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Seymour M. Hersh Atommacht Israel Das geheime Vernichtungspotential im Nahen Osten Aus dem Amerikanischen von Hans Bangerter, Gabriele Burkhardt und Karlheinz Dürr Droemer Knaur

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Seymour M. Hersh

Atommacht IsraelDas geheime Vernichtungspotential

im Nahen Osten

Aus dem Amerikanischen vonHans Bangerter, Gabriele Burkhardt

und Karlheinz Dürr

Droemer Knaur

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© Copyright für die deutschsprachige Ausgabe beiDroemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 1991'

© by Seymour M. Hersh, 1991Redaktionelle Bearbeitung: Dr. Ulrich Mihr, Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile isturheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts-gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung

in elektronischen Systemen.Umschlaggestaltung: Agentur ZERO, MünchenSatzarbeiten: Büro Dr. Ulrich Mihr, Tübingen

Druck und Bindearbeiten: Mohndruck, GüterslohPrinted in GermanyISBN 3-426-26592-3

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Für Elizabeth, Matthew, Melissa and Joshua.

Originaltitel: The Samson OptionOriginalverlag: Random House, New York

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Inhalt

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1 Ein Geheimabkommen . . . . . . . . . . . . 9

2 Der Wissenschaftler . . . . . . . . . . . . . 24

3 Die French Connection . . . . . . . . . . . 39

4 Erste Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . 53

5 Interne Kriege . . . . . . . . . . . . . . . . 65

6 Die Sache wird publik . . . . . . . . . . . 77

7 Doppelte Loyalität . . . . . . . . . . . . . . . 88

8 Ein Präsident kämpft . . . . . . . . . . . . 99

9 Jahre des politischen Drucks . . . . . . . 123

10 Die Samson-Option . . . . . . . . . . . . 136

11 Das Spiel wird fortgesetzt . . . . . . . . . 151

12 Der Botschafter . . . . . . . . . . . . . . 167

13 Eine israelische Entscheidung . . . . . . 181

14 Ein Geschenk des Präsidenten . . . . . . 191

15 Der Tunnel . . . . . . . . . . . . . . . . 204

16 Vorspiel zum Krieg . . . . . . . . . . . . 217

17 Nukleare Erpressung . . . . . . . . . . . 232

18 Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

19 Carters Unbehagen . . . . . . . . . . . . 268

20 Ein israelischer Atomtest . . . . . . . . . 281

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21 Der israelische Atomspion . . . . . . . . 295

22 Ein israelischer Aktivposten . . . . . . . 319

Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

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Einführung

Dieses Buch schildert den geheimen Weg Israels zur nuklearenAtommacht. Der Beweis wird erbracht, daß dieses Geheimnisden höchsten politischen und militärischen Kreisen der Vereinig-ten Staaten seit Eisenhower bekannt war, daß die israelischeAtomrüstung insgeheim gutgeheißen und verräterische Aktionenauf dem Weg zur Bombe bewußt ignoriert wurden.Viele höhere amerikanische Beamte werden zitiert. Sie berichten,was sie und seit wann sie es wußten. Häufig gaben sie zum er-sten Mal solche Stellungnahmen ab. Diese Menschen brachen ihrSchweigen nicht aus Feindseligkeit gegenüber der israelischenRegierung, sondern weil ihnen die Unredlichkeit der amerikani-schen Politik bewußt geworden war: Nach außen hin wird in Wa-shington vorgegeben, man wisse nichts von Israels nuklearemWaffenarsenal. Diese Politik wurde und wird fortgesetzt.Ich zog es vor, bei den Recherchen für dieses Buch nicht nachIsrael zu reisen. Zum einen waren die wenigen Israelis, die bereitwaren, mit mir zu reden, viel offener und zugänglicher, wenn siein Washington, New York und auch in Europa interviewt wurden.Zum anderen unterwirft Israel alle in- und ausländischen Korre-spondenten der Zensur. Nach israelischem Recht muß alles Mate-rial, das Journalisten in Israel produzieren, der Militärzensur vor-gelegt werden. Die Zensoren können jederzeit Änderungen undStreichungen vornehmen, wenn sie die nationale Sicherheit Isra-els bedroht sehen. Aus einleuchtenden Gründen konnte ich michder israelischen Zensur nicht unterwerfen. Wer in der Vergangen-heit gegen diese Gesetze verstieß, wurde von Israel mit Einreise-verbot belegt.Die Israelis, die mir Informationen gaben, waren keine Kritikerdes israelischen Nuklearpotentials. Sie halten die Bombe für not-

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wendig zur Sicherung des Staates Israel. Sie gaben Auskünfte,weil sie glauben, daß eine umfassende und offene Diskussiondes israelischen Atomarsenals - und der Konsequenzen, die dasmit sich bringen müßte - in einer demokratischen Gesellschaftunerläßlich ist.

Seymour M. HershWashington, D.C.

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lEin Geheimabkommen

Im Jahr 1979 umkreiste das wichtigste militärische Geheimnis derVereinigten Staaten von Amerika die Erde im Weltall. Mühelos be-schrieb es alle sechsundneunzig Minuten seine Bahn um die Erdeund machte frappierend gute und unschätzbar wertvolle Aufklä-rungsfotos von allem, was Hunderte von Kilometern unter ihmlag. Der Satellit hieß KH-11 und stellte in technischer Hinsicht ei-ne erstaunliche Weiterentwicklung dar. Er übermittelte den Bo-denstationen digitalisierte Bilder, die - ohne zeitliche Verzöge-rung - von den Geheimdiensten analysiert werden konnten. EinÜberraschungsangriff wie 1941 auf Pearl Harbor konnte sichnicht wiederholen.Der erste KH-11-Satellit war am 19. Dezember 1976, nach JimmyCarters Sieg über Gerald Ford bei den Präsidentschaftswahlen imNovember, auf seine Umlaufbahn gebracht worden. Die Regie-rung Carter hielt - wie auch schon die Regierung Ford - die wert-vollen Bilder streng unter Verschluß. Sogar bei den Briten, die inder Welt der Geheimdienste als engste Verbündete Amerikas gel-ten, mußte von Fall zu Fall entschieden werden, ob sie die Auf-nahmen zu Gesicht bekamen oder nicht.Im März 1979 wurden dann die strengen Sicherheitsvorschriftengelockert. Präsident Carter beschloß, Israel KH-11-Fotos zur Ver-fügung zu stellen. Wenn in einem Gebiet im Umkreis von 160Kilometern um Israel (also auf den Territorien der NachbarländerLibanon, Syrien, Ägypten und Jordanien) Truppenbewegungenoder andere potentiell bedrohliche Aktivitäten stattfanden, sollteIsrael Zugang zu allem Geheimmaterial bekommen, das der Satel-lit lieferte. Die Israelis sollten erstklassige Informationen bekom-men: Die spektakulären ersten Bildserien, die der KH-11 -manchmal sogar dreidimensional - übermittelte, und nicht jene

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absichtlich unscharf und trübe gemachten Fotos, die der amerika-nische Geheimdienst sonst an die Behörden und die ausländi-schen Verbündeten verteilte, um zu verbergen, welch exzellenteBildauflösung mit den optischen Instrumenten des KH-11 mög-lich war.1

Für die israelische Regierung war Jimmy Carters Entscheidung eingroßer Triumph. Sie hatte seit der Stationierung des KH-11 dreiJahre zuvor an einer Teilnutzung des Satelliten höchstes Interessebekundet. Amerikanische Geheimdienstleute vermuteten, daß dieIsraelis High-Tech-Bilder bekamen, um sie für die kooperativeTeilnahme von Premierminister Menachem Begin am Gipfel vonCamp David mit Präsident Anwar El Sadat zu belohnen. DieseBeamten hatten verstanden, was vielen Mitarbeitern des WeißenHauses nicht klar war: Die Einbeziehung der Israelis in die Nut-zung des Systems brachte eine völlig neue Verbindlichkeit insSpiel, die mit der ursprünglichen Aufgabe des KH-11 in Konfliktkommen mußte. Der KH-11 war damals die modernste Technolo-gie der Luftaufklärung, erläuterte ein früherer Beamter der Natio-nal Security Agency (NSA). Der Satellit sei für alle Arten vonNachrichtenübermittlung eingesetzt worden, und jeder militäri-sche und zivile Nachrichtendienst der Regierung habe ihn unbe-dingt nutzen wollen. Es war das Ziel der Einsatzleiter des KH-11,die Prioritäten so zu setzen, daß er möglichst zur rechten Zeit amrechten Ort war. Abrupte Flugbahnänderungen sollten ebensovermieden werden wie jähe, treibstoff-fressende Manöver. Da-durch sollte der viele Millionen Dollar teure Satellit mit seinembegrenzten Treibstoffvorrat länger in seiner Umlaufbahn bleiben,mehr Informationen liefern und kostengünstiger arbeiten kön-nen. Carters Entscheidung, Israel direkten Zugang zum KH-11 zugewähren, warf diese ausgeklügelten Pläne über den Haufen. Au-ßerdem mußten einige amerikanische Nachrichtendienste eineEinschränkung ihres Zugangs zum Satelliten hinnehmen. »Es wareine in wirklich vielerlei Hinsicht unpopuläre Entscheidung«, sag-te der frühere Beamte der NSA.Innerhalb der Regierung wurden jedoch keine offiziellen Protestelaut. Den wenigen, die das KH-11-Abkommen beunruhigte, warbewußt, daß jede Besorgnis, die sie darüber (selbst im nachhin-

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ein) äußerten, ihren eigenen Zugang zu solchen Informationenund damit ihren Status als Insider gefährden könnte.Die Israelis hingegen werteten das KH-11-Abkommen selbstver-ständlich als Zeichen, daß sie den Respekt und die Unterstützungder Regierung Carter wiedergewonnen hatten. Der CIA-Direktorund Ex-Admiral Stansfield Turner hatte nämlich die geheim-dienstliche Zusammenarbeit mit Israel und anderen befreundetenNationen im Rahmen einer Neustrukturierung der CIA erheblicheingeschränkt. Die Israelis waren von den früheren PräsidentenRichard Nixon und Gerald Ford eine weit bessere Behandlunggewohnt. Sie hielten die maßgeblichen Leute in der RegierungCarter für naiv und antisemitisch; vielleicht fehlte diesen Beamtenauch das volle Verständnis dafür, wie eng während des KaltenKrieges die Verbindungen zwischen dem wichtigsten israelischenAuslandsgeheimdienst Mossad und der CIA geworden waren.Das KH-11-Abkommen von 1979 war schon die achtundzwanzig-ste offizielle amerikanisch-israelische Vereinbarung zur Zusam-menarbeit auf dem Gebiet der strategischen Nachrichtenübermitt-lung, die seit den fünfziger Jahren getroffen worden war. Überdiese Vereinbarungen ist nie etwas an die Öffentlichkeit gedrun-gen. Viele wurden nicht aus dem normalen Etat finanziert, son-dern aus einem Reptilienfonds, den der CIA-Direktor persönlichverwaltete. So flössen in den sechziger Jahren ungezählte Millio-nen in bar von der CIA an den Mossad. Diese äußerst heikle Ope-ration trug den Decknamen KK MOUNTAIN (KK war das interneKürzel für Nachrichten und Materialien, die Israel betrafen). ImGegenzug wies der Mossad seine Agenten an, in ganz Nordafrikaund in Ländern wie Kenia, Tansania und dem Kongo die ameri-kanischen Interessen zu vertreten. Andere Geheimabkommen mitdem Mossad bezogen sich auf die heikelsten israelischen Aktio-nen im Nahen Osten wie die Verwendung amerikanischer Gelderzur Finanzierung von Operationen in Syrien und in der Sowjet-union, wo die Agenten der CIA Schwierigkeiten bei der Nachrich-tenbeschaffung hatten. Manche Aktivitäten in der Sowjetunionwurden offenbar aus dem regulären Etat der CIA finanziert, wo-durch sie von den zuständigen Ausschüssen des Kongresses ab-gesegnet waren. Die komplexen Zusammenhänge der amerikani-

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sehen Finanzierung israelischer Operationen bleiben jedoch ei-nes der großen Geheimnisse des Kalten Krieges.Admiral Turner lockerte jedoch 1977 die Zusammenarbeit mitden Israelis und strich die Gelder für die Operationen in Afrikaund anderen Ländern. Daraufhin lieferten auch die Israelis er-heblich weniger Informationen nach Washington. Aus israeli-scher Sicht stand hinter dem KH-11-Abkommen vom März 1979nicht der Erfolg von Camp David, sondern der Mißerfolg derCIA. Sie hatte den wachsenden sowjetischen Druck auf Afghani-stan 1978 und die möglichen Folgen der Aufstände im Iran völ-lig falsch eingeschätzt. In beiden Ländern gab es große jüdischeGemeinden - in der afghanischen Hauptstadt Kabul lebten vielejüdische Ladenbesitzer -, und die Informationen des Mossad wa-ren erheblich besser als die der CIA. Am ärgerlichsten für denPräsidenten und seine höchsten Berater war die unzureichendeBerichterstattung der CIA über den Iran, wo Schah MohammadResa Pahlawi, ein altgedienter Verbündeter der USA, im Februar1979 durch einen Volksaufstand gestürzt wurde, obwohl in nai-ven CIA-Berichten ein Jahr lang prognostiziert worden war, erwürde sich halten können.2 Die CIA hatte die israelische Inter-pretation der Lage zurückgewiesen. Uri Lubrani, ein früherer is-raelischer Botschafter im Iran, hatte 1978 in einer scharfsinnigenAnalyse dargelegt, warum sich der Schah nicht an der Machtwerde halten können. Die CIA hatte den Präsidenten enttäuschtund die amerikanische Führung gezwungen, einmal mehr die Is-raelis um Hilfe bei der Prognose von Weltereignissen zu bitten.Nicht zufällig gehörte Lubrani der israelischen Delegation an, diedann im März 1979 das KH-11-Abkommen in Washington aus-handelte.

Die KH-11-Bilder, die Israel nun zur Verfügung standen und diejede militärische Aktivität auf dem Gebiet seiner vier Nachbarstaa-ten wiedergaben, bekamen die Bezeichnung »I & W« (intelligenceand warning) und wurden von den amerikanischen Geheimdien-sten als top secret eingestuft. Sobald die Fotos entwickelt waren,mußten sie von israelischen Militärattaches in einem besonderenPentagon-Büro abgeholt werden, das unter der Leitung der De-

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fense Intelligence Agency (DIA, zuständig für Militärspionage)stand. Einen entscheidenden Vorbehalt gab es dabei allerdings:Die Israelis durften keine Informationen bekommen, die ihnenbei der Planung eines Präventivschlags gegen ihre Nachbarstaa-ten hätten von Nutzen sein können.»Ich setzte die Regeln fest«, erinnerte sich ein höherer amerikani-scher Geheimdienstmann. »Das System war darauf angelegt, sie(die Israelis) mit allem zu versorgen, was sie eventuell im Rah-men ihrer erlaubten Reichweite (von 160 Kilometern) gebrauchenkonnten. Wenn es in Syrien oder Ägypten war, bekamen sie es.Wenn es im Irak, in Pakistan oder Libyen war, bekamen sie esnicht.«Der Beamte räumte jedoch ein, er und seine Kollegen hätten vonAnfang an damit gerechnet, daß die Israelis alles tun würden, umdie Beschränkungen des Abkommens zu umgehen. Israel vertratsogleich die Position, die Beschränkungen dürften für den ge-meinsamen Feind der Vereinigten Staaten und Israels, die Sowjet-union, nicht gelten. In den darauffolgenden Monaten drängtendie Israelis beharrlich darauf, Daten der Satellitenaufklärung überdie sowjetischen Nachschublinien nach Syrien und über das so-wjetische Engagement bei der Ausbildung der irakischen Kampf-divisionen im westlichen Irak zu bekommen. Diese Anfragenwurden von der Regierung Carter ausnahmslos abschlägig be-schieden.Trotzdem war Israel wieder in die Position eines wichtigen Ver-bündeten aufgerückt, selbst wenn ihm kein unbeschränkter Zu-gang zu den Satellitenbildern des KH-11 gewährt wurde. Das Ab-kommen von 1979 enthielt Formulierungen, die Israel das Rechteinräumten, spezifische Daten aus der Satellitenaufklärung anzu-fordern. Über jede Anfrage sollte von Fall zu Fall entschiedenwerden.Die Vertreter des britischen Geheimdiensts seien empört gewe-sen, erinnerten sich sachkundige Amerikaner, daß Israel Informa-tionen erhielt, die ihnen - den Alliierten aus dem Zweiten Welt-krieg und Nato-Mitgliedern - verweigert wurden.3

Wie die Briten vielleicht vermuteten, hatte Israel tatsächlich ge-heime Absichten bei seinen ständigen Bemühungen, zum KH-11

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Zugang zu erhalten. Aber erst im Herbst 1981 fanden einige poli-tische Berater in der Regierung Reagan diese Absichten heraus.Die Aktion begann mit einem Bombenangriff auf den Irak.

An einem Sonntagnachmittag Anfang Juni 1981 nippte Richard V.Allen, der nationale Sicherheitsberater von Präsident Ronald Rea-gan, auf der Sonnenterrasse seiner Vorortvilla in Virginia an ei-nem Glas Eistee und sah geruhsam die ungelesenen Telegrammedurch, die sich im Lauf einer Woche angesammelt hatten. Vielevon ihnen waren streng geheim.Aus dem Lagebesprechungsraum im Weißen Haus, der rund umdie Uhr besetzt ist, rief ein Berater an und berichtete, die Israelishätten Washington darüber informiert, sie hätten den irakischenKernreaktor in Osirak, 19 Kilometer südöstlich von Bagdad, bom-bardiert und zerstört. Allen rief sofort Reagan an, der das Wo-chenende in Camp David in den nahe gelegenen Catoctin-BergenMarylands verbrachte.Der Präsident, erfuhr er, habe gerade den Hubschrauber bestie-gen, der ihn zurück zum Weißen Haus bringen sollte. »Holt ihnwieder raus«, befahl Allen. Schließlich handelte es sich um die er-ste Nahostkrise der neuen Regierung. Der Präsident kam ans Te-lefon. Im Hintergrund war das Gedröhn der Rotorblätter seinesHubschraubers zu hören.»Mr. President, die Israelis haben gerade einen Kernreaktor imIrak mit F-l6-Bombern zerstört.« Israel wurde von den USA mitlangfristigen Krediten zu niedrigen Zinsen unterstützt und hatte1975 die Genehmigung erhalten, fünfundsiebzig F-l6-Flugzeuge•nur zu Verteidigungszwecken- zu kaufen.»Was wissen Sie darüber?«»Nichts, Sir. Ich warte auf einen Bericht.«»Warum haben sie es Ihrer Meinung nach getan?«Der Präsident ließ diese rhetorische Frage einen Augenblick inder Luft hängen und fügte dann hinzu:»Nun ja, Buben sind eben Buben.«4

Am nächsten Morgen, so Allen, trat Reagans Oberkommando zu-sammen. Verteidigungsminister Caspar Weinberger schlug vor, dieLieferungen der F-16 zu stornieren. Auch Vizepräsident George

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Bush, Stabschef James Baker und andere sprachen sich für Sank-tionen gegen Israel aus. Einmal warf Reagan Allen einen Blick zuund bedeutete ihm mit einer Geste, er habe nicht die Absicht, einesolche Maßnahme zu ergreifen. «Er sah mich an und rollte mit denAugen«, sagte Allen.Daß der Präsident den Luftangriff persönlich billigte, war den of-fiziellen Reaktionen der Regierung jedoch nicht zu entnehmen.Noch am selben Nachmittag gab das Außenministerium eine Stel-lungnahme ab, die angeblich vorn Präsidenten und von Außen-minister Alexander Haig abgesegnet war. Der Bombenangriffwurde offiziell verurteilt. Er könne »die schon angespannte Lagein der Region nur verschlimmern«. Dennoch, erinnerte sich Allen,war Reagan »entzückt (und) sehr befriedigt« von dem Überfall aufden Reaktor in Osirak. Der Angriff zeigte, so gab Allen den Präsi-denten wieder, daß die Israelis die Zähne zeigen könnten, etwasvon Strategie verstünden und in der Lage seien, Probleme anzu-packen, bevor sie unlösbar würden. Und welchen Schaden hätteIsrael schon angerichtet? Auch Haig äußerte sich privat ähnlichnachsichtig.Der israelische Bombenangriff löste weltweit Proteste aus, undein paar Tage später gab das Weiße Haus bekannt, die im Rah-men des Abkommens von 1975 geplante Lieferung von vier wei-teren F-l6-Bombern sei ausgesetzt worden. Zwei Monate späterzeigte sich jedoch, welche Politik die amerikanische Regierung inWahrheit verfolgte: Der Lieferstopp wurde aufgehoben, und dieFlugzeuge gelangten ohne großes Aufsehen nach Israel.

Auch in Israel gab es Meinungsverschiedenheiten über den Bom-benangriff. Seit Ende 1979 war er in der israelischen Regierungauf höchster Ebene diskutiert worden. Yitzhak Hofi, der Direktordes Mossad, und Generalmajor Yehoshua Saguy, der Chef des mi-litärischen Nachrichtendienstes, waren gegen den Angriff. Sie kri-tisierten, der Beweis fehle, daß der Irak schon in der Lage sei,eine Atombombe zu bauen.5 Ihren, allerdings vergeblichen, Ein-wänden schloß sich auch der stellvertretende MinisterpräsidentYigael Yadin an. Bei einer Planungssitzung Ende 1980 schimpfteSaguy noch über die Aktion. Er vertrat die Ansicht, die negative

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Reaktion aus Washington würde für Israel eine schwerwiegende-re nationale Bedrohung darstellen als der irakische Reaktor.6 Sa-guy widersprach der Auffassung, jede militärische Aktion Israelszur Vermeidung eines >zweiten Holocaust- sei vertretbar. Als Chefdes militärischen Nachrichtendienstes mußte er für seine abwei-chende Meinung büßen. Erst am 4. Juni erfuhr er von der Aktion,also drei Tage vor dem Einsatzflug der Bomber. Daraufhin lehnteer jede Verantwortung für den Überfall ab und drohte vorüberge-hend damit, vertrauliches Material zurückzuhalten.Die militärischen Köpfe der Aktion waren wegen internationalerProteste besorgt und hatten strenge Vorsichtsmaßnahmen ergrif-fen, um geheimzuhalten, daß Israel für die Operation verantwort-lich war. Den Irakern und der Weltöffentlichkeit sollte es unmög-lich gemacht werden, die nicht gekennzeichneten Flugzeuge zuidentifizieren. Der Angriff war planmäßig in zwei Minuten ausge-führt worden, und die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung warminimal. Aber Menachem Begin, vom Erfolg beflügelt, verblüffteam 8. Juni seine Kollegen und bekannte sich eigenmächtig zudem israelischen Schlag. Am nächsten Tag erhob sich ein Sturmvon Protesten. Der Premierminister verteidigte die Operation undgelobte, Israel sei zu einem weiteren Schlag entschlossen, wennes notwendig sei, den Feind an der Entwicklung der Atombombezu hindern. »Wenn der Kernreaktor nicht zerstört worden wäre«,sagte Begin, »hätte in der Geschichte des jüdischen Volkes einzweiter Holocaust stattgefunden. Und es wird nie wieder einenHolocaust geben ... Nie, nie wieder!«Bei einem diplomatischen Empfang der Engländer zwei Tagespäter schockierte Begin die höheren Beamten seiner Regierungund die Vertreter des Geheimdiensts seines Landes abermals: Erprahlte damit, die israelischen Flugzeuge hätten auch eine gehei-me, unterirdische Anlage zerstört, die vierzig Meter unter dem Re-aktor in Osirak gelegen habe, und in der die irakischen Kernwaf-fen hätten montiert werden sollen. Die entsetzten israelischenBeamten wußten, daß Begin keineswegs eine unterirdische Anla-ge zur Waffenmontage in Osirak beschrieb. Eine Anlage diesesTyps gab es dort nämlich gar nicht, aber in Israel war sie bereitsin Betrieb!Vor Presseleuten erzählte Begin bei dem Empfang ferner, die iraki-sche Regierung habe die Anlage vor der Internationalen Atom-energie-Organisation (IAEA) geheimgehalten, die den Reaktor von

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Osirak im Januar 1981 gemäß dem Atomwaffensperrvertrag von1968 inspiziert hatte. (Der Irak hatte den Vertrag unterzeichnet.)Israelische Regierungssprecher versuchten am nächsten Tag, denSchaden wiedergutzumachen. Sie teilten der Presse mit, Beginhabe sich versprochen. Die Anlage sei nur vier und nicht vierzigMeter unter dem Boden gelegen. Die schlimmsten Befürchtun-gen der Regierung bewahrheiteten sich in den nächsten Tagenund Wochen jedoch nicht: Israels größtes Geheimnis wurde niepublik.7

Israelische Wissenschaftler und Ingenieure hatten schon 1968 be-gonnen, an einem abgelegenen Ort namens Dimona Kernwaffenherzustellen. Dimona liegt in der Wüste Negev, ungefähr fünf-undachtzig Kilometer südlich von Jerusalem. Mit französischerHilfe hatte Israel einen Kernreaktor gebaut und eine separate, un-terirdische Anlage errichtet, wo in einem komplexen chemischenProzeß das wichtigste Abfallprodukt des Reaktors gewonnenwurde: waffenfähiges Plutonium. Begin war 1977 Premierministergeworden und hatte seitdem die unterirdische Anlage in Dimonamindestens einmal besucht. Israelische Beamte berichteten mir,er habe wenige Tage vor dem Angriffsflug auf Osirak ausführ-liche Informationen über Dimona erhalten. Die Beamten warender Meinung, Begin habe in seinen öffentlichen Äußerungen ein-fach das, was er über Dimona gesehen und gelesen hatte, aufOsirak übertragen. »Er hat das eine mit dem anderen verwech-selt«, meinte ein Israeli und gestand gleichzeitig, daß dies einenachsichtige Interpretation von Begins Verhalten war.Yitzhak Hofi, der Chef des Mossad, war weniger zurückhaltend.Zwei Wochen nach der Bombardierung des irakischen Reaktorsgab er ein beispielloses Zeitungsinterview. Hofi wurde - gemäßden Auflagen der israelischen Zensur - nicht namentlich zitiert. Erbeklagte sich, allerdings ohne einen Namen zu nennen, über Po-litiker, die Staatsgeheimnisse ausplauderten. In israelischen Ge-heimdienstkreisen gab es keinen Zweifel, welchen Politiker Hofimeinte.

Die Geheimnisse von Dimona waren zwar vielleicht vor der west-lichen Presse gerettet worden, aber die Anlage war nun einer vielkonkreteren Bedrohung ausgesetzt. Israelische Beamte gaben zu,

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ihre Geheimdienste hätten in den Tagen nach dem Angriff vom7. Juni Hinweise darauf erhalten, daß der Irak damit begonnenhabe, einige seiner sowjetischen Scud-Raketen näher an die ira-kisch-jordanische Grenze zu transportieren. Offensichtlich planeer einen Vergeltungsschlag. Von einer ein wenig weiter westlichgelegenen Position in Jordanien hätten die irakischen Scud-Rake-ten Dimona erreichen können. Im Unterschied zu dem Reaktor inOsirak, der noch nicht voll betriebsbereit war, wurde in Dimonaacht Monate im Jahr rund um die Uhr an der Aufbereitung vonBrennstäben und der Herstellung von waffenfähigem Plutoniumgearbeitet. Ein irakischer Angriff würde das Land im Umkreis vonvielen Kilometern mit tödlicher Radioaktivität verseuchen.Israelische Beamte hatten jedoch lange vor dem Luftangriff aufOsirak angeordnet, den kuppeiförmigen Reaktor und die unterir-dische Wiederaufbereitungsanlage in Dimona abzuschalten. Bei-de wurden bis Ende des Jahres nicht mehr in Betrieb genommen.Außerdem hielt die israelische Luftwaffe vierundzwanzig Stundennonstop Aufklärungsflugzeuge in der Luft. Es gibt keine Hinweisedarauf, daß Washington die israelischen Verteidigungsmaßnah-men bemerkt oder ihren Sinn verstanden hätte.Einige britische Geheimdienstler schöpften sofort den Verdacht,Israel habe die hochauflösenden KH-11-Bilder dazu benutzt, denirakischen Reaktor anzuvisieren, und beschwerten sich darüberbei ihren amerikanischen Kollegen. Nach Darstellung eines Ame-rikaners sagten sie lediglich: »Wir haben es euch gleich gesagt.«Ironischerweise wirkte sich der erfolgreiche israelische Luftangriffpositiv auf den ohnehin schon ausgezeichneten Ruf des KH-11-Systems aus. Wenige Stunden nach dem Überfall lagen auf denSchreibtischen der Washingtoner Entscheidungsträger erstklassigeSatellitenfotos des zerstörten Forschungsreaktors.Wie eine anschließende, streng geheime Untersuchung zeigte,hatten die Briten recht: Israel hatte sich über den KH-11 wertvolleInformationen beschafft. Anscheinend hatte dabei William Casey,Reagans CIA-Direktor, unabsichtlich eine Schlüsselrolle gespielt.

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Casey hatte sich seit seinem Amtsantritt nachdrücklich dafür ein-gesetzt, Israel die KH-11-Bilder zur Verfügung zu stellen. Zu Be-ginn seiner Amtszeit ließ er den israelischen Verbindungsoffi-zieren ein privates Büro in der Nähe des CIA-Hauptquartierszuweisen. Damit wollte er den Israelis offenbar direkten Kontaktzu denjenigen amerikanischen Geheimdienstoffizieren verschaf-fen, die die KH-11-Fotos entwickelten. Auf diese Weise sollte da-für gesorgt werden, daß die Israelis alle wichtigen Informationenbekamen. Nur Israelis, war die Überlegung, konnten beurteilen,was für Israel wichtig war. Als dem CIA-Direktor nach demBombenangriff plötzlich ernste Fragen über den israelischenMißbrauch des KH-11-Abkommens zur Weitergabe von Informa-tionen gestellt wurden, richtete er in aller Eile einen kleinen Ex-pertenausschuß ein, der den Vorfall untersuchen sollte.8 DerAusschuß sollte unter den verschärften Sicherheitsbedingungenarbeiten, die immer galten, wenn der israelische Geheimdienstim Spiel war.Der Ausschuß förderte Verblüffendes zu Tage.In etwas mehr als zwei Jahren hatten die Israelis ihre Tätigkeit imRahmen des als beschränkt gedachten Abkommens so stark aus-geweitet, daß sie praktisch dem KH-11-System jedes Foto entlok-ken konnten, das sie haben wollten. Am erstaunlichsten war, daßsie Bildmaterial angefordert und auch bekommen hatten, dasganz Westrußland einschließlich Moskau abdeckte. »Es fehlte nurnoch, daß die Israelis das Ding selbst dirigierten«, meinte ein be-unruhigter Offizier. Bei einigen höheren Beamten der CIA undder DIA machte sich Ärger darüber breit, wie nachlässig das Ab-kommen in ihren Augen gehandhabt worden war: »Wir habendas System eingerichtet und uns dann nicht genug darum geküm-mert, was sie (die Israelis) damit anstellten-, sagte der Offizier.9

William Bader, 1979 Assistant Deputy Undersecretary of Defensefor Policy, mußte frustriert feststellen, daß die Israelis ihre Ohrenüberall hatten und niemand wußte, wie man ihnen Einhalt ge-bieten sollte. »Man wußte nicht, bei wem man sich beschwerensollte«, sagte Bader. »Wir wußten zwar, daß diese Burschen (dieIsraelis) sich an den Bossen und anderen Instanzen vorbei Infor-mationen beschaffen konnten.« Aber wenn eine Beschwerde im

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falschen Büro landete, »mußte man damit rechnen, daß einem derKopf abgerissen wurde«.Ein früherer höherer NSA-Beamter wurde sehr zornig, als er zu Be-ginn der Amtszeit Reagans erfuhr, daß israelische Offiziere Penta-gonsitzungen beiwohnen durften, auf denen zukünftige Operatio-nen und Flugbahnen des KH-11-Satelliten diskutiert wurden. »Werdavon wußte, dem wurde fast schlecht«, sagte er. »Wenn wir darandachten, wie sorgfältig sonst damit (mit dem KH-11) umgegangenwurde, sind wir wirklich fast durchgedreht.« Ein anderer höhereramerikanischer Geheimdienstoffizier berichtete zwar auch, »vielevon unseren Jungs« seien »schockiert und verstört« gewesen, fügteaber hinzu, er selbst habe sich weniger Sorgen wegen der israeli-schen Übergriffe gemacht: »1981 lag es in unserem nationalen In-teresse, dafür zu sorgen, daß die Israelis überlebten.« Dieser Offi-zier beschrieb den direkten Zugriff, der Israel eingeräumt wordenwar, als Kompromiß. »Israel wollte sicherstellen, daß ihm nichtsWichtiges entging. Israel muß dafür sorgen, daß es alles bekommt,was es braucht.« Der israelische Offizier, der dem Pentagon zuge-teilt war, gab nach Auffassung des amerikanischen Offiziers nurdie israelischen nachrichtendienstlichen Wünsche an die Männerweiter, die für das KH-11-Programm zuständig waren. Dann durfteer dabeisein, wenn in Washington die Echtzeitbilder des KH-11empfangen wurden.Ein Beamter des Außenministeriums sagte, er und AußenministerHaig hätten die Auseinandersetzungen über den Zugang der Is-raelis zu den Informationen »als akademischen Streit in Geheim-dienstkreisen betrachtet. Wozu die Aufregung? Sollen sie die Bil-der doch kriegen. Das schafft Vertrauen.« Für die Israelis sei es einNullsummenspiel gewesen. Wenn die Regierung Reagan ihnenden Zugang zum KH-11 verweigert hätte, hätten sie sich an denKongreß gewandt »und - ausgewiesen als Teil des Auslandshilfe-Etats - das Geld für einen Satelliten samt Abschußrampe undEmpfangsstation bekommen«.Auch für Richard Allen war Israels Umgang mit dem KH-11-Ab-kommen keine große Sache: »Ich nahm an, sie hätten Freunde«, -nämlich im Pentagon, die ihnen unter der Hand den erweitertenZugriff verschafft hätten.

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Nach dem Bericht des Ad-hoc-Ausschusses wurde im WeißenHaus schließlich beschlossen, den Israelis weiterhin die Aufnah-men zur Verfügung zu stellen, aber den ursprünglichen Beschrän-kungen von 1979 nachdrücklich Geltung zu verschaffen. »Wir ha-ben den Hahn ein wenig zugedreht«, sagte Allen. Israel solltekeine Bilder mehr aus der Sowjetunion oder irgendeinem ande-ren Land außerhalb der l60-Kilometer-Zone bekommen. RichardAllen persönlich übermittelte Ariel Sharon im Herbst 1981 dieseBotschaft. Der umstrittene israelische General, Hardliner undKriegsheld war im August von der gerade wiedergewählten Re-gierung Begin zum Verteidigungsminister ernannt worden.Begin und Sharon reisten im September nach Washington, um imWeißen Haus Unterstützung für einen weitreichenden israeli-schen Plan zu suchen. Eine amerikanisch-israelische strategischeAllianz gegen den gemeinsamen Feind Sowjetunion sollte ge-schmiedet werden. In einem israelischen Memorandum an Wa-shington wurde daraufhingewiesen, die zwei Länder müßten »ge-gen die Bedrohung des Friedens und der Sicherheit der Region-kooperieren. Diese Bedrohung werde »von der Sowjetunion odervon sowjetisch beherrschten Kräften von außerhalb der Region indie Region hineingetragen«. Deshalb wollten die Israelis ReagansEinverständnis für folgende Punkte einholen:- Vorsorgliche Stationierung amerikanischer Truppen;- gemeinsame Nutzung von Flughäfen;- gemeinsame Planung für militärische und politische Krisensi-

tuationen im Nahen Osten und am Persischen Golf und- amerikanische Finanzierung einer Empfangsstation für die KH-

11-Bilder in Tel Aviv.Die israelischen Vorstellungen wurden in Amerika verständlicher-weise als überzogen angesehen und zu Sharons Kummer in denVerhandlungen der nächsten Monate stark verwässert. Sharon be-mühte sich besonders um die Empfangsstation und darum, daßnur Israel in der Lage sein sollte, die verschlüsselten Signale zwi-schen dem Satelliten und der Empfangsstation zu empfangen. DieVereinigten Staaten wären dadurch in die unhaltbare Situation ge-kommen, daß sie nicht gewußt hätten, welche Nachrichten Israelvon dem US-Satellitensystem empfangen hätte.

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Sharohs Vorschlag war grotesk, und privat sagte Allen ihm dasauch. »Das Gespräch verlief nicht gerade liebenswürdig«, erinner-te sich Allen. »Er fing an herumzumeckern, die amerikanische Hil-fe sei nichts als ein Trostpflaster. Immer wieder sagte er: >Ihr wolltuns einfach abspeisen. Wenn ihr das unter strategischer Allianzversteht, sind wir nicht interessiert..« Allen, ein großer Freund Is-raels, ließ sich dadurch nicht einschüchtern: »Ich hielt Sharon füreinen Schwadroneur, der den Mund ziemlich voll nahm.«

Der Bombenangriff auf Osirak bewirkte keine entscheidende Ver-änderung in den amerikanisch-israelischen Beziehungen. Auchstellte niemand ernstlich die Frage, wozu Israel eigentlich so vieleKH-11-Bilder von so vielen Weltgegenden brauche. Wegen diesesBedürfnisses waren immerhin die amerikanisch-israelischen Be-ziehungen gefährdet worden. Trotz der vorübergehenden Aufre-gung über Israels Zugriff wurden keine Konsequenzen daraus ge-zogen, und die KH-11-Fotos kamen nach wie vor in israelischeHände. Aber ein paar weitreichende Veränderungen ergaben sichdoch für Israel.Die Franzosen waren auch die wichtigsten Lieferanten von nu-klearem Material und Know-how an den Irak gewesen. Als Ge-genleistung hatten sie Öl erhalten. Nun brachte sie der israelischeÜberfall in Verlegenheit. Verärgert versuchten ein paar Beamteaus Paris, sich zu rächen. Sie brachen das vereinbarte Stillschwei-gen, das sie lange Zeit gewahrt hatten, und redeten von einemanderen französischen nuklearen Engagement im Nahen Osten:der geheimen Zusammenarbeit mit Israel zur Entwicklung der is-raelischen Bombe.Ariel Sharon sah sich nach dem Treffen im Kabinett in der Mei-nung bestätigt, die Vereinigten Staaten seien keine verläßlichenstrategischen Verbündeten. Er wandte sich an einen israelischenNachrichtendienst, den das Verteidigungsministerium kontrollier-te und dessen Existenz geheimgehalten wurde. (Auch die Ameri-kaner wußten damals nicht viel über diese Organisation.) Dieser"Nachrichtendienst war in Kommunikationswege amerikanischerDienste eingedrungen und fing Informationen höchster Geheim-haltungsstufe über den Nahen Osten und die Sowjetunion ab: ge-

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nau jene Informationen, die Israel von den USA nicht mehr be-kommen sollte. Ein amerikanischer Jude, der in US-Geheim-dienstkreisen arbeitete, hatte diesem israelischen Nachrichten-dienst einige Jahre zuvor seine Dienste angeboten. Er sollte balddazu eingesetzt werden, sein Land für Israel auszuspionieren.

Es steht mit größter Wahrscheinlichkeit fest, daß kein Mitarbeiterdes Weißen Hauses unter Ronald Reagan Sharons Bemühungenum eine KH-11-Empfangsstation in Tel Aviv in Zusammenhangmit Israels nuklearen Ambitionen brachte. Auch der Ad-hoc-Aus-schuß, den William Casey nach Osirak eingerichtet hatte, um dieEinhaltung des Abkommens von 1979 zur Weitergabe von Infor-mationen zu überwachen, akzeptierte unbekümmert Israels Er-klärung, warum es die Regeln gebrochen habe: Die verbotenenKH-11-Bilder der Sowjetunion habe es sich nur besorgt, um dieNachschubverbindungen zwischen der UdSSR und ihren Verbün-deten Syrien und Irak zu überwachen.Selbst in amerikanischen Geheimdienstkreisen hatten 1981 nurwenige begriffen, zu welchem Zweck Israel die Satellitenfotosvon der Sowjetunion sammelte, und warum Sharon so erpicht aufden kontinuierlichen Zugriff auf dieses Material war: Israel warselbst eine Atommacht, die ihre Gefechtsköpfe und Raketen aufdie Sowjetunion richten wollte.

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Der Wissenschaftler

Der wissenschaftliche Vater der israelischen Bombe, ihr J. RobertOppenheimer, war ein schmächtiger, blasser, kettenrauchenderForscher namens Ernst David Bergmann, Sohn eines aus Nazi-deutschland geflohenen Rabbi.Nach der Ausrufung des Staates Israel 1948 - und dem erstenarabisch-israelischen Krieg - machte sich Bergmann in der in-ternationalen Wissenschaft einen Namen. Er wurde als hervorra-gender Fachmann auf dem Gebiet der organischen Chemie undals Direktor der chemischen Abteilung des Weizman-Instituts be-kannt, der wichtigsten israelischen Forschungseinrichtung. Erwar Vorsitzender der 1952 gegründeten israelischen Atomener-giekommission, und bei seinen wenigen öffentlichen Auftrittensetzte er sich entschieden für die Erforschung der Atomkraft zufriedlichen Zwecken ein. Unablässig rauchend, tauchte er bei in-ternationalen Konferenzen über die Atomforschung auf und ver-sprühte Charme und Witz. Seine Intelligenz beeindruckte, undviele Menschen konnte er überzeugen, daß Israel Atomkraftbrauchte, weil der Staat kein Öl von seinen arabischen Nach-barn kaufen konnte.Bergmann erzählte 1947 seinen Freunden, die großen Phosphat-lager in der Wüste Negev enthielten kleine, aber abbaubare Spu-ren von Uran. Innerhalb von zwei Jahren wurde am Weizman-In-stitut eine Abteilung für Isotopenforschung eingerichtet, undjunge israelische Wissenschaftler wurden ins Ausland geschickt,um sich mit den neuen Forschungen auf den Gebieten Kernener-gie und Nuklearchemie vertraut zu machen. Mit der entstehendenfranzösischen Atomenergiekommission wurde ein gemeinsamesForschungsprogramm in die Wege geleitet. 1953 entwickelten is-raelische Forscher am Weizman-Institut ein neues Verfahren zur

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Herstellung von schwerem Wasser, das zur Kontrolle nuklearerKettenreaktionen gebraucht wird, und ersannen eine effektivereMethode zur Gewinnung von Uran aus den Phosphatlagern.Im November 1954 stellte sich Bergmann der israelischen Öffent-lichkeit in einer Rundfunkansprache vor und berichtete vom is-raelischen Fortschritt bei der Atomforschung zu friedlichenZwecken. Mit zweijähriger Verspätung gab er die Gründung derisraelischen Atomenergiekommission bekannt. Im nächsten Jahrunterzeichnete Israel im Rahmen des Atomsfor Peace-Programmsder Regierung Eisenhower mit den USA ein Abkommen zur Zu-sammenarbeit auf dem Gebiet der zivilen Nutzung der Atomener-gie. Washington half bei der Finanzierung und Brennstoffversor-gung eines kleinen Forschungsreaktors in Nahal Sorek südlichvon Tel Aviv. Das Abkommen sah vor, daß die USA den Reaktorim Rahmen des Atomenergiegesetzes von 1954 inspizieren durf-ten. Es verpflichtete Israel, das nukleare Material nicht zu militäri-scher Forschung zu verwenden, was durch Inspektionen über-prüfbar sein sollte.In diesen Jahren brüstete sich David Ben Gurion - Israels weiß-mähniger »Alter Mann«, der von 1948 bis 1963 (mit einer kurzenUnterbrechung) entweder Premierminister oder Verteidigungsmi-nister war - Besuchern gegenüber wiederholt damit, Israel werdeseinen eigenen Atomreaktor bauen und sein eigenes Uran undvor Ort hergestelltes schweres Wasser verwerten. Atomkraftwer-ke, versprach Ben Gurion, würden bald die Elektrizität und dieEnergie für die Meerwasserentsalzung liefern, mit denen man dieWüste Negev zum Blühen bringen könne.Bergmann war es ernst mit seinem Traum von der friedlichenNutzung der Kernkraft. Gleichzeitig aber stellte dieser Traum ei-ne sehr wirksame Tarnung für seine Pläne zur Entwicklung derBombe dar. Ben Gurion war für all dies verantwortlich, und anseiner Seite stand Shimon Peres, sein brillanter junger Protege,der erst dreißig Jahre alt war, als Ben Gurion ihn Ende 1953 ineine Spitzenposition des Verteidigungsministeriums berief. DieÖffentlichkeit erfuhr in Bergmanns Rundfunkansprache jedochnicht, daß die israelische Atomenergiekommission Peres unddem Verteidigungsministerium direkt unterstellt war. Die friedli-

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ehe Nutzung der Kernkraft war nicht Ben Gurions höchste Prio-rität - die Wüste sollte zuerst strahlen, bevor sie blühte.Diese drei Männer mußten einen ausländischen Verbündeten fin-den, der ihnen beim Bau der Bombe helfen würde. Außerdemhatten sie sofort begriffen, daß die Bombe auf privatem Wege vonreichen amerikanischen und europäischen Juden finanziert wer-den mußte, die ihren Traum der endgültigen Abschreckungswaf-fe in israelischer Hand teilten. Nur so konnte der Bau der israeli-schen Bombe geheimgehalten werden.

Im Washington des Kalten Krieges ahnte man nichts von IsraelsBemühungen um die Atombombe in den frühen fünfziger Jahren.Die Vereinigten Staaten waren mit dem Koreakrieg beschäftigt,mit den ökonomischen und sozialen Verhältnissen in Europa, mitder Stärke der Kommunistischen Parteien in Frankreich und Ita-lien, mit der befürchteten kommunistischen Subversion im eige-nen Land und mit dem permanenten politischen Schlagabtauschmit der Sowjetunion.Auch im Nahen Osten gab es Krisen. Ägyptens korrupter KönigFaruk wurde 1952 bei einem Putsch gestürzt, und 1954 wurde derneue radikale Führer Gamal Abd el Nasser Ministerpräsident. DieBriten, die mehr als siebzig Jahre in Ägypten präsent gewesenwaren, und ebenso die Franzosen, zogen ihre Truppen aus Nord-afrika ab. 1955 war die französische Regierung in drei Kolonienmit Rebellionen konfrontiert: in Marokko, Tunesien und Algerien.Marokko und Tunesien errangen 1956 ihre Unabhängigkeit, aberAlgerien, dessen oppositionelle Nationale Befreiungsfront (FLN)von Nasser tatkräftig unterstützt wurde, entwickelte sich zu einemder gefährlichsten Krisenherde des Jahrzehnts. Der blutige Unab-hängigkeitskrieg kostete 250 000 Menschenleben, brachte Frank-reich in den nächsten fünf Jahren an den Rand der nationalenKatastrophe und inspirierte eine ganze Generation arabischer Re-volutionäre im Nahen Osten.Mit seiner Beschwörung eines Panarabismus verunsicherte Nas-ser auch die Israelis, die sich instinktiv an die USA wandten. Dieamerikanischen Juden waren Israels Rettung: Viele hundert Mil-lionen amerikanischer Dollars flössen jedes Jahr nach Israel. Ben

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Gurion hatte jahrelang vergeblich versucht, mit Washington einenregionalen Sicherheitspakt abzuschließen, um unter den atoma-ren Schutzschild der Amerikaner zu gelangen. Israel hatte dieamerikanische Position im Koreakrieg öffentlich unterstützt undwar auf der Ebene der Geheimdiplomatie noch einen Schritt wei-tergegangen: Ben Gurion erbot sich, israelische Truppen zumKampf auf Seiten der UNO-Truppen in Südkorea zu entsenden.1

Präsident Harry Truman lehnte ab, da er offenbar fürchtete, sichin ein Sicherheitsarrangement mit Israel zu verstricken. Die Verei-nigten Staaten, England und Frankreich hatten sich in ihrem Drei-mächteabkommen von 1950 auf den Status quo im Nahen Ostenverpflichtet. Weder die islamischen Staaten noch Israel solltenmassiv mit militärischem Gerät versorgt werden. 1953 kam dieRegierung Eisenhower an die Macht. Auch sie bekundete nichtdie Absicht, an dieser Politik etwas zu ändern.Dennoch versuchte Israel, eine Art special relationship mit Präsi-dent Eisenhower herzustellen, allerdings ohne Erfolg. Mitte derfünfziger Jahre gingen jahrelange Gespräche mit Washingtonüber ein Abkommen zur bilateralen Sicherheit ergebnislos zu En-de. Einmal erwog Ben Gurion — wie er seinem Biographen Mi-chael Bar-Zohar erzählte -, Eisenhower die Errichtung amerikani-scher Militärstützpunkte in Israel anzubieten. Im Gegenzug sollteIsrael eine amerikanische Sicherheitsgarantie bekommen. Aberdie Gespräche gerieten ins Stocken, und die Idee wurde fallenge-lassen. Auch verschiedene Bemühungen, Kampfflugzeuge undandere Waffen in Amerika zu kaufen, blieben erfolglos. Eisen-hower hielt sich während seiner achtjährigen Präsidentschaft imPrinzip an das 1950 beschlossene Waffenembargo gegen Israel.Als Folge davon verringerte sich der amerikanische Einfluß imNahen Osten, und Washington verpaßte die Gelegenheit, auf dieisraelische Außenpolitik einzuwirken. Das kam den Juristen vonder Wall Street in der Umgebung Eisenhowers sehr gelegen, dennsie fürchteten, Waffenverkäufe an Israel könnten die Ölversor-gung der USA gefährden.Von Ben Gurions engsten Beratern wissen wir, daß er in diesenJahren unter dem Alptraum eines zweiten Holocaust litt, diesmaldurch die Araber. Israels einzige Sicherheit, predigte Ben Gurion

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wiederholt, liege in seinem Selbstvertrauen und seiner Selbstver-teidigung. »Was ist Israel?« wurde er von einem Berater zitiert.»Nur ein kleiner Fleck. Ein Pünktchen auf der Landkarte! Wiekann es mitten in dieser arabischen Welt überleben?« Ben Gurionglaubte, den arabischen Charakter zu verstehen, und war über-zeugt davon, daß es so lange keinen Frieden und keine Anerken-nung für Israel geben werde, wie die Araber glaubten, sie könn-ten den Judenstaat zerstören. Viele Israelis, die den Holocaustüberlebt hatten, waren überzeugt, daß es keine Alternative zumBau der Bombe gebe. In ihrem Weltbild war Israel von unver-söhnlichen Feinden umgeben und hatte deshalb keine andereWahl, als sich offensiv zu wehren. Hitler und Nasser waren für sienahezu auswechselbare Figuren.Deshalb hielten sie ein Atomwaffenarsenal für unabdingbar. BenGurion wies in den fünfziger Jahren in öffentlichen Reden immerwieder auf den Zusammenhang zwischen der Sicherheit Israelsund dem wissenschaftlichen Fortschritt in seinem Land hin. »Un-sere Sicherheit und unsere Unabhängigkeit erfordern, daß sichmehr junge Leute der wissenschaftlichen Forschung auf den Ge-bieten der Nuklear- und Solarenergie, der Elektronik und so wei-ter widmen-, sagte er vor der Knesset, dem israelischen Par-lament, im November 1955. Zwei Jahre später äußerte ErnstBergmann diese Überlegungen ganz explizit in einem Brief: »Ichbin überzeugt davon, ... daß der Staat Israel ein eigenes militäri-sches Forschungsprogramm braucht, damit wir nie wieder wieLämmer zur Schlachtbank geführt werden.«Ben Gurion, Shimon Peres und Ernst Bergmann glaubten, Israelsautonome Rüstungspolitik könne schließlich garantieren, was Prä-sident Eisenhower nicht garantieren wollte - einen atomarenSchutzschild.

Kein Außenstehender - weder aus der internationalen Wissen-schaft, noch der israelischen Öffentlichkeit, noch aus amerikani-schen Geheimdienstkreisen - konnte erkennen, welche Bedeu-tung zwei andere Bereiche hatten, die Bergmann Anfang derfünfziger Jahre in der Regierung unterstellt waren. Er war wissen-schaftlicher Berater des Verteidigungsministers und Forschungs-

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und Planungsdirektor des Verteidigungsministeriums. Nur die Is-raelis, in deren Zuständigkeitsbereich diese Posten lagen, wuß-ten, daß Bergmann als kompromißloser und tatkräftiger Befür-worter von Atomwaffen - zusammen mit den Franzosen - direktdafür verantwortlich war, daß es Israel bis Ende der sechzigerJahre zu einer Atommacht bringen konnte. Bergmann und dieFranzosen machten sich in der Wüste Negev an die Arbeit undhielten ihre Tätigkeit geheim - so wie Robert Oppenheimer undseine Kollegen das Manhattan-Projekt in der Wüste bei Los Ala-mos geheimgehalten hatten.Der junge Bergmann hatte die Welt der Atome Anfang der zwan-ziger Jahre als Student der organischen Chemie am Emii-Fischer-Institut der Universität Berlin kennengelernt.Einer von Bergmanns Kollegen in Berlin war der ÖsterreicherHerman Mark, später ein bekannter Chemiker und Dekan desBrooklyn Polytechnic Institute. Im Lauf seiner Karriere veröffent-lichte er zwanzig Bücher und mehr als fünfhundert Artikel überPolymere. (Sein Sohn Hans diente in der Regierung Carter in ho-her Funktion in der Administration der Luftwaffe.)2 -Wir warenkeine Theoretiker«, erinnerte sich Herman Mark. -Wir wolltenDinge herstellen. Kunststoffe waren für uns das Entscheidende.Zuerst muß man etwas herstellen, das sonst noch keiner hat -und dann kann man es benutzen.« In Berlin arbeiteten Berg-mann und Mark zusammen und veröffentlichten gemeinsam Ar-tikel über die chemischen Strukturen von Gummi, Farbe undKlebstoffen.Bergmanns Vater war ein wichtiger Berliner Rabbi und engerFreund Chaim Weizmans, des russisch-jüdischen Biochemikersund Zionisten, der damals in England lebte. 1933 machten dieNazis es Bergmann und allen anderen Juden mit einer Reihedurchgreifender Verordnungen unmöglich, weiterhin in Deutsch-land wissenschaftlich zu arbeiten. Weizman holte den jungenBergmann zu sich nach England an die Universität von Manche-ster, wo Bergmann seine Forschungen über Kunststoffe fortsetzteund wieder enge Verbindungen mit den Wissenschaftlern unter-hielt, die sich mit der Spaltung des Atoms beschäftigten. (WieWeizmnn machte auch Bergmann Frederick Alexander Linde-

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mann auf sich aufmerksam, den späteren Lord Cherwell, einendeutschstämmigen Wissenschaftler aus Oxford, der in den Jahrenvor dem Zweiten Weltkrieg Winston Churchills höchster wissen-schaftlicher Berater wurde.)Über den Beitrag Bergmanns zur militärischen Forschung der Bri-ten ist wenig bekannt. In diesen Jahren wurde er zum ersten Malmit militärischen Fragen zu Palästina konfrontiert. In einer Bio-graphie Weizmans ist zu lesen, die Hagana, der militärische Armder zionistischen Bewegung in Palästina, habe Weizman 1936 ge-beten, einen Chemiker zu nennen, der einen wirksamen Spreng-stoff zum Einsatz im Untergrundkampf gegen Araber und Britenherstellen könne. Unter den klimatischen Bedingungen des Na-hen Ostens war der Einsatz von Dynamit viel zu gefährlich. Weiz-man betraute Bergmann mit der Angelegenheit. Er entwickelteden Sprengstoff und wurde Mitglied des technischen Komiteesder Hagana. Bergmann soll 1939 für die Hagana nach Paris ge-reist sein. Dort habe er mit den Franzosen, deren Truppen damalsin Nordafrika operierten, Erfahrungen ausgetauscht.Kurz nach dem deutschen Überfall auf Polen im Herbst 1939verließ Bergmann England. Wieder hatte sich Weizman für ihneingesetzt und ihm bei alten Freunden, die in Philadelphia einChemielabor besaßen, Arbeit verschafft. Das ging aber nicht gut,und ein anderer alter Freund aus Deutschland, Herman Mark,kam ihm zu Hilfe. »Er konnte sich nicht richtig entfalten. Alsoluden wir ihn nach Brooklyn ein.« Mark hatte Europa 1938verlassen müssen und landete bei einer kanadischen Papierfirmain Ontario, für die er wissenschaftlich arbeitete. 1940 leitete erein Labor am Polytechnic Institute of Brooklyn; zwei Jahre spä-ter war er Dekan der Fakultät und verwandelte das Institut ineine Zuflucht für jüdische Flüchtlinge, zu denen auch ChaimWeizman gehörte. »Die ganze Bande kam nach Amerika«, sagteMark. Zum Zeitpunkt der Interviews für dieses Buch war Her-man Mark das einzige (bekannte) noch lebende Mitglied dieser»Bande«.Nach Hitlers Niederlage stand für Bergmann die letzte Etappe sei-ner Wanderschaft an: Er zog nach Palästina, um beim Aufbau desspäteren Weizman-Instituts in Rehovat südlich von Tel Aviv mit-

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zuhelfen. Der Ehrgeiz der Israelis kannte anscheinend keineGrenzen. Oppenheimer und seine Kollegen vom Manhattan-Pro-jekt, darunter auch John von Neumann, der Mathematiker undComputerpionier, wurden - erfolglos - von Weizman schon imJahr 1947 umworben und dann immer wieder gebeten, in Israelwissenschaftlich zu arbeiten.3

Weizman wollte Bergmann gleich zum Leiter des Instituts ma-chen, aber Weizmans Frau Vera widersetzte sich diesem Plan ausdem ältesten aller Gründe: Es mißfiel ihr, daß Bergmann seit län-gerem eine Affäre mit der Privatsekretärin ihres Mannes hatte.4

Statt dessen wurde Bergmann zum Leiter der Abteilung Organi-sche Chemie ernannt. Vielleicht konnte er sich damit trösten, wieexzellent seine Kollegen waren: Amos Deshalit. der Leiter der Ab-teilung Physik, war ein Quantenforscher vom Rang eines Oppen-heimer oder Niels Bohr. Der Leiter der anorganischen Chemiehieß Aharon Katchalsky (später Katzir) und war ein Spezialist fürdie elektrolytischen Eigenschaften von Kettenmolekülen. (WieBergmann führte Katzir ein Doppelleben: Bis zu seinem Tod 1972war er insgeheim für das inzwischen florierende israelische Kern-waffenprogramm aktiv.) Nach Israels Unabhängigkeit im Jahr1948 kam Bergmann auf Wunsch Ben Gurions ins Verteidigungs-ministerium, wo er unter Shimon Peres das erste israelische Insti-tut für militärische Forschung gründete. Mehr als vierzig Jahrespäter erzählte Peres einem israelischen Zeitungsreporter, Berg-mann habe schon 1948 ständig davon gesprochen, daß Israel Ra-keten haben müsse. »Vielleicht bin ich in hundert Jahren bereit,die volle Wahrheit über ihn zu sagen«, meinte Peres. »Wir habendreizehn Jahre lang zusammengearbeitet, und das waren viel-leicht die besten Jahre meines Lebens.«

Ohne Bergmann, behauptete Mark, hätte es keine israelischeBombe gegeben: »Er war für alles in Israel zuständig, was mitKernkraft zu tun hatte. Er verstand sie (die Kernspaltung) voll-kommen und erklärte sie dann anderen.« Nach dem ZweitenWeltkrieg pendelte Herman Mark ständig zwischen Brooklyn undIsrael hin und her, saß in Planungsausschüssen und arbeitete alswissenschaftlicher Ratgeber für das noch junge Weizman-Institut.

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Er hielt weiterhin Kontakt mit Bergmann und war wie dieser derMeinung, israelische Forschung zu Kernwaffen sei unerläßlich:»Wir dachten beide, Israel müsse letzten Endes über den vollenKenntnisstand in der Nuklearphysik verfügen. Wissen Sie, in LosAlamos war eine neue Art von chemischer Reaktion entdecktworden. Ob es sich nun um ein Kraftwerk oder eine Bombe han-delt - es ist in jedem Fall eine Kernspaltung.«Nachdem Bergmann 1966 gezwungen worden war, den Staats-dienst zu verlassen, wies er in einem Interview mit einer israeli-schen Zeitung auf denselben Punkt hin: »Man muß begreifen, daßman durch Entwicklung der Atomenergie zu friedlichen Zweckenauch die Option auf die Kernwaffe bekommt. Es gibt nicht zweiverschiedene Atomenergien.« Niemals sprach Bergmann offenerüber die Bombe als in diesem Interview neun Jahre vor seinemTod. »Bergmann war mit Recht darauf bedacht«, sagte Mark, »daßnicht zuviel geredet wurde. Es war streng geheim, genau wie dasManhattan-Projekt.«Aber Bergmann hatte auch bei einer früheren Gelegenheit etwasvon seinem Wissen preisgegeben. Abraham Feinberg, ein wohl-habender New Yorker Geschäftsmann und glühender Befürwor-ter der Souveränität Israels, gehörte zu den engsten Vertrautenund Verbündeten Ben Gurions in den USA. Ende der vierzigerJahre spielte Feinberg eine wichtige und äußerst diskrete Rolle alsGeldbeschaffer und Lobbyist für Israel und für die DemokratischePartei. In den nächsten zwei Jahrzehnten operierte er auf höch-ster Ebene zwischen Washington und Jerusalem. Im Herbst 1947war Bergmann in New York und besuchte wie gewöhnlich mitAbe Feinberg und seiner Familie Freitag abends den Gottesdienstin der Synagoge. Anschließend traf sich die Gruppe meistens inFeinbergs Wohnung. »Bergmann hatte ständig Hunger«, erinnertesich Feinberg. »Er freute sich immer auf die Rühreier, die meineFrau ihm machte.« Eines Abends hätten »Bergmanns Augen ge-leuchtet, und er sagte: -In der Wüste gibt es Uran.'« Feinberg ver-stand sofort, was Bergmann damit sagen wollte, nämlich daß jetztder Weg frei sei für die Entwicklung der israelischen Atombombe.Er wunderte sich über Bergmanns Offenheit und ließ ihn nichtweitersprechen.

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Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre waren IsraelsBedürfnisse nahezu identisch mit denen Frankreichs. Beide Län-der waren weit davon entfernt, über die technischen Möglichkei-ten zum Bau der Bombe zu verfugen, und in beiden Ländern gabes keinen internen Konsens darüber, ob der Besitz der Bombeüberhaupt wünschenswert sei.Ben Gurion, Peres und Bergmann mußten über die Jahre viel Zeitund Energie für Auseinandersetzungen über das Atomwaffenpro-gramm innerhalb der israelischen Regierung aufbringen. Die mei-sten wichtigen Mitglieder der regierenden Arbeitspartei (Mapai)hielten eine israelische Bombe für selbstmörderisch und zu teuer;sie erinnerte sie an die Schrecken, die den Juden im ZweitenWeltkrieg widerfahren waren.In Frankreich drehte sich die Debatte um den Kalten Krieg. Fre-deric Joliot-Curie, Nobelpreisträger und Hochkommissar der fran-zösischen Atomenergiekommission, hatte vor dem Krieg wichtigeForschungen in der Kernphysik gemacht, war aber Mitglied derKommunistischen Partei, die sich einer Beteiligung Frankreichsan der Nato und jeder französischen Atombewaffnung widersetz-te. 1950 unterzeichnete er als erster den (von Moskau lancierten)Stockholmer Appell, in dem ein Verbot aller Kernwaffen gefor-dert wurde. Französische Wissenschaftler hatten zwar vor demKrieg entscheidende Beiträge zur Kernforschung geleistet. Den-noch war ihnen bei den amerikanischen und britischen Bom-benprogrammen des Zweiten Weltkriegs keine große Rolle zuge-standen worden, und aufgrund der Politik Joliot-Curies bliebFrankreich isoliert. Joliot-Curie wurde nach seiner Unterzeich-nung des Stockholmer Appells entlassen. Seine Nachfolger warenPierre Guillaumat, der im Krieg beim geheimen französischenNachrichtendienst gearbeitet hatte, und Francis Perrin, ein Mitar-beiter Joliots, der 1939 als erster eine Formel zur Berechnung derkritischen Masse des Urans veröffentlicht hatte. (Die kritischeMasse ist die zur Auslösung einer nuklearen Kettenreaktion erfor-derliche Menge.) Die Franzosen mußten ohne amerikanische Hil-fe weiterarbeiten, da die Amerikaner glaubten, die französischeAtomenergiekommission sei von sowjetischen Agenten unter-wandert.

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Perrin war auch für die französisch-israelischen Kontakte wichtig.Er war Sozialist und nach der deutschen Invasion 1940 aus Frank-reich nach England geflohen. Bei welcher Gelegenheit er Berg-mann kennenlernte, ist nicht bekannt, aber sie wurden Freunde,und Perrin reiste 1949 nach Tel Aviv. Nach diesem Besuch durf-ten einige israelische Wissenschaftler das neue französischeAtomforschungszentrum in Saclay bei Versailles besuchen undsich am Bau des kleinen Versuchsreaktors von Saclay beteiligen.Das war für die Kernkraftspezialisten beider Länder eine lehrrei-che Erfahrung.In einem unveröffentlichten Interview mit einem amerikanischenDoktoranden sprach Bergmann darüber, was er, Ben Gurion undPeres von den französisch-israelischen Kontakten erwarteten:»Wir waren der Auffassung, Israel müsse ... mit einem Land zu-sammenarbeiten, das technisch auf einem vergleichbaren Standwar. Das Wichtigste war die Ausbildung der israelischen Fachleu-te. Erst dann konnten wir genau beurteilen, welche Art von Zu-sammenarbeit wir suchen und welchen Beitrag wir zu einer ge-meinsamen Unternehmung leisten müßten — und zwar beides inAbhängigkeit von Israels Möglichkeiten und Ressourcen. DieseZusammenarbeit sollte auf keinen Fall in eine Einbahnstraße füh-ren.«Eine für Frankreich und deshalb auch für Israel wichtige Ent-scheidung fiel 1951. Guillaumat genehmigte trotz der BedenkenPerrins den Bau eines mit Natururan beschickten Reaktors, dernach der chemischen Wiederaufbereitung jährlich ungefähr zehnKilogramm waffenfähiges Plutonium produzieren konnte. DieKettenreaktion sollte mit Graphit moderiert werden - eine Metho-de, die in den riesigen, plutoniumproduzierenden Reaktoren inden Vereinigten Staaten und der Sowjetunion eingesetzt wird. Inder Nähe von Limoges in Zentralfrankreich waren einige Jahrezuvor große Vorkommen von Natururan gefunden worden, unddiese Entdeckung machte es Guillaumat und Perrin leicht, eineandere Möglichkeit zur Versorgung des Reaktors mit Brennstoffnicht weiter in Betracht zu ziehen: die Verwendung von künstlichangereichertem Uran. Angereicherte Brennstoffe hätten, sofernsie überhaupt verfügbar gewesen wären, eingeführt werden müs-

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sen. Die französischen Wissenschaftler waren damals noch nichtin der Lage, Natururan anzureichern. Aber die Abhängigkeit vonausländischen Lieferanten und die unvermeidbaren internationa-len Kontrollen wären der atomaren Autarkie Frankreichs im Wegegewesen, und damit dem wichtigsten Ziel der französischenAtompolitik. »Frankreich«, schrieb Charles de Gaulle in seinen Me-moiren aus dem Zweiten Weltkrieg, »ist nur Frankreich, wenn esGröße hat.« Die Entscheidung, waffenfähiges Plutonium zu pro-duzieren, mußte Frankreich über kurz oder lang in die Lage ver-setzen, die Atombombe zu bauen. Guillaumat, Perrin und die Is-raelis mußten das wissen, aber die französische Öffentlichkeitund die Führungskräfte des französischen Militärs wußten nichtsdavon.Ein Jahr später wurde in Marcoule im südlichen Rhonetal mit demBau begonnen. Saint-Gobain Techniques Nouvelles (SGN), eingroßer Chemiekonzern, bekam den Auftrag, auf dem Geländevon Marcoule eine chemische Wiederaufbereitungsanlage zu er-richten. Solche Anlagen sind für den Bau der Bombe unerläßlich.Wenn das Natururan im Reaktor abgebrannt wird, zerfällt es inUran, Plutonium und hochgiftigen Atommüll. Die abgebranntenBrennelemente müssen transportiert, gekühlt und dann chemischbehandelt werden, bevor das reine Plutonium chemisch abge-trennt werden kann. Diese Vorgänge können nur ferngesteuertund in einer eigens dafür gebauten abgeschlossenen Anlage ab-laufen. Eine solche Wiederaufbereitungsanlage braucht sehr auf-wendige und teure Schutzvorrichtungen für die Bedienungs-mannschaften.Bergmanns Leute konnten zu all dem etwas beitragen. Wiederflammte in Israel der Streit auf über das ständig anwachsende is-raelische Engagement in Frankreich. Aber Ben Gurion blieb hart.»Im Jahr 1952«, sagte Shimon Peres zu einem israelischen Repor-ter, »stand ich ganz alleine da mit meinem Ziel, die israelischeKernwaffenoption durchzusetzen. Ich fühlte mich schrecklich. Al-le waren gegen mich - nur Ben Gurion sagte: 'Warte nur ab, eswird in Ordnung gehen.« Manche sagten zu Ben Gurion: 'HörenSie nicht auf Shimon; er und Bergmann phantasieren doch nur.Israel wird nie in der Lage sein, ein Projekt wie dieses durchzu-

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ziehen. Kaufen Sie doch lieber von den Kanadiern oder denAmerikanern.- Aber ich wollte mich an die Franzosen halten, weilBergmann bei den französischen Kernkraftexperten sehr angese-hen war.«Französische Beamte revanchierten sich für das israelische Ver-trauen: Nur israelische Wissenschaftler bekamen die ganze gehei-me Nuklearanlage in Marcoule zu sehen. Israelis durften sich dort»nach Belieben« umsehen. Ein naheliegender Grund für diese Ge-nerosität war die herausragende Fachkompetenz der Israelis aufdem Gebiet der Computertechnologie. Die Franzosen bliebenwährend des ganzen nächsten Jahrzehnts - der erste französischeAtomtest fand I960 statt - von israelischem Computerwissen ab-hängig. Ein zweiter Grund für die Präsenz der Israelis in Marcoulewar emotionaler Natur: Viele französische Beamte und Wissen-schaftler hatten in der Resistance gearbeitet, und der Holocausthatte sie emotional sehr stark berührt. Und schließlich waren vie-le führende französische Kernphysiker Juden und entschiedeneBefürworter des neuen jüdischen Staates, der sich - zu ihrer Freu-de - zum engsten Verbündeten Frankreichs im Nahen Osten ent-wickelte.Kein Franzose hatte stärkere emotionale Bindungen an Israel ge-habt als der Nuklearchemiker Bertrand Goldschmidt. Im ZweitenWeltkrieg hatte er zu den wenigen französischen Wissenschaftlerngehört, die - obwohl Ausländer - direkt an der amerikanischenNuklearforschung beteiligt wurden. Er war Fachmann für Plutoni-um und Plutoniumgewinnung geworden und hatte beim Bau ei-nes Versuchsreaktors mitgeholfen, der mit Natururan beschicktund mit schwerem Wasser moderiert wurde. Als hervorragenderChemiker hatte er nach dem Krieg das Angebot bekommen, beimamerikanischen Atombombenprogramm weiterzuarbeiten. Aberer zog es vor, nach Frankreich zurückzukehren und Mitglied derfranzösischen Atomenergiekommission zu werden. Nach intensi-ven Verhandlungen gaben amerikanische Sicherheitsbeamte ihmdie Erlaubnis, weigerten sich aber, ihn aus der Geheimhaltungs-pflicht zu entlassen, die er im Krieg eingegangen war. »Es herrschtestillschweigendes Einvernehmen darüber«, schrieb Goldschmidtspäter, -daß wir unser Wissen zum Nutzen Frankreichs anwenden

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konnten, indem wir unseren Forschungsteams Informationen wei-tergaben; aber nur in dem Umfang, wie es für unsere Arbeit not-wendig war, und wir durften nichts veröffentlichen. Das war einvernünftiger Kompromiß« - um den sich bald niemand mehr küm-merte.Goldschmidt war ein Jude, dessen Familie wie viele jüdische Fa-milien in Europa im Krieg gelitten hatte. Seine Heirat verstärkteseine Bindungen zu Israel. Seine Frau entstammte der Bankiers-familie Rothschild, die für Israel und die jüdische Sache achtstel-lige Dollarsummen stiftete. Goldschmidt und seine Frau waren inden frühen fünfziger Jahren nach Israel gepilgert. Ernst Bergmannhatte sie zu einem denkwürdigen Treffen mit Ben Gurion in des-sen Fachwerkhaus in der Wüste Negev mitgenommen.' Inzwi-schen arbeitete Goldschmidt als chemischer Direktor für dieAtomenergiekommission; in den siebziger Jahren wurde er dannzum allgemein geachteten französischen Gegner der Proliferationvon Atomwaffen und äußerte sich auch zu anderen internationa-len Themen, die mit Kernenergie zu tun hatten. Er gehörte auchzu den wenigen Außenstehenden, die in den sechziger Jahrenden fertiggestellten Reaktor von Dimona besichtigen durften -damals ein klassisches Beispiel für die nach internationalemRecht illegale Verbreitung der Atomtechnologie.»Wir haben ihnen (den Israelis) nicht direkt geholfen«, sagte Gold-schmidt Jahre später. »Wir haben ihnen nur unsere Forschungser-gebnisse mitgeteilt, ohne zu wissen, wohin das führen würde.Wir wußten selbst nicht, wie schwierig das werden würde.« Wasman verstehen müsse, setzte er betreten hinzu, sei der Umstand,daß »der Besitz einer Atomwaffe in den fünfziger und sechzigerJahren als etwas Gutes betrachtet wurde, wozu einem gratuliertwurde. Es war keine Schande wie heute.«

Bis 1953 gelang es den wissenschaftlichen Mitarbeitern des Weiz-man-Instituts, einen verbesserten lonenaustauschmechanismuszur Herstellung von schwerem Wasser und ein effektiveres Ver-fahren zum Uranabbau zu entwickeln.6 Beide Ideen wurden nachFrankreich verkauft. Das führte zu einem formellen Koopera-tionsabkommen auf dem Gebiet der Kernforschung, das von den

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beiden Staaten unterzeichnet wurde. Goldschmidt erinnerte sich,daß Bergmann selbst nach Frankreich kam, um den Verkauf desAbbauverfahrens mit Pierre Guillaumat auszuhandeln. Er verlang-te einhundert Millionen Francs dafür, weigerte sich aber, es imvoraus im einzelnen zu beschreiben, um seinen Wert nicht zuschmälern. Die Verhandlung geriet ins Stocken. Goldschmidt be-richtete weiter: »Schließlich sagte Guillaumat zu mir: >Ich habeden größten Respekt vor diesen Leuten', und dann wurde ge-feilscht.« Bergmann ließ sich auf sechzig Millionen Francs herun-terhandeln. Israel arbeitete mit Frankreich bei Atomgeschäftenweiterhin auf einer Cash-and-carry-Grundlage zusammen.

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3Die French Connection

Ende 1953 zog sich Ben Gurion desillusioniert in seinen Wüsten-kibbuz in Sdeh Boker in der Nähe der späteren Anlage von Di-mona zurück. Er glaubte, die israelische Gesellschaft sei im Be-griff, ihren Pioniergeist und ihren Gemeinschaftssinn zu verlieren.Zur Wiederbelebung dieser Ideale wollte er ein Beispiel geben,indem er sich mit seiner Frau wieder in der Wüste niederließ.Aber die politische Kontrolle über seine Mapai-Partei gab er - wieein Mafiaboß - keinen Augenblick aus der Hand, und die Regie-rung hielt er nach wie vor am Zügel. Ben Gurion ließ sich nichtvon einem, sondern von zwei Nachfolgern ersetzen. Er sorgte da-für, daß die Ämter des Premier- und des Verteidigungsministers,die er bisher beide innegehabt hatte, nun getrennt wurden. Mo-she Sharett ernannte er zum neuen Premierminister. Ben Gurionund Sharett hatten völlig unterschiedliche Positionen zur arabi-schen Frage. Sharett hatte als Kind in einem Araberdorf gelebt,sprach (im Gegensatz zu Ben Gurion) arabisch und glaubte, daßFrieden mit den Arabern möglich sei, aber nur durch militärischeSelbstbeschränkung und unter Einbeziehung der Vereinten Natio-nen. Als Premierminister führte er geheime Friedensverhandlun-gen mit Nasser.Bevor er sein Amt niederlegte, designierte Ben Gurion Pinhas La-von zum neuen Verteidigungsminister. Lavon verfocht den Ara-bern gegenüber einen härteren Kurs als Sharett. Ben Gurion hatteoffenbar die Absicht, ein Gegengewicht zu Sharett zu schaffen.Außerdem sorgte er dafür, daß Moshe Dayan, ebenfalls ein Hard-liner, neuer Generalstabschef der israelischen Armee wurde. Chefdes Verteidigungsministeriums blieb Shimon Peres: ein wohlbe-kannter Günstling Ben Gurions.In bezug auf die nukleare Frage konnte sich Ben Gurion auf

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Sharett verlassen. Aus Sharetts umfangreichen, bisher in engli-scher Sprache nur unvollständig veröffentlichten persönlichenTagebüchern geht hervor, daß er den Ehrgeiz des alten Mannesfür das »Unternehmen« teilte. Bergmann gegenüber war er aller-dings mißtrauisch. In einem typischen Eintrag bezeichnete erBergmann als Chemiker, der »völlig in Forschung und Lehre ver-tieft« sei und »das 'Problem- nicht überschauen« könne. »Problem«war eines von vielen Synonymen für die Bombe. »Bergmannsgeringe organisatorische Fähigkeiten«, schrieb Sharett, »beschrän-ken und stören die Perspektiven des 'Unternehmens- und hem-men seine Entwicklung.«Die Lösung der arabischen Frage war in den nächsten Jahren al-lerdings das wichtigste Thema, und es traten unvermeidlicheSpannungen auf, als Dayan und Peres, die fast ständig in Kontaktmit Ben Gurion in seinem Kibbuz standen, Sharetts »Tauben-Po-litik und seine geheimen Gespräche mit den Ägyptern zu unter-laufen versuchten. Mitte 1954 gab es einen Skandal: Die ägypti-schen Behörden hoben einen israelischen Spionagering aus, derim Lauf des Jahres Bombenattentate und andere Sabotageakte ge-gen amerikanische, britische und ägyptische Einrichtungen ver-übt hatte. Die Sache wurde als die »Lavon-Affäre« bekannt. Zielder Anschläge war es gewesen, die schwebenden britischen undamerikanischen Verhandlungen mit der Regierung Nasser platzenzu lassen und die möglichen Annäherungen, die sich hätten erge-ben können, zu verhindern. Bei einer internen israelischen Unter-suchung konnte nicht geklärt werden, wer den Befehl für die Sa-botageakte gegeben hatte. Sharett hatte nichts davon gewußt; imJanuar 1955 nahm er Lavons Rücktrittsgesuch an. Ein paar Tagespäter wurde Ben Gurion aus dem Ruhestand zurückgerufen undnahm Lavons Platz auf dem Stuhl des Verteidigungsministers ein.1

Sharett blieb Premierminister, aber es gab keinen Zweifel daran,wer in der Regierung das Heft in der Hand hielt.Die erste öffentliche Aktion des Alten Mannes sollte die Moral derArmee und das Vertrauen der Bürger in die Regierung wiederher-stellen. Bei seinem Amtsantritt war er überzeugter denn je, daß ei-ne Politik militärischer Repressalien notwendig war. Jede Einmi-schung in die militärische Planung, warnte er Sharett schriftlich,

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würde ihn dazu zwingen, wieder zurückzutreten und Neuwahlenanzuberaumen. Sechs Tage nach seinem Amtsantritt, am 28. Fe-bruar 1955, reagierte Ben Gurion auf eine Grenzverletzung durchpalästinensische Guerillas (Fedajin) mit einem großangelegtenVergeltungsschlag gegen das ägyptische Militärlager in Gaza. Beidem israelischen Angriff wurden sechsunddreißig Ägypter und Pa-lästinenser getötet. Die Operation wurde von Oberstleutnant ArielSharon geleitet. Sharon war für sein militärisches Können und sei-ne Brutalität schon damals berüchtigt. Nach dem Angriff auf Gazaeskalierten die Grenzgeplänkel fast zu einem Guerillakrieg. Diearabischen Verluste waren viermal höher, als Sharett von den Mili-tärs angekündigt worden war. Die geheimen Kontakte zwischenSharett und Nasser wurden abgebrochen, und die Ägypter be-schlossen, ihre Fedajin-Angriffe vom Gazastreifen aus zu verstär-ken. Der israelische Historiker Avi Shlaim schrieb, Sharett habe diedaraufhin zunehmenden Grenzkonflikte im Gazastreifen als die»unvermeidliche Folge« des Überfalls vom 28. Februar betrachtet.Ben Gurion dagegen sah sie »als Zeichen wachsender ägyptischerKriegslüsternheit, die eine prinzipielle Bedrohung der israelischenSicherheit darstellen wird, wenn man ihr nicht Einhalt gebietet«.Als die Spannungen zunahmen, wandte sich Nasser an die kom-munistische Welt um Hilfe. Im April 1955 reiste er nach Bandungzur Konferenz asiatischer und afrikanischer Nationen und erhieltvon Chou En-lai, dem chinesischen Premierminister, die Zusage,die Ägypter könnten so viele Waffen kaufen, wie sie bezahlenkönnten. Im Juli traf eine sowjetische Delegation in Kairo einund bot militärische Hilfe an. Im September gab Nasser bekannt,daß Ägypten die schwindelerregende Menge von 200 modernensowjetischen Kampfflugzeugen, 230 Panzern, 200 Truppentrans-portflugzeugen und mehr als 500 Geschützen erhalten werde.Auch sowjetische Berater wurden zugesagt.In Israel machte sich Bestürzung breit. Der dritte Tempel Israelswar in Gefahr.2 Ben Gurion bekam zu diesem Zeitpunkt immernoch keine amerikanische Unterstützung. Jetzt wandte er sich andie Franzosen. Die Israelis wollten mehr als Artillerie. Und dieFranzosen hatten etwas, das den israelischen Wünschen ent-sprach.

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Ende 1954 hatte die Koalitionsregierung unter Pierre Mendes-France (eine der vierzehn Koalitionen, von denen die chaotischeVierte Republik regiert wurde) die Genehmigung für die Bildungeiner Kernwaffen-Planungsgruppe innerhalb der Atomenergie-kommission erteilt. Damit hatten höhere Beamte des Verteidi-gungsministeriums zum ersten Mal mit Kernkraft zu tun. Vielefranzösische Militärs waren einem unabhängigen atomaren Ab-schreckungspotential mit Skepsis begegnet, aber diese Einstel-lung änderte sich, als Ho Chi Minh die Franzosen im Jahr 1954 beiDien Bien Phu in Nordvietnam besiegte, und der französischeKolonialismus in den nordafrikanischen Unabhängigkeitskriegenzusammenbrach. Vielen Franzosen wurde schmerzlich bewußt,daß sich Frankreich zum Schutz rein französischer Interessennicht auf seine Nato-Verbündeten verlassen konnte. Das galt be-sonders für Algerien, wo die Aufständischen Blutbäder in denKasbas und in der Wüste anrichteten.Im Januar 1955 fand wieder ein Regierungswechsel statt. Dieneue sozialistische Regierung unter Guy Mollet verfocht im Alge-rienkrieg eine viel härtere Linie gegenüber Nasser und anderenarabischen Führern, die den Rebellen Unterstützung leisteten. Is-rael hatte einen intensiven Guerillakrieg gegen Ägypten geführtund wurde nun allgemein als verläßlicher Verbündeter Frank-reichs betrachtet. Noch im selben Jahr erklärte sich Mollet bereit,heimlich modernste Bomber an Israel zu verkaufen; das Geschäftwurde von Shimon Peres arrangiert und zwischen den beidenVerteidigungsministerien abgewickelt. Es gab keinerlei diplomati-sche Honneurs und keine Beteiligung der beiden Außenministe-rien. Zwölf Jahre lang wurden nun Waffen von Frankreich nachIsrael geliefert.Israel erklärte sich im Gegenzug bereit, nachrichtendienstliche Er-kenntnisse über den Nahen Osten, die USA und Europa an Frank-reich weiterzugeben. Die israelischen Kommunikationsnetze inNordafrika waren deshalb so gut, erinnerten sich israelische Be-amte, weil die Juden meistens als Händler und Geschäftsleute inden arabischen Vierteln lebten. Besondere Bedeutung hatten diemehr als 100 000 Juden in Algerien, von denen viele zwischender Gewalt und der Irrationalität der Kontrahenten in der Falle

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saßen. Diese Juden wurden von der israelischen Regierung auf-gefordert, die Franzosen mit Informationen über die Führung derFLN zu versorgen und auch auf andere Weise mit ihnen zusam-menzuarbeiten.Zwangsläufig zogen Bergmann und Peres den Schluß, Israel habenun genug Einfluß, um von Frankreich Hilfe für die israelischeBombe fordern zu können. Würde die Regierung Mollet das unge-wöhnliche israelische Engagement in Algerien und anderswo wür-digen und in Israel einen großen Reaktor - eine chemische Wie-deraufbereitungsanlage - bauen? Die Israelis wußten, daß ohneWiederaufbereitungsanlage für Plutonium keine Waffe gebautwerden konnte und daß der Bau einer solchen Anlage ohne dieFranzosen nicht möglich war. Es war vorgesehen, daß die französi-sche Atomenergiekommission Mitte 1955 mit dem Bau ihrer eige-nen chemischen Wiederaufbereitungsanlage in Marcoule begin-nen sollte. Israelische Wissenschaftler waren von Anfang an beider Planung dabeigewesen.Hätten die Franzosen die Forderung erfüllt, hätte das ironischer-weise eine Krise in der israelischen Regierung auslösen können.Ein französisches Engagement hätte Peres und Bergmann ge-zwungen, dem Kabinett mitzuteilen, daß Israel eine geheimeNuklearanlage baute. Schon von den wenigen Menschen, diebislang davon wußten, wurden viele Bedenken dagegen geäu-ßert. Levi Eschkol, der Finanzminister, glaubte wie Ben Gurion,daß es zur Bombe keine Alternative gebe. Eschkol war aberauch davon überzeugt, daß Atomrüstung aus finanziellen Grün-den verrückt sei. Eschkol wich von dieser Auffassung auch nichtab, als er 1963 Premierminister wurde. In der israelischen Füh-rungsschicht gab es außer finanziellen auch noch andere Ein-wände: Konnte Israel den Reaktor geheimhalten? War es für Is-rael, dessen Volk so unsäglich unter dem Holocaust gelittenhatte, in moralischer Hinsicht akzeptabel, eine Massenvernich-tungswaffe zu erwerben? Was würde die amerikanische Regie-rung dazu sagen? Würde der Strom der amerikanischen Dollarsversiegen?Der September 1955 brachte einen Durchbruch für die Befürwor-ter der Atomrüstung. Die kanadische Regierung gab bekannt, sie

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werde für Indien einen Schwerwasser-Forschungsreaktor bauen.Eine internationale Aufsicht war in dem kanadischen Angebotnicht vorgesehen, denn bisher gab es kein internationales Ab-kommen zur nuklearen Sicherheit. Indien versprach, den Reaktornur »friedlich« zu nutzen. Endlich gab es einen internationalenPräzedenzfall für einen israelischen Reaktor.Ende 1955 wurde eine neue israelische Regierung gebildet. BenGurion war nun wieder Premier- und Verteidigungsminister. Mo-she Sharett blieb trotz diverser Befürchtungen als Außenministerim Kabinett. Bei den Wahlen im Sommer schrumpfte die Mapai-Mehrheit in der Knesset. In der Öffentlichkeit wuchs die Unzu-friedenheit mit der »Tauben-Politik von Moshe Sharett.3 Eisen-howers Versuch, eine Annäherung zwischen Nasser und BenGurion zu erreichen, schlug fehl. Der ägyptische Präsident wei-gerte sich 1956, direkt mit Jerusalem zu verhandeln, und präsen-tierte Forderungen, von denen er (nach Meinung vieler Israelis)genau wußte, daß sie völlig unannehmbar waren. Ein paar Mo-nate später wurden auch die seit langem geführten direkten Ge-spräche zwischen Jerusalem und Washington abgebrochen; aufein Sicherheitsabkommen mit den USA konnte Israel nun nichtmehr hoffen. Am 10. Juni beauftragte Ben Gurion General MosheDayan, mit Paris in Geheimverhandlungen über einen gemeinsa-men Krieg gegen Ägypten zu treten. Im Juli verstaatlichte Nasserwie erwartet den Sueskanal; dadurch veranlaßte er auch die erbo-ste britische Regierung zur Teilnahme an den geheimen Kriegs-plänen. Shimon Peres pendelte nun im Auftrag Ben Gurions zwi-schen Paris und Tel Aviv hin und her. Die Trennungsliniezwischen öffentlicher Politik und Privatdiplomatie wurde täglichdünner, was viele Mitarbeiter beider Regierungen veranlaßte, hin-ter vorgehaltener Hand zu protestieren.In diesem Sommer trat Moshe Sharett ganz unauffällig als Außen-minister zurück. Er hatte eine offene Debatte vor Mapai-Mitglie-dern über Israels Außenpolitik verlangt, was Ben Gurion jedochmit einer Rücktrittsdrohung verhinderte. Die israelische Öffent-lichkeit erfuhr erst 1980 durch die Veröffentlichung der persönli-chen Tagebücher Sharetts von den großen Meinungsverschieden-heiten an der Spitze der Regierung. Nachfolgerin Sharetts war

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Golda Meir, die Arbeitsministerin. Das herausragendste Merkmalihrer Qualifikation war, wie Ben Gurion später zugab, ihre Igno-ranz auf dem Gebiet der Außenpolitik. Golda Meir billigte BenGurions Anliegen, einen Präventivkrieg zu fuhren. Trotzdem wur-de ihr Ministerium von Ben Gurion, Peres, Dayan und Bergmannimmer wieder übergangen, wenn es um die Vertiefung der Zu-sammenarbeit mit Frankreich ging.Mitte September 1956, sechs Wochen vor der Sueskrise, hatte esnoch keinen internationalen Protest gegen den Verkauf des kana-dischen Reaktors an Indien gegeben. Jetzt hielt Ben Gurion denZeitpunkt für gekommen, formell um französische Hilfe beimBau der israelischen Bombe zu bitten. Israelische Nuklearwissen-schaftler, die in Saclay arbeiteten, waren seit 1949 an der Planungund Konstruktion des französischen Versuchsreaktors mit der Be-zeichnung EL 2 beteiligt gewesen. Er wurde mit Natururan be-schickt und mit schwerem Wasser moderiert. Es war durchausmöglich, einen ähnlichen Reaktor in Israel zu bauen. In Israel gabes Uran und in gewissem Umfang auch schweres Wasser. Mehrschweres Wasser, das sicherlich gebraucht werden würde, könnteFrankreich liefern, oder es könnte auf illegalem Weg in Norwe-gen oder in den Vereinigten Staaten gekauft werden. Die beidenStaaten waren damals die wichtigsten Schwerwasserproduzentender Erde. Ben Gurion hatte schon einen Platz für den israelischenReaktor gefunden: Im Untergeschoß einer alten, verlassenenWeinkellerei in Rishon Le Zion, ein paar Kilometer vom Weiz-man-Institut entfernt.Shimon Peres und Ernst Bergmann wurden nach Paris geschickt.Dort fand eine Sitzung der französischen Atomenergiekommis-sion statt, an die sich Bertrand Goldschmidt lebhaft erinnerte: »Siekamen zu mir und sagten, sie wollten so einen Schwerwasser-Forschungsreaktor bauen wie den kanadischen Reaktor in In-dien. Sie glaubten, die Amerikaner würden ihnen eine Sicher-heitsgarantie geben, wenn sie merkten, daß Israel die Bombehätte. All das wurde vor der Sueskrise beschlossen.«Vier Tage später, am 17. September, aßen Bergmann und Peresmit Francis Perrin und Pierre Guillaumat bei Jacob Tzur, dem is-raelischen Botschafter in Frankreich, zu Abend. Wieder verlang-

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ten die Israelis einen Reaktor von den Franzosen. »Wir hattenden Eindruck, die israelische Bombe sei gegen die Amerikanergerichtet«, erklärte Perrin später. »Nicht um sie auf Amerika abzu-werfen, sondern um sagen zu können: Wir werden euch schondazu bringen, uns in einer kritischen Situation zu helfen. Dennsonst werden wir unsere Atombomben einsetzen.««Goldschmidt war noch Jahre später davon überzeugt, die prin-zipielle Entscheidung, Israel zur Bombe zu verhelfen, sei bei die-sen beiden Gesprächen Mitte September getroffen worden. Esgibt keine schriftlichen Aufzeichnungen von den Gesprächen,und es kann nicht genau rekonstruiert werden, was wann ge-schah. Trotzdem steht fest, daß Israel mindestens sechs Wochenvor den ersten Schüssen am Sueskanal französische Hilfe für dieBombe anforderte und auch zugesagt bekam.

Viele Israelis meinten, ihre Partner hätten sie während des Feld-zugs auf dem Sinai verraten. Das unmittelbare taktische Kriegs-ziel Israels war es, die ägyptische Armee zu zerschlagen, weil siedie wachsende palästinensische Fedajinbewegung unterstützteund die Guerillas ausbildete. Das strategische Ziel jedoch warerheblich ehrgeiziger: Nasser sollte daran gehindert werden, diearabische Einheit zu verwirklichen. Die Zwietracht zwischen denislamischen Staaten war stets wichtigstes Ziel der israelischenStrategie gewesen, und Nasser stellte mit seinen panarabischenBestrebungen — aus israelischer Sicht gleichzusetzen mit der He-gemonie Ägyptens - eine ernste Bedrohung der nationalen Si-cherheit dar. Außerdem glaubten die Israelis, eine demütigendeNiederlage Ägyptens würde unweigerlich zum Sturz Nassers füh-ren.Nach dem Schlachtplan sollte Israel den Angriff am 29. Oktoberbeginnen. Fallschirmjäger sollten auf der Halbinsel Sinai landenund die ägyptischen Nachschublinien nach Gaza zerstören. Dannsollten Frankreich und Großbritannien beide Seiten auffordern,die Kampfhandlungen einzustellen, sich sechzehn Kilometer vomSueskanal zurückzuziehen und eine demilitarisierte Zone zu bil-den. Wenn die Ägypter, denen der Kanal gehörte, das ablehnten -und damit wurde gerechnet -, sollten Frankreich und Großbritan-nien am 6. November den Kanal aus der Luft angreifen, Schleusenzerbomben und ihn anschließend besetzen.Der tatsächliche Angriff verlief noch weit besser als geplant. Is-

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rael überrannte die ägyptische Armee und hatte bis zum 4. No-vember die ganze Sinaihalbinsel erobert. Nur die Forderung derUN nach einem Waffenstillstand konnte die israelische Armeedavon abhalten, den Sueskanal zu überqueren und Kairo ein-zunehmen. Guy Mollet drängte Anthony Eden, den britischenPremierminister, den gemeinsamen Angriff vorzuziehen, aberEden, beunruhigt durch den schnellen Vormarsch der israeli-schen Armee und die UN-Forderung, lehnte ab. Britische undfranzösische Truppen landeten wie geplant am Morgen des6. November in Port Said. Auch dieser Angriff konnte nur durchdas - so die israelische Sichtweise - nukleare Ultimatum der So-wjetunion gestoppt werden. Die Sowjets, zu diesem Zeitpunktmit der blutigen Niederschlagung des ungarischen Aufstandesbeschäftigt, schickten diplomatische Noten an Ben Gurion, Mol-let und Eden.In dem sowjetischen Telegramm an Ben Gurion wurde Israel be-schuldigt, es spiele »verbrecherisch und unverantwortlich mitdem Frieden und dem Schicksal des eigenen Volkes. Es sät unterden Menschen des Ostens Haß auf den Staat Israel, der sich un-weigerlich auf die Zukunft Israels auswirken muß und die Exi-stenz Israels als Staat gefährdet.« In einer zweiten Note, die vonPremierminister Nikolai Bulganin unterzeichnet war, wurde BenGurion explizit mit dem Einsatz sowjetischer »ferngesteuerterFlugkörper« und der Entsendung von Truppen zum »freiwilligen«Einsatz in den Nahen Osten gedroht.Anthony Eden gab als erster nach. Er stand sowohl von Seiten derRegierung Eisenhower unter starkem Druck, die Operation zu be-enden, als auch von seiten der britischen Labour-Opposition. Erinformierte Paris, er habe seinen Truppen befohlen, das Feuereinzustellen. Die Franzosen zogen nach. Israel war von seinenzwei Verbündeten im Stich gelassen geworden und mußte einpaar Tage später einen Waffenstillstand schließen und schließlichder Stationierung von UN-Friedenstruppen auf der Sinaihalbinselzustimmen.

Die Israelis waren enttäuscht von den Franzosen und wütend aufEisenhower. Ben Gurion hätte nie geglaubt, daß Eisenhower inden Wochen vor den Präsidentschaftswahlen von Israel abrücken

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würde. Viele Menschen in Israel und Frankreich hatten die USAfür die unumschränkte Schutzmacht Israels gehalten und dachtennun, die Amerikaner hätten angesichts der nuklearen Drohungder Sowjetunion klein beigegeben.4 Den Israelis erschien die Lek-tion eindeutig: Die jüdische Gemeinde in Amerika konnte Israelnicht retten.»Ihr Amerikaner habt uns reingelegt«, sagte ein früherer israeli-scher Regierungsbeamter in Erinnerung an seine damaligenGefühle. »Wenn ihr euch nicht eingemischt hättet, wäre Nassergestürzt und der Rüstungswettlauf im Nahen Osten gebremstworden. Israel wäre militärisch und technisch führend geblieben.Statt dessen kommt Ike daher, dieser dämliche Golfspieler, undverkündet im Namen der Menschlichkeit und der Unparteilich-keit: >Wir werden nicht zulassen, daß koloniale Mächte ihre Inter-essen durchsetzen.' Er begreift nicht, daß Nasser gestärkt und Is-raels Glaubwürdigkeit ein Schlag versetzt wurde.« Voller Bitterkeitließ sich der Israeli, der aus erster Hand über das Atomwaffenpro-gramm seiner Regierung Bescheid wußte, noch zu folgender Be-merkung hinreißen: »Wir haben schon verstanden. Wir könnenuns noch sehr gut an den Gestank von Auschwitz und Treblinkaerinnern. Das nächste Mal nehmen wir euch alle mit uns.«Als Ben Gurion am 6. November erfuhr, daß die Franzosen undBriten das Feuer eingestellt hatten, schickte er Peres und GoldaMeir nach Paris. Mollet hatte den Waffenstillstand verhindernwollen, aber angesichts der britischen Entschlossenheit zumRückzug war er der Ansicht, er habe keine andere Wahl. Schlim-mer noch: Mollet würde nun Ben Gurion davon überzeugenmüssen, die friedenstiftende Rolle der Vereinten Nationen aufdem Sinai zu akzeptieren. Israel würde sich aus dem Land zu-rückziehen müssen, für das seine Fallschirmjäger gekämpft hat-ten und gestorben waren.Später erzählte Peres einem Biographen, was er damals von Ei-senhower hielt: »... Ein Mann mit gesunden Zähnen, schönen Au-gen und einem warmen Lächeln, der nicht im mindesten wußte,

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wovon er eigentlich sprach. Und das, was er wußte, konnte ernicht richtig ausdrücken. Er konnte keine zwei zusammenhän-gende Sätze sagen. Die einzige Frage, die er beantworten konnte,war >Wie geht's?<«Bei einem Gespräch über die israelischen Bemühungen um dieAtombombe nach der Sueskrise stellte ein amerikanischer Mili-tärexperte Jahre später eine rhetorische Frage, die er auch gleichselbst beantwortete:»Welche Lehre haben die Vereinigten Staaten aus der Sueskrisegezogen? - Es ist außerordentlich gefährlich, Israel davon abhal-ten zu wollen, das zu tun, was es für seine nationale Sicherheitfür erforderlich hält.«Guy Mollets Schuld- und Schamgefühl darüber, daß Frankreichseine Verpflichtungen gegenüber seinen sozialistischen Freundenin Israel nicht hatte einhalten können, war nämlich ebenso großwie die israelische Verärgerung über Eisenhower. Offensichtlichwurde ein Tauschhandel abgeschlossen: Ben Gurion erklärte sichbereit, seine Truppen aus dem Sinai abzuziehen und die An-wesenheit der UN-Friedenstruppen zu akzeptieren. Dafür sollteFrankreich beim Bau eines Kernreaktors und einer chemischenWiederaufbereitungsanlage helfen. Israel hatte es nicht mehr aufeinen Versuchsreaktor wie denjenigen in Saclay abgesehen, son-dern auf einen »richtigen« Reaktor nach dem Muster von Mar-coule. Mollet, geradezu besessen von der französischen Schlap-pe, soll am Rande der Treffen mit Peres und Golda Meir zu einemBerater gesagt haben: »Ich schulde ihnen die Bombe. Ich schuldeihnen die Bombe.« Der Handel wurde abgeschlossen. Die Ver-handlungen brachte Peres allerdings erst nach einem Jahr zu En-de.5 Das formelle Abkommen zwischen Frankreich und Israelwurde nie öffentlich bekanntgemacht.Mollet machte 1956 auch formell den Weg für das französischeKernwaffenprogramm frei, indem er unter der Leitung des Stabs-chefs des Heeres ein Komitee für die militärische Nutzung derKernenergie einsetzte. Israelische Wissenschaftler waren dabei,als I960 der erste französische Atombombentest stattfand.Während in den nächsten Jahren viel waffenfähiges Plutonium inMarcoule produziert wurde, zogen die Franzosen die Lehren aus

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der Sueskrise. Ihr strategisches Ziel war, jede Abhängigkeit vonden USA und den Nato-Verbündeten zu vermeiden. Bei den Nu-kleartests im Südpazifik gab es zwar einige Fehlschläge, aber sieversetzten Frankreich bis Mitte der sechziger Jahre doch in dieLage, eine eigene nukleare Abschreckung, die force de frappe,aufzubauen. Das ehrgeizige Vorhaben, mit eigenen nuklearenGefechtsköpfen auf Interkontinentalraketen Ziele in der Sowjet-union anvisieren zu können, wurde erst in den achtziger Jahrenerreicht. Der intellektuelle Fürsprecher des französischen Kern-waffenprogramms war ein pensionierter General namens PierreGallois, dessen Argumentationen sich mit dem Satz zusammen-fassen lassen: »Wenn zwei Nationen - wenn auch ungleich - mitKernwaffen bewaffnet sind, ist der Status quo gesichert.« Die So-wjets würden den Schluß ziehen, so Gallois' Überlegung, es gebekein militärisches Ziel in Paris oder sonstwo in Frankreich, des-sentwegen sie die Explosion einer Atombombe in Moskau riskie-ren würden. Wenn Frankreich die Atombombe habe, brauche essich nicht länger (wie das ganze übrige Europa) Gedanken dar-über zu machen, ob die USA in einer nuklearen Krise zu seinerVerteidigung antreten und einen sowjetischen Vergeltungsschlagriskieren würden.Gallois wurde von den Israelis sehr ernst genommen, und Frank-reichs force de frappe wurde zum Modell für die strategische Pla-nung Israels. Seine Überlegung trug erheblich zu der Entschei-dung bei, sich nicht auf den atomaren Schutzschild der USA zuverlassen. Zusätzlich zu seinem neuen Reaktor wollte Israel dieKonstruktion von Langstreckenraketen erforschen, mit denenZiele im Nahen Osten und schließlich auch in der Sowjetunionerreicht werden könnten. Für Bergmann war der Reaktor in Di-mona nur der Anfang. Er wollte nun damit beginnen, ein ganzesAtomwaffenarsenal zu füllen.Bergmanns Rolle bei der Entwicklung des israelischen Atomwaf-fenarsenals ist bis heute ein Staatsgeheimnis. In den Jahren nachseinem Tod, als dieses Arsenal vervollständigt wurde, entwickel-te er sich praktisch zur Unperson. Er wurde ein Opfer der stren-gen israelischen Sicherheitsmaßnahmen und der dazugehörigenSelbstzensur. So pries Shimon Peres in einem 1979 in den USA

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veröffentlichten Buch Bergmann, mit dem er dreizehn Jahre langeng zusammengearbeitet hatte, als einen der sieben Gründer desStaates Israel. Peres erwähnte natürlich keine Kernwaffen, be-richtete aber, Chaim Weizman habe Bergmann als »zukünftigenKandidaten für die (israelische) Präsidentschaft« betrachtet. Unddoch wird Bergmann in einer 1982 veröffentlichten Peres-Bio-graphie von Matti Golan, einem früheren Regierungsbeamten,der Zugang zu Peres' Aufzeichnungen hatte, kein einziges Malerwähnt. Auch in der maßgeblichen Biographie Ben Gurionsvon Michael Bar-Zohar wird sein Name nicht genannt.

Im Frühjahr 1957 stellte sich heraus, daß der alte Weinkeller inRishon Le Zion doch nicht geeignet war. Der neue Reaktor, derdamals nur als EL 102 bezeichnet wurde, brauchte einen anderenStandort. Peres gelang es mühelos, Ben Gurion davon zu über-zeugen, daß Dimona in der Nähe der antiken Stadt Beerscheba inseiner geliebten Wüste Negev der geeignete Ort wäre. Aus Pariskam Geld, direkt aus dem Etat des Premierministers, und die fran-zösische Chemiefirma Saint-Gobain, die zwei Jahre später dieWiederaufbereitungsanlage in Marcoule fertigstellte, bekam denAuftrag, die israelische Wiederaufbereitungsanlage zu bauen -und zwar unterirdisch. Als die Ingenieure von Saint-Gobain dieArbeit aufnahmen, bekamen sie die ursprünglichen Konstruk-tionspläne für den Reaktor zu sehen und staunten nicht schlecht.Das französisch-israelische Abkommen sah vor, daß die Wär-meleistung der Anlage maximal vierundzwanzig Millionen Watt(24 Megawatt) betragen sollte. Aber aus den in den Plänen vorge-sehenen Kühlkanälen, den Einrichtungen für den Atommüll undanderen Angaben ging hervor, daß die Anlage die zwei- bis drei-fache Kapazität haben sollte.6 In diesem Fall könnte sie mehr Plu-tonium produzieren als der Reaktor in Marcoule, nämlich mehrals zweiundzwanzig Kilogramm pro Jahr. Das würde für vierAtombomben mit der Sprengkraft der Bomben von Hiroshimaund Nagasaki ausreichen.Die Erdarbeiten für EL 102 begannen Anfang 1958. Im Lauf dernächsten Jahre verwandelten Tausende von Tonnen importierterMaschinen und Hunderte von importierten Technikern, Ingenieu-

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ren, Ehefrauen, Kindern, Geliebten und Autos eine stille Ecke inder Wüste Negev in ein französisches boom-town. Seit Los Ala-mos hatte es etwas Vergleichbares - oder etwas so Geheimes -nicht mehr gegeben.

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4Erste Erkenntnisse

General Dwight D. Eisenhowers Vertrauen in Luftaufnahmen alsOberkommandierender der alliierten Streitkräfte im Zweiten Welt-krieg wurde durch die erschöpfenden Nachkriegsberichte über dieBombardierung Deutschlands und Japans bestätigt. Die Gutachtenkamen zu dem Schluß, daß 80 Prozent der brauchbarsten Informa-tionen von der Luftaufklärung stammten. Als Eisenhower 1953 Prä-sident wurde, war er besorgt wegen der fehlenden Überwachungder Sowjetunion aus der Luft, und er beauftragte die CIA, in dieserHinsicht etwas zu unternehmen. Unverzüglich wurde eine Abtei-lung für Bildaufklärung geschaffen. Beamte der CIA betrauten ei-nen Absolventen der Universität Chicago namens Arthur C. Lun-dahl mit der Leitung der Abteilung. Lundahl hatte während desKrieges für die Navy Aufnahmen ausgewertet, die bei Aufklärungs-flügen gemacht worden waren. Später war er bei dieser Tätigkeitgeblieben. Er heuerte Dino A. Brugioni als Mitarbeiter an. Brugionilegte damals gerade für die CIA Dossiers über die sowjetische In-dustrie an. Brugioni - ebenfalls ein Veteran aus dem Zweiten Welt-krieg - hatte an Bord von Bombern bei der Zwölften Luftlandedi-vision der Air Force in Italien Luftaufnahmen gemacht und warFunk- und Radarspezialist gewesen. Die CIA hatte ihn 1948, imJahr nach ihrer Gründung, angeworben.Kurz darauf billigte Eisenhower ein kühnes Aufklärungspro-gramm, das in erster Linie zur Luftüberwachung der Sowjetuniondiente, und er veranlaßte die Entwicklung des revolutionärenFlugzeugs, das sowohl für die CIA als auch für die Air Force vonNutzen sein sollte. Das Flugzeug, das unter strengster Geheimhal-tung von der Lockheed Aircraft Company in Burbank, Kalifor-nien, gebaut und als U-2 bekannt wurde, konnte mit knapp 4000Litern Treibstoff in rund 20 000 Metern Höhe fast elf Stunden in

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der Luft bleiben - und 7500 Kilometer zurücklegen. Mit Hilfe spe-zieller Linsen, Kameras und eines besonders empfindlichen Filmskonnte das Spionageflugzeug eine Strecke zwischen Moskau undTaschkent, südöstlich des Ural-Flusses, auf einem Foto festhalten.Die U-2 startete am 4. Juli 1956 von einem geheimen Stützpunktin Westdeutschland. Ihre ersten Ziele: sowjetische Abschußbasenfür Langstreckenbomber und Leningrad. Tags darauf wurde Mos-kau überflogen. Später wurden dem Präsidenten und seinen Be-ratern aufsehenerregende Fotos - Codename CHESS - vom Kremlund dem Winterpalast gezeigt. In der Türkei wurde ein zweiterU-2-Stützpunkt eingerichtet; später kamen noch weitere Stütz-punkte in Pakistan und Norwegen hinzu.Das Unterfangen war spektakulär: Innerhalb weniger Tage wurdesowjetisches Territorium von amerikanischen Flugkörpern undBombern des Strategischen Luftwaffenkommandos aus fotogra-fiert, kartographisch erfaßt und ins Visier genommen. In diesenersten Jahren galt es jedoch noch eine andere wichtige Aufgabezu erfüllen: die Lokalisierung und Aufnahme der industriellenKomplexe des sowjetischen Atomprogramms. Wo befanden sichdie Reaktoren, die Produktionsstätten von schwerem Wasser unddie Anlagen zur Verarbeitung von Uran und Plutonium? Wo stell-ten die Sowjets die nuklearen Gefechtsköpfe her, und wo wurdendie eigentlichen Waffen gefertigt?1

Mitte der fünfziger Jahre war klar, daß die sowjetische Techno-logie, zum Schrecken der Amerikaner, im atomaren Wettlauf rapi-de aufgeholt hatte. Im August 1949, vier Jahre nach Hiroshimaund Nagasaki, hatten die Sowjets ihre erste Atombombe auf Plu-toniumbasis gezündet. Diese Bombe hatte, wie ihre amerikani-sche Vorgängerin, die einfachste Bauart im gesamten atomarenArsenal - eine Kernspaltungswaffe. Solche Waffen bestehen auseinem kleinen Kern spaltbaren Materials, der von hochexplosi-vem Sprengstoff umgeben ist. Der Sprengstoff wird in genauerAbfolge gezündet (gemessen in Nanosekunden), wobei der Kernplötzlich und heftig komprimiert wird oder implodiert. Das spalt-bare Material wird »überkritisch« und setzt mit einer noch größe-ren Geschwindigkeit als der Kern Neutronen frei. Die plötzlicheFreisetzung von Energie löst die heftige Explosion aus.

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Schon vor Kriegsende gingen Edward Teller und andere ameri-kanische Atomwaffenexperten davon aus, daß die Herstellungeiner weitaus wirkungsvolleren Kernwaffe - wobei die Kern-spaltung nur ein erster Schritt war - theoretisch möglich sei. Dieneue Waffe, die unter dem Decknamen »Super« entwickelt wur-de, war die Wasserstoffbombe. Unter Physikern ist sie heute alsKernfusionswaffe bekannt. Bei der Entwicklung einer Wasser-stoffbombe gab es zwei zentrale Probleme: Wie sollte das Kern-material entzündet und wie sollte es zum Brennen gebracht wer-den. Nach vielen Versuchen gelang es Wissenschaftlern in LosAlamos, einen Zweiphasensprengkörper mit zwei separatenKomponenten in einem Sprengkopf zu entwickeln. Im Spreng-kopf wurde ein nuklearer Sprengkörper gezündet (erste Phase).Eine große Menge der Strahlung des nuklearen Sprengkörpersbefand sich im Sprengkopf und entzündete einen speziellenthermonuklearen Brennstoff im separaten Teil (zweite Phase).Als Kernbrennstoffe dienten Deuterium, ein Wasserstoffisotopmit der doppelten Masse von Wasserstoff, oder Lithiumdeuterid.Deuterium ist der wichtigste Brennstoff der Sonne; es verbrenntdort bei Temperaturen von Millionen Grad Celsius. Bei Expe-rimenten stellten amerikanische Physiker ehrfürchtig fest, daßein thermonuklearer Brennstoff, der in einer Wasserstoffbombedurch einen nuklearen Sprengkörper gezündet wurde, schnellerbrannte und eine höhere Temperatur und mehr Druck entwik-kelte als im Zentrum der Sonne. Der Schlüssel zur Wasserstoff-bombe war die Zündung eines nuklearen Sprengkörpers, dennnur ein nuklearer Sprengkörper konnte die hohen Temperaturenund - wie Wissenschaftler später feststellten - die Strahlung er-zeugen, die zum Verbrennen des thermonuklearen Brennstoffsnotwendig waren. Der thermonukleare Sprengkörper wurde1952 auf dem Eniwetok-Atoll im Westpazifik erfolgreich getestet.Die Bombe hinterließ einen Krater von zwei Kilometern imDurchmesser und fünfzig Metern Tiefe. Die Sprengkraft warsechshundertfünfzigmal höher als die der Hiroshima-Bombe.Später stellte das Team in Los Alamos fest, daß die Verschmel-zung von Deuterium und Tritium, eines anderen Wasserstoffiso-tops (ein Nebenprodukt des Lithiums), eine thermonukleare Ex-

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plosion von fünfzehn Megatonnen hervorrufen konnte - die tau-sendfache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe.Die Sowjets, die angeblich mindestens drei Jahre hinter dem ame-rikanischen Wasserstoffbombenprogramm herhinkten, machtenbei der Entwicklung von Vernichtungswaffen rasche Fortschritte.Die erste sowjetische Zweiphasen-Wasserstoffbombe wurde 1955erfolgreich getestet, und sechs Jahre später brachten sowjetischeWissenschaftler die größte bekannte Wasserstoffbombe mit einerSprengkraft von 58 Megatonnen zur Detonation. Im Jahr 1988 be-lief sich der sowjetische Vorrat an Nuklearwaffen auf schätzungs-weise 33 000 Sprengköpfe, etwas mehr als die Vereinigten Staatenin ihrem Rekordjahr 1967 hatten.Am Anfang war alles geheim - die Existenz der CIA ebenso, wiedie ihrer Abteilung für Luftaufklärung.Die ersten Flüge der U-2 über der Sowjetunion hatten den drama-tischen Beweis geliefert, daß die Sowjets bei der konventionellenRüstung nicht annähernd so weit waren wie das Pentagon ange-nommen hatte. Es gab keine »Bomber- oder »Raketen-Lücke«.Diese Erkenntnisse waren von allergrößter Bedeutung und wur-den umgehend Präsident Eisenhower und anderen hohen Beam-ten mitgeteilt. Als Leiter der U-2-Aufklärungseinheit war Lundahlbald der meistgefragte Berichterstatter der amerikanischen Regie-rung. »Ich war eine Art berittener Kurier«, erinnerte er sich. »Ichverbrachte die Nächte damit, mir Informationen zu beschaffen,und am Morgen ritt ich im Galopp durch Washington.«2 Die beiden U-2-Flügen gesammelten Informationen erhielt er von Bru-gioni.Die Vereinigten Staaten hatten auch ein wachsames Auge auf dieWüste in Israel. Eisenhower und die Männer in seiner Umgebung -darunter John Foster Dulles, der Außenminister, und dessen Bru-der Allen, der CIA-Direktor - waren darüber erbost gewesen, daßIsrael vor der Sueskrise 1956 versucht hatte, das Ausmaß seiner mi-litärischen Stärke zu verschleiern. Die zuverlässigste Quelle der Re-gierung blieb weiterhin die U-2, deren Piloten - darunter GaryFrancis Powers, der später abgeschossen wurde - in der Regel dieAufgabe hatten, die Sowjetunion zu überfliegen. Aber es gab nochandere ständige Ziele an neuralgischen Punkten, vor allem in Kri-

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sengebieten wie dem Nahen Osten im Jahr 1958. Zu Beginn desJahres hatten sich Ägypten und Syrien zur Vereinigten ArabischenRepublik zusammengeschlossen, was in der arabischen Welt zupolitischen Unruhen führte. Angefacht durch Ägypten und Syrienwurde die muslimische Opposition im prowestlichen Libanon zu-nehmend gewalttätig. Im Juli landeten amerikanische Marineein-heiten vor der Küste, um die Regierung Präsident Camille Cha-mouns zu sichern. Die ebenfalls prowestliche irakische Monarchiewurde durch einen blutigen Staatsstreich gestürzt und durch denMilitärdiktator Abdel Karim Kassem ersetzt.Gary Powers und seine Kollegen, die den Nahen Osten immer inwechselnden Abständen überflogen hatten, operierten nun stän-dig in diesem Gebiet. Plötzlich stellten die Bildauswerter der CIAauf einem Raketenübungsplatz der israelischen Luftwaffe südlichvon Beerscheba, einem alten Kamelhandelszentrum der Bedui-nen, verstärkte Aktivitäten fest.Die Auswertung von Fotos war 1958 noch eine junge Wissen-schaft und eine mühsame Arbeit. Der entwickelte Film einer U-2-Mission wurde auf dem schnellsten Wege an die Abteilung fürBildaufklärung der CIA weitergeleitet. Dort wurden Abzüge ge-macht, die Fotos wurden ausgewertet, wenn nötig auf Tafeln be-festigt, mit Allen Dulles erörtert und dann sofort ins Weiße Hausgebracht. Bis zum Ende seiner Präsidentschaft war Eisenhowerein eifriger Betrachter solcher Fotos, und oft hatten nur der Präsi-dent und seine engsten Mitarbeiter Zugang zu diesen Informatio-nen. Obwohl Geheimhaltung oberstes Gebot war, erfuhren dieSowjets schließlich von den U-2-Operationen und beklagten sichinsgeheim bitter über die Verletzung ihres Luftraums durch dieAmerikaner.3

Exotische Gruppen, wie Amerikas Atomplaner und die Männer,die U-2-Operationen genehmigten, mußten ständig eng zusam-menarbeiten. Plutonium und Tritium kommen zum Beispiel inder Natur nur in sehr geringen Mengen vor und müssen deshalbin einem Kernreaktor durch Bestrahlung von Lithium hergestelltwerden. Zu den unvermeidlichen Nebenprodukten des Herstel-lungsprozesses gehören radioaktive Gase, die in die Atmosphäregelangen. Die Auswerter der ersten U-2-Aufnahmen lernten,

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nach riesigen oder auffälligen Schornsteinen oder »Schloten« zusuchen - wie die Bildauswerter sie nannten. Alle wurden genauuntersucht, um zu klären, ob sie zu einer Atomwaffenfabrik ge-hörten.

Brugioni erinnerte sich, die ersten Anzeichen für einen israeli-schen Atomreaktor entdeckt zu haben. »Israel hatte eine Raketen-basis in der Wüste Negev, und wir beobachteten sie«, sagte Bru-gioni. »Es handelte sich um ein militärisches Ausbildungslager, wosie Übungen veranstalteten.« Ein Indiz, das nicht sofort richtig in-terpretiert wurde, war ein abgezäuntes großes, ödes Stück Land,ungefähr zwanzig Kilometer von der kleinen Wüstenstadt Dimo-na entfernt. Brugioni und die Bildauswerter vermuteten, daß dieIsraelis dort ein Munitionstestgelände einrichten wollten. Eineneue, vierzig Kilometer nördlich gelegene Straße, die direkt zudem abgezäunten Gelände führte, wurde überwacht. Plötzlichtauchten Bauarbeiter und schweres Gerät auf. Nun war die Stellenicht mehr nur ein Bezugspunkt unter den Tausenden von U-2-Negativen, die ins Hauptquartier der CIA flatterten. Mit den unter-irdischen Grabungen wurde Anfang 1958 begonnen. Kurz daraufwurde in die starken Fundamente Beton gegossen. Brugioni undseine Kollegen hatten sich in den Vereinigten Staaten mit Kernre-aktoren befaßt und einige besichtigt, und sie wußten, daß dortdraußen in der Wüste etwas Ungewöhnliches vor sich ging. »Wirerkannten es sofort. Was zum Teufel hatte diese Riesenanlage ausStahlbeton mitten in der Wüste zu suchen?«Die tiefen Ausgrabungen waren ein weiterer wichtiger Anhalts-punkt. »Nach dem Krieg von 1956«, erklärte Brugioni, »geschah inIsrael alles unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Aber derMensch baut nach einem festen Schema. Zum Beispiel kann manin den meisten Gegenden der Welt einen Kreis von vierzig Kilo-metern im Durchmesser ziehen und anhand des Kreises feststel-len, wie die Menschen dort leben. Man sieht Vieh auf der Weide,Schweine und Geflügel, und schließt daraus, daß die MenschenFleisch essen. Man kann auch Industriezweige, Schulen, Kirchen,Häuser usw. an ihren -Zeichen' erkennen. Beim Militär ist allesnoch schematisierter. Atomanlagen werden mit dicken Wänden

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und tief in die Erde gebaut. Die Israelis kippten verdammt vielBeton in die Fundamente. Wir wußten, daß sie tief in die Erdegingen.«Die Eisenhower-Administration hatte 1958 Verständnis für Israelsprekäre internationale Lage, erinnerte sich Brugioni. »Die Verei-nigte Arabische Republik galt als große Bedrohung. Man hatteAngst, Nasser könne sich mit der arabischen Welt verbünden undIsrael erobern. Es wäre ein echter Coup gewesen, wenn Nasser1958 den Libanon annektiert hätte.«Eisenhower beauftragte insgeheim die Air Force, israelische Jagd-flieger auszubilden und Kurse in Luftaufklärung und Bildauswer-tung anzubieten. Einige Amerikaner arbeiteten getarnt. -Die Devi-se lautete: Hilf ihnen (Israel) - drücke ein Auge zu, aber laß dichnicht erwischen.«Den bevorstehenden Bau eines geheimen Kernreaktors konntenLundahl und Brugioni jedoch auf keinen Fall ignorieren. Sie undihre Kollegen in der U-2-Abteilung glaubten zwar fest an das Exi-stenzrecht Israels, aber sie waren auch davon überzeugt, daß eineisraelische Bombe den Nahen Osten destabilisieren würde. Siewußten, daß es sich hierbei um politischen Zündstoff handelte,und deshalb warteten sie erst einmal ab; Spekulationen hättentödlich sein können. »Wenn man etwas über die Israelis erfährtund es weitergibt, sollte man besser vorsichtig sein«, meinte Bru-gioni. »Vor allem, wenn man Karriere gemacht hat.«Die Betonfundamente für die Reaktorkuppel lieferten den Be-weis, den Lundahl brauchte. Er brachte die ersten, noch nichtausgewerteten Fotos auf dem schnellsten Wege ins Weiße Haus,vermutlich Ende 1958 oder Anfang 1959.4 Lundahl kannte die Re-geln: Er hatte keinen schriftlichen Bericht bei sich - für die U-2-Mitteilungen sollte kein Papier verschwendet werden. »Ike wolltenichts Schriftliches, basta«, erinnerte sich Lundahl. Die besondereGeheimhaltung des U-2-Unternehmens wurde noch dadurch ver-schärft, daß Lundahls Abteilung ungewöhnlich breiten Zugang zuallen Geheimsachen der USA hatte, darunter auch zu den Berich-ten von Überläufern und Geheimagenten in der Sowjetunion undanderen Teilen der Welt. Den Bildauswertern wurden auch auf-gefangene Funkmeldungen und Protokolle von Verhören sowje-

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tischer und osteuropäischer Flüchtlinge zur Verfügung gestellt,die amerikanische und israelische Nachrichtenteams zusammen-gestellt hatten. Da die meisten Produktionsanlagen für Kernwaf-fen hinter dem Eisernen Vorhang sorgfältig getarnt waren, solltendie Bildauswerter die größtmögliche Unterstützung erhalten. Diebeiläufige Bemerkung eines Flüchdings über eine geheime Fabrikirgendwo in der Sowjetunion führte oft zu einer wichtigen Ent-deckung.Die Berichterstattung im Weißen Haus über diese Themen liefnach einem festen Schema ab: Zunächst berichtete Lundahl -meist in Begleitung von CIA-Direktor Allen Dulles und Außenmi-nister John Foster Dulles - dem Präsidenten das Neueste, und an-schließend bat ihn der Präsident um weitere Informationen. DieAbteilung für Bildaufklärung der CIA teilte die weitere Verfolgungeiner Sache in drei Kategorien ein. Phase eins war der unmittel-bare Bericht, der sobald als möglich vorgelegt wurde, wie bei denersten Aufnahmen vom Bau des israelischen Reaktors. Phasezwei war der Bericht, der über Nacht fertiggestellt werden mußte.Die Aufnahmen mußten vergrößert und montiert werden, und esbedurfte eines kurzen Kommentars und vielleicht eines Textes.Phase drei erforderte eine umfassende Analyse, die auf den Fotosvon Flügen über mehrere Wochen hinweg basierte. Dafür warenspezielle Anweisungen für die U-2-Piloten und umfassendes Bild-material erforderlich.Lundahl rechnete mit der Anweisung, Informationen über den is-raelischen Geheimdienst zu beschaffen, das heißt, Phase zweioder drei. Aber, so erinnerte er sich, »es erfolgte kein zusätzlicherAuftrag. Keine Bitte um Details. Niemand kam je wieder auf dasThema Israel zu sprechen«, fügte Lundahl hinzu. »Ich wurde niegebeten, weitere Informationen über die Israelis zu beschaffen.«Obwohl der Vorfall dreißig Jahre zurück lag, schien er immernoch erstaunt darüber.Aber es wurde ihm auch nicht verboten, und so setzte die U-2ihre Flüge über die Negev-Wüste fort. Außerdem gab Lundahl dieErkenntnisse über Dimona an Lewis L. Strauss, den Vorsitzendender Atomenergiekommission, und an ein paar AEC-Berater wei-ter, die zu den wenigen Mitarbeitern der Eisenhower-Administra-

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tion gehörten, die von dem U-2-Unternehmen wußten. LundahlsAuftrag lautete, sämtliche Informationen über Atomanlagen unddergleichen zuerst an das Weiße Haus und, wenn keine andereAnordnung erfolgte, anschließend an den Beauftragten der AECweiterzuleiten. »Eine so wichtige Angelegenheit wie Dimona wur-de rasch erledigt«, erinnerte sich Lundahl.»Meiner Ansicht nach habe ich meinen Vorgesetzten alles gesagt,was ich wußte«, sagte Lundahl. »Sie sitzen am längeren Hebel.«Von dem Briefwechsel zwischen Eisenhower und Ben Gurion überdie ominöse Anlage in der Negev-Wüste drang nichts an die Öf-fentlichkeit, aber es ist bekannt, daß solche Briefe existierten. Be-unruhigt über Nassers panarabische Haltung bat Ben Gurion dieAmerikaner im Juli 1958 insgeheim um »politische, finanzielle undmoralische« Unterstützung, da Israel Nasser und der »sowjetischenExpansion« standhalten wollte. Laut Ben Gurions autorisiertemBiographen Michael Bar-Zohar versicherte Eisenhower Ben Gu-rion in einem kurzen Brief, die Vereinigten Staaten seien an der In-tegrität und Unabhängigkeit Israels interessiert. Ben Gurion hattegehofft, er würde zu direkten Gesprächen mit dem Präsidentennach Washington eingeladen. Ein ehemaliger israelischer Regie-rungsbeamter enthüllte bei einem Interview für dieses Buch, daßEisenhower das Thema Dimona in dieser Zeit mindestens einmalzur Sprache gebracht habe. Daraufhin habe Ben Gurion gebeten,die Vereinigten Staaten sollten »ihren nuklearen Schutzschild aufIsrael ausweiten«. Nach Angaben des ehemaligen Regierungsbe-amten kam von Eisenhower keine weitere Reaktion.5

Brugioni war weiterhin fasziniert von der israelischen Anlage inDimona. »Wir beobachteten den Bau weiter. Wir sahen ihn wach-sen. Aus dem Weißen Haus«, erklärte er verwirrt, »kam nie die An-regung, weitere Informationen zu beschaffen. Es hieß immer nur:>Danke< und -Das wird doch nicht veröffentlicht, oder?- Das wardie Grundhaltung.«Brugioni stellte das Informationsmaterial für Lundahl zusammen.Er wußte, daß die Informationen über Israel an die höchste Stellegingen. »Tatsache ist«, sagte Brugioni, »daß ich nie rausgekriegthabe, ob das Weiße Haus nun wollte, daß Israel die Bombe hatoder nicht.«

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Lundahls Fotoexperten hatten mittels des umfangreichen U-2-Bildmaterials beobachtet, daß die Bautrupps (die Amerikanerwußten natürlich nicht sofort, daß diese unter französischer Lei-tung standen) in der Wüste zwei Baugruben aushoben. Man ver-suchte schon frühzeitig, die Größe der Baustellen zu bestimmen,indem man die vielen Kubikmeter Aushub schätzte, die täglichans Tageslicht befördert wurden. Für die amerikanischen Foto-sachverständigen war das ein alter Hut. Im Zweiten Weltkrieghatten sie beobachtet, wie die Deutschen ihre industriellen Anla-gen und Fabriken unter die Erde verlagerten, um sie vor derBombardierung der Alliierten zu schützen. Ein immer gleichblei-bender Anhaltspunkt für Aktivitäten unter der Erde war frischerErdaushub. Die CIA machte sich die Erfahrungen aus dem Zwei-ten Weltkrieg zunutze: Das Team, das 1956 für den Bau des Ber-lin-Tunnels zuständig war, der zwischen West- und Ostdeutsch-land gegraben wurde, tarnte die umfangreichen Grabarbeiten,indem es die Erde in den Behältern für die Verpflegung der Ar-beiter abtransportieren ließ.6

Eines jedoch wurde in den nächsten Jahren deutlich: Israel wußtevon den U-2-Flügen und reagierte mit Mißfallen. Irgendwannnach 1958 ließen die Israelis täglich Erde und Schutt von Lastwa-gen mit Planen abtransportieren. Mittlerweile gab es Hinweisedarauf, daß die zweite unterirdische Baustelle in Dimona für diechemische Wiederaufbereitungsanlage eingerichtet wurde, diefür die Herstellung von kernwaffentauglichem Plutonium unbe-dingt erforderlich war. Den besten Beweis für Israels Absichtenlieferte eine Analyse der bemerkenswerten Ähnlichkeiten zwi-schen Dimona und dem französischen Reaktor in Marcoule, wiesie auf Luftaufnahmen zu sehen waren. Die französische Anlagewurde Ende der fünfziger Jahre ständig von zivilen Transportflug-zeugen überflogen. Die Flugzeuge waren mit versteckten Kame-ras ausgerüstet und gehörten amerikanischen Diplomaten undMilitärangehörigen der amerikanischen Botschaft in Paris. Im Jahr1959 waren der Reaktor und die Wiederaufbereitungsanlage inMarcoule bekanntlich voll in Betrieb. »Offensichtlich folgten dieIsraelis dem französischen Beispiel«, erinnerte sich Brugioni. »Wirsahen genug, um zu wissen, daß dort (auf der zweiten Baustelle

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in Dimona) eine chemische Wiederaufbereitungsanlage errichtetwerden sollte.« Die Wiederaufbereitungsanlage in Marcoule warebenfalls vom Reaktor getrennt.Nach Fertigstellung des Reaktors in Dimona brachten die U-2-Flü-ge kaum neue Erkenntnisse. Die Fotos zeigten nur, was an derOberfläche geschah. Der Nachrichtendienst sollte Jahre brauchen,um mit Sicherheit festzustellen, ob Israel den nächsten Schritt ge-tan und eine chemische Wiederaufbereitungsanlage gebaut hatte.Amerikanische Militärattaches sollten sich einen Grund ausden-ken, um in die Wüste zu reisen. Die CIA hatte sogar angeboten,jeder Reisegruppe, die ein Picknick machen wollte, den Wein zubesorgen - als Gegenleistung für Fotos.Die CIA entwickelte für die Attaches spezielle automatische Ka-meras mit voreinstellbarem Objektiv. »Sie mußten nur noch aufden Auslöser drücken«, erinnerte sich Lundahl. »In den ersten Jah-ren«, fügte er hinzu, »schlichen sich ein paar Attaches an undmachten gute Fotos.« Später, als man herausfinden wollte, ob diechemische Wiederaufbereitungsanlage in Betrieb war, verlangtedie CIA von den Attaches, daß sie Gräser und Sträucher sammel-ten, die anschließend untersucht werden sollten. Theoretischmußte die Umgebung Spuren von Plutonium und anderen Spal-tungsprodukten aufweisen, falls diese tatsächlich hergestellt wur-den. »Ein Typ ging zu einer Stelle, wo hohe Grasbüschel standenund tat so, als müsse er scheißen«, erinnerte sich Brugioni undlachte. »Während er so tat, als wische er sich den Hintern, riß erein paar Grashalme aus und steckte sie in die Hosentasche.«Die Israelis pflanzten hohe Bäume, um künftig jedem Fotografendie Sicht zu versperren, und sie verstärkten ihre Patrouillen imUmkreis von Dimona.Das Katz-und-Maus-Spiel ging auch die nächsten zehn Jahre wei-ter. Die Israelis schirmten die sich ausdehnende Anlage in Dimo-na ab, und die Vereinigten Staaten wußten noch immer nicht mitBestimmtheit, ob Israel eine chemische Wiederaufbereitungsanla-ge betrieb. »Wir wußten, daß sie uns täuschen wollten«, sagte Bru-gioni, »und sie wußten es auch. Die Israelis verstanden etwas von(Luft-)Aufklärung. Verdammt, die meisten wurden ja bei der AirForce ausgebildet.«

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Nach Brugionis Ansicht drangen viele Informationen gar nicht biszu den Bildauswertern durch. »Allen Dulles fragte mich bei Gele-genheit, ob ich die -jüdische Information- gesehen hätte« - damitwaren Berichte von CIA-Agenten über die israelische Bombe ge-meint. »Ich verneinte, und später rief mich jemand von seinemBüro an, um mir zu sagen, ich solle es vergessen.« Ein überausschwieriges Problem waren die amerikanischen Juden, die sich -wie viele andere - intensiv für die Sicherheit Israels einsetzten.Ein paar amerikanische Atomphysiker waren nach dem ZweitenWeltkrieg nach Israel emigriert, unter ihnen ein Veteran des Man-hattan-Projekts, der bis 1956 in den brisantesten Bereichen derReaktortechnologie gearbeitet hatte. »Wir wußten, daß Judennach Israel gingen und den Israelis erklärten, was sie tun muß-ten«, sagte Brugioni. »Andererseits erhielten wir Informationenvon Juden, die nach Israel gingen und den Israelis verschwiegen,daß sie mit uns in Kontakt standen.« Ende der fünfziger Jahrekehrten jüdische Physiker und Wissenschaftler mit heißen Infor-mationen über das israelische Interesse an Kernwaffen aus Israelzurück. Die CIA hatte sogar einen Wink bekommen, daß Israelvon der jüdischen Gemeinde in Amerika große Summen für Di-mona zur Verfügung gestellt bekam.Ende 1959 waren sich Lundahl und Brugioni sicher, daß Israel dieBombe bauen wollte. Es bestand auch kein Zweifel mehr dar-über, daß Präsident Eisenhower und seine Berater entschlossenwaren, diese Tatsache nicht zur Kenntnis zu nehmen.Auch Brugioni und die anderen zogen es schließlich vor, Dimonanicht mehr zu erwähnen. »Es gab vieles, von dem wir nichts wuß-ten — und wir wollten es auch gar nicht wissen. Wir waren nichtdumm. Wir konnten immer noch zwei und zwei zusammenzäh-len. Aber die Hierarchie entschied, ganz auf cool zu machen -und so war es. Als leitender Beamter lernt man schnell, aus demKaffeesatz zu lesen und den Mund zu halten. Punktum.«

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5Interne Kriege

In der Anfangsphase war das israelische Atombombenprogramminneren und äußeren Anfeindungen ausgesetzt. Die große Mehr-heit der hohen Beamten, die über die Vorgänge in Dimona Be-scheid wußten, hielt es für töricht, zu einer Zeit, wo dringendkonventionelle Waffen wie Panzer, Kanonen und Flugzeuge ge-braucht wurden, Unsummen für eine Vernichtungswaffe auszu-geben, die vielleicht gar nicht funktionierte. Es war einfach lä-cherlich, sich ein unterentwickeltes und finanzschwaches Israelals Supermacht vorzustellen. Anfang der sechziger Jahre warenviele erfahrene israelische Wissenschaftler und Techniker ausForschungslabors und Betrieben nach Dimona geholt worden,wo ein enormer Bedarf an Arbeitskräften herrschte. Als Folge da-von kam es zu einer viel kritisierten Verlangsamung des indu-striellen Wachstums. Ein paar Mitglieder der wissenschaftlichenund akademischen Gemeinde hatten auch moralische Bedenken,unter ihnen zwei ehemalige Mitglieder der israelischen Atom-energiekommission. Als 1957 mit dem Bau des Reaktors begon-nen wurde, hatten vier weitere Mitglieder der Kommission ihrAmt niedergelegt, weil sie ganz einfach nichts zu tun hatten. Alseinziges Kommissionsmitglied blieb der Vorsitzende Ernst DavidBergmann im Amt.Bergmann, David Ben Gurion und Shimon Peres führten insge-heim ständig Krieg, um das israelische Bombenprojekt am Lebenzu erhalten. Das bedrohlichste Problem war Israels heimlicherPartner - Frankreich. Im Dezember 1958 war General Charles deGaulle für sieben Jahre zum Staatspräsidenten der neu konstitu-ierten Fünften Republik Frankreichs gewählt worden. Er hatteversprochen, eine akzeptable Lösung zur Beendigung des Krie-ges in Algerien zu finden. Alle anderen Angelegenheiten, wie die

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Frage nach der weiteren Unterstützung Israels, waren zweitran-gig. Bekanntlich befürwortete de Gaulle ausdrücklich eine eigen-ständige französische Atommacht; aber wie würde er auf die en-gen französischen Verbindungen zu Dimona reagieren? DieMitglieder der französischen Atomenergiekommission, die die is-raelischen Bombenpläne unterstützten, waren beunruhigt, undschließlich lösten sie das Problem auf die alte bürokratische Wei-se: Sie sagten de Gaulle nicht, was im Nahen Osten vor sich ging.Die Verträge waren unterzeichnet, das Geld wurde überwiesenund die Arbeit in Dimona ging voran.

Die Franzosen, die in Dimona arbeiteten, sorgten ebenfalls fürUnruhe. Hunderte von französischen Ingenieuren und Techni-kern waren 1957 in die Negev-Wüste geströmt, und in Beersche-ba herrschte eine rege Bautätigkeit; neue Apartmentkomplexeund Wohnanlagen wurden errichtet. Den Tausenden von nord-afrikanischen Juden (Sephardim) aus Marokko und Algerien, diebei den Grabungen und dem Bau des Reaktors und der Wieder-aufbereitungsanlage mithalfen, wurde ebenfalls Wohnraum zurVerfügung gestellt. Europäische Juden in der Regierung und inprivaten Unternehmen in ganz Israel wurden als Wissenschaftlerund Manager angeworben; auch sie wurden in Beerscheba unter-gebracht. Mitten in der Wüste entwickelte sich ein Kastensystem,und die Franzosen bildeten die Spitze, wie sie wiederholt deut-lich machten.»Die Franzosen waren arrogant«, sagte ein Israeli, der einen Teilseines Berufslebens in Dimona verbracht hatte. »Sie hielten Juden(in Israel) für minderwertig. Wir waren nicht geschniegelt und gutangezogen, aber wir waren intelligent. Einige der französischenBeamten waren ganz offensichtlich antisemitisch eingestellt«, er-innerte sich der Israeli, »und einer hatte sogar im Zweiten Welt-krieg mit den Nazis zusammengearbeitet. Er wurde schließlichaus Israel ausgewiesen. Die Juden aus Nordafrika, die als Arbeiterangeheuert worden waren, wurden von den Franzosen nochschlechter behandelt. Sie redeten von Juden aus Algerien oderMarokko als seien sie Steine — minderwertige Dinge. Sie benah-men sich wie die Nazis.« Selbst die Juden unter den Franzosen

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taten wenig, um die Spannungen zu verringern. Viele hielten sichfür etwas Besseres als ihre weniger vornehmen israelischen Kol-legen. Paradoxerweise wurden die algerischen und marokkani-schen Juden auch von ihren israelischen Arbeitgebern schlechtbehandelt. Es war zur Regel geworden, Marokkaner und Algeriernur für neunundfünfzig Tage einzustellen und sie danach zu ent-lassen. Auf diese Weise kamen sie nicht in den Genuß einer dervielen Vergünstigungen, die mit der Arbeitsdauer zusammenhin-gen (die israelische Wirtschaft wurde von der Arbeiterbewegungbeherrscht) und auf die sie nach zwei Monaten Anspruch gehabthätten. Nach ein paar freien Tagen wurden die jüdischen Arbeiteraus Nordafrika für weitere neunundfünfzig Tage eingestellt. -Einsozialistisches Regime«, bemerkte der Israeli bissig. Die nordafri-kanischen Juden wurden von Franzosen und Israelis gleicherma-ßen »wie Sklaven behandelt«.Als Mitte der sechziger Jahre Gerüchte über einen möglichenfranzösischen Rückzug laut wurden, ließ das viele Israelis völligkalt: Sie hatten genug von den Franzosen. Die israelischen Wis-senschaftler und Techniker hatten mittlerweile von den Franzo-sen eine Menge technischer Daten übernommen - viele Plänewurden umfassend geändert -, und nun dachte jeder nur noch:»Es klappt. Wir schaffen es auch allein.« Abraham Sourassi, einerder israelischen Führungskräfte in Dimona, war für den Bau derWiederaufbereitungsanlage verantwortlich. Er machte sich beiseinen Landsleuten beliebt, als er bei der Nachricht von deGaulles Ernüchterung über Dimona erklärte: »Ein Glück, daß wirdie los sind.« »Das war die typische israelische Haltung«, meinteder ehemalige Dimona-Mitarbeiter. »Ihr müßt es uns nur zeigen,dann machen wir es nach und machen es sogar besser.«Die lange Arbeitszeit, die harte Arbeit und die Selbstgefälligkeitder Franzosen konnten die Begeisterung darüber nicht schmä-lern, an dem wichtigsten Geheimnis Israels teilzuhaben. »Wirfühlten uns großartig«, sagte einer der ersten Israelis, die 1958 alsManager eingestellt wurden. »Wir waren Pioniere.« Er erinnertesich an sein erstes Gespräch mit Ernst Bergmann: »Er sagte zumir: -Wir haben ein großes Projekt vor, und wir brauchen diebesten Köpfe. Es ist etwas Außergewöhnliches, das Sie nie ver-

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gessen werden.'« Bergmann versicherte dem jungen Mann, daßsein neuer Job hilfreich für seine weitere Karriere sein werde -ebensogut wie der Dienst bei der israelischen Armee. »Er sagte,es sei >eine Ehre«. Das sei jetzt modern. Also füllte ich die For-mulare aus. Die Sicherheitsüberprüfung dauerte drei Monate.« Is-raelis, die Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen waren(wie viele vor dem Krieg) oder die Verwandte in Osteuropa hat-ten, wurden nach der Immigration nicht eingestellt wegen derwachsenden Angst der Israelis vor sowjetischer Infiltration. Die-se Angst wurde in hohem Maße durch die zunehmende Feind-seligkeit zwischen Moskau und Jerusalem geschürt. Israel warEnde der fünfziger Jahre durch eine Reihe skandalöser Spiona-gefälle geschwächt worden, und angeblich hatte die sowjetischeBotschaft in Tel Aviv mit ihren sechzig Mitarbeitern vor allemWissenschaftler im Visier.Sicherheit für das sich entwickelnde Atomprojekt war oberstesGebot, und Shimon Peres bestand auf der Schaffung eines neu-en Nachrichtendienstes, der anfangs Büro für besondere Aufga-ben hieß. Sein Leiter - von Peres sorgfältig ausgewählt - war einhochgewachsener, ruhiger ehemaliger Offizier des militärischenGeheimdienstes namens Binyamin Blumberg. Das Büro für be-sondere Aufgaben, das formell dem Verteidigungsministeriumzugeordnet wurde, entwickelte sich zum erfolgreichsten Nach-richtendienst der neueren Geschichte. Nach Blumbergs Abschiedmehr als zwanzig Jahre später war der Nachrichtendienst für ei-nen der schlimmsten Fehler Israels verantwortlich — für die An-werbung Jonathan Pollards. Blumbergs einzige Aufgabe Endeder fünfziger Jahre war, Dimona zu schützen, und er bestanddarauf, alle Einzelheiten zu erfahren. Ein für die Anwerbung vonWissenschaftlern zuständiger Israeli erzählte von einem hervor-ragenden Kandidaten, der vom Sicherheitsbüro in Dimona abge-lehnt worden sei, weil er in Osteuropa entfernte Verwandte ha-be. Er wandte sich an Blumberg, der jede bürokratische Regelignorieren konnte. »Ich mußte Blumberg anflehen, ihn einzustel-len. Wir brauchten ihn dringend. Er tat es - aber er sagte, esgeschehe >auf meine Verantwortung'.«Zu Beginn der sechziger Jahre nahm der Reaktor in Dimona all-

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mählich Gestalt an. Viele israelische Kernphysiker und -technikerwurden aus Frankreich zurückbeordert, wo sie jahrelang in Saclayund Marcoule geschult worden waren. Spitzenkräfte bekamendoppeltes Gehalt und eine Sieben-Zimmer-Wohnung in Beersche-ba - für damalige Verhältnisse ein außergewöhnlicher Luxus.Mit zunehmendem Tempo und wachsender Intensität der Bautä-tigkeit entwickelte sich Beerscheba zu einer Weltstadt. Die Prä-senz der Franzosen war offensichtlich, da über 2500 französischeMänner, Frauen und Kinder im Negev lebten. Die Kinder gingenin französische Schulen, und auf den Straßen wimmelte es vonfranzösischen Autos. All diese Informationen stammten von aus-ländischen Diplomaten und Militärattaches der verschiedenenBotschaften in Tel Aviv. Immer wieder gab es Gerüchte über dieBombe, aber in den Titelgeschichten - die sich meist um Meer-wasserentsalzung oder landwirtschaftliche Untersuchungen dreh-ten - war aus einsichtigen Gründen nichts darüber zu finden,lan Smart war ein junger britischer Diplomat, der Ende der fünfzi-ger Jahre als dritter Sekretär der kleinen Botschaft seines Landes inTel Aviv zum ersten Mal eine Aufgabe im Ausland übernahm. Spä-ter wurde er ein internationaler Experte des Proliferations-Pro-blems, aber damals war er nur neugierig — und mißtrauisch. -EndeI960 wurde viel von Dimona geredet«, erinnerte er sich Jahre spä-ter, »was zum einen auf die Fortschritte beim Bau zurückzuführenwar. Die Silhouette war schon deutlich zu erkennen. Und von derStraße aus konnte man den Kühlturm der (Reaktor-)Kuppel unddie entstehende Rippenstruktur sehen. Zum anderen war es dieAnwesenheit der Franzosen in Beerscheba. Rund um einen Wohn-block waren eine Menge Autos der Marke Renault Dauphin mitfranzösischen Kennzeichen geparkt.« Offiziell über die Aktivitätenin Dimona befragt, tischte die israelische Regierung der britischenBotschaft eine ganze Reihe von Geschichten auf. »Zuerst wurde be-hauptet«, erinnert sich Smart, »es handle sich um ein Forschungsin-stitut, das sich mit Grasland in der Wüste beschäftige.« Eine zweiteErklärung vernahm Smart auf einer Fahrt mit einer Gruppe von An-gehörigen der israelischen Armee durch den Negev. Als Smart aufden Kühlturm deutete, meinte ein Offizier: »Ach ja, das ist die neueManganverarbeitungsanlage.«

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Im letzten Jahr seines Aufenthalts äußerte Smart den »Verdacht«,die Anlage sehe wie ein Kernreaktor aus. »Aber wie kommt manüber den bloßen Verdacht hinaus, ohne daß man eine U-2 überdas Ding fliegen läßt?«

Smart konnte nicht wissen, daß die Eisenhower-AdministrationI960 Dimona bereits seit drei Jahren von U-2-Flugzeugen über-fliegen ließ und die Überwachung noch ausdehnte. Art Lundahl,Dino Brugioni und ihre Kollegen in der U-2-Abteilung der CIAforderten jetzt eine systematische Überwachung des französi-schen Atomtestgeländes bei Reggan in der algerischen Sahara. ImFebruar I960 hatten die Franzosen ihre erste Atombombe erfolg-reich getestet. Die Sprengkraft lag bei über sechzig Kilotonnen -dreimal höher als beim ersten amerikanischen Test in Los Ala-mos. Der CIA war bekannt, daß israelische Wissenschaftler alsBeobachter auf dem Testgelände gewesen waren. Und es gabnoch einen Grund zur Sorge: Israelische Wissenschaftler warenauch auf einem nahegelegenen französischen Testgelände fürchemische und biologische Waffen (CBW) in der Sahara gesichtetworden. »Ich fragte mich«, erinnerte sich Brugioni, »ob die Israelisdie CBW nur als Notbehelf betrachteten, bis sie die Bombe hat-ten. Unserer Ansicht nach verfügten sie über ein Potential anCBWs.« All diese Informationen wurden umgehend an das WeißeHaus weitergeleitet.

Israelis und Franzosen überwachten weiterhin die U-2-Flüge,aber sie setzten auch ihre Geheimniskrämerei um Dimona fort -als ob kein Außenstehender wüßte, was dort vor sich ging.Die französischen Arbeiter in Dimona durften nicht direkt an Ver-wandte und Freunde in Frankreich und anderswo schreiben, son-dern mußten ihre Post an eine Deckadresse in Lateinamerikaschicken. Post von Frankreich nach Israel wurde auf demselbenWeg befördert. Das hochentwickelte Gerät für den Reaktor unddie Wiederaufbereitungsanlage wurde von der französischenAtomenergiekommission in einer Werkstatt in einem Pariser Vor-ort zwischengelagert und per Lastwagen, Bahn und Schiff trans-portiert.

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Die schwersten Gegenstände, wie der Reaktortank, wurden ge-genüber den französischen Zollbeamten als Teile einer Meerwas-serentsalzungsanlage für Lateinamerika deklariert. Israel benö-tigte außerdem eine illegale Lieferung schweren Wassers. Mankonnte sich unmöglich auf das vom Weizman-Institut entwickel-te Verfahren zur Herstellung von schwerem Wasser verlassen,weil es einfach zu langsam war. Deshalb wandte sich Israel, wiedie meisten Atommächte, an die Norweger, die vor dem ZweitenWeltkrieg ein Elektrolyseverfahren entwickelt hatten, mit dessenHilfe sie große Mengen schweren Wassers produzieren konnten.Norwegen gehörte in den fünfziger Jahren international zu denführenden Exporteuren von schwerem Wasser. Der Verkauf andie französische Atomenergiekommission erfolgte unter einer Be-dingung: Das schwere Wasser durfte nicht an ein drittes Landweitergeleitet werden. Diese Bedingung wurde einfach ignoriert.Flugzeuge der französischen Luftwaffe transportierten I960heimlich vier Tonnen schweres Wasser - in überdimensionalenFässern - nach Israel.1 Schließlich wurde eine französische Tarn-firma, eine »Forschungsgesellschaft für Finanzierung und Unter-nehmertum«, gegründet, die sich um die weitreichenden Kon-takte und die Verhandlungen mit der israelischen Regierung undverschiedenen israelischen Subunternehmern kümmerte, von de-nen die eigentlichen Arbeiten in Dimona erbracht wurden. Mitden Subunternehmern gab es keine Sicherheitsprobleme; sämtli-che Verträge wurden über Peres und seine Mitarbeiter in der Ma-pai-Partei abgewickelt. Die größte israelische Maschinenbaufirmain Dimona, Solei Bone Ltd. aus Haifa, hatte enge Verbindungenzur Mapai-Partei. Israelis, die in der Anfangsphase des Baus vonDimona dabei waren, bestätigten, daß die Partei Spenden in be-trächtlicher Höhe erhielt.

All das kostete Geld, und die immensen Summen für Dimona wa-ren ein ständiger Streitpunkt innerhalb der israelischen Regie-rung, die sich bemühte, beim Rüstungswettlauf im Nahen Ostenmit Ägypten gleichzuziehen. Ägypten bekam I960 sein erstes mo-dernes sowjetisches Jagdflugzeug, die MIG-21, und Israel erwarbdie modernsten Kampfflugzeuge aus Frankreich. Beide Länder

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erhielten von ihren internationalen Gönnern Bomber, und beidesetzten ihre Forschungen über Trägersysteme für ballistische Ra-keten fort. Im Jahr 1961 beliefen sich Ägyptens Militärausgabenauf fast 340 Millionen Dollar - doppelt so viel, wie Israel aufbrin-gen konnte.Hartnäckige Kritiker des israelischen Atomprogramms, wie Fi-nanzminister Levi Eschkol und der Minister für Handel und Indu-strie Pinhas Sapir - die beiden überwachten den Staatshaushaltüber fünfzehn Jahre - betrachteten die ägyptische Aufrüstung alsstärkstes Argument gegen die Investitionen in Dimona.Wieviel Israel in jenen Jahren für die Bombe ausgab, ist schwer zusagen. Der 1957 zwischen Israel und Frankreich geschlossene Ver-trag über den Bau in Dimona wurde nie veröffentlicht. Eine vonder israelischen Presse im Dezember I960 veröffentlichte grobeSchätzung bezifferte allein die Kosten für den Reaktor auf 130 Mil-lionen Dollar. Im Jahr 1983 veröffentlichte Thomas W. Graham, Ex-perte für Probleme der Proliferation und ehemaliges Mitglied derBehörde für Rüstungskontrolle und Abrüstung (ACDA), eine um-fassende Studie über die allgemeinen Startkosten nuklearer Pro-gramme. Graham kam zu dem Ergebnis, daß Frankreich zumAufbau seiner Zweitschlag-Kapazität, einschließlich der thermo-nuklearen Waffen, zwischen 10 und 15 Milliarden Dollar ausgege-ben hatte, wobei ungefähr die Hälfte in Trägersysteme investiertwurde. Entsprechend mußte Indien etwa 10 bis 23 Prozent seinesjährlichen Verteidigungsbudgets in den nuklearen Bereich inve-stieren, wenn es eine Atommacht werden wollte.Israels strategisches Ziel war eine Zweitschlag-Kapazität mit ther-monuklearen Waffen, Raketen und Trägersystemen, die Ziele inder Sowjetunion erreichen konnten. Die Kosten für diese ehrgei-zigen Pläne erhöhten sich dadurch, daß ein Großteil der Anlagein Dimona, einschließlich der Wiederaufbereitungsanlage, unterder Erde gebaut wurde. Andere wichtige Kostenfaktoren warendie Verpflichtung, Arbeiter im von der Gewerkschaft beherrsch-ten Israel angemessen zu entlohnen, die Abhängigkeit von Aus-ländern, wie den Franzosen, und die umfangreichen Sicherheits-vorkehrungen zum Schutz der geheimen Anlage.Ben Gurion wußte, daß die Fertigstellung der Anlage in Dimona

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nur möglich war, wenn sie nicht aus dem Staatshaushalt finanziertwerden mußte. Deshalb mußten im Ausland heimlich Gelder fürdie Bombe aufgetrieben werden. Nach Schätzungen des amerika-nischen Geheimdienstes erhielt Israel allein von amerikanischenJuden Hunderte von Millionen pro Jahr in Form von Spendenund Beiträgen. Im Jahr I960 rief Shimon Peres eine Gruppe vonvertrauenswürdigen und diskreten Spendern ins Leben, die sichisraelischen Quellen zufolge das »Komitee der Dreißig- nannte.Reiche Juden in aller Welt, darunter Baron Edmund Rothschildaus Paris und Abraham Feinberg aus New York, wurden gebeten,für das, wie Peres es nannte, »spezielle Waffenprogramm« Geldzur Verfügung zu stellen - und sie taten es. Jahre später prahltePeres gegenüber einem Interviewer damit, daß »nicht ein Penny(für Dimona) aus dem Regierungsbudget stammte«. Das Projektsei aus Spenden jüdischer Millionäre finanziert worden, die sichder Bedeutung der Sache bewußt gewesen seien. Insgesamt seien40 Millionen Dollar zusammengekommen. Peres erklärte auch, erhabe jüdische Millionäre nach Dimona gebracht. »Ich erzählte ih-nen, was hier entstehen soll.« Israelische Beamte bestätigten, daßmindestens eine Gruppe ausländischer Spender Dimona im Jahr1968 nach Fertigstellung der Anlage besuchen durfte.Die von Peres aufgetriebenen 40 Millionen Dollar waren jedochbei weitem nicht genug. Ehemalige israelische Regierungsbeamteschätzten, daß Israel bis Mitte der sechziger Jahre nicht einige Mil-lionen, sondern Hunderte von Millionen Dollar jährlich für seinAtomprogramm ausgab, wobei die von Peres gesammelten Spen-den nur einen kleinen Prozentsatz ausmachten und die Regie-rung den Rest übernahm. Da Ben Gurion darauf bestand, weiter-hin Geld in das Bombenprojekt zu investieren, kam es in seinemKabinett und innerhalb der Mapai-Partei immer wieder zu hefti-gen Auseinandersetzungen.Es gab noch andere als nur finanzielle Gründe, das Bombenpro-jekt abzulehnen. Soldaten der alten Schule, wie Yigal Allon, derwährend des Unabhängigkeitskrieges Truppen befehligt hatte,Itzhak Rabin, Leiter der Operationen der israelischen Armee undspäterer Generalstabschef, und Ariel Sharon, der israelische Ge-neral und Kommandoführer, waren der Überzeugung, daß Israels

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entscheidender Vorteil gegenüber den Arabern in der Qualitätund in der Ausbildung seines Militärs lag. Für diese Männer wa-ren Atomwaffen nichts weiter als ein großer Gleichmacher: EinÄgypten, das die Bombe besaß, war für Israel weitaus gefährli-cher als ein Ägypten, das nur auf konventionelle Waffen zurück-greifen konnte, auch wenn es sich um große Mengen handelte.Wenn Israel Kernwaffen besaß, so fuhren sie in ihrer Analyse fort,konnten Ägypten oder anderen Nationen im Nahen Osten dieseWaffen auf keinen Fall verwehrt werden.2

Als Anfang der sechziger Jahre für den Bau des Reaktors und derWiederaufbereitungsanlage kurz vor der Fertigstellung noch wei-tere Wissenschaftler und Techniker angeworben werden mußten,brachten die Industriemanager des Landes ein weiteres Argumentgegen Dimona vor. Israel stand vor dem Problem, daß seine Wis-senschaftler aus den Betrieben abwanderten. Ende der sechzigerJahre kritisierten hohe Beamte des Ministeriums für Handel undIndustrie öffentlich den Rückgang der industriellen Forschung inIsrael. Die staatlichen Mittel für solche Forschungsaufgaben wa-ren drastisch gekürzt worden, und die Industrie blieb hinter derWissenschaft zurück. Es gab immer noch wissenschaftliche Neue-rungen, aber nur wenige Maschinenbaufirmen waren in der Lage,diese Ideen für die Produktion von neuen Industriegütern zu nut-zen.Führungskräfte, die in jenen Jahren in Dimona arbeiteten, bestätig-ten die unfeinen Abwerbungspraktiken, wobei sich das Hauptau-genmerk auf die chemische Industrie richtete. »Wir durchstöbertenjeden Betrieb«, erinnerte sich ein ehemaliger Mitarbeiter vollerStolz. »Wir schwächten Israels Industrie.« Die einzige Einrichtung,die tabu war, war der kleine Forschungsreaktor in Nahal-Soreq inder Nähe des Weizman-Instituts. »In Spitzenzeiten«, erklärte derehemalige Mitarbeiter, »arbeiteten fünfzehnhundert israelischeWissenschaftler in Dimona, darunter viele mit Doktortitel.«

Im Mai I960 drang erstmals an die Öffentlichkeit, daß de Gaulleüber Frankreichs nukleare Zusammenarbeit mit Israel nicht gera-de glücklich war. Der französische Außenminister Maurice Couvede Murville erklärte dem israelischen Botschafter, Frankreich er-

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warte von Israel, daß es den Bau des Reaktors in Dimona öffent-lich bekanntgebe und sich mit internationaler Überwachung ein-verstanden erkläre, wie bei dem Kernreaktor in Nahal-Soreq. An-dernfalls werde Frankreich kein Uran für den Reaktor liefern.Daraufhin flog Ben Gurion zu einem Gipfeltreffen nach Frank-reich. Die beiden Staatsmänner verstanden sich gut. Später be-zeichnete de Gaulle Ben Gurion in seinen Memoiren als »einender größten Staatsmänner unserer Zeit... Vom ersten Moment anempfand ich tiefe Bewunderung für diesen tapferen Kämpfer undStreiter. Seine Persönlichkeit symbolisierte Israel, das er seit demTag regierte, da er über Wohl und Wehe des Landes wachte.« Um-gekehrt hielt Ben Gurion de Gaulle für einen »dynamischen, hu-manen Menschen mit Sinn für Humor - äußerst aufmerksam undliebenswürdig«.De Gaulle war damals mit dem Algerien-Krieg beschäftigt. Bert-rand Goldschmidts persönliche Aufzeichnungen über das Treffen(vom Autor eingesehen) beweisen, daß de Gaulle Angst vor ei-nem internationalen Skandal hatte, falls Frankreichs Beteiligungan dem Dimona-Projekt publik werden sollte. Den Aufzeichnun-gen zufolge erklärte de Gaulle, Frankreich bringe sich in eine un-mögliche Lage, wenn es als einziges Land Israel unterstütze, wäh-rend weder die Vereinigten Staaten, noch Großbritannien, nochdie Sowjetunion irgend jemandem halfen (die Bombe zu bauen).Und noch etwas beunruhigte ihn: Wenn Israel die Atombombehatte, würde auch Ägypten sie bekommen.Der entscheidende Punkt für de Gaulle war die unterirdischeWiederaufbereitungsanlage von Dimona, die nach französischenPlänen gebaut wurde: Er wollte nicht dafür verantwortlich sein,daß der Bau der israelischen Bombe letztlich unvermeidlich war.Frankreich durfte den Bau der Anlage nicht länger unterstützen.Ben Gurion erinnerte an die Bedrohung durch die Araber, aberde Gaulle meinte, der israelische Premierminister übertreibe diedrohende Gefahr der Vernichtung Israels. »Wir werden ein Massa-ker auf keinen Fall zulassen ... Wir werden Israel verteidigen. Wirwerden Israel nicht fallenlassen.« De Gaulle bot Israel die Liefe-rung weiterer Jagdbomber an.Nach der Begegnung mit Ben Gurion war de Gaulle der Überzeu-

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gung - wie er in seinen Memoiren schrieb - er habe Anweisunggegeben, sämtliche Arbeiten an der Wiederaufbereitungsanlageeinzustellen. »Ich machte der schändlichen Kollaboration zwi-schen Tel Aviv und Paris ein Ende, die nach der Sueskrise aufmilitärischer Ebene begonnen hatte und durch die den Israelisständig in allen Bereichen des Stabs und der französischen Streit-kräfte Einblick gewährte wurde. Vor allem stellten wir die Hilfefür eine Anlage zur Umwandlung von Uran in Plutonium beiBeerscheba ein, wo eines schönen Tages vielleicht Atombombenhergestellt werden.« De Gaulles Anordnung - wenn er sie über-haupt gegeben hatte - wurde ignoriert. Saint-Gobains Arbeit ander unterirdischen Wiederaufbereirungsanlage zögerte sich ummehr als zwei Jahre hinaus; 1962 führte eine andere französischeFirma die Arbeiten zu Ende.Ben Gurion war zwar mit de Gaulles Zusage weiterer Militärhilfezufrieden, aber er war nicht gewillt, die israelische Bombe gegenfranzösische Kampfflugzeuge einzutauschen. In den folgendenMonaten gelang es Shimon Peres, in Gesprächen mit de Murvilleeinen Kompromiß auszuhandeln, der auf einer israelischen Lügebasierte, die Israels öffentliche Haltung zu Kernwaffen jahrzehnte-lang bestimmte. Die Israelis versicherten Frankreich, daß sie nichtdie Absicht hätten, eine Atombombe zu bauen, und kein Plutoni-um wiederaufbereiten wollten. Der Kompromiß sah folgenderma-ßen aus: Französische Firmen sollten das Uranerz und bereits be-stellte Reaktorteile liefern, jedoch ohne jede neutrale Kontrolle.Israel verpflichtete sich im Gegenzug, die Existenz des Kernreak-tors publik zu machen und den Bau in Dimona ohne offizielle Un-terstützung der französischen Regierung fortzusetzen.Nach dem freundschaftlich verlaufenen Gipfeltreffen tat Ben Gu-rion nichts, um die Planungen für Dimona zu ändern. Und auchde Gaulle und die französische Regierung unternahmen nichts.Die privaten französischen Baufirmen und ihre Angestellten blie-ben bis 1966 in Dimona spürbar präsent und wurden gemäß denbestehenden Verträgen für ihre Arbeit auch weiterhin gut bezahlt.

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6Die Sache wird publik

Im Dezember I960 war John W. Finney seit drei Jahren Reporterim Washingtoner Büro der New York Times, wo er sich mit ato-maren Fragen und der Arbeit der Atomenergiekommission(AEC) befaßte. Büroleiter James A. Resten hatte Finney von Uni-ted Press International abgeworben. Finney galt als echte Berei-cherung für das Zeitungsteam - aber noch fehlte ihm die großeStory.Ende des Monats bekam Finney seine Story. »Sie wurde mir aufdem Tablett serviert«, erinnerte er sich.Überbringer der Nachricht war der gewaltige Arthur Krock vonder Times, der damalige Nestor der Washingtoner Kolumnisten.Eines Spätnachmittags baute er sich vor Finneys Schreibtisch auf.Bei jungen Reportern wie Finney war Krock bekannt für seineUnnahbarkeit und seine ausgedehnten täglichen Mittagessen mithohen Regierungsbeamten im privaten Metropolitan Club, einpaar Blocks vom Weißen Haus entfernt.»Mr. Finney«, sagte Krock, »ich glaube, wenn Sie John McCone an-rufen, hat er eine Story für Sie.« John A. McCone war ein wohlha-bender republikanischer Geschäftsmann aus Kalifornien und Vor-sitzender der AEC. Finney hatte einen guten Draht zu ihm. Erbegriff sofort die Situation: »Sie wollten eine Story haben. Ich warder richtige Mann dafür, und Krock war der Vermittler.- Finneyrief an und wurde prompt in McCones Büro bestellt.»McCone war sauer und außer sich vor Wut«, erinnerte sich Fin-ney. »Er sagte: >Sie haben uns angelogen«.«»Wer«, fragte ich.»Die Israelis. Sie haben behauptet, es handle sich um eine Textil-fabrik.«1 Es lägen neue Informationen vor, erklärte McCone, wo-nach die Israelis insgeheim mit französischer Hilfe in der Negev-

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Wüste einen Atomreaktor gebaut hätten. McCone wollte, daß Fin-ney die Geschichte publik machte.Finneys Artikel erschien am 19. Dezember auf der Titelseite derTimes. Das amerikanische Volk erfuhr, was Art Lundahl und DinoBrugioni dem Weißen Haus bereits vor über zwei Jahren mitge-teilt hatten: daß Israel mit Hilfe der Franzosen einen Kernreaktorbaute, um Plutonium herzustellen. »Israel hat weder über den Re-aktor etwas in der Öffentlichkeit verlauten lassen, noch wurdendie Vereinigten Staaten von dem Plan unterrichtet«, schrieb Fin-ney im Vertrauen darauf, was McCone ihm erzählt hatte. »Auf of-fizieller Seite läßt sich der Ärger darüber nur schlecht verbergen,daß die Vereinigten Staaten von zwei internationalen Verbünde-ten, Frankreich und Israel, im unklaren gelassen wurden.«Außerdem berichtete Finney in seinem Artikel, McCone habe Israelzu der neuen Information »befragt«, fügte dann aber hinzu:»Mr. McCone lehnte es ab, ins Detail zu gehen.« Das war die übli-che Vorgehensweise in Washington: Finney bekam die Story gelie-fert, und McCone konnte sich vor der Verantwortung drücken.Die Weiterleitung der Information an Finney war McCones letz-ter Streich als Vorsitzender der AEC; ein paar Tage später kün-digte er in der sonntäglichen Fernsehsendung »Meet the Press«der NBC seinen Rücktritt an. Finneys Artikel wurde am selbenTag geschrieben. Wie McCone es beabsichtigt hatte, war Finneydavon überzeugt, daß der Vorsitzende der AEC wegen der kürz-lich eingetroffenen neuen Informationen über die Israelis verär-gert sei.»McCone machte auf mich den Eindruck, als hätten sie mit einemMal erkannt, daß die Israelis sie anlogen«, erinnerte sich Finney.Finney bezahlte einen höheren Preis für seine Story als ihm be-wußt war. Die Eisenhower-Administration benutzte ihn und dieNew York Times dazu, das zu tun, was ihre hohen Beamten in derÖffentlichkeit nicht tun wollten - sich wegen Dimona über dieIsraelis aufregen. McCone hatte Finney nicht erzählt, daß er,nachdem er Lewis Strauss im Juli 1958 als Vorsitzenden der AECabgelöst hatte, regelmäßig über das israelische Atomprogrammunterrichtet worden war. Es gibt keinen Beweis dafür, daßStrauss, der von Art Lundahl und Dino Brugioni ebenfalls regel-

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mäßig Informationen über Dimona erhielt, sein Wissen persön-lich mit McCone teilte. Aber Lundahl und Brugioni taten es. AlsVorsitzender der AEC war McCone Mitglied des Beratungsaus-schusses für die Nachrichtendienste - zur damaligen Zeit eineSpitzentruppe - und, laut Walter N. Eider, eines ehemaligen CIA-Beamten und langjährigen Mitarbeiters McCones, »von Anfang andabei. Er saß mit am Tisch.«

Was veranlaßte McCone, zusammen mit der Regierung plötzlichauf eine Information zu reagieren, die bereits seit Jahren bekanntwar (McCone starb Anfang 1991 nach langer schwerer Krank-heit)? Laut Walt Eider, der die noch immer geheime Geschichtevon McCones Zeit bei der CIA schrieb, hielt McCone am Konzeptder Nichtweitergabe von Atomwaffen fest; überdies war er sichder Tatsache durchaus bewußt, daß Eisenhowers achtjährigeAmtszeit im Weißen Haus in einem Monat zu Ende ging. Es hätteeine bessere Zeit zum Handeln gegeben. »Er sagte sich: >Ich habegenug, und es ist meine Pflicht - die Öffentlichkeit darüber auf-zuklären-«, erklärte Eider. Ein anderer Grund war McCones Ent-täuschung über die ständigen Lügen der Israelis im Hinblick aufDimona: »Er verspürte den Drang, sie abzuschießen.«Im Dezember I960 war die Arbeit in Dimona so weit vorange-schritten, daß die Reaktorkuppel von den Straßen im Negev auszu sehen war und daher von den Militärattaches leichter fotogra-fiert werden konnte. Unterdessen war auch das U-2-Programm inAuflösung begriffen: Im Mai I960 wurde sein Ende besiegelt,nachdem Gary Francis Powers über der Sowjetunion abgeschos-sen worden war. Aufgrund der Verärgerung von MinisterpräsidentNikita Chruschtschow über den Vorfall, der das Weiße Haus ineine Reihe von Lügen verstrickte, platzte ein paar Wochen späterdas Pariser Gipfeltreffen, und Eisenhower ließ sämtliche Aufklä-rungsflüge über Rußland einstellen. Arthur Lundahl erinnertesich, daß diese Monate »außerordentlich turbulent waren undman mit Fingern aufeinander zeigte«. Das Powers-Fiasko änderteallerdings nichts an der Tatsache, daß Eisenhower und Chru-schtschow im Vorjahr bei der Formulierung eines umfassendenVertrags über das Verbot von Atomtests stetige Fortschritte ge-

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macht hatten. Bis September 196l setzten beide Nationen ihreTests aus. Dieser Erfolg hatte allgemein zu einer erhöhten Sensi-bilität in bezug auf die Proliferation von Atomwaffen geführt, undvielleicht spielte er auch eine Rolle bei dem plötzlich erwachtenInteresse an Dimona. Ein weiterer Faktor war die Wahl des Zeit-punkts: Da Eisenhowers Amtszeit zu Ende ging, gab es keinenzwingenden Grund, sich wegen des Drucks jüdischer Interessen-verbände in den USA Sorgen zu machen.

Schon bevor McCone John Finney zu sich bestellte, bemühteman sich auf höchster Regierungsebene, Israel dazu zu bewe-gen, die Vorgänge in Dimona offenzulegen. Eine derartige Ein-mütigkeit in der Absicht und einen solch umfassenden Zugangzu brisanten Informationen über Dimona sollte es später nichtmehr geben.Zum Zeitpunkt von McCones Auftritt in der Sendung »Meet thePress- hatte man in Washington seit mindestens zehn Tagen neueInformationen über Dimona und verspürte den Wunsch, etwas zuunternehmen. Selbst Christian A. Heiter, der normalerweise un-voreingenommene und anderweitig beschäftigte Außenminister,wußte Bescheid. Heiter hatte nach dem Tod von John FosterDulles im Mai 1959 dessen hohes Amt übernommen. Er bestellteden israelischen Botschafter Avraham Harman zu sich und bat ihnum eine Erklärung. »Ich war erstaunt, weil er glaubte, es mit den Is-raelis aufnehmen zu können«, sagte Armin Meyer, stellvertretenderAssistent des Außenministers. »Es war das einzige Mal, daß er rich-tig wütend wurde. Irgend etwas mußte im atomaren Bereich ge-schehen sein, das ihm die Sicherheit gab, das Thema anzuschnei-den. Er dachte, er bewege sich auf sicherem Boden.«2

Heiter hatte in der Tat eigene Nachforschungen angestellt. Kurznach Erhalt der Information beauftragte er einen Mitarbeiter, sichan die Franzosen zu wenden und zu klären, ob sie die Israelistatsächlich unterstützten. Der Mitarbeiter, Philip J. Farley, kanntesich aus - er hatte seit 1956 für John Foster Dulles als Sonderbe-auftragter für Rüstungskontrolle gearbeitet - und wußte, daß eindirekter Kontakt »zwecklos« war. Farley erörterte das Thema ins-geheim mit einem Vertreter des französischen Botschafters und

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gelangte zu der Überzeugung, daß, wie er Heiter berichtete, dieBefürchtungen hinsichtlich einer französischen Beteiligung be-rechtigt waren. Der Vertreter des Botschafters »sagte genau dasRichtige«, erinnerte sich Farley und verwies auf dessen scheinhei-lige Dementis, »aber die Art, wie er sich verhielt...« Als nächstesfolgte ein Gespräch mit dem Botschafter, der beharrlich beteuer-te, Dimona sei »lediglich ein Forschungsreaktor«. Farley hatte ge-nügend Erfahrung, um zu wissen, daß der Reaktor in Dimona fürreine Forschungszwecke eindeutig zu groß war. Nach einerBesprechung im Nationalen Sicherheitsrat wurde Herter vomWeißen Haus angewiesen, bei den Franzosen formell zu prote-stieren. Wie es der Zufall wollte, hielt sich der französische Au-ßenminister Maurice Couve de Murville gerade zu Gesprächen inWashington auf. Als man sich an ihn wandte, versicherte er demState Department, daß der israelische Reaktor harmlos sei unddaß das dort anfallende Plutonium zur Entsorgung nach Frank-reich zurückgeschickt werde. »Er hat uns schlichtweg angelogen«,meinte Fairley dreißig Jahre später in einem Interview noch im-mer voller Empörung. Damals erkannten er und seine Kollegennatürlich nicht das Ausmaß von Couve de Murvilles Heuchelei;sie hatten keine Ahnung, daß Frankreich den Bau der israelischenBombe ermöglicht hatte.

Das Gespräch mit dem israelischen Botschafter Harman hatte am9. Dezember stattgefunden. Innerhalb weniger Tage weitete sichdie Frage, was in Dimona tatsächlich vor sich ging, fast zu einerKrise aus. Die Mitglieder des gemeinsamen Atomenergieaus-schusses von Senat und Repräsentantenhaus wurden eilig ausden Weihnachtsferien zurückbeordert und von Beamten der CIAund des State Department über Dimona informiert. CIA-DirektorAllen Dulles veranlaßte auch, daß der gewählte Präsident JohnF. Kennedy unterrichtet wurde. Fest steht, daß nichts - weder derEinspruch bei den Franzosen noch die Unterrichtung des gemein-samen Ausschusses, noch die Instruktion des gewählten Präsi-denten - ohne ausdrückliche Zustimmung Dwight Eisenhowerserfolgen konnte.Washington teilte seine Besorgnis auch mit seinen Verbündeten,

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und durch die rege Kommunikation gelangten die diplomati-schen Bedenken im Hinblick auf Dimona auf die Titelseiten derZeitungen. Am 16. Dezember war die Story in der Weltpresse zufinden. In der Titelstory des Londoner Daily Express, einer Bou-levardzeitung, hieß es: »Britische und amerikanische Geheim-dienstler glauben, daß die Israelis dabei sind, ihre erste expe-rimentelle Atombombe zu bauen.« Der Artikel stammte vonChapman Pincher, der für seine engen Kontakte zum britischenGeheimdienst und zu atomaren Verbänden bekannt war. Pincherhatte tatsächlich von einem führenden Mann in der britischenAtomwaffenforschung einen Tip bekommen. Letzterer äußertedie Befürchtung, daß eine israelische Bombe notwendigerweise»schmutzig« sein - also eine Menge radioaktiven Fallout erzeugenmüsse. In einem Telefoninterview sagte Pincher, als nächsteswerde er einen alten Kontaktmann beim Mossad anrufen und dieGeschichte nachprüfen. »Ich hatte recht gute Verbindungen zumMossad«, erklärte Pincher. »Ich hatte gute jüdische Freunde hier(in London). Sie brauchten mich ziemlich lange - sie versorgtenmich mit anti-palästinensischen Informationen.« Pinchers Verbin-dungen zum Mossad beruhten auf folgender Vereinbarung:»Wenn sie mir falsche Informationen lieferten, wollte ich sie hoch-gehen lassen.«

McCones Indiskretion gegenüber John Finney, seine überzeugen-den Erklärungen in der Sendung »Meet the Press« und seine spä-tere Handlungsweise unter Kennedy - im Herbst 196l löste erAllen Dulles als CIA-Direktor ab - brachten ihn in den Ruf einesAntisemiten. Solche Behauptungen entbehrten jedoch jeglicherGrundlage: Auch als CIA-Direktor bewies McCone aufs neue, daßer die Proliferation von Atomwaffen strikt ablehnte, und wieder-holt schimpfte er über die Franzosen und die Israelis. Außerdemfühlte er sich durch die Lügen der Israelis und Franzosen im Hin-blick auf ihre Zusammenarbeit im Negev gekränkt, und er mißbil-ligte es, daß Washington diese Lügen einfach hinnahm. MyronKratzer - im Dezember I960 Direktor für internationale Angele-genheiten bei der AEC - erinnerte sich, daß ihn wenige Stundenvor McCones letztem Fernsehauftritt in »Meet the Press« ein Kolle-ge vom State Department anrief und sagte, er solle McCone bit-ten, die Sache mit den Israelis herunterzuspielen. Kratzer gab dieBitte weiter, und McCone explodierte. »Er sagte zu mir«, erinnert

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sich Kratzer, »>Ich habe nicht all diese Jahre gelebt, um jetzt ausdem Amt zu scheiden und etwas anderes als die Wahrheit zu sa-gen.-«3 Laut Kratzer wollte McCone unter anderem erreichen, daßdie Israelis einer internationalen Überprüfung der Anlage in Di-mona zustimmten.In Israel begann der stellvertretende Verteidigungsminister Shi-mon Peres, vorgewarnt durch Botschafter Harman und vielleichtauch durch den Mossad, eine Geschichte auszuarbeiten. Im Bürodes Premierministers hegte man den Verdacht, daß Leute aus derUmgebung von de Gaulle die Wahrheit über Dimona an die bri-tische Presse weitergegeben hatten; die Franzosen hatten die Is-raelis seit dem Gipfeltreffen zwischen de Gaulle und Ben Gurionim Juni immer wieder gedrängt, die Existenz des Reaktors publikzu machen. Die Israelis rechneten immer damit, von einem Ver-bündeten verraten zu werden. Peres' unmittelbares Ziel war es,seinen und Ben Gurions Traum zu retten. Der Einsatz war hoch:Jegliche Publicity um Dimona gefährdete einen der größten inter-nationalen Erfolge Israels - den Kauf von zwanzig Tonnenschwerem Wasser aus Norwegen im Jahr zuvor. Israel hatte denNorwegern damals versichert, das schwere Wasser werde alsBrennstoff für ein experimentelles Atomkraftwerk in Dimona ge-braucht. Norwegen erhielt die Zusicherung der friedlichen Nut-zung und das Recht, das schwere Wasser zu untersuchen, was esin den nächsten zweiunddreißig Jahren nur einmal tat. Die zwan-zig Tonnen schweres Wasser waren offenbar viel mehr, als fürden Betrieb eines 24-Megawatt-Reaktors notwendig war. Eine Be-schwerde von selten der Norweger und die daraus folgende Pu-blicity wären im Gefolge weltweiter Proteste gegen Dimona je-doch verheerend gewesen.Am 20. Dezember traf Peres mit den Mitarbeitern des Verteidi-gungsministeriums zusammen, die über Dimona Bescheid wuß-ten, und faßte die verschiedenen Geschichten zusammen, auf de-nen David Ben Gurions öffentliche Haltung zu dem Themabasierte: Der Reaktor in Dimona sei Bestandteil eines langfristi-

gen Programms zur Entwicklung der Negev-Wüste und diene nurfriedlichen Zwecken. Diejenigen, die eine Überprüfung des Reak-tors forderten, erklärte Peres, »sind dieselben Leute, die für die

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Internationalisierung Jerusalems eintreten«.4

Am nächsten Tag schilderte Ben Gurion öffentlich vor den Mit-gliedern der Knesset, was auf Veranlassung Israels im Negev ge-baut wurde: ein 24-Megawatt-Reaktor, der »ausschließlich friedli-chen Zwecken diente«. Auf dem Boden von Dimona befinde sichnoch eine weitere Anlage, fügte der Premierminister hinzu, »einwissenschaftliches Institut zur Erforschung von Trockengebieten«.Nach der Fertigstellung, so Ben Gurion, werde die gesamte Anla-ge »Studenten aus allen Ländern offenstehen«. Es war das ersteMal, daß Mitglieder des israelischen Parlaments offiziell von demReaktorbau hörten. Als Ben Gurion speziell nach den in Europaund den Vereinigten Staaten veröffentlichten Berichten gefragtwurde, dementierte er sie und bezeichnete sie beiläufig als »ab-sichtliche oder unbewußte Unwahrheit«.Ben Gurion behandelte die Knesset wie stets, wenn es um Fragender staatlichen Sicherheit ging: als nutzlose beratende Versamm-lung, in der debattiert und geredet anstatt gehandelt wurde. Erund seine Kollegen waren einfach der Ansicht, daß die redseligeKnesset in Sicherheitsfragen keine entscheidende Rolle zu spielenhatte. Zwar verachteten sie die Knesset nicht und hörten die Rat-schläge des Parlaments zu anderen Fragen mit Respekt an, abersie betrachteten sich eben als Pragmatiker, die - im Gegensatz zurKnesset - zuerst handelten und dann redeten. Mitglieder derKnesset akzeptierten ihrerseits Ben Gurions Ansicht, daß es un-angemessen sei, wenn sie bei einer Debatte über Dimona ihregesetzlichen Rechte geltend machten. Kein Mitglied wagte es, dienaheliegende Frage zu stellen: Wenn der Reaktor in Dimona le-diglich friedlichen Forschungszwecken diente, wie Ben Gurionöffentlich behauptete, warum mußte dann ein solches Geheimnisdaraus gemacht werden? Die Knesset war nur allzugern bereit,jede Erklärung der Regierung zu akzeptieren, in der die Absicht,Atomwaffen herzustellen, dementiert wurde.Selbst Ernst David Bergmanns kategorisches Nein zur Herstellungder Bombe wurde ohne Einwand akzeptiert, obwohl Bergmanns

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Engagement für die Bombe allgemein bekannt war. Bergmannwar in der peinlichen Lage, noch immer Vorsitzender und einzi-ges Mitglied der israelischen Atomenergiekommission zu sein,obwohl die Kommission schon seit Jahren praktisch nicht mehrexistierte. Die anderen sechs Mitglieder hatten ihre Posten Mitteder fünfziger Jahre aufgegeben; ihr Ausscheiden wurde von Wis-senschaftlern und in den Akten amerikanischer Geheimdiensteals Beweis dafür gewertet, daß es im Hinblick auf Bergmanns Plä-ne für Dimona zwischen den israelischen Wissenschaftlern ernsteUnstimmigkeiten gab. In den meisten Fällen traf das nicht zu.Vielmehr wechselten die Kommissionsmitglieder israelischenQuellen zufolge zu Häuf zum Fachbereich Physik am Weizman-Institut, weil hohe Regierungsbeamte, wie Levi Eschkol und Pin-has Lavon, die der atomaren Entwicklung ablehnend gegenüber-standen, ihnen Gelder für die Forschung verweigerten. Zweiehemalige Kommissionsmitglieder traten in den sechziger Jahrenals Kritiker des Atomprogramms auf. Andere, wie Amos Deshalit,Israels bedeutendster Atomphysiker, waren schließlich maßge-bend am Bau des Reaktors in Dimona beteiligt.In den folgenden Tagen und Wochen wurden die Erklärungender Israelis von der Eisenhower-Administration nicht in Frage ge-stellt. Nachdem die Regierung die ersten öffentlichen Diskus-sionen über die israelische Bombe ausgelöst hatte, machte sie an-gesichts der schamlosen israelischen Dementis sofort einenRückzieher. In einer Presseerklärung am Tag nach Ben GurionsRede schloß sich das Weiße Haus der Knesset an und nahm dieisraelische Geschichte über Dimona unbesehen hin: »Die Regie-rung Israels hat versichert, daß der neue Reaktor ... ausschließ-lich Forschungszwecken dienen soll, um wissenschaftliche Er-kenntnisse zu gewinnen und damit die Bedürfnisse der Industrie,der Landwirtschaft, des Gesundheitswesens und der Wissenschaftzu befriedigen ... Israel erklärt, es werde Besuche von Studentenund Wissenschaftlern befreundeter Länder im Reaktor nach des-sen Fertigstellung begrüßen.« In der Erklärung, die vom Präsiden-ten persönlich gebilligt wurde, hieß es weiter: »Es ist erfreulich,festzustellen, daß das israelische Atomenergieprogramm, wie be-kannt wurde, keinen Anlaß zu besonderer Sorge gibt.«

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Der Rückzug der Regierung ging auch am nächsten Tag weiter:Sie bemühte sich nun, der weltweiten Kritik an Israel entgegen-zutreten. In einem vertraulichen, im Telegrammstil abgefaßtenRundschreiben des State Department, das am 22. Dezember andie amerikanischen Botschaften in aller Welt verschickt wurde,hieß es, die Regierung glaube, daß »das israelische Atomenergie-programm keinen Anlaß zu besonderer Sorge gibt«. Dem Rund-schreiben zufolge, das unter das Freedom of Information Act fiel,waren Beamte des State Department, die an der ursprünglichenEntscheidung mitgewirkt hatten, Israel unter Druck zu setzen, an-geblich »außerordentlich beunruhigt über die vielen Informatio-nen bezüglich des Interesses der USG [Regierung der VereinigtenStaaten] an Israels Atomprogramm, die in die amerikanische Pres-se und die Weltpresse gelangten. Wie die Israelis bestätigten,wurden Anstrengungen unternommen, für mehr Aufregung alsfür Fakten zu sorgen. Das State Department wird in Washingtonalles Erdenkliche tun und hofft, daß die Empfänger dazu beitra-gen können, die Gemüter zu beruhigen.« Was die israelischeBombe betraf, entschloß sich Amerika zur »Stillhaltetaktik«.Es gab noch einen letzten heimlichen Protest. Am 6. Januar 196llegte Christian Heiter bei einer Sitzung des Senatsausschusses fürauswärtige Beziehungen seinen Abschlußbericht als Außenmini-ster vor (die Abschrift wurde 1984 freigegeben). Auch das ThemaDimona wurde angeschnitten. Heiter sprach gerade von dem »be-unruhigenden« neuen Element im Nahen Osten, als ihn der kon-servative republikanische Senator Bourke B. Hickenlooper auslowa schroff unterbrach. »Ich glaube, die Israelis haben uns indieser Sache einfach angelogen wie Pferdediebe«, sagte Hicken-looper. »Sie haben in der Vergangenheit die Fakten völlig falschdargestellt. Ich halte es für außerordentlich bedenklich ... ihr Ver-halten in Zusammenhang mit diesem Reaktor, den sie heimlichgebaut und dessen Existenz sie beharrlich und mit völlig unbe-wegter Miene geleugnet haben, einfach hinzunehmen.« Hicken-looper wußte, wovon er sprach: Er war damals Vorsitzender desgemeinsamen Atomenergieausschusses.Der einflußreiche Senator wußte auch, daß er nur in einer gehei-men Anhörung Dampf abließ. Keiner in der lahmen Eisenhower-

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Administration wollte mehr tun und sich mit Israel anlegen. »Ichwerde Sie nicht als Außenminister bitten zu antworten«, fügteHickenlooper schlaff hinzu. »Ich hoffe, ich habe unrecht.«Dimona blieb ein Thema für die New-Frontier-Politik JohnF. Kennedys.

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Doppelte Loyalität

Lewis Strauss, John McCones Vorgänger im Amt des Vorsitzendender Atomenergiekommission, war der Inbegriff des Kalten Krie-gers der fünfziger Jahre, ein chauvinistischer Amerikaner, derhartnäckig gegen die Proliferation von Atomwaffen kämpfte. AlsStrauss 1958 die AEC verließ, wußte er sicher ebensoviel über Di-mona wie jeder andere in den Nachrichtendiensten. Es gibt je-doch keinen Beweis dafür, daß er in seiner Amtszeit Fragen zumisraelischen Rüstungsprogramm vorbrachte, und es ist auch nichtbekannt, daß er nach seinem Ausscheiden aus dem Amt jemalsüber Dimona gesprochen hat. Höchstwahrscheinlich erzählte erMcCone, einem frommen Katholiken, nichts von den Vorgängenim Negev.Strauss schwieg zum israelischen Atomprogramm, weil er es bil-ligte - als Jude, der seine eigenen Ansichten zum Holocaust hatte.Seine starken persönlichen Sympathien für Israel und das Bedürf-nis des kleinen Staates nach Sicherheit standen in krassem Ge-gensatz zu Strauss' öffentlichem Image. Er galt als vollkommenassimilierter Jude, der bei vielen Anstoß erregte — und andereamüsierte - weil er darauf bestand, daß sein Name »Strauss« ame-rikanisch ausgesprochen wurde.Strauss war ein konservativer Investment-Bankier aus Virginia. ImZweiten Weltkrieg war er bei der Marinereserve zum Admiral auf-gestiegen. Er hielt Amerikas Atomwaffenarsenal für unentbehr-lich, um der Sowjetunion Paroli bieten zu können. Alle, die nichtmit ihm übereinstimmten, hatten seiner Ansicht nach unrecht,und waren obendrein kommunistische Ignoranten. Nach demKrieg hatte er seinem Büro in der Wall Street den Rücken gekehrtund war bis 1950 eines der ersten Mitglieder der Atomenergie-kommission, einer unabhängigen nationalen Behörde, die die

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Aufsicht über Amerikas atomares Potential hatte, ähnlich wie derManhattan Engineering District der Armee Oppenheimers gehei-me Arbeit in Los Alamos administrativ überwacht hatte. Straussund seine fünf Kollegen hatten nun das gesamte spaltbare Mate-rial unter ihrer Kontrolle. Außerdem hatten sie die Verantwortungfür den Betrieb der Kernreaktoren des Landes und für die Ent-wicklung der Atombombe. Die zivile Kontrolle über das Atomar-senal war so umfassend, daß die Kommission den Militärs Anzahlund Sprengkraft der hergestellten Bomben verschweigen konnte,was bei den frühen Atomkriegsszenarios der Vereinigten Stabs-chefs ein Chaos verursachte. (Heute ist das Energieministeriumfür die Atomwaffenproduktion verantwortlich.)Strauss entwickelte sich rasch zum starken Mann der Kommis-sion, und als Eisenhower ihn 1953 bat, den Vorsitz der AEC zuübernehmen, wuchs seine Macht noch. Strauss sprach sich dafüraus, daß Bürger, die Zugang zu Informationen über Atomtechno-logien hatten, einen Treueid ablegen müßten. Er beharrte auf derFortsetzung von Atomtests und ließ sich auf öffentliche Auseinan-dersetzungen mit Kritikern ein, die behaupteten, der radioaktiveFallout nach den Tests sei gesundheitsgefährdend. Er kämpfteauch gegen Versuche der Eisenhower-Administration, mit der So-wjetunion ein Atomtestmoratorium oder eine andere Vereinba-rung zu Atomwaffen auszuhandeln. Strauss stand auf der Seite je-ner Gruppen in Regierung und Kongreß, die Informationen überKernwaffen nicht an die europäischen Verbündeten weiterleitenwollten, weil sie fürchteten, der Ostblock könne sich Zugang zuden geheimen Materialien verschaffen.Gleichzeitig engagierte er sich für das Programm »Atome für denFrieden« der Eisenhower-Administration: Den Verbündeten derUSA sollten - unter internationalem Schutz - amerikanische Kern-technologie und Kernbrennstoffe zur Verfügung gestellt werden,um die friedliche Nutzung der Atomenergie zu fördern. Man gingdavon aus - was sich als schrecklicher Irrtum erwies -, daß klei-nere Länder, sobald sie das zum Betrieb eines Kernkraftwerks er-forderliche angereicherte Uran oder Plutonium bekommen hat-ten, nicht mehr den Wunsch verspüren würden, Kernwaffen zuentwickeln. Strauss war, im Einklang mit seinen Anschauungen,

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ein Befürworter privater Unternehmen und setzte sich dafür ein,daß die Industrie - und nicht die Regierung - Kernkraftwerkebaute und in Betrieb nahm.Den meisten Amerikanern war die Abneigung des AEC-Vorsit-zenden gegen J. Robert Oppenheimer bekannt. Anfang der fünf-ziger Jahre hatte Oppenheimer für Aufsehen gesorgt. Er fordertedamals die Vereinigten Staaten auf, durch den Verzicht auf dieWasserstoffbombe den Rüstungswettlauf zu stoppen. Im Jahr1954 führte Strauss einen erbitterten und erfolgreichen Kampfdarum, Oppenheimer die Bescheinigung der Unbedenklichkeitzu entziehen. Die Anhörungen, bei denen es letztlich um Op-penheimers Loyalität und Integrität ging, hielten die Nation inAtem. Doch Strauss agierte nicht nur in der Öffentlichkeit gegenOppenheimer. Später wurde bekannt, daß er das FBI angewie-sen hatte, Oppenheimer auf Schritt und Tritt zu überwachen undseine Telefongespräche, auch die mit seinem Anwalt, abzuhö-ren. Er setzte alle Hebel in Bewegung, damit Oppenheimer dieBescheinigung der Unbedenklichkeit auch tatsächlich entzogenwurde.Sein Taktieren und seine bissigen Auftritte in der Öffentlichkeitmachten Strauss nicht gerade populär, obwohl er bis zu seinemTod 1974 im Alter von siebenundsiebzig Jahren eine wichtigeRolle in der amerikanischen Atompolitik spielte. Sogar enge Mit-arbeiter bezeichneten ihn als reserviert, arrogant und berech-nend. Dwight D. Eisenhower beeindruckte das anscheinendnicht im geringsten. Er vertraute Strauss' Urteil und nannte ihnspäter eine der »herausragendsten Persönlichkeiten« der westli-chen Zivilisation. Nachdem Strauss 1958 den Entschluß gefaßthatte, die AEC zu verlassen, bot ihm Eisenhower eine Reihe vonSpitzenposten an - unter anderem den des Außenministers undden des Stabschefs im Weißen Haus. Strauss lehnte beide abund erklärte sich schließlich bereit, Handelsminister zu werden.Das Akkreditierungsverfahren nahm einen katastrophalen Ver-lauf. Strauss war gegenüber dem Handelsausschuß des Senatsalles andere als aufrichtig. Eine demütigende Ablehnung war dasErgebnis. Strauss war der einzige Regierungskandidat, der in Ei-senhowers Amtszeit vom Senat nicht bestätigt wurde, und ist in

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der amerikanischen Geschichte der achte Kandidat, der abge-lehnt wurde.Auch nach seinem Rückzug aus dem öffentlichen Leben hieltStrauss unerschütterlich an seiner durch und durch feindseligenHaltung gegenüber der Sowjetunion fest. Bei einer Anhörung zudem von der Kennedy-Administration vorgeschlagenen Atomtest-moratorium erklärte Strauss vor einem Kongreßausschuß: »Ich be-zweifle, daß die Reduzierung der Spannungen (zwischen USAund UdSSR) unbedingt wünschenswert ist.« Gleichzeitig setzte ersich weiterhin für die Nutzung von Atomenergie ein. Im Jahr 1964stattete er Israel einen Besuch ab - vermutlich den ersten - undverhandelte mit der Regierung über den beabsichtigten Bau einermit Atomkraft betriebenen Wasserentsalzungsanlage.Strauss hatte während seiner Zeit bei der AEC an den meisten in-ternationalen Konferenzen über die friedliche Nutzung vonAtomenergie teilgenommen. In diesen Gremien lernte er seinenisraelischen Kollegen Ernst David Bergmann kennen und freun-dete sich mit ihm an. Von dieser Beziehung wußten nur wenige.Weder Strauss' Biograph noch sein Sohn Lewis, der Zugang zuallen persönlichen Unterlagen seines Vaters hatte, wußten vomKontakt der beiden Männer.Die Freundschaft mit Bergmann ist der überzeugendste Beweisfür Strauss' positive Haltung gegenüber dem israelischen Atom-waffenprogramm. Im Herbst 1966 nutzte Strauss seinen Einflußund verschaffte Bergmann eine zweimonatige Gastdozentur amrenommierten Institute for Advanced Studies der Princeton Uni-versity. Strauss hatte keinen Hochschulabschluß. Im ZweitenWeltkrieg hatte er dem Kuratorium des Instituts angehört undblieb einer seiner wichtigsten Förderer und Spendenbeschaffer.Das Institut hatte nur selten Chemiker als Gastdozenten. Die Mit-arbeiter sind überwiegend Physiker und Mathematiker, aber fürStrauss wurde eine Ausnahme gemacht. Bergmann war damalsbereits ein verbitterter Mann. Er opponierte hartnäckig gegen dieEntscheidung von Premierminister Levi Eschkol, die großangeleg-te Atomwaffenproduktion auszusetzen. Diese Entscheidung warzum Teil auf Drängen Präsident Lyndon B. Johnsons zustandegekommen. Dieser Differenzen wegen mußte Bergmann von sei-

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nem Posten im Verteidigungsministerium und als Vorsitzenderder Atomenergiekommission zurücktreten.»Strauss ging mir wegen Bergmann ganz schön auf die Nerven«,erinnerte sich Carl Kaysen, der damals neugewählte Leiter des In-stituts. »Er vertrat mir gegenüber die Ansicht, Bergmann sei einausgezeichneter Wissenschaftler.« Erst nach Bergmanns Ankunft,so Kaysen, habe er erfahren, wer er war und was er machte.Bergmann hatte nicht viel zu tun, und »er kam vorbei und unter-hielt sich mit mir. Mir wurde klar, daß er und Strauss enge Freun-de waren und daß er am [israelischen Atom-] Waffenprogrammmitarbeitete. Er sah das ganz gelassen.« Offensichtlich teilte Berg-mann Kaysen alles mit, was er bereits Strauss erzählt hatte. Kay-sen, ein hervorragender Volkswirtschaftler und ehemaliger Bera-ter des Präsidenten in Fragen der nationalen Sicherheit, warkeineswegs überrascht, daß Israel Atombomben bauen wollte.Doch er war schockiert, daß Strauss insgeheim für ein mit Atom-waffen ausgerüstetes Israel war, obwohl er zu seiner jüdischenAbstammung anscheinend ein sehr gespaltenes Verhältnis hatteund der Proliferation atomarer Waffentechnologie zumindest inder Öffentlichkeit so vehement entgegengetreten war.

Vielleicht ist Strauss' turbulente politische Karriere der Grund,daß Öffentlichkeit und Presse nie Gelegenheit hatten, mehr überseine persönlichen Gefühle als Jude und seine Schuldgefühle zuerfahren, daß er in den dreißiger Jahren nicht mehr getan hatte,um Juden vor dem Holocaust zu bewahren.Seine jüdische Herkunft war kein Geheimnis - seit 1938 warStrauss Vorsteher der Gemeinde Emanuel, der größten und be-kanntesten reformierten Synagoge in New York City. Eisenhowerhatte 1957 kurz mit dem Gedanken gespielt, Strauss zum Vertei-digungsminister zu ernennen, aber schließlich sah er ein, daßdessen jüdische Abstammung zu viele Probleme mit den ara-bischen Staaten des Nahen Ostens verursachen würde. DochStrauss' Aktivitäten zugunsten des jüdischen Staates waren an-scheinend nicht einmal seinen engsten Mitarbeitern in der Atom-energiekommission bekannt. In seinen 1962 veröffentlichtenMemoiren nahm Strauss Stellung zum Holocaust: »Die Jahre zwi-

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sehen 1933 und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs werdenfür mich immer ein Alptraum bleiben, und die armseligen Versu-che, die ich unternahm, um der Tragödie entgegenzutreten, wa-ren, außer in ein paar - erbärmlich wenigen - Fällen, totale Fehl-schläge.« Das Amerikanisch-Jüdische-Komitee hatte Strauss 1933gebeten, an der internationalen Konferenz in London über dasElend der Juden teilzunehmen; dort lernte er Dr. Chaim Weizmankennen. Strauss horchte auf, als die Konferenzteilnehmer forder-ten, die USA sollten eine »astronomische Summe« aufbringen, umbei der Umsiedlung von Millionen Juden zu helfen. Strauss wardamals noch entschieden gegen einen jüdischen Staat in Palästi-na. Als einziger Delegierter war er gegen diese Forderung, was erspäter bereuen sollte. Sechs Jahre später verwandte Strauss vielZeit und Mühe darauf, die britische Regierung dazu zu bewegen,europäischen Flüchtlingen, Juden und Nicht-Juden, ein großesStück des britischen Kolonialafrika zur Ansiedlung zu überlassen,allerdings ohne Erfolg. Angesichts des drohenden Krieges spieltenun Geld keine Rolle mehr: Strauss und seine amerikanischenKollegen, darunter der Finanzfachmann Bernard Baruch, ver-traten gemeinsam die Ansicht, daß 300 Millionen Dollar aufge-bracht werden könnten.1 Aber es war zu spät. Strauss' Haltung zuseinem persönlichen Scheitern — und zum Versagen der Groß-mächte - werden in seinen Memoiren deutlich: »Die Woge desKrieges überflutete die Kontinente und fegte über den Ozean,und die schockierte Welt verschloß die Augen, im übertragenenwie im wörtlichen Sinn, vor dem Elend der Unglücklichen, dieverschlungen wurden.«2

Obwohl Strauss, wie viele Juden, dem Zionismus ein Leben langablehnend gegenübergestanden war, hatte er das Vertrauen sei-ner Kollegen in der israelischen Atomenergiekommission gewon-nen, weil er 1955 in Genf auf der Konferenz der VereintenNationen über die friedliche Nutzung von Kernenergie gemein-sam mit ihnen gebetet hatte. An der Konferenz nahmen mehr als1500 Delegierte aus siebzig Nationen teil. Die israelische De-legation wurde von Ernst Bergmann geführt. Der damalige Au-ßenminister Moshe Sharett erhielt - laut Kalendereintrag vom18. September 1955 - von einem Delegierten einen ausführlichen

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Bericht. Bezeichnenderweise hielt es der Delegierte für wichtig,Sharett mitzuteilen, daß mindestens dreihundert Delegierte Judenwaren. Trotz dieser stattlichen Zahl, vermerkte Sharett, »nahmennur die jüdische Delegation (bei der Konferenz) und der Leiterder US-Delegation, Admiral Strauss« an dem von der jüdischenGemeinde Genfs arrangierten Freitagabendgottesdienst teil.Dennoch gab sich Strauss in Washington große Mühe, seine star-ken Emotionen bezüglich seiner jüdischen Abstammung und desHolocaust zu verbergen, obwohl viele seiner ehemaligen Unter-gebenen bei der AEC in Interviews betonten, er habe Deutschengegenüber eine unerbittlich feindselige Haltung eingenommenund Kontakte mit Deutschen nach Möglichkeit vermieden. Abererst, nachdem Strauss die AEC verlassen hatte, fand Myron Krat-zer - langjähriger AEC-Mitarbeiter und ebenfalls Jude - heraus,daß der ehemalige Vorsitzende die Gebote seiner Religion be-folgte und am Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, fa-stete. Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt war Strauss vonEisenhower gebeten worden, die amerikanische Delegation beieiner internationalen Konferenz in Wien anzuführen. Aber amJom Kippur, erinnerte sich Kratzer, »ließ sich Strauss nicht blik-ken. Er schloß sich an diesem Tag einfach in seinem Zimmerein.«

Bei der Untersuchung der Frage, warum Strauss niemandem - undvor allem nicht John McCone — von Dimona berichtete, dürfen seinpersönlicher Hintergrund und seine Gefühle zum Holocaust nichtaußer acht gelassen werden. Ob gerecht oder nicht, das Problemder sogenannten »doppelten Loyalität« - wie sie sich in Strauss'Handeln zeigt - beschäftigte die amerikanischen Nachrichtendien-ste seit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948. Amerikani-sche Juden durften sich zum Beispiel viele Jahre im CIA-Haupt-quartier nicht mit israelischen Fragen befassen. Keiner der erstenStationschefs oder Agenten in Israel war Jude. Ein Jude, der Jahr-zehnte später einen hohen Posten bei der CIA bekleidete, bestätig-te verärgert, daß bei seiner Ankunft »jeder verdammte Jude bei derCIA in der Buchhaltung oder in der Rechtsabteilung saß«. Der Be-amte hatte zwar nicht ganz recht, aber selbst die wenigen Juden,

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die an die Spitze gelangten, wie Edward W. Proctor, der Mitte dersiebziger Jahre Leiter der Analytischen Abteilung war, hatten zu al-len brisanten Dokumenten bezüglich Israel keinen Zugang. Judenwaren auch von Hebräisch-Kursen (früher auch Spezial-Arabischgenannt) der Nationalen Sicherheitsbehörde ausgeschlossen. Einsolcher Kurs ist die Grundvoraussetzung der Arbeit in speziellenHorchposten der NSA, die israelische Meldungen auffangen. DerNachrichtendienst der Marine lehnte es kategorisch ab, einen Ju-den mit einer Angelegenheit des Nahen Ostens zu betrauen.Beamte des auswärtigen Dienstes der USA waren davon über-zeugt - und sind es noch -, daß jeder diplomatische Bericht, indem Israel kritisiert wird, innerhalb weniger Tage auf wunder-same Weise in die israelische Botschaft in Washington gelangt.Die Kennedy-Administration kam 1963 informell mit Israel über-ein, daß beide Länder keine gegenseitige Spionage betreibenwollten. Nach Aussage eines ehemaligen Mitarbeiters Kennedyswollten die Amerikaner mit dieser Vereinbarung der israelischenInfiltration Amerikas entgegenwirken.Doch in Wahrheit schlössen Juden und Nicht-Juden gleicherma-ßen die Augen, wenn es um Israels atomares Potential ging. Diedoppelte Loyalität einzig und allein als jüdisches Problem zu be-trachten, wäre sehr kurzsichtig. Die jüdischen Überlebenden, dieBürger Israels wurden und während des Zweiten Weltkriegs un-glaubliche Mühen auf sich nehmen und ungeheures Leid erdul-den mußten, hatten und haben bei Amerikanern aller Schichtenenorme Sympathien. Der primäre Effekt der »doppelten Loyalität«war eine Art Selbstzensur. Sie hielt die Regierung der VereinigtenStaaten davon ab, sich rational und konsequent mit den strategi-schen und politischen Problemen zu befassen, die sich angesichtseines mit Atomwaffen ausgerüsteten Israel stellen. Ob Vorschrif-ten oder Gesetze gebrochen werden, ist nicht das Problem, son-dern daß einige Leute, die Israel unterstützten (Juden oder an-dere), ihre Stellung dazu benutzten, sich ein genaues Bild vondem israelischen Atomprogramm zu verschaffen; und niemandversuchte, den Bau des Reaktors zu stoppen. Die wenigen Beam-ten in der Regierung, die gegen die Proliferation von Atomwaffeneintraten und alle wichtigen Informationen über Dimona sam-

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mein wollten, wurden oft als »Fanatiker« beschimpft - und galtendeshalb als nicht voll vertrauenswürdig.Aber selbst unter den aufrichtigsten Männern führte die jüdischeAbstammung zwangsläufig zu Diskussionen. Dino Brugioni infor-mierte Strauss regelmäßig über die Ergebnisse der U-2-Aufklä-rung im atomaren Bereich, aber wenn es um Informationen überden israelischen Atomreaktor ging, war Strauss' Verhalten rätsel-haft. »Ich wußte nie, was er dachte; ich verstand ihn nicht. Er sag-te nur: >Das ist in Ordnung.-« Brugioni hatte besondere Gründe,sich über Strauss zu wundern. Er wußte, daß es innerhalb der CIAAnhaltspunkte dafür gab, daß amerikanische und europäische Ju-den »von Anfang an« unmittelbar an der Finanzierung und demBau des Reaktors in Dimona beteiligt waren. »Vor allem New Yor-kerjuden waren mit Feuereifer dabei«, erklärte Brugioni. »Sie sag-ten sich, -Du mußt Israel schützen-, und jeder, der es nicht tat [inder Nachrichtengemeinde], mußte es büßen.«Bei Interviews mit hochrangigen Mitarbeitern des amerikanischenAtomwaffenprogramms - Männer, die ähnlich wie Lewis Strausseinen Teil oder ihr ganzes Leben der Herstellung von Bombenwidmeten - hatte keiner auch nur den leisesten Zweifel an denZielen der israelischen Atompläne. Die meisten berichteten vonengen persönlichen Freundschaften mit israelischen Physikern,die am israelischen Waffenprogramm arbeiteten. Ein Mann, dersoviel Erfahrung und Sachkenntnis besaß wie Lewis Strauss,konnte keine Zweifel an dem wahren Zweck eines geheimen Re-aktors im Negev haben. Seine Witwe Alice berichtete, daß ihrMann, der nicht viel über seine Arbeit sprach, »es gutgeheißenhätte, daß Israel sich selbst verteidigen wollte. Da besteht garkein Zweifel.« Strauss muß auch bekannt gewesen sein, daß einjüdischer Atomphysiker namens Raymond Fox für große Auf-regung gesorgt hatte, weil er 1957 von Kalifornien nach Israelemigrierte. Fox hatte in Kalifornien für das Lawrence LivermoreNational Laboratory, ein von der Universität Kalifornien im Auf-trag der Atomenergiekommission betriebenes Kernforschungs-zentrum, gearbeitet. Sein geheimes Wissen konnte für die Israelisin Dimona von unschätzbarem Wert sein.Vielleicht sprach Strauss mit John McCone deshalb nicht über Di-

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mona, weil er meinte, den Juden einen zweiten Holocaust erspa-ren zu müssen. Vielleicht hatte er Schuldgefühle wegen seinerunterlassenen Hilfe für die Juden in Europa vor dem ZweitenWeltkrieg. In den folgenden dreißig Jahren verhielten sich Judenund Nicht-Juden in der amerikanischen Regierung ähnlich: Wennes um Dimona ging, sahen sie einfach weg. Machten sie sich derdoppelten Moral schuldig, wie Dino Brugioni und andere imNachrichtendienst meinten? Vernachlässigte Lewis Strauss, dergleich das Schlimmste annahm, wenn es um die Loyalität vonMännern wie Robert Oppenheimer ging, seine Amtspflichten,weil er die ihm bekannten Informationen über Dimona für sichbehielt und auch nicht an seinen Nachfolger weitergab?

Viele amerikanische Juden sind, wohl begreiflicherweise, der An-sicht, daß die Frage der »doppelten Loyalität« nicht in der Öffent-lichkeit erörtert werden sollte. Sie fürchten, daß jede Diskussionüber jüdische Hilfe für Israel zu Lasten der USA den Antisemitis-mus fördern könnte. Offenbar haben sie Angst, Nicht-Judenkönnten zu der Überzeugung gelangen, jede jüdische Hilfe fürIsrael müsse die primäre Loyalität gegenüber den VereinigtenStaaten ausschließen. Außerdem gibt es hinsichtlich der Unter-stützung Israels durch amerikanische Juden noch ein anderesProblem: Jeder öffentliche Bericht über Israels atomare Kapazitätkonnte bei den arabischen Ländern erneut Furcht vor einer welt-weiten jüdischen Verschwörung wecken, und sie würden deshalbihre Anstrengungen verdoppeln, die Bombe zu bekommen.Gegen diese Bedenken sprechen folgende Überlegungen: Kannes sich die Welt leisten, so zu tun, als sei Israel keine Atommacht,um Probleme zu vermeiden? Kann ein internationales Abkom-men über die Begrenzung von Atomwaffen überhaupt in Krafttreten, wenn über Israels Bomben nicht vollständig Rechenschaftabgelegt wird? Kann man von den arabischen Ländern tatsächlicherwarten, daß sie Israels Atomwaffen einfach ignorieren, weil inder Öffentlichkeit nichts über die Waffen bekannt wurde? Darf Is-rael wegen der breiten und emotional begründeten Unterstüt-zung in den USA mit anderem moralischem Maßstab gemessenwerden als Pakistan, Nordkorea oder Südafrika?

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Viele Gegner der Proliferation von Atomwaffen in der amerikani-schen Regierung waren Anfang der neunziger Jahre davon über-zeugt, daß Atomwaffen lediglich im Nahen Osten zum Einsatzkommen könnten. »Israel verfügt über eine gut durchdachte ato-mare Strategie und wird im Falle der Bedrohung seine Waffeneinsetzen«, erklärte ein Experte, der sich zwei Jahrzehnte lang mitStudien der Regierung über die atomare Frage im Nahen Ostenbefaßt hatte.

Einigen ehemaligen Untergebenen Strauss' bei der AEC fällt esschwer zu glauben, daß seine jüdische Abstammung der Grundwar, weshalb er John McCone nichts von Dimona erzählte. AlgieA. Wells, der 1958, als McCone Strauss' Posten übernahm, Leiterder Abteilung für internationale Angelegenheiten bei der AECwar, vermutete, daß Strauss erheblich trivialere Gründe hatte, sei-ne gesetzlich vorgeschriebene Pflicht als AEC-Vorsitzender zuvernachlässigen. »Warum hätte Strauss McCone etwas erzählensollen? Die beiden Männer standen sich nicht nahe. Beide hattenein enormes Selbstbewußtsein. Ich kann mir nicht vorstellen, daßsie befreundet waren und mal einen zusammen tranken.«Wells war der Ansicht, es sei unwichtig gewesen, ob StraussMcCone etwas erzählt hätte oder nicht. Als er 1958 in Israel war,erfuhr er - wie jeder Regierungsbeamte, der dies wollte - daßIsrael einen Atomreaktor baute. Obgleich McCone erstaunt war,als er Ende I960 von dem Reaktor erfuhr, fügte Wells hinzu, »hätteer das nicht sein sollen«.

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Ein Präsident kämpft

Abraham Feinberg hielt es wie Lewis Strauss für richtig, hinterden Kulissen für Israel zu arbeiten, doch anders als Strauss war erauch in der Lage, sich dieser Aufgabe zielstrebig und engagiert zuwidmen. Feinberg, ein New Yorker Jude, der in der Strumpfwa-ren- und Bekleidungsbranche ein Vermögen gemacht hatte, spiel-te schon 1948 bei der Finanzierung von Trumans aussichtslosscheinendem Präsidentschaftswahlkampf eine maßgebliche Rol-le; im Wahlkampf von I960 war er vielleicht der wichtigste jüdi-sche Spendenbeschaffer der Demokraten. Sein Anliegen war of-fensichtlich: Die Dollars, die er sammelte, sollten dem Staat Israeldie dauerhafte Unterstützung der Demokraten sichern.Feinberg war ein »Spieler« - um ihn mit seinen eigenen Worten zucharakterisieren - und träumte wie sein Freund Ernest DavidBergmann von einer Atommacht Israel. Öffentlich präsidierte erder Israel Bond Organization, privat beschaffte er Millionen vonDollars für den Bau der umstrittenen Reaktor- und Wiederaufbe-reitungsanlage in Dimona. Er hatte begriffen, daß die kostspieli-gen und immer aufwendigeren Bauarbeiten in Dimona nicht ausdem normalen israelischen Staatshaushalt finanziert werdenkonnten. Da es innerhalb und außerhalb Israels zu viele Kritikerdes Atomprogramms gab, mußte das Geld auf anderem Wege be-schafft werden. Die unerwünschte Publizität am Ende der Eisen-hower-Ära hatte Ben Gurion und Shimon Peres nur darin be-stärkt, das Geheimnis noch entschlossener zu hüten. DochFeinberg war bei all dem mehr als nur Geldbeschaffer. Als Präsi-dent Kennedy im September 196l John McCone zum CIA-Direk-tor ernannte und klar wurde, daß er ein entschiedener Gegnereiner israelische Bombe war, machte sich Feinberg zu einem in-ternen Fürsprecher für Ben Gurion und Peres. Insbesondere mit

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Peres verband ihn eine enge Beziehung: »Er kam oft wegen Geldzu mir. Wenn er mir einen Auftrag gab, half ich ihm.«Feinberg ist nach wie vor stolz darauf, daß er Israel und sein ge-heimes Rüstungsprogramm unterstützt hat. Seine offensivste Ak-tion im Dienste Israels zog er in den ersten Tagen der Kennedy-Administration durch. Damals forderte Kennedy Israel auf, einemamerikanischen Inspektionsteam in Dimona freien und ungehin-derten Zugang zu gestatten. Feinberg half, diese Forderung abzu-blocken. Sein Erfolg wurzelte in den besonderen Gegebenheitender amerikanischen Politik. »Mein Weg an die Macht«, erklärt er,»führte über Kooperation in einem Bereich, in dem sie unsbrauchten - bei den Wahlkampfgeldern.«

Einen ersten Vorgeschmack von politischer Macht bekam Feinberg1948 in Trumans Wahlkampf gegen Thomas E. Dewey, den repu-blikanischen Gouverneur von New York. Truman lag hoffnungsloszurück, und Dewey schien den Sieg bereits sicher in der Tasche zuhaben. »Als ich mich an Trumans Seite stellte«, erklärte Feinberg,»hielt ich es für die Pflicht eines jeden Juden, Israel zu helfen.« AlsMitglied des demokratischen Wahlkampf-Finanzausschussesnahm Feinberg im Weißen Haus an einer Sitzung mit dem Präsi-denten teil, der mit seiner Entscheidung vom Frühjahr, Israel alsStaat anzuerkennen, bei Juden in aller Welt Zustimmung gefundenhatte. »Sollte ich um Geld wetten«, soll Truman laut Feinberg gesagthaben, »so würde ich auf meinen Sieg setzen - doch ich müßte miteinem Zug durchs Land fahren können.« Doch dazu brauche ermindestens 100 000 Dollar. Feinberg versicherte Trumans Mitarbei-tern, daß er das Geld bis zum Abend beschaffen könne, und in derFolgezeit sorgte er dafür, daß Trumans Wahlkampfzug bei jedemZwischenstopp von einflußreichen Juden am Ort »aufgetankt« wur-de, sofern Bedarf bestand.In Feinbergs Trophäensammlung findet sich ein siebenseitiger,handgeschriebener Dankesbrief von Truman. Feinberg schätzt,daß er und seine jüdischen Kollegen 1948 während der Wahlreise»ungefähr 400 000 Dollar« gesammelt haben. Truman kannte dieSpielregeln und bot Feinberg später den Posten des amerikani-schen Botschafters in Israel an. Feinberg lehnte dankend ab: »Ich

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sagte ihm, daß kein Jude Botschafter in Israel werden solle, so-lange der Frieden nicht gesichert sei.«Feinbergs Rolle als Spendenbeschaffer für Harry Truman wird inkeiner zeitgeschichtlichen Arbeit über diese Periode1 erwähntund läßt sich, wie auch ein Teil seiner späteren Aktivitäten, diespeziell der Finanzierung von Dimona dienten, nicht in vollemUmfang belegen. Gleichwohl gibt es stichhaltige Beweise dafür,daß er tatsächlich eine so maßgebliche Rolle gespielt hat, wie erbehauptet. So erinnert sich der namhafte Washingtoner AnwaltClark Clifford, zur fraglichen Zeit Mitarbeiter und PokerbruderTrumans, noch lebhaft an eine entscheidende Intervention Fein-bergs während Trumans Wahlreise. Clifford war zwar nicht mitder Geldbeschaffung für die Demokratische Partei befaßt, doch erwußte, daß der Wahlkampfzug des Präsidenten auf halber Streckestehenzubleiben drohte, weil das Geld ausging. Die Fortsetzungder Kampagne, so erinnerte er sich, »war eine schier unlösbareAufgabe. Wir konnten niemanden auftreiben, der an unseren Siegglaubte.« In Oklahoma City schien die Katastrophe unausweich-lich: Eine Rundfunkanstalt ließ die Wahlkämpfer wissen, daß sieeine großangekündigte Rede Trumans zur Außenpolitik nur dannlandesweit ausstrahlen wolle, wenn »im voraus dafür bezahlt wer-de«. Dazu Clifford: »Das versetzte uns einen Schock. Die Sachewäre außerordentlich peinlich gewesen.« Rund 60 000 Dollarwurden gebraucht - sofort und in bar. »Truman überlegte, an wener sich wenden könnte. Der Bursche, der ihm, wie er später sag-te, aus der Patsche half, war Abe Feinberg. Ich habe es Abe im-mer hoch angerechnet, daß er die Sendung gerettet und uns diePeinlichkeit erspart hat. Ja, er hat es tatsächlich geschafft.«Darüber hinaus sammelte Feinberg Spenden für Adlai E. Steven-son, den gescheiterten demokratischen Kandidaten von 1952 und1956, und unterstützte die Nominierung des demokratischen Se-nators Stuart Symington aus Missouri zum demokratischen Präsi-dentschaftskandidaten (Symington trat später als leidenschaftli-cher Fürsprecher eines atomar bewaffneten Israels auf, was ihnparadoxerweise freilich nicht daran hinderte, im Senat ein Gesetzeinzubringen, das die Proliferation begrenzen sollte). Bei JohnF. Kennedys erster Bewerbung um die demokratische Präsident-

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schaftskandidatur spielte Feinberg keine Rolle: Wie viele Judenhielt er Kennedys Vater für einen Antisemiten. Joseph P. Kenne-dy, Selfmademan, Millionär und angesehener Katholik, hatte sichvor dem Zweiten Weltkrieg als Botschafter in England unterFranklin D. Roosevelt gegen einen Eintritt der USA in den Kriegmit Deutschland ausgesprochen. Doch ein paar Wochen nachKennedys Nominierung durch die Demokraten nahm Gouver-neur Abraham Ribicoff aus Connecticut, der einer von KennedysManagern beim demokratischen Parteikonvent gewesen war,Kontakt zu Feinberg auf. »Ich war der einzige Jude, der für ihnwar«, erinnerte sich Ribicoff. »Und mir war klar, daß die Juden fürjeden waren, nur eben nicht für John F. Kennedy. Ich sagte Ken-nedy, daß ich mich mit Abe Feinberg in Verbindung setzen wolle,weil er meines Erachtens eine Schlüsselstellung unter den Judenhatte. Ich arrangierte in Feinbergs Apartment im Hotel Pierre einTreffen [mit Kennedy], zu dem wir alle einflußreichen Juden ein-luden.« Etwa zwanzig führende Persönlichkeiten aus Wirtschaftund Finanzwelt erschienen.2

Laut Feinberg war es der prominente Bostoner Bürger DeweyStone, der gleich mit seiner ersten Frage die Weichen stellte: »Jack,jeder weiß, was man ihrem Vater in bezug auf die Juden und Hitlernachsagt. Und jeder weiß, daß der Apfel nicht weit vom Stammfällt.« Kennedy antwortete pointiert und scharf: »Wie Sie wissen, ge-hört auch meine Mutter zu diesem Stamm.« Ribicoff wurde späterMitglied des Kabinetts. Er berichtet, Kennedys Hauptaussage seigewesen, daß »die Söhne nicht für die Sünden der Väter verant-wortlich gemacht werden sollten«. Ein Glück für Kennedy, daß dieMänner in Feinbergs Apartment damit zufrieden waren. Kennedy,so Feinberg, sei mit Ribicoff nach oben in ein separates Zimmer ge-gangen, um dort die Entscheidung abzuwarten. Die Gruppe einig-te sich auf eine erste Spende von 500 000 Dollar für den Präsident-schaftswahlkampf und stellte weitere in Aussicht. »Ich rief ihn[Kennedy] sofort an«, sagte Feinberg. »Ihm versagte die Stimme. Erwar gerührt vor Dankbarkeit.«Als Kennedy am nächsten Morgen zum Haus des befreundetenKolumnisten Charles Bartlett im Nordwesten Washingtons fuhrund ihm von der Sitzung berichtete, zeigte er sich freilich alles

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andere als dankbar. Bei einem gemeinsamen Spaziergang gab erseinem Freund eine ganz andere Schilderung von der Sitzung amVorabend. »Als amerikanischer Bürger war er darüber empört«, er-innerte sich Bartlett, »daß einige Zionisten zu ihm gekommen wa-ren unu gesagt hatten: Wir wissen, daß Sie Schwierigkeiten mitIhrem Wahlkampf haben. Wir sind bereit, Ihre Rechnungen zubezahlen, wenn Sie uns dafür die Kontrolle über Ihre Nahost-Po-litik überlassen."- Und als Präsidentschaftskandidat ärgerte sichKennedy über die Unverfrorenheit, mit der man an ihn herange-treten war. »Sie wollen die Kontrolle«, sagte er wütend zu Bartlett.Bartlett berichtet, Kennedy habe einen festen Vorsatz gefaßt:»Wenn er jemals Präsident werden sollte, wollte er etwas dagegenunternehmen.« Gemeint war der notorische Geldmangel der Kan-didaten und die daraus resultierende Empfänglichkeit für die For-derungen von Spendern. Tatsächlich blieb Kennedy seinem Vor-satz treu und setzte im Oktober, also noch vor Ablauf seinesersten Amtsjahrs, eine Kommission aus Vertretern beider Parteienein, die Vorschläge zur Erweiterung der »finanziellen Basis unse-rer Präsidentschaftswahlkämpfe« erarbeiten sollte. In einer Erklä-rung, die aufrichtiger gemeint war, als Öffentlichkeit oder Presseahnen konnten, geißelte er die gängigen Methoden der Wahl-kampffinanzierung als »ganz und gar nicht wünschenswert« und»gefährlich«, da sie die Kandidaten »von den Geldspenden be-stimmter Interessengruppen« abhängig machten. Präsidentschafts-wahlen, so Kennedy, seien der »wichtigste Prüfstein für die De-mokratie« in den Vereinigten Staaten. Doch Kennedy war seinerZeit voraus: Die Vorschläge zur Wahlkampffinanzierung führtenzu nichts.3

Die widersprüchlichen Berichte über Kennedys Reaktion auf dasTreffen in Feinbergs Apartment im Hotel Pierre lassen sichschwerlich vereinbaren. Tatsache aber bleibt, daß, trotz Kenne-dys harter Worte beim Spaziergang mit Bartlett, Abe FeinbergsEinfluß im Weißen Haus nach Kennedys erstem Amtsjahr gefe-stigt war und der junge Präsident in den nachfolgenden zwei Jah-ren wenig unternahm, um daran etwas zu ändern. Dies hatte of-fensichtlich auch einen politischen Grund: Bei der Wahl I960stimmten mehr Juden (81 Prozent) als Katholiken (73 Prozent) für

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Kennedy; die jüdischen Wähler waren es, die ihm zu der knap-pen Mehrheit von 114 563 Stimmen und damit zum Sieg überNixon verhalfen. Feinberg erhielt nach der Wahl eine Belohnungbesonderer Art: Sein Bruder Wilfred, ein Jurist, wurde vom Präsi-denten mit einem Bundesrichteramt bedacht.4

Das Problem der politischen Macht der Juden und der israeli-schen Bombe wurde in diesen Jahren dadurch zusätzlich kompli-ziert, daß Kennedy aus sachlichen und emotionalen Gründen ge-gen eine Verbreitung von Atomwaffen war. Carl Kaysen, der 196lvon Harvard zum Nationalen Sicherheitsrat wechselte, erinnertesich, daß es »zwei Themen gab, über die sich der Präsident stun-denlang verbreiten konnte, wenn man sie ansprach. Das eine warder Goldstandard, das andere die Verhinderung der Proliferation.«Daß Kennedy aus politischen Gründen gezwungen war, eine am-bivalente Haltung gegenüber Dimona einzunehmen, muß für ihnfrustrierend gewesen sein. Um das Gesicht zu wahren, stimmte erschließlich einer Reihe amerikanischer Inspektionen der israeli-schen Atomeinrichtungen zu, die freilich in Anbetracht dessen,was die Israelis zu zeigen bereit waren, kaum den Namen Inspek-tionen verdienten.Kennedys komplizierte Einstellung zu den Israelis und zum Ein-fluß der Juden in der Politik gipfelte in seiner Ernennung des ehe-maligen "wahlkampfhelfers Myer (Mike) Feldman zum Sonderbe-auftragten für jüdische und israelische Angelegenheiten. Feldmanwar weithin bekannt für sein energisches Eintreten für Israel. Erwar für den Präsidenten ein notwendiges Übel. Seine exponierteStellung irn Weißen Haus war für Kennedy gleichsam eine politi-sche Schuld, die beglichen werden mußte. Feldman erinnertesich, daß ihn der Präsident am Tag nach der Amtseinführung zusich bestellte und autorisierte, den gesamten telegrafischen Nach-richtenverkehr zwischen State Department und Weißem Haus, so-weit er den Nahen Osten betraf, zu überwachen. »Ich sagte:>Mr. President, meine Sympathien gehören eindeutig Israel.' Under antwortete: 'Deshalb sollen sie ihn ja überwachen.« FeldmansSonderstellung und sein spezieller Zugang zu den Akten hattenauf die Arbeit im Weißen Haus verheerende Auswirkungen, undKennedy muß das vorhergesehen haben. Die führenden Berater

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des Präsidenten, allen voran der nationale SicherheitsberaterMcGeorge Bundy, versuchten verzweifelt, den Informationsflußüber den Nahen Osten an Feldman vorbeizuleiten. Häufig warbürokratisches Chaos die Folge. »Unter Kennedy herrschte imStab des Weißen Hauses keine Harmonie«, räumte Kaysen ein.(Kaysen ist ebenfalls Jude.) »Bundy mißtraute Feldman und warbesorgt wegen mir und Bob Kramer« (ebenfalls Jude und im Stabdes Nationalen Sicherheitsrats für Südasien zuständig). »Er fürch-tete, wir könnten uns mit israelischen Fragen befassen.«5

Robert W. Körner, der später Lyndon B. Johnsons Befriedungs-programm in Südvietnam leiten sollte, erinnerte sich an die Span-nungen: »Mac Bundy hatte eine eiserne Regel. Er schickte nichtsan Feldman, weil Feldman sich mit Fragen beschäftigte, die ihnnichts angingen. Zwischen dem, was Feldman sagte, und dem,was der israelische Botschafter sagte, war kaum ein Unterschiedauszumachen.«Möglicherweise nahmen sich die Stabsmitarbeiter des WeißenHauses in ihrem Verhalten Feldman gegenüber auch ein Beispielan ihrem jungen Präsidenten. Kennedy, der Feldman einen Son-derstatus eingeräumt hatte, konnte es sich nicht verkneifen, hin-ter seinem Rücken Witze über ihn zu reißen. So erinnerte sichCharles Bartlett, wie ein gutgelaunter Kennedy in Hyannis Port -es war Samstag morgen, die traditionelle Zeit für den Gang zurSynagoge - ganz unvermittelt die spitze Bemerkung fallen ließ:»Ich stelle mir vor, wie Mike im Kabinettsraum gerade eine Zioni-stenversammlung abhält.« Ein ähnlich satirisches Bild Feldmanszeichnete Robert Kennedy in einem Interview, das 1988 von derJohn F. Kennedy Library veröffentlicht wurde. Er stellte fest, daßsein älterer Bruder, der Präsident, mit Feldmans Arbeit zufriedengewesen sei, fügte aber hinzu: »Sein [Feldmans] Hauptinteressegalt Israel, und nicht den Vereinigten Staaten.«Feldman machte sich keine Illusionen über die Verleumdungs-kampagnen im Weißen Haus, doch der Einfluß, den er offenkun-dig hatte, entschädigte ihn für seine Langmut: Er füngierte weiterals Kennedys Sonderbeauftragter bei der israelischen Regierungin einer Vielzahl sensibler Fragen bis hin zu den Atomwaffen. ImJahr 1962 war ihm ein Besuch in Dimona gestattet worden. Seit-

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dem wußte er aus erster Hand, was man in der Umgebung desPräsidenten nur vermutete: Israel hatte die Absicht, die Bombe zubauen.Die israelische Bombe und die Frage, was gegen sie unternommenwerden konnte, entwickelten sich im Weißen Haus zu einer Art fi-xen Idee, zu einem Punkt auf der geheimen Tagesordnung, derdreißig Jahre lang verborgen bleiben sollte. In keiner bekanntenBiographie über John F. Kennedy, nicht einmal in den Arbeitenvon Insidern wie Arthur Schlesinger und Theodore C. Sorensen,dem Sonderberater und ersten Redenschreiber des Präsidenten,wird auf die Frage der atomaren Bewaffnung Israels eingegangenoder Abe Feinbergs Name auch nur erwähnt. Die U-2-Erkenntnis-se, die Arthur Lundahl und Dino Brugioni von der CIA sammelten,wurden noch vertraulicher behandelt als Material der Geheimhal-tungsstufe top-secret. Die Folge war ein eklatantes Informations-gefälle zwischen der Verwaltung und den Männern an der Spitze.Dies führte unvermeidlich zu absurden Resultaten.Kurz nach Kennedys Amtseinführung ernannte das State Depart-ment William R. Crawford, einen jungen Beamten im auswärtigenDienst, zum Direktor für israelische Angelegenheiten. Wenig spä-ter, so erinnerte sich Crawford, gelang es dem Luftwaffenattachein Israel, mit Hilfe der Fernaufklärung ein weiteres Foto von derReaktorkuppel in Dimona zu machen. »Es war, als hätten vorherüberhaupt keine Informationen vorgelegen«, sagte Crawford. »Alssei die ganze Sache für das Weiße Haus, die Nachrichtendienste,ja für alle eine totale Überraschung.« In Sitzungen wurden die be-unruhigenden neuen Erkenntnisse diskutiert. »Das Material warbrisant. Wir gelangten zu der Überzeugung, daß es nicht mit demübereinstimmte, was uns die Israelis erzählten.«Crawford bekam den Auftrag, für den Präsidenten einen Brief anBen Gurion aufzusetzen. In dem Schreiben wurde betont, daß dieamerikanische Position zur Proliferation von Atomwaffen »in Miß-kredit gebracht wird, wenn ein Staat wie Israel, der als abhängigvon uns gilt, einen eigenen Kurs verfolgt«. Weitere zentrale Punk-te, so Crawford, »waren der Wunsch, Inspektionen durchzufüh-ren, und das Recht, Nasser von den Ergebnissen zu unterrichten«.Auf diese Weise sollte der besorgte ägyptische Präsident davon

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überzeugt werden, daß Dimona keine Waffenfabrik war, weilman ihn davon abhalten wollte, in Ägypten ein Kernforschungs-projekt zu starten. Die Inspektion in Dimona sollte von einer un-abhängigen Expertengruppe der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), der Kontrollbehörde auf dem Gebiet derKernenergie mit Sitz in Wien, durchgeführt werden; Israel hattesich grundsätzlich damit einverstanden erklärt, daß die IAEA dieVereinigten Staaten bei den zweimal pro Jahr stattfindenden In-spektionen des kleinen Forschungsreaktors in Nahal-Soreq ablö-sen sollte. »Ich formulierte sehr sorgfältig«, erinnerte sich Craw-ford. »Es war der wichtigste Brief, den ich in meiner Karriere bisdahin geschrieben hatte.« Der Brief wurde an das Büro vonGeorge Ball, dem damaligen stellvertretenden Außenminister imState Department, weitergeleitet, umgeschrieben6 und abge-schickt. »Nach einer angemessenen Zeit«, so Crawford, »kam einelange Antwort von Ben Gurion, Seiten über Seiten.« Ben GurionsBrief an Kennedy wurde nie veröffentlicht, weder von den Verei-nigten Staaten noch von Israel, doch auch dreißig Jahre späterkonnte sich Crawford noch ohne Mühe an seinen Ton ennnern:»Man wußte nicht so recht, was er eigentlich meinte. Irgendwiewich er aus. Kein Wort darüber, ob er den atomaren Weg ein-schlagen wollte, nur Sätze wie >Wir sind ein kleines, von Feindenumringtes Land usw.« Möglich, daß er auf einen atomaren Schutz-schild anspielte, wenn er Bemerkungen machte wie: 'Konntenwir uns auf die Vereinigten Staaten verlassen?«« Laut Crawford ließBen Gurion in diesem ersten Brief keine Bereitschaft erkennen,IAEA-Kontrollen in Dimona zuzulassen.Israels Bombenprogramm und der nun einsetzende Briefwechselüber dieses Thema belasteten das Verhältnis zwischen Kennedyund Ben Gurion zusehends und vergifteten es schließlich ganz.Der israelische Ministerpräsident hatte zwar eine Absage erhal-ten, als er um einen offiziellen Staatsbesuch in Washington nach-suchte, doch mit Hilfe Abe Feinbergs gelang es ihm, im Mai196l einen Besuch in den Vereinigten Staaten zu arrangieren.Anlaß war eine abendliche Feier, die ihm zu Ehren an der Bran-deis University unweit von Boston stattfand. Feinberg überredeteden Präsidenten zu einem privaten Treffen mit Ben Gurion im

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New Yorker Waldorf-Astoria. Kennedy war nervös und bat Fein-berg, dem Gespräch beizuwohnen. Feinberg lehnte ab, erklärtesich aber bereit, die beiden Staatsmänner einander vorzustellen.Auch Ben Gurion sah dem Treffen mit Besorgnis entgegen, daer fürchtete, der anhaltende Druck der Amerikaner auf das israe-lische Atomwaffenprojekt könnte zu einer ungewollten Eskala-tion führen. Da Dimona auch unter den verschiedenen Fraktio-nen in Israel politisch umstritten war, konnte ein Zerwürfnis mitKennedy in dieser Frage den Plan einer atomaren BewaffnungIsraels ernstlich in Gefahr bringen. Gerade diese Befürchtunghatte die israelische Regierung veranlaßt, den beiden amerikani-schen Physikern I. I. Rabi von der Columbia University und Eu-gene Wigner aus Princeton bei ihrem Besuch des noch im Baubefindlichen Reaktors in Dimona irgendwann im Frühjahr 196lden ebenso renommierten Physiker Amos Dehalit als Begleitermitzugeben. Die beiden Amerikaner berichteten übereinstim-mend, sie hätten keinerlei Hinweise auf die Fertigung von Waf-fen gefunden.7

Das Treffen mit Kennedy wurde für den israelischen Ministerprä-sidenten zu einer herben Enttäuschung, und zwar nicht wegender Atomfrage. «Er kam mir vor wie ein fünfundzwanzigjährigerJunge«, erzählte er später seinem Biographen. »Ich fragte mich,wie so ein junger Mann zum Präsidenten hatte gewählt werdenkönnen. Am Anfang nahm ich ihn nicht ernst.« (Auch der sowje-tische Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow, der mitKennedy einen Monat später beim Wiener Gipfel zusammentraf,war über die Jugend und Unerfahrenheit des Präsidenten ver-blüfft.) Es gibt kein öffentliches Protokoll von dem Gespräch zwi-schen Kennedy und Ben Gurion, und was zur atomaren Fragedurchsickerte, ist nicht gesichert. Ben Gurion erinnerte sich spä-ter, daß er abermals erklärt habe, Dimona werde einzig zu For-schungszwecken gebaut. Kennedy habe den Dimona-Besuch Ra-bis und Wigners angesprochen und seine Befriedigung darüberzum Ausdruck gebracht, daß der Reaktor nach Überzeugung derPhysiker für eine friedliche Nutzung bestimmt sei. Ben Gurionwar erleichtert: »Damit war der Reaktor zumindest fürs erste ge-rettet.«

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Ein weiteres wichtiges Thema bei dem Gipfel war Ägypten. Ken-nedy war entschlossen, die Beziehungen zur Regierung Nasser zuverbessern, und umriß seine neue Politik. Ben Gurion trug erneutden langgehegten Wunsch der Israelis vor, amerikanische Flugab-wehrraketen vom Typ Hawk zu kaufen: Israel brauche die Hawk-Raketen, um den neuen sowjetischen MIG-Kampfflugzeugen derÄgypter etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen. Kennedy ver-sprach, die Angelegenheit zu prüfen.Unvergeßlich blieb Ben Gurion der Moment, als er das Hotelzim-mer verlassen wollte. Plötzlich zog ihn Kennedy wieder ins Zim-mer zurück, um ihm »etwas Wichtiges« zu sagen. Es war eine po-litische Botschaft: »Ich weiß, daß ich meinen Wahlsieg denStimmen der amerikanischen Juden verdanke. Sie haben mir zumAmt verholfen. Sagen Sie mir, ob ich irgend etwas für sie tun soll.«Ben Gurion war nicht nach New York gekommen, um mit demPräsidenten um jüdische Wählerstimmen zu feilschen. Er antwor-tete: »Sie müssen das tun, was gut ist für die freie Welt.« Spätersagte er zu Mitarbeitern: »Für mich ist er ein politischer Opportu-nist.« Ähnliche Klagen äußerte Ben Gurion auch im Beisein AbeFeinbergs. »Es ist unmöglich, das Verhältnis zwischen Kennedyund Ben Gurion zu beschreiben«, sagte Feinberg, »weil es BG un-möglich war, JFK als ebenbürtig zu behandeln. Seine Einstellungzur Jugend war typisch für einen altmodischen Juden. Er respek-tierte JFK nicht, weil er jung war.« Aber es gab noch einen weite-ren Grund: Joseph Kennedy. »BG konnte nachtragend sein, undden alten Mann verabscheute er zutiefst.«Ben Gurions Klagen über Kennedy und den permanenten Druckwegen Dimona hingen zweifellos auch mit einem nach wie vorbrennenden Problem zusammen. Im April hatte ein norwegischerBeamter namens Jens C. Hauge zwei Wochen lang zum ersten -und einzigen - Mal vor Ort kontrolliert, was mit dem schwerenWasser geschah, das sein Land an Israel verkauft hatte. Die In-spektion, die Ernst Bergmann genauestens überwachte, hättenicht günstiger verlaufen können. Dimona war noch nicht in Be-trieb, und das Wasser lagerte in den Original-Transportfässern inder Nähe des kleinen und gänzlich unverdächtigen Forschungs-reaktors Nahal-Soreq in Rehovot. Hauges Bericht an das norwe-

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gische Außenministerium verblüfft durch seine Kritiklosigkeit ge-genüber Bergmanns Behauptungen. »Soweit ich weiß«, schriebHauge, »hat Israel nicht versucht, den Bau des Reaktors geheim-zuhalten ... Professor Bergmann hatte seine amerikanischen Kol-legen zu einem früheren Zeitpunkt von dem Reaktor unterrichtet,allerdings hatte Israel die USA nicht offiziell über den Reaktor in-formiert. Möglicherweise ist die Aufregung um den Reaktor inden USA vor diesem Hintergrund zu sehen.« An anderer Stelle zi-tiert er Bergmann mit den Worten, das schwere Wasser aus Nor-wegen werde in einem »24-Megawatt-Foschungsreaktor« verwen-det, dem Prototypen für eine geplante, viel größere Anlage zurStromerzeugung. In einem zweiten Memorandum für das Außen-ministerium schrieb Hauge: »Israel ist daran gelegen, die Lage desReaktorgebäudes geheimzuhalten und die Aufregung zu been-den.«Im Juli 1961, zwei Monate nach dem Besuch bei Kennedy, wohn-te Ben Gurion mit seinen Spitzenberatern in der Negev-Wüstedem vielbeachteten Abschuß der ersten israelischen Rakete, dersogenannten Shavit II8, bei. Gewöhnlich wurden solche militäri-schen Demonstrationen geheimgehalten, doch im Hinblick aufdie für Mitte August angesetzten Wahlen beschloß die Führungder Arbeiterpartei, die Presse einzuladen. Außerdem hatte sie Be-richte erhalten, nach denen Ägypten am 23. Juli, dem neuntenJahrestag der Machtergreifung Nassers, den Abschuß mehrererRaketen plante. Die mehrstufige Feststoffrakete Shavit II, die rund80 Kilometer in die obere Atmosphäre aufstieg, sollte im Rahmeneiner Versuchsreihe für die israelische AtomenergiekommissionLuftströmungen in der oberen Atmosphäre messen. Ernst Berg-mann sagte später gegenüber einer wissenschaftlichen Zeitschrift:»Wir sind nicht so sehr auf Prestige aus, uns interessieren viel-mehr die wissenschaftlichen Aspekte des Weltraums.« Die ameri-kanischen Nachrichtendienste - und die arabischen Feinde Isra-els - verstanden die Botschaft: Es war nur eine Frage der Zeit, bisIsrael ein Raketensystem entwickelt haben würde, das in der Lagewar, atomare Sprengköpfe zu befördern. Bergmann war ein wei-terer Schritt in Richtung Atomrüstung gelungen.Rabis und Wigners Inspektionen hatten Kennedy, trotz seiner Be-

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merkung gegenüber Ben Gurion, ganz und gar nicht davon über-zeugt, daß Dimona keine Atomwaffenfabrik war. Ein atomar be-waffnetes Israel - und diese Möglichkeit nahm für Kennedy immerdrohendere Gestalt an - konnte nicht nur die Stabilität im NahenOsten gefährden, sondern auch den geplanten Vertrag mit der So-wjetunion über das Verbot von Atomwaffentests in der Atmosphä-re vereiteln, und daran lag Kennedy sehr viel. Zudem gab es kei-nerlei Anzeichen dafür, daß Ben Gurion, der nach wie vor allesabstritt, zum Einlenken bereit war. In geheimen Schreiben an dasWeiße Haus redete der israelische Premierminister den Präsiden-ten mit »junger Mann« an; Kennedy gab seinen Mitarbeitern deut-lich zu verstehen, daß er die Briefe für beleidigend hielt.Die Haltung des Präsidenten zur israelischen Bombe war zweifel-los mit ein Grund für seine überraschende Entscheidung, nachdem Fiasko in der Schweinebucht CIA-Direktor Allen Dullesdurch John McCone zu ersetzen. Politische Gründe, die gegendiese Ernennung sprachen, gab es genug: McCone war nicht nurein prominenter Republikaner, sondern auch ein erklärter Gegnerdes vom Weißen Haus angestrebten Teststoppabkommens mitder Sowjetunion. Arthur Schlesinger schreibt, daß Kennedy, of-fenbar noch unschlüssig in seiner Wahl, McCone zu einem ver-traulichen, zweistündigen Gespräch eingeladen habe, »unter demVorwand, seine Meinung über Atomtests zu hören«. Es gibt keinder Öffentlichkeit zugängliches Protokoll des Gesprächs der bei-den Männer, obwohl wenige Tage zuvor abermals ein ärgerlicherBrief von Ben Gurion eingegangen war und die Sowjetunion dieWiederaufnahme ihrer Atomtests angekündigt und damit dasinoffizielle sowjetisch-amerikanische Moratorium beendet hatte.Auf jeden Fall, sagte McCone später zu Walt Eider, seinem Assi-stenten bei der CIA, habe Kennedy sich bei ihm darüber beklagt,daß er »die widersprüchlichsten Ratschläge in den verschiedenenatomaren Fragen« bekomme, die israelische Bombe eingeschlos-sen. Kennedy bat McCone, das Problem zu analysieren und ihmbinnen weniger Wochen einen schriftlichen Bericht vorzulegen.Als McCone nach getaner Arbeit wiederkam, so erzählte er Eider,warf der Präsident den Bericht auf die Seite - »Geben Sie ihn demStab.« - und bot ihm den Posten bei der CIA an, verbunden mit

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der Bitte, über seine Ernennung vorläufig »Stillschweigen« zu be-wahren: »Die liberalen Scheißer im Keller [Bundys Stab des Natio-nalen Sicherheitsrats] werden wieder meckern.«Ob von Kennedy vorausgesehen oder nicht: Er hatte einen Bun-desgenossen gefunden. Nach Eiders Ansicht deckten sich die po-litischen Ziele McCones weitgehend mit denen des jungen Prä-sidenten: »McCone war ein eiserner Verfechter der atomarenÜberlegenheit Amerikas, aber zu seiner Dreieinigkeit gehörtenauch die Katholische Kirche und die Verhinderung der Prolifera-tion.« Ein atomar bewaffnetes Israel paßte nicht in dieses Welt-bild: »Er war davon überzeugt, daß eine israelische Bornbe zu ei-ner Eskalation führen würde und daß wir das Öl aus dem NahenOsten dann auf Jahre hinaus abschreiben könnten.« Natürlich hat-te er noch andere Vorzüge, die Kennedy zu schätzen wußte: Miteinem McCone in ihren Reihen würde die Administration bei derPresse, im Kongreß und nicht zuletzt bei Eisenhower, der in Get-tysburg, Pennsylvania, ein geruhsames Rentnerleben führte, einhohes Maß an Glaubwürdigkeit erringen. »Kennedy traf niemalseine wichtige politische Entscheidung, ohne vorher Eisenhowerzu konsultieren«, erinnerte sich Eider, der nach seinem Ausschei-den aus der CIA 1983 als Exekutivsekretär zum National ForeignIntelligence Board wechselte, einem Gremium, dem die Direkto-ren aller Nachrichtendienste angehören. »Der Gedanke, daß Ikeauf der anderen Seite stehen könnte, jagte ihm Angst ein.«Bei einem ihrer ersten Treffen nach McCones Amtsantritt beklagtesich Kennedy über den letzten Brief Ben Gurions, der das Pro-blem einer internationalen Inspektion in Dimona in gewohnterManier schlichtweg überging, also jene zentrale Forderung desWeißen Hauses, die Bill Crawford erstmals artikuliert hatte. BenGurions Brief war »reines Geschwafel«, erinnerte sich Walt Eider.»Ein starkes Stück. Kennedy sprach mit McCone darüber, undMcCone sagte: -Schreiben Sie ihm eine scharfe Note. ErwähnenSie unsere internationalen Verpflichtungen und unser Mißtrauengegenüber den Franzosen. Nehmen Sie kein Blatt vor den Mund.««Der Präsident befolgte McCones Rat. Die Antwort, die er erhielt,empfand er als neuerliche Unverschämtheit. »Im Klartext schriebBen Gurion: »Schluß jetzt, das geht Sie nichts an<«, sagte Eider, dernach McCones Ausscheiden aus der CIA Jahre damit zubrachte,dessen immer noch als geheim eingestufte persönliche Akten zusichten und zu erfassen.9 An diesem Punkt bestand McCone dar-

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auf, sich selbst um die Anlegenheit zu kümmern. -Die Attachesund das State Department sind dazu nicht in der Lage«, sagte erlaut Eider zu Kennedy und unterstrich die Notwendigkeit, endlichdie wichtigste, Dimona betreffende Frage zu klären: »Gab es inDimona eine unterirdische chemische Wiederaufbereitungsanla-ge?« »Übergeben Sie mir die Sache.« Kennedy willigte ein, undMcCone begann mit einer zweigleisigen Operation.Den Auftakt machten weitere U-2-Missionen. Parallel dazu wurdeder weit riskantere und ehrgeizige Versuch unternommen, in Di-mona und, wenn es glückte, sogar in die vermutete Wiederauf-bereitungsanlage Spione einzuschleusen. »Es war eine verdammtkitzlige Operation«, sagte Eider. »Nicht einmal die Stationschefs [inIsrael und anderswo im Nahen Osten] wußten Bescheid. Wir führ-ten sie direkt von McCones Büro aus.« Rückblickend, so Eider, sei-en McCones Instruktionen fast leichtfertig zu nennen. Obwohl ererkannt habe, daß die Israelis Mitarbeiter des amerikanischenNachrichtendienstes streng überwachten, habe McCone seinenMännern gesagt: »Wir können unsere Arbeit nicht machen, ohneSpuren zu hinterlassen. Tun Sie Ihr Bestes.« Der Einsatz amerika-nischer Agenten in Israel stellte ein unerhörtes Risiko dar, undMcCone und Kennedy müssen das gewußt haben: Jede Enthüllunghätte in Amerika eine Welle der Empörung ausgelöst. Andererseitskonnte die Operation aber auch ein für allemal klären, was die Is-raelis in Dimona nun eigentlich trieben und was nicht.Die Operation flog nicht auf — aber sie brachte auch nicht dengewünschten Erfolg. Den CIA-Agenten vor Ort, die offenbar imAusland angeworben worden waren, gelang es nicht, nach Dimo-na vorzudringen. Eider gab denn auch zu: »Ich kann nicht be-haupten, daß einer unserer Agenten in Dimona eine Bombe ge-sehen hätte.«Die U-2 lieferte einmal mehr den Beweis, daß Fotos - so aufse-henerregend sie auch waren - nicht genügten. Im Dezember196l hatten CIA-Beamte das National Photo Interpretation Center(NPIC) aufgebaut, eine neue Behörde, die Arthur Lundahl unter-

stellt war. Sie hatte die Aufgabe, detaillierteres Bildmaterial zu be-schaffen. Das NPIC präsentierte bald ein riesiges Luftbildmosaikvon Israel, das nicht nur Dimona zeigte, sondern auch alle ande-

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ren potentiellen Atomanlagen. »Es war so groß wie zwei Glastü-ren«, erinnerte sich Eider. »Kennedy gefiel es.« Das Problem warnur, daß die neue Fotoserie wenig zur Klärung der Schlüsselfragebeitrug: Was sich in Dimona unter der Erde abspielte, war ebennicht zu sehen. Dazu Eider: »McCone sagte, das vorliegende Ma-terial enthalte keinen sichtbaren Hinweis auf atomares Potential.Es liefere keinen Beweis für eine Waffenfabrik.« Doch McCone seiskeptisch geblieben und habe dem Präsidenten gesagt: »Wie sie[die Israelis] eine Inspektion zulassen, können Sie ihnen nichttrauen.«Dimona blieb ein Haupthindernis für ein anderes außenpoliti-sches Ziel Kennedys: die Annäherung an Ägypten. Eine Erhö-hung der Wirtschaftshilfe und ein vertraulicher Briefwechsel mitNasser hatten bis Mitte 1962 zu einer Verbesserung der Beziehun-gen geführt, und hohe ägyptische Beamte versicherten dem Wei-ßen Haus, daß sie im Rahmen der Blockfreiheit ebenfalls bessereBeziehungen wünschten. Nasser, schockiert über die Aussicht aufeine Atommacht Israel, hatte nach den Enthüllungen über Di-mona im Dezember I960 öffentlich erklärt, daß Ägypten eineÜberlegenheit Israels niemals hinnehmen werde. Wenn nötig, soNasser, werde Ägypten angreifen und »die Basis der Aggressionzerstören, auch um den Preis von vier Millionen Toten«. Bei Kon-ferenzen der Arabischen Liga zur Außen- und Verteidigungspoli-tik wurde 196l wiederholt über das Problem Dimona diskutiert.Ein gemeinsamer Beschluß war jedoch nicht zustande gekom-men. Einig waren sich die Araber lediglich in ihrer Entschlossen-heit zur konventionellen Aufrüstung. Die Kennedy-Administra-tion versicherte Ägypten, daß sie solange Druck ausüben werde,bis die IAEA die Genehmigung zu Inspektionen in Dimona erhal-ten werde. Außerdem versprach sie, Nasser - mit Zustimmung Is-raels - eine Zusammenfassung der Befunde zu übermitteln.Doch die Regierung Kennedy war nach wie vor außerstande, dieInspektionen durchzusetzen. Ben Gurion hatte nicht die Absicht,wirkliche Kontrollen zuzulassen - aus naheliegenden Gründen.

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Seine erste Gegenmaßnahme war einfach und direkt: Er übte po-litischen Druck aus, eine Aufgabe, die Abe Feinberg übernahm.»Um sie von ihrer Forderung nach einer umfassenden Inspektionabzubringen«, erinnerte sich Feinberg, »mußte ich den härtestenKampf meine Karriere durchstehen. Nicht nur einmal, gut ein dut-zendmal intervenierte ich energisch.« Er wußte durch Myer Feld-man von den amerikanischen Forderungen und benutzte ihn alsSprachrohr für seine Beschwerden; nach eigenem Bekunden hater nie mit dem Präsidenten persönlich über diese Angelegenheitgesprochen. Seine Botschaft war unmißverständlich: Sollte derPräsident weiter auf einer Inspektion in Dimona bestehen, mußteer im Präsidentschaftswahlkampf 1964 damit rechnen, wenigerUnterstützung zu bekommen. Laut Feinberg ging diese Botschaftdirekt an Verteidigungsminister McNamara und Paul H. Nitze, da-mals leitender Mitarbeiter im Verteidigungsministerium. »Ich trafmich mit ihnen und sagte, daß sie ihre Nase aus der Sache her-aushalten sollten.«Nitze mochte sich in einem späteren Interview nicht an diesesGespräch erinnern, dafür aber an einen Streit mit Feinberg überDimona. Die Israelis wollten zu der Zeit moderne US-Kampfflug-zeuge kaufen: »Ich lehnte ab, solange sie in Sachen Dimona nichtmit der Wahrheit herausrückten. Dann stürmte plötzlich dieserFeinberg in mein Büro und fuhr mich an: >Das können Sie unsnicht antun.« Ich antwortete: >Ich habe es schon getan.* DaraufFeinberg: >Ich werde dafür sorgen, daß Sie überstimmt werden.«Ich erinnere mich, daß ich ihn hinausgeworfen habe.«»Drei Tage später««, fuhr Nitze fort, »erhielt ich einen Anruf vonMcNamara. Er sagte, er müsse mich auf Anweisung von oben auf-fordern, meinen Standpunkt zu ändern und die Flugzeuge freizu-geben. Was ich dann auch tat.« Nitze zögerte einen Moment undfuhr dann fort: »Feinberg hatte Einfluß und nutzte ihn auch. Ichwar überrascht, daß McNamara da mitmachte.« Auf den Vorfallangesprochen, gab McNamara eine rätselhafte Antwort: »Ich kannverstehen, warum Israel eine Atombombe wollte. Schließlich gehtes hier um ein elementares Problem. Israels Existenz war ein Fra-gezeichen in der Geschichte, und das war der entscheidendeGrund.«

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Doch am Ende konnten Feinberg und Ben Gurion dem anhal-tenden Druck des Präsidenten nicht mehr widerstehen. Da BenGurion in der Öffentlichkeit immer wieder kategorisch bestrittenhatte, daß in Dimona Waffen entwickelt wurden, blieb der israe-lischen Regierung nur noch wenig Handlungsspielraum: Wennsie den Zutritt weiterhin verweigerte, würde sie ihrer Glaubwür-digkeit schaden und der sich neu formierenden Anti-Atombewe-gung in Israel zusätzliche Argumente liefern. Ende 196l hatte sicheine Gruppe prominenter israelischer Gelehrter und Wissen-schaftler - darunter auch zwei Mitglieder von Bergmanns Atom-energiekommission - heimlich zusammengeschlossen und dasKomitee gegen Atomwaffen im Nahost-Konflikt gegründet. Dieneue Gruppe stellte klare Forderungen: Einstellung der israeli-schen Forschungen mit dem Ziel einer atomaren Option und Auf-klärung über die heimlichen Aktivitäten in Dimona. Im April 1962trat das Komitee mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit. Darinhieß es, daß die Entwicklung von Atomwaffen »für Israel und denFrieden im Nahen Osten eine Gefahr« darstelle. Das Komitee for-derte die Vereinten Nationen auf, zu intervenieren und »die Her-stellung von Atomwaffen zu verhindern«. Andere, die über dieVorgänge in Dimona besser im Bilde waren, äußerten gleichfallsKritik: Der ehemalige Verteidigungsminster Pinhas Lavon, der inAnbetracht des permanenten Flüchtlingsstroms auf eine For-cierung des Wohnungsbaus drängte, beklagte sich Anfang dersechziger Jahre bei einem Beamten aus Dimona: »Wir streichen500 Millionen Dollar für die Besiedelung von Galiläa [im NordenIsraels] und bauen statt dessen die Bombe.«Der Hauptgrund für Ben Gurions Entscheidung, schließlich dochnoch Inspektionen zuzulassen, war zweifellos der Beschluß derRegierung Kennedy, den Verkauf von Hawk-Flugabwehrraketenan Israel zu gestatten. Bisher hatten die Vereinigten Staaten Israelnur mit speziellen militärischen Schulungen und empfindlichemelektronischem Gerät unterstützt, doch der Verkauf der Hawk -die als eine hochmoderne Defensivwaffe galt - war eine deutli-che Abkehr von der bisherigen Politik, Israel nicht mit Waffen zubeliefern. Er nährte bei den Israelis die Hoffnung, sie könntenkünftig vielleicht auch amerikanische Offensivwaffen erhalten.

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Die Regierung Kennedy hatte den Verkauf der Hawk monatelangheimlich geprüft und analysiert und sorgfältige Vorkehrungen ge-troffen, damit es im Nahen Osten nicht zu einer politischen Ex-plosion kam. Armin H. Meyer, jetzt stellvertretender Assistent desAußenministers für den Nahen Osten und Südasien, erinnertesich, daß im Juni eine Sonderbotschaft des Präsidenten zum The-ma Israel nach Athen geschickt wurde, wo ein regionales Treffender im Nahen Osten akkreditierten US-Botschafter stattfand. Ken-nedy teilte ihnen mit, daß er »etwas Besonderes für Israel tunmüsse«, und bat sie um Rat. Er stellte vier Vorschläge zur Diskus-sion, die, so Meyer, »in der arabischen Welt allesamt auf feindlicheAblehnung gestoßen wären«. Die Botschafter votierten für denVerkauf der Hawk-Raketen, weil er den amerikanischen Interes-sen »am wenigsten schaden würde«. Außerdem verständigten siesich darauf, Ägypten und andere arabische Länder vorab zu infor-mieren.Was Kennedy seinen Botschaftern freilich verschwieg, war dieTatsache, daß es ihm dabei um die Genehmigung zu einer In-spektion in Dimona ging. Myer Feldman überbrachte Ben Guriondie Nachricht. Im August reiste er nach Israel, informierte die is-raelische Regierung über den Verkauf und teilte ihr mit, was Ken-nedy als Gegenleistung erwartete. Auf Fragen nach seiner Mis-sion antwortete Feldman, es sei »übertrieben«, die Inspektion vonDimona als »Gegenleistung« für die Hawk-Raketen zu bezeich-nen. »Vielmehr wollten wir Ihnen zeigen, wie entgegenkommendwir sind. Nichts anderes wollten wir. Die Israelis sagten sich: >Dassind gute Freunde, lassen wir sie rein.-« Feldman selbst durftenoch in derselben Woche den Reaktor in Dimona besuchen.Washington machte noch ein weiteres wichtiges Zugeständnis: Esrückte von seiner Forderung ab, daß Dimona von der Internatio-nalen Atomenergie-Organisation inspiziert werden müsse. BenGurion hatte in seinem geheimen Briefwechsel mit Kennedy im-mer wieder betont, daß solche Inspektionen die Souveränität Is-raels verletzen würden. Schließlich erklärte sich das Weiße Hausbereit, ein eigens zusammengestelltes amerikanisches Inspek-tionsteam nach Dimona zu entsenden. Die Abmachung wurdezusätzlich durch ein zweites Zugeständnis modifiziert, wodurch

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das ganze Verfahren nahezu zur bloßen Augenwischerei wurde:Die amerikanischen Kontrolleure mußten ihre Besuche lange imvoraus ankündigen und brauchten die volle Einwilligung Israels.Unangemeldete Visiten waren nicht erlaubt.Ben Gurion überließ nichts dem Zufall: Die amerikanischen Kon-trolleure - vorwiegend Experten auf dem Gebiet der atomarenWiederaufbereitung - wurden in ein Potemkinsches Dorf geführtund merkten es nicht.Das simple Täuschungsmanöver der Isralis basierte auf Plänen, diesie von den Franzosen bekommen hatten: Sie bauten in Dimona ei-nen »Kontrollraum« und statteten ihn komplett mit falschen Kon-trollanzeigen und computergesteuerten Meßgeräten aus, die zumSchein die Wärmeleistung eines mit voller Leistung gefahrenen 24-Megawatt-Reaktors (was die Anlage in Dimona angeblich sein soll-te) anzeigten. Die israelischen Techniker probten die Inszenierungin dem falschen Kontrollraum ausgiebig - schließlich sollte es beiden Besuchen der Amerikaner nicht zu Pannen kommen. Ziel war,die Inspekteure davon zu überzeugen, daß eine chemische Wie-deraufbereitungsanlage weder vorhanden noch möglich war. EinUmstand bereitete den Israelis allerdings Kopfzerbrechen: Wassollten sie tun, wenn die Amerikaner den Reaktorkern inspizierenwollten und dabei entdeckten, womit zu rechnen war, daß in Di-mona große Mengen schweren Wassers verwendet wurden (das zueinem erheblichen Teil illegal aus Frankreich und Norwegen ein-geführt wurde) und der Reaktor ganz offensichtlich mit einer Lei-stung gefahren wurde, die weit über den angegebenen 24-Mega-watt lag? Kurzerhand beschloß man, dem Inspektionsteam »ausSicherheitsgründen« den Zutritt zum Reaktorkern zu untersagen.Nach Abe Feinbergs Ansicht ließ Kennedys Unnachgiebigkeit denIsraelis keine andere Wahl: »Es gehörte zu meiner Aufgabe, ihneneinen Wink zu geben, daß Kennedy auf einer Inspektion bestand.Also haben sie ihn hinters Licht geführt.«Die Inspektionen des amerikanischen Teams verliefen bis zu ih-rer Aussetzung im Jahr 1969 stets nach dem gleichen Muster. DieInspekteure blieben mehrere Tage in Dimona, kletterten durchdie verschiedenen Baugruben - viele Einrichtungen wurden erstmit der Zeit gebaut -, fanden aber nichts. Weder wunderten sie

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sich über die Tatsache, daß ihnen der Zutritt zum Reaktorkernverboten war, noch erregte der falsche Kontrollraum in irgendei-ner Weise ihr Mißtrauen. In einem versteckten Kabuff im Kon-trollraum postierten die Israelis sogar einige Ingenieure, die überdie Apparaturen wachten und dafür sorgten, daß es nicht zu un-liebsamen Zwischenfällen kam.Ein weiterer Umstand begünstigte die Komödie: Keiner der Ame-rikaner konnte Hebräisch. Ein ehemaliger israelischer Beamter,der als Dolmetscher für das amerikanische Team füngierte, erin-nerte sich: »Ich gehörte zu der Gruppe, die mit der Tarnung be-traut war.« Wenn einer der Ingenieure vor den Amerikanern zu-viel redete, sagte er in scheinbarem Plauderton auf hebräisch zuihm: »>Hör zu, du Arschloch, die Frage beantwortest du nicht.« DieAmerikaner dachten, ich übersetze.«Leiter des amerikanischen Teams war Floyd L. Culler, ein führen-der Experte auf dem Gebiet der atomaren Wiederaufbereitungund zu der Zeit stellvertretender Direktor der Abteilung für che-mische Technologie am Oak Ridge National Laboratory in Ten-nessee, in dem erstmals Uran für amerikanische Atomwaffen an-gereichert worden war. Nach eigenen Aussagen berichtete Cullerdamals dem Weißen Haus, daß es sich bei dem Reaktor, den erund seine Kollegen inspiziert hatten, um einen -normalen Reak-tor« handle. »Alle Bauelemente wurden gezählt und gelistet.« Cul-ler, der 1989 als Präsident des Electrical Power Research Instituteim kalifornischen Palo Alto in den Ruhestand trat, schien über-rascht, aber nicht schockiert, als er erfuhr, daß sein Team mit ei-nem falschen Kontrollraum getäuscht worden war. »Man kann einSystem so einrichten, daß es etwas zu steuern scheint, obwohl esdas gar nicht tut«, erklärte er und fügte hinzu, daß simulierte Kon-trollräume in aller Welt ausgiebig und mit Erfolg zu Übungszwek-ken in Reaktorsystemen benutzt würden. Culler beunruhigte dieNachricht weit mehr, daß das Fotoauswertungsteam der CIA zudem Schluß gekommen war, in Dimona werde eine Grube füreine chemische Wiederaufbereitungsanlage ausgebaggert. DieExperten hatten sogar versucht, die Menge des Aushubs zu schät-zen. Solche Informationen habe er nicht bekommen, sagte er, ob-wohl er sie hätte bekommen müssen.

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Culler tat den Schwindel der Israelis als unvermeidlich, aber un-nötig ab. »Es ist unmöglich, nur anhand von Fußspuren zu ar-chäologischen Befunden zu kommen«, erklärte er. »So schlau istkeiner.« Er betrachtete seine Inspektion als »Teil einer Verzöge-rungstaktik« mit dem Ziel, es nicht soweit kommen zu lassen,daß man Maßnahmen gegen das israelische Atomwaffenpro-gramm ergreifen mußte. Heute ist er ganz und gar nicht davonüberzeugt, daß es falsch von Israel war, eine eigene nukleareAbschreckungsmacht zu entwickeln.»Sie hatten Angst vor einer Bombardierung«, erinnerte sich Culler.So habe ihn nach der ersten Inspektion 1962 ein Israeli gebeten,nach seiner Rückkehr nach Washington die Frage eines atomarenSchutzschilds durch die Amerikaner anzuschneiden. Währendder kurzen Zwischenaufenthalte in Athen und Rom schrieb Cullerseinen geheimen Inspektionsbericht und erwähnte darin pflicht-gemäß die Sorgen der Israelis. Kaum stieg er in Washington ausder Maschine, nahm ihn die CIA in Empfang und ließ sich vonihm Bericht erstatten. Bei späteren Inspektionen war nie wiedervon einem atomaren Schutzschild die Rede, und Culler stellte sichschließlich selbst die rhetorische Frage: Würden die VereinigtenStaaten einen Atomkrieg beginnen, um irgendein Land im NahenOsten zu schützen? Oder Indien, Pakistan oder Argentinien? »Wirsaßen alle in der Bredouille«, sagte Culler. »Seien wir deshalb vor-sichtig mit Schuldzuweisungen. Mag sein, daß es eine heiße Storyist, aber Recht oder Unrecht gibt es hier nicht.«Die ständigen Verhandlungen über Dimona waren auch mitver-antwortlich für das Scheitern einer ehrgeizigen Initiative der Ken-nedy-Administration zur Lösung der palästinensischen Flücht-lingsfrage. Wie alle amerikanischen Präsidenten seit 1948 hatteauch Kennedy sein Amt in dem Glauben angetreten, er könneden Weg zu einem dauerhaften Frieden im Nahen Osten ebnen.Als Mitglied des Repräsentantenhauses und als Senator hatte ersich stets offen zu Israel bekannt, wiederholt aber auch Verständ-nis für die Ziele des arabischen Nationalismus gezeigt und seinBedauern über das Elend der palästinensischen Flüchtlinge zumAusdruck gebracht. So erklärte er im Februar 1958 in einer Redevor einer jüdischen Gruppe, daß die Flüchtlingsfrage »durch Ver-

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handlungen, Wiederansiedlung und internationale Hilfe von au-ßen gelöst werden muß. Aber das Problem zu erkennen ist etwasganz anderes, als zu sagen, das Problem sei nur auf Kosten derZerstörung Israels zu lösen ... oder müsse von Israel allein gelöstwerden.«Die Arabisten im State Department waren nach Aussagen ArminMeyers angenehm überrascht, als sie im Frühjahr 196l aus demWeißen Haus erfuhren, daß »die Juden Kennedy nicht in der Ta-sche hätten, nur weil 90 Prozent der jüdischen "Wähler ihm ihreStimme gegeben hätten«. Von Kennedy um Vorschläge gebeten,regte das State Department einen weiteren Versuch an, das seitIsraels Sieg im arabisch-israelischen Krieg von 1948 bestehendeFlüchtlingsproblem in der West Bank und im Gazastreifen zu lö-sen. Nach dem Krieg hatten die Vereinten Nationen die Resolu-tion 194 verabschiedet, nach der den Flüchtlingen das Recht ein-geräumt werden sollte, nach Israel zurückzukehren, sofern siedas wünschten.Das State Department wartete mit einem überraschenden Vor-schlag auf: Die Flüchtlinge sollten in einer vertraulichen Fragebo-genaktion befragt werden, ob sie in ihre frühere Heimat in Israelzurückkehren wollten. Diejenigen, die eine Rückkehr ausschlös-sen, sollten für ihr beschlagnahmtes Eigentum von Israel entschä-digt werden und die Möglichkeit erhalten, in einen arabischenStaat oder in ein anderes Land ihrer Wahl zu emigrieren. UnterEisenhower hatte es wütende Proteste von Seiten der Araber ge-hagelt, weil die Resolution der Vereinten Nationen nicht erfülltworden war. Aus Studien des State Department zur Umsiedlungs-frage ging hervor, daß nicht mehr als 70 000 bis 100 000 Palästi-nenser entschlossen waren, innerhalb von zehn Jahren in ihre be-schlagnahmten Häuser in Israel zurückzukehren, eine Zahl, dieals vertretbar galt. Außerdem sollte den Israelis das Recht vorbe-halten bleiben, einzelne rückkehrwillige Palästinenser zurückzu-weisen; damit wollte man das Sicherheitsrisiko möglichst geringhalten.Kennedy hatte mit Ben Gurion bereits im Mai 196l bei ihrem ge-meinsamen New Yorker Treffen über seine arabische Initiativegesprochen, war aber auf wenig Gegenliebe gestoßen. Ein paar

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Wochen später gab er grünes Licht für einen größeren - undstreng geheimen - Versuch des State Department, die neue Vari-ante der Resolution 194 durchzusetzen. Nach Auskunft ArminMeyers wurde in den folgenden achtzehn Monaten ein brauchba-rer Kompromiß erarbeitet, der nicht nur vom Weißen Haus abge-segnet wurde, sondern auch die Zustimmung der arabischenStaaten fand. Meyer war Botschafter seines Landes in Jordanien,im Iran und in Japan gewesen, bevor er 1972 aus dem auswärti-gen Dienst ausschied. Er ist heute davon überzeugt, daß Ben Gu-rion das Umsiedlungsprojekt nur deshalb nicht torpedierte, weiler annahm, daß die Araber niemals direkte Verhandlungen mitIsrael in irgendeiner Frage akzeptieren würden und daß jede Dis-kussion über eine Repatriierung der Palästinenser in ihren Augeneiner formellen Anerkennung Israels gleichkäme. Als die in letz-ter Minute erwartete Ablehnung von den Arabern jedoch aus-blieb, so Meyer, »gerieten die Israelis in Panik« und setzten dasWeiße Haus durch amerikanische Juden massiv unter Druck. Zu-letzt machte Kennedy - zu diesem Zeitpunkt bereits mit Ben Gu-rion im Streit über Dimona - einen Rückzieher. Für seine Anhän-ger im State Department war das eine herbe Enttäuschung.10 DiePalästinenser, die in verwahrlosten Siedlungen im Gazastreifenund in der West Bank hausten, blieben staatenlose Flüchtlinge.»Ich glaube, daß wir uns den ganzen Terrorismus und andere Un-annehmlichkeiten erspart hätten«, sagte Meyer, »wenn wir mitdem Projekt damals Ernst gemacht hätten.«Aber damals schien eine Inspektion in Dimona eben wichtiger.

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9Jahre des politischen Drucks

John F. Kennedy, ein überzeugter Gegner der Proliferation,drängte Ben Gurion auch das ganze Jahr 1962 hindurch, eine in-ternationale Inspektion in Dimona zuzulassen, doch zu seinemÄrger erhielt er vom israelischen Ministerpräsidenten stets nur diehöfliche Versicherung, daß Israel nicht die Absicht habe, Atom-macht zu werden. Der Präsident hatte genug politischen Ver-stand, um zu erkennen, daß die israelischen »Scheißkerle«, wie ersich wütend gegenüber seinem Freund Charles Bartlett ausdrück-te, »mir ständig nur Lügen auftischen, was ihr atomares Potentialangeht«. Als mögliche Lösung bot sich an, Ben Gurion, der geradedie schwierigste Krise seiner politischen Laufbahn durchlebte,aus dem Amt zu drängen.Ende 1962, wenige Tage nach Weihnachten, unternahm Ken-nedy einen ersten direkten Schritt gegen den Ministerpräsiden-ten: Er lud die israelische Außenministerin Golda Meir, eine derschärfsten Kritikerinnen Ben Gurions im Kabinett und in der Ma-pai-Partei, zu einem vertraulichen Gespräch in sein Haus nachPalm Beach in Florida ein. Die Unterredung dauerte siebzig Mi-nuten. Golda Meir machte kein Hehl daraus, daß sie Ben Guriongrollte, weil er zuließ, daß seine Gefolgsmänner Shimon Peresund Moshe Dayan hinter ihrem Rücken agierten. Sie und andereaus Osteuropa stammende Parteimitglieder wie FinanzministerLevi Eschkol waren davon überzeugt, daß Ben Gurion nur des-halb auf junge Männer wie Peres und Dayan setzte, weil sie eherdavor zurückschreckten, ihm Paroli zu bieten.In dem freigegebenen Memorandum über das Gespräch zwischenGolda Meir und Kennedy steht zwar kein Wort über Atomwaffen(einige Passagen wurden aus Gründen der nationalen Sicherheitgestrichen), doch darf man mit ziemlicher Sicherheit davon ausge-

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hen, daß Kennedy die Frage unverblümt ansprach. Zudem gehtaus dem Memorandum hervor, daß sich Kennedy in ungewöhnlichverbindlicher Form zur Verteidigung Israels bekannte: »Wir erwar-ten von Israel, daß es in gleicher Weise mit uns kooperiert, wie wirmit Israel kooperieren und dem Land bei der Wahrnehmung seinerInteressen helfen«, sagte Kennedy zu Golda Meir. »Es besteht keinZweifel daran, daß sich Israel ernsthaft bedroht sieht... UnsereHaltung in diesen Fragen mag den Eindruck erwecken, als erwar-teten wir von Israel, daß es seine Interessen vernachlässigt. Dochwir tun das nicht aus Feindseligkeit gegenüber Israel, sondern umwirkungsvoller zu helfen. Ich denke, es bedarf keiner besonderenErwähnung, daß die Vereinigten Staaten Israel im Fall einer Inva-sion zu Hilfe eilen würden. Stark genug sind wir, und wir werdenimmer stärker.« Von Dwight D. Eisenhower hatte kein Israeli jemalssolche Töne vernommen.Kennedy brachte etwas später - die Dauerkrise vorausahnend,die das Flüchtlingsproblem in der West Bank und im Gazastreifenheraufbeschwören sollte — sein Bedauern über das Scheitern desarabischen Umsiedlungsprojekts zum Ausdruck und betonte, daßsich seine Regierung auch künftig um eine Lösung der Flücht-lingsfrage bemühen werde. Dann fügte er hinzu, daß die Verei-nigten Staaten »ein wirkliches Interesse an Israel haben ... UnsereWünsche an Israel erwachsen aus der Tatsache, daß unsere Be-ziehungen keine Einbahnstraße sind. Auf lange Sicht hängt IsraelsSicherheit teilweise davon ab, wie sich das Land den Arabern ge-genüber verhält, teilweise aber auch von uns.«Kennedys Bekenntnis zur Verteidigung Israels in Verbindung mitseiner Entscheidung, die Hawk-Raketen zu verkaufen, markierteeinen Wendepunkt in der amerikanischen Israel-Politik, einenWendepunkt freilich, der bis heute wenig Beachtung gefundenhat. Kennedys Angebot hätte möglicherweise genügt, wenn Israellediglich eine militärische Partnerschaft mit den Vereinigten Staa-ten angestrebt hätte. Doch Israel wollte mehr.

John McCone war nach wie vor in Sorge wegen der israelischenBombe, und das um so mehr, als die CIA immer noch nicht her-ausgefunden hatte, ob in Dimona tatsächlich eine unterirdische

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Wiederaufbereitungsanlage gebaut wurde. McCone hielt sich indieser Frage weit weniger bedeckt als jeder andere aus KennedysUmgebung. So maßregelte er 1962 bei einer Dinnerparty in Wa-shington öffentlich einen hohen Beamten des französischen Au-ßenministeriums namens Charles Lucet wegen der Rolle, die des-sen Land bei der Entwicklung der israelischen Bombe spielte.Lucet, der in den späten fünfziger Jahren das Amt des stellvertre-tenden Botschafters in Washington bekleidet hatte (und 1965selbst zum Botschafter avancieren sollte), saß an jenem Abendneben McCone, der ihn ganz unvermittelt mit der Frage überfiel:»Nun, Mr. Lucet, Ihr Land baut also eine Wiederaufbereitungsan-lage für die Israelis?« Lucets Antwort entsprach der offiziellen fran-zösischen Position in dieser Frage: »Nein, wir bauen einen Reak-tor.« McCone drehte ihm daraufhin den Rücken zu und sprachden ganzen Abend kein Wort mehr mit ihm. In Anbetracht derhohen Meinung, die das frankophile Präsidentenpaar von Frank-reich hatte, war das eine schroffe Zurückweisung.1

Kennedy schnitt die atomare Frage wiederholt bei Gesprächenmit führenden Israelis an - und erhielt immer die gleiche stereo-type Antwort. Als Shimon Peres im April 1963 nach Washingtonflog und im Weißen Haus über den anstehenden Kauf der Hawk-Raketen verhandelte, fragte ihn der Präsident offen nach den Ab-sichten Israels. Eine israelische Atombombe, so Kennedy, »würdeeine gefährliche Situation heraufbeschwören. Aus diesem Grundverfolgen wir aufmerksam Ihre Bemühungen auf diesem Gebiet.Was können Sie mir dazu sagen?« Peres tischte dem Präsidenteneine Lügengeschichte auf, die in den folgenden Jahren zur offi-ziellen Antwort der Israelis avancierte: »Ich kann Ihnen versi-chern, daß wir in der Region keine Atomwaffen einführen wer-den. Jedenfalls werden wir nicht die ersten sein, die es tun. Dasliegt nicht in unserem Interesse. Im Gegenteil, wir wollen eineDeeskalation der militärischen Spannungen, ja sogar totale Abrü-stung.«Es war schlimm genug, daß die Administration keine genauen In-formationen über die Absichten der Israelis hatte. Erschwerendkam noch hinzu, daß viele führende Kongreßmitglieder einerAtommacht Israel durchaus wohlwollend gegenüberstanden - ein

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Umstand, der Kennedy nicht verborgen geblieben sein konnte. Einpaar Tage vor dem Treffen mit dem Präsidenten hatte Peres mit Se-nator Stuart Symington aus Missouri, einem einflußreichen Demo-kraten und Kennedy-Anhänger, das Thema Atomwaffen erörtert.Wie Peres seinem Biographen mitteilte, sagte Symington zu ihm:»Seien Sie nicht dumm. Bauen Sie weiter an Ihrer Atombombe. Undhören Sie nicht auf die Regierung. Tun Sie, was Sie für richtig hal-ten.«

Genau das tat Israel auch. Die Bauarbeiten in Dimona machtenweitere Fortschritte, und irgendwann im Jahr 1962 wurde der Re-aktor kritisch: Ohne nennenswerte Probleme setzten die Techni-ker eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion in Gang. Allerdingskonnte der Reaktor mit einer Leistung von 70 Megawatt gefahrenwerden, und nicht nur mit 24 Megawatt, wie die Regierung BenGurion behauptet hatte. Damit waren die Israelis in der Lage, grö-ßere Mengen waffenfähigen Plutoniums zu produzieren und um-fangreichere Arsenale mit Atomwaffen anzulegen, als jeder Au-ßenstehende sich träumen ließ. Noch im selben Jahr nahmen dieprivaten französischen Baufirmen in Dimona, stets erpicht auf einGeschäft, die Arbeit an der unterirdischen Wiederaufbereitungs-anlage wieder auf - allen Beteuerungen de Gaulies zum Trotz,daß Frankreich sich aus dem Bau der israelischen Bombe ausge-klinkt habe. Innerhalb von drei Jahren errichteten die Franzosenin atemberaubendem Tempo - und gegen gutes Geld - die Wie-deraufbereitungsanlage und die erforderlichen Müllentsorgungs-und Sicherheitseinrichtungen. Viele französische Techniker undIngenieure, die die Baustelle bereits verlassen hatten, kehrten indie Stadt Beersheba zurück. Die Einwohnerzahl stieg unaufhör-lich (1970 lag sie bei 70 000).Israelische und französische Ingenieure setzten ihre Zusammen-arbeit auf dem französischen Atomtestgelände in der Sahara fort.Jetzt konzentrierten sich die Experimente verstärkt auf die Ent-wicklung neuer Waffen. Ende 1961 hatten die Franzosen mit einerReihe unterirdischer Tests begonnen und arbeiteten an der Ver-besserung miniaturisierter Sprengköpfe, die für den Einsatz inFlugzeugen und eventuell auch in Raketen vorgesehen waren.

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Darüber hinaus fanden Anfang der sechziger Jahre weitere Versu-che mit einem verbesserten Shavit-Raketensystem statt, jedochdiesmal ohne die Öffentlichkeit zu informieren; nach Ansicht vonCIA-Analytikern war die Mittelstreckenrakete für den militäri-schen Einsatz bestimmt. Im Jahr 1963 schließlich zahlte Israel denfranzösischen Marcel-Dassault-Werken, damals eines der erfolg-reichsten Unternehmen im Raketen- und Flugzeugbau, 100 Mil-lionen Dollar für die gemeinsame Entwicklung und Herstellungvon fünfundzwanzig israelischen Mittelstreckenraketen. Die Ra-kete, die unter dem Namen Jericho I bekannt wurde, war angeb-lich in der Lage, einen stark verkleinerten Atomsprengkopf in ein500 Kilometer entferntes Ziel zu befördern.Im Frühjahr 1963 war das Verhältnis zwischen Kennedy und BenGurion auf dem Tiefpunkt angelangt, der Ton ihrer Korrespon-denz wurde immer gereizter. Kein einziger Brief wurde bis heutefür die Öffentlichkeit freigegeben.2 Ben Gurions Antwortschrei-ben setzte der Physiker Juval Neeman auf. Neeman arbeitete fürden Geheimdienst des Verteidigungsministeriums und war direktmit dem Atomwaffenprogramm befaßt. »Es war kein freundlicherGedankenaustausch«, erinnerte er sich. »Kennedy schrieb wie einungehobelter Flegel. Es war widerlich.«Der Präsident wollte dem israelischen Ministerpräsidenten seineoffene Verachtung heimzahlen, und die Gelegenheit dazu ließnicht lange auf sich warten. Ende April schlössen sich Ägypten,Syrien und der Irak zu einer kurzlebigen Arabischen Föderationzusammen. Eine solche Vereinigung war Ben Gurions Alptraum.Unverzüglich wandte er sich an Washington und schlug dem Prä-sidenten in einem Brief vor, die Vereinigten Staaten sollten ge-meinsam mit der Sowjetunion öffentlich die territoriale Integritätund Sicherheit aller Staaten im Nahen Osten garantieren. »Wennsie ein oder zwei Stunden erübrigen könnten, um mit mir die La-ge zu erörtern und über mögliche Lösungen zu sprechen«,schrieb Ben Gurion, »bin ich jederzeit bereit, ohne jedes Aufsehennach Washington zu fliegen, wann es Ihnen gerade paßt.« Kenne-dy lehnte den vorgeschlagenen Besuch ab und äußerte nach BenGurions Biographie »schwere Bedenken« gegen jede gemeinsameErklärung mit den Sowjets in dieser Frage. Fünf Tage später

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schickte ein enttäuschter Ben Gurion eine zweite Note an Kenne-dy: »Mr. President, mein Volk hat ein Recht auf seine Existenz ...und diese Existenz ist nun bedroht.« Er ersuchte die VereinigtenStaaten, einen Sicherheitsvertrag mit Israel zu unterzeichnen.Wieder erhielt er eine abschlägige Antwort, und in der Mapai-Par-tei reifte die Einsicht, daß Ben Gurion und seine Unnachgiebig-keit in der Dimona-Frage das Verhältnis zu Washington schwerbelasteten. So sagte Golda Meir zu Ben Gurions Biographen: »Wirwußten von diesen Annäherungsversuchen ... Wir sagten nichts,obwohl wir uns wunderten.«Ein paar Tage später, am 16. Juni 1903, trat Ben Gurion überra-schend als Ministerpräsident und Verteidigungsminster zurückund beendete damit seine fünfzehnjährige Amtszeit an der Spitzedes Staates Israel.In vielen Berichten über Ben Gurions Rücktritt wurden die Skan-dale, das öffentliche Mißtrauen und die Polarisierung, die seineletzten Jahre als Regierungschef kennzeichneten, zutreffend be-schrieben. Inbesondere die Lavon-Affäre, ausgelöst von einer Rei-he von Sabotageakten, die vor der Sueskrise in Ägypten verübtworden waren, hatte seit Anfang der sechziger Jahre die öffentli-che Diskussion in Israel beherrscht. Ausgelöst wurde sie durchneue Enthüllungen, die den Verdacht nahelegten, daß niedereBeamte aus dem Verteidigungsministerium Dokumente gefälschtund irreführende Zeugenaussagen gemacht hatten, allem An-schein nach in der Absicht, den ehemaligen Verteidigungsmini-ster Pinhas Lavon mit dem Vorwurf zu belasten, er habe die Ope-ration genehmigt. Lavon, noch immer einer der einflußreichstenMänner in der Mapai-Partei, war Chef der Histadrut, jenes mäch-tigen Dachverbands der Gewerkschaften, der auch weite Teileder israelischen Industrie kontrollierte (85 Prozent der israeli-schen Arbeiterschaft waren gewerkschaftlich organisiert). Lavonbat Ben Gurion, ihn zu entlasten. Doch Ben Gurion winkte ab,und Lavon brachte seinen Fall vor den Knesset-Ausschuß für Aus-wärtige Angelegenheiten und Verteidigung. Kaum in der Knesset,beschuldigte er Ben Gurion, Peres und Dayan, sie hätten die zivi-le Autorität gegenüber dem Militär untergraben, und sorgte an-schließend dafür, daß seine Vorwürfe an die Presse durchsicker-

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ten. Mit diesem Verhalten verletzte er zwei Grundregeln der israe-lischen Politik: Er diskutierte in der Öffentlichkeit über Verteidi-gungsfragen und trug parteiinterne Querelen nicht ausschließlichhinter verschlossenen Türen aus. Auf Anraten Levi Eschkols wur-de daraufhin ein Ausschuß auf Kabinettsebene gebildet, der Vor-schläge erarbeiten sollte, wie mit Lavons Anschuldigungen weiterzu verfahren sei. Doch statt die Verfahrensfrage zu regeln, sprachder Ausschuß Lavon von dem Vorwurf frei, er habe die geschei-terte Operation in Ägypten gebilligt.Ben Gurion warf dem Ausschuß Kompetenzüberschreitung vor,trat zum zweiten Male zurück und verlangte die Bildung einerneuen Regierung - ein vergeblicher Versuch, die Entscheidungrückgängig zu machen. Aber auch viele Gegner Ben Gurions, ins-besondere Levi Eschkol und Pinhas Sapir, nahmen es Lavon übel,daß er gegen die politischen Spielregeln verstoßen hatte, undsorgten dafür, daß er seinen Posten bei der Histadrut verlor. DenFührern der Mapai-Partei war in erster Linie daran gelegen, dieleidige Affäre vom Tisch zu bekommen, bevor die israelischenBürger, der ständigen Erörterung von Staatsgeheimnissen müde,zu der Überzeugung gelangten, daß die Mapai-Partei unfähig sei,das Land zu regieren. Doch Ben Gurion blieb stur. Mit dem Argu-ment, daß eine Seite gelogen habe, pochte er auf eine gerichtli-che Untersuchung. In der Öffentlichkeit kam er in den Ruf eineshalsstarrigen alten Mannes, der die Angelegenheit partout nichtauf sich beruhen lassen wollte. Der Skandal schadete seinem An-sehen und hatte zur Folge, daß sein autoritärer Führungsstil stär-ker als je zuvor ins Schußfeld der Kritik geriet. Golda Meir, Esch-kol und Sapir gingen als unbestrittene Sieger aus der Affärehervor und waren, gestärkt durch ihre gestiegene Popularität,entschlossener denn je, Ben Gurion daran zu hindern, sie zugun-sten von Dayan und Peres zu übergehen. Dayan und Peres ge-hörten mit Ben Gurion zum Lager der Verlierer: Dayan brachte esnie zum Ministerpräsidenten, und Peres mußte sich zwanzig Jahregedulden.In den Jahren 1962 und 1963 erregte ein zweiter Skandal die Öf-fentlichkeit: Berichten zufolge hatte Ägypten mit Unterstützungdeutscher Wissenschaftler moderne Raketen entwickelt, die an-

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geblich in der Lage waren, Ziele in Israel zu erreichen. GoldaMeir und ihre: Anhänger verurteilten das ägyptisch-westdeutscheProjekt aufs schärfste und warnten vor der Gefahr einer solchenKoalition für Israels Sicherheit. Ben Gurion stufte die Bedrohung,die von dem Flirt der Ägypter mit westdeutschen Wissenschaft-lern ausging, weit geringer ein und wies in öffentlichen Erklärun-gen darauf hin, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht un-erheblich zur Sicherheit Israels beigetragen habe. Was dieÖffentlichkeit freilich nicht wußte: In geheimen Verhandlungenmit Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte Ben Gurion erst kurzzuvor die Lieferung modernen Kriegsgeräts vereinbart, darunterHandfeuerwaffen, Hubschrauber und Ersatzteile. Seiner Meinungnach war das ein »anderes Deutschland«, das mit dem Deutsch-land der Hitlerzeit nicht zu vergleichen war und im Gegensatz zuFrankreich und den Vereinigten Staaten weit mehr Bereitschaftzeigte, Israel mit Waffen zu beliefern. Doch Ben Gurions Argu-mente gingen in den hysterischen Reaktionen der Presse auf dasdeutsche Engagement in Ägypten unter. Da war von deutschen»Todesstrahlen«, gar von einer neuen »Endlösung« die Rede - aus-nahmslos Übertreibungen, wie sich später herausstellen sollte.Ben Gurion schlug eine Welle der Kritik entgegen, und mit sei-nem Bild eines »anderen Deutschlands« erntete er Hohn undSpott. Seine Kollegen in der Mapai-Partei - allen voran GoldaMeir, die wie viele Israelis mit den Deutschen nichts zu tun habenwollte - schlössen sich den Angriffen gegen ihn an.3

Die Kontroverse um Lavon und Westdeutschland bewog Ben Gu-rion wohl endgültig, dem politischen Leben zu entsagen und inseinen Kibbuz in der Negev-Wüste zurückzukehren. Nach denlangen Jahren als Regierungschef müde und ohne politische Per-spektive, freute sich der alte Mann darauf, seine Memoiren zuschreiben und die Geschichte Israels und des Zionismus aus sei-ner Sicht darzustellen. Die israelische Öffentlichkeit, von skanda-lösen Berichten über Lavon und Deutschland übersättigt, konntenicht ahnen, daß es noch einen weiteren Grund für Ben GurionsRücktritt gab: sein Zerwürfnis mit Kennedy in der Frage einer ato-maren Bewaffnung Israels.

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Levi Eschkol, der neue Ministerpräsident, stammte wie Ben Gu-rion aus Osteuropa (er wurde 1895 geboren), war schon in jun-gen Jahren nach Palästina ausgewandert und Anhänger des Zio-nismus geworden. Doch damit waren die Gemeinsamkeiten auchschon weitgehend erschöpft. Als Mensch und als Politiker warEschkol weitaus demokratischer eingestellt. Mit ihm zog wiederKompromißbereitschaft - für Ben Gurion ein Fremdwort - in dieRegierung und in die Führung der Mapai-Partei ein. Kaum imAmt, schränkte er die staatliche Kontrolle über die Presse ein undsetzte einen unabhängigen Programmrat ein, der die Überwa-chung und Zensur der staatlichen Sendeanstalten lockern sollte -all dies Reformen, denen sich Ben Gurion erbittert widersetzt hat-te. Vor allen Dingen aber hatte Eschkol in den vergangenen elfJahren als Finanzminister fast ununterbrochen gegen die Finan-zierung von Dimona gekämpft. Im Gegensatz zu Ben Gurionkonnte er sich nur schwer mit dem Gedanken anfreunden, daßIsrael Hunderte von Millionen Dollars in ein Atomprojekt pump-te, während bei viel wichtigeren Dingen Mittel gestrichen wur-den, etwa für eine bessere Bewaffnung und Ausbildung von Heerund Luftwaffe.Kennedy lagen Geheimdienstberichte vor, daß Israel sein Atom-projekt während seiner Präsidentschaft nicht etwa gedrosselt,sondern weiter ausgebaut hatte. Er verschwendete keine Zeitund verstärkte den Druck auf die neue Regierung. Schon kurznach Eschkols Amtsantritt gingen in Israel geheime Botschaftendes Präsidenten ein, in denen er seine Forderung nach einer in-ternationalen Inspektion in Dimona erneuerte. Die Ratifizierungdes begrenzten Atomteststoppabkommens durch den Senat imFrühjahr 1963 - das Abkommen sah ein Verbot von Atomversu-chen in der Atmosphäre, unter Wasser und im Weltraum vor4 -hatte in Amerika ein positives Echo gefunden und Kennedy inseiner positiven Haltung zur Rüstungskontrolle bestärkt. Da einePolitik der atomaren Abrüstung mit dauerhafter politischer Un-terstützung rechnen konnte, hatte er die jüdische Lobby wenigerzu fürchten. Die israelische Rakete Jericho I war ein weitererGrund für den anhaltenden Druck des Weißen Hauses auf Esch-kol. Nach Ansicht amerikanischer Experten war das Steuersy-

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stem der Jericho äußerst unzuverlässig und ungenau. Die Analy-tiker zogen daraus den Schluß, daß für diese Rakete logischer-weise nur ein einziger Typ von Gefechtsköpfen in Frage kam:atomare!

Kennedy ging bei seinem permanenten Druck auf Israel von derAnnahme aus, daß Israel noch keine Atomwaffen entwickelt ha-be, also noch nicht zum Kreis der Atommächte gehöre. Einigesspricht dafür, daß der Präsident durchaus bereit war, sich pragma-tisch mit den Tatsachen abzufinden, falls Israel - wie zuvor schonFrankreich - tatsächlich mit der Produktion von Atomwaffen be-ginnen sollte, 'wahrend er eine atomare Bewaffnung Israels biszuletzt strikt ablehnte, änderte er seine Meinung über de GaullesAtomwaffen. Daniel Ellsberg, der später die Pentagon-Papiereüber den Vietnamkrieg an die Öffentlichkeit brachte, war 1903 alsMitarbeiter im Büro für Internationale Strategische Angelegenhei-ten des Pentagon auf höherer Ebene mit Fragen der atomaren Rü-stung befaßt. Er erinnerte sich, daß er eines Morgens ein Papiermit dem Vermerk »Top-secret, Keine Kopien« zu Gesicht bekam.Es handelte sich um eine Memorandum Bundys an den Präsiden-ten, in dem ein neuer politischer Kurs gegenüber den Franzosenumrissen wurde: »Trotz allem«, hieß es nach Ellsbergs Erinnerungin Bundys Memorandum, »sollten wir mit den Franzosen koope-rieren und ihnen für unterirdische Atomversuche unsere Testge-lände in Nevada zur Verfügung stellen.« De Gaulle hatte zu die-sem Zeitpunkt den Beitritt zum Atomtestmoratorium abgelehntund angekündigt, daß Frankreich seine Bomben auch künftig inder Atmosphäre testen werde.5 Kennedy verfolgte offensichtlichdas Ziel, die Franzosen zur Einhaltung des Moratoriums zu bewe-gen, auch ohne daß sie es offiziell unterzeichneten. Bundys Me-morandum grub sich tief in Ellsbergs Gedächtnis ein: Es datiertevom 22. November 1963. An diesem Tag wurde im texanischenDallas Präsident Kennedy ermordet.Kennedys Nachfolger, Lyndon B. Johnson, war wie viele Vize-präsidenten vom Präsidenten und seinen rührenden Mitarbeiternüber sensible Fragen der nationalen Sicherheit im unklaren gelas-sen worden. »Johnson tobte, als er von der CIA informiert wurde«,

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erinnerte sich ein ehemaliger hoher Beamter des amerikanischenNachrichtendienstes. »Er war über das Problem in keiner Weiseunterrichtet und verwünschte Kennedy, weil er ihn übergangenhatte.«6

Johnson hatte schon vor seiner Präsidentschaft enge Kontakte zuIsrael unterhalten. Zwei seiner engsten Berater, die Anwälte AbeFortas (der später an den Obersten Gerichtshof berufen wurde)und Edwin L. Weisl sen., waren zwar nicht besonders religiöse Ju-den, doch sehr um die Sicherheit Israels besorgt. Seit der Zeit Tru-mans kannte Johnson auch Abe Feinberg und dessen Qualitätenals Spendenbeschaffer; Feinberg hatte 1948 an der Finanzierungvon Johnsons Wahlkampf mitgewirkt und ihm zu seinem Sitz imSenat verholfen.Doch daneben gab es viel engere Bande, die nichts mit Spen-denbeschaffung zu tun hatten: Johnson hatte nach dem ZweitenWeltkrieg auf einer Informationsreise von Kongreßmitgliederndas Konzentrationslager Dachau besucht. Seine Frau, Lady Bird,erzählte Jahre nach Johnsons Tod einem texanischen Historiker,ihr Mann sei nach seiner Rückkehr »ganz erschüttert« gewesen,»voller Abscheu und ungläubigem Entsetzen über das, was ergesehen hatte. Von etwas zu hören ist eine Sache, es mit eige-nen Augen zu sehen eine andere.« Es gibt keine Fotos von demBesuch, doch Johnsons Kongreßarchive enthalten eine ganzeFotoserie, die Soldaten der US-Army zwei Tage nach der Befrei-ung des Vernichtungslagers am 30. April 1945 aufgenommen ha-ben.Johnsons Mitgefühl für die verfolgten europäischen Juden er-wachte bereits vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, als er, da-mals noch ein junger Abgeordneter im Repräsentantenhaus, vonjüdischen Anhängern seines Wahlbezirks gedrängt wurde, denBürokraten in Washington Beine zu machen und dafür zu sorgen,daß Flüchtlingen aus Deutschland, deren Leben bedroht war, inAmerika Asyl gewährt wurde. Waren die Flüchtlinge erst einmalim Land, setzte Johnson alle Hebel in Bewegung, um ihnen Auf-enthaltsgenehmigungen zu besorgen. Aus seinen Kongreßaktengeht hervor, daß sich unter den Personen, deren Abschiebung erverhindert hatte, auch der berühmte Dirigent Erich Leinsdorf be-

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fand. Leinsdorf hatte 1938 bei seinem Konzert in der New YorkerMetropolitan-Oper ein begeisterndes Amerika-Debüt gefeiert,sollte aber gegen Ende des Jahres, nach Ablauf seines nur sechsMonate gültigen Visums, abgeschoben werden. Nach dem An-schluß Österreichs an Nazi-Deutschland war eine Deportationnach Wien gleichbedeutend mit dem Tod in einem Konzentra-tionslager. Johnson gewann die Hochachtung und finanzielle Un-terstützung der texanischen Juden, weil er sich für Leinsdorf undandere Flüchtlinge einsetzte und Wege fand, die gesetzlichen Be-stimmungen zu umgehen.7

Präsident Johnson hielt seinen alten Freunden die Treue. FünfWochen nach seiner Amtsübernahme weihte er in Austin dieneue Synagoge Agudas Achim ein. Damit tat er seinem langjähri-gen texanischen Mitstreiter und Zionistenführer James Novy ei-nen Gefallen - Novy war Mitglied im Baukomitee der Synagoge.Johnson war der erste amerikanische Präsident, der so etwas tat,und doch nahmen nur wenige Zeitungen von diesem EreignisNotiz. Bei seiner Rede sah Novy, vormals Vorsitzender der ameri-kanischen Zionistenorganisation im Südwesten, den Präsidentenan und sagte: »Wir können ihm nicht genug dafür danken, daß erwährend der Hitlerzeit so viele Juden aus Deutschland herausge-holt hat.« Lady Bird Johnson erklärte später: »Juden haben in alldiesen Jahren für ihn eine wichtige Rolle gespielt.«

Schon bald war Lyndon B. Johnson tief in den Vietnamkrieg ver-strickt, den er als Kampf eines kleinen demokratischen Landesgegen die Kräfte des Kommunismus verstand. Doch auch Israelwar für ihn eine Demokratie, die der Belagerung durch die So-wjetunion und ihre Vasallen in der arabischen Welt standhielt.Die starken emotionalen Bande Johnsons zu Israel und seineÜberzeugung, daß sowjetische Waffen das Kräfteverhältnis imNahen Osten aus dem Gleichgewicht brachten, veranlaßten ihndazu, als erster amerikanischer Präsident Israel mit Offensivwaf-fen zu unterstützen und sich öffentlich zur Verteidigung des Lan-des zu bekennen. Da er gleichzeitig aber unbeirrt den Vietnam-krieg fortführte, spaltete sich die jüdische Gemeinde in Amerikain zwei Lager. Während viele namhafte Juden die Meinung vertra-

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ten, Johnson habe durch sein unerschüttliches Eintreten für IsraelAnspruch auf Loyalität in der Vietnamfrage, hielten andere an ih-rer grundsätzlichen Ablehnung des Krieges fest.In den ersten Jahren seiner Präsidentschaft setzte Johnson aller-dings Kennedys Politik fort und drängte die Israelis, in Dimonaeine Inspektion der Internationalen Atomenergieorganisation(IAEA) zuzulassen. Sein Eintreten gegen die Proliferation undsein Wunsch, den Kalten Krieg zu beenden, wurzelten in demGlauben, daß er nur durch internationale Entspannung seinhöchstes Ziel erreichen könne — die Fortsetzung des New Dealfür alle Amerikaner. Eine atomare Bewaffnung Israels konntenicht hingenommen werden. Die Folgen wären unabsehbar: eineatomare Bewaffnung Ägyptens, ein stärkeres Engagement der So-wjets im Nahen Osten, und vielleicht sogar Krieg.

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Die Samson-Option

Levi Eschkol wollte einen Mittelweg finden zwischen der Positiondes Weißen Hauses, das auf internationaler Kontrolle beharrte,und der proatomaren Splittergruppe der Mapai-Partei unter Füh-rung David Ben Gurions, der nach seinem Ausscheiden aus demAmt hartnäckig auf einem israelischen Atomarsenal beharrte, alswolle er ein letztes Mal politisch Flagge zeigen.Das Dilemma des Premierministers war nicht, ob Israel eineAtommacht werden sollte, sondern wann und um welchen Preis,denn gleichzeitig bestand ein enormer Geldbedarf für die Ausrü-stung und Ausbildung der konventionellen Einheiten von Armee,Marine und Luftwaffe.Die Debatte über die atomare Option war lange vor EschkolsAmtsantritt in einer bewußt harmlosen Sprache in den Zeitungendes Landes aufgetaucht. Mitte 1962 zum Beispiel nahmen ShimonPeres und der frühere Stabschef der Armee und damalige Land-wirtschaftsminister Ben Gurions, Moshe Dayan, die Beerdigungeines prominenten militärischen Führers der Zionisten zum An-laß, um ihre Gesinnungsgenossen darauf hinzuweisen, daß Isra-els Existenz mit den »technologischen Errungenschaften der sieb-ziger Jahre« und mit Investitionen in die »militärische Ausrüstungder Zukunft« zusammenhing. Im April 1963 drängte Dayan in ei-nem Artikel der Zeitung Maariv die israelische Rüstungsindustrie,mit den Anstrengungen des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, Atomwaffen zu bauen, Schritt zu halten. »Im Zeitaltervon Raketen mit konventionellen und atomaren Sprengköpfen«,schrieb Dayan, »müssen wir diese Waffen mit großer Sorgfalt ent-wickeln, damit wir nicht hinterherhinken.«Fünf Monate nach seinem Ausscheiden aus dem Amt wurde BenGurion in einem Interview mit dem Kolumnisten C. L. Sulzber-

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ger von der New York Times noch deutlicher. Sulzberger fragteBen Gurion nach seiner Besorgnis über Bau und Stationierungvon Raketen in Ägypten und fügte hinzu: »Deshalb gibt er [BenGurion] grimmig zu verstehen, daß Israel in seinem nahe gele-genen Reaktor bei Dimona vielleicht selbst mit Kernspaltung zumilitärischen Zwecken experimentiert.« Auf Kernenergie könnenicht verzichtet werden, soll Ben Gurion gesagt haben, »weilNasser nicht aufgeben wird. Und er wird solange keinen Kriegriskieren, bis er überzeugt ist, daß er gewinnen kann. Das be-deutet Atomwaffen - und er hat eine große Wüste, wo er sietesten kann. Wir können hier keine Tests durchführen.« Sulz-bergers Kolumne erschien am Sonnabend, dem 16. November1963. Sie gelangte rasch in die Hände Ben Gurions, denn nocham selben Tag schrieb er einen Brief an den Herausgeber derNew York Times, in dem er dementierte, daß er bei dem Inter-view mit Sulzberger Atomwaffen überhaupt erwähnt habe.Unter dem Druck der Präsidenten Kennedy und Johnson bemühtesich die Regierung Eschkol um strikte Geheimhaltung, und des-halb hatte sie auch keine Skrupel, mit der Wahrheit großzügig zuverfahren. Im Dezember 1963 erklärte Shimon Yiftach, Direktor fürwissenschaftliche Programme des Verteidigungsministeriums, öf-fentlich vor einer Gruppe wissenschaftlicher Autoren aus Israel, indem Reaktor bei Dimoma werde, wie bereits vermutet, als Neben-produkt Plutonium hergestellt. Yiftach blieb jedoch dabei, daß dieisraelische Regierung keinerlei Pläne für den Bau einer separatenWiederaufbereitungsanlage für Plutonium habe. Yiftach war im Ar-gonne National Laboratory in Illinois ausgebildet worden. Er ge-hörte damals in Israel zu den führenden Experten auf dem Gebietder Plutoniumproduktion, und er wußte, daß französische Baufir-men wieder mit der Arbeit an der unterirdischen Wiederaufberei-tungsanlage in Dimona begonnen hatten.Eschkols Bedenken, Israel könne sich auf die Massenproduktionvon Atomwaffen festlegen, konnte den steten Fortschritt in Dimo-na nicht aufhalten. Mitte 1964 war der Reaktor schon seit fastzwei Jahren in Betrieb, und die Wiederaufbereitungsanlage mitihren ferngelenkten Laboratorien und computergesteuerten Ma-schinen war soweit fertiggestellt, daß sie mit der Produktion von

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waffenfähigem Plutonium aus den verbrauchten Uranbrennstä-ben des Reaktors beginnen konnte. Israel verfügte jedoch überweitere kerntechnische Anlagen: eine Waffenfabrik in Haifa undeinen gutgesicherten Munitionsbunker auf dem Bombersrütz-punkt Tel Nof bei Rehovot. Sicherheit ist in einem Reaktor ober-stes Gebot, und das gilt besonders für Dimona. Der Reaktor wirdständig von israelischen Truppen, elektronischen Überwachungs-geräten und Radarschirmen, die mit einer Raketenbatterie gekop-pelt sind, bewacht. Kein Flugzeug - auch nicht die Maschinen derisraelischen Luftwaffe - darf die Anlage überfliegen - und wenn,dann geht es ein extremes Risiko ein.1

Aus gutinformierten Kreisen in Israel verlautete, daß die Physikerund Techniker von Dimona Mitte der sechziger Jahre in einer un-terirdischen Höhle nahe der israelisch-ägyptischen Grenze in derNegev-Wüste mindestens einen erfolgreichen Atomtest mit gerin-ger Sprengkraft durchgeführt haben. Solche Explosionen erzeu-gen eine zwar geringe, aber doch meßbare Spaltausbeute undgelten als zuverlässiges Kriterium für die Qualität der gesamtenWaffenproduktion.2 Der Test soll angeblich ganze Bergrücken imSinai erschüttert haben.Anfang 1965 wurde mit der Fertigstellung der unterirdischen Wie-deraufbereitungsanlage das letzte Hindernis für Israels atomareZiele beseitigt. Jetzt wurde auch die anhaltende Debatte in derRegierung zu diesem Thema heftiger. Nach der Fertigstellung derWiederaufbereitungsanlage war es noch wichtiger geworden, daßFloyd Culler bei seinen jährlichen Besuchen in Dimona weiter-hin nichts entdeckte. Aus diesem Grund bemühten sich Binya-min Blumberg und seine Kollegen im Büro für besondere Aufga-ben ständig, die Sache noch besser zu vertuschen. (Während derAmtszeit Kennedys wurde eine internationale Überwachungdurch die IAEA zwar in Erwägung gezogen, aber letztlich zurück-gewiesen.) Mitte der sechziger Jahre entwickelten die Managervon Dimona eine neue Methode, ihre unterirdische Welt zu tar-nen. Ein paar Wochen vor Cullers Ankunft wurden Angehörigeder 269. Spezialeinheit der israelischen Armee, der geheimen Eli-tetruppe des Landes, nach Dimona beordert. Laut Aussage einesAngehörigen der Eliteeinheit sollten sie »acht Lastwagenladungen

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Gras« mitbringen. »Es waren Grassoden - alles zur Tarnung«, fügteer hinzu. »Zehn Tage lang mußten wir die Wege und Bunker mitErde, Grassoden und Büschen abdecken. Als die Delegation kam,sprengte ich gerade den Rasen. Er sah aus, als werde er schonjahrelang gepflegt.« Die Szene sei ihm noch so lebhaft in Erinne-rung, erklärte der ehemalige Beamte, weil er nie zuvor Grassodengesehen habe.3

Es gibt keinerlei Beweise dafür, daß die amerikanischen Nach-richtendienste und Präsident Johnson eine Ahnung davon hatten,wie nahe Israel daran war, in den atomaren Klub einzuziehen.Die zugänglichen Dokumente zeigen, daß sich die Mitarbeiterdes Präsidenten einredeten, alle quälenden Fragen in bezug aufDimona und die Proliferation von Kernwaffen durch Israel könn-ten ausgeräumt werden, wenn man weiterhin auf die Kontrolledurch die IAEA setzte.4 Im Juni 1964 wurde Eschkol zu einemStaatsbesuch in die USA eingeladen - es war der erste Besucheines israelischen Premierministers in Washington. FreigegebeneDokumente des Präsidenten in der LBJ-Bibliothek der UniversitätTexas beweisen, daß man im Weißen Haus der Ansicht war, mankönne Eschkol überreden, Dimona für die Internationale Atom-energie-Behörde zu öffnen, wenn man ihm die Lieferung ameri-kanischer Waffen zusicherte. Die Mitarbeiter des Präsidentenagierten bei Dimona im verborgenen: Sie waren überzeugt, daßIsrael die technischen Möglichkeiten hatte, eine Bombe zu bauenund eine Rakete damit zu bestücken, aber anscheinend wußteniemand, ob die Israelis auch die ernste Absicht hatten, dies zutun. Offenbar glaubte man im Weißen Haus, es gäbe zwei Artenvon Kernspaltung, und eine davon diene ausschließlich friedli-chen Zwecken.McGeorge Bundy, der nationale Sicherheitsberater, hatte sich seitAnfang 1961 mit dem israelischen Waffenproblem beschäftigt.Dokumenten des Weißen Hauses zufolge behauptete er in einemMemorandum an Johnson, in dem die potentielle Gefahr für Isra-el durch ägyptische Raketensysteme zusammengefaßt war, ihmlägen keinerlei Informationen über Israels Pläne zu Kernwaffenvor. Am 18. Mai, zwei Wochen vor Eschkols Besuch, erklärteBundy dem Präsidenten, beide Seiten seien in der Lage, Raketen

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zu bauen, aber »im Unterschied zur UAR [Vereinigten ArabischenRepublik] können die Israelis ihre Raketen mit atomaren Spreng-köpfen bestücken. Die entscheidende Frage ist, ob Israel nach ei-nem nuklearen Potential strebt.« Es ist nahezu ausgeschlossen,daß Bundy und seine Kollegen nicht wußten, was Israel mit ei-nem geheimen Kernreaktor im Negev vorhatte.Eschkol wollte amerikanische M-48-Panzer kaufen und war hoch-erfreut, als Johnson sich vor dem Gipfeltreffen mit ihm bereit er-klärte, mit dem Ansehen seines Amtes auf die BundesrepublikDeutschland einzuwirken, damit die Deutschen Israel M-48-Pan-zer aus ihren NATO-Beständen verkauften. Ein solcher Kauf wäreaus Eschkols Sicht, wenn auch auf Umwegen, ein erster Schrittgewesen, an Offensivwaffen zu kommen. Mittelfristig solltendann auch Waffen aus den USA folgen. Außerdem hatten sichJohnsons Mitarbeiter abgesichert, falls Eschkol einer internationa-len Überprüfung nicht zustimmte, wie es wohl viele erwartet hat-ten: Sie forderten von Israel, daß die arabischen Länder über dieErgebnisse der jährlichen Inspektionen durch Floyd Culler unter-richtet werden durften.Eschkol kam mit der Absicht nach Amerika, bei amerikanischenWaffenlieferungen und anderen Hilfsleistungen soviel wie mög-lich herauszuschlagen, ohne in bezug auf Dimona Zugeständnis-se zu machen, was ihm auch gar nicht möglich gewesen wäre.Vor seiner Ankunft in den USA hatte er gegenüber dem WeißenHaus erklärt, er werde die Inspektionen in Dimona weiterhin zu-lassen, aber mit der Internationalen Atomenergie-Behörde wolleer nichts zu tun haben. Israel vertrat, wie andere angeblich nichtnuklear gerüstete Nationen, den Standpunkt, es dürfe nicht ge-zwungen werden, seine nationalen Forschungseinrichtungen un-ter die Aufsicht der IAEA zu stellen, solange nicht alle Atommäch-te dies tun mußten. China und Frankreich hatten das Abkommennicht unterzeichnet. Darüber hinaus gab es noch einen zweiten,gleichfalls an den Haaren herbeigezogenen Einwand: Es wurdebehauptet, die IAEA habe, ebenso wie die Vereinten Nationen,Israel gegenüber den arabischen Ländern systematisch benachtei-ligt. Vielleicht glaubten in Israel tatsächlich einige an eine derarti-ge Diskriminierung, aber das hatte nichts mit der ablehnenden

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Haltung gegenüber der IAEA zu tun. Auch die Weitergabe vonErgebnissen der Inspektionen in Dimona an die Araber lehnteEschkol kategorisch ab.Der Stab des Weißen Hauses mußte sich auch zum Verhältnis zuden arabischen Staaten und zur IAEA auf zähe Verhandlungen ge-faßt machen. Zu Eschkols Delegation gehörte auch Shimon Peres.Er lehnte eine internationale Überwachung strikt ab und wolltegegenüber der arabischen Welt nichts über Dimona verlauten las-sen. Trotzdem äußerte Robert Komer, ein Mitarbeiter des Nationa-len Sicherheitsrats, vor dem Gipfeltreffen in seinem Memoran-dum an Johnson die Ansicht, es werde dem Präsidenten gelingen,Eschkols Meinung in beiden Fragen zu ändern. »Wir hoffen, daßSie Eschkol persönlich sagen, sie [die Israelis] müßten jetzt in densauren Apfel beißen«, erklärte er und meinte damit die Überprü-fung durch die IAEA. »Ohne in irgendeiner Weise zu unterstellen,Israel wolle eine Atommacht werden, muß man doch zugeben,daß ein in Betrieb befindlicher Reaktor plus ein noch zu entwik-kelndes Trägersystem unausweichlich zu dem Schluß führen, daßIsrael zumindest die Voraussetzungen schafft, Atomwaffen zubauen. Das könnte negative Auswirkungen auf die amerikanisch-israelischen Beziehungen haben, und je früher wir versuchen, derEntwicklung Einhalt zu gebieten, desto bessere Chancen habenwir. Wenn Sie jetzt Wirbel machen ... wird Israel, falls es keinenErfolg haben sollte, zumindest gewarnt sein, daß wir wieder dar-auf zurückkommen werden.«Bezüglich der Weitergabe von Informationen über Dimona an dieAraber schrieb Komer: »Wir sind der festen Überzeugung, daß Is-raels offensichtlicher Wunsch, die Araber im unklaren zu lassen,sehr gefährlich ist. Nur den Anschein zu erwecken, man wolleAtomwaffen bauen, ohne es wirklich zu tun, bringt Ärger. Nasserkönnte dadurch zu einem törichten Präventivschlag verleitet wer-den.«Komer war jahrelang bei der CIA, ehe er Bundys Stab im Natio-nalen Sicherheitsrat beitrat. Er machte sich damals kaum Illusio-nen darüber, was in Dimona vor sich ging. Er erinnerte sich leb-haft daran, wie er mit seinem Boß John McCone über dasisraelische Atombombenprojekt diskutierte: »Wir wußten, daß das

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Programm fortgesetzt wurde. Sie sagten niemals, daß sie damitaufhören würden.«Ihm mußte klar sein, daß die Vorschläge, die er dem Präsidentenunterbreitet hatte, weder von den Israelis akzeptiert werden wür-den, noch als Verhandlungsbasis dienen konnten. »Wirbel« zu ma-chen, um Israel zu »warnen«, bedeutete nicht, den Bau der Bom-be zu stoppen.

Eine freigegebene Zusammenfassung des Gesprächs vom 1. Junizwischen Johnson und Eschkol beweist, daß Johnson dem Ratseines Mitarbeiters tatsächlich peinlich genau folgte, als sei aucher der Meinung, Washington könne Israel den Aufbau einesAtomarsenals ausreden. Johnson erklärte Eschkol nachdrücklich,daß eine internationale Aufsicht über Dimona die Araber beruhi-gen und den Rüstungswettlauf im Nahen Osten bremsen werde.»Der Präsident wies darauf hin, daß die Araber israelische Rake-ten [als potentielle Trägersysteme; A. d. Ü.] zwangsläufig zu Isra-els atomarem Potential rechnen werden«, heißt es in dem offiziel-len Memorandum. »Deshalb glauben wir, daß die Kontrolle durchdie IAEA im Interesse Israels liegt. Wir möchten den Premiermi-nister daran erinnern, daß wir entschieden gegen die Proliferationvon Atomwaffen sind.«Außerdem erinnerte der Präsident Eschkol daran, daß die Sowjet-union im Nahen Osten eine immer größere Rolle spiele und daßein Einlenken Israels bei Dimona allein ein gutes Stück weiterhel-fen könne, die Sowjets aus der Region herauszuhalten. Am Tagnach der Begegnung mit Eschkol faßte Komer das Ergebnis desGesprächs noch einmal für den Präsidenten zusammen: »Peres er-klärte gestern, Israel sei nicht so sehr wegen der derzeitigen Ra-keten der UAR beunruhigt, sondern darüber, daß die SowjetsNasser bessere Waffen liefern könnten. Das ist auch unser Argu-ment - wenn Nasser glaubt, Israel bekomme bessere Raketen, alser sie besitzt, und er wegen Dimona beunruhigt ist, wird erzwangsläufig den sowjetischen Preis bezahlen, um Raketen zubekommen. Deshalb bitten Sie Eschkol eindringlich um seine Zu-stimmung zur Kontrolle von Dimona durch die IAEA. Dadurchwürde Nassers Bereitschaft verringert, auf Waffenhilfe aus derUdSSR zurückzugreifen. Eschkol entgegnete: Warum den Feindberuhigen?' Dieses Argument ist kurzsichtig.«»Alles in allem«, fügte Körner hinzu, »verstehen wir, weshalb Isra-

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el, das unter Beschüß steht, mehr Angst vor seiner Zukunft hat alsWashington. Aber Israel kann auf uns zählen. Als Gegenleistungerwarten wir nur, daß Israel unsere arabischen Interessen und un-ser gemeinsames Ziel anerkennt, den sowjetischen Einfluß im Na-hen Osten möglichst gering zu halten.«Natürlich war Israel bereit, zum Schein mitzuspielen, um weitereamerikanische Waffen zu bekommen. Aber es würde sich zur Si-cherung seiner Zukunft nie auf Amerika »verlassen«. Körners Be-merkung bezog sich auf die entscheidende Botschaft des Gipfel-treffens vom I.Juni. Sie enthielt jene Zusagen, die John F. KennedyGolda Meir bereits zwei Jahre zuvor insgeheim gemacht hatte: DieVereinigten Staaten wollten Israel kontinuierlich Waffen liefern, so-lange es keine Atomwaffen baute. Dieser Vorschlag, der in keinemder freigegebenen Dokumente der Johnson Library zu finden war,prägte das Gipfeltreffen vom l. Juni. Bald darauf erfuhren DavidBen Gurion und Ernst David Bergmann von dem Angebot aus demWeißen Haus. Einem ehemaligen israelischen Beamten zufolge be-trachteten beide jede derartige Verpflichtung der Regierung Esch-kol »als Gefährdung der Sicherheit Israels«.

Johnsons Bitten nach Überwachung durch die IAEA und Weiter-gabe von Informationen an die Araber führten zu nichts, aberseine Zusage, Israel weiter mit Waffen zu beliefern, war ein ent-scheidender Faktor bei der strategisch wichtigen Frage, die sichdie Israelis im Herbst 1964 stellten: Wann sollte mit der Massen-produktion für ein Atomarsenal begonnen werden? Offensicht-lich war Eschkol alles andere als ein Pazifist. Er hatte zum Bei-spiel keine Skrupel, Israels laufende Programme für chemischeund biologische Waffen fortzuführen. »Heute mag er einem alsgemäßigt erscheinen, aber er war - wie alle unsere Führer vondamals - ein nüchtern denkender Scheißkerl«, erinnerte sich einfrüherer Mitarbeiter stolz. »Dieser Mann gehörte einer Generationan, die den Holocaust miterlebt hatte. Die Kommunisten in Ruß-land, die Araber - alle wollten die Juden vernichten.«

Eschkols Bedenken zu Dimona waren praktischer Natur: Der Re-aktor kostete pro Jahr über 500 Millionen Dollar, das waren mehrals zehn Prozent des israelischen Militärhaushalts. Dieses Geld

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fehlte in anderen Bereichen, fügte der frühere Mitarbeiter hinzu.»Eschkol erklärte: -Ich habe kein Geld dafür. Wie viele Kinderwerden keine Schuhe haben? Wie viele Studenten werden nichtdie Universität besuchen können? Dabei droht uns gar keine Ge-fahr. Keiner unserer Nachbarn hat Atomwaffen. Warum solltenwir welche bauen?-«Eschkols Bedenken wurden im Herbst 1964 und Frühling 1965 inder Midrasha, einem Schlupfwinkel des Mossad außerhalb TelAvivs auf höchster Ebene erörtert. Dort fanden geheime Konfe-renzen über die Bombe statt, an denen hohe Funktionäre derführenden politischen Parteien Israels sowie zahlreiche Verteidi-gungsexperten teilnahmen. »Die Frage war nicht, ob Atomwaffengebaut werden sollten oder nicht, sondern wann«, erinnerte sichein Teilnehmer.

Befürworter Dimonas hatten die meisten Regierungsmitgliederdavon überzeugt, daß nur Atomwaffen das absolute und endgül-tige Abschreckungsmittel gegenüber der arabischen Bedrohungdarstellten und daß die Araber — denen durch die rasch wachsen-de Wirtschafts- und Militärhilfe der Sowjets der Rücken gestärktwurde - nur mit Hilfe von Atomwaffen dazu gebracht werdenkönnten, alle Pläne für eine militärische Eroberung Israels fallen-zulassen und einem Friedensvertrag zuzustimmen. Mit einemAtomarsenal gäbe es in der Geschichte Israels kein Masada mehr.In der Festung Masada waren von den Römern 73 n. Chr. neun-hundertsechzig Juden, sogenannte Zeloten, eingeschlossen wor-den. Sie zogen es vor, Selbstmord zu begehen, anstatt sich denBelagerern zu ergeben.An die Stelle von Masada, erklärten die Befürworter von Atom-waffen, trete die Samson-Option. In der Bibel wird berichtet,Samson sei nach blutigem Kampf von den Philistern gefangenge-nommen worden. Sie stachen ihm die Augen aus und stellten ihnin Dagons Tempel in Gaza öffentlich zur Schau. Samson bat Gott,ihm ein letztes Mal Kraft zu geben, und rief: »Ich will sterben mit

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den Philistern!« Er schob die Säulen des Tempels beiseite, dasDach stürzte ein und begrub ihn und seine Feinde unter sich. FürIsraels Kernwaffenbefiirworter war Samsons Entscheidung Aus-druck ihrer eigenen Haltung. Sie sagten eingedenk der Massakeran ihrem Volk: »Nie wieder.«5

Das Hauptargument gegen das Atomarsenal ging über dessen Aus-wirkung auf die Kampfbereitschaft der Soldaten hinaus: Jene Jahrewaren geprägt von enormem Wirtschaftswachstum und ungeheu-rer Expansion in Israel, aber nach Ansicht vieler Industriemanagerschluckte Dimoma immer noch viel zu viele qualifizierte Arbeits-kräfte. Ihre ständigen Beschwerden bei Regierungsbeamten führ-ten allerdings zu nichts. Dimona beeinträchtigte auch weiterhin dieWirtschaft und hemmte die Entwicklung. Ende der sechziger Jahregab es in Israel beispielsweise keine private Computerindustrie,obwohl amerikanische Geheimdienste Israel schon seit Jahren -neben Japan und den Vereinigten Staaten - zu den führenden Her-stellern von Computer-Software gerechnet hatten.Die langfristigen sozialen und militärischen Kosten Dimonas be-reiteten Itzhak Rabin, dem neuen Stabschef der Armee, und YigalAllon, einem engen Berater Eschkols und ehemaligen Befehlsha-ber der Partisanentruppe Palmach vor dem Unabhängigkeitskriegvon 1948, sicher am meisten Sorge. Weniger zwingend war fürdie Militärs das moralische Argument gegen die Bombe, das voneinigen Mitgliedern der Linken und in der akademischen Weltvorgebracht wurde: Das jüdische Volk, Opfer des Holocaust,müsse unbedingt verhindern, daß der Konflikt zwischen Arabernund Israelis zu einem Massenvernichtungskrieg eskaliere. Ob-wohl sie keineswegs die Gefahr eines konventionellen Rüstungs-wettlaufs unterschätzten, schlössen sie sich der Ansicht ihres lei-denschaftlichen Sprechers Simha Flapan an: »Die qualitativenVorteile Israels - sozialer Zusammenhalt und Organisation, Bil-dung und technisches Können, Intelligenz und moralischer An-sporn -«, schrieb Flapan, »können nur in einem konventionellenKrieg eingesetzt werden.«Die arabische und die israelische Presse heizten die Debatte an,indem sie regelmäßig übertriebene Berichte über Massenver-nichtungswaffen der Gegenseite veröffentlichten. In Israel gab es

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alarmierende Berichte über sowjetische und chinesische Unter-stützung für eine ägyptische Atombombe. Ägypten wiederumließ öffentlich verlauten, die Sowjets hätten sich bereit erklärt, imFalle eines israelischen Angriffs Ägypten mit Atomwaffen zu Hilfezu kommen. In einem Interview erklärte Präsident Gamal Abd elNasser, ein »Präventivkrieg« sei die »einzige Antwort« auf ein mitAtomwaffen gerüstetes Israel. Es war eine Zeit, schrieb Simha Fla-pan später, in der Israel und Ägypten »in einem Teufelskreis derSpannungen und Verdächtigungen gefangen waren und alles ta-ten, aus ihrem Horrorszenario eine sich selbst erfüllende Prophe-zeiung zu machen«.Die Männer an der Spitze kannten den Unterschied zwischen öf-fentlichen Verlautbarungen und vertraulich behandelter Realität.Vor der Midrasha-Konferenz beispielsweise bereitete BinyaminBlumberg eine Analyse vor, nach der die arabische Welt nochfünfundzwanzig Jahre - also bis 1990 - nicht in der Lage seinwürde, komplizierte Atomwaffen zu entwickeln. Das Papier warwichtig für Eschkol, der, wie er bei der Konferenz erklärte, dreiZiele hatte: eine funktionstüchtige Bombe als Basis; die nukleareOption, mit fertigen, aber noch nicht zusammengebauten Waf-fenteilen; und eine fortgesetzte Forschung. »Er sagte«, erinnertesich ein Israeli, »Wir haben es nicht eilig. Die Araber werdennoch fünfundzwanzig Jahre brauchen.'« Eschkol wollte lediglichdie Forschung weiterführen und die zusätzliche Zeit dazu nut-zen, um »eine Stufe zu überspringen«. Konkret heißt das, er woll-te die simplen Plutoniumwaffen gar nicht erst bauen, die dieVereinigten Staaten auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfenhatten, sondern sofort komplexere Sprengköpfe entwickeln. Ne-ben der Frage des Geldes gab es noch einen zweiten zwingen-den Grund, die Arbeit in Dimona vorübergehend auf die For-schung zu beschränken: Israel verfügte bislang noch nicht überlangstreckentaugliche Bomber oder Raketen, die eine Bombe zuZielen in der Sowjetunion hätten befördern können; die Sowjet-union war immer das primäre Ziel israelischer Atomwaffen.Nach Ansicht der israelischen Führung würde kein arabischesLand es wagen, ohne sowjetische Unterstützung gegen IsraelKrieg zu führen.

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Levi Eschkol baute die Entscheidung von Midrasha zu einem stra-tegischen Konzept aus: Er teilte Washington mit, er werde dieEntscheidung über ein nukleares Arsenal aufschieben, falls dieVereinigten Staaten sich zur Lieferung von Offensivwaffen ver-pflichten würden. Bedingung war, daß die Waffen dem Gerätqualitativ gleichwertig sein mußten, das von der Sowjetunion anÄgypten geliefert wurde. Johnson genügte das völlig. Mit jedemJahr verlor er mehr das Interesse daran, mit Israel der Bombe we-gen einen politischen Krieg zu führen. Der Präsident belohnteEschkols Versprechen: 1966 veranlaßte er den Verkauf von acht-undvierzig taktischen Kampfflugzeugen vom Typ A-4E Skyhawkan Israel; dieser Bombertyp hatte eine Nutzlast von vier Tonnen.Daß Johnson im Hinblick auf die atomare Frage keine weiterenForderungen an Israel richtete, wurde durch den eindeutigen Be-weis eines erneuten wirtschaftlichen und militärischen Engage-ments der Sowjets im Nahen Osten erleichtert: Moskau förderteden arabischen Sozialismus und die arabische Einheit. Für John-son bedeutete das, daß der Kalte Krieg auf die arabische Weltübergriff und Israel als Vorposten der USA diente.Eschkols Entscheidung, die nukleare Frage auf Eis zu legen, pro-vozierte Ben Gurion; außerdem grollte er noch immer darüber,wie die Mapai-Partei mit der Lavon-Affäre umging. Schließlichverglich Ben Gurion Eschkol öffentlich mit dem britischen Pre-mierminister Neville Chamberlain und unterstellte ihm, er betrei-be eine Appeasement-Politik analog zu dessen Politik gegenüberHitler. Im Juni 1965 erklärte er mit finsterer Miene, Eschkol »ge-fährde die Sicherheit des Landes«. Er trat demonstrativ aus derMapai-Partei aus und gründete die Rafi-Partei (ein Akronym fürdie israelische Arbeiterliste). Zu ihm gesellten sich ein zögernder,aber loyaler Peres, der Führer der Rafi-Partei wurde, und der rast-lose Dayan, der erst kürzlich als Landwirtschaftsminister zurück-getreten war. Ben Gurion hoffte, die Rafi-Partei könne wenigstensfünfundzwanzig Sitze in der aus 120 Mitgliedern bestehendenKnesset erringen und sich zu einer grauen Eminenz der israeli-schen Politik entwickeln.Ben Gurion und seine Anhänger veränderten die politische Struk-tur Israels unwiderruflich. Die Rafi wurde jetzt Oppositionspartei

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und übernahm die Rolle, die traditionsgemäß den rechtsgerichte-ten Gruppen zukam. Ben Gurions wichtigstes Motiv für denBruch mit der Führung der Mapai-Partei war seine anhaltendeVerärgerung über Lavon, aber die Rafi-Partei unter Peres' Führungnahm in Verteidigungsfragen, und vor allem in bezug auf Atom-waffen, eine aggressivere Haltung ein. Ernst Bergmann gehörteebenfalls zu den Gründungsmitgliedern der Rafi, und wiederdiente er Ben Gurion als Gewährsmann: »Ben Gurion berief sichständig auf Bergmann«, erinnerte sich ein Israeli im Hinblick aufdie Gefahren, die ein Aufschub der Produktion eines nuklearenArsenals mit sich brachte. Die Wahlen von 1965 wurden von die-sem Thema dominiert, obwohl die Fakten verschlüsselt darge-stellt wurden. In israelischen Zeitungen wimmelte es von Kritikenan Peres und Ben Gurion. »Das heikle Thema« oder »das Klageliedfür Generationen« waren in aller Munde. Die Führer der Rafi kri-tisierten auch ständig den »großen Fehler« (ihr geläufiger Euphe-mismus) Eschkols. Gemeint war, daß Eschkol zögerte, in DimonaKernwaffen in großen Stückzahlen herzustellen. Amerikanischeund andere Zeitungen berichteten darüber nicht. Offensichtlichbegriffen die ausländischen Korrespondenten in Israel ebensowe-nig, was de facto auf dem Spiel stand,6 wie der amerikanischeNachrichtendienst.Es war eine schmutzige Wahl, mit Beleidigungen und Anschuldi-gungen von allen Seiten. Ein prominenter Anwalt mit engen Ver-bindungen zu Golda Meir bezeichnete Ben Gurion öffentlich als»Feigling« und die Rafi als »neofaschistische Gruppe«. Viele Israelisbegriffen - was kein Außenstehender konnte -, daß es bei derDebatte nicht nur um die Verteidigungspolitik oder die Bombeging, sondern auch um Ben Gurions feste Überzeugung, daß Is-rael nur überleben konnte, wenn es auf den Staat als Institutionsetzte - und nicht auf das traditionelle Freiwilligkeitsprinzip derZionisten. Nach Ben Gurions Ansicht mußten die Kibbuzim, dieMapai-Partei und die Hagannah des Krieges von 1948 - alles Frei-willige, die an ihre Sache glaubten - minder individualistischenEinrichtungen wie der allgemeinen Wehrpflicht, der öffentlichenBildung und der Beförderung aufgrund von Kompetenz und Lei-stung weichen, und die Bedeutung der Parteizugehörigkeit ver-

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ringert werden. Viele Aspekte dieser Debatte paßten - zumindestnach Meinung seiner Kritiker - zu Ben Gurions beharrlichem Ein-treten für ein nukleares Arsenal. Für einige seiner Gegner bei derWahl von 1965 war Dimona nichts weiter als eine Ansammlungvon kompetenten Wissenschaftlern und Bürokraten mit unklarenideologischen Standpunkten, die ohne jede öffentliche Kontrolleund Billigung eine höchst wirkungsvolle Waffe gebaut hatten.Viele betrachteten die Wahl als vielleicht letzten verzweifeltenKampf zwischen einem Israel, das auf Wissenschaft und Empiriebaute, und einem Israel, das weiterhin auf die Einsatzbereitschaftengagierter Freiwilliger setzte.Ben Gurion und seine Rafi-Partei mußten bei der Wahl eineschwere Niederlage hinnehmen. Sie gewannen nur sechs Sitze inder Knesset, nicht genug, um Ben Gurion eine Machtbasis zuschaffen. Die Wahlen waren ein brutaler Volksentscheid über sei-nen Traum von der Rückkehr an die Macht und bedeuteten dasEnde seiner Karriere im politischen Leben Israels.7

Levi Eschkol betrachtete die Wahlen als Referendum für seine Po-sition zur nuklearen Frage. Dimona blieb ein Reserveunterneh-men. Anscheinend hatte das Land die effiziente, -selbstbewußte«Methode Ben Gurions, Dayans und Peres' zugunsten der sozial-demokratischen und der auf dem Freiwilligkeitsprinzip beruhen-den Ziele des Meir-Eschkol-Flügels der Mapai abgelehnt. Für BenGurion und seine Anhänger war das ein schwerer Schlag.Im Frühjahr 1966 resignierte Ernst David Bergmann: Er trat ge-zwungenermaßen von seinem Posten als Vorsitzender der israeli-schen Atomenergiekommission, die längst keine Mitglieder mehrhatte, und von seinen beiden hohen Posten im Bereich der Ver-teidigung zurück. Im Kabinett Eschkol hielten viele seinen Rück-tritt für längst überfällig. Eschkol handelte rasch, um BergmannsGeschäftsbereich besser unter Kontrolle zu bekommen: Die büro-kratische Verantwortung für die AEC ging vom Verteidigungsmi-nisterium auf den persönlichen Stab des Premierministers über,und Eschkol selbst wurde Vorsitzender einer erweiterten und neustrukturierten Kommission. Entscheidungen über die Zukunft vonKernwaffen in Israel wurden jetzt von der höchsten politischenAutorität getroffen. Der schmollende Bergmann zog sich mit Hilfe

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von Lewis Strauss an das Institute of Advanced Studies derPrinceton University zurück. Zuvor aber gab er der populären is-raelischen Zeitung Maariv ein Interview. Der Bericht der NewYork Times über dieses Interview ist ein klassisches Beispiel fürdie doppelzüngigen Aussagen und das widersprüchliche Denkenin Israel und in der amerikanischen Presse zur atomaren Frage.»Der Wissenschaftler Bergmann erklärte, die Regierung Eschkolhabe weniger Verständnis für eine langfristige wissenschaftlichePlanung als der frühere Premier David Ben Gurion, mit dem Pro-fessor Bergmann in engem Kontakt stand. Er sprach von den feh-lenden Mitteln für die Forschung und von dem Risiko der Abhän-gigkeit von ausländischen Geldgebern.«Trotzdem rückte in Israel die nukleare Frage, auch wenn sie als»langfristige wissenschaftliche Planung« dargestellt wurde, in denMittelpunkt des öffentlichen Interesses. In den Vereinigten Staa-ten wurde damals die Außenpolitik vom Vietnamkrieg dominiert.Israels nukleare Option blieb deshalb ein Thema für Insider inder Regierung, die den Mantel des Stillschweigens darüber brei-teten.

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11Das Spiel wird fortgesetzt

Die Ambivalenz und Scheinheiligkeit an der Spitze der amerika-nischen Regierung im Hinblick auf ein mit Atomwaffen bestück-tes Israel spiegelten sich zwangsläufig in der Bürokratie wider.Mitte der sechziger Jahre waren die Dinge geregelt: PräsidentJohnson und seine Berater gaben vor, die amerikanischen Über-prüfungen hätten den Beweis erbracht, daß Israel keine Bombebaute; damit blieb der Schein gewahrt, daß die USA uneinge-schränkt gegen die Proliferation von Atomwaffen wären.Die Männer und Frauen, die für ihre Vorgesetzten Informationenauswerteten und Berichte schrieben, wußten - wie bereits ArthurLundahl und Dino Brugioni -, daß es wenig einbrachte, Informa-tionen weiterzuleiten, die die Männer an der Spitze nicht hörenwollten. Trotzdem waren die Informationen da.Zum Beispiel wußte man eine Menge über Israels Jericho-Rake-ten, die von Dassault rasch montiert wurden. »Wir hatten einendirekten Draht zu Gott«, erinnerte sich ein CIA-Analytiker dermittleren Ebene. »Wir hatten alles - nicht nur von den Franzosen,sondern auch von den Israelis. Einiges stahlen wir, aber wir hat-ten auch unsere Spione. Ich konnte von der Rakete ein maßstabs-getreues Modell zeichnen. Ich entwarf sogar drei verschiedeneSprengköpfe dafür - einen nuklearen, einen chemischen und ei-nen hochexplosiven - nur so zum Spaß. Wir prognostizierten,wozu sie imstande waren.« Laut Aussage des ehemaligen CIA-Be-amten war Israel in der Lage, einen nuklearen Sprengkopf gezieltzu plazieren und zu zünden. Das Problem war die Informations-übermittlung. »Ich konnte nie etwas offiziell durch die CIA publikmachen«, um es in der Regierung zu verbreiten. »Jeder wußte Be-scheid« über die israelische Rakete, fügte er hinzu, »aber keinersprach darüber.« Der CIA-Beamte riskierte seinen Job und ließ ho-

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hen Beamten im Pentagon und im State Department eine Kopiedes Berichts zukommen. -Ich erinnere mich, daß ich einen Admi-ral des DIA [Militärischer Nachrichtendienst] informierte. Er wolltees nicht glauben. Ich konnte ihn überzeugen, aber dann wurde erpensioniert, und niemand kümmerte sich mehr darum.«Sogar James Jesus Angleton, der Leiter der Spionageabwehr beider CIA, der auch für die Verbindung zu Israel verantwortlichwar, hatte Probleme, wenn es um die israelische Bombe ging.Der launenhafte Angleton war bekannt - und gefürchtet -, weiler fanatisch auf Verschwiegenheit beharrte und die Wahnvorstel-lung einer sowjetischen Infiltration der CIA kultivierte. Er war einMeister im Abfassen verschlüsselter und »vertraulicher« Berichte.Sein zunehmender Realitätsverlust machte 1974 seine Entlassungunumgänglich. Seine eklatanten Fehler in der Spionageabwehrbetrafen Israel jedoch offenbar nicht.1 Ehemalige CIA-Beamte, diebei früheren Interviews mit mir schonungslos Kritik an Angletonsseltsamen Methoden bei der Spionageabwehr geübt hatten, muß-ten zugeben, daß er sich im Falle Israels korrekt und geschicktverhalten hatte. Angleton hatte nach dem Zweiten Weltkrieg engmit Mitgliedern des jüdischen Widerstands in Italien zusammen-gearbeitet. Damals war er beim Büro für strategische Angelegen-heiten (OSS). Es war eine aufregende Zeit. Tausende von jüdi-schen Flüchtlingen und Überlebenden der Konzentrationslagerwurden illegal von Europa nach Palästina in das britische Man-datsgebiet geschleust.Einer der engsten Mitarbeiter Angletons war Meir (Mene) Desha-lit, ein Führer des Widerstands und israelischer Geheimdienstbe-amter, der 1948 nach Washington versetzt wurde. Meir Deshalitwar der ältere Bruder des Physikers Amos Deshalit, der viel zurEntwicklung des israelischen Kernwaffenarsenals beigetragenhatte. Er starb 1969 an Krebs. Angleton teilte Meir Deshalits Ein-schätzung der sowjetischen und arabischen Bedrohung Israels.Seine persönlichen Kontakte und seine starke Überzeugung prä-destinierten ihn, die Verbindung zwischen der CIA und der israe-lischen Regierung herzustellen. Das war eine außerordentlichwichtige Aufgabe angesichts des anhaltenden Flüchtlingsstromsaus der Sowjetunion und Osteuropa nach Israel in den fünfziger

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und frühen sechziger Jahren. Angleton und seine israelischenKollegen hielten die »Rattenleitungen« aufrecht, wie die Verbin-dung zu den jüdischen Flüchtlingen genannt wurde. Nach An-sicht vieler CIA-Mitarbeiter erhielt der Westen durch die jüdischenFlüchtlingsunternehmen in den frühen Nachkriegsjahren wichtigeAufschlüsse über den Ostblock. Einige Flüchtlingsprogrammewurden als Teil der Operation KK MOUNTAIN aus einem Sonder-fonds der CIA finanziert.Angletons Liebe zu Israel und seine Ansichten über die arabischeund sowjetische Frage hielten ihn jedoch nicht davon ab, als Lei-ter der Spionageabwehr jeden israelischen oder amerikanischenJuden zu überprüfen, den er im Verdacht hatte, Geschäfte mit ge-heimen Informationen zu machen. Einige betrafen die Kerntech-nologie. Die CIA wußte durch Analysen des radioaktiven Nieder-schlags nach französischen Atomtests in der Sahara, daß die inzunehmendem Maße modernisierten und verkleinerten französi-schen Sprengköpfe auf amerikanischen Konzeptionen basierten.Ein ehemaliger amerikanischer Geheimdienstler, der für Kernwaf-fen zuständig war, erinnerte sich, daß er und seine Kollegen»wahnsinnig wurden« bei dem Gedanken, daß Israel den Franzo-sen als Gegenleistung für ihre Hilfe in Dimona Zugang zu gehei-men Konstruktionsplänen verschaffte, die aus den Laboratorienin Los Alamos und Livermore in Kalifornien entwendet wordenwaren.Es gab zwar keinen Beweis für eine derartige Verbindung, aller-dings wunderten sich Untersuchungsbeamte des Nachrichten-dienstes nicht schlecht, als sie am Ende der CHAOS-Ermittlungein Versteck mit persönlichen Akten Angletons entdeckten. DieAktendeckel waren mit schwarzem Band zusammengebundenund enthielten eine offensichtlich langfristige - und äußerst be-denkliche - Studie über amerikanische Juden in der Regierung.Die Dokumente bewiesen, daß Angleton eine Liste über die Po-sitionen und die jüdische Herkunft hoher Beamter bei der CIAund anderswo angefertigt hatte, die Zugang zu geheimen Infor-mationen hatten. Es waren ausnahmslos Informationen, die fürIsrael von Nutzen sein konnten. Wer einen heiklen Posten beklei-dete und sich im Privatleben sehr für jüdische Angelegenheiten

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interessierte oder vielleicht Angehörige hatte, die Zionisten wa-ren, stand ganz oben auf der Liste.Ein Ermittlungsbeamter der Regierung, der sich 1991 bei einemInterview zu den Angleton-Akten äußerte, erinnerte sich, daß so-gar der Besuch einer Synagoge als verdächtig gegolten hatte. DieFeststellung hatte ihn sehr überrascht. »Mir fiel der erste Zusatzar-tikel der Verfassung ein«, fügte der Ermittlungsbeamte sarkastischhinzu. »Religionsfreiheit.« Nach Angletons Liste mußte ein Ver-dächtiger, der auf der Skala der jüdischen Abstammung weit obenstand, komplett vor Ort überprüft werden. »Handelte es sich da-bei nur um eine Überprüfung der Herkunft, oder gar um eine un-mittelbare oder elektronische Überwachung«, fragte er rhetorisch.»Ich weiß es nicht. Ich war verärgert, aber gleichzeitig hielt ich esfür vernünftig, weil viele Juden Israel unterstützten.« Letztendlichwurden die Angleton-Akten nicht weiter ausgewertet, und auchdie Ausschüsse von Senat und Repräsentantenhaus für die Nach-richtendienste wurden nicht unterrichtet. »Wir beschlossen, nichtszu tun.«Samuel Halpern, ein Jude, der jahrelang stellvertretender Direktorfür geheime Dienste der CIA war, wurde von Angleton ständigüberprüft. In seiner Position - die höchste, die je ein Jude beimGeheimdienst innehatte - hatte er Zugang zu den Namen und fa-miliären Verhältnissen aller Ausländer, die jemals von der CIA an-geworben wurden. Sein Vater Hanoch war polnischer Staatsbür-ger und vor dem Zweiten Weltkrieg aktiver Zionist. Er emigriertenach Palästina und arbeitete nach der Gründung des Staates Isra-el im Jahr 1948 unter anderem eng mit Ben Gurion und MosheSharett zusammen. -Jim sah mich scharf an«, erinnerte sich Hal-pern und lachte, -aber ich sagte zu ihm: -Ich werde dir nicht dei-nen Schreibtisch besudeln.« Die Israelis sind nie an mich herange-treten. Warum sollten sie auch, wo ich doch im dritten Stock (derCIA) sitze und Jim im zweiten.«Aber Angleton sammelte nicht nur Informationen über amerika-nische Juden. Durch das CHAOS-Programm war er auch Sponsoreiner streng geheimen CIA-Operation: Die CIA kaufte in Wa-shington eine Firma für Abfallbeseitigung. Die Firma, die bei derCIA als Holdinggesellschaft bekannt war, hatte sich vertraglich

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verpflichtet, in verschiedenen Botschaften der Dritten Welt, dar-unter auch in der israelischen Botschaft, Müll abzuholen. Zu ih-ren Kunden zählte auch die einflußreiche jüdische OrganisationB'nai Brith, die weltweit aktiv war und im Geschäftsviertel vonWashington ihre Büros hatte. Der Inhalt der Container wurde sy-stematisch sortiert und nach Informationen durchsucht.

Angleton hatte enge persönliche Kontakte zur Familie Deshalitund zu anderen Israelis. Deshalb mußte er von der Baustelle inder Negev-Wüste erfahren. Ein hoher Beamter erinnerte sich,daß Angletons erster Geheimdienstbericht über Israels Bomben-pläne Ende der fünfziger Jahre routinemäßig zu den Akten ge-legt wurde und somit für all diejenigen zugänglich war, die in-nerhalb der Planungszentrale für geheime Operationen der CIABescheid wissen mußten. »Ich habe keine Ahnung, wer seine In-formanten waren«, erklärte der Beamte. »Vermutlich erzählte eres auch dem Direktor nicht.« In den folgenden Jahren lieferteAngleton weitere Berichte über Dimona, die ebenfalls auf Infor-mationen seiner Kontaktleute basierten, aber er erfuhr nie -oder zumindest berichtete er nicht darüber -, in welchem Um-fang Israel Washington bei der fortschreitenden Entwicklung sei-ner Atomwaffen täuschte.Natürlich war Angleton Ende der fünfziger und Anfang der sech-ziger Jahre von Lundahl oder Brugioni regelmäßig über die Er-gebnisse der U-2-Flüge über dem Negev unterrichtet worden,aber er hatte nie viel Interesse gezeigt. Seine Stärke war die Nach-richtenbeschaffung durch Agenten oder HUMINT, wie sie beimNachrichtendienst heißt, und nicht die technische Nachrichtenbe-schaffung, wie die Bilder der U-2. »Er war ein wirklich komischerTyp«, erinnerte sich Brugioni. »Ich traf mich mit ihm und infor-mierte ihn; er stellte ein paar Fragen, und dann ging ich wieder -man wußte nie, was er dachte. Manchmal war es in seinem Büroganz dunkel, nur auf sein Gegenüber war ein Lichtstrahl gerich-tet. Er war ein richtiger Kauz.«Angletons Berichte über Dimona, die durch die U-2-Daten ge-stützt wurden, führten nicht einmal zu einem offiziellen Lagebe-richt der CIA, daß Israel Kernwaffen herstellte. Für solche for-

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mellen Beurteilungen, die an den Präsidenten und andere wich-tige Regierungsbeamte verteilt werden, waren Analytiker im Bü-ro für Nationale Beurteilungen (ONE) zuständig. »Jim sagte im-mer: Ja, sie haben sie«, und die Analytiker sagten: >Das glaubeich nicht'«, erinnerte sich ein ehemaliger Geheimdienstbeamter.Die Analytiker wollten einfach nicht glauben, daß Angletons In-formanten zuverlässig waren; Spannungen und Mutmaßungenim Hinblick auf Informanten waren bei der CIA an der Tages-ordnung. Im Jahr 1965 wurde nach Angaben des Geheimdienst-beamten ein umfassendes Dossier mit HUMINT-Berichten überDimona angelegt, und wieder wurde die nukleare Frage mit denONE-Analytikern diskutiert. »Sie vertraten mir gegenüber die An-sicht, daß die Israelis, selbst wenn sie die Bombe hätten, sienicht einsetzen würden.«Bei der Rekapitulation des Interviews ärgerte sich der Geheim-dienstbeamte noch im nachhinein über die Analytiker: »Sie warenso dumm. Man mußte ihnen die Bombe erst unter die Nase hal-ten, ehe sie es glaubten. Sie verstanden die Israelis nicht; sie wuß-ten nicht, was sie dachten. Ja, sie waren sehr dumm.«Es ist nicht bekannt, wie viele Analysen über die israelische Bom-be zu Beginn der sechziger Jahre vom Büro für Nationale Beur-teilungen erstellt wurden. Ein offizielles Memorandum über Isra-els Haltung war jedoch von frappierender Absurdität. Das Papiermit dem Titel -Die Konsequenzen eines israelischen Atompoten-tials« stammte vom 6. März 1963. Fast zwanzig Jahre später mach-te die John F. Kennedy Library das Papier ohne Streichungen derÖffentlichkeit zugänglich. Die Verfasser kamen zu dem Schluß,daß Israel, wenn es erst einmal ein Atompotential besaß, »alle ihmzur Verfügung stehenden Mittel ausschöpfen würde, die Vereinig-ten Staaten dazu zu bewegen, den Besitz von Atomwaffen zu dul-den und sogar zu unterstützen ... Israel könnte den Standpunktvertreten, daß es durch den Besitz von Atomwaffen auch dasRecht habe, an allen internationalen Verhandlungen über ato-mare Fragen und Abrüstung teilzunehmen.« Der entscheidendeDenkfehler der CIA-Analyse war die Annahme, Israel werde seineatomare Schlagkraft publik machen. In Wirklichkeit war es genauumgekehrt: Israel hatte nicht die Absicht, das geringste über die

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Bombe verlauten zu lassen, aus Angst, das Mißfallen der Juden inAmerika und auf der ganzen Welt könne die internationale Verur-teilung und den Rückgang der Finanzhilfe aus der Diaspora zurFolge haben.

Realitätsfremde Analysen wie diese trugen dazu bei, daß die Män-ner an der Spitze offiziell nicht wußten, was keiner wissen wollte.In der Öffentlichkeit war auch die Johnson-Administration striktgegen die Weitergabe von Atomwaffen. Die offizielle Bestätigungeiner israelischen Bombe hätte Washington in ein unerwünschtesDilemma gestürzt: Entweder belegten die USA das Vorgehen Isra-els mit Sanktionen, oder sie mußten sich den Vorwurf der dop-pelten Moral gefallen lassen.Als China am 18. Oktober 1964 seine erste Atombombe zündete,galt Israel noch nicht als Atommacht. Drei Wochen vor seinemüberwältigenden Wahlsieg über den republikanischen Präsident-schaftskandidaten Senator Barry Goldwater aus Arizona bekräf-tigte Präsident Johnson in einer landesweit ausgestrahlten Redeim Fernsehen nochmals seine Haltung zur Proliferation. »Bis zudieser Woche waren nur vier Mächte [die USA, die UdSSR, Groß-britannien und Frankreich] in die gefährliche Sphäre der Kernex-plosionen vorgedrungen. Trotz aller Unterschiede sind alle vierStaaten stabil und seriös und haben eine lange Erfahrung alsGroßmächte in der modernen Welt. Das kommunistische Chinaverfügt über keine derartige Erfahrung ... [Seine] kostspieligenund anstrengenden Bemühungen verleiten andere Staaten zuähnlichen Torheiten«, erklärte der Präsident. »Die Weitergabe vonAtomwaffen stellt für die gesamte Menschheit eine Gefahr dar ...[Wir] müssen weiter dagegen vorgehen, und wir werden es auchtun.«2

Der Präsident war vielleicht von seinen pathetischen Wortenüberzeugt, nicht jedoch alle seine Berater. Sechs Wochen späterbesprachen McGeorge Bundy, Robert McNamara und Außenmi-nister Dean Rusk auf einer geheimen Konferenz zur Proliferationdie Vorgehensweise der Regierung. Glenn T. Seaborg, der Vorsit-zende der Atomenergiekommission, gehörte zu denen, die sicheher zurückhaltend äußerten. In seinen wenig beachteten Me-

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moiren mit dem Titel Stemming the Tide aus dem Jahr 1987 be-richtete er über die Sitzung:»Rusk erklärte, er halte es für eine grundlegende Frage, ob wirtatsächlich eine Politik der Nonproliferation machen sollten, nachder kein Land außer den fünf Großmächten Atomwaffen besitzendürfte. Waren wir uns darüber im klaren, daß dies ein Hauptzielder US-Politik sein sollte? Wollten wir beispielsweise nicht, daßIndien oder Japan einer chinesischen Bedrohung mit Kernwaffenbegegnen könnten? Rusk erwähnte die Möglichkeit einer nukle-aren Staatengruppe in Asien, erklärte aber gleichzeitig, daß dasim Grunde das Problem der asiatischen Länder sei und keine An-gelegenheit zwischen den nördlichen Staaten und Asien.McNamara war der Ansicht, es werde Jahrzehnte dauern, bis In-dien oder Japan ein nennenswertes Abschreckungspotential hät-ten. Trotzdem hielt er die Frage, die Rusk aufgeworfen hatte, fürüberlegenswert. Er wies darauf hin, daß eine Politik, die auf derNonproliferation basierte, die Vereinigten Staaten zwingen könn-te, die Sicherheit der Staaten zu garantieren, die auf Atomwaffenverzichteten. Ich [Seaborg] äußerte meine Bedenken hinsichtlicheiner Politik, die die Proliferation stillschweigend duldete. Hat-ten wir erst einmal Ausnahmen gemacht, würden wir die Kon-trolle verlieren, und das würde unweigerlich zu ernsten Proble-men führen ...Bundy wies auf die Notwendigkeit hin, zu unserer Diskussionüber diese grundlegende Frage Stillschweigen zu wahren, weilalle Welt annahm, die USA seien gegen die Proliferation. JederHinweis auf gegenteilige politische Ziele müßte überall auf derWelt Unruhe auslösen. McNamara stimmte mit Bundy überein,daß nichts darüber bekannt werden durfte, daß das Festhaltender USA an der Nonproliferation in Frage gestellt wurde.«3

Der CIA-Direktor John McCone trat den Gerüchten über eineAusweitung des nuklearen Klubs entgegen. Nach dem Tod JohnF. Kennedys war er zunehmend frustriert, da seine Beziehung zuLyndon B. Johnson weniger eng und sein Rat nicht immer will-kommen waren. McCone wollte das Problem mit der chinesi-schen Bombe (und die Probleme mit Nordvietnam) mit Hilfe derAir Force lösen. -McCone schlug einen Mordskrach« wegen der

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chinesischen Bombe, erinnerte sich Walt Eider. »Er wollte, daßU-2-Flugzeuge das Testgelände fotografierten, aber sein Antragwurde abgelehnt.« Der CIA-Direktor ließ sich jedoch nicht ent-mutigen und machte einen anderen Vorschlag: »Könnten wir daschinesische Potential nicht einfach zerstören?« Daniel Ellsberg er-innerte sich an ähnliche Gespräche auf hoher Ebene im Penta-gon. »Wir meinten, daß wir durch Verhinderung des Baus derrussischen Bombe der Welt eine Menge Ärger erspart hätten. Esist zu dumm, daß die Sowjets die Bombe haben.« Es wurde er-wogen, die Chinesen mit nicht gekennzeichneten Bombern an-zugreifen, um die Identifizierung unmöglich zu machen. Die Be-sonneneren setzten sich durch, berichtete Ellsberg. »Die Aktionwar zu groß, als daß man sie hätte glaubwürdig ableugnen kön-nen.«Im Jahr 1965 trat McCone als CIA-Direktor zurück, obwohl erJohnsons Politik der Eskalation in Vietnam unterstützte. »Wennich den Präsidenten nicht dazu bewegen kann, meine Berichte zulesen, dann wird es Zeit zu gehen«, erklärte er einem Kollegen.McCone wußte, daß Floyd Cullers Inspektionen wenig Sinn hat-ten; und er begriff auch, was Israels beharrliche Weigerung, inter-nationale Kontrollen zuzulassen, bedeutete. Aber laut Eider stellteder CIA-Direktor fest, daß Johnson »die eigentliche Bedeutung-dieses Problems »nicht erkannte« und nichts davon hören wollte.Am Ende seiner Amtszeit war McCone davon überzeugt, daß Lyn-don B. Johnson als Präsident nur drei grundlegende Interessenhatte: »Sein Abschneiden bei Umfragen. >Kann ich den Kongreßüberzeugen?« Und -Wie komme ich aus Vietnam raus?«

Doch es gab ein weiteres Problem: Johnson war der Ansicht, essei taktisch klug, weiter gegen die Weitergabe von Atomwaffenanzutreten, und das allein könne eine schlechte Politik wetma-chen. Niemand mußte den Präsidenten daran erinnern, daß jederernsthafte Versuch, die Israelis wegen ihres Atomwaffenpro-gramms unter Druck zu setzen, einen Proteststurm unter amerika-nischen Juden auslösen würde. Ihre führenden Köpfe jedoch hat-ten Johnsons Politik im Vietnamkrieg ausnahmslos unterstützt.Als der Präsident ein paar Wochen nach dem chinesischen Atom-

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lest zu diesem Thema eine Sonderkommission einberief, wurdeer erneut an die Gefahren seiner Nonproliferations-Politik erin-nert. Die Kommission unter Vorsitz von Roswell L. Gilpatric (un-ter John F. Kennedy stellvertretender Verteidigungsminister) legteam 21. Januar 1965 - dem Tag nach Johnsons Amtseinführung -einen Bericht vor, der einer Verurteilung der vergangenen undgegenwärtigen Politik gleichkam.4 In dem Bericht wurde daraufhingewiesen, daß sich die Welt bei der Kontrolle der Proliferation»rasch einem Punkt nähert, von dem es kein Zurück mehr gibt«.Daher wurde der Präsident aufgefordert, »dringend Umfang undIntensität unserer Bemühungen zu erhöhen, wenn wir noch Hoff-nung auf Erfolg haben wollen«. In dem Bericht wurde außerdemdie Schaffung atomwaffenfreier Zonen in Lateinamerika, Afrikaund dem Nahen Osten, einschließlich Israels und Ägyptens, emp-fohlen. Vor allem solle der Präsident nochmals das umstritteneamerikanische Projekt zur Schaffung einer multilateralen Atom-streitmacht (MLF) überdenken. Beteiligt werden sollten die Mit-glieder der NATO. Die Erörterung dieses Konzepts war besondersheikel, weil die Sowjetunion darauf beharrte, daß im geplantenAtomwaffensperrvertrag eine separate europäische Atomstreit-macht ausgeschlossen werden sollte. Die Sowjets betrachteten ei-ne solche Streitmacht lediglich als Umweg, um den Westdeut-schen die Bombe zu verschaffen.Bei einer Besprechung mit dem Präsidenten im Weißen Hausnannten Mitglieder der Kommission eine Reihe von Schwer-punkten, darunter auch den Vorschlag, Frankreich solle seineForce de frappe in eine atomare Raketenbatterie der NATO um-wandeln. Laut Glenn Seaborg bemerkte der Präsident daraufhinsarkastisch, die Realisierung des Kommissionsberichts wäre »einhöchst vergnügliches Unterfangen«. Johnson und seine Mitarbei-ter ermahnten Gilpatric und die Mitglieder der Kommission, mitkeinem Außenstehenden über den Bericht zu sprechen oder zuerwähnen, daß dem Weißen Haus ein schriftliches Dokumentvorgelegt worden war (Gilpatrics Bericht ist auch heute nochstreng geheim). Seaborg, der an der Besprechung teilnahm,schrieb in seinen Memoiren, Rusk habe, vom Präsidenten nachseiner Meinung gefragt, den Bericht als »ebenso explosiv wie ei-

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ne Atombombe« bezeichnet. Die vorzeitige Freigabe, fügte Ruskhinzu, könne - im Hinblick auf die MLF und künftige Verhand-lungen über einen Atomwaffensperrvertrag — »die Dinge auf un-erwünschte Weise in Bewegung bringen«. Trotz der Zusage desPräsidenten, sich weiter mit Gilpatric zu beraten, zeitigte der Be-richt keine Resultate.Im Juni stützte der frischgebackene Senator Robert Kennedy sei-ne Antrittsrede im Senat auf bis dahin unbekannte und unbe-achtete Vorschläge der Gilpatric-Kommission. Aus der Sicht desWeißen Hauses war das ein politisches Desaster. Kennedy zitier-te häufig seinen toten Bruder. Er drängte den Präsidenten, sichüber die unmittelbaren Widerstände hinwegzusetzen und sichmit der Proliferation zu beschäftigen. »Vom Erfolg dieser Bemü-hungen hängt die gesamte Zukunft unserer Kinder ab. Der Ver-breitung von Atomwaffen Einhalt zu gebieten, muß ein vor-dringliches Ziel der amerikanischen Politik sein.- Kennedyforderte Johnson ganz direkt auf, unverzüglich weltweite Ver-handlungen über ein umfassendes Atomtestmoratorium einzulei-ten. Er schlug vor, das kommunistische China, einen Verbünde-ten Nordvietnams, in die Gespräche einzubeziehen. Er kritisierteJohnson wegen seiner Fixierung auf Vietnam mit den Worten:»Wir dürfen nicht zulassen, daß die Anforderungen der Tagespo-litik unsere Bemühungen behindern, die Probleme der Prolife-ration zu lösen. Wir können nicht auf den Frieden in Südost-asien warten - der erst kommen wird, wenn die Verbreitung vonAtomwaffen für immer gestoppt sein wird.«5 Johnson war natür-lich außer sich vor Wut. Er war davon überzeugt, daß GilpatricInformationen über den Bericht hatte durchsickern lassen. AlsReaktion darauf vernichtete er die Unterlagen für eine Rede überProliferation, die er am Tag nach Kennedys Rede halten wollte.Nach Aussagen Glenn Seaborgs war in den folgenden Monatenaus dem Weißen Haus nichts mehr über den Gilpatric-Bericht zuvernehmen. Die Proliferation war nur noch ein Thema fürdie Experten der Rüstungskontroll- und Abrüstungsbehörde(ACDA), deren Ratschläge - egal wie vernünftig sie waren - imWeißen Haus selten Beachtung fanden. Präsident Johnson bliebzwei Jahre lang unnachgiebig, ehe er sich in geheimen Gesprä-

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chen mit den Sowjets bereit erklärte, das MLF-Projekt fallenzu-lassen. Damit war der Weg zum Atomwaffensperrvertrag von1968 frei, und die Rüstungskontrolleure der Regierung konnteneinen entscheidenden Sieg feiern.

Mitte der sechziger Jahre hatte die Sowjetunion ihre militärischenund wirtschaftlichen Hilfsprogramme im Nahen Osten verstärkt,und das Weiße Haus betrachtete Israel zunehmend als Bollwerkder USA. Im Jahr 1967 ließ das Interesse an der leidigen Frageeiner internationalen Kontrolle des Reaktors in Dimona auf höch-ster Ebene zwangsläufig nach. In Israel trafen die A-4 Skyhawksein, die routinemäßigen Kontrollen Floyd Cullers gingen weiter,und Amerika wurde mehr und mehr in den Krieg in Südostasienverstrickt.Trotzdem gab es eindeutige Hinweise dafür, daß Israel sein Vor-haben nie aufgab, die Bombe zu bauen. Mitte 1966 schob die is-raelische Regierung die Annahme von fast 60 Millionen Dollar anmöglicher amerikanischer Finanzhilfe für den Bau einer dringendbenötigten Entsalzungsanlage für Meerwasser und eines Kraft-werks hinaus, weil die Hilfe von der israelischen Zusage abhän-gig gemacht wurde, der IAEA Zutritt zu Dimona zu gewähren.Johnson und Eschkol waren schon 1964 übereingekommen, dieAnlage zu bauen. Nachfolgende Studien zeigten, daß die Anlagetäglich 200 Megawatt Strom und 38 Millionen Liter entsalztes Was-ser produzieren konnte. Weil die Amerikaner auf der Kontrolledurch die IAEA beharrten, strichen die Israelis ohne ausdrückli-che Erklärung das Projekt. Der Bau der Entsalzungsanlage wurdefür das nächste Jahrzehnt in Betracht gezogen, aber die amerika-nischen Bedingungen wurden nicht akzeptiert, und die Anlagewurde nie gebaut. Atombefürworter in der Rafi-Partei wie Peresund Bergmann drängten Israel, die amerikanische Finanzhilfe fürdie Anlage abzulehnen; sie bezichtigten die Vereinigten Staatenöffentlich der Verletzung der israelischen Souveränität, weil siedie Gewährung der Unterstützung von der Kontrolle Dimonasdurch die IAEA abhängig machten.Peres und Bergmann hatten immer noch Einfluß, obwohl sienicht mehr im Amt waren. Sie vermuteten insgeheim, daß die Ver-

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einigten Staaten mit ihrer Unterstützung beim Bau der nuklearenEntsalzungsanlage einen bestimmten Plan verfolgten: Sie wolltenisraelische Gelder, Arbeitskräfte und Ressourcen von IsraelsAtomarsenal abziehen, weil sie hofften, Israel werde über kurzoder lang gezwungen sein, sich zwischen Kernwaffen und Kern-energie zu entscheiden.Einen zweiten Hinweis gab es im Juli 1966 in einer Debatte derKnesset über Floyd Cullers jüngste Inspektion in Dimona. Das Er-gebnis der Untersuchung - es gab immer noch keinen Anhalts-punkt für eine Bombenfabrik - hatten amerikanische Beamteauch diesmal John Finney von der New York Times und, nach An-sicht einiger Israelis, auch den Ägyptern mitgeteilt. In der Debat-te berichtete Shimon Peres von einer internationalen Konferenzüber Atomwaffen, auf der auch über den Nahen Osten gespro-chen worden war. »Ich erkannte, daß es leider keine Möglichkeitgibt, die Weitergabe von Atomwaffen in naher Zukunft zu stop-pen - nicht wegen Israel, sondern weil die Großmächte sich un-tereinander nicht einig sind ... Ich war froh, festzustellen, daßsich die meisten Experten auf diesem Gebiet eine nukleare Abrü-stung im Nahen Osten unabhängig vom konventionellen Rü-stungswettlauf nicht vorstellen können .. .«6 Peres verteidigte Isra-els Entscheidung, der IAEA Kontrollen zu verweigern, mit derBegründung, die Araber seien im konventionellen Bereich über-legen. Dasselbe Argument - die Überlegenheit des WarschauerPakts an Panzern und Truppen - hatten ein paar Jahre zuvor dieVereinigten Staaten und ihre Verbündeten vorgebracht, um dieAufstellung von Atomraketen in Europa zu rechtfertigen.Ende der sechziger Jahre wurde in den USA die Auswertung vonNachrichten aus dem nuklearen Bereich, die bisher von der CIAvorgenommen worden war, den Konstruktionsbüros und techni-schen Laboratorien für Kernwaffen in Los Alamos und Sandia, undspäter Livermore, übertragen, wo sich nach dem Zweiten Welt-krieg Einheiten des Nachrichtendienstes mit der Sowjetunion undChina befaßten. Die wachsende Gefahr der Proliferation zeigtesich in der Amtszeit Kennedys ganz deutlich. Eine Gruppe vonWissenschaftlern, die auf ihre Unbedenklichkeitsbescheinigungenwarteten, ehe sie mit ihrer Arbeit in Los Alamos beginnen konnten,

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konstruierte allein anhand von Fachliteratur eine Atombombe. Dieprimären Ziele der Laboratorien waren immer noch die Reaktorenund Forschungszentren in der Sowjetunion und in China. DerNachrichtendienst hingegen überwachte den Transfer von nukle-arer Technologie und auch jene Länder, die als »Beinahe-nukle-are-Staaten« eingestuft wurden. »Wir verfügten über unglaublicheDaten«, die Satellitenfotos und aufgefangene Meldungen weitübertrafen, erklärte ein beteiligter Beamter. »Wir hatten Leute, diein Anlagen in der UdSSR und China gearbeitet hatten. Wir warensogar in der Lage, ihre Waffensysteme nachzubauen - vom Spreng-kopf angefangen. Es gehörte zu meiner Aufgabe, festzustellen, werdie Bombe hatte und wer demnächst soweit sein würde.« NachAussagen des Beamten stand Israel immer ganz oben auf seiner Li-ste, gefolgt von Südafrika. »Wir überwachten die Beziehung zwi-schen Frankreich und Israel und zwischen Israel und Südafrika«,fügte er hinzu. »Das waren die Verbindungen.«Zu seiner Aufgabe gehörte auch die Überwachung der Lieferun-gen von Uranerz an Israel aus Ländern wie Argentinien undSüdafrika. Dieses Erz, auch Uran(IV)-uranatCVI) genannt, dienteals Rohbrennstoff für den Schwerwasserreaktor in Dimona. Mitteder sechziger Jahre war der Verkauf von Uranerz ein höchst pro-fitables Geschäft. Der Transfer von Mengen unter zehn Tonnenwurde nicht von der IAEA in Wien überwacht. Die erste offiziel-le Uranlieferung aus Südafrika traf 1963 in Israel ein; da es sichinsgesamt um zehn Tonnen handelte, wurde vorschriftsmäßigdarüber Meldung gemacht. In den folgenden Jahren trafen heim-liche Erztransporte aus Südafrika in Dimona ein, die oft vonSpezialeinheiten der israelischen Armee eskortiert wurden. Au-ßenstehende sollten nicht erfahren, daß der Reaktor mit einerzwei- bis dreimal höheren Leistung arbeitete, als öffentlich zuge-geben wurde, und viel mehr Uranerz brauchte - und deshalbauch größere Mengen Plutonium wiederaufbereiten konnte. DieNachrichtenoffiziere in Los Alamos und Sandia, die die wichtig-sten Uranminen der Welt mit Satelliten und anderen Mittelnsorgsam überwachten, erfuhren Ende der sechziger Jahre zumin-dest von einigen dieser geheimen Lieferungen aus Südafrika.Aber nach Israels überwältigendem Sieg im Sechstagekrieg von

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1967 wurden die Informationen über Dimona und sein nukle-ares Potential stark aufgesplittert. Jetzt wollte das Weiße Hausdeutlicher für Israel Partei ergreifen. Informationen waren des-halb schwerer zu beschaffen. »Wir wußten von dem Uranuranat«,erinnerte sich der Beamte, »aber wir durften keine Akte darüberführen. Es gehörte einfach nicht zu den Akten. Jedesmal, wennwir der Sache nachgehen wollten, sagte jemand von der Regie-rung: >Das ist nicht relevant.'«Die U-2-Flüge wurden zwar fortgesetzt, aber Lundahl und Bru-gioni hatten mittlerweile neue Aufgaben im Bereich der Bild-auswertung übernommen. Sie hatten nicht mehr direkt mit denisraelischen Angelegenheiten zu tun. Weit mehr Informationenwurden von Amerikas Satellitensystemen CORONA und GAMBITgesammelt, die nach einer langen Versuchsphase seit Mitte dersechziger Jahre von ihren Umlaufbahnen im Weltraum aus stän-dig Bilder mit hoher Auflösung zur Erde schickten. Das Büro fürWissenschaft und Technologie der CIA unter Leitung von CarlDuckett, dem Lundahls Nationales Bildauswertungszentrum jetztBericht erstattete, leitete jede interessante Information über Israelnach Livermore und Los Alamos weiter.Duckett hatte sein Studium abgebrochen und war 1963 von derKommandozentrale der Raketenbasis des Redstone Arsenal inAlabama zur CIA übergewechselt. Als ziviler Armee-Experte fürsowjetische Raketensysteme war er früher regelmäßig von Lun-dahl und Brugioni im Hinblick auf das U-2-Bildmaterial zu Rategezogen worden. Dabei hatte er jedoch nichts über Dimona er-fahren. Nachdem Duckett bei der CIA angefangen hatte, ändertesich das; jetzt hatte er Zugang zu Informationen über Israel. Bru-gioni erinnerte sich, daß am Anfang spätnachmittags lange Be-sprechungen stattfanden. Duckett und seine Kollegen erörtertenbei ein paar Drinks offen die Ergebnisse des Tages. Doch dashörte schließlich auf. Duckett lernte schnell. »Mitte der sechzigerJahre nahm er die Sache allein in die Hand«, erklärte Brugioni.Lundahl und Brugioni merkten bald, daß Duckett nicht mehr alleInformationen über die israelische Bombe an sie weitergab - dieU-2-Flüge waren nicht mehr so wichtig, und es gab keinenGrund, sie zu informieren. Es war das Ende einer Ära.

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Lundahl und Brugioni auszubooten, war vielleicht ein größererFehler, als Duckett und seine Kollegen im Büro für Wissenschaftund Technologie ahnten: Diese beiden waren das institutioneileGedächtnis der U-2-Aufklärung über Dimona - vor I960 war fastnichts schriftlich niedergelegt worden. »Duckett wußte kaum et-was über frühere Vorgänge«, erklärte Brugioni. »Er fragte michnie, und ich erzählte ihm nichts. Lundahl sagte immer: >Das istextrem brisant.« In späteren Jahren erfuhren sogar die meistenhochrangigen Beamten in der amerikanischen Regierung kaumetwas über die vor I960 durchgeführten U-2-Flüge über Dimona.Das Fehlen schriftlicher Dokumente bedeutete, daß nichts in denAkten stand. Das war eine der vielen Ungereimtheiten bei derAuswertung von Informationen über Dimona.

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12Der Botschafter

Walworth Barbour, der amerikanische Botschafter in Israel, galtbei den Israelis als starke Persönlichkeit - ein hochgewachsener,zurückhaltender, ungeheuer übergewichtiger Diplomat mit einemunersättlichen Appetit und einem akuten Emphysem. Ständigsprühte er sich mit einem Zerstäuber ein Medikament in denHals. Er trug gelblichweiße Anzüge und braun-weiße Schuhe undhatte einen watschelnden Gang. Barbour sprach kein Hebräisch,und am Ende seines Aufenthalts in Israel hatte er noch immer we-nig Kontakt zu den Menschen des Landes, denn er besuchte nurselten kulturelle oder gesellschaftliche Veranstaltungen. Dennochwar er seit seiner Ernennung durch John F. Kennedy im Jahr 196lbei Israels Führung beliebt; er blieb zwölf Jahre im Amt. DerJunggeselle zog sich 1973 mit seiner ebenfalls unverheiratetenSchwester auf seinen Familiensitz in Gloucester, Massachusetts,zurück, ausgestattet mit einem umfassenden Wissen über Israelsnukleares Potential.Barbours lange Amtszeit als Botschafter war kein Beweis für sei-ne außergewöhnliche Intelligenz und Kompetenz, sondern fürsein Gespür, wann die Aussagen von Israelis für bare Münze ge-nommen werden konnten und wann nicht. Außerdem war er be-reit, die amerikanische Botschaft zuweilen als Filiale des israeli-schen Außenministeriums zu betrachten. Barbour mußte seinezweifelnden Untergebenen oft daran erinnern, daß er kein Ange-stellter des Außenministeriums oder des Außenministers war,sondern ein Abgesandter des Präsidenten mit persönlichen Voll-machten in einer bedeutenden Botschaft - ein Funktionär, der zu-rücktrat, wenn es von ihm verlangt wurde, und der es zuließ, daßdas Weiße Haus und der israelische Botschafter in Washingtonhinter seinem Rücken die eigentliche Politik machten.

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Barbour war Absolvent der Universitäten Exeter und Harvard.Im Umgang mit seinen Untergebenen war er stets höflich undkorrekt. In den ersten sechs Jahren als Botschafter wurden eini-ge äußerst präzise Berichte über Dimona nach Washington ge-schickt, doch er mischte sich nur selten in die Aufgabenbereicheder Mitarbeiter in der Botschaft. Die Vor-Ort-Berichte hatten be-kanntlich keinerlei sichtbare Auswirkungen; sie verschwandeneinfach im Dickicht der Bürokratie. Barbour tat nichts, um daszu ändern, und nach dem Sechstagekrieg von 1967 befahl er sei-nem Stab - trotz des Einwands eines wichtigen Mitarbeiters -nicht weiter über Atomwaffen in Israel zu berichten. Barbourhatte damals die Aufgabe, Lyndon B. Johnson und seinen Män-nern keine Fakten zukommen zu lassen, die sie zu Maßnahmenhätten zwingen können. Er tat geflissentlich, was der Präsidentwünschte. Barbour war der beste und gleichzeitig der schlechte-ste Diplomat.Seine bedeutende Rolle in der Geschichte der amerikanisch-israe-lischen Beziehungen - und sein Wissen über Israels nuklearesPotential - wurden nicht publik, weil er stets Zurückhaltung übte.Für die amerikanischen Korrespondenten in Israel war er imGrunde ein Niemand. Im Gegensatz zu den meisten Botschafterntraf er selten mit Journalisten zusammen und gab keine Inter-views. Zwischen 1961 und 1966, in einer Zeit politischer Unruhe,in der sich die Vereinigten Staaten nach intensiven diplomati-schen Bemühungen als Israels wichtigster Waffenlieferant betätig-ten, erscheint sein Name nur sechsmal im Index der New YorkTimes. In der Botschaft - ein fünfstöckiges Gebäude nahe beimStrand von Tel Aviv - war bekannt, daß er ein zurückgezogenesLeben führte. Barbours tägliche Routine war heilig und wurdenur durch internationale Krisen oder die Besuche des Außenmi-nisters und hoher Berater des Weißen Hauses gestört. Gegenneun Uhr morgens wurde er in die Tiefgarage der Botschaftchauffiert. Von dort aus fuhr er mit dem Lift zu seinem Büro imobersten Stock, blieb dort bis Mittag, fuhr wieder mit dem Aufzugzur Tiefgarage hinunter und ging nach Hause. Wenn es das Wet-ter erlaubte, spielte er am Nachmittag ein paar Runden Golf oderschwamm in seinem Pool, und abends spielte er gelegentlich

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Bridge. Wenn Barbour Gäste einlud - was er mit den Jahren im-mer seltener tat -, waren darunter oft prominente Juden wie AbeFeinberg und Victor Rothschild aus London.1 Mit solchen Einla-dungen, erklärte Barbour einmal William Dale, der 1964 als stell-vertretender Missionschef nach Israel kam, erfülle er auf seineWeise eine direkte Anweisung Lyndon B. Johnsons. »Ich bin hierim Auftrag Johnsons. Er erklärte mir: >Es ist mir egal, was mit Isra-el passiert, aber es ist Ihre Aufgabe, mir die Juden vom Hals zuhalten.' Ich tue alles in der Absicht, dem Präsidenten die Judenvom Hals zu halten«, fügte Barbour hinzu. »Um sie bei guter Lau-ne zu halten.« Auf die Frage, warum er nicht auf Mitteilungen desState Department reagiere, erklärte er einem anderen Neuling inder Botschaft: »Ich treffe mich jedes Jahr mit dem Präsidenten inWashington und erhalte meine Anweisungen direkt von ihm —nicht von diesen Würstchen [im State Department].« Barbour hatteaußerdem krankhafte Angst davor, einen neuinstallierten Sprach-zerhacker zu benutzen, der verhindern sollte, daß Gespräche ab-gehört wurden. »Wenn sie mit einem über eine sichere Telefonlei-tung sprechen können«, erklärte er einem Mitarbeiter, »dann mußman auch tun, was sie wollen.« Wiederholt forderte er WilliamDale auf, Botschaftsberichte mit der Post zu verschicken, vor al-lem, wenn die Informationen den israelischen Interessen zuwi-derliefen, weil »Israel überall im State Department Freunde hat«und die Informationen abfängt.Die meisten unteren Angestellten der Botschaft hatten keinenKontakt zum Botschafter und bekamen ihn manchmal monate-lang nicht zu Gesicht. An den wöchentlichen Besprechungennahmen nur die leitenden Mitarbeiter seines Stabes teil. Ein per-sönlicher Mitarbeiter erinnerte sich, daß Barbour ihn 1967 - sechsJahre nach seiner Ernennung zum Botschafter - fragte, ob man inder Botschaft einen Scheck einlösen könne. »Er war noch nie imzweiten Stock gewesen«, wo sich der Kassenschalter befand. Unddoch hatten viele Untergebenen gewaltigen Respekt vor ihm. »Erwar der großartigste Mann, den ich je in der Regierung gekannthabe«, sagte John L. Hadden, der Mitte der sechziger Jahre Sta-tionschef der CIA in Tel Aviv war. »Er war ein echter Profi. Er waraus Boston - ein typischer distinguierter Amerikaner von der Ost-

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küste. Freundschaftlicher Umgang mit ihm war nicht angesagt. Erflößte Respekt ein und blieb auf Distanz.« Barbours engste Ver-traute waren nicht seine amerikanischen Landsleute, sondern ho-he Beamte der israelischen Regierung, darunter Golda Meir undGeneralmajor Aharon Yariv, von 1964 bis 1972 Chef des militäri-schen Geheimdienstes.Natürlich sprach kein hochrangiger israelischer Beamter mit ei-nem Außenstehenden über Atomwaffen, und Barbour war in die-ser Hinsicht keine Ausnahme.Doch es waren Barbours Leute, die noch vor dem Juni-Krieg 1967berichteten, daß Israel seine Rüstungsziele erreicht habe und in derLage sei, Raketensprengköpfe herzustellen. Vermutlich verfügte Is-rael auch über ein oder zwei primitive, einsatzbereite Bomben,aber - was man in der Botschaft nicht wissen konnte - Premiermi-nister Eschkol hatte noch nicht entschieden, wann mit der Massen-produktion begonnen werden sollte.

Dimona zu überwachen war nicht Aufgabe des Geheimdienstes,wie in den meisten Ländern im Ausland, sondern blieb den derBotschaft zugeteilten Attaches von US-Armee, Air Force und Ma-rine vorbehalten. Zu den Spionagetätigkeiten der CIA gehörtedie Überwachung sowjetischer Aktivitäten und die Bereitstellungvon Spezialkameras, Filmmaterial und kostenlosem Wein für je-den Agenten, der am Wochenende mit seiner Familie einen Aus-flug in die Negev-Wüste machen wollte. Die Einschränkungenvon Operationen der CIA in Israel im Jahr 1963 zielten nach An-gaben amerikanischer Beamter darauf ab, die israelische Regie-rung nicht über Gebühr in Verlegenheit zu bringen. Doch derEinfluß Israels auf die Regierung der Vereinigten Staaten mußtein Grenzen gehalten werden. »Wir halfen den Israelis« im Hin-blick auf die Versorgung mit notwendigen Informationen, erklär-te ein hoher amerikanischer Diplomat, »aber wir wußten, daß,wenn wir es nicht taten, sie sich [die Informationen] trotzdembeschafften.« Die wenigen Spionageversuche der CIA vor 1963hatten keine Ergebnisse erbracht. Das lag am Zusammenhalt derjüdischen Gesellschaft, aber auch daran, daß Israel die Aktivitä-ten der Amerikaner in Israel überwachen konnte. Sämtliche

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Kontakte der US-Botschaft zu israelischen Bürgern und Regie-rungsbeamten wurden und werden durch ein spezielles Verbin-dungsbüro des israelischen Außenministeriums überwacht. Wieverlautete, wurden amerikanische Geheimdienstbeamte und Mi-litärs, die das Verbindungssystem umgehen wollten, permanentobserviert. Weil es so schwierig war, in Israel geheime Operatio-nen durchzuführen, verfaßte der Stationschef der CIA lediglichpolitische Beurteilungen und pflegte engen Kontakt zu seinenKollegen beim Mossad und beim militärischen NachrichtendienstAman. Israel wurde weiterhin von einer Flut jüdischer Flüchtlin-ge aus der Sowjetunion und Osteuropa überschwemmt. Folglichblieb das Land prädestiniert für die Beschaffung nachrichten-dienstlicher Informationen über die Sowjetunion. Diese Aufgabeblieb jedoch James Angleton und seinen Mitarbeitern in Wa-shington vorbehalten. Für einen Neuling wie John McCone wares manchmal schwer, Ordnung zu halten.

McCone war noch immer erpicht darauf, daß die CIA bestätigte,was er bereits wußte: daß in Dimona eine unterirdische Wieder-aufbereitungsanlage existierte. Peter C. Jessup, Anfang der sech-ziger Jahre Stationschef der CIA, erinnerte sich, daß er zu Beginnvon McCones Amtszeit den Auftrag erhielt, nach Rom zu fliegen,wo der Direktor - der damals Einrichtungen der CIA in Europabesuchte - mit dem Papst zusammentreffen sollte. Da es damalsnoch keine Düsenjets gab, hatte die Reise viele Stunden gedauert,aber McCone hatte nur einen Augenblick Zeit. «Er war sehr in Ei-le«, erinnerte sich Jessup. »Er erklärte mir, Präsident Kennedy haltedie Verbreitung von Atomwaffen für das schwerwiegendste Pro-blem.« McCone wollte die Sache mit Israel endlich klären undforderte den Stationschef auf, »seinen Stab« an die Arbeit zu schik-ken. Damals, so der verwirrte Jessup, habe der »Stab' der CIA-Sta-tion nur aus zwei Mitarbeitern bestanden.Trotz aller Schwierigkeiten bemühten sich die hoch motiviertenMitarbeiter in der US-Botschaft, möglichst viel über Dimona her-auszufinden. Es war amüsant und ein bißchen gefährlich, sich zuweit vorzuwagen - ein amerikanischer Beamter wurde von Bar-bour scharf getadelt, weil ihn die Israelis in Dimona außerhalb

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der Stacheldrahtumzäunung mit einem Schmetterlingsnetz er-wischt hatten. Aber gelegentlich erhielt man auch nützliche Infor-mationen. Oberst Carmelo V. Alba war Mitte der sechziger JahreMilitärattache der Armee in Israel, und, wie die anderen Attacheswestlicher Botschaften, fuhr er oft am Wochenende mit seiner Ka-mera mit Teleobjektiv im Negev herum. »Ich machte nur Fotos«,erinnerte sich Alba. Das tat er mindestens einmal im Monat. An-schließend schickte er den Film nach Washington. Es kam keineReaktion - bis eine seiner Aufnahmen »den Beweis für Aktivitätenin Dimona« lieferte. »Aus der Kuppel stieg Rauch auf«, fügte Albahinzu. »Die CIA geriet völlig aus dem Häuschen.«Dimona war gefährlich geworden, und die Botschaft setzte dieÜberwachung fort. John Haddens Dienst als Stationschef der CIAbegann 1963- Er schickte Alba an einem Wochenende nach Beer-scheba, um die französischen Namen an den Briefkästen derWohnkomplexe zu zählen.2 Man war ständig bemüht, herauszu-finden, wer in Dimona was machte. Barbour beteiligte sich nichtan der Jagd. Als zweithöchster amerikanischer Diplomat hatteWilliam Dale große Freiheiten bei der täglichen Arbeit in der Bot-schaft, und er spornte seine Mitarbeiter an, soviel Informationenwie möglich zu sammeln. Der Wissenschaftsattache der Botschaftwar ein Physiker namens Robert T. Webber, der Dales Interessefür Dimona teilte. Webber hatte an der Universität Yale seinenDoktor in Physik gemacht. Er arbeitete eng mit John Haddenzusammen - ein eindeutiger Verstoß gegen die Verordnung desState Department, nach der Wissenschaftsattaches jede nachrich-tendienstliche Tätigkeit verboten war.3 Zudem stützte sich Web-ber auf Informationen Mel Albas und ermutigte den Oberst,gemeinsam mit seinen britischen und kanadischen Kollegen wei-teres Informationsmaterial zu sammeln.Es war eine Jagd, und irgendwann 1966 bekamen die Männer inder Botschaft eine Chance durch eine Quelle, auf die niemandzu hoffen gewagt hatte: ein amerikanischer Jude, der in Israellebte. Dale und die übrigen Mitarbeiter der Botschaft hatten -wie alle amerikanischen Diplomaten auf der Welt - ein gutesVerhältnis zu den vielen amerikanischen Bürgern, die es vorzo-gen, im Ausland zu leben. Amerikaner in Israel wurden regelmä-

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ßig zu Botschaftspartys und Picknicks und zu Vorführungenamerikanischer Filme eingeladen. Dale und seine Frau hattensich besonders mit Dr. Max Ben angefreundet, einem Pharmako-logen aus Princeton, der den Israelis half, unter der Schirmherr-schaft der Vereinten Nationen ein pharmakologisches Instituteinzurichten. »Eines Morgens«, erinnerte sich Dale, »kam Max indie Botschaft und sagte: >Ich muß Ihnen eine Geschichte erzäh-len. Ich bin in Dimona gewesen und habe die atomare Anlagegesehen. Ich bin überzeugt, daß Israel nukleare Sprengköpfeherstellt.'« Bei einem späteren Gespräch erinnerte sich Ben nochsehr genau an seinen Ausflug nach Dimona. Während seinesAufenthalts in Israel war er ein enger Freund und VertrauterErnst Bergmanns gewesen, und aufgrund dieser Freundschaftwurde er eingeladen, sich den Reaktor aus nächster Nähe anzu-sehen. Obwohl Ben in Princeton Physik studiert hatte, fand erden Besuch »aufregend« und gleichzeitig verwirrend: »Ich ver-stand vieles überhaupt nicht.« Er machte sich keine Sorgen we-gen der Proliferation von Atomwaffen, sondern ihn beunruhigteder Gedanke, daß die Vereinigten Staaten Israel bei Entwick-lung und Bau der Bombe nicht unterstützten: »Ich war der Mei-nung, wir sollten in dieser Hinsicht etwas tun - ihnen helfen.« Ersprach mit Dale und erklärte sich bereit, das, was er wußte, aufhöherer Ebene mit Bob Webber zu erörtern. Dale arrangierte dasTreffen. Jahre später erklärte Ben, er habe das Thema nicht auf-gegriffen, um Dale und Webber über Israels Fortschritte im ato-maren Bereich zu unterrichten, wie Dale offenbar vermutete,sondern um Washington über die in Dimona geleistete Arbeit zuinformieren. »Ich wollte etwas dafür tun«, erinnerte er sich, »daßdie USA Israel halfen. Ich wollte vermitteln.«Dale war der Ansicht, er habe genug zu berichten. Er führte Web-ber und andere in den sichersten Raum der Botschaft - ein her-metisch abgeriegelter Raum, der als »Blase« bezeichnet wird -, wodie Gruppe in einem streng geheimen Bericht an Washington ihreInformationen zusammenfaßte. Nach Dales Angaben lautete dieMitteilung: »Israel bereitet sich darauf vor, Raketen mit Spreng-köpfen zu bestücken; die Waffen können rasch als Luft-Boden-Raketen in Flugzeuge eingebaut werden.« Das Papier bedurfte

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der Zustimmung des Botschafters; voll ängstlicher Erwartungwurde es ihm vorgelegt. »Barbour räusperte sich und sagte: -Nun,ich denke, es ist Zeit. Nur zu, sie verdienen es. Lassen wir denDingen ihren Lauf.« Dale verschickte den Bericht mit dem Gefühl,er habe etwas geleistet. Seiner Ansicht nach war es der bislangweitaus präziseste Bericht über Dimona.»Und was passierte?«, fragte Dale. »Nicht das Geringste. Keinerrührte sich.« Webbers Posten als Wissenschaftsattache wurdeschließlich jemandem übertragen, der sich weniger für Dimonainteressierte, und Oberst Alba wurde den Vereinigten Stabschefswieder als Berater zugeteilt.Zu der Enttäuschung trug noch die Tatsache bei, daß ein ande-rer amerikanischer Jude im darauffolgenden Jahr weitere auf-schlußreiche Informationen über Israels Absichten lieferte. EineGruppe von amerikanischen Regierungsbeamten, die in Indienan einer Regionalversammlung amerikanischer Wirtschafts- undHandelsattaches teilgenommen hatten, wurde in die Botschaft inTel Aviv eingeladen. Dort fand eine Party mit israelischen Han-delsvertretern statt. Am nächsten Tag wandte sich EugeneM. Braderman, der damalige stellvertretende Handelsminister, anDale. »Er war kreidebleich im Gesicht. Er sagte: 'Einer der Israelisauf der Party erklärte mir, es sei meine primäre Pflicht als ame-rikanischer Jude, mitzuhelfen, daß die Regierung der VereinigtenStaaten die atomare Bewaffnung Israels toleriere.' Bradermanwar ungeheuer aufgeregt«, fügte Dale hinzu. »Er sagte zu mir:•Ich bin in erster Linie Amerikaner, nicht Jude.' Er bat mich, mitder Information das zu tun, was am besten sei.«4 In diesem Au-genblick begriff Dale, daß Bradermans Story folgenlos bleibenwürde. »Ich tat gar nichts«, sagte er. »Ich wußte, daß es keinenZweck hatte.«Natürlich gab es für die Botschaft noch andere Probleme. AnfangJuni 1967 beschloß Israel, auf die zunehmende Massierung ara-bischer Truppen im Sinai mit einem Präventivkrieg zu reagieren.Die ständigen Spannungen des vorangegangenen Jahres hattenzwei Wochen zuvor mit der ägyptischen Blockade der israe-lischen Hafenstadt Elat ihren Höhepunkt erreicht. Ein immerselbstsicherer Nasser hatte seine Truppen ausgesandt, um Sharm

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el Sheikh an der Südspitze der Sinaihalbinsel zu besetzen undden Zugang zur Meerenge von Tiran für israelische Schiffe zublockieren. Die Meerenge führte vom Roten Meer zum Golf vonAkaba und nach Elat.Obwohl Israel den Schritt Ägyptens als kriegerische Handlungbetrachtete, zögerte die Regierung Eschkol, weil sie von der Re-gierung Johnson unter Druck gesetzt wurde, keinen Krieg zu be-ginnen. Die öffentliche Meinung in Israel hingegen war für denKrieg. Der Premierminister wurde wegen seiner Unentschlossen-heit und mangelnden militärischen Kompetenz heftig kritisiert.Um die politische Kontrolle zu behalten - im Weißen Haus tra-fen Meldungen über einen geplanten Militärputsch ein - warEschkol gezwungen, sich Ende Mai auf die Seite seiner politi-schen Gegner Moshe Dayan und Menachem Begin zu schlagenund eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Begin, nunMinister ohne Geschäftsbereich, war das erste Mal in seiner po-litischen Laufbahn Mitglied der israelischen Regierung. DayansErnennung zum Verteidigungsminister mußte Eschkol noch vielschwerer gefallen sein; sie kam im wesentlichen dem Einge-ständnis gleich, daß er nicht in der Lage war, das Land in Kriegs-zeiten zu regieren. Der Kriegsheld Dayan war bei der Bevöl-kerung genauso beliebt, wie der zögerliche Eschkol unbeliebtwar. Dayan übernahm das Amt des Verteidigungsministers mitenormer Rückendeckung, was die Wahrscheinlichkeit erhöhte,daß die Hardliner der pronuklearen Rafi-Partei David Ben Gu-rions vielleicht bald wieder die militärische Führung in Israelübernehmen könnten.Die Armee unter Führung von Stabschef Ytzhak Rabin war bereit.Am 5. Juni holte Israel zum ersten Schlag aus, und nach nur sechsTagen errangen seine Soldaten einen überwältigenden Sieg. Isra-el zwang die von den Sowjets unterstützten Araber zur Kapitula-tion, besetzte die Sinaihalbinsel, den Gazastreifen, das Westjor-danland und die Golanhöhen und, was am meisten Aufsehenerregte, es erfüllte sich einen 2000 Jahre alten Traum und brachtedie Altstadt von Jerusalem unter jüdische Kontrolle. Aber mit ei-nem Schlag hatte Israel auch mehr als eine Million Palästinenserzusätzlich innerhalb seiner neuen Grenzen.

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Wally Barbour verbrachte während des Krieges die meiste Zeitim israelischen Generalstab und teilte den Jubel im Land - undin weiten Teilen Amerikas - über den israelischen Sieg. Die Be-richte, die er nach Washington schickte, wirkten nicht geradeobjektiv. Seine Ansichten stimmten mit denen der israelischenFührung überein. Zum Beispiel forderte Barbour Washingtonauf, den israelischen Raketen- und Artillerieüberfall auf die USSLiberty, ein Spionageschiff der Marine, am dritten Tag des Krie-ges herunterzuspielen. Die Liberty, die unter amerikanischerFlagge fuhr, hatte den Funkverkehr in internationalen Gewäs-sern vor der Küste Israels überwacht und war vor Eröffnung desFeuers als amerikanisches Schiff identifiziert worden. Der Angriffforderte 34 Todesopfer, 171 Menschen wurden verletzt. Die Re-gierung der Vereinigten Staaten war verärgert, ganz im Gegen-satz zu Barbour. Ein von der Lyndon B. Johnson Library frei-gegebenes aktenkundiges Telegramm beweist, daß BarbourStunden nach dem Überfall meldete, Israel habe nicht die Ab-sicht, sich zu dem Zwischenfall zu bekennen, und er fügte hin-zu: »Eindringliche Bitte, daß auch wir Publicity vermeiden. Nähe[der Liberty] zum Kriegsschauplatz könnte den arabischen Ver-dacht hinsichtlich einer amerikanisch-israelischen Absprachenähren ... Israelis sind offensichtlich über den Irrtum schockiertund bitten aufrichtig um Entschuldigung.«9

Bei Kriegsende bestellte Barbour Bill Dale zu sich und erklärte,die Politik im Hinblick auf das Sammeln von Informationen überDimona müsse geändert werden. Dale sollte die Militärattachesder Botschaft davon unterrichten, daß sie nicht mehr über Dimo-na berichten und die Israelis nicht länger schwächen sollten, in-dem sie mit ihren britischen und kanadischen Kollegen geheimeOperationen durchführten. »Israel soll unser Hauptverbündeterwerden«, erklärte Barbour, »wir dürfen das Land nicht dadurchschwächen, daß wir mit anderen zusammenarbeiten.« Laut Dalegab es noch einen anderen Grund: »Barbour sagte: -Arabisches Ölist für uns nicht so wichtig wie Israel. Deshalb werde ich in allmeinen Berichten für Israel Partei ergreifen.- Vielleicht hatte er jarecht«, fügte Dale hinzu. »Von diesem Augenblick an war WallyBarbour wie umgewandelt.«Dale war gegen eine Veränderung der Politik, »und unser Ver-hältnis verschlechterte sich«. Später versuchte Barbour, einen po-sitiven Bericht über Dales Qualifikationen nachträglich zu ver-

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ändern. Dale ist noch immer überzeugt, seine abweichendeAnsicht in bezug auf Dimona habe seiner Karriere geschadet(1973 wurde er zum Botschafter der Zentralafrikanischen Repu-blik ernannt, und 1975 schied er aus dem auswärtigen Dienstaus). Dale legte jedoch einen weiteren Botschaftsbericht überDimona zu den Akten. Im Herbst 1967 kam Henry A. Kissinger,damals Professor an der Harvard-Universität und Berater der Re-gierung Johnson im Vietnamkrieg, nach Tel Aviv, um eine Wo-che am israelischen Defense College Vorträge zu halten. NachAbschluß der Vortragsreihe erschien Kissinger in Dales Büro inder Botschaft und erklärte, er müsse dem Weißen Haus eine ei-lige, streng geheime Botschaft übermitteln. »Er übergab mir seinehandschriftliche Mitteilung«, erinnerte sich Dale, »damit ich sieabschickte.« Es handelte sich um eine Warnung in bezug auf Di-mona, und Dale erinnerte sich noch sehr genau an den Schluß-satz: »Nach Abschluß meiner Vortragsreihe hier bin ich davonüberzeugt, daß Israel nukleare Sprengkörper herstellt.« Dale er-innerte sich auch an eine Warnung Kissingers an ihn: »-Wenn dasdurchsickert, reiße ich Ihnen den Arsch auf.« Das waren Kissin-gers erste Worte an mich.«Dale legte Walt Rostow, Johnsons nationalem Sicherheitsberater,und anderen hohen Regierungsbeamten in Washington nach sei-ner Abreise aus Israel einige nichtssagende Abschlußberichte vor.Es überraschte mich nicht, sagte er, daß »mich niemand nach derisraelischen Bombe fragte«. Auf seinem nächsten Posten beim po-litischen Planungsrat des State Department versuchte er wieder,das Thema Dimona zur Sprache zu bringen — mit ähnlichem Er-gebnis. Eine seiner ersten Aufgaben im Planungsrat (der internenStrategiekommission des State Department) bestand darin, einenBericht über die Proliferation von Atomwaffen zu erstellen. Erwollte ein Kapitel über Dimona aufnehmen, aber ihm wurde dieErlaubnis verweigert, dieses Thema mit Kongreßmitgliedern oderMitgliedern der Atomenergiekommission zu erörtern. Als Daleprotestierte, erklärte ihm ein hoher Beamter des State Depart-

ment, die israelische Bombe sei »das brisanteste außenpolitischeThema in den Vereinigten Staaten«, und er drohte, mit dem Au-

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ßenminister über sein Verhalten zu sprechen. Laut Dale wurdeDimona in seinem Bericht nicht erwähnt.

Da Barbour auf seinem Posten blieb, war die israelische Bombenach 1967 in der amerikanischen Botschaft kein wichtiges Themamehr. Dimona wurde ein Ort ohne Bedeutung, und die israeli-sche Bombe existierte einfach nicht. Im selben Jahr luden die Is-raelis Arnold Kramish, einen amerikanischen Experten für Kern-brennstoffkreisläufe, zu einer Besichtigung des Reaktors ein. »Ichmachte einen Fehler«, erinnerte sich Kramish, der Israel damalsals Mitglied des Internationalen Instituts für Strategische Studienin London besuchte. »Ich stattete Barbour einen Höflichkeitsbe-such ab. Er sagte, ich dürfe nicht gehen - mein Besuch käme ei-ner Anerkennung Dimonas durch die USA gleich.« Kramish hatteaus der New York Times von den amerikanischen Kontrollen er-fahren und brachte das einleuchtende Argument vor, daß er »garkein offizieller Besucher« sei. Aber der Botschafter insistierte, undKramish akzeptierte zuletzt Barbours dubiose Theorie. »Ich gingnicht.«Joseph O. Zurhellen jr., Bill Dales Nachfolger im Amt des stellver-tretenden Missionschefs, folgte dem Fingerzeig des Botschaftersund kümmerte sich möglichst wenig um dieses Thema. »Barbourwar in technischen Dingen nicht sehr versiert - zum Beispiel imHinblick auf Wiederaufbereitungsanlagen usw.«, erklärte Zurhel-len. »Natürlich wußte er, daß in Dimona etwas Verrücktes vor sichging. Die Franzosen hatten uns, ebenso wie die Israelis, hintersLicht geführt.« Aber laut Zurhellen war man in der Botschaft derAnsicht, Israel habe die internationalen Bedenken hinsichtlich Di-mona absichtlich genährt. »Es ist ein wichtiges Element ihrer Poli-tik, andere davon zu überzeugen, daß sie die Bombe haben. Dasnennt man Desinformation.« Jedenfalls, so fügte er hinzu, »dach-ten wir nicht über die atomare Frage nach. Wir führten einen Zer-mürbungskrieg.« Damit meinte Zurhellen die ständig eskalieren-den Luftkämpfe und Artillerieduelle Ende der sechziger undAnfang der siebziger Jahre zwischen Israel und Ägypten, dessen

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Armee und Luftwaffe nach dem Sechstagekrieg mit Hilfe der So-wjetunion drastisch verstärkt worden war.Nach der Amtseinführung Präsident Richard M. Nixons im Januar1969 interessierte sich Barbour noch weniger für Dimona - dasThema war tabu. Ein hoher amerikanischer Nachrichtenoffiziererinnerte sich, daß er eine Gruppe von Mitarbeitern beauftragte,Barbour spezielle Informationen über das israelische Atomwaf-fenprogramm zu liefern. Barbour hielt sich damals in Washingtonauf. »Er hörte sich alles an«, erklärte der Geheimdienstbeamte,»und dann sagte er: 'Meine Herren, ich glaube Ihnen kein Wort.»Der Beamte war erstaunt: Erst vor wenigen Monaten hatte er anBarbour in Israel dieselben Informationen weitergegeben, ohnedaß dieser sie angezweifelt hätte. Er nahm Barbour heimlich bei-seite. »Herr Botschafter«, sagte er, »Sie wissen, daß es wahr ist.«Barbour erwiderte: »Wenn ich das zugebe, dann muß ich zumPräsidenten gehen. Und wenn er es zugäbe, müßte er etwas un-ternehmen. Der Präsident hat mich nicht nach Israel geschickt,damit ich ihn mit Problemen konfrontiere. Er will keine schlech-ten Nachrichten hören.«Barbour hatte viele gute Gründe, warum er Präsident Nixon keineschlechten Nachrichten überbringen wollte. Sein Emphysem wur-de schlimmer. Er hatte panische Angst vor dem Tod; deshalbstand neben seinem Bett ein Sauerstoffzelt. Der Botschafter bliebauch bei seiner bewährten Arbeitsmoral. Laut Zurhellen bliebBarbour während ihrer fünfjährigen Zusammenarbeit nur zwei-mal über die Dienstzeit hinaus in der Botschaft.Der übergewichtige Botschafter hatte schon zu Beginn vonNixons Amtszeit furchtbare Angst, man könne ihm mitteilen, ersei für den angesehensten Posten im auswärtigen Dienst ausge-wählt worden - für den Botschafterposten in Moskau. Die Ernen-nung war von der Zustimmung des Arztes abhängig, aber, lautZurhellen, hatte sich Barbour schon seit Jahren keiner vom StateDepartment angeordneten ärztlichen Untersuchung unterzogen,und er wußte, daß er den Gesundheitstest nicht bestehen würde.»Wir deichselten die Sache anders. Alle zwei Jahre ließen wir voneinem israelischen Arzt eine Bescheinigung ausstellen, daß Bar-bour >in der Lage war, seine Aufgabe zu erfüllen-. Ich faßte das

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Antwortschreiben ab, worin ich dem State Department für seinVertrauen dankte, gleichzeitig aber erklärte, daß -ich hier in sie-ben Jahren eine einmalige Situation geschaffen habe.«« Barbourdurfte seinen Job behalten.Im Jahr 1970 hatte Barbour einen seiner seltenen öffentlichenAuftritte; anläßlich der Einweihung einer amerikanischen Schulein Tel Aviv stand er gemeinsam mit Premierministerin GoldaMeir auf dem Podium. Der Botschafter dankte Frau Meir für ihrKommen und sagte: »Ich wünschte, ich wüßte, wie ich die Pre-mierministerin dazu bringen kann, das zu tun, worum ich siebitte.« Sie antwortete: »Ich werde Ihnen das Geheimnis unver-züglich verraten - Sie müssen mich nur bitten, das zu tun, wasich tun möchte.«Wenn es um Dimona ging, tat Barbour alles, was Israel wollte,und ohne Fragen zu stellen. Trotzdem waren viele seiner ehema-ligen Kollegen im Auswärtigen Dienst verwirrt und beunruhigt,als er sich am 3. April 1974, ein Jahr nach seinem Ausscheidenaus dem Amt, bereit erklärte, Aufsichtsratsmitglied der amerikani-schen Filiale der Leumi-Bank, der israelischen Staatsbank, zuwerden. Das war zwar vollkommen legal, aber viele Beamte desState Department sind der Ansicht, daß solche Ernennungen ei-nen schweren Interessenkonflikt mit sich bringen. Bezeichnen-derweise war es Barbour völlig gleichgültig, was seine Kollegendachten. Er blieb bis zu seinem Tod im Aufsichtsrat der Bank.

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13Eine israelische Entscheidung

Yigal Allon, der Kriegsheld von 1948 und Kämpfer für die Besied-lung des Westjordanlandes, durfte Anfang Dezember 1967 einenBlick in die nukleare Zukunft Israels werfen. Dieses Erlebnis be-wegte ihn zutiefst. Er war eingeladen worden, zusammen mit ei-ner Beratergruppe die Arbeiten an Israels erster Abschußrampefür Atomraketen zu besichtigen. Die Baustelle befand sich an ei-nem abgelegenen Ort, der auf der Landkarte westlich von Jerusa-lem in den Ausläufern der judäischen Berge als Hirbat Zachariahverzeichnet ist. Die geschickt getarnten Silos - von den Amerika-nern jahrelang nicht entdeckt - sollten eingegraben werden. Dieeinzige, nicht beschilderte Straße, die dorthin führte, stand unterständiger Kameraüberwachung.Die Silos stellten ein Glanzstück des technischen Könnens der Is-raelis dar. Sie wurden von der Tahal gebaut, der regierungseige-nen Wasserwirtschaftsfirma, die damals mit dem Schah von Iranüber den Bau einer Ölpipeline mit 42 Zoll Durchmesser verhan-delte, die iranisches Rohöl zu den israelischen Hafenstädten Elatund Aschdod transportieren sollte. Die glatten Rohre, aus denendie Raketen abgeschossen werden sollten, waren beim Import alsTeilstücke einer Pipeline deklariert worden.1 Israel war noch weitdavon entfernt, einsatzfähige Atomraketen zu haben - der erstepraktische Versuch mit der Jericho I war erst einige Monate zuvordurchgeführt worden und hatte keine eindeutigen Ergebnisse ge-bracht. Die Rakete, die in Zusammenarbeit mit der französischenFirma Dassault entwickelt worden war, hatte Steuerungsproble-me: Sie war nicht treffgenau.Dennoch, und das war Allon bewußt, stellten diese ersten Siloseine neue Kategorie von militärischer Sicherheit für die Nationdar. »Allon wurde richtig aufgeregt«, erinnerte sich ein israelischer

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Beobachter. »Er war ein Mann, der 1948 nur mit einer britischenMaschinenpistole gekämpft hatte, und nun - zwanzig Jahre spä-ter - baute Israel seine eigenen Atomraketen. Wir sind ein Volk«,bemerkte der Beobachter, »das von den Toten auferstanden ist. Ineiner einzigen Generation sind wir zu Kriegern geworden - zuden Spartanern unserer Zeit.«Allon konnte das, was er gesehen hatte, nicht für sich behalten.Ein paar Tage später verblüffte er seine Kabinettskollegen mit ei-ner öffentlichen Rede in Haifa. Er warnte Ägypten, Israel würdejeden ägyptischen Angriff auf ein israelisches Ballungszentrummit fortgeschrittenen Waffensystemen beantworten. »Mit jederWaffe, die Ägypten mit Hilfe einer größeren Macht bauen odervon ihr kaufen kann-, sagte er, »können wir es aufnehmen. Sei esnun mit oder ohne die Hilfe einer Großmacht.« Als Mitglied desexklusiven nationalen Sicherheitskomitees des Premierministerswaren seine Verlautbarungen sehr glaubwürdig. Aber kein israe-lischer Beamter hatte jemals öffentlich die Existenz eines Atomra-ketensystems zugegeben, und Allons geheimnisvolle Behauptun-gen wurden unter der Hand von anderen Regierungsbeamten alsBruch der Sicherheitsvorschriften angegriffen. In der Presse warfman ihm Panikmache vor.

Israels Raketenprogramm mit dem Decknamen »Projekt 700« warschon Jahre zuvor von Ernst David Bergmann als die letzte,kostspielige Stufe der Samson-Option betrachtet worden. Einfrüherer israelischer Regierungsbeamter erinnerte sich an Zah-len, aus denen hervorging, daß die langfristigen Gesamtkostenvon Projekt 700, wenn das nationale Sicherheitskomitee des Pre-mierministers es in vollem Umfang genehmigte, 850 MillionenDollar betragen würden - mehr als der gesamte israelische Ver-teidigungshaushalt von 1967. Nicht nur die Raketen, sonderndas ganze Atomsystem war schwindelerregend teuer, und dieGesamtkosten des Kernwaffenprogramms waren nach wie vordas Haupthindernis für den Bau der Bombe. Auch Verteidi-gungsminister Moshe Dayan, der Ende der sechziger Jahre fürIsraels nukleare Zukunft verantwortlich wurde, hielt die Kostenfür die größte Hürde.

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Allons Besuch in Zachariah hatte einem strategischen Zweck ge-dient: Dayan, mit seiner schwarzen Augenklappe und seinem Ge-spür für Dramatik, versuchte, Allon für seine Sache zu gewinnen.Nach dem Krieg nutzten Dayan und seine Mitstreiter erneut dieGelegenheit, das Hauptziel ihrer geplanten Atomwaffen öffent-lich anzugreifen - die Sowjetunion. Schon früh sagte Dayan vor-aus, die Sowjets, denen in ihrem von Ideologie bestimmtenKampf gegen die Vereinigten Staaten jeder Stützpunkt recht war,würden das Machtvakuum im Nahen Osten ausfüllen und zurgrößten Bedrohung für Israel werden. Anfang Juli warnte Dayandie Sowjets in einem Interview mit der Frankfurter AllgemeinenZeitung, wenn sie sich mit den Arabern gegen Israel verbünde-ten, würde er »keinen Moment zögern, seiner Regierung zu raten,die Russen auf dieselbe Weise wie die Araber zu bekämpfen undzu besiegen ... Israel brauche sich von niemandem einschüchternzu lassen.«Dayan brachte das Gefühl der Isolation zum Ausdruck, das sichbis in die Spitzen der israelischen Führung verbreitet hatte und sostark war wie nie seit der Sueskrise von 1956. Charles de Gaullebezeichnete Israel als den Angreifer im Sechstagekrieg undstoppte die französischen Waffenlieferungen an Israel; damit be-endete er zwölf Jahre enger französisch-israelischer Zusammen-arbeit. De Gaulle verhinderte auch die Auslieferung von fünfzigschon gekauften Kampfflugzeugen vom Typ Mirage III. Der Pres-se gegenüber behauptete er sogar, er habe von dem Vertrag zwi-schen Dassault und Israel bis zum ersten praktischen Test derJericho I im Jahr 1967 nichts gewußt (die französische Firma ar-beitete allerdings noch ein weiteres Jahr an dem Raketenpro-gramm der Israelis).Die Sowjets und ihre Trabanten im Ostblock (mit Ausnahme Ru-mäniens) gingen noch einen Schritt weiter: Sie brachen die diplo-matischen Beziehungen mit Israel ab. Zugleich begannen die So-wjets damit, ihre arabischen Freunde aufzurüsten. PräsidentNikolai Podgorny absolvierte Ende Juni einen triumphalen Staats-besuch in Kairo und wurde von Hunderttausenden jubelnderÄgypter begrüßt. Bald darauf brachte ein Flugzeug nach dem an-deren sowjetische Waffen nach Ägypten. Die geleerten ägypti-

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sehen Arsenale waren nach einem Jahr wieder gefüllt. Schließlichschickte Moskau militärische Berater und modernste MIG-Kampf-flugzeuge nach Ägypten; im Gegenzug bekamen die Russen er-weiterten Zugang zu den vier Mittelmeerhäfen und praktisch dasKommando über die sieben ägyptischen Luftwaffenstützpunkte.Ähnlich großzügig verhielten sich die Sowjets auch gegenüberSyrien und Irak, den (mit Jordanien) anderen Verlierern desSechstagekrieges.Die israelische Aufklärung fing Mitteilungen ab, die auf höch-ster Ebene zwischen Kairo, Damaskus und Moskau ausgetauschtwurden und in denen in prahlerischem Ton viel vom nächstenNahostkrieg die Rede war. Der letzte Krieg dagegen wurdekaum erwähnt. Die sowjetische Flotte demonstrierte plötzlichdeutlich mehr Präsenz im Mittelmeer. Zwei oder drei Schiffewurden offensichtlich zu Spionagezwecken vor der Küste Isra-els stationiert. Aus der Sicht der Israelis gab es auf diese Provo-kationen von der anderen Supermacht, den USA, keine Reaktio-nen.Ende August 1967 kamen die arabischen Länder, beflügelt vonder sowjetischen Unterstützung und geleitet von sowjetischemRat, in Khartum zum ersten Nachkriegsgipfel zusammen und ei-nigten sich darauf, daß es mit Israel keinen Frieden und keineVerhandlungen geben sollte und eine Anerkennung des jüdi-schen Staates ausgeschlossen sei.

Dayan kämpfte immer entschlossener um die Bombe, weil erüberzeugt davon war, Israel könne sich zur Abschreckung einessowjetischen Angriffs nicht auf die USA verlassen. 1966 hatte ereinige Zeit als Journalist in Südvietnam verbracht und dabei »mitgroßer Sorge« die mangelnde »Beständigkeit der USA bei der Ein-haltung ihrer Verpflichtungen« kennengelernt, wie er später demNSC-Berater Walt Rostow anvertraute. In einer Krise würde Israelentweder von Washington unterstützt werden, oder - wie in Su-es - eben nicht, je nach Beurteilung der internationalen und re-gionalen Interessen der USA durch das Weiße Haus. Dayanglaubte, das sowjetische Engagement sei ähnlich einzuschätzen:Moskau käme den Arabern nicht aus tiefer Sorge um den Nahen

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Osten zu Hilfe, sondern weil die Sowjets ihr Ansehen hebenund ihre internationalen Interessen wahren wollten. Unabhängigvon ihren Motiven jedoch, dachte Dayan, würden die Super-mächte die Ereignisse im Nahen Osten steuern, wenn sich Israelnicht die erforderlichen Waffen beschaffte. In Dayans Augenhing die Existenz Israels nun davon ab, ob das Land Atomwaf-fen in großer Stückzahl produzieren und sie auf die Sowjetunionrichten konnte. Ende 1967 und Anfang 1968 wollte Dayan seineKabinettskollegen davon überzeugen, daß die Sowjets durch ei-ne glaubhafte atomare Bedrohung von seilen Israels dazu ge-bracht werden könnten, die Option auf einen Nahostkrieg fal-lenzulassen. Eine solche Drohung sollte die Sowjets auch vonjeder Maßnahme abschrecken, die Israels Existenz gefährdenkönnte - zum Beispiel von der Versorgung einer arabischen Na-tion mit Kernwaffen. Nach Dayans Vorstellung sollten israelischeGeheimagenten ihren sowjetischen Kollegen unter der Hand ei-nen Tip geben, sobald das »Fließband« in Dimona die volle Pro-duktion aufgenommen hätte. Wenn Israel die erste Kofferbombeentwickelt hätte, sollte Moskau ebenfalls unverzüglich informiertund daran erinnert werden, daß niemand den Mossad davon ab-halten könne, eine Atombombe in einem Auto in eine sowjeti-sche Stadt oder in einem Schiff in einen sowjetischen Hafen zuschmuggeln. Die Welt und die USA sollten in wohldosierter Un-klarheit darüber gelassen werden, ob Israel nun über die Bombeverfügte oder nicht. Der Gedanke der israelischen »Bombe imKeller« war geboren.Ende 1967 bekam Dayan bei seinen Bemühungen Unterstützungdurch die Meldung (die den Israelis von den Amerikanern zu-gespielt wurde), die Sowjetunion habe vier wichtige israelischeStädte - Tel Aviv, Haifa, Beerscheba und Aschdod - auf die Li-ste ihrer nuklearen Ziele gesetzt. Diese äußerst heikle Informa-tion gelangte inoffiziell nach Israel. Ein früheres Mitglied des Sta-bes von Premierminister Eschkol sagte lapidar: »Auf koschere Artsind wir da nicht rangekommen.«2

Dann leitete auch Henry Kissinger Wasser auf Dayans Mühlen. Erwar damals außenpolitischer Berater des New Yorker Gouver-neurs Nelson Rockefeller bei dessen Kampagne für die Nominie-

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rung als republikanischer Präsidentschaftskandidat. Im Februar1968 traf sich Kissinger in privatem Rahmen mit einer Gruppe is-raelischer Wissenschaftler im Jerusalemer Haus von GeneralmajorElad Peled, dem Direktor des israelischen Instituts für Verteidi-gung, an dem Kissinger ein Jahr zuvor gelehrt hatte. Nach derDarstellung von Schlomo Aronson, der über israelische Atompo-litik geschrieben hat und bei dem Treffen dabei war, waren Kis-singers Zuhörer über seine Botschaft bestürzt: Die VereinigtenStaaten würden »keinen Finger für Israel rühren«, wenn die So-wjets sich zu einer direkten Intervention entschlössen, zum Bei-spiel zu »einem Raketenangriff auf die israelischen Luftwaffen-stützpunkte im Sinai«. Aronson berichtete, Kissinger habe dreiPrinzipien festgehalten: »Das wichtigste Ziel jedes amerikanischenPräsidenten ist die Verhinderung des dritten Weltkrieges. Zwei-tens: Kein amerikanischer Präsident würde wegen israelischerBesetzungen den dritten Weltkrieg riskieren. Drittens: Die Russenwissen das.«Anfang 1968 war es dann offensichtlich, daß der überwältigendeSieg im Sechstagekrieg kein einziges fundamentales politischesund militärisches Problem Israels im Nahen Osten gelöst hatte.Yitzhak Rabin, der Stabschef des Heeres, flog Mitte Dezember 1967nach Washington. Bei einem Treffen mit General Earle Wheeler,dem Vorsitzenden der Vereinten Stabschefs, bekannte er sich zudiesem niederschmetternden Ergebnis. »Rabin eröffnete dasGespräch mit der Feststellung, Israel befände sich in der seltsamenLage, den Krieg gewonnen zu haben, nicht aber den Frieden«,notierte Wheeler in einem Vermerk für die Akten, deren Geheim-haltungsstufe später aufgehoben und die dann in die LyndonB. Johnson Libraiy aufgenommen wurden. »Israel ist jetzt in einerweniger günstigen Lage als vor dem 5. Juni [d. h. bei Kriegs-beginn]. Die Sowjets wollen keine friedliche Regelung«, sagte Ra-bin zu Wheeler. »Sie wollen die angespannte Lage aufrecht-erhalten, weil sie damit die arabische Abhängigkeit von derSowjetmacht vertiefen kön-nen ... Sie wollen sich den Zugang zuden See- und Flughäfen und letztlich die Kontrolle über das ara-bische Öl sichern.«

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Die jüdische Gemeinde in Amerika reagierte auf den dramati-schen Sieg im Juni mit enormen Spenden und mit vermehrtenBesuchen in Israel. Ende 1967 boomte sowohl der Tourismus alsauch die israelische Wirtschaft. Der israelische Erfolg, sagte Bot-schafter Walworth Barbour zu den skeptischen Mitgliedern seinesStabes in der amerikanischen Botschaft in Tel Aviv, habe die Be-ziehungen zu Washington gefestigt. Doch für Dayan und seineAnhänger in Dimona und anderswo hatte Amerika einen Monatvor dem Sechstagekrieg seine prinzipielle Unzuverlässigkeit alsVerbündeter bewiesen. Damals hatte Washington nicht daraufreagiert, als Nasser die Straße von Tiran schließen und Elat blok-kieren ließ. Dokumente aus dem israelischen Außenministeriumbewiesen, daß Dwight D. Eisenhower 1956 nach dem Debakelvon Sues schriftlich zugesichert hatte, die USA würden nötigen-falls Gewalt einsetzen, um die Schiffahrtsstraßen offenzuhalten.Israel wandte sich nach Nassers Blockade an Johnson, um dieEinlösung dieses Versprechens einzufordern. Das Außenministe-rium gab zu verstehen, Eisenhowers Versprechen sei mit seinemAusscheiden aus dem Amt Anfang 196l nicht mehr bindend fürdie USA. Nur ein Vertrag, der vom US-Senat ratifiziert sei, bindeauch nachfolgende Regierungen. In Israel fühlte man sich verra-ten. Ohne es zu wissen arbeitete Washington im Dienste MosheDayans und seiner nuklearen Ambitionen.

Aber Israel war noch keine richtige Atommacht. Kein verant-wortlicher Beamter hatte die Genehmigung zur systematischenProduktion von Plutonium im Reaktor und in der Wiederaufbe-reitungsanlage gegeben. Die Führung war immer noch von finan-ziellen Befürchtungen geplagt. Ein israelischer Beamter erinnertsich an Schätzungen, denen zufolge ein umfassendes Atomwaf-fenprogramm mit Gefechtsköpfen und Raketen bis Anfang dersiebziger Jahre mehr als zehn Prozent des israelischen Staatshaus-halts verschlingen würde - fast eine Milliarde Dollar. Pinhas Sapir,in der israelischen Führung Wirtschaftsexperte der neu formiertenArbeitspartei3, war ein überzeugter Verfechter von Staatsanleihenzur Ankurbelung der wirtschaftlichen Entwicklung. Das Konzept»Dollars für Dimona« hatte ihm nie richtig eingeleuchtet. In seinen

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Augen würde eine israelische Bombe nur zu Konflikten mit denVereinigten Staaten und einer Reduzierung der amerikanischenHilfeleistungen führen.Da entschloß sich Dayan Anfang 1968 zu einem entscheidendenSchritt (die Information stammt von einem israelischen Beam-ten). Er rief Sapir an und bat ihn (wie zuvor Allon), sich einenTag Zeit zu nehmen. Die beiden Männer fuhren nach Dimona.»Er zeigte ihm die ganze Sache, von A bis Z«, sagte der Israeli.»Niemand hatte die ganze Wiederaufbereitungsanlage bislang zusehen bekommen. Sapir war völlig aus dem Häuschen. Anschlie-ßend sagte er zu Allon, der sich immer noch gegen eine umfas-sende Atombewaffnung sträubte: 'Hast du es ganz gesehen? Ichhabe es gesehen und kann nur sagen, wenn du es nicht gese-hen hast, weißt du gar nichts. Es wird nie mehr ein Auschwitzgeben..«Anfang 1968 bekam die Atomfabrik von Dimona dann den Auf-trag, die Produktion mit ganzer Kapazität aufzunehmen. Vier bisfünf Sprengköpfe pro Jahr wurden produziert. Beim Ausbruchdes Jom Kippur Krieges im September 1973 hatte Israel fünfund-zwanzig Bomben in seinem Arsenal. Es gibt keine Hinweise dar-auf, daß das israelische Kabinett jemals eine formelle Entschei-dung zu Dimona getroffen hätte. Dennoch wurde die Herstellungder ersten Bombe am »Fließband«, ob offiziell abgesegnet odernicht, den Spitzen der nationalen Sicherheitskreise schnell be-kannt. Die Nachricht wurde mit großem Beifall aufgenommen.Ein Israeli erinnerte sich, daß nach dem Bau der ersten Bombe inDimona und in manchen Regierungsbüros in Tel Aviv und Jeru-salem mit Champagner angestoßen wurde. Es wurde allgemeingeglaubt, fügte er hinzu, daß auf dem ersten Sprengkopf der Satzgeschrieben stand: »Niemals wieder.«Achselzuckend und lächelnd erklärte ein früherer israelischer Re-gierungsbeamter das bürokratische Procedere, das zum Anwerfendes »Fließbandes« in Dimona geführt habe: Moshe Dayan habeeinen einsamen Entschluß gefaßt, die Unterstützung der entschei-denden Finanziers bekommen und verfüge — als Verteidigungsmi-nister - über alle Befugnisse, um Israel zur Atommacht zu erhe-ben. Einen ähnlichen Gedanken äußerte damals Amos Deshalit

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gegenüber Dr. Max Ben, dem amerikanischen Freund Ernst Berg-manns. »Wir sprachen über Dayan«, erinnerte sich Ben, »undAmos sagte: >Das ist der Kerl, der auf eigene Faust handelt.««4

Nachdem die Entscheidung gefallen war, schloß die Bürokratieihre Reihen, wie es die Israelis bei Fragen der Staatssicherheitimmer tun. Die erste Notwendigkeit war die Beschaffung vonUranerz, und zwar in großen Mengen. Der Mossad wußte, daßHunderte von Tonnen Erz in einem Lagerhaus bei Antwerpen inBelgien lagen. Es war für den Verkauf in Europa bestimmt, aberdie Israelis hatten diese Option theoretisch nicht. Solche Verkäu-fe in Europa wurden von der EURATOM kontrolliert, der Euro-päischen Atomgemeinschaft. Es war kaum vorstellbar, daß siedie Zustimmung zum Verkauf einer größeren Menge Uran an Is-rael geben würde. Dimona stand schließlich unter keinerleiinternationaler Aufsicht. Selbst wenn ein solches Geschäft hättearrangiert werden können, wäre niemand in Israel bereit ge-wesen, der Welt mitzuteilen, daß sich Dimona - angeblich ein24-Megawatt-Reaktor, der jährlich maximal vierundzwanzig Ton-nen Erz verbrauchen konnte - einen Uranvorrat zulegte, der füracht Jahre gereicht hätte. Der Mossad löste das Problem. ImMärz 1968 trat ein israelischer Agent in der Bundesrepublik alsStrohmann auf und tätigte den Uranankauf angeblich im Nameneiner italienischen Chemiefirma aus Mailand. Der Preis sollte vierMillionen Dollar betragen. Die EURATOM genehmigte den Ver-kauf im Oktober, und das Uran verließ Antwerpen an Bord ei-nes Schiffes, das in »Scheersberg A« umgetauft worden war. DieScheersberg A war mit Mossad-Geldern von einem anderen is-raelischen Agenten in der Türkei gekauft worden. IsraelischeBeamte bestätigten später auch veröffentlichte Berichte, daß -auf offener See und bewacht von Kanonenbooten - das Uranauf einen israelischen Frachter umgeladen und nach Israel ge-bracht wurde. Das Verschwinden der riesigen SchiffsladungUran wurde der EURATOM natürlich innerhalb weniger Monatebekannt. Nicht viel später wußten die amerikanischen und euro-päischen Geheimdienste, daß die Israelis involviert waren. Esdauerte jedoch neun Jahre, bis Meldungen über den Uran-Dealin die Presse gelangten, und schließlich wurde die Affäre zum

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Gegenstand eines 1978 veröffentlichten Buches mit dem TitelThe Plumbat Affair. Auf das Buch und die früheren Zeitungsbe-richte reagierte Israel weiterhin nur mit Dementis. Abgesehenvon ein paar Streitern für das Gemeinwohl und einigen Journa-listen interessierte sich niemand für die Angelegenheit.

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Ein Geschenk des Präsidenten

Nach dem Sechstagekrieg erwies sich die Regierung Johnsontrotz israelischer Beschwerden über die wachsende sowjetischeBedrohung im Nahen Osten wieder einmal als unbeständigeVerbündete. Jedenfalls sahen das die Israelis so, nachdem sichJohnson de Gaulles Position angeschlossen hatte, um einenBruch mit der arabischen Welt zu vermeiden. Er verhängte für135 Tage ein Waffenembargo über Israel, obwohl die Sowjets ih-re Verbündeten weiterhin mit Waffen versorgten, was die Israeliszähneknirschend hinnehmen mußten. Auch öffentlich verpflich-tete sich Johnson nicht eindeutig, Israel in einer Krise beizuste-hen. Auf einer Pressekonferenz Ende des Jahres fragte ihn derCBS-Journalist Dan Rather, ob die USA dieselbe unkündbareVerpflichtung hätten, Israel gegen einen Angriff zu verteidigen,wie sie gegenüber Südvietnam bestehe. Die Antwort konnte nurwenige Israelis befriedigen: »Wir haben unser klares Interesse anIsrael bekundet und unseren Wunsch, viele Mittel zur Bewah-rung des Friedens in dieser Region einzusetzen. Aber wir habenkein wechselseitiges Sicherheitsabkommen mit Israel, wie es inSüdostasien existiert.«Dennoch machte Ministerpräsident Eschkol im Januar 1968 ei-lends einen zweiten Staatsbesuch in Washington. Er wollte denAmerikanern einige F-4-Düsenjäger abkaufen, als Ausgleich fürdie sowjetischen MIGs in Ägypten. Der F-4 war das ausgereiftesteamerikanische Kampfflugzeug. Im Pentagon und im Außenmini-sterium wurde behauptet, Israel brauche ein solches Flugzeugnicht, um Ägypten militärisch überlegen zu bleiben, denn dieMIG-21-Bomber hätten eine viel geringere Reichweite und Bom-benkapazität. Wenn die besten Kampfflugzeuge der Welt in denNahen Osten geliefert würden, bedeute das eine ungerechtfertig-

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te und überflüssige Eskalation; Israel sei bereits mit den frühergelieferten A-4-Skyhawks überlegen.Aber Johnson oder jemand aus seiner Umgebung wollte offe-barIsrael immer noch dazu bewegen, den Atomwaffensperrvertragzu unterzeichnen, und war bereit, dafür fünfzig F-4-Kampfflug-zeuge zu liefern. In einer für den Staatsbesuch geschriebenenNotiz für Johnson vom 5. Januar 1968 erstellte Walt Rostow zweiListen: »Was wir wollen« und »Was wir geben können«. In der er-sten Liste gab Rostow zu bedenken: »Wir meinen, der Atom-waffensperrvertrag sei akzeptabel. Wir glauben, er wird sich lang-fristig positiv auf die Sicherheitslage Israels auswirken. Wirerwarten Israels Unterschrift.« Auf der zweiten Liste standen sie-benundzwanzig weitere Skyhawks und das Versprechen, »dasVerfahren zu beschleunigen, wenn Israel Phantom-Jäger [F-4-Flugzeuge] braucht«.Rostows Konzept, den Phantom-Verkauf mit dem Atomwaffen-sperrvertrag zu verknüpfen, war absurd, wenn man sich IsraelsAktivitäten in Dimona vor Augen hält und berücksichtigt, daß dieUS-Aufklärung - größtenteils dank Botschafter Wally Barbour inTel Aviv - eine ganze Menge über diese Aktivitäten in Erfahrunggebracht hatte. Rostow gab viele Jahre später in einem Interviewzu, er habe wenig Zweifel an Israels nuklearen Ambitionen ge-habt: »Wenn Sie mich fragen, was ich in den sechziger Jahrendachte — ich dachte, die Israelis arbeiteten daran, die Bombe zubauen. Alle Welt wußte das.«Rostows Notiz vom 5. Januar zeigt, daß das Weiße Haus auch dieSituation im Nahen Osten insgesamt unrealistisch einschätzte:»Ein unnachgiebiges Israel können wir nicht unterstützen ... DieAraber brauchen die Hoffnung auf israelische Zugeständnisse -bei den Flüchtlingen, bei Jerusalem, bei der Rückkehr von Flücht-lingen ins Westjordanland, und sie brauchen die Hoffnung, daßIsrael die besetzten Gebiete nicht auf Dauer besiedelt.« DieseThemen sollten mindestens noch dreiundzwanzig Jahre lang ak-tuell bleiben.Rostow mußte wissen, daß sich das israelische Militär nach demSechstagekrieg in den neu besetzten Gebieten von Jerusalem,dem Westjordanland und auf den Golanhöhen geradezu austob-

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te. In dem offensichtlichen Bemühen, Palästinenser und andereAraber von ihrem Land nach Jordanien und Syrien zu vertreiben,wurden arabische Häuser geplündert und zerstört. In der Altstadtvon Jerusalem wurden in der ersten Nacht nach dem Krieg mehrals hundert arabische Häuser von israelischen Truppen demoliert.Dabei wurden Planierraupen und Flutlichtanlagen eingesetzt.Teddy Kollek, der Bürgermeister von Jerusalem, erläuterte in ei-nem Bericht aus dem Jahr 1978, warum eine solche Eile notwen-dig gewesen sei: »Mein vorherrschendes Gefühl war: Tun wir esjetzt; später geht es vielleicht nicht mehr, und getan werden mußes.« Mit besonderer Grausamkeit wurden Planierraupen und Dy-namit im Westjordanland eingesetzt; im Dorf Qalqiliya westlichvon Nablus wurden 850 von 2000 Häusern im Lauf von drei Ta-gen israelischer Besatzung zerstört. Später warf Moshe Dayan denisraelischen Soldaten vor, in dem Dorf »Strafaktionen« durchge-führt zu haben, und ließ den Dorfbewohnern Zement und andereHilfsmittel für den Wiederaufbau schicken.Nach dem Krieg trat eine kurze Periode ein, in der viele füh-rende israelische Politiker, darunter Dayan und Ben Gurion, öf-fentlich zur Diskussion stellten, ob die besetzten Gebiete nichtzurückgegeben werden sollten.1 Sie betrachteten den Krieg alsChance für Israel, sich als Gegenleistung einen dauerhaften Frie-den zu erkaufen. Die Juden, sagte Ben Gurion wiederholt zuseinen Anhängern, taugten nicht als Besatzungsmächte. »Sinai?Gaza? Das Westjordanland? Die brauchen wir nicht«, sagte BenGurion zu einem amerikanischen Reporter. »Der Friede ist wich-tiger als Grundbesitz. Wir brauchen keine Gebiete.« Levi Eschkoldrückte ein paar Wochen nach dem Krieg gegenüber seinem Be-sucher Abe Feinberg seine Zweifel aus: »Was soll ich mit einerMillion Arabern anfangen? Die vermehren sich doch wie die Ka-ninchen.«Diesen pragmatischen Überlegungen standen jedoch die religiö-sen und philosophischen Ansichten vieler Zionisten-Revisionistenentgegen, die mit Menachem Begin und seinem Mentor, dem ver-storbenen Vladimir Jabotinsky, der Meinung waren, Israels Ex-pansion ins Westjordanland sei keine Frage der Poltik, sonderneine historische Notwendigkeit. Im Westjordanland lagen die Ur-

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sprünge des jüdischen Volkes; das Gebiet gehöre ganz einfach zuIsrael und sei nicht im Krieg besetzt, sondern »befreit« worden.Die Position der Revisionisten setzte sich im Lauf der Jahre alsPosition der Regierung durch. Die UN-Resolution 242 forderteden Rückzug aus den besetzten Gebieten, die arabische Garantiedes israelischen Territoriums und den Frieden. Die Resolutionwar vom UN-Sicherheitsrat Ende November 1967 einstimmig an-genommen worden. Aber die israelische Unnachgiebigkeit unddie Rachegelüste der wiederbewaffneten Araber verurteilten siezum Scheitern.Das Gipfeltreffen zwischen Johnson und Eschkol Anfang 1968 aufder texanischen Farm des Präsidenten hätte aus israelischer Sichtnicht unglücklicher verlaufen können. Eschkol und seine Berater,darunter Ephraim (Effy) Evron, der israelische Botschafter inWashington, der sich gut mit Johnson verstand, hatten einen gan-zen Tag lang Berichte von Beamten des Außen- und des Verteidi-gungsministeriums angehört, die Argumente gegen den Verkaufvon F-4-Kampfflugzeugen an Israel enthielten. »Johnson bearbeite-te sie wegen des Sperrvertrages«, erinnerte sich Harry McPherson,einer der Berater des Präsidenten. »Schließlich stand er auf undsagte: -Gehen wir alle mal pissen.- Also gingen wir alle in eine rie-sige Toilette zum Pissen. Auf dem Rückweg fiel Johnson auf, wasfür ein niedergeschlagenes Gesicht Effy machte. >Was ist los, Effy?'Effy sagte: >Wir werden unsere F-4s nicht kriegen.« >Ach, verdammt,Effy«, sagte Johnson, >ihr kriegt eure F-4s. Aber dafür will ich wasvon Eschkol. Aber sag ihm nichts davon.'«McPherson und Evron glaubten, Johnson habe mit dieser Bemer-kung eine Verpflichtung ausgesprochen. Aber was Johnson woll-te, konnte Israel nicht geben. Ein Mitarbeiter Dayans erinnertesich an den Kummer der Israelis, als die Amerikaner anscheinendunbarmherzig auf Inspektionen durch die IAEA drängten: »Wirstanden vollkommen allein.«

Dayans Leute waren zu pessimistisch. Israel hatte den besten Für-sprecher, den es haben konnte, nämlich den Präsidenten. WenigeWochen nach dem Gipfeltreffen mit Eschkol teilte die CIA John-son zum ersten Mal mit, Israel habe ihren Informationen zufolge

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mindestens vier atomare Sprengköpfe hergestellt. Er befahl demCIA-Direktor Richard Helms, den Bericht verschwinden zu lassen,und wie immer gehorchte Helms.Die Schätzung der CIA war nicht das Ergebnis einer geheim-dienstlichen Meisterleistung, erläuterte Carl Duckett, der 1968 alsAbteilungsleiter für Wissenschaft und Technik in der CIA arbei-tete, sondern eines Abendessens mit Edward Teller, dem berühm-ten Atomphysiker, der sich zeit seines Lebens mit Waffenbau be-schäftigt hatte. Duckett hatte Teller in der Vergangenheit mitInformationen versorgt und hatte, wie er selbst zugab, großen Re-spekt vor ihm. Teller hatte das private Essen arrangiert, um einesehr eindeutige Botschaft loszuwerden: »Er war überzeugt, Israelhabe nun mehrere einsatzbereite Bomben.« Teller erzählte, er seigerade aus Israel zurückgekehrt. Seine Schwester lebte in TelAviv, er war oft zu Besuch dort und hatte viele Kontakte inwissenschaftlichen und militärischen Kreisen. »Er hatte mit vielenalten Freunden geredet«, sagte Duckett, »und er machte sich Sor-gen.« Teller legte Wert auf die Feststellung, er habe keine genau-en Informationen über israelische Kernwaffen. Aber er habe denEindruck, so Teller zu Duckett, die CIA warte auf einen israeli-schen Atomtest, bevor sie die israelische Kernwaffenkapazitätendgültig einschätze. Das sei jedoch ein Fehler der CIA. »Die Is-raelis haben die Bombe, doch sie werden sie nicht testen. Viel-leicht irren sie sich um ein paar Kilotonnen, wenn sie die Spreng-kraft ihrer ungetesteten Bombe einschätzen - na und?«Duckett zeigte sich so beeindruckt, wie Teller es beabsichtigt hat-te: »Das war der überzeugendste Hinweis von einem einzelnen,den ich während meiner ganzen CIA-Zeit bekam.«2 Am nächstenMorgen berichtete er Helms von dem Gespräch. Die Wirkung derInformation schätzte er so ein: »Ich kann Ihnen sagen, daß sichalle sehr große Sorgen machten.« Die Abteilung für Wissenschaftund Technik hatte gerade eine streng geheime Einschätzung derweltweiten Verbreitung von Atomwaffen herausgebracht, undDuckett ließ eine Ergänzung verteilen, die in Geheimdienstkrei-sen als »Memo to Holders« bezeichnet wird. »Sie war sehr kurz«,erinnerte sich Duckett. »Die Schlußfolgerung lautete, sie [die Is-raelis] verfügen über Kernwaffen.«

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Zu dieser Schlußfolgerung hatte auch beigetragen, daß man inder CIA glaubte, die Israelis hätten etwas mit dem Verschwindenvon ungefähr neunzig Kilogramm waffenfähigen Urans aus derNuclear Materials and Equipment Corporation (NUMEC) zu tun,einer privaten Anreicherungsanlage in Apollo, Pennsylvania. DerEigentümer der Firma, Zalman Mordecai Shapiro, ein rechtgläubi-ger Jude mit engen Bindungen nach Israel, behauptete, der Uran-verlust - den Shapiro 1965 gemeldet hatte - sei ganz normal, eineunvermeidliche Nebenerscheinung des schwierigen Aufberei-tungsprozesses. Duckett und viele andere Geheimdienstler glaub-ten das nicht. Duckett gestand, er habe keine Beweise, daß Sha-piros Uran nach Israel gebracht worden sei, ging aber bei derErstellung des Ergänzungsberichts davon aus. »Ausgehend von ei-ner eher primitiven Technik hätte Israel mit dem Material vonShapiro vier Bomben herstellen können«, sagte Duckett, und inder ersten Fassung des Memorandums stand, es gebe neue Hin-weise darauf, daß Israel über drei bis vier Atombomben verfüge.Außer dem Hinweis Tellers und dem Verdacht gegen Shapiro hat-te die CIA wenig in der Hand, wie Duckett zugeben mußte. DieCIA hatte nicht klären können, ob Israel in Dimona eine unterir-dische chemische Wiederaufbereitungsanlage gebaut hatte. Beikeiner militärischen Befehlsstelle und keinem israelischen Ge-heimdienst war ihr die Infiltration gelungen. Kein einziger Israelimit Informationen über die Atomrüstung hatte seine Dienste denAmerikanern angeboten. Auch die National Security Agency mitihrer elektronischen Lauschausrüstung sei keine große Hilfe ge-wesen, berichtete Duckett. Allerdings hatte sie schon früh denHinweis geliefert, einige israelische Luftwaffenpiloten hätten dasAbwerfen von Bomben auf eine Weise geübt, die nur sinnvoll sei,wenn Atombomben abgeworfen werden sollten.Doch obwohl das Material spärlich war, wollte Duckett in seinemstreng geheimen schriftlichen Bericht darlegen, daß Israel eineAtommacht sei. Seine Einschätzung war mehr als heikel, undDuckett wußte das. Deshalb klärte er sie zuerst mit Dick Helmsab. Der CIA-Direktor verbot Duckett, den Bericht in irgendeinerForm zu veröffentlichen, und erklärte, er selbst werde die schlim-me Nachricht dem Präsidenten überbringen. Helms ging also mit

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den Duckett-Informationen ins Oval Office und überreichte siedem Präsidenten. Johnson war außer sich vor Wut, und forderteHelms auf, das Dokument zu vernichten: »Niemand sonst darf da-von erfahren, nicht einmal [Außenminister] Dean Rusk und [Ver-teidigungsminister] Robert McNamara.« Helms tat, wie ihm befoh-len, aber nicht ohne Beunruhigung: »Helms wußte, er würdeÄrger bekommen, wenn Rusk und McNamara erführen, daß erihnen die Informationen vorenthalten hatte.«3

Es kann kein Zweifel daran bestehen, warum Johnson Helms In-formationen vernichtet haben wollte. Er wollte nicht wissen, wasdie CIA ihm zu sagen hatte, denn wenn er diese Information zurKenntnis genommen hätte, wäre er zu einer Reaktion gezwungengewesen. Der Präsident hatte jedoch 1968 nicht mehr die Absicht,etwas gegen die israelische Bombe zu unternehmen, wie Helms,Duckett, Walworth Barbour, William Dale und sehr wenige ande-re in der US-Regierung allmählich begriffen.

Moshe Dayans Alleingang bei der Aufnahme der vollen Produk-tion in Dimona barg ein großes Risiko in sich. Ein atomar bewaff-netes Israel könnte den Atomwaffensperrvertrag nicht mehr un-terzeichnen, und als Folge würde Israel keine F-4-Flugzeuge vonder Regierung Johnson bekommen. In dieser Frage blieb dieBürokratie in Washington unerbittlich, besonders das Pentagonmit Clark Clifford, der Ende Januar Robert McNamara als Verte-idigungsminister abgelöst hatte. Clifford und seine Kollegen hat-ten keine Ahnung, welche Position der Präsident zum Thema Is-rael und Atomwaffensperrvertrag vertrat. Im Oktober 1968, einenMonat vor den Präsidentschaftswahlen, genehmigte Johnson denF-4-Verkauf offiziell, überließ jedoch die Einzelheiten über Liefer-datum und andere Modalitäten dem Verlauf der Verhandlungen.Paul C. Warnke, der für internationale Sicherheitsfragen zuständi-ge Abteilungsleiter im Verteidigungsministerium, erinnerte sich,daß er damals dachte, es könnte noch die »winzige Chance« be-stehen, Israel im Austausch gegen sofortige Lieferung zur Unter-schrift des Atomwaffensperrvertrages zu bewegen. »Das wäre dieSache wert gewesen«, sagte er und bewies damit seine sachli-chere Haltung zum Nahen Osten.

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Warnke bestellte Yitzhak Rabin zu sich, den neu ernannten is-raelischen Botschafter in Washington, und stellte ihm ein paarpeinigende Fragen über die Bombe - Fragen, wie sie Rabin of-fenbar von einem höheren amerikanischen Beamten noch niegestellt worden waren. »Ich wollte herausfinden, was sie tatsäch-lich hatten«, erinnerte sich Warnke, »und die Sache dann stop-pen.« Rabin war aus der Fassung gebracht und bat Warnke um<lie Definition einer Atomwaffe. »Ich sagte«, erzählte Warnke,»'Über eine Atomwaffe verfügt man, wenn man im einen Raumeine Abschußvorrichtung und im anderen Raum einen atomarenSprengkopf hat.<« Ein Berater Warnkes, Harry Schwartz, war beidem Gespräch anwesend und erinnerte sich an eine schroffeBemerkung Warnkes. »Herr Botschafter«, soll Warnke nachSchwartz gesagt haben, »wir sind über die Art und Weiseschockiert, wie Sie mit uns umgehen ... Sie als unser enger Ver-bündeter stellen hinter unserem Rücken Atombomben her.« Ra-bin soll das weiterhin bestritten haben.Der Botschafter war über dieses Gespräch natürlich erbost undleugnete später, daß über Atomwaffen geredet worden war. Inseinen 1979 veröffentlichten Memoiren stellte Rabin die Unterre-dung anders dar. Es sei hauptsächlich darum gegangen, daßWarnke als Bedingung für den Verkauf der F-4-Kampfflugzeugeauf dem Recht der USA bestanden habe, jede israelische Waffen-fabrik und jede Verteidigungseinrichtung, in der Forschung undEntwicklung betrieben wurden, vor Ort zu inspizieren. »MeineReaktion als Entsetzen zu beschreiben, wäre eine grobe Untertrei-bung«, schrieb Rabin. »Ich saß wie betäubt da und spürte, wie mirdas Blut zu Kopf stieg.« Nach dem Gespräch habe er bei denFreunden Israels im Kongreß und anderswo »lebhaft anticham-briert«, um Unterstützung für den F-4-Verkauf zu bekommen.Rabin streute nicht nur Hinweise aus. Er und Generalmajor Mor-decai Hod, der israelische Luftwaffen-Stabschef, sprachen mit ei-nem der wenigen Amerikaner, die den Präsidenten vielleicht um-stimmen konnten - Abe Feinberg. »Sie waren ganz aufgebracht«,erinnerte sich Feinberg. »Sie mußten sofort mit mir reden. 'Alles,was Sie wegen der Phantom-Jäger unternommen haben, ist nunnichts mehr wert. Clifford besteht auf dem Sperrvertrag.'« Fein-

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berg hatte sich ein paar Wochen zuvor privat mit Johnson undWalter Rostow getroffen und gehört, wie der Präsident erklärte, esgebe »keine Bedingungen« für den F-4-Verkauf. »Also ging ich ansTelefon«, sagte er, »rief im Weißen Haus an und verlangte Rostowzu sprechen.« Der Nationale Sicherheitsberater war bei Cliffordzum Essen, und Feinberg, der bei den Telefonistinnen im WeißenHaus wohlbekannt war, wurde dorthin durchgestellt. »Walt kaman den Apparat«, fuhr Feinberg fort, »und ich sagte: Walt, du undich und der Präsident haben uns doch unterhalten, und Johnsonsagte, es gebe keine Bedingungen.' Walt bestätigte das. Also sagteich: -Wenn du an den Tisch zurückgehst, sag das Clifford.'«Clifford erwähnt diesen Vorfall in seinen Memoiren Counsel to thePresident von 1991 nicht. Er telefonierte mit dem Präsidenten, derFeinbergs Darstellung bestätigte. Als Paul Warnke später zu einerKonferenz seiner Mitarbeiter kam, die alle dafür waren, den F-4-Verkauf an die israelische Unterschrift unter den Atomwaffen-sperrvertrag zu koppeln, zog er mit einer dramatischen Geste denFinger quer über seine Kehle. Der Sperrvertrag stand nicht mehrzur Debatte. Harry Schwartz erinnerte sich, wie Warnke den Dia-log zwischen Clifford und Johnson wiedergab:»Clifford rief Johnson an, und LBJ sagte: »Verkaufen Sie ihnen al-les, was sie wollen.« >Mr. President, ich möchte nicht in einer Weltleben, in der die Israelis Atomwaffen haben.« >Ich will davonnichts mehr hören.« Und Johnson legte auf.«Sehr ähnlich hatte sich Johnson am Anfang des Jahres gegenüberDick Helms verhalten.

In seinen Memoiren geht Präsident Johnson voller Stolz auf dieförmliche Zeremonie im Weißen Haus ein, bei der die VereinigtenStaaten, die Sowjetunion und mehr als fünfzig andere Staaten denAtomwaffensperrvertrag unterzeichneten. Der Vertrag, schreibt er,sei »das schwierigste und wichtigste ... Abkommen mit Moskau«gewesen, das während seiner Amtszeit ausgehandelt worden sei.Warum ließ er dann zu, daß die Israelis den Vertrag nicht unter-zeichneten und verkaufte ihnen die F-4-Bomber trotzdem? John-sons Entscheidung hatte mit Innenpolitik oder der starken jüdi-schen Lobby, die zu diesem Thema im Kongreß aktiv wurde,

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nichts zu tun: Nixon hatte die Präsidentschaftswahlen von 1968schon gewonnen, als das abrupt beendete Telefonat mit ClarkClifford stattfand. Es gibt auch keine Hinweise darauf, daß sichJohnson der israelischen Regierung wegen ihrer Unterstützungseiner Vietnampolitik verpflichtet fühlte; trotz dieser Unterstüt-zung waren die amerikanischen Juden in ihrer großen Mehrheitgegen den Vietnamkrieg. »1967 kam eines Tages ein ganzes Ru-del Rabbis zu mir und forderte mich auf, ich solle keinen einzi-gen Schraubenzieher mehr nach Vietnam schicken«, beschwertesich der Präsident Ende 1968 beim israelischen AußenministerAbba Eban, »aber andererseits sollten wir mit unseren sämtlichenFlugzeugträgern in die Straße von Tiran fahren, um Israel zu hel-fen.«Es gibt keine einleuchtende Erklärung dafür, warum Johnson sichweigerte, die israelische Atomrüstung zur Kenntnis zu nehmen.Mit dem Verkauf der F-4 hatte er Israel sogar ein Hochleistungs-flugzeug in die Hand gegeben, das eine Atombombe auf einemKamikazeflug bis Moskau tragen konnte. Johnson mußte das wis-sen. Vielleicht war es nur sein Abschiedsgeschenk an das israeli-sche Volk und seine Art und Weise, die Loyalität Abe Feinbergszu honorieren.Es steht außer Frage, daß Feinberg mit seiner zwanzigjährigenErfahrung als jüdischer Spendenbeschaffer und Lobbyist einenüberaus großen Einfluß auf Johnson ausübte. In der Johnson Li-brary existieren Dokumente, aus denen hervorgeht, daß auch fürdie höchsten Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates derGrundsatz galt, jedes von Feinberg angeschnittene Thema müssebehandelt werden. Ende Oktober 1968 zum Beispiel bekam Ro-stow von einem Berater des Weißen Hauses eine Notiz über dieisraelischen Presseberichte über das »Sperrvertrag-Phantom-Pro-blem ... nur damit Sie ein paar Fakten für ihre Gespräche mitFeinberg in der Hand haben ...«Die israelische Regierung belohnte Feinberg 1968 für seine Dien-ste mit dem Löwenanteil der Franchising-Rechte für die Abfüllungvon Coca-Cola in Israel - ein Geschäft, das bald viele MillionenDollar abwarf.4

Feinbergs Rolle als Spendenbeschaffer war im Weißen Haus ein-

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zigartig. Die Mittel wurden manchmal direkt Walter Jenkins über-geben (dem persönlichen Vertrauten des Präsidenten), oder an-deren politischen Beamten im Weißen Haus - nicht aber Vertre-tern der Demokratischen Partei. Andere Männer des jüdischenpolitischen Establishments wie Arthur Krim, New Yorker Anwaltund Präsident von United Artists, beschafften große Geldsummenfür die Demokratische Partei. Feinberg hatte einen anderen Sta-tus, wie sich Myer Feldman erinnerte, Johnsons Berater für jüdi-sche Angelegenheiten: »Abe beschaffte nur Bargeld, und wohines floß, wußte nur er.«Feinberg gestand, er habe eine Sonderrolle gespielt: »Viele Leutespendeten, soviel sie konnten, aber sie wollten nicht, daß diesöffentlich bekannt wurde. Deshalb arrangierten sie die vertrauli-che Übergabe von Cash. Das war oft sehr umständlich und wurdeunter vier Augen abgewickelt. Spenden zu beschaffen, kann einesehr demütigende Aufgabe sein. Leute, vor denen man keinerleiRespekt hat, können sich erlauben, einen wie Dreck zu behan-deln.« Feinbergs Sonderstatus wurde einigen Mitarbeitern desWeißen Hauses klar. Die Presse berichtete am 14. Oktober 1964,Walter Jenkins sei eine Woche zuvor in der Toilette eines Wa-shingtoner CVJM-Hauses wegen Anstiftung zur Homosexualitätfestgenommen worden. Die Festnahme erfolgte drei Wochen vorden Präsidentschaftswahlen von 1964. Johnson war in New York,als die Nachricht, die er hatte unterdrücken wollen, an die Öffent-lichkeit drang. Er sorgte dafür, daß er und andere aus dem Wei-ßen Haus sich von diesem skandalträchtigen Vorfall würdevoll di-stanzierten. Es galt jedoch, ein drängendes Problem zu lösen:Mindestens 250 000 Dollar in bar, die Feinberg gesammelt hatte,lagen in Jenkins' Safe und mußten herausgeholt werden. Johnsontelefonierte mit Feldman und befahl ihm und Bill Moyers, einemanderen Vertrauten und Redenschreiber des Präsidenten, Jenkins'Safe zu leeren. Feldman war von diesem Auftrag nicht überrascht:»Jenkins war der einzige, der über alles Bescheid wußte, was vorsich ging. Er hatte sich, seit Johnson in den Kongreß kam, vonallem Notizen gemacht - Berge von stenographischen Notizen.«Feldman wußte auch, daß Jenkins besonders in Fragen der natio-nalen Sicherheit Johnsons Vertrauen genoß. Was er und Moyers

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aDerdings nicht wußten, war, daß sie Feinbergs Kollekte findenwürden. »Bill sagte: -Was sollen wir damit tun?« Ich sagte: >Ich weißes nicht. Kümmere du dich drum."« Das Geld war in einer Akten-tasche.Als Moyers Anfang 1991 zu dem Vorfall befragt wurde, sagte er,er könne sich nicht mehr genau erinnern, aber er gab zu: »DieUmstände brachten mich zu der Annahme«, Jenkins unterhalte inseinem Safe ein privates Geldversteck. »Ich glaube, es war ein pri-vater Fonds. Damals wurde in Washington eine Menge Bargeldhin- und hergeschoben.«« Auf die Nachfrage, ob das Geld für denWahlkampf der Demokraten gedacht gewesen sei, sagte Moyers:»Das weiß ich nicht, und ich weiß auch nicht, was damit geschah.Wenn jemand nach Geld roch, wurde er immer zu Walter ge-schickt. Er war der Kontaktmann für die Spender, und er nahmseine Geheimnisse mit sich ins Grab.««Moyers ist heute durch das Fernsehen sehr bekannt. Er erinnertesich, daß er während Johnsons Präsidentschaft »von einem Mannaus North Carolina« aufgesucht wurde. »Er war von Walters Büro,da Walter gerade nicht da war, zu mir geschickt worden. Er hatteeine lederne Aktentasche dabei, die er in meinem Büro liegen-ließ. Als ich das merkte, schickte ich ihm schnell meine Sekretärinhinterher.« Der Mann wurde am Westeingang eingeholt, aber erwollte die Tasche nicht mitnehmen. Moyers: »Er sagte: >O nein,ich habe sie absichtlich dagelassen, für Jenkins und Moyers.< Ichhabe dann meiner Sekretärin gesagt, sie solle die Mappe zu Mil-dred [Walter Jenkins' Sekretärin] bringen.«Präsident Johnson, berichtete Moyers weiter, »wollte jede Gele-genheit nutzen. Er nahm Geld von Freunden wie von Gegnern,weil er einfach dachte, das System funktioniere eben auf dieseWeise. Entscheidungen wurden nicht durch das Geld beeinflußt,aber das Geld eröffnete uns Möglichkeiten.« Zu Feinbergs Rollebefragt, antwortete Moyers: »Ich war immer der Meinung, daßAbe Feinberg einen großen Einfluß auf Johnson ausübte; er spiel-te eine wichtige Rolle.«Harry Schwartz, Paul Warnkes Stellvertreter, der Anfang 1991starb, hatte besonderen Grund zur Enttäuschung darüber, daß dieRegierung Johnson Israel nicht zur Unterzeichnung des Atom-

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waffensperrvertrags bewegen konnte. Ein Jahr zuvor war zu sei-ner Verblüffung eine Gruppe israelischer Militärattaches in sei-nem Büro im Pentagon erschienen und hatte ihn um ein LABS(Low Altitude Bombing System) für Atombomben gebeten. Die-ses computergesteuerte Leitsystem errechnet die Zeit zwischenAbwurf und Zündung einer Atombombe, damit das Flugzeugnicht von der Explosion zerstört wird. »Ich habe sie einfach aus-gelacht«, erzählte Schwartz. Die Israelis wiesen auf die Verstär-kung der ägyptischen Armee hinter dem Sueskanal hin und be-tonten, das LABS werde nur gebraucht, um hochexplosiveBomben auf die ägyptischen Stellungen zu »kippen«. Schwartz:»Meine Antwort war: Jeder Amerikaner, der Ihnen für diesenZweck ein solches System verkauft, ist verrückt, und ich bin nichtverrückt.-«Am Anfang von Nixons Amtszeit fand eines Mittags ein privaterLunch unter Freunden mit Botschafter Rabin statt. Es war schoneinige Zeit nachdem die F-4-Lieferungen nach Israel begonnenhatten. Schwartz brachte das Gespräch auf die israelische Bombe.Israel behauptete offiziell immer noch, es existiere lediglich dieOption zum Bau von Atomwaffen: »Ich denke, Sie sollten so wei-termachen wie im Augenblick. Werfen Sie nie eine [Bombe] ab,denn sonst wird Ihre kleine Regierung verschwinden. Die Sowjetshaben Ihr Land garantiert im Visier.«»Mr. Schwartz«, antwortete Rabin nach einem Augenblick desNachdenkens seelenruhig, »halten Sie uns für verrückt?«

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15Der Tunnel

Ihre besten Leistungen haben die Israelis immer dann vollbracht,wenn kein Mensch sie wahrnehmen konnte.Zu den riesigen unterirdischen Laboratorien in Dimona gab esbereits beim jüdischen Kampf gegen die britische Mandatsmachtin Palästina eine Parallele. Die britischen Behörden hatten sichden Zorn David Ben Gurions und seiner Anhänger zugezogen,weil sie streng auf die Einhaltung der Beschränkungen achteten,die der jüdischen Einwanderung nach Palästina im Jahr 1939,nach dreijährigen arabischen Aufständen, auferlegt worden wa-ren. Damals hatte die britische Mandatsmacht verhindert, daßHunderttausende osteuropäischer Juden eine Zuflucht vor demHolocaust fanden. Nach dem Weltkrieg wurde nun den Überle-benden abermals die Chance verweigert, auf legalem Wege nachPalästina einzuwandern. Viele standen verzweifelt vor einem Di-lemma: Entweder dorthin zurückzukehren, wo sie vor dem Krieggewohnt und gelebt hatten (sofern von ihren Existenzen etwasübrig war), oder in den deprimierenden und überfüllten Lagernfür Verschleppte in Europa zu bleiben.Die zahlen- und waffenmäßig völlig unterlegenen Kämpfer derHaganah, der jüdischen Untergrund-Kampftruppe, mußten sichin dem Guerillakrieg gegen die britischen Truppen auf ihre Intel-ligenz und Entschlossenheit verlassen. Eine entscheidende Rollespielte eine besonders einfallsreiche Anlage, die als ganz norma-ler landwirtschaftlicher Kibbuz getarnt war. Er wurde 1946 unge-fähr zwanzig Kilometer außerhalb von Tel Aviv neben einem gro-ßen britischen Militärstützpunkt gebaut. Das Verwaltungsgebäudedes Kibbuz wurde wie zufällig ungefähr achthundert Meter ne-ben dem Stützpunkt errichtet.»Das ganze Ding diente nur der Täuschung«, erinnerte sich Abe

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Feinberg. Er war im Jahr zuvor von Ben Gurion »angeworben«worden, um Geld für diese und andere Guerillaoperationen zubeschaffen. Der Kibbuz verbarg eine unterirdische Fabrik, in derMunition für die Sten-Maschinenpistole hergestellt wurde, diewichtigste Waffe der Haganah. Das Metall für die Patronen war,getarnt als Lippenstifthülsen, nach Israel verschifft worden undhatte den britischen Zoll ohne Beanstandung passiert.Die unterirdische Fabrik war, sagte Feinberg, in siebenund-zwanzig Tagen »in den Boden geschaufelt« worden. Die Männerund Frauen, die unterirdisch arbeiteten, wechselten mit landwirt-schaftlicher Arbeit ab; nach einer Schicht in der Waffenfabrikmußten sich die Arbeitskräfte die Schuhe schmutzig machen undsich von UV-Lampen bestrahlen lassen, damit bei den Briten undanderen der Eindruck entstand, die Arbeiter hätten in aller Un-schuld Getreide angebaut oder die Kühe und Schafe des Kibbuzversorgt. In den nächsten zwei Jahren waren britische Soldatenund Offiziere - ohne Verdacht zu schöpfen - Dauerkunden derBäckerei und der Wäscherei des Kibbuz, wo ihnen diese Dienstebereitwillig angeboten wurden. Feinberg erinnerte sich, daß einpaar britische Soldaten sogar Freitag abends zu den Sabbat-Essendes Kibbuz kamen. Heute ist in der unterirdischen Munitionsfa-brik das Ayalon-Museum; es wird regelmäßig von israelischenSchulklassen besucht.

Die Wiederaufbereitungsanlage von Dimona stand etwa hundertMeter vom Reaktor entfernt und sah auf den ersten Blick wie eingewöhnliches Verwaltungsgebäude aus. Es war ein unauffälliges,zweistöckiges, fensterloses Haus mit einer Grundfläche von etwafünfundzwanzig mal sechzig Metern. In dem Gebäude waren eineKantine, Waschräume für die Arbeiter, ein paar Büros, Lagerräumeund eine Luftfilteranlage untergebracht. Das Gebäude hatte dicke,verstärkte Wände - in Anbetracht seiner Lage keine ungewöhn-liche Sicherheitsmaßnahme. Auch im Inneren war kein Hinweisdarauf zu entdecken, was rund vierundzwanzig Meter tief unterder gesamten Grundfläche des Gebäudes verborgen war: Einehochautomatisierte Wiederaufbereitungsanlage auf sechs Ebenen.Eine Wand mit Aufzugtüren im obersten Stockwerk wurde jedes-

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mal zugemauert, bevor ausländische Besucher, wie zum Beispieldas amerikanische Inspektionsteam unter der Leitung von FloydCuller, das Gebäude betreten durften. (In den sechziger Jahrenvermerkte Culler in seinen offiziellen Berichten, sein Team habe inDimona frisch verputzte und bemalte Wände bemerkt.) Es ist nichtbekannt, ob jemals ein Außenstehender die Wiederaufbereitungs-anlage betreten hat. Daß sie definitiv existiert, wurde erst 1986 be-kannt: Die Londoner Sunday Times veröffentlichte einen außerge-wöhnlichen Insiderbericht, der sich auf ausführliche Interviewsmit einem einunddreißigjährigen marokkanischen Juden namensMordecai Vanunu stützte.Vanunu kam im August 1977 als Techniker nach Dimona und ar-beitete die nächsten acht Jahre lang an verschiedenen Aufgabenin der Wiederaufbereitungsanlage, die den Beinamen »Tunnel«bekommen hatte. In der Wiederaufbereitungsanlage wurde mithoch radioaktiven Materialien gearbeitet. Sie war der Hochsicher-heitstrakt von Dimona. Nur 150 der 2700 Mitarbeiter arbeitetenhier. Für den Zugang war ein spezieller Passierschein erforder-lich, und jede Bewegung innerhalb der Anlage (sogar der Gangzur Toilette) konnte von Kameras überwacht werden. Er hatteständig Schwierigkeiten wegen seiner offen geäußerten proara-bischen Ansichten und wurde Mitte 1985 im Rahmen der Spar-maßnahmen der Regierung entlassen. Dagegen legte Vanunuüber seine Gewerkschaft Einspruch ein, und bekam prompt sei-nen Job wieder, weil die Gewerkschaften in Israel sehr mächtigsind. Nun schmuggelte er bei einer Nachtschicht eine Kamera indie Wiederaufbereitungsanlage, ging unentdeckt ungefähr vierzigMinuten lang herum und machte fünfundsiebzig Farbaufnahmen.Ein paar Wochen später wurde er wieder entlassen, weil er aufeiner Araberversammlung einen Palästinenserstaat gefordert hat-te. Auch dieses Mal konnte Vanunu, abermals mit Unterstützungseiner Gewerkschaft, vom Management in Dimona eine Abfin-dung und ein gutes Zeugnis erpressen.Eine Verquickung von Umständen - Unzufriedenheit mit seinemLeben, Kummer über diZ Behandlung der Araber in Israel, seinWissen über Dimona - trieb ihn zur Auswanderung nach Austra-lien und schließlich in die Redaktion der Sunday Times in Lon-

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don. Die Herausgeber und Reporter der Zeitung waren natürlichskeptisch gegenüber Vanunus Bericht über die Vorgänge in Di-mona. Die Fotos, die er gemacht hatte, gaben jedoch schließlichden Ausschlag, und er wurde für glaubwürdig gehalten. Aberauch bei den Gesprächen mit der Sunday Times wurde er vomMossad sorgfältig observiert, dessen Agenten enge Verbindungenzur Fleet Street unterhalten. Noch vor Veröffentlichung der Storyin der Sunday Times waren Abzüge von einigen sensationellenFotos in die Hände eines israelischen Geheimdienstagenten inLondon geraten. Er hatte sich als amerikanischer Zeitungsreportergetarnt. Die Bilder wurden per Kurier ins Büro von Premiermini-ster Shimon Peres geschickt. Peres beauftragte den Mossad, Va-nunu in London zu kidnappen und in israelischen Gewahrsam zubringen. Aus diplomatischen Gründen konnten sie Vanunu je-doch in England nicht entführen. Also wurde der einsame Vanu-nu von einer attraktiven Mossad-Agentin namens Cindy HaninBentov ein paar Tage vor der Veröffentlichung der Fakten vonLondon nach Rom gelockt. Einem Mitglied seiner Familie berich-tete Vanunu später, er sei in Rom mit einem Taxi in eine Woh-nung gebracht, dort unter Drogen gesetzt, dann per Schiff nachIsrael gebracht und dort vor Gericht gestellt worden. Zur Zeit sitzter in Israel eine achtzehnjährige Haftstrafe in einem Hochsicher-heitsgefängnis ab.Vanunus Interview mit der Times und seine Fotos der meistenProduktionseinheiten im Tunnel waren die ersten unwiderlegli-chen Beweise, daß Israel in der Lage war, nukleare Waffen herzu-stellen. Jetzt bekamen auch die amerikanischen Geheimdiensteumfassende Auszüge aus den Notizen, die bei dem Interview mitVanunu gemacht worden waren; diese Aufzeichnungen, die auchder Autor teilweise einsehen konnte, enthielten viel detailliertereAngaben über die inneren Abläufe von Dimona als das veröffent-lichte Material. Die höheren amerikanischen Beamten, darunterExperten der Atomwaffenproduktion und der Atomspionage, wa-ren einhellig der Meinung, die unveröffentlichten Vanunu-Noti-zen seien absolut glaubwürdig. Vanunu hatte auch eine Auf-schlüsselung der Funktionen jeder einzelnen Einheit im Tunnelgeliefert. Ein Geheimdienstmann, der sich seit Ende der sechziger

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Jahre mit dem Atompotential Israels befaßt hatte, meinte ver-blüfft: »Diese Produktionsstätte ist viel größer, als wir dachten.Das ist eine gewaltige Leistung.«Die umfassendste Analyse von Vanunus Aussagen und Fotoswurde von der Division Z durchgeführt, