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Scholte - Die Urfassung yon Goethes Wahlverwandschaften 2o! dab ich glaubte, die beiden Arme k6nnten ihn erdrosseln. Ich konnte nicht hinsehen; alles war in peinlicher Verlegenheit. Doch ermannte sie sich bald, verbiB ihre Tr/inen, kam gleichwohl eine Viertelstunde lang zu mir und n/iherte sich dann erst nach mehreren Versuchen Goethe, der indessen tief in die Politik mit Ziegesar wieder verwickelt war. Ich empfahl mich bald, um meine Sachen zu packen, und als ich nach zwei Stunden wieder hinkam, fand ich sie alle um einen Tisch sitzen. Silvie neben Goethe, aber in gleichgilltigen Gespr/ichen, doch noch rot und glfihend wie die sch6nste Rose. Sie tut mir recht leid: Goethe war noch immer Geheimrat; meine Anrede wurde hfflich kurz erwidert, und ich war froh, als wir im Wagen sal3en, weil ich mich peinlich geniert filhlte" (Biedermann II, S. 34/35). Ohne Zweifel verr/it diese Szene Leidenschaft, aber nur auf der Seite Silviens, keineswegs auf der Goethes. Hauptsache filr das von Wolff gestellte Problem scheint mir, dab Silviens Vater dabei ist, v611ig un- beteiligt bleibt und sich sofort darauf mit Goethe fiber Politik unterh/ilt. Solche harmlosen Begleiterscheinungen schlieBen meines Erachtens ein geheimes Verh/iltnis aus. Obrigens kommt es ffir die Literatur- wissenschaft immer mehr auf dahinter liegende Gefilhle als auf eventuell damit verbundene Realit/iten an. Amsterdam. j. H~ SCHOLTE. SCHNITZLERS PARACELSUS ALS ,,HOMO LUDENS". Im Jahre 1899 verfffentlichte Arthur Schnitzler unter dem Titel Der griine Kakadu, Paracelsus, Die Gefiihrtin, Drei Einakter drei kurze, stark komprimierte Dramen, die alle ein ffir diesen Autor besonders charakteristisches Thema, ,,das Erwachen aus der Illusion sicheren Besitzes" (Soergel) behandeln. Das schon I897 entstandene Versspiel Paracelsus mag davon leicht das interessanteste sein. Erstens schon wegen des Titelhelden, dessen problematische Gestalt als Arzt und Mystiker, Magier und Alchimist durch die 121bergangsperiode vom Mittelalter zur Neuzeit geistert. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die grandiose Unbekilmmertheit, mit welcher der Dichter hier mit den historisch fiberlieferten Tatsachen umspringt. Dem Personenverzeichnis zufolge spielt das Stilck ,,zu Basel, zu Beginn des I6. Jahrhunderts" und zwar ein Jahr nach dem Tode des bekannten Benediktinerabtes und magischen Mystikers Johannes Trithemius (2), d.h. also im Jahre i5i 7. Dreizehn Jahre frilher, also 15o4, soll Paracelsus - ebenfalls in Basel - sein Schiller gewesen sein (2). Schon letzteres ist historisch nicht gut m6glich: I5o4 war der damals elfj~hrige Paracelsus wohl mit seinem Vater Wilhelm Bombast von Hohenheim zu ViUach in K/irnten, wo er yon den Benedik- tinern von St. Paul im Lavanttale erzogen wurde. Und - Trithemius war I485-i5o6 Abt des Klosters zu Sponheim bei Kreuznach. Aller-

Schnitzlers Paracelsus als „Homo ludens”

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Scholte - Die Urfassung yon Goethes Wahlverwandschaften 2o!

dab ich glaubte, die beiden Arme k6nnten ihn erdrosseln. Ich konnte nicht hinsehen; alles war in peinlicher Verlegenheit. Doch ermannte sie sich bald, verbiB ihre Tr/inen, kam gleichwohl eine Viertelstunde lang zu mir und n/iherte sich dann erst nach mehreren Versuchen Goethe, der indessen tief in die Politik mit Ziegesar wieder verwickelt war. Ich empfahl mich bald, um meine Sachen zu packen, und als ich nach zwei Stunden wieder hinkam, fand ich sie alle um einen Tisch sitzen. Silvie neben Goethe, aber in gleichgilltigen Gespr/ichen, doch noch rot und glfihend wie die sch6nste Rose. Sie tut mir recht leid: Goethe war noch immer Geheimrat; meine Anrede wurde hfflich kurz erwidert, und ich war froh, als wir im Wagen sal3en, weil ich mich peinlich geniert filhlte" (Biedermann II, S. 34/35).

Ohne Zweifel verr/it diese Szene Leidenschaft, aber nur auf der Seite Silviens, keineswegs auf der Goethes. Hauptsache filr das von Wolff gestellte Problem scheint mir, dab Silviens Vater dabei ist, v611ig un- beteiligt bleibt und sich sofort darauf mit Goethe fiber Politik unterh/ilt. Solche harmlosen Begleiterscheinungen schlieBen meines Erachtens ein geheimes Verh/iltnis aus. Obrigens kommt es ffir die Literatur- wissenschaft immer mehr auf dahinter liegende Gefilhle als auf eventuell damit verbundene Realit/iten an.

Amsterdam. j. H~ SCHOLTE.

S C H N I T Z L E R S P A R A C E L S U S A L S , , H O M O L U D E N S " .

Im Jahre 1899 verfffentlichte A r t h u r S c h n i t z l e r unter dem Titel Der griine Kakadu, Paracelsus, Die Gefiihrtin, Drei Einakter drei kurze, stark komprimierte Dramen, die alle ein ffir diesen Autor besonders charakteristisches Thema, ,,das Erwachen aus der Illusion sicheren Besitzes" (Soergel) behandeln. Das schon I897 entstandene Versspiel Paracelsus mag davon leicht das interessanteste sein. Erstens schon wegen des Titelhelden, dessen problematische Gestalt als Arzt und Mystiker, Magier und Alchimist durch die 121bergangsperiode vom Mittelalter zur Neuzeit geistert. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die grandiose Unbekilmmertheit, mit welcher der Dichter hier mit den historisch fiberlieferten Tatsachen umspringt. Dem Personenverzeichnis zufolge spielt das Stilck ,,zu Basel, zu Beginn des I6. Jahrhunderts" und zwar ein Jahr nach dem Tode des bekannten Benediktinerabtes und magischen Mystikers J o h a n n e s T r i t h e m i u s (2), d.h. also im Jahre i5i 7. Dreizehn Jahre frilher, also 15o4, soll Paracelsus - ebenfalls in Basel - sein Schiller gewesen sein (2). Schon letzteres ist historisch nicht gut m6glich: I5o4 war der damals elfj~hrige Paracelsus wohl mit seinem Vater Wilhelm Bombast von Hohenheim zu ViUach in K/irnten, wo er yon den Benedik- tinern von St. Paul im Lavanttale erzogen wurde. Und - Trithemius war I485-i5o6 Abt des Klosters zu Sponheim bei Kreuznach. Aller-

202 Van S tockum - Schn i t z l e r s Paracelsus als ,,homo ludens"

dings gibt es eine ~berlieferung, Paracelsus sei in Wilrzburg, wo Trithemius i5o6-i5 i6 Abt des Klosters St. Jakob war, dessen Schiller gewesen, aber diese Mitteilung geh6rt wohl ins Reich der Fabel: Paracelsus AbMngigkeit vonder Gedankenwelt des Trithemius beruht wohl nur auf seiner Kenntnis von dessen Werken. Aber auch yon einem Aufenthalt des Paracelsus in Basel im Jah~e I517, wobei er zum zweiten Stadtarzt ernannt wurde und diese Ernennung ablehnte (i I), ist historisch nichts bekannt; fiberhaupt wissert wir von seinen Studien- und Wanderjahren (2) bis 1524 kaum et,was Einzelnes mit Sicherheit. Er wfire damals vierundzwanzig JahrJe ah gewesen - der Paracelsus unseres Dramas macht einen bedeutend/ilteren und reiferen Eindruck, obwohl von ihm gesagt wird, er sehe ,,ffir seine Jahre . . . . verwittert aus" (5). Auch hier fehlt freilich eine gewisse historische Analogie nicht: im Jahre I527 wurde er in der Tat, von Froben und Erasmus empfohlen, Stadtarzt und Professor in Basel, muBte jedoch schon 1528 nach mancherlei Konflikten die Stadt verlassen und nach Kolmar entweichen.

Aber es ist das gute Recht des Dichters, vonder historischen Wahr- heit abzuweichen und Schnitzler h/itte sich daffir auf keinen Geringeren als A r i s t o t e l e s (Poetik, I45Ib 5 ff.) berufen k6nnen: ,,Es ist nicht die Aufgabe des Dichters, das Geschehene zu berichten, sondern das, was geschehen kann, d.h. was nach den Gesetzen der Wahr- scheinlichkeit oder Notwendigkeit m6glich ist . . . . . Darum ist auch die Poesie philosophischer und edler als die Geschichtsschreibung." Und in diesem ,,philosophischen" Sinne ist die Paracelsusgestalt unseres Autors denn auch durchaus plausibel und fiberzeugend.

Sein Paracelsus besitst ein recht gut entwickeltes SelbstbewuBtsein. Von ihm werden AuBerungen fiberliefert wie:

Mein Bart hat tiefere Gelehrsamkeit Als s/imtliche Doktoren und Skribenten..

Was einst Hippocrates Und mehr als das, bin ich, bin Paracelsus! Und eure Arzte sind beschr/inkte Tr6pfe! (2).

Auch seine pers6nlichen Aussprfiche atmen denselben Geist:

Ich bin ein Arzt, nur klfiger als die Andern. (5) und

Ich kann das Schicksal sein, wenn's mir beliebt. (7).

Und seiner eigenen Meinung nach geh6rt er zur Gattung der ,,hohen Menschen", die auch in der Liebe tiefer beglficken k6nnen als andere (8). Nun, auch dem historischen Paracelsus fehlte dieses aggressive Selbst- bewuBtsein keineswegs. Aus seinen Schriften geht das deutlich hervor - ich filhre nur ein paar besonders charakteristische Stellen an: ,,Darum aber, dab ich allein bin, dab ich neu bin, dab ich deutsch bin,, verachten

Van Stockum - Schnl t z lers Paracelsus als ,,homo ludens" 2o3

darum meine Schriften nit und lasset Euch nit abwendig machen. - - - Ich hab ein best/indiger Gut denn ihr, n/imlich die Kunst ist mein Gut und bester Reichtum, das kann mir kein Dieb stehlen, kein Feuer, Wasser oder R/iuber nehmen: Man nehme mir denn zuvor den Leib, die Kunst kann man mir nit nehmen, denn sie ist in mir ver- borgen und ein unbegreiflichs Ding, derhalben gehets mit mir dahin wie der Wind. Sehet ein sollichs Gut hab ich, welches fbertrifft Haus und Hof, Kleider, Geld, Silber und Gold, und all euer Verm6gen: Denn sie ist best/indig. Ob ich schon das Geld mit guten Gesellen vertummle, so ist doch meinem Hauptgut nichts abgegangen, denn die Kunst ist mein Hauptgut, die verlaBt mich mit Gottes Hill nimmer- mehr, da schmecket an. - - - Ich bin Theophrastus, und mehr als die, den ihr mich vergleichent: Ich bin derselbig und bin Monarcha Medicorum dazu". Nicht umsonst tr/igt der Stich, der auf ein gemaltes Portrait des T i n t o r e t t o (I518-I594), zurfickgeht, oben den stolzen Leibspruch: alterius non sit qui suus esse potest.

DaB eine solche Natur, iiberdies ein ausgesprochener Neuerer auf dem Gebiet der Medizin - und des Lebens! - sich vielfach Feinde machen muf3te, die ihm seinen Hochmut mit Neid, Hal3 und Verachtung heimzahlten, leuchtet ohne weiteres ein. Auch in unserem Drama ist es nicht anders. Der erste Stadtarzt, Dr. Copus, nennt ihn einen Schwindler (2) und Gaukler (ii), meint sogar, er habe Angst, neben ihm zu amtieren, ja bietet ihm seinen Rat und seine Unterweisung (I I) an! Unfreundlicher noch urteilen &e Laien: Ausdr~cke wie Schwindler (7) und Gaukler (7) wirken relativ mild gegenfiber Bezeichnungen wie Quacksalber (I, 7), Wunderdokter (7), Hexenmeister (5, 7, 8, 9), Zauberer (7), ja sein schlimmster Gegner rechnet ihn zu den ,,fahrenden Gesellen" und ,,solchen K/iuzen" (5), zu den , , Lands t re i chern" und herumziehenden , ,F iede l leu ten" , zu den , ,Haben ich t sen" (8), scheut sich nicht, ihn als ,,verdammter Lump" (8) anzureden, von ihm und seinesgleichen zu sagen: ,,Ihr seid doch alle Lumpen" (7), spricht yon einem, ,,der ins Leere strebt wie Ihr" (7) und beteuert seelen- ruhig: ,,Ich wuBte stets: aus Euch wird nie was R e c h t ' s ! " (5).

Dieser Gegner, oder vielleicht richtiger: Gegenspieler, ist der wohl- situierte Waffenschmied Cyprian und er mag seine Grfinde haben, wie wir noch sehen werden. Bei erster Lektfire des Stfckes kann man leicht den Eindruck gewinnen, er sei die eigentliche Hauptperson und nicht der Titelheld Paracelsus. Ist er es doch, der in der eigenen Seele das, ,,Erwachen aus der Illusion sicheren Besitzes" erleben mug. Er ist ein solider Baseler Stadtbfrger aus alteingesessenem Geschlecht und hat sich im Wettbewerb mit dem jungen Paracelsus einst die sch6ne Justina als Gattin erobert. Stolz auf seine gesicherte Stellung, sein Ansehen, seinen Reichtum und - seine sch6ne Frau, hat er im Verlauf der Jahre ein seelenvergnfigtes Selbstvertrauen, eine gewisse fiber- hebliche Selbstsicherheit entwickelt, die zurfickgeht auf das BewuBtsein,

2o4 Van S tockum - Schn i t z l e rs Paracelsus als ,,homo ludens"

dab er ein - absolut normaler, ja vorbildlicher - Mann des unver- ~iuBerlichen materiellen, sozialen und seelischen , ,Bes i t zes" , ein h6chst glficklicher ,,man of property" sei. Hier liegt die Keimzelle der Handlung unseres Dramas. Denn ,,unver/iuBerlicher Besitz" ist unter allen Umst/inden eine Illusion und Illusionen sind fiberaus gef/ihrliche Besitztfimer.

Vor allem Paracelsus gegenfiber manifestiert sich diese lJberheblich- keit. Selbstzufrieden lobt er sein Haus:

Ein einfach bfirgerliches Haus - doch denk' ich, Wenn man gewohnt, im Frei 'n zu fibernachten So kann sich's sehen lassen. (5).

Aber auch seine soziale Stellung:

W o w/ire das Verdienst, am eignen Herd, Dem Hause nfitzend wie dem Allgemeinen, Sein ehrlich Handwerk treibend als ein Bfirger, G/ib's Andre nicht, die's in die Ferne lockt - (5).

Ein Mann wie ich steht stets auf festem Grunde, H/ilt sicher, was er hat, ist f romm und stark. Glaubt mir, wir ffirchten Euresgleichen nicht. (7).

Und - ein Maximum an Hybris - einmal faBt er sogar Haus, Wohl- stand und Gattin prahlerisch lobpreisend als sein Eigentum zusammen:

Mein ist dies Haus, wie's meines Vaters war, Und meiner Ahnen seit dreihundert Jahren. Sein Wohlstand w/ichst durch Arbeit und durch FleiB. Ja - seht mich an, mein Lieber, dieser Arm, Der, wie bekannt, ein gutes Schwert zu schmieden Und, wenn's dazu kommt, auch zu schwingen weil3, Ist wohl dazu gemacht, ein Weib zu schirmen. Das ist es, was die Frau verlangt, und drum Gewann ich sie, und drum kann ich sie halten. Zu ffirchten hab' ich nichts. - - - Erinn'rung nicht Und keine Schw/irmerei. Vom Gegenw/irt'gen Umschlossen und geb/indigt ist das Weib. Ge6ffnet ist mein T h o r - - - ich ffirchte niemand. (6).

Was die sch6ne Justina dazu denkt, bleibe verl/iufig dahingesteUt. Der sie hoffnungslos anschw/irmende Junker Anselm jedoch hat diesen gef/ihrlichen 121bermut nur allzu gut erkannt:

Sieht er Mich auf den Knien vor Euch, so lacht er nur - So wohlgemuth spaziert er durch die Welt, So sicher seines Weibs und so berauscht Vom stolzen Glficke des Alleinbesitzens - Ich aber sag' Euch: solcher U e b e r m u t h - - - (4).

V a n S t o c k u m - S c h n i t z l e r s P a r a c e l c u s als , ,homo ludens" 205

Die Ersch~tterung dieses grenzenlosen Clbermuts f/ihrt Cyprian selbst herbei, indem er Paracelsus daran erinnert, dab man yon G/isten seiner Art auch eine Gegenleistung verlangen d a r f - so gut wie von eingeladenen Fiedelleuten (8). Daraufhin versetzt dieser Justina in hypnotischen Schlaf und suggeriert ihr, sie habe sich einmal mit dem verliebten Anselm vergangen. Erwacht, scheut die Unschuldig- schuldbewuBte vor ihrem Gatten zuriick und obwohl Anselm w/irdig und sachlich ihre Unschuld beteuert, den Stachel im Fleisch wird Cyprian nicht los. Drohungen Paracelsus gegen/iber fruchten nicht; dieser kann zwar die Suggestion in Justinas Seele wieder aufheben, nicht aber den Verdacht in Cyprians Gemiit. So schl/ifert er denn Justina wieder ein und befreit sie yon der Erinnerung an das direkt Vorhergegangene, suggeriert ihr aber zugleich, jetzt auch nach dem Erwachen ganz offenherzig und wahr zu sein, ,,wahr, wie Ihr nie ge- wesen" (9). Und Meister Cyprian muB nun erfahren, wie sehr Justina einst Paracelsus geliebt und dab er es nur dessen Zur/ickhaltung zu verdanken hat, dab sie dennoch seine Frau gewerden ist:

Seht, diesen hab' ich wirklich liebgehabt, Ach, lange n o c h - - - Oh, Cyprian, wie lang! Als Ihr yon dannen gingt, vor dreizehn Jahren, Ohn' Abschied und ein Wort von Wiederkommen, Ich meint', ich m/igte sterben. Wart Ihr damals In jener Nacht, da Ihr die Stadt verlieBt, Nochmals zurfick gekehrt - ach Alles Mtt ' ich, Was Ihr verlangt, Euch freudig hingegeben, Ob ich auch wuBte, dab der n~ichste Morgen F/Jr ewig mir Euch n a h m - so liebt' ich Euch[

Ja, Cyprian! so leicht verlorst Du mich! Doch hast Du's nicht geahnt - wie's deine Art. Du dachtest, war ich Dir erst angetraut, So war Dir meine Z~irtlichkeit gewiB. Und doch! in mancher Nacht, h/itt'st Du gef/ihlt, Wie fern ich Dir war - wahrlich! minder stolz W/irst Du der Frau gewesen, Dir im Arm! (Io).

DaB sie sich jetzt dennoch zu ihm, Cyprian, bekennt - aber wie verklausuliert! - , mug ihm wohl wie grimmiger Hohn in den Ohren klingen:

Und so gewannst Du mich, mein Cyprian, Und ich bin Dein - und will es gerne bleiben.

Ein friedlich Gl/ick, Ist's auch nicht allzu gl/ihend, bleibt das beste. (Io).

Ob diese nicht unverdiente Erschfitterung seines mal31osen Selbst- vertrauens ihn von seiner 6bermfitigen Lebenshaltung geheilt hat?

206 V a n S t o c k u m - S c h n i t z l e r s Parace l sus als ,,homo ludens '~

Der Dichter hat es offenbar so gewollt, denn Cyprians letztes Wort iautet:

Doch was ich heut gesehn, f/ir alle Zeit Soll's mich vor allzu groBem Stolze hfiten. Es war ein Spiel, doch fand ich seinen Sinn; - Und weiB, dab ich auf rechtem Wege bin. (rI).

Aber spricht so ein zerknirschter Sfinder? Doch wohl eher ein unverbesserlicher Egotist!

Eins aber wird uns nach dieser Handlungsanalyse unwiderleglich klar: der Titelheld ist denn doch die Hauptfigur unseres Dramas - und nicht der Meister Cyprian. Denn Paracelsus ist es, der Oberlegen die L6sung des Knotens herbeffihrt und der von Anfang an durch die Wucht seiner Pers6nlichkeit und durch seine unheimliche Suggestions- kraft das ganze Geschehen mit spielerischer Leichtigkeit lenkt und beherrscht.

Junker Anselm kann seinen ,,Blick nicht ertragen" (4), mfihelos entlockt er C/icilia, Cyprians Schwester, das stumme Gesfiindnis ihrer Liebe zu Anselm (7), eine Gel~ihmte bringt er wieder zum Gehen, eine Stumme zum Reden (7) und driemal gelingt ihm eine posthypno- tische Suggestion: einmal beim jungen Medardus, dem er eine nie gemachte Reise einredet (7), zweimal, wie wir sahen, bei Justina (8, 9). Und so gebfihrt denn auch ihm zwar nicht das letzte Wort, aber denn doch das eigentliche SchluBwort des Stfickes:

Es war ein Spiel! Was sollt' es anders sein? Was ist nicht Spiel, das wir auf Erden treiben, Und schien es noch so grog und tier zu sein! Mit wilden SSldnerschaaren spielt der Eine, Ein And'rer spielt mit tollen Abergl/iubischen. Vielleicht mit Sonnen, Sternen irgend wer, - Mit Menschenseelen spiele ich. Ein Sinn Wird nur von dem gefunden, der ihn sucht. Es flieBen ineinander Traum und Wachen, Wahrheit und Lfige. Sicherheit ist nirgends. Wir wissen nichts von Andern, nichts vons uns. W i r spielen immer, wer es wei]3, ist klug. ( I I ) .

Dass auch der Autor es so gemeint hat, ergibt sich aus der Tatsache, dab er die letste Zeile als Motto der Druckausgabe der drie Einakter vorangestellt hat.

Groningen. T H . C. VAN S T O C K U M .

Anmerkung.

Die eingeklammerten Zahlen beziehen sich auf die Auftritte des Dramas.