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ARCHITEKTUR — St. Gallen Schwarzer Kristall In einen Vorortquartier von St. Gallen steht ein ungewöhnlicher Wohnkubus auf einem Hanggrundstück. Die schwarze Farbe und die kantige Form geben dem Baukörper ein ganz besonderes Aussehen. Die Parzelle fällt nach Norden hin ab und lässt das Sockelgeschoss zu Tage treten. Die Fenster sind unregelmässig und bündig in die Fassaden gesetzt. Der Hauseingang liegt im Erdgeschoss an der schmalen Ostseite des Hauses. 52 Raum und Wohnen 9/11 9/11 Raum und Wohnen 53

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Schwarzer KristallIn einen Vorortquartier von St. Gallen steht ein ungewöhnlicher Wohnkubus auf einem Hanggrundstück. Die schwarze Farbe und die kantige Form geben dem Baukörper ein ganz besonderes Aussehen.

Die Parzelle fällt nach Norden hin ab und lässt das Sockelgeschoss zu Tage treten. Die Fenster sind unregelmässig und bündig in die Fassaden gesetzt. Der Hauseingang liegt im Erdgeschoss an der schmalen Ostseite des Hauses.

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1_An der Westseite öffnet sich das Erdgeschoss zu einem kleinen Kiesplatz. 2_Die bugförmige Nordfassade lässt das Haus zu einem expressiven Keil in der Landschaft werden. 3_Die Südfassade passt sich mit einem sanften Knick der Strassenführung an.

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1_Blick vom Entree in die Küche mit Kochinsel. Im Hintergrund ist der Kiesplatz ersichtlich. 2_Das grosse Esszimmer liegt er Küche gegenüber. 3_Eine lange Schrankwand trennt die Küche vom Esszimmer. 4_In der Schrankwand sind die Küchenutensilien verstaut.

«Mein Gegenentwurf ist ein Plädoyer für eine körperhafte Architektur, welche Plastizität und Materialität als Gegenmodell zum geometrisch scharfen Körper und den in Glas aufgelösten Raum der klassischen Moderne hat.»

Jean-Claude Vuagniaux, Architekt

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Schwarzer KriStallDas schwarze Haus steht im Vorortquartier Riethüsli von St. Gallen. Ein richtiger Schweizer Name und ein richtiges Schweizer Quartier. Die Gegend ist dörflich und überschaubar.Der St. Galler Architekt Jean-Claude Vuagniaux wollte mit seinem Bau Beziehungen schaffen zur Landschaft und zu den umliegenden Häusern. Natürlich fällt der schwarze, kantige Baukörper sofort ins Auge. Für die Nachbarn präsentiert sich der markante Neubau ungewöhnlich, aber sie haben das Gebäude akzeptiert. Wie ein schwarzer Kristall steht das Haus nun am Hang des Wohnquartiers.Für Vuagniaux war es das erste grössere Projekt. Der Bau, der auch wie ein erratischer Block erscheint, entstand in Zusammenarbeit mit den Architekten Stefan Rüsch und Hansueli Rechsteiner aus St. Gallen. «Eigentlich fühlt sich die schwarze Fassade wie eine Elefantenhaut an. Die Kanten sind leicht gebrochen. Man könnte auch meinen, dass auf die Fassade Pech geschmiert wurde», meint Vuagniaux lachend zur

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21_Vom Essraum geht es weiter zum Gästezimmer und zur Treppe ins Ober-geschoss. 2_Das schmale Treppenhaus lebt durch die Lichtführung.

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ungewöhnlichen Aussenverkleidung. Das stabilisierende Netzgewebe schimmert unter der Bitumenmasse durch – wie Venen unter der Haut – und verleiht dem Baukörper etwas Textilhaftes. Die Fassade dokumentiert sämtliche Etappen des Materialauftrags sowie der Ge-webeüberlagerungen.

abgestimmt auf topographie und aussichtDie Formgebung des Einfamilienhauses folgt hangseitig seiner Stellung im Strassenknie und reagiert talwärts auf die Bebauung, indem es

sich innenräumlich auf die Weite der Landschaft bezieht. Mit stei-genden und fallenden Brüstungshöhen werden verschiedene Aspekte berücksichtigt. Einerseits ist der Dachabschluss eine Reminiszenz an die Dachlandschaft der unmittelbaren Umgebung. Anderseits wird die Formensprache des Gebäudes auch in der Vertikalen mitgetragen. Der talseitig vorgelagerte bekieste Gartensitzplatz bildet einen sonnigen Bereich, vor dem sich das Panorama der Stadt und der Landschaft ausbreitet. Es ist ein geschützter Platz, an dem man Freunde einlädt oder sich erholen kann.

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1_Das Wohnzimmer im Obergeschoss bietet Aussicht nach zwei Seiten. 2_Wie im Essraum so ist auch im Wohnzimmer der Fassadenknick ersichtlich. Die Treppe erschliesst die Dachterrasse.

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Schnitt

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erschliessungsweg und raumfolgenDie Raumfolge und die Erschliessung im Innern sind so gewählt, dass nicht die kürzeste Distanz, sondern das Erlebnis bestimmend ist. Die bewusst gesetzten Fenster geben in jedem Raum und Geschoss einen anderen Ausblick auf die Landschaft frei. Einige Fenster haben seitliche, nach aussen öffnende Lüftungsklappen, die nach oben aufklappt von aussen wie blinzelnde Augenwimpern anmuten. Die Fensterbrüstungen im Inneren haben Sitzhöhe und Übertiefe. Auf einem Filz kann man

auf der Fensterbank sitzend die Aussicht auf die Stadt geniessen. Im Sockelgeschoss befinden sich Arbeitsräume, Waschküche, Keller sowie der Technik- und Abstellraum, im Erdgeschoss die grosszügige Küche, der Essraum sowie das Gästezimmer mit Gäste-WC. Im Obergeschoss liegen das Wohnzimmer mit optimalem Blick auf St. Gallen sowie zwei Schlafzimmer mit gemeinsamem Bad. Die Dachterrasse ist ein Highlight des Hauses, wo sich im Sommer das gesellschaftliche Leben der Familie abspielt.

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1_Das Bad im Obergeschoss bildet eine Rauminsel zwischen zwei Schlafzim-mern. 2_Schlafzimmer mit Durchgang zum Bad, das durch eine Schiebetür abgetrennt werden kann.

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heller mattglänzender PutzDer Architekt wählte angenehme Farbtöne. Im Inneren des Hauses setzte er warme Pastelltöne ein. «Ein ausgeglichenes Kolorit soll die Innenräume umfassen, eigentlich ist es eine Analogie zur pränata-len Raumprägung», meint Vuagniaux. Der mit weiss pigmentiertem Öl behandelte Eichenboden vermittelt eine warme Atmosphäre. Der Weissputz an den Wänden ist geseift. Hell und mattglänzend setzt er einen starken Kontrast zur dunklen Aussenfassade. Auch hier sind die Arbeitsspuren und Etappen des Handwerkers sichtbar. Entsprechend sind sämtliche Hölzer mit Ölfarbe gestrichen. Die Maler haben es gut gemacht, die Pinselstriche sind ausgewogen und regelmässig.Die zahlreichen fassadenbündig gesetzten Fenster des Hauses wirken von aussen wie Augen und lassen den schwarzen Bau nachts, wenn

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Die aussen bündig gesetzten Fenster zeigen sich innen mit tiefen Laibungen, die die Aussicht gleichsam wie Bilder einrahmen.

Foamglas und BitumenDer Architekt Jean-Claude Vuagniaux suchte für die Fassade dieses Hauses nach einer neuen ästhetischen Ausdrucksform und fand als Lösung das Material Bitumen als äussere Haut. Die schwarze, UV-beständige, zähflüssige Masse wurde als Be-schichtung in zwei Lagen auf eine Dämmung aus Foamglas auf-getragen und mit einem Netz armiert. Das Einbettungsgewebe schimmert durch, verleiht der Fassade eine leicht strukturierte, samtene Oberfläche, die auch der schwarzen Bitumenmasse ihre optische Härte nimmt und sie in ein Anthrazit abschwächt. Eine Dämmung aus Foamglas erwies sich insofern als sinnvoll, da sie extreme Wärmebelastungen aushält und stark isoliert. Die Sonneneinstrahlung ist auf einer schwarzen Fassadenoberfläche bekanntlich weit intensiver als bei hellen Tönen. Foamglas ist ein Sicherheitsdämmstoff aus aufgeschäumtem Glas und bildet bei Dach und Fassade einen perfekten Schutzmantel für die Gebäudesubstanz. Die Dämmeigenschaften und Haltbarkeit des Materials bleiben während Jahrzehnten unverändert.

