung an, wird sie in wenigen Schritten konfi guriert. „Der einfachste Server der Welt“ nennen die Macher ihr Produkt stolz. Mit der Proto-net-Box liegen alle Daten wieder physisch vor Ort und nur die Besitzer entscheiden, wer auf welche Daten zugreifen kann. Dabei ist die Protonet-Box 360 Mal energieeffi zienter als durchschnittliche Server in Serverfarmen: Sie kommt ohne Kühlung aus, hat sehr niedrige Standby-Verbrauchswerte und setzt zudem die innovative Software „Prompter“ ein, mit der weitere Energie eingespart wird. Sie lernt das Verhalten ihrer Nutzer kennen

und prognostiziert, wann der Server mit voller Leistung bereit stehen muss und wann es an der Zeit ist, das System he-runterzufahren. Nach Berechnungen von Protonet ist ein herkömmlicher Server in kleinen und mittelständischen Unterneh-men nur 40 bis 45 von 168 möglichen Wochenstunden im Einsatz – viel Energie, die eingespart werden kann.

Die Protonet-Box ist kein geschlossenes System wie andere Netzwerkspeicher-systeme, ihre Erweiterung ist durchaus gewünscht. Es gehört zur Unternehmen-sphilosophie, dass die Produkte so lan-ge wie möglich genutzt werden können. Deshalb sind Speicher, Prozessoren und Festplatten nicht verlötet und können ge-tauscht werden. Regelmäßige Software-Updates über alle Protonet-Box-Genera-tionen sind selbstverständlich.

Die einfache Installation und Bedienung, die hohe Energieeffi zienz und die volle Datenkontrolle sind in der Kombination gute Gründe, die Protonet-Box einmal auszuprobieren. Das dachten sich auch die 220 Investoren, die die Protonet-Box im Jahr 2012 zum erfolgreichsten euro-päischen Crowdfunding-Projekt machten.

Protonet UGProtonet-Box

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43 | Umweltfreundliche Produktentwicklung Umweltfreundliche Produktentwicklung Umweltfreundliche Produktentwicklung

ExpertenurteilDurch Dezentralisierung (Inhouse-Server) werden neue, verantwortungsvolle Struk-turen geschaffen, Energie- und Materialver-bräuche reduziert. Kleinräumigkeit, Autarkie und Selbstbestimmung sind zukunftsfähige Konzepte zur erfolgreichen Etablierung von verantwortungsvoller Energienutzung.Dr. Irene Antoni-Komar, CENTOS, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

„Der einfachste Server der Welt“ – so nennen die Macher die Protonet-Box

Chief Revolutionary Offi cer Ali Jelveh

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44 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

Projekt

Von den durchschnittlich 454 Kilo-gramm Müll, die jeder Bürger in Deutsch-land im Jahr 2011 produzierte, gingen alleine 147 Kilogramm auf das Konto von getrennt gesammelten Wertstoffen, wovon der Großteil Verpackungen ist. Gerade beim Kauf großer Elektrogeräte wie Kühlschränke und Waschmaschinen – so genannter Weißer Ware – , fallen

große Mengen an Styropor, Pappen und Stretchfolien an, die gleich mehrere Müll-säcke füllen. Und solche Geräte werden oftmals nicht nur einmal verpackt und wieder ausgepackt, sondern unter Um-ständen auch mehrfach. Etwa wenn ein defektes Gerät vom Kunden abgeholt, re-pariert und dann für den Rücktransport zum Kunden gesichert wird. Auch wenn ein Ausstellungsstück beim Fachhändler verkauft wird, wird es neu verpackt. Für eine Waschmaschine fallen dabei jedes Mal etwa drei Quadratmeter Luftpolster-folie und Klebefi lm-Fixierungen an.

Mit der Zunahme des Internethandels und dem damit verbundenem Rückgaberecht des Verbrauchers kommt es zu einem An-stieg von Retouren. Auch diese zurückge-gebenen Geräte müssen geschützt werden.

Müllvermeidung in der LogistikBei den großen Mengen an zu transpor-tierenden Geräten ist das ein Zustand, der zu ändern ist, fi ndet Burkhard Gust von SafeRetoure Verpackung. Als Unter-nehmer in der Verpackungsbranche kam ihm die Idee, eine Mehrwegverpackung zu entwickeln, die dieses Müllproblem löst. Ein sehr robustes, mindestens hun-

