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8.6.2018 von Fjodor Dostojewski Eine theatrale Filminstallation, Regie: Bert Zander SCHULD UND SÜHNE PREMIERE

SCHULD UND S HNE - theater-oberhausen.de fileDostojewski erklärt die bestehende weltliche Ordnung für gescheitert. Eine neue Ordnung sieht er nicht: Weder der Kommunis-mus noch der

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SCHULD UND SÜHNEPREMIERE

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Wir kommen über eine stillgelegte Rolltreppe in einen 3000 m² großen Raum. Dort werden wir den „Raskolni-Kopf“ – wie ich ihn nenne – betreten, also den eigentlichen Theaterraum. In der Mitte, innerhalb dieses Kopfes, innerhalb der Subjektive Raskolnikows, werden wir seine Welt, seine 14 Tage – von der kurzen Vorbereitung des Mordes bis hin zu seinem Geständnis und noch ein kleines Stückchen darüber hinaus – mit ihm miter-leben. Mein Wunsch ist, das Prinzip Raskolnikow über die Spiegelung der Perspektiven der anderen zu verstehen. Es ist sehr spannend, sich mit RaskolnikowsGeständniszwang zu beschäftigen. Da kommt man schnell zu der Geschichte, die euch allen bekannt sein wird, von der Schlange und dem Baum der Erkenntnis: Wie ist die Schuld verteilt? Gott ist tot, hat Friedrich Nietzsche gesagt. Wie verhalten wir uns heute in einer Welt, in der wir nicht mehr ohne weiteres an Gott glauben können? Auch die politische Kraft, die dieses Ding hat, ist bedeutsam, aber nicht hinsichtlich der Aussage, Kapitalismus scheiße zu finden, sondern mich interessiert am Roman das genaue Hinhören, dieses feine Gesell-schaftspanorama. Und Raskolnikow muss da drin sitzen – in diesem Raum, umgeben von den Leinwänden – und sich alles anhören. Er leidet wie ein Vieh und kann am Ende nichts anderes tun als aufzugeben. Dostojewski scheint für ein einfaches gottbetontes Leben zu plädieren, aber nicht im tra-ditionell religiösen Sinne. Das ist für mich so eine Grundaussage, die der Roman hat, und hoffentlich dann unsere Arbeit auch. Ich wünsche mir, dass der ein oder andere Gast rausgeht, vielleicht nicht alles verstanden hat, aber zumindest das Gefühl mitnimmt, dass es auch darum gehen könnte, ein differenzierender oder auch einfach netter Mensch zu sein und man darüber sehr viel lösen könnte.

→ Regisseur Bert Zander auf der Konzeptionsprobe am 5. April 2018

„Bei vollständigem Realismus im Menschen den Menschen finden … Man nennt mich einen Psychologen. Das ist nicht richtig. Ich bin nur ein Realist im höheren Sinne, das heißt: Ich zeige alle Tiefen der Menschenseele.“ → Dostojewski

In der theatralen Filminstallation werden wir zu Kompliz*innen Raskolnikows. Er hat eine Theorie entwickelt, nach der es außergewöhnli-chen Menschen erlaubt sein soll, im Dienste des allgemeinen Fortschritts Verbrechen zu begehen. Aus dem geplanten Mord an der Pfandleiherin Aljona Iwanowna wird ein Doppelmord: Lisa-weta, die Schwester des Opfers, erscheint am Tatort und Raskolnikow spaltet ihr den Schädel mit einem Beil. Aus dem Verbrechen wird Schuld und der Mord bringt keine Erleichterung. Er wird dadurch noch mehr zum Außenseiter und ringt mit sich und der Welt darum, nicht den Verstand zu verlieren. Raskolnikow, der begabte, aber mittellose Jurastudent, ist der einzige Charakter aus Dostojewskis berühmtem Kriminalroman, der an diesem Abend live auftritt. Seine Erlebnisse, Gedanken und Ängste werden unmittelbar und intensiv zu unseren. Der Roman entfaltet durch die zahlreichen Mitwirkenden aus Oberhausen und der Region seine Vielschichtigkeit und wird zu einer groß angelegten Erzählung nicht nur über Verbrechen und Strafe, sondern auch über Schuld und Sühne.

„Ich wollte bei der Ausführung die denkbar größte Gerechtigkeit walten lassen ... Unter allen Läusen wählte ich die aller-unnützeste ...“ → Raskolnikow

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„Der Mensch ist ein Geheimnis. Man muss es enträtseln und wenn du es ein ganzes Leben lang enträtseln wirst, so sage nicht, du hättest die Zeit verloren. Ich beschäftige mich mit diesem Geheimnis, denn ich will ein Mensch sein.“ → Dostojewski

Sühne und Strafe Zentral sind die Begriffe Krankheit und Heilung. Die moralische Ordnung funktioniert weniger über das System der Bestrafung, als über den Versuch, die Krankheit zu erkennen und um Errettung zu bitten. In „Schuld und Sühne“ spielt die Krankheit einer ganzen Gesellschaft eine gewaltige Rolle. Nicht nur Raskolnikow ist permanent im Fieber, es geht Dos-tojewski um die soziale Krankheit: Das Verbrechen, das er meint, ist nicht nur Raskolnikows Tat. Der neoliberale Luschin ist ebenso ein Verbrecher, wie Marmeladow, der seine Familie um ihre Existenz bringt. Die Schuld, die sich daraus ergibt, ist das „wurzellose Böse“, wie Hannah Arendt es mit Blick auf den Nationalsozialismus formuliert hat: ein Ver-gehen, das gerade darin schrecklich ist, dass man es nicht festmachen kann an juristischen Einzeltaten. Dostojewskis zaudernde Hoffnung liegt auf den Ver-zweifelten, die es dennoch versuchen, seine finstere Antwort auf diese Hoffnung ist deren ungeklärtes Schicksal. Es gibt keine klare Handlungsanweisung in diesem Roman. Nach orthodoxem Verständnis ist die größte Form der Sühne die Übernahme der Schuld durch eine*n Unschuldige*n. Der Anstreicher Nikolaj übernimmt die Schuld Raskolnikows als Sühnetat aus religiöser Überzeugung. Sonja verschenkt ihr Leben erst an eine untergehende Familie und dann an einen Mör-der. Die Logik der Strafe wird durch diese Opferta-ten komplett ausgehebelt. Dostojewski erklärt die bestehende weltliche Ordnung für gescheitert. Eine neue Ordnung sieht er nicht: Weder der Kommunis-mus noch der neoliberale Weg des Westens, noch der anarchische Weg Swidrigailows oder die Bestä-tigung des status quo des „Irgendwie-Überlebens“ hält er für einen Ausweg aus der apokalyptischen Krise. Die Leerstelle Gottes ist nicht besetzt. Der Roman endet mit einer Verheißung, die – an-gesichts der Geschichte der letzte 150 Jahre ebenso gut als Drohung verstanden werden kann: „Aber hier beginnt eine neue Geschichte, die Geschichte der allmählichen Erneuerung eines Menschen, die Geschichte seiner allmählichen Wiedergeburt, des allmählichen Übergangs aus einer Welt in eine an-dere, der Entdeckung einer neuen, bisher gänzlich unbekannten Wirklichkeit. Das könnte das Thema einer neuen Geschichte werden – aber unsere jetzige Geschichte ist zu Ende.“ → Ludwig Hauck

Fjodor Michailowitsch Dostjewski, 1821 in Moskau geboren, wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf, obwohl sein Vater Arzt war. Er quittierte 1844 seinen Dienst als Leutnant an der Militär-Ingenieur-Schule in St. Petersburg, um freier Autor zu werden und veröffentlichte im gleichen Jahr seinen ersten Roman „Arme Leute“, der ein großer Erfolg wurde. Aufgrund seiner Kontakte zu revolutionären Grup-pierungen sollte Dostojewski 1849 hingerichtet werden. Auf dem Richtplatz begnadigt, verbrachte er die nächsten Jahre in sibirischer Verbannung, wo er an Epilepsie erkrankte. Nach seiner Entlassung war eine deutliche Abkehr des Autors von westeuro-päisch beeinflussten revolutionären Gesinnungen erkennbar. Dostojewski unternahm mehrere Reisen nach Europa und konnte, wegen seiner Spielsucht hoch verschuldet, zeitweilig nicht nach St. Peters-burg zurückkehren. Zwischen 1867 und 1881 lebte er in Deutschland und der Schweiz. Seine großen Ro-mane „Der Idiot“, „Die Dämonen“ und „Die Brüder Karamasow“ erschienen alle in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts – auch „Schuld und Sühne“, der 1866 als Zeitungsroman herausgegeben wurde. Der Roman hat zahlreiche autobiographi-sche Bezüge, da sich die Hauptfigur Raskolnikow, wie der Autor selbst, dem Christentum zuwendet. Dostojewski beschäftigte sich zeitlebens intensiv mit sozialen Fragen. Er lebte in einem Russland, in dem der Glaube brüchig wurde und die Intellektuellen begierig säkulare Fortschrittsgedanken aufgriffen. Dostojewski blieb jedoch geprägt vom russisch-orthodoxen Glauben, der sich bei ihm mit pansla-wistischen, politischen Ideen mischte. Obwohl er den Sinn des Lebens im Glauben fand, blieb er ein Zweifler. 1881 starb Dostojewski an einem Blutsturz in St. Petersburg.

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Quellen: Fjodor Dostojewski: „Literarische Schriften“, München 1923, S. 333; Ludwig Haugk: „Bemerkungen zu ‚Schuld und Sühne‘“, Programmheft Nr. 3, Spielzeit 2014/15, Schauspielhaus Zürich; Fjodor Dostojewski: „Gesammelte Briefe 1833-1881“, übers., hrsg. u. komm. v. Friedrich Hitzer, München 1967, S. 24. Die Texte sind zum Teil in sich gekürzt. Die Rechtschreibung wurde behutsam angeglichen.

Dauer: ca. 3 Stunden 30 Minuten, eine PausePremiere am 8.6.2018 im alten Kaufhof an der Marktstraße 60

Herausgeber: Theater Oberhausen, Will-Quadflieg-Platz 1, 46045 Oberhausen Telefon: 0208/85 78 184; [email protected]: Florian Fiedler Redaktion: Elena von Liebenstein, Meike Sasse Foto: Bert ZanderAuf dem Foto: Christian Bayer und Ensemble Druck: Druckverlag Kettler

Schuld und SühneIm Kopf von Raskolnikow – eine theatrale Filminstallation

Rodion Romanowitsch Raskolnikow Christian BayerPulcheria Alexandrowna Raskolnikowa, Mutter Anna PolkeAwdotja Romanowna Raskolnikowa, genannt Dunja, Raskolnikows Schwester Elisabeth HoppeDmitrij Prokofjitsch Rasumichin, Student Burak HoffmannPorfirij Petrowitsch, Untersuchungsrichter Clemens DönickeArkadij Iwanowitsch Swidrigailow, Gutsbesitzer Torsten BauerPjotr Petrowitsch Luschin, Hofrat Klaus ZwickIlja Petrowitsch „Pulver“, Polizeiinspektor Jürgen SarkissAlexander Grigorjewitsch Samjotow, Vorsteher des Polizeibureaus Daniel RothaugSemjon Sacharytsch Marmeladow, Titularrat a. D. Andreas Döhler Katerina Iwanowna, Marmeladows Frau Susanne BurkhardSofja Semjonowna, genannt Sonja Lise WollePolenjka Helene Paula DönickeSossimow, Arzt Mervan ÜrkmezAndrej Semjonowitsch Lebesjatnikow Jonas SteglichGott/Dostojewski Emilia ReichenbachNastasja, Dienstmädchen Ayana GoldsteinNikolaj, Koch, Handwerkerin 1 Ronja OppeltMitjka, Pestrjakow, Handwerkerin 2 Banafshe HourmazdiKleinbürger Florian FiedlerAchilles Mislav Stambuk

Erähler*innen: Corinna und Anna-Lena von ArtisticO, Danilo Luigi Atzeni, Natalia Bartelt, Lisa Brandenberg, Merlin Dembowski, Armando Dente, Romi Domkowsky, Michael Dopatka, Wolfgang Dybowski, Karin Emmelmann, Salome vom Ende, Max Falck, Sophie Fetten, Beate Fiedler, Anja Flechtker, Sarah Flechtker, Karin Flesch, Gabriele Franke, Luna Freese, Melanie Freese, Waltraud Freese, Doreen Gössinger, Peter Gremnitz, Matthias Grigo, Claudia Groh, Adriana Grünewald, Ulrike Hardung, Emily Hellwich, Paul Hellwich, Ingeborg Henkel, Dirk Hermann, Lesley Higl, Jürgen Hinninghofen, Walter Homberger, Paula Ilic, Jens Jacobsen, Stella Juliano, Swantje Kalthoff, Kathrin Keiser, Stefan Keune, Deborah Kötting, Helmut Krebs, Tanja Krebs, Heike Krumrey, Hans-Dieter Lehmann, Petra Leipold, Elena von Liebenstein, Rolf Linden, Rosa von Luxemburg, Magdalena Markowski, Ingo Mersmann, Dominik Naue, Zora Niephaus, Claudia Nies, Annkatrin Nüsgen, Christiane Odlozinski, Lydia Preißler, Doris Reinemann, Sabine Reiterskamp, Hans Rodehüser, Levke Schaarschmidt, Lene Schwind, Wolfgang Tzscheppan, Andrea-Cora Walther, Constanze Weber, Julian-Malte Wenning, Waltraud Wickinghoff, Thomas Willecke, Andrea Wilming, Larissa Zhukova Regie: Bert Zander; Kostüm: Lene Schwind; Studiomusik und Einstudierung: Martin Engelbach; Aufnahmeleitung: AlexanderBiehn; Dramaturgie: Elena von Liebenstein & Meike Sasse; Script/Continuity/O-Ton: Julie Konradsen; Video: Fabian Barba,Bettina Lange; Tonmischung: Marc Meusinger

Besonderer Dank an: Heinrich Beißwenger von ‚Der Frittenspezialist‘, Kevin Berlauwt, Gdanska, Herrn Grabowski, Thomas Schulte.

Regieassistenz & Inspizienz: Natascha Zander; Bühnenbildassistenz: Ines Loska; Kostümassistenz: Andrea Barba; Technischer Direktor: Bodo von Husen; Licht: Adrian Baumeister, Klaus Boßerhoff, Udo Matten, Felix Schiffer; Ton & Video: Philipp Schmidt (Leiter), Torsten Hennig; Bühnenmeister: Gunther Elsasser; Chefmaskenbildner: Thomas Müller; Maske: Ilka Freiin von Forstner, Markus Hahn, Ann-Katrin Mai, Jürgen Korkesch (stellv. Chefmaskenbildner); Werkstätten: Andreas Parker; Gewandmeisterei: Daphne Kitschen; Ankleiderin: Sabrina Jacoby; Requisite: Rainer Taegener (Leiter), Judith Bayer; Soufflage: Laura Kreutzenbeck

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Ein Filmprojekt nach DostojewskiRegie: Bert Zander

8.6.2018