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(Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik Greifswald [Direktor: Prof. Dr. E. Forster].) Sensibilitiit und sensible Vorstellungen bei ehronischen Eneephalitikern. Von I(onrad Zucker. Mit 3 Textabbildungen. (Eingegangen am 22. Mdrz 1932.) In den letzten Jahren hatte ich an 6 Fallen Gelegenheit, eine Hemi- hyp~tsthesie zu beobachten, die mit breiter Zone im Gesicht, Hals und Rumpf fiber die Mittellinie hinaus griff. In 5 yon den Fallen handelte es sich um eine Encephalitis lethargica, deren akuter Infekt jedesmal schon in die Jahre bis 1921 fiel. Nur der eine Fall war ein junges Madchen mit Tumorsymptomen, bei der die Sektion eine atiologisch unklare cystische Erweichung von knapp BohnengrSl~e im Thalamus ergab. Diese Patientin verhielt sich auch insofern yon den fibrigen Fallen verschieden, als ent- sprechend dem iibrigen Gesamtzustand auch ein zweimaliges Schwanken in der Ausdehnung der SensibilitatsstSrungen auftrat, aber nicht hin- sichtlich der Breiten- sondern nur der Li~ngenausdehnung. Bei den Ence- phalitikern blieben die einmal gefundenen Grenzen konstant. Die StSrung land sich allemal auf der KSrperseite, auf der auch die motorischen Er- scheinungen deutlich starker waren (starkere Akinese, Pseudorigor, d. h. st~rkere Adaptions- und Fixationsspannung). In keinem Falle wurde die SensibilitatsstSrung irgendwie yon dem Patienten spontan geklagt oder angegeben. -- Es ist auch zu sagen, dab sie bei der fiblichen klinischen Untersuchung sehr leicht fibersehen werden kann, wie das in den Fallen, die zuvor schon langere Zeit in fachneuro- logischer Beobachtung gewescn waren, auch tatsachlich der Fall war. Bei genauerer Untersuchung ergibt sich dann aber der Befund, da~ eine klinisch leichte Hypasthesie besteht, die 1--11/2 handbreit neben der Mittellinie schon beginnt abzunehmen, dann aber um dieselbe Breite fiber die Mittellinie hinaus auf die ,,gesunde" Seite mit gleichbleibender Starke fibergeht. An der Stirn und am Unterbauch konvergieren die beiden Grenzlinien jeweils und am Scheitel und Rficken lauft die Grenze

Sensibilität und sensible Vorstellungen bei chronischen Encephalitikern

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Page 1: Sensibilität und sensible Vorstellungen bei chronischen Encephalitikern

(Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik Greifswald [Direktor: Prof. Dr. E. Forster].)

Sensibilitiit und sensible Vorstellungen bei ehronischen Eneephalitikern.

Von

I(onrad Zucker.

Mit 3 Textabbildungen.

(Eingegangen am 22. Mdrz 1932.)

In den letzten Jahren hatte ich an 6 Fallen Gelegenheit, eine Hemi- hyp~tsthesie zu beobachten, die mit breiter Zone im Gesicht, Hals und Rumpf fiber die Mittellinie hinaus griff. In 5 yon den Fallen handelte es sich um eine Encephalitis lethargica, deren akuter Infekt jedesmal schon in die Jahre bis 1921 fiel. Nur der eine Fall war ein junges Madchen mit Tumorsymptomen, bei der die Sektion eine atiologisch unklare cystische Erweichung von knapp BohnengrSl~e im Thalamus ergab. Diese Patientin verhielt sich auch insofern yon den fibrigen Fallen verschieden, als ent- sprechend dem iibrigen Gesamtzustand auch ein zweimaliges Schwanken in der Ausdehnung der SensibilitatsstSrungen auftrat, aber nicht hin- sichtlich der Breiten- sondern nur der Li~ngenausdehnung. Bei den Ence- phalitikern blieben die einmal gefundenen Grenzen konstant. Die StSrung land sich allemal auf der KSrperseite, auf der auch die motorischen Er- scheinungen deutlich starker waren (starkere Akinese, Pseudorigor, d. h. st~rkere Adaptions- und Fixationsspannung).

In keinem Falle wurde die SensibilitatsstSrung irgendwie yon dem Patienten spontan geklagt oder angegeben. - - Es ist auch zu sagen, dab sie bei der fiblichen klinischen Untersuchung sehr leicht fibersehen werden kann, wie das in den Fallen, die zuvor schon langere Zeit in fachneuro- logischer Beobachtung gewescn waren, auch tatsachlich der Fall war. Bei genauerer Untersuchung ergibt sich dann aber der Befund, da~ eine klinisch leichte Hypasthesie besteht, die 1--11/2 handbreit neben der Mittellinie schon beginnt abzunehmen, dann aber um dieselbe Breite fiber die Mittellinie hinaus auf die ,,gesunde" Seite mit gleichbleibender Starke fibergeht. An der Stirn und am Unterbauch konvergieren die beiden Grenzlinien jeweils und am Scheitel und Rficken lauft die Grenze

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har t neben der Mittellinie auf der pathologischen Seite ; auch das Genitale k o m m t somit auBerhalb der StSrung zu liegen.

Das Verhalten der Ext remi t~ten wechselt. NIeist finder sich mit manschet tenfSrmigen Grenzen in den Gelenkgegenden ein Schw~cher- werden der StSrung. Wenn nun auch bei den an sich geringen klinischen Intensit~tsdifferenzen die 3 Zonen nicht mi t ganz scharfen Grenzen von- einander getrennt sind, so sind letztere doch keineswegs so flieBend, dab sie den 3 Zonencharakter in Frage stellen kSnnten.

Beziiglich weiterer Einzelheiten mag der bei dem zuletzt beobachteten Pat ienten erhobene genauere Befund berichtet werden.

J. Pek., m~nnlieher Patient, 41 Jahre. 1919 oder 1920 babe er Grippe gehabt. (Fieber und Kopfsehmerzen.) Wanner langsamer und ,,milder" geworden sei, das wisse er nicht, das sei ganz allm~hlich gekommen. So wie jetzt sei es etwa sehon seit 5--6 Jahren. Seit 4 Jahren seien dann noch ,,Anf~lle" hinzugekommen, d. h. er milsse dann 1/2--1 Stunde lang naeh reehts und oben blieken; bewu~tlos sei er dabei nieht.

Be]und: Intern o. B. Blutdruek o. B. Pupillen und Fundus o. B., an den Hirn- nerven keine Differenzen. Kein Nystagmus. Starke Talgsekretion der Haut, beson- ders im Gesieht. Ausgesproehene Akinese, links mehr als reehts; beim Gehen wird der linke Arm leieht gebeugt, ohne Pendelbewegungen gehalten, der rechte Arm maeht geringe Pendelbewegungen. Grobe Kraft der linken Extremit~ten etwas herabgesetzt. Reehts deutlicher Pseudorigor, d.h. Adaptions- und Fixations- spannung; links starker Pseudorigor, kriiftige kurzphasige Adaptions- und Fixa- tionsspannung. Dysdiadoehokinesis links positiv, rechts nicht. Einzelbewegungen der Finger reehts ---- links gering eingeschr~nkt. Bei nach vorn gestreekten Armen keine Konvergenzreaktion und nur geringe Pronationstendenz reehts : links. Kein Tremor. Keine Pulsationen Spontane Hantierungen gesehehen mit beiden Armen und Hi~nden durehaus gesehickt und links nut gering verlangsamt. Gang verlangsamt. Patellarreflexe links Spur sti~rker als rechts. Achillesreflex rechts

links positiv. Babinski negativ, Oppenheim, Rossolimo: ~} Armreflexe reehts links positiv. Kein Knipsreflex. Kein deutlieher TrSmner. Bauchdeckenreflexe

links etwas sehw~eher als reehts positiv, Spraehe monoton und leise. Mimisehe Innervation gering aber rechts ~ links, kein Zwangslachen oder -weinen. Keine ataktischen Zeiehen. Keine spontanen Schmerzen. Wa.R. negativ. Alle 2--3 Tage hat Patient einen 1/2--1stilndigen Sehauanfall naeh rechts oben. Psychisch: In der Unterhaltung attend, yon guter Intelligenz. Sonst nichts Besonderes.

Die Ergebnisse der Sensibilits sollen jetzt im Zusammen- hange gebracht werden.

Sehon die mit den iiblichen klinischen Methoden vorgenommene Priifung ergab auf der linken Seite das Vorliegen der oben beschriebenen 3 ZonenstSrung (vgl. die Abb. 1). Das Genitale war ganz frei, der linke Untersehenkel etwas weniger, der linke Oberarm noeh weniger und am geringsten der linke Unte ra rm davon betroffen. Die mitt lere Zone erstreckte sich im Gesicht, an Hals und R u m p f anniihernd symmetr isch beiderseits neben der Mittellinie aus. I n ihr gab der Pa t ien t an, zwar besser als links seitlich, aber doch deutlich sehlechter als rechts seitlich zu ffihlen. Die St6rung ergab fiir Schmerz, Tempera tur und Beriihrung ann~hernd die gleiehen Grenzen. Die Pallasthesie, die mit C 128 an 7 jeweils

Z. f. d. g. Neur . u. Psych . 140. 7b

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symmetrischen Stellen an Knochen und mit der Stoppuhr gemessen wurde, ergab auch bei zweimahger Wiederholung der Priifung keine durchgehende Differenz zwischen rechts und links. Die Gelenksensi- bilit/~t war in den linken Extremit/~ten iiberall gering herabgesetzt.

AuBerdem zeigte der Pa- tient links das bei Thala- mussch/~digungen schon einige Male beschriebene Ph/~nomen der halbseiti- gen Aufmerksamkeitsst6- rung: Er fiihlte, abge- lenkt, selbst derbere Stiche links nicht, aber sofort dann, wenn er dies- beziiglich darauf hinge- lenkt wurde.

Um nun das Wesen der vorliegenden StSrung und die Unterschiede in den einzelnen Zonen ge- nauer festzustellen, wur- de den folgenden Prii- fungen stets das gleiche Schema zugrunde gelegt, wobei auf den KSrper 36, sich jeweils symmetrisch entsprechendeFelder ver- teilt wurden, in denen die Priifungen vorgenom- men wurden (vgl. Abb. 2). Die Felder wurden genii- gend grog gew/~hlt, um mit den Einzelpriifungen nicht immer am gleichen

Abb. 1. Ol~e bleiben zu mfissen. In jedem Felde wurden

hie mehr als 2 Priifungen hintereinander vorgenommen, sondern es wurden dann zun/tchst andere Felder untersucht, obwohl der Patient in den pathologischen Zonen bei keiner Prii]ungsart das PMinomen der Steinschen Schwellenlabilit4t zeigte, was hier vorweg genommen werden soll. Jedoch yon einer anderen Labiht~t wird unten zu berichten sein.

Die hier mitgeteilten Ergebnisse fiir jede Untersuchungsart sind die Durchschnittswerte yon 10--15 Einzeluntersuchungen, die in jedcm Felde vorgenommen wurden. Diese Durchschnittswerte wurden (ffir

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die jeweilige Untersuchung natfirlich gleich) bei geringer Streuung der Einzelresultate nach dem arithmetischen Mittel, bei etwas grSBerer Streuung nach dem Zentralwerte errechnet.

SchmerzTri~/ung: Es fiel schon bei der klinischen Untersuehung der halbseitigenAufmerksam- keitsstSrung,die sich fibri- gens aueh auf die gan- ze Mittelzone erstreckte, aber weniger auf die des Gesiehtes, auf, dab diese StSrung nicht unbedingt jedesmal deutlich war, und dann, dal3 der Patient auch bei abgelenkter Aufmerksamkeit den Schmerzreiz sofort emp- land, wenn der Nagelreiz strichfSrmig fiber 1---2 em geffihrt wurde.

Die Untersuchung mit Schmerzreizhaaren stellte nun zuniichst die Tat- sache lest, dab derSehwel- lenwert rechts wie links in allen 36 Feldern gleieh 1 g. war, d. h. er lag aller- dings etwas hSher als beim Normalen (gleich 1/2 g.), aber er war links nicht hSher als rechts. Ein den klinisehen Be- fund erst verifizierendes Ergebnis zeigte die Unter- suchung auf ,,Rarefizie- rung der Sinnespunkte". Abb. 2. Diese wurde in allen Fel- dern mit der Sehwellenreizst~rke vorgenommen. Das Ergebnis war, da~ in den Feldern links seitlich erst jede 7.--8. Reizung (ira Durchsehnitt) eine Stichempfindung auslSste, nur am Unterarm links jede 4. In den Feldern der Mittelzone erwiesen sich die Werte ffir das Gesicht tiefer (3,5--4,5) als fiir den Rumpf (6,5--9). In den Feldern reehts seitlieh aber 15ste jede 3.--4, oder 5. eine Schmerzempfindung aus. (Hierfiir 3 Beispiele.)

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Durchschnittszahlen in den verschiedenen Feldern bei Schmerzreizung mit 1,0 g. (b8; [| | G 3 . @ 8; I 1(~-')7 ; @ 6 ; | 3 �9

7; I | 8 ; 2~ 6,5; | 4,5,

Die gleiehe Prfifung wurde nun noehmals wiederholt. Dieses Mal aber wurde der Patiefit bei jeder einzelnen Reizung durch Zuruf [ixiert und ge/ragt. Das Ergebnis war, dal~ die Durchschnittszahlen durchgehends ldeiner wurden. Mit anderen Worten der Patient empfand jetzt den feinen Stich 6fter; nun aber nicht nur in den hyp~sthetischen Zonen, sondern auch in den seitlichen Feldern rechts. Also die Werte wurden fiberall geringer, doch das Verh~ltnis zwischen den Zonen blieb ann~hernd kon- stant. Auch hierzu vgl. die Ergebnisse ffir die gleichen Felder wie oben:

Durchschnittszahlen bei Schmerzpri~/ung in den gleichen Feldern wie oben mit dem SchweUwerte I g. bei ]edesmaliger Fixierung.

(~ 6 ; ~) 3,5; (~ 4; ~ 2,

| @5; | @ 5 ; 1 | |

In der rechten Zone waren die Zahlen mit Ausnahme yon Unter- schenkel und Oberarm (---- 2,5 bzw. 3,0) alle gleich 2 geworden. Also jeder 2. Stich traf im Durehschnitt einen ,,Schmerzpunkt". Die Werte, die unter gleichen Bedingungen yon mir am Normalen gefunden wurden, liegen hier zwischen 1,2 und 1,6.

Ein weiterer Versuch, in welchem der Patient jedesmal nicht nur befragt wurde, sondern auch die Prfifung mit den Augen verfolgte, ergab keine weitere Verbesserung der Werte oder des Verh~ltnisses.

Nicht minder wichtig flit hier auftauchende Fragen sind andererseits die Ergebnisse yon Versuchen, in denen der Patient bei zerstreuter Auf- merksamkeit untersucht wurde. Es wurde ihm dabei ein Tuch fiber den Kopf gelegt und ihm das zu reizende Feld nicht vorher bezeichnet, sondern ihm gesagt, er solle nur angeben, wenn er einen Stich empfinde. Dabei zeigte sich, daI~ aueh danndie Reizschwelle fiberall unver/~ndert = lg. blieb. Doch die Zahlen, die angeben, wie oft im Durchschnitt ein Reiz empfunden wurde, steigen enorm an. In diesem Versuche wurde in jedem Feld nur 5real geprfift. (Hierfiir 2 Beispiele.)

Durchschnittszahlen /iir Schmerzpri~/ung mit SchweUwert I g. bei zerstreuter Au/merksamkeit.

1(~) 12 bis ~ 50; @ 11 bis 45; (1~ 6 bis 18; ~ 9 bis 18.

@ 13 bis 48; @ 4mal>50 ; @ 8 bis > 50; ~0) 2 bis 7. 1 mal 19;

Unter sonst gleichen Bedingungen der zers~reuten Aufmerksamkeit wurde, um das Verh/iltnis zu verdeutlichen, noch ein Versuch mit 6]ach

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iiberschwelligen Reizen angestellt, dessen Ergebnis zeigt, dab durch die mangelnde Fixierung das Verhgltnis zwischen links und rechts vergr5Bert wird gegenfiber dem Ausgangsversuche. Hierbei ist auch bemerkens- wert, da]~ trotz 6facli iiberschwelligen Reizen die Durchschnittszahlen links noch gr6Ber sind als im Ausgangsversuch, wo mit Schwellenwerten gepriift wurde.

Pri~/ung ~nit 6]ach i~berschwelligen Schmerzrelzen bei zerstreuter Au]merksamkeit. 14; ~ 11,5; I (~ 8; I ~ 2.

| 9; | 5,5; J @ 4 ; I | 1,

Also rechts wurde hierbei jeder, bis jeder 2. Reiz, als Sehmerz emp- funden, links jeder 9.--14. und etwas h~ufiger in der Mittelzone.

Den Ergebnissen mit punktfSrmiger Reizung entspricht dann wohl auch, dab der Patient bei Reizung mi~ einem Nadelrad (bei 2 mm Abstand der Nadeln voneinander) auf der linken KSrperhi~lfte und in der Mittel- zone seine Empfindung dabei auch bei langsamem Rollen und genauer Fixierung als Kratzen angibt, und yon einem zur Kontrolle ausgeffihrten wirklichen Kratzen nicht unterscheidet, wi~hrend er den Reiz auf der rechten SeRe als ,,stechen und gerollt" bezeichnet.

Die Tatsache, dab rechts wie links die Reizschwelle die gleiche ist und es auch unter allen Versuchsbedingungen bleibt, und ferner das Ver- h~ltnis der Durchschnittswerte ffir die H~ufigkei~ einer Schmerzemp- findung zwischen rechts und links und bei verschieden starker Zuwendung lassen den Begriff der Aufmerksamkeit in seiner psychologischen Dig- niter und den Begriff einer Rarefizierung der Sinnespunkte als lediglich mehr peripher zu denkende neurologische Angelegenheit flit diesen Fall als unzureichend erscheinen.

Temperaturpri~/ung. Sie wurde mit wassergefiillten Reagensgls ausgeffihrt. Bei Prfifung mir gleichen Temperaturen und gleichzeitiger Reizung rechts und links mit der Glaskuppe wird meist rechts die Emp- findung als intensiver (k~lter bzw. wi~rmer) angegeben, und zwar um so mehr, je extremer die angewandten Temperaturen sind. Aber auch hier ist der Patient imstande, nichtextreme Temperaturen oftmals als gleich zu erkennen, wenn er zum Aufmerken zuvor besonders aufgefordert wurde. Ein Unterschied bei Reizung mit gleicher Temperatur wird bestimm$ aber dann angegeben, wenn die Kuppe an verschiedenen Orten einer Linie, die links und rechts verbinde~, naeheinander aufgesetzt wird, die Grenze fMlt dabei mit der rechten der Mittelzone zusammen. Gleiche TemperaCuren in der Niihe der KSrperw~rme werden meist als rechts links angegeben. Wird aber auch hiermit ,,punktfSrmig" yon links naeh reehts oder umgekehrt gereizt, so werden sie reehts als wiirmer bzw. links als kfihler angegeben. Wird ein warmer Reiz links und ein eCwas kfihlerer rechts appliziert, so werden beide als gleich bezeichner Bei

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Umkehr dieser Applikation wird die Differenz sofort als bedeutend erkannt.

Bei beiderseits gleichzeitiger Applikation gleicher Temperaturen schwindct aber sofort jede Differenz der Empfindung, sobald die Gls der L~nge nach angelegt oder strich- bzw. fl~ehenfSrmig fiber die jewcilige Seite geffihrt warden. Auch dann wird keine Differenz angegeben, wenn ein Temperaturreiz fl~chenf6rmig, also kontinuierlich yon links naeh reehts oder umgekehrt geffihrt wird.

Demgegeniiber ist es aber nun recht beachtlich und entsprieht dem bei der Schmerzprfifung gefundenen Verh~ltnis yon H~ufigkeit der Emp- findung zur Reizsehwelle, da~ der Paticnt die Differenz zweier nachein- ander applizierter Temperaturreize auf der linken Seite gleich gut wie rechts unterscheidet, und zwar kaum weniger gut als ein Normaler.

Beriihrung. Die Untersuehung wurde mit punktf6rmigcn Reizen (Reizhaaren) ohne optische Kontrolle ausgefiihrt. Bei der Bestimmung der Reizschwelle ffir die verschiedenen Felder ergab sich hier schon eine auffallende Abhs der Resultate yon dem jeweilig erzielten Gradc der Aufmerksamkeit oder sagen wir besser, der Zuwendungsf~higkeit des Patienten, wie sie bei der entsprechenden Prfifung fiir Sehmerz nicht in Erscheinung trat. Und zwar hatte das fiir alle KSrperfelder seine Bedeu- tung, wenn auch fiir die der rechten Zone in geringerem Ma~e. Erst wenn der Patient auf jeden Reiz erneut hingewiesen wurde, ergaben sieh Sehwellenwerte, die bei sp~teren Prfifungen unter gleichen Bedingungen konstant blieben, und die dann einem zweiten Prfifungsgange zugrunde gelegt wurden. Die anf~nglich gefundenen Schwellenwerte lagen z. B. in den Hals- und Rumpffeldern der mehr betroffenen Zonen zwischcn Sp. 5--15 und in denen der rechten Zone zwischen Sp. 5 und 7,5. Die zuletzt ermittelten Schwellenwerte betrugen dagegen in den Fcldern des Gesiehtes beiderseits 1, am Halse beiderseits 2. In den Rumpffeldern der rechten Zone waren sie 2, in ~ sogar 1. In den kranken Zoncn des Rumples lagen sie aber trotz genauer Fixierung noch h6her und betrugen 3 oder 4, in Feld ~) und ~ sogar noch 5. Wurde der Reiz aber strich- fSrmig geffihrt, so wurdc der Schwcllcnwert in allen l%ldern reehts wie links schon mit Sp. 1 gefunden.

In einem weiteren Untcrsuehungsgang sollten nun ~hnlich wie bei der Schmerzprfifung auch hier wieder Durchsehnittszahlen ffir jedes Feld "daffir gefunden werden, w/e o[t bei Reizung in stets 2 Sek. Abstand der Reiz empfunden wurde. Gereizt wurde mit dcr ffir das jeweilige Feld zuletzt gefundenen doppelten Schwellenst~rke (bei Schwellcnwert Sp. 3 und Sp. 4 allerdings mit Sp. 7,5), auch diese Untcrsuchung mit jedes- maliger Anregung des Patienten, aufzupassen. Die so gewonnenen Dureh- schnittszahlen ergaben ffir die scitlichen Felder rechts ~ 1,5, an Rumpf und Extremit~ten zwischen 1,5 und 1,9, meistens 1,8; d. h. also: etwas mehr als jeder zweite Reiz wurde empfunden. Die unter gleichen

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Bedingungen am Normalen in entsprechenden Feldern gefundenen Zahlen waren fiir das Gesicht 1,0, im fibrigen lagen sie nahe bei 1,5, so dal~ also die gesundere Seite des Patienten bei dieser Priifung nur um ein Geringes hinter dem Normalwert zuriiekstand. Fiir die Felder der kr~nkeren Gebiete dagegen betrugen die Durchschnittszahlen zwisehen 2,5 und 3,7, am linken Oberarm 2,4 und am Unterarm 2,0. Hierfiir 4 Beispiele:

Durchschnittszahlen /iir punbt/6rmige Beri~hrungsreize mit doppelter Schwellensttirbe. (~-~ 3,2; ~ 3,5; ~ 3,1; ~) 1,5; | 2,9; @ 2,5; | 2,s; 1,6; @ 3,6; ~ 3,7; @ 2,5; @ 1,8; 2~) 3,0; 2~ 2,5; @ 2,5; @ 1,8;

Die Tastkreisuntersuchung zeigte wieder, ~hnlich wie bei der Sehmerz- priifung n~her ausgeffihrt, eine Abh~ngigkeit der Resultate yon dem Grade der jeweils gelungenen Zuwendung des Patienten zur Einzel- priifung. Jedenfalls dfirfte die bedeutende Streuung der Einzelwerte im gleiehen Felde bei stets lotrechter Priifung in den pathologischen Zonen und die geringere Streuung in der rechten Zone kaum eine andere Er- kliirung finden. Zwar war die Mehrzahl der Einzelresultate in allen 3 Zonen anniihernd gleich, und lag etwa zwischen 3 und 4 cm, doch kamen links und im Mittelgebiet in den verschiedenen Feldern gelegent- lich recht hohe Werte vor, wie sie sich reehts nie fanden (vgl. dazu das Beispiel).

Tastkreispri~/ung /i~r # zwei untereinander liegende Felder zusammenge/aflt, Werh~ in Zentimeter.

Li. (1--~-~)8; 4; 31/2; 4; 5; 6; 3; 31/2; 4. a; 5; s; 5; 41/2; 31/2; 5; 31/2.

Mitte | ( ~ ) 3 ; 3; 4; 4; 9; 5; 3; 6; 4.

Re. 16(T~-~) 4; 4; 31/2; 4; 4; 3; 4; 4; 3.

Wie aus den bisherigen Versuchen hervorgeht, scheint es zun~chst so, dab die vorliegende Dysfunktion sich nicht in dem organischen Kom- plex erschSpft, der der wechselnden, jedenfalls gestSrten Zuwendungs- f~higkeit des Patienten zugrunde liegen mag. Vielleieht drficken wir das aber doch besser vorsichtig aus, indem wir sagen: Die mit punktfSrmigen Reizen gefundenen Untersuchungsergebnisse liel~en sich durch Hebung der besonders linksseitig bestehenden Zuwendungsschwierigkeit 'wesent- lich n~her an normale Werte heranbringen; rechts gelang das oft sogar bis zu fast normalen Werten. Damit sagen wir fiber den aueh dann noch auf der linken Seite und im Mittelgebiet bestehenden Fehlerrest niehts Definitives aus. Denn wir kSnnen noch nlcht wissen, ob dieser Rest in seiner Bedeutung vlelleicht identiseh ist mit einer nach links zu immer

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noch bestehenden, aber praktisch nicht weiter zu behebenden Zuwen- dungsst5rung. Nach den yon v. Weizsiiclcer entwickelten Ideen fiber den Funktionswandel ha~ ein solcher Gedanke durchaus seine Denkbarkeit.

Bei den folgenden Untersuchungen, die auf das Verhalten komplexer Emp/indungen der Gestalter/assung und ~hnliches abzielen, begegnen wir der Abh~ngigkeit der Resultate yon dem Grade der Zuwendung weniger in dem bisherigen Sinne einer graduellen Abstufung als vielmehr in dem einer verstehbaren Alternative. Der Patient gibt auf die Frage : Wie oder was war das ? entweder an: Er habe zwar etwas geffihlt, aber nicht au/- geTa[3t; oder die richtige Erfassung ist abh~ngig yon einer bestimmten Gr6Be der zu erkennenden Figur, die auf die Haut geschrieben wird.

Die Unterscheidung yon bogenfSrmigenoder geraden Linien gelingt ibm auf der seitlichen Zone rechts in anns normaler Weise. In den abgeiinderten Zonen mul3 L~nge oder Ausdehnung dieser Linien min- destens um etwa 1/a gr613er sein als die unteren Grenzwerte rechts, um fiberhaupt zur Unterscheidung zu ffihren. Unterhalb wie oberhalb dieser Gr613e aber miissen die Prfifungen links und im Mittelgebiet oft wieder- holt werden, da der Patient nicht immer eine Antwort gibt.

Dieses Verhaltnis der Mindestgr6]en, die die zu erkennenden Figuren rechts bzw. links haben mfissen, vergrSbert sich, sobald schwieriger zu erkennende Figuren, etwa Zahlen geprfift werden. Rechts wird die Zahl fast immer erkannt oberhalb yon einer Gr6fle von 11/2 cm, links und im Mittelgebiet dagegen betragt die Mindestgrenze 61/2--7 cm. Bei darunter liegenden GrSBen gab der Patient teils an: Er wisse es nicht, teils er habe nicht aufgepaBt. Darfiber aber werden auch alle Zahlen, selbst schwierigere, wie 2 und 7, erkannt, soweit ihm die Zuwendung gelang.

Vielleicht gehen wir nicht fehl in der Annahme, da2 flit den Patienten die Unterscheidung bzw. Erkennung dieser Objekte fiberhaupt nur bei optimal gelungener Zuwendung oder eben gar nicht gelang. Hierffir sprieht jedenfalls das gerade bei diesen Prfifungen auch oberhalb der MindestgrSBe haufige Versagen des Patienten und andererseits das kaum einmal beobachtete Verweehseln yon Zahlen innerhalb der pathologi- schen Zonen, sobald die erforderliche Zuwendung fiberhaupt gelang. Dieses Verwechseln kam bei ihm jedenfalls seltener vor als im Durch- schnitt beim Normalen.

Die an sich aber auch bei diesen Prfifungen gegebene fehlerhafte Diffe- renz zwisehen den kranken und gesunderen Gebieten werden wir nun mit Recht in verwandte Beziehung zu bringen haben zu dem obengenannten Fehlerrest bei punktfSrmigen Reizungen, der dabei auch bei optimaler Zuwendung blieb. Hier aber zeigt diese Differenz eine interessante Ab- hangigkeit ihrer GrSfle yon der Kompliziertheit der zu erfassenden Figur. Und das rfickt sie doch - - wenn auch auf etwas anders zu denkendem Wege - - in die Nahe des Faktors der gestSrten Zuwendung, wenn wir

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folgendes dabei iiberlegen: Bei der Unterscheidung zwischen krumm und gerade ist eine solche rein per exelusionem m6glieh, d. h. es geh6rt nicht unbedingt zur L6sung der Aufgabe, in welehem Sinne das Krumme vom Geraden abweieht. Jedoch bei der Erkennung yon Zahlen, bei der es einer kontinuierlichen spezifischen Bewertung bedarf, versagt der Patient schon eher. Doch ist diesem Versagen abzuhelfen durch eine Vergr61~e- rung der Figuren. DaB der Pat ient beim Erkennen auch geniigend groBer Zahlen auf der linken Seite besonders darm noch versagt, wenn diese sehr langsam geschrieben werden, wiirde auch fiir die Bewermng der vor- liegenden Eigentiimlichkeit in unserem Sinne spreehen.

Die weitaus gr6Bte Zuwendungsst6rung land sich bei dem Patienten bei folgender Priifung: Es wurden zwei gerade Linien untereinander gezogen, die rechts wie links die gleiche L/~nge yon 12--13 em batten, davon wurde die erste, wie dem Patienten auch gesagt wurde, stets hori- zontal gezogen. Der Patient sollte nun nur angeben, ob die zweite parallel zur ersten oder niehtparallel verlief. Auf der rechten Seite gelang ibm das meist mfihelos, und die beiden Linien wurden auch jedesmal als nicht- parallel bezeichnet, sobald die untere mehr als 5o--7 o yon der parallelen abwich. Links und im Mittelgebiet dagegen erhielt man, obgleieh der Patient vor jeder Einzelpriifung erneut zum genauen Aufmerken auf- gefordert wurde, unter 5 Malen 4 mal die Antwort: ,,Ich babe nicht auf- gepeBt". Ganz selten entschloB er sich fiberhaupt zu der Antwort: ,,Parallel", gab dann abet auf eine diesbeziigliche zweite Frage zu, es nicht genau zu wissen. Erst bei einem Abweichen der zweiten Linie yon mehr als 30--35 o gab er 6fter die bestimmte Antwort: ,,Nicht parallel".

Wenn nicht sehon in den friiheren Versuchen, so muBte es besonders im letzten auffallen, dab der Patient trotz dauernden ttinweises yon sich aus beim Versagen viel 6fter die Antwort gab, nicht aufgepaBt zu haben als die, es nicht zu wissen, bzw. es nieht unterseheiden zu k6nnen, und dab er eigentlich nie eine positive falsche Antwort gab. Diese spontane Angabe, nicht aufgepaBt zu haben, erfolgte aber bei Priifungen sowohl unterhalb als auch oberhalb der jeweiligen Grenze, yon der an aufwArts der Patient iiberhaupt imstande war, richtig zu unterseheiden.

Wit werden also wohl doeh gen6tigt sein, die uns in alien mitgeteilten Versuchen begegnende Grenze, fiber die hinaus die geschws Lei- stungen auf der linken K6rperh/~lfte und im Mittelgebiet nieht gehoben werden k6nnen, als identisch zu betrachten mit der H6he, bis zu welcher die gestSrte ZuwendungsfKhigkeit in den entsprechenden Gebieten iiber- haupt gebraeht werden kann. GewiB k6nnte das Ergebnis des letzten Ver- suches, der in seiner Einfachheit offenbar die gleiche Fehlleistung wie beim Zahlenerkennen irgendwie noeh verdeutlicht, Veranlassung geben, noch etwas nAher auf die Qualit/~t der St6rung einzugehen, doch fiihle ieh mieh dazu noeh aul~erstande. Aber aueh ohne das kann hier sehon die n~chste

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] ] 0 Konrad Zucker:

Konsequenz gezogen werden, daB die gefundenen StSrung, wie sie sich, je nach unseren Fragestellungen und Untersuchungen verschieden often- baren, wesensverwandte Ausdriicke liir die gleiche Funktionsabdnderung sind.

Weiter ist nun zu berichten, daB bei dem Patienten das Material- erkennen mit der linken Hand gestSrt war, wenn auch nicht grob; rechts gelang es immer, allerdings etwas langsamer als beim Normalen. Man sah bei dieser Prfifung, daB der Patient den in die linke Hand gegebenen Gegenstand kaum hin- und herbewegte, das erschien um so auffallender, well er bei spontanen Hantierungen (Anziehen, KnSpfen, Kartenspielen, Erfassen und Behandeln kleiner Gegenst~nde) die linke Hand nicht nur nicht vernachl~ssigte, sondern sich ihrer genau so bediente wie der rechten Hand, so daB bei solchen feineren Hantierungen die klinisch linksseits st/~rker extrapyramidalen St6rungen nicht deutlicher hervortraten. Man wird in diesem Zusammenhange an ein anderes Mii3verh/~ltnis in der Motorik yon vielen typischen encephalitischen Akinetikern erinnert, das auch dieser Patient in hohem Mal3e links zeigte, und das jetzt einem Verstiindnis auf andere Weise wie bisher zugefiihrt wird: Bei der Praxis- prtifung am Objekt fiel bei ihm beiderseits nichts Besonderes auf. Bei Praxispriifungen ohne Ob]ekt jedoch liefen die symbolischen Handlungen zwar so ab, daB man am Gelingen des Handlungsentwurfes im groben keinen Zweifel haben konnte; doch fielen alle feineren Bewegungen der Finger dabei fort. :Nun, das ist gewiI3 keine neue Beobachtung an Ence- phalitikern; jedoch sie rein aus dem Motorischen heraus zu erkl/iren, indem man bei der Akinese als letzt Gegebenem halt macht, bedeutet einen Verzicht auf weiteres Verst/s Zun/ichst sei daran erinnert, daB wir ein ahnliches Miitverh~ltnis bei den beiden Praxispriifungen auch an weniger differenzierten Normalen erleben, wodurch uns das hier nur stark vergr6berte Verhalten noch leichter verst/indlich wird. Bei Handlungen am Objekt gibt das Letztere schon durch die voraufgegangene sinnliche Erfassung (optisch oder taktil) den richtungsfixierenden Faktor fiir den weiteren Handlungsablauf im einzelnen ab. Bei Handlungen ohne Objekt dagegen ist der Handelnde auf sein diesbeziigliches Vor- stellungsmaterial allein angewiesen; und schon beim Normalen kommen dabei gar nieht unbedeutende Ausf/~lle an zahlreichen kleinen Bewegungen zustande, die im anderen Falle dutch die Veri~nderung des Objektes in der t tand hervorgerufen und gesteuert werden. Wir k6nnen in solchen Versuchen auch sehen, daB je weniger Vorstellungsmaterial jemand mit in die symbolische Handlung hineinbringt, um so oberfl/ichlicher und mit um so grSBerem Mangel an feineren Bewegungen diese abl/~uft. Wenn diese Beobachtung bei den l%axispriifungen auch bei den Encephalitikern von Bedeutung sein soll, dann miil3ten wir erwarten, daB die taktilen und kin/~sthetischen Vorstellungsm6glichkeiten z. B. bei unserem Patienten besonders linksseitig gestSrt sein miil3ten. Wir werden gleieh sehen, daB dem tats/tchlich so ist.

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Sensibilitat und sensible Vorstellungen bei chronischen Encephalitikern. ~[~[ 1

Um yon bier aus wieder auf das erschwerte Materialerkennen des Patienten mit seiner linken Hand zu kommen, ist folgendes zu sagen: Wir wissen, dab in jeden Wahrnehmungsakt auBer den eigentlichen Empfindungselementen noch an@re Faktoren eingehen, die yon den verschiedenen :Forschern je nach ihrer Tendenz zu psychologischer oder physiologischer Betraehtung verschieden aufgefaBt und benannt werden. (Meinender Akt + raumzeitliche Orientierung: Jaspers . Virtuelle Be- wegung: Stein). - - Des besseren Verst~ndnisses wegen fiir unten zu berichtende Erscheinungen seien sie hier zum Unterschied yon empfin- dungsm~13igen als vorstellungsm~Bige Faktoren bezeichnet, ohne welche eine Orientierung am Obiekt und dessen abgeschlossene Wahrnehmung unmSglich ist. Im normalen Erleben begegenen wir einem solehen Zu- stand kurzfristigen Fehlens zugehSriger vorstellungsm~Biger Faktoren oftmals dann, wenn wir z .B. einen Gegenstand suchen, den wir vor Augen haben, aber nicht erkennen, woffir man den Ausdruck gebraucht : Den Wald vor lauter B~umen nicht sehen. - - Wie nun schon angedeutet wurde, hat unser l~atient solche irgendwie geartete Vorstellungsschwierig- keiten in bezug auf die taktile Sphere innerhalb der pathologischen Zonen. Ihm sagt also ein in die linke Hand gegebener Gegenstand so lange nichts, als seinem Mangel an Vorstellungsmaterial ffir taktiles Erkennen nicht entgegengekommen wird. Das kann einmal dadurch geschehen, dab er das betreffende Objekt zuerst optisch erfaBt, oder aber dab man ihm ~hnlich wie in frfiheren Versuchen ,,Aufmerksamkeits"hilfen gibt. Werden ihm n~mlich 4 FlaschenstSpsel nacheinander in die linke Hand gegeben mit der vorherigen Bemerkung, einer sei aus Holz, ein anderer aus Gummi, ein drifter aus Korken, und einer aus Glas, so gelingt es ihm, den Korken. oder GummistSpsel richtig zu bezeichnen.

Zu der hier angestrebten Betrachtung noch eine Bemerkung: GewiB kSnnen wir sagen, der Patient erkennt das Material vielleicht deshalb nicht, weil er ~vegen seiner Akinese zu wenig den Gegenstand hin- und herfiihrt, u n d e r kann andererseits Handlungen ohne Objekt deshalb nur im groben richtig ausffihren, weil seine Akinese ihn hindert, ohne zwingen- den Grund feinere Einzelbewegungen auszuffihren. Im Prinzip ist gegen eine solche Betrachtung ebensowenig einzuwenden wie gegen eine an@re, sofern beide konsequent sind. Wir m5chten nur der hier erSrterten den Vorrang geben, weil sie unserem Erkl~rungsbedfirfnis in grSBerer Breite entgegenkommt, und weil mit ihr noch andere Auffs gleichsinnig verstanden werden ]~Snnen.

Doch wenden wir uns zun~chst den Vorstel lungsschwierigkei ten zu. Der Patient wurde zu Anfang ffir Vorstellungsaufgaben erst etwas eingefibt. Er muBte etliche Versuche machen, sich Situationen, bekannte Personen und schlieBlich einfachere und schwierigere Gegenst~nde optisch vor- zustellen, was ibm, wie er immer wieder versicherte, gut gelang. Taktile und kin~sthetische Vorstellungen jedoch gelangen ibm nur in bezug zu

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l 12 Konrad Zucker:

seiner rechten Seite. Fiir die linke und das Mittelgebiet erkl/~rte er immer wieder, er k6nne das nicht. Da kormte er sich nicht vorstellen, gestochen oder verbrannt zu werden, aueh nieht, dab z. B. ein K/~fer v o n d e r linken Schulter den Arm herunterlaufe. Auch mit der Hilfe, dab ihm ein flacher Gegenstand auf die linke Seite gelegt wurde - - den er fiihlte - - , gelang es ihm nicht, sich vorzustellen, dab dieser Gegenstand w/~rmer oder heiB werde. Alle Aufgaben wurden vorher oder nachher rechts ausnahmslos als gelSst angegeben. Recht bezeichnend ist dann noch folgender Ver- such : Auf der rechten und linken Seite wurde je eine Stelle deutlich beriihrt und der Pat ient aufgefordert, sich vorzustellen, dab yon rechts nach links ein stark fiihlbarer Strich gezogen werde, Patient antwortete nach 1/~ngerer Zeit: ,,Nein". - - (Ging es gar nicht ?) ,,Doch, aber da verliel3 reich der Gedanke." - - (Hatten Sie da den Auftrag vergessen ?) ,,Nein, ich konnte nur nicht weiter." - - (Bis wieweit kamen Sie denn ?) Pat ient zeigt ann~hernd genau auf einen Punkt, der in der objektiv gefundenen Grenze der St6rung auf der rechten Seite liegt. Der Versuch wurde zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen HShen mit dem gleiehen Resultate wiederholt. Der Patient konnte sich aber auch nicht seine linke Hand vorstellen. (,,Eine linke Hand ja, aber nicht meine.") Eben- sowenig war es ihm mSglich, sieh Bewegungen seiner linken Extremi- t/~ten vorzustellen. Dagegen konnte er sich vorstellen, dab er sich mit seinem rechten Zeigefinger in die linke Hand tippte, und gab aueh an, sich diese Beriihrung selbst, also nicht nur den Bewegungsablauf, vor- stellen zu k6nnen. Umgekehrt versagte er dabei.

Daft iibrigens diese halbseitigen Vorstellungsschwierigkeiten offenbar spezifischer Natur und nicht etwa im Sinne eines irgendwie bedingten Verzichtes des Patienten zu deuten sind, ergibt sich aus optischen Vor- stellungsaufgaben, die mit der Bedingung gegeben wurden, dab der Pat ient sich zuvor in Gedanken das rechte Auge zuhalten und sich alles als nur mit dem linken gesehen vorstellen sollte, was er jedesmal zu kSnnen bejahte.

Bedeutende Unterschiede bestehen nun aber zwisehen der hier vor- liegenden Erscheinung und dem Zustandsbilde, das unter dem Begriffe der halbseitigen StSrung oder des Verlustes des K6rperschemas ver- standen wird. Bei diesem haben die betreffenden Patienten auch keine taktilen oder kin/~sthetischen VorstellungsmSglichkeiten ffir die fragliche KSrperh/~lfte mehr. Aber ganz abgesehen yon anderen unterscheidenden Einzelheiten spielen bei unserem Patienten diese halbseitigen Vorstellungs- schwierigkeiten offenbar keine entscheidende Rolle mehr, sobald er sich bewegt. ~ So lokalisiert er bei geschlossenen Augen sowohl nicht nur mit dem rechten, sondern auch mit dem linken Zeigefinger alle nur sprachlich bezeichneten K6rperstellen der unterempfindlicheren Zonen sofort und geniigend genau. - - Von gleicher Bedeutung ist dann auch die Tatsache, dab die links bestehenden Vorstellungsst6rungen fiir Tak~iles

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Sensibilit~t und sensible Vorstellungen bei chronischen Encephalitikern. ] 1~

und Kin~sthetisches dureh passive Bewegungen des linken Armes er- heblich gebessert werden.

Wenn wir woUen, k6nnen wir also sagen, daft dutch irgendwie ver- anlaflte Bewegungen bzw. mit dem dadurch verbundenen kindsthetischen Vorgang das linksseitige K6rperschema bei ibm in toto aktiviert wird, wdhrend es liar rein vorstellungsmdflige Funktionen verblaflt ist. Ich sagte: Irgendwie veranlaBte Bewegungen. Man kann daraus die Forderung folgern, dab dann zitternde Encephalitiker selbst bei sonst erheblicher Akinese solche Vorstellungsschwierigkeiten nicht haben dfirften. Am Schlusse der Arbeit werden einige andere Fi~lle in Kfirze vorgetragen werden, aus denen hervorgeht, dab diese berechtigte Konsequenz zutrifft, d. h. daft durch das Auftreten eines Tremor die taktilen Vorstellungs- schwierigkeiten wesentlich geringer sind. Bei beiderseits gleiehm~Big bestehendem Dauertremor habe ich aber auch diese Form der Sensi- bilitiitsverh~ltnisse bislang nicht sicher feststellen k6nnen, die ieh - - wie nochmals hervorgehoben werden soll - - deutlieh nur bei nicht zitternden und dann stets auf der motorisch starker betroffenen Seite land (d. h. mit st~rkerer Akinese und st~rkerem Pseudorigor)1.

Wie eng fibrigens auch andere Vorstellungsabl~ufe, in denen das kin- iisthetische Moment die Hauptrolle spielt, an den veritnderten Bewegungs- ablauf bei Akinetikern geknfipft sind, geht aus Versuchen hervor, die ich vor Jahren bei solehen Patienten mit erheblicher Bradylalie anstellte, und die da zeigten, dab diese Patienten solehe Reihenleistungen, wie Zi~hlen oder das In-Gedanken-Hersagen der Woehentage, um niehts schneller zu erledigen imstande waren, als wenn sie sie wirklich aus- gesprochen hiitten. Daran konnte aueh der Versuch, sie einzufiben, nichts ~ndern. Dahingegen zeigten viele Kontrollversuche bei den gleiehen Patienten, dab der optische Vorstellungsablauf einer zuvor erz~hlten Episode, die viele und rasch ab~ndernde Einzelheiten enthielt, so schnell und gut gelang wie einem Normalen.

Durch die bisher gegebenen ErSrterungen werden nun auch die Ergebnisse der noch zu erw~hnenden Lokalisationsprfifung verst~ndlieh, die bei AugenschluB vorgenommen wurden, und bei der der Pat ient die vom Untersucher berfihrte KSrperstelle (rechts mit der rechten, links mit der linken Hand und nachher fiber kreuz) mit einem kurz gefai3ten Griffel zu bezeichnen hatte. Im allgemeinen waren die Unterschiede zwischen der kranken und der normaleren Zone nicht sehr bedeutend:

1 Man tut besser, bei dem Tonuszustand der Encephalitiker, der meist nur aus dem Wechselspiel yon Fixations- und Adaptionsspannung besteht, yon einem Pseudorigor zu sprechen im Gegensatz zum echten Rigor, der entweder isoliert, aber auch mit Pseudorigor zusammen sich hi~ufig bei Parkinsonzust~nden der Para- lysis agitans, der Arteriosclerosis cerebri und der Lues cerebri finder. Einen echten Rigor bei der Encephalitis lethargica sah ich nur selSen bei alten und sehr fort- geschrittenen F~llen.

Z. f. d. g. Neut . u. Psych. 140. 8

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1 ][ 4 Konrad Zucker:

Im Gesicht und am Halse war gar keine Differenz, und in den Rumpf- feldern war das Verh/iltnis der Zentralwerte yon links zu rechts --~ 3 zu 2 cm Genauigkeit. Das Wesentliche in den Ergebnissen beruht aber darin, dab der Patient um so genauer lokalisierte, zu je schnellerer Be- wegung er dabei veranlal3t werden konnte. ~berliel3 man ihm das Tempo selber, so bewegte er den lokalisierenden Arm langsamer, und die Genauig- keit wurde im Durchschnitt deutlich schlechter. Das traf auch fiir die Felder der rechten Zone, wenn auch in geringerem Umfange als ffir die der linken und der Mittelzone zu. Bei den Bedingungen dieser Prfifung kommt die Hilfe sozusagen yon zwei Seiten: Einmal wird die zu bezeich- nende K6rperstelle wirklich gereizt, und der Patient ist nicht mehr auf rein vorstellungsm~ti3ige Orientierung angewiesen, und weiter wird, wie schon gezeigt, das K6rperschema durch Bewegungen fiberhaupt aktiviert. Dariiber hinaus wiirde aber aus diesem Versuche zu folgern sein, dab diese Aktivierung um so lebhafter wird, je schneller die Bewegung aus- geffihrt wird. Abgesehen davon, dab wit im normalen Geschehen hierzu Parallelen haben, diirfte dieses Abh~ngigkeitsverhitltnis nach dem bisher Mitgeteilten kaum anders erwartet werden.

Die mit der ,,Sensibilitittspriifung" begonnene und fiber zentrale Vorg~nge bis zum motorischen Verhalten fortgesetzte Untersuchung nStigte uns eine Betrachtung des Gesamtvorganges bei diesem l~atienten auf, die die vorhandene Abwandlung unter einem Gesichtspunkte ver- stehen lieB. Alle Einzelerscheinungen: Die Sensibilit/itsstSrung, die Vor- stellungsschwierigkeit f fir Taktiles und Kinitsthetisches, die Akinese bzw. die Erschwerung der I)raxis ohne Objekt und wieder alles in seinem schwankenden Abhs voneinander k6nnen wir ver- stehend einigen unter dem Begriffe einer Zuwendungserschwerung, die ffir diesen und ~hnlich gelagerte FMle charakteristisch ist. Dal3 sie in lmserem Falle halbseitig stitrker waren - - denn die rechte Seite erwies sich ja auch nicht als normal - - erleichterte uns einerseits ihre Auf- findung, andererseits offenbarte sie dadurch deutlicher als in Fallen mit beiderseits gleich starken Sch~digungen (vgl. unten) ihr eigenartiges Verhalten, weir fiber die Mittellinie hinauszugehen, wodurch ihr auch ein gewisser praktisch diagnostischer Weft zukommt.

Es ist allerdings nicht ganz leicht, mit der bier verfolgten Betrachtung lokalisatorische Gesichtspunkte zu verbinden, wenn man auch aus mancherlei naheliegenden Grfinden eine Thalamusschiidigung als eine Bedingung fiir diese Ver~nderung anzunehmen berechtigt sein wird, zumal die Ver/inderungen bei der chronischen Encephalitis lethargica, abgesehen yon der Substantia nigra im Thalamus am konstantesten sind. Andererseits sind Sensibilitiitsst6rungen mit diesem eigenartigen Schema als Ausdruck einer Thalamusschadigung bislang nicht beschrieben worden; wogegen sich wiederum geltend machen lieBe, dab sie leicht zu fibersehen sind, und dann, dab die als thalam~r bedingt beschriebenen

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Sensibilit/~tsstSrungen sich meist wohl auf F/~lle mit gr6beren herdfSrmigen Erscheinungen beziehen. Schliel31ich wissen wir ja, dal3 gerade in diesen in Frage kommenden Hirngebieten oft nicht so sehr die eigentliche Lokalisation als vielmehr die Art des Prozesses yon ausschlaggebender Bedeutung ffir die klinischen Erscbeinungen sein kann. So kann man, ohne diese Frage damit zum Abschlul3 bringen zu wollen, annehmen, dab eine in ihrer Art ffir die Encephalitis lethargica charakteristische Thalamussch/~digung eine Bedingung zum Zustandekommen dieses Zu- standsbildes sein wird.

Bevor wir die Besprechung dieses besonderen Falles abschlieBen, miissen wir uns noch fragen, wie der Patient yon sich aus diese bislang mehr objektiv bewertete Funktionsab/~nderung erlebt bzw. bewertet. Bei den ersten orientierenden Fragen gewinnen wir bei ihm den gleichen Eindruck wie bei vielen anderen akinetischen Encephalitikern, n/~mlich dab der Patient sich wohl irgendwie ver/mdert bzw. insuffizient fiihlt, aber yon sich aus darauf nicht zu sprechen kommt. Es ist bezeichnend, dab er spontan lediglich angab, unter seinen Schauanf/~llen zu leiden, also Zust/~nde, die noch nicht mal jeden Tag auftraten. Auch Encepha- litiker, die nur zeitweilig zittern, hSren wir meist einzig oder doch haupts/~chlich und zuerst fiber ihren Tremor klagen und erst sp/~ter oft sogar auf direktes Fragen erst, fiber ihre Akinese (,,Langsamkeit, Mattigkeit").

Hinsichtlich seiner Hyp/~sthesie verhielt sich der Patient /~hnlich. Spontan wul3te er fiber sie ebensowenig wie fiber ihren anderen Ausdruek, als halbseitige Aufmerksamkeitsst6rung, etwas anzugeben. Erst sp/iter /~ul3erte er, auf direkte Fragen: Er habe wohl links ein anderes Gefiihl wie rechts, er wisse wohl davon, aber er denke oft nicht daran; es babe sich etwa seit 1929 ganz allm/~hlich eingestellt. Auf die Frage, warum er denn das nicht einem der Arzte gelegentlich der 5 frfiheren Unter- suchungen und Begutachtungen gesagt habe, antwortet er: Er habe nicht daran ge dacht, k6nne sich dariiber auch nicht richtig ausdriicken, er fiihle links nur so unsicher. Nun, im Effekt sag~ uns dieser Patient insofern nichts Neues, als er die Tatsache mit vielen anderen, im prakti- schen Sinne des Wortes nicht dementen oder psychotischen Hirnver- /~nderten teilt, die ihren Defekt iibersehen oder doch nichts N/~heres darfiber zu sagen wissen. Aber wie gesag~: Im Effekt zun/~chst. Wir k6nnen mit Recht vermuten, dab ein ~bersehen oder ein Nichteingehen- k6rmen auf den Defekt je nach Lage des Einzelfalles auf versehiedene Weise zustandekommt. Wie es bei unserem Patienten dazu kommt, das k6nnen uns wohl die vorgetragenen Untersuchungen und die daran gekniipften tJberlegungen zeigen; wir wollten aber auch noeh sehen, ob und wie sich das im rein subjektiven Erleben des Patienten spiegelt. Zun/~chst besteht ja im Gegensatz zu manchen corticalen St6rungen bei ihm gar nieht eine Ur~m6"glivhkeit, auf seinen Defekt einzugehen. Dieses

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Eingehen ist nur irgendwie erschwert. Wie, das drfickt der Patient fiir unsere Frage geniigend pr/~zise aus, indem er sagt: ,,Er denke oft nicht daran u n d e r k5nne es nicht richtig ausdrficken." Wir h/~tten jetzt nur zu erh/~rten, dab der Pat ient diese WorSe doch anders meint, wie sic etwa ein anderer Kranker z. B. ein Tabiker oder Poliomyelitiker, meinen wiirde, der natiirlich auch nicht jede Minute seinen Defekt bewut t erlebt, und wir h/s uns zu fragen, ob eine n/~here yon ihm ausgehende, wenn auch nicht sprachliche, Pr/~zisierung sich irgendwie deckt mit unserer mehr objektiv gerichteten Erkl/~rung. Es wurde deshalb im An- schlul~ an die obenerw/~hnte Unterhaltung dem Patienten der Auftrag gegeben, mit Blaustift selbst an seinem KSrpcr anzuzeichncn, wie weit dieses ,,andere Geffihl" reiche. Er wurde dann auf eincm Stuhl sitzend sich selbst fiberlassen und aus einiger Entfernung beobachtet. Je tz t zeigte er folgendes Verhalten: Zuerst sal3 er einen Augenblick den Stilt in der halb erhobenen rechten Hand ruhig da; dann lieB er den Arm sinken, erhob ihn nach einigen Sekunden wieder, setzte den Stilt an der Brust nahe der rechten Brustwarze an, lieB aber dann den Arm abermals sinken. SchlieBlich hob er ihn wieder, setzte an der gleichen Stelle an und machte einen ziemlich raschen, etwa 10 cm langen Strich nach ab- w/~rts, lieB wieder den Arm sinken und fuhr dann weiter fort, die Grenze an sich einzuzeichncn. In der Folge wurden zwar die gezeichneten Strecken 1/~nger, immer wieder aber hSrte er auf und lieB den Arm sinken. Ohne den Auftrag dazu erhalten zu haben, zeichnete er dann auch die Grenze zwischen der linken und der Mittelzone ein. Das ganze Ein- zeichnen dauerte 3 - -4 Min. und erfolgte in allen Phasen ohne Augen- kontrolle seinerseits, l~ber diescs auffallende Verhalten befragt, konnte er zwar nur wenig besagcnde Erkl/~rungen geben, wie: Es falle ihm schwer, u n d e r kSnne es nicht so genau; t rotzdem aber sagt uns das auch, ohne viel daran zu dcuten, genug. Eine Vermutung kSnnen wir allerdings nicht ganz entkr/fften, n/~mlich die, dab der Pat ient vielleicht um die Lage der gemeinten Grenzen wuBte, well sic bei der ersten Untersuchung (14 Tage zuvor) bei ihm yore Arzte eingezeichnet worden war. Man vcr- gleiche dabei aber doch noch das Schema das die objektiv gefundcnen Grenzen zeigt, mit dem Bilde, welches die vom Patienten selbst an- gezeiehneten Grenzen wiedergibt (Abb. 3), und man wird linden, dal3 der Pat ient die subjcktiven Grenzen nicht nur wesentlich welter bemiBt, sondern diese auch rechts wie links gleichm~Big symmetrisch ausfiihrt. Aber selbst, wenn der Pat ient um die Bedeutung der friiher vom Arzt eingezeichneten Grenzen wuBte, dann kann gerade mit der Annahme, dab dieses Wissen allein die Hand des Patienten fiihrte, das fibrige Ver- halten beim Anzeichnen gar nicht verstanden werden. Wir sehen aber wiederholt, wie der Pat ient in dem Moment, wo er den Arm hebt und den Stilt ansetzt, offenbar wieder unsicher wird, zSgert, ja das Zeichnen auf- gibt, um endlich und nur in Abs/~tzen weiterzukommen. Diese Schwierig-

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Sensibilit~t und sensible Vorstel|ungen bei chronischen Eneephalitikern. 117

keiten, die ohne weitere Kenntnis vielleicht mehrdeutig h~tten sein kSnnen, werden uns in ihrer Bedeutung aber klar, wenn wir sic eben als den subjektiven Ausdruck dessen sehen, was uns die mehr objektive Untersuchung an die Hand gab: Solange sich der Patient bewegungslos oder -arm verh~lt, blai~t fiir ihn zwar die Vorstel- lungssph~re fiir die mehr betroffenen Zonen ab, dadurch grenzen sich die- se aber aueh im subjek- riven Erteben deutlieher yon der rechten Zone einerseits und im rela- riven Verh~ltnis un~er- einander deutlicher ab. Sobald er sich aber be- wegt, wird die besagte Vorstellungssph~re akti- viert, das Grenzgeffihl da- gegen verblaB~.Beim end- lichen Einzeichnen ver- h~lt er sich dann wie beim Lokalisationsver- such. Wenn der Patient also sagt: Er denke oft nicht daran, so werden wir das als ffir ihn spe- zifiseh so zu verstehen haben, dab ihm sein De- fekt nicht immer mit der gleichen I)eutlichkeit (vom Defekt aus) gegeben ist. Wenn wir hiermit die Besprechung diesesFalles abschlieflen, so soll beton- terweise zugegeben wer- Abb. 3. den, da~ noch etliche Besonderheiten auch im engeren Rahmen dieser Besprechung ein n~heres Eingehen h~tten beanspruchen kSnnen. So z. B. die eigenartige Lage der Grenzen und, da~ der Patient diese selbst weiter anzeichnet, als die objektive Untersuchung sie fand, die Bedeutung der schildartigen Mitt~l- zone, ferner das Verh~ltnis der Gelenksensibilits und die Pall~tsthesie zu den fibrigen Qualit~tcn. Sicher sind das Dinge, die weitere Beob- achtungen ins Auge zu fassen haben werden, dessen Einflechten abet in

Z. f. 4. g. Neur . u: Psych. 140. 85

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] ] 8 Konrad Zucker:

die hier gegebenen Gedankeng~nge diese doch unnStig kompliziert haben wiirden. An erster Stelle fiir weitere und Nachuntersuchungen steht aber das Verhalten der Chronaxie. Zwar habe ich chronaximetrische Untersuchungen bei dem Patienten, der mir nur begrenzte Zeit zur Ver- fiigung stand, angestellt, kann aber, da ich in der Methodik nicht geniigend bewandert bin, nicht entscheiden, ob der Befund schwankender Chronaxie bei Konstanz der Rheobasenwerte als Ausdruck der pathologischen Funktion oder als technischer Fehler zu bewerten ist. Andererseits muB hervorgehoben werden, dab die Besonderheiten, wie sie der Patient bot, sicherlich selten giinstig lagen, um die hier gebotenen Einzelheiten her- auszuheben: Die stark betonte Differenz zwischen den beiden KSrper- seiten, die in der ,,halbseitigen AufmerksamkeitsstSrung" ihren recht intensiven Ausdruck land, und dann der Grad seiner Intelligenz, der ihn insofern richtig auf die Untersuchungen eingehen lieB, als er seine Fehl- leistungen nicht irgendwie zu verdunkeln trachtete, sondern die ffir uns so wichtige Tatsache, ,,nicht aufgepaBt" zu haben, zugab. Dieses alles ls ihn ganz gewiB als einen schSnen Schulfall, aber dennoch nicht als einen besonders gelagerten Einzelfall ansehen. Um das zu bekr~tftigen und um gleichzeitig zu zeigen, dab uns weniger deutliche Verh~ltnisse, wie wir sie vielleicht an anderen akinetischen Encephalitikern finden, nicht an der prinzipiellen Bedeutung des hier Vorgetragenen irre machen lassen dfirfen, vielmehr zu weiteren Fragestellungen ffihren kSnnen, seien nun noch andere F~lle mit Riicksicht auf ihre uns hier interessieren- den Besonderheiten kurz angefiihrt.

Fall 1. Heir. mannlich 42 Jahre. Encephalitis lethargiea, akuter Infekt 1921. Starke Akinese; st~rkster Pseudorigor beiderseits, reehts mehr als links. Kein Tremor. Propulsionen. Leise, langsame Spraehe. Sensibilit~tsprfifung ergibt deut- lichen 3-Zonencharakter zu ungunsten reehts. Erschwertes Materialerkennen beiderseits, rechts mehr als links. Naeh vorheriger Angabe, was ffir Materialien er in die Hand bekommen werde (viererlei), bezeichnet er die einzelnen prompt richtig. Bei Fraxis ohne Obiekt beiderseits nur Massenbewegungen ohne Einzelbewegungen der Finger. Fraxis am Objekt beiderseits nur gering verlangsamt. Vorstellungs- aufgaben: Optiseh alles auffallend prompt, Taktih Soll sich vorstellen, dab ein K~fer yon seiner rechten Aehsel fiber die Brust zur linken krabbelt. Gibt nach langerer Pause an, auf der rechten Seite gehe es nicht. Von da ab (zeigt handbreit links neben die Mittellinie) gehe es besser. Berfihrungsvorstellungen auf der Zunge gut. Am rechten Arm gelingt ihm keine Vorstellung. Links gehe es besser. Sobald der betreffende Arm w~hrend eines Vorstellungsversuches passiv bewegt wird, gelingt es ibm links noeh besser als zuvor und rechts ebenso gut wie links.

~ber diesen Fall ist wenig Neues zu sagen. Er gleicht noch am meisten unserem Hauptfall, nur dab seine linke Seite als die weniger betroffene, doch noch starker beeintr~chtigt ist als die gesundere bei jenem, was sich unter andcrem auch darin ~uBert, dab bei passiven Bewegungen auch links die taktilen Vorstellungsm6glich- keiten sich bessern kSnnen.

Fall 2. Ch. Niem., weiblich, 36 Jahre. Encephalitis lethargica. Akuter Infekt 1921. WeiB fiber ihre Krankheit weiter nichts anzugeben. Verwandte sagten ihr, sic sei langsamer geworden, und das stimme wohl auth.

Be/und. M~Bige Akinese, rechts etwas mehr als links, leichter aber deutlicher Pseudorigor rechts etwas mehr als links, Praxis ohne Objekt: Macht nur geringe

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Sonsibilit~t und sensible Vors~ellungen bei ehronisehen Eneophalitikern. 119

Einzelbewegungen und ist nicht yon der Tendenz abzubringen, mit der Hand selbst das zu behandelnde Objekt zu formen. Z. B. ,,trinkt" sic aus der hohlen Hand, beim Auftrag, symbolisch eine Tasse zu ergreifen und zu trinken. Beim ,,Geige- spielen" Milt nicht der linke Arm die Geige, trod der rechte den Bogen, sondern er stellt die Geige bzw. den Bogen dar. In der eigentlich verlangten Form kann sie nicht handeln, und bei Auftr/~gen, die diese Transformierung erschweren oder nieht mSglich machen, verhMt sie sich sehr zSgernd und fiihrt sic nur in groben Massenbewegungen aus, wie z.B. beim ,,GrfiBen eines Herren mit dem Hute", wobei sic nut die Hand flaeh auf den KopI bewegt. ~r relativ gering akinetiseh. Materialerkennen beiderseits leicht ersehwert. Sensibilit~t: Ffir Berfihrung und Tem- peratur nur angedeutete 3 Zonengrenzen, die f fir Schmerz dagegen deutlich sind. Gelenksensibilit~t beiderseits sehr gut. Optische Vorstellungen gelingen gut und prompt. Taktile Vorstellungen gelingen anfangs beiderseits gar nicht. Nach et- lichem Wiederholen gibt sie an, es gehe, aber sehr schwer (rechts ~ links). Bei passiven Bewegungen gelingen sie ihr yon Anfang an viel leichter und links dann noeh besser als rechts.

Hier linden wir also bei nur geringer Seitendifferenz der motorischen Ersehei- nungen eine nur ffir Schmerz deutlicher feststellbare 3 Zonendifferenz zu ungunsten der auch motorisch e~was starker betroffenen Seite. Die Vorstellungsschwierig- keiten ffir Taktiles, die auf beiden Seiten zun/ichst gleich deutlich vorhanden zu sein seheinen, erweisen sich bei passiven Bewegungen doch links als etwas leiehter als rechts.

Fall 3. E. Str., m~nnlich 25 Jahre, Encephalitis lethargica, akuter Infekt un- bekannt. Die motorischen Erscheinungen bestehen sicher sehon 8 Jahre. Reehts geringer, links sti~rkster Pseudorigor. Links auch zeitweilig mittelstarker Tremor. Retropulsionen. St/~rkste spontane Akinese. Bei Praxis ohne Objekt links nur grobe Massenbewegungen, rechts etwas differenziertere Bewegungen. Patient ist dabei ein recht guter Turner nnd macht als solcher allerlei Kunststfickchen, die gr6Bere Geschicklichkeit erfordern, springt z. B. im Gratschstiitz yon hinten fiber die Lehne auf einen Stuhl. Sensibilit~tsprfifung ergibt fiir alle Qualit~ten dent- lichen 3 Zoncneharakter zu ungunsten links. Vorstellungsverm6gen: Optisch alles auffallend lebhaft, gestaltet das Geforderte interessier~ selbst weiter aus. Taktil: Reehts bis handbrei~ neben der Mittellinie alles prompt, links und im Mittelgebiet gelingt ihm alles sehr viel schwerer und erst nach l~ngerer Zeit. Sobald aber die linke Hand zittert oder passiv bewegt wird, gelingt es ihm in den entspreehenden Gebieten ,,leichter und deutlicher" . . . . aber doch noch ,,schlechter als au] dr rechten Sr

Als besonderes ist hier nur die sehr groBe Differenz zwischen der Praxis mit und ohne Objekt bzw. das differente Verhalten seiner Akinese dabei beraerkenswert trod die Tatsache, dab die linksseitig bestehenden taktilen Vorstellungsschwierig- keiten durch Bewegungen zwar sicher erleichtert wcrden, aber doch nicht so weir, dab zwischen rechts und links kein Unterschied mehr bestiinde.

Fall d. C. Mehl., m/~nnlich, 39 Jahre. Encephalitis lethargica, akuter Infekt 1918 oder 1919. St/~rkster Pseudorigor und Tremor beiderseits. Starke Akinese, Retropulsionen. Hatte zeitweilig allerlei halluzinatorische und wahnhafte Erl~bnisse, die in letzter Zeit in den Hintergurnd traten. Praxis ohne Objekt: Nur grobe Massenbewegungen. Handlungen mit Objekt dutch den Tremor beeintriichtig~; bei seinen friiheren plStzlichen Angriffen auf die ~rzte war er jedoch sehr sehnell und geschickt und zielsicher im Schlagen. Die Sensibilit/itspriifung ergibt keine Differenz zwisehen rechts trod links. Bei Fixierung oder spontanem Sistieren des Tremors links fiir kurze Zeit maeht~ der Patient wechselnde und nnsichere Angaben. Taktile Vorstellungen sind w~hrend des Tremors beiderseits m6glich. Sobald der Tremor fiir kurze Zeit ganz sistiert, gelingen ihm taktile oder Bewegungsvorstellungen in der jeweiligen Extremit~t nicht. Die Grenze am Rumpf konnte dafiir nicht ermittelt werden.

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] 9.0 Konrad Zucker:

DaB die Beziehungen zwischen Tremor und VorstellungsmSglichkeit nicht immer so eindeutig wie in den letzten Fallen sind, zeigt der naehste.

Fall 5. A. Schn., weiblieh, 37 Jahre, akuter Infekt 1921. Reehts = links starker Pseudorigor und enormer, ganz grobschlagiger Sehiitteltremor beiderseits. M~Bige Akinese auch nach Ruhigstellung des Tremors dureh Scopolamin. Geringe Pul- sionen. Die Sensibilitatspriifung ergibt sowohl bei simultaner wie bei snkzessiver Reizung am konstanten Ort keine Differenz zwischen rechts und links; priift man jedoch mit vielen Einzelreizen yon der einen Seite zur anderen hertiber, so wird ffix alle Qualit~ten jeweils ein deutliehes Starkerwerden angegeben (spater sagt sie, ,,es werde anders"), und zwar egal, ob man yon links nach rechts oder um- gekehrt kommt, und das allemal mit konstant bleibenden 3 Zonengrenzen.

Weitere Priifungen, das Lokalisieren, das Erkennen yon auf die Haut geschrie. benen Zahlen, die Unterscheidung yon parallel oder nieht, ergeben beiderseits gleiche und vom Normalen nur gering abweichende Resultat~. Taktile Vorstellungs- aufgaben gelingen reehts wie links gleieh gut. Diese Ergebnisse ~ndern sich aueh nicht, wenn der Tremor durch Seopolamin zum Schwinden gebraeht wird. (Was allerdings rrieht vfllig gelingt, man sieht dann immer noeh einen leiehten Finger- tremor.)

Dieser Fall weicht yon dem bisher Mitgeteilten in maneherlei Be- ziehung ab, deren Kl~rung zum Teil sp/~teren Untersuchungen fiberlassen bleiben muB. DaB dabei der grobe Tremor, der nie spontan, sondern nur nach Scopolamin sistiert, eine zu beachtende Rolle spielen wird, kann nach unseren bisherigen Erfahrungen nicht yon der Hand gewiesen werden. Man wird aber andererseits zu fragen haben: Wieso denn bei Zugrundelegung unserer Auffassung das Bestehen eines Tremor und vorhandener Vorstellungsm5glichkeit mi t einer aueh dabei bestehenden Akinese vereinbar ist ? Darauf ist zu sagen, dab es im Rahmen unserer ErSrterungen iiberall nur auf graduelle Differenzen ankommt, wie wir das bereits mehrfach sahen. So wird die Akinese und der Mangel an Einzelbewegungen auch dureh den EinfluB des Objektes nie ganz behoben, wie aueh die Hypasthesie dutch optimale Fixierung nie vSllig der Norm angeglichen werden kann. Wenn wir nun auch in dem letzten Falle wegen der beiderseits gleichen Erscheinungen kein zwingendes Kri- ter ium dafiir haben, daB die als gelungen angegebenen takti len Vor- stellungen den Weft normaler MSglichkeiten wirklich erreichen, so linden wit ffir diese Frage eine ihrer Beantwortung gleich kommende Beobaehtung im Falle 2 und besonders in 3, dessen taktiles Vorstellungs- gelingen bei Auftreten des Tremor yon ihm selbst als ,,leichter und deut- licher", aber doch noch ,,schleehter als auf der rechten Seite" angegeben wird. Unseren Erwartungen entsprechend erhoben wir ja auch selbst bei diesem letzten Falle (5) bei der Sensibilitatspriifung einen 3 Zonen- befund. Von diesem kSnnen wir vorerst allerdings nur sagen, dab die Sensibilit/~tsverhaltnisse im Sinne unserer bisherigen Befunde an Aki- netikern beziiglich der Grenzen alteriert sind; denn diese StSrung t r i t t uns hier in einer, fiir die Lagerung dieses auf beiden Seiten gleich betroffenen Falles offenbar eharakteristischen Form lediglich als ein 3 Zonengeffihl entgegen, ohne dab wir yon einer relativen tIyp/~sthesie spreehen kSnnen.

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Sensibilit~t und sensible Vorstellungen bei chronischen Encephalitikern. 121

Was diesem 3 Zonengeffihl pathophysiologisch in diesem und anderen ahn- lieh gleichseitig betroffenen Fallen zugrunde liegt, bedarf noch weiterer Klarung.Wir linden ein entsprechendesVerhaltnis im nachsten Falle wieder, hier jedoch bei beiderseits gleichmaBig deutlieh gestSrter Sensibilitat.

Fall 6. E. Was., mannlieh, 44 Jahre, Encephalitis, akuter Infekt unbekannt, motorisehe Erseheinungen seit 7--9 Jahren. Beiderseits sehr erhebliche Akinese, rechts = links. Keine Pendelbewegungen. Kein Tremor. Beiderseits nur maBig starker Pseudorigor, rechts = links. Langsame leise Sprache. Sensibilitat: Gibt zunachst keine Differenz zwischen rechts und links an; wird aber der Reiz punkt- fSrmig, hintereinander quer fiber den KSrper geffihrt, so gibt er in jeder Richtung an, es werde starker bzw. anders, und zwar mit Grenzen im Sinne der 3 Zonen. Erkennen yon auf die Haut geschriebenen Zahlen beiderseits erst oberhalb einer GrfiBe yon 8--9 cm mSglich. Bei Praxis ohne Objekt beiderseits nur ganz grobe Massenbewegungen. 0ptische Vorstellungsaufgaben gingen auffallend rasch und deutlich und werden yon lebhaftem, sogar wechselndem Affekt begleitet. Der Patient klagt fiber optische Sinnestauschungen: Er sehe meist abends vor dem Ein- schlafen, wenn er die Augen schlieBe, einen Mann, der immer genau reehts neben ihm in einiger Entfernung stehe. -- VSllige taktile und kin~sthetische Vorsteliungs- unmSglichkeit, die nur auf der linken Seite dutch schnelle passive Bewegungen deutlich behoben wird. Mehrmals, sobald ihm taktile Vorstellungsaufgaben fiir die rechte Seite gegeben wurden, klagte er darfiber, dal3 jetzt wieder der Mann neben ihm st/~nde. Die Erscheinung schwand, sobald der Patient abgelenkt wurde, und sie trat nie auf, wenn der Patient mit taktilen Vorstellungsaufgaben ffir die linke Seite besch~ftigt war.

Soweit der Fall in den engeren Rahmen dieser Besprechung hinein gehSrt, ist an ihm das Besondere, dab er bei beiderseits gleich stark aus- gesproehener Akinese und beiderseits gleich stark gestSrten Sensibilitats- verhaltnissen auch beiderseits eine erhebliche StSrung der taktilen Vor- stellungssphare hat, die sogar nur links durch passive Bewegungen merk- lich behoben werden kann. I m fibrigen bietet er, wie schon vorweg genommen, bei der Sensibilitatsprfifung in einem gewissen Sinne ein ahnliches Verhalten wie die vorige Patientin. D. h. bei Einzelprfifungen rechts und links wird kein Unterschied angegeben, bei sukzessiven Prfi- fungen jedoeh quer fiber den KSrper wird ein Andersempfinden und zwar mit den 3 Zonengrenzen angegeben. Nun basiert in diesem Falle diese Erseheinung auf einer yon vornherein sehon deutlichen Herabsetzung der Sensibilitat, die aber, wie gesagt, beiderseits gleiche Intensi ta t hat. Welcher Art die bestehenden Beziehungen sind zwischen der auch durch passive Bewegungen nicht zu behebenden takti len VorstellungsunmSglieh- keit rechts und den stets rechts lokalisierten optischen Sinnestauschungen, das muB weiteren, speziell darauf gerichteten Untersuchungen fiber- lassen bleiben. I m Zusammenhang mit der bei den einzelnen Fallen schon mehrfach betonten Beobaehtung, daB die encephalitischen Aki- netiker fiber eine offenbar besonders gute optische Vorstellungsfahigkeit verfiigen, bleibt dieser Fall sicher beachtlich.

Endlieh noeh ein letzter l~all, der als Nichtencephalitiker mit einem kleineren Parietalherd rechts in mancher Beziehung unseren Fallen

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122 Konrad Zueker:

nahekommt , andererseits wegen charakterist ischer Untersehiede, die ihn yon jenen wieder abheben, hier Erw~hnung finden soll.

Pall 7. C. Wob., m~nnlich, 44 Jahre. Poliklinische Beobaehtung. Wird yon einer anderen Klinik zur neurologischen Untersuchung wegen seiner bestehenden ~mgstliehkeit geschiekt. Befund: l~undus und Hirnnerven rechts = links o.B. Kein Nystagmus. Keinerlei ataktische Erscheinungen. Keine motorisch oder sen- sorisch aphasischen Zeichen. Bezeichnen yon Gegenst~nden prompt. Sensibilit~t: Hyp~sthesie fiir Beriihrung, Schmerz, und Temperatur links am Halse, am oberen Rumpfgebiet his etwas oberhalb des Nabels, nicht ganz bis zur Mittellinie reichend und im ganzen linken Arm. Gelenksensibilit~t rechts o. B., links etwas herabgesetzt. Stcreognosis und Materialerkennen rechts o. B. ; links nur erschwert und verlang- samt, dann meist positiv. Keine Akinese. Gang mit normalen Pendelbcwegungen rechts ~ links. Rechts ~ links normale Ausdrucksbewegungen. Bei naeh vorn gestreckten Armen sinkt der linke herab, aber keine Konvergenzreaktion und kcine Pronationstendenz. Tonus: Geringe Hypotonie der linken Extremit~ten, sonst o.B. Sehnenreflexe an Armen und Beinen rechts ~ links positiv, keine spastischen Reflexe.

Deutliehe Apraxie des linken Beines. Linker Arm: Praxis am Objekt deutlich erschwert und umst~ndlich. Bei Praxis ohne Objekt macht er ]inks meist ratlose unsichere Bewegungen mit Einzelbewegungen, die zusammen nut selten einen Bewegungsentwurf im groben erkennen lassen. Reehter Arm diesbezfiglich o. B. Psychisch: Leichte _~mgstlichkeit und Ratlosigkeit. Etwas verlangsamte Auf- fassung, sonst o.B.

Bei geniigenden optischen und sicher guten taktilen und kin~sthetischen Vor- stellungsvermSgen in den sensibel normalen Gebieten hat der Patient eine vSllige Vorstellungsunm6gliehkcit in den hyp~sthetisehen Gebieten links, die weder dureh aktive noch passive Bewegungen zu beheben oder nur zu bessern ist. Dcr Patient wuBte nichts yon einer Hyp~sthesie oder yon einem Andcrsempfinden links (er wuBte nur yon einer ,,Schw~chc in der linken Hand"). Keine St6rung des links- seitigen KSrperschemas im eigcntlichen Sinne des Wortes. Er lokalisiertc die Grenze, yon wo ab er sich quer fiber die Brust gezogene Striche vorstellen konnte, 2 querfingerbreit neben die Mittellinie links.

Auch dieser Pa t ien t wies also eine einseitige geringe Hyp~sthesie, einseitige Ersehwerung der Praxis ohne Objekt (und eine geringere mi t Objekt) und eine taktile VorstellungsstSrung im entsprechenden Gebiete auf. Diese 3 Besonderheiten k~nnten sicherlieh auch bei ihm zusammen- gefaBt im Sinne einer einheitliehen Dysfunl~ion vers tanden werden. Aber w~hrend sieh bier die StSrung auf einer tieferen Basis sozusagen konsolidiert hat, liegt gerade das Typische der dieser nur ~u~erlieh ~hnlieh sehenden StSrung bei den Eneephali t ikern in der Tatsaehe des Sehwankens, in der MSgliehkeit ihrer zeitweiligen Hebung in Riehtung zur entsprechenden Normalfunkt ion. Diese Diffenrenz hinsichtlieh der MSglichkeit f indet sich ja bei genauerer Bet raehtung auch bei den je- weiligen Einzelerseheinungen, z. B. bei der Praxis ohne Objekt wieder. Der letzte Pat ient maehte dabei ratlose Massen- und Einzelbewegungen, deren Sinn kaum und oft gar nicht erkennbar war, ein Defekt, der auch bei der MSglichkeit einer Steuerung durch ein vorhandenes Objekt noch deutlieh blieb. Bei Encephali t ikern dagegen fehlen bei der Praxis ohne Objekt nur die Einzelbewegungen, die durch das evtl. vorhandene Objekt

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sofort wieder auftreten k6nnen, wie denn auch die weiteren Einzel- erscheinungen bei ihnen, soweit wir sie in den Rahmen einer einheitlich zu betrachtenden Funktion hineinbezogen (Akinese, ttypiisthesie bzw. AufmerksamkeitsstSrung fiir Hautreize, Vorstellungsst6rungen fiir Tak- tiles und Bewegungen) sich durch mehrerlei Mal3nahmen, die auch spontan vom Patienten ausgehen kSnnen (Affekte, optische oder psychi- sche Fixierung, ak~ive oder passive Bewegungen) als labil erwiesen und dadurch in ihrer Gleichsinnigkeit untereinander erkannt wurden.