dertmal wiederverwendbares und faltba-res Verpackungssystem ist das Ergebnis seiner Entwicklung, die er Safe2Go nennt. Neben der erheblichen Müllvermeidung hat die neuartige Verpackung noch an-dere Vorteile zu bieten. Sie wird einfach über das Gerät gestülpt, so dass das Ver-packen deutlich schneller geht als beim Umwickeln mit Folie. Aufgrund der gro-ßen Reiß- und Stoßfestigkeit der Mehr-wegverpackung sind Transportschäden fast ausgeschlossen. Eine Rechnung, die sich für den Nutzer lohnt. Wegfall des Verpackungsmülls und damit einherge-hende Materialkosten für Luftpolsterfo-lie und Klebefi lm-Fixierung, Reduzierung der Transportschäden und die Zeiterspar-nis beim Verpacken sind plausible Grün-de, die neuartige Safe2Go-Verpackung für Weiße Ware einzusetzen. Mittlerweile machen die großen Elektromärkte wie Expert, Saturn und Mediamarkt, das Logistikunternehmen Hermes oder auch Hersteller wie Miele ihre ersten Erfah-rungen mit Safe2Go. Aber auch Service-Werkstätten, Cateringbetriebe oder Mes-sebauer sind Branchen, die Burkhard Gust im Blick hat, wenn es um die Ver-breitung seiner Idee geht. Die Argumente sind auf seiner Seite.

SafeRetoure Verpackung GmbHSafe2Go

Spart Material und Arbeits-zeit, ist faltbar und wieder-verwendbar – die Safe2Go Mehrwegverpackung für den sicheren Transport von Elektrogeräten.

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45 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

ExpertenurteilAufgrund der normierten Produktmaße ist die entwickelte verlässliche Mehrwegtrans-portverpackung relativ markenunabhängig einsetzbar. Safe2Go führt zu einer erhebli-chen Einsparung an Verpackungsmaterial und Arbeitszeit.Sebastian Stiegler, Manager Environment Promotion Department – Parts & Technical Services Division, Sharp Electronics (Europe) GmbH

Burkhard Gust (re.) Geschäftsführer von SafeRetoure und Berater Christoph Ernst, Serious Communications

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46 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

Projekt

In Europa werden jedes Jahr rund 250 Milliarden Zigarettenschachteln herge-stellt. Einen kleinen Anteil davon ver-treibt die Hamburger Geschäftsstelle der Santa Fe Natural Tobacco Company mit ihrem Produkt „Natural American Spi-rit“. Das Produkt zeichnet sich durch sei-ne besondere ökologische Orientierung aus, wird es doch seit bereits 20 Jahren aus nachhaltig angebautem Tabak pro-duziert. In Kooperation mit der Verpa-ckungsberatung C. E. Schweig ist nun ein weiterer Schritt zu mehr Umweltfreund-lichkeit gelungen. Der aus Aluminium gefertigte innere Schutzumschlag – In-nerliner genannt – war dabei das Ziel der Verbesserung.

Mit Überzeugungskraft zur innovativen UmsetzungWer kennt es nicht, das „Silberpapier“, das beim ersten Öffnen einer Zigaret-tenschachtel den Blick auf das Innere versperrt. Kaum einer denkt beim Entfer-nen dieses kleinen Papierchens allerdings an die negativen Umweltauswirkungen, die es mit sich bringt. Der Abbau, die Aufbereitung und die Verarbeitung von Aluminium sind mit einem erheblichen Energieverbrauch und einem entspre-chend hohem CO2-Ausstoß verbunden.

Hierbei entstehen nicht nur giftige Ne-benprodukte, durch den Tagebau und die oft zur Stromerzeugung benötigten Stauseen kommt es zudem zu erheblichen Landschaftszerstörungen. Dabei hat das Aluminium keinerlei Einfl uss auf Halt-barkeit oder Frische der Zigaretten, es wird lediglich verwendet, weil es sich gut verarbeiten lässt. Die Santa Fe Natural Tobacco Company geht deswegen einen anderen Weg: In Kooperation mit einem Schweizer Papierhersteller ist es dem Ver-packungsberatungsunternehmen gelun-gen, für die Santa Fe einen Innerliner aus gewöhnlichem Papier zu entwickeln. Die Kunst war dabei, alle notwendigen Cha-rakteristika des Aluminium-Innerliners auf das neue Papier zu übertagen. Denn nur wenn Faltverhalten, Glätte und Rei-bung dem Vorgänger exakt entsprechen, kann die maximale Laufgeschwindig-keit im Abpackprozess von bis zu 770 Packungen pro Minute erreicht werden. Und da Santa Fe den Fertigungsprozess nicht selbst erledigt, sondern in Auftrag gibt, ist das Erreichen dieser Geschwin-digkeit unabdingbar. Mit großer Über-zeugungskraft und Bewusstseinsbildung für den positiven Umwelteffekt ist es schließlich gelungen, für die Idee zu wer-

ben und das Fertigungsunternehmen zu überreden, den neuen Weg des Papier-Innerliners mitzugehen.

Leider kommen die preislichen Vorteile – die Papierlösung ist 10 bis 15 Prozent kostengünstiger – noch nicht zum Tragen, da für die neuen Innerliner eigene Artikel-nummern und Palettenstellplätze einge-richtet werden müssen. So entsteht beim Fertigungsunternehmen ein Mehrauf-wand, der den Preisvorteil durch die ge-ringeren Materialkosten derzeit aufhebt.

Ändern würde sich dies, wenn auch an-dere Hersteller diesen innovativen Weg gehen würden, betont Bernd Michahelles, Geschäftsführer der Santa Fe Natural To-bacco Company Germany GmbH. Wenn alle Zigarettenschachteln im europäischen Raum auf den neuen Papier-Innerliner umgestellt werden, könnten 1,6 Milliar-den Kilogramm CO

2 und etwa fünf Mil-liarden Kilowattstunden Strom eingespart werden. Die Potenziale sind riesig. Zudem muss die Entwicklung nicht bei Zigaret-tenschachteln aufhören: Es gibt eine Viel-zahl von Produkten, bei denen Alumini-um verwendet wird, obwohl ein Papier ebenso gut funktionieren würde.

Santa Fe Natural Tobacco Company: Germany GmbHUmweltfreundliches Innenleben für Zigarettenschachteln

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47 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

ExpertenurteilBei der gezielten „Fahndung“ nach Umwelt-entlastungen wurde bewusst die gesamte Wertschöpfungskette in Betracht bezogen. Die Substitution von Aluminium durch Pa-pier hat in allen Abschnitten des Lebenszy-klus einen erheblichen Umweltentlastungs-effekt. Mit steigenden Preisen in diesen Segmenten sollte auch ein ökonomischer Nutzen zu realisieren sein.Prof. Dr.-Ing. Helmut Horn, Leiter Department Maschinenbau und Produktion, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg – Fakultät Technik und InformatikDr. Joachim Nibbe, Umweltökonom und zugelassener Umweltgut-achter, Sustainability Center Bremen

Kleines Papier mit großer Wirkung – Ein neuer Papier-Innerliner ersetzt hoch-energetisches Aluminium

Geschäftsführer Bernd Michahelles

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48 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

InterviewInterview

Was war der Anlass, sich mit der In-standsetzung der Hubwagen ausein-ander zu setzen? Willig: Von aktuell vorhandenen 90 Ar-beitshubwagen sind 70 bereits seit 1990 im Einsatz. Nach über 20 Jahren sind jetzt viele an dem Punkt angekommen, dass sie ausgetauscht werden müssen. Vor allem die Steuerungstechnik fällt im-mer häufi ger aus und wir erhalten kaum noch Ersatzteile. Deswegen haben wir uns mit allen Beteiligten zusammen-gesetzt. In diesen Gesprächen hat sich ergeben, dass für die Jahre 2014/2015 der Ersatz von jährlich 35 Hubwagen eingeplant ist. Ein weiterer Aspekt hat sich im Rahmen der Beschaffung von 15 Arbeitshubwagen eines anderen Herstellers ergeben. Hier stellte sich schnell heraus, dass die Mitarbeiter mit

den neuen nicht zufrieden sind. Sie ent-sprechen nicht den eingespielten Anfor-derungen und Arbeitsabläufe mussten aufgrund geänderter Bedienung für den Nutzer verändert werden. So kamen wir auf die Idee, warum nicht die alten wie-der instand setzen?

Wie schnell konnten Sie Ihren Auf-traggeber davon überzeugen? Gab es Vorbehalte gegenüber dieser Idee?Willig: Als wir deutlich machen konn-ten, dass die Instandsetzung um eini-ges günstiger sein wird als die Neube-schaffung, wurde unsere Empfehlung gerne aufgenommen. Wir rechnen da-mit, dass durch die Instandsetzung ca. die Hälfte der Kosten einer Neubeschaf-fung eingespart werden können. Nun haben wir bis Ende des Jahres Zeit,

einen funktionierenden Prototypen zu bauen und damit den Beweis hierfür anzutreten. Wenn dann auch die Ver-fügbarkeit der Bauteile stimmt und für den geplanten Nutzungszeitraum gesi-chert ist, werden wir alle 70 Hubwagen im Laufe der kommenden zwei Jahre instand setzen. Die Verfügbarkeit, die der eines Neufahrzeuges entsprechen muss, ist wesentliches Anforderungs-kriterium unseres Kunden. Wenn so viel Geld in die Hand genommen wird, muss es auch eine zukunftsorientierte Investition sein.

Spielte bei der Entscheidung auch die Ressourceneinsparung eine Rolle?Willig: Natürlich. Für die Deutsche Bahn spielt der Umwelt- und Klimaschutz ja eine große Rolle. Durch die Instandset-

„Wir bringen internes und externes Know-how zusammen, um ein Refurbishing Projekt auf die Schienen zu setzen.“Im Hamburger Werk der Deutschen Bahn AG im Stadtteil Eidelstedt werden ICEs und Elektro-loks gewartet. Die DB Services GmbH kümmert sich um die Instandhaltung der Gebäude und des Maschinenparks im Auftrage der DB Fernverkehr. Jens Willig ist Fachingenieur bei der DB Services GmbH im Eidelstedter Werk. Als Leiter eines neuen Projektes ist er federführend für die Konzeptentwicklung einer kompletten Grundinstandsetzung von Arbeitshubwagen verantwortlich. Ein Gespräch über Chancen und Hemmnisse eines in der Entwicklungsphase befindlichen Beispiels für Ressourcenschutz im Unternehmen.

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49 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

zung können wir eine erhebliche Menge an Ressourcen einsparen. Unsere Idee ist also auch deswegen sehr willkom-men.

Welche Probleme sind mit der In-standsetzung verbunden? Willig: Was wir vorhaben, ist ein Kom-plett-Retro-Fit, das heißt, wir wollen den gesamten Hubwagen zerlegen und alle Verschleißteile austauschen. Vor allem die Steuerungstechnik ist dabei der kri-tische Punkt. Die Platinen des Lenkrech-ners sind für die damalige Zeit schon extrem kompakt gebaut: High Tech für die damalige Zeit. Das ist eine techni-sche Herausforderung für das Reverse Engineering. Damit befassen wir uns deswegen im ersten Schritt. Wenn wir dann ein funktionierendes Programm für den Wagen haben, kommt der Rest, wie die Aufarbeitung des Stahlrahmens, die Erneuerung der Hydraulikschläuche und -dichtungen und abschließend ein neuer Farbanstrich.

Das heißt, Sie müssen auch das Know-how im Werk weiterentwickeln?Willig: Auf jeden Fall. Steuerungspro-gramme haben wir bisher nicht entwi-ckelt. Aber da wir teilweise Probleme mit der Steuerung der neuen Wagen hat-ten, mussten wir uns schon zwangswei-se damit befassen. So haben wir mitt-lerweile das entsprechende Netzwerk

aufgebaut, das heißt, die Wissensträger haben wir zusammen. Jetzt müssen wir das Wissen nur noch miteinander ver-knüpfen und die Kosten kalkulieren.

Welche Vorteile ergeben sich denn daraus?Willig: Wir sind direkt in die Entwick-lung der Steuerung involviert, so dass unsere Mitarbeiter mit diesem Wissen zukünftig deutlich einfacher Entstörun-gen etc. durchführen werden können. Des Weiteren werden wir eine emp-fi ndlichere Sensorik für einen besseren Auffahrschutz einführen.

Wenn die Entscheidung Ende des Jahres positiv ausfällt, sehen Sie dann Perspektiven, die Instandset-zung auch in anderen Werken durch-zuführen?Willig: Wenn alles so funktioniert, wie wir uns das vorstellen, wollen wir uns beim DB internen Award für innovative Ideen bewerben. Darüber würden auch andere DB-Werke von unserer Arbeit erfahren. Allein hierdurch können sich vielfältige Ansatzpunkte ergeben. Auch außerhalb der DB gibt es viele Möglich-keiten – da bin ich mir sicher.

Impressum

HerausgeberFreie und Hansestadt HamburgBehörde für Stadtentwicklung und UmweltStadthausbrücke 820355 HamburgAb Juli 2013:

Neuenfelder Straße 1921109 Hamburgwww.hamburg.de/bsuV.i.s.d.P.: Frau Dr. Elisabeth KlockeRedaktionecolo - Agentur für Ökologie und Kommunikation, Lars GalwoschusGestaltung/VisualisierungCONXEPT Print+Screen-Productions,Jan Herrmannsen

Aufl age: 750 StückApril 2013

Gedruckt auf 100% recyceltem Papier,chlorfrei gebleicht

Anmerkung zur VerteilungDiese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg herausgegeben. Sie darf weder von den Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Europa-, Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel.Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in welcher Anzahl diese Schrift dem Empfänger zugegangen ist, darf sie auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Landesregierung zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es jedoch gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden.

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50 | Umweltfreundliche Produktentwicklung

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Behörde für Stadtentwicklung und UmweltAntje KnaackStadthausbrücke 820355 HamburgAb Juli 2013:Neuenfelder Straße 1921109 HamburgTel.: 040 428 [email protected]/ipp

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