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in den Innenräumen die Lichter an sind, zu einer rundum leuchtenden Laterne werden. Vor neugierigen Blicken schützen grosse, bis zu zehn Meter lange Innenvorhänge von Christian Fischbacher aus St. Gallen. Sie verwandeln die Räume gleichsam auch in Theaterbühnen.

FOTOS: Albrecht Immanuel SchnabelTEXT: Lore Kelly

Obergeschoss

1 Wohnen2 Schlafen3 Bad

Erdgeschoss

1 Essen2 Gäste3 Gäste-WC4 Küche5 Eingansbereich

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Sockelgeschoss

1 Atelier2 Studio3 Archiv4 Waschküche5 Technik6 Abstellraum7 Keller

Architektur als HaltungJean-Claude Vuagniaux lernte Hochbauzeichner und arbeitete er in ver-schiedenen Büros u.a. bei Wagner & Grasser in Sargans, Silvio Marogg in Triesen, Peter Zumthor in Haldenstein, Binotto & Gähler in St. Gallen sowie bei Andreas Zech in Romanshorn. Nach seinen Lehrjahren studierte er an der Fachhochschule in Liechtenstein, danach absolvierte er einen einjährigen Aufbaustudiengang an der Hochschule der bildenden Künste in Düsseldorf. Von den Lehrern seiner Studienzeit hatte der Vorarlberger Architekt Wolfgang Ritsch für Vuagniaux einen wichtigen Einfluss. Ritsch gehört zu den Vorarl-berger Holzbaukünstlern der ersten Stunde. «Bei Ritsch standen immer der Mensch, das bedürfnis- und materialgerechte Bauen sowie der Genius Loci im Vordergrund. Er verstand Architektur nicht als Dienstleistung, sondern als Haltung», erinnert sich Vuagniaux. An der Hochschule in Düsseldorf waren Elia Zenghelis, Laudris Ordner sowie Ernst Kasper seine Professoren. Aber am meisten prägten ihn die Arbeiten von Peter Märkli, Peter Zumthor, Riewe & Riegler sowie John Pawson, Steven Holl, Eduardo Douto, Sanaa Architekten, Bearth + Deplazes sowie Hächler + Furimann. Der Aufenthalt in Düsseldorf war für Vuagniauxs weiteren Werdegang prägend. Die vielen Museen und Galerien, die verschiedenen Architektur-Veranstaltungen und auch das of-fene, spontane Leben am Rhein gaben seiner Studienzeit in Düsseldorf einen ganz besonderen Reiz. Am meisten haben ihn die verschiedenen Studien bei seinem Werdegang an den unterschiedlich ausgerichteten Architekturschulen geprägt. 2004 gründete er in St. Gallen sein eigenes Büro. Geprägt durch die Architekturdiskussionen über Moderne, Postmoderne und Dekonstruktivismus an der Kunstakademie und der Universität hat Vuaginaux seine Gegenmodelle dazu entworfen, die für seine Arbeiten und seine Architekturphilosphie heute noch eine wichtige Relevanz haben. «Mein Gegenentwurf ist ein Plädoyer für eine körperhafte Architektur, welche Plastizität und Materialität als Gegenmodell zum geometrisch scharfen Körper und den in Glas aufgelösten Raum der klassischen Moderne hat. Es sind umfasste Innenräume sowie eine Architektur, welche kryptisch, mehrdeutig ist. In der heutigen Zeit wirkt diese Haltung wie ein Anachronismus», erklärt Vuagniaux. Auf die Frage, was er noch gerne bauen wolle, kommt die spontane Antwort: Ein Hotel in den Alpen.

JEAN-CLAUDE VUAGNIAUX 9000 St. Gallen vuagniauxarchitekt.ch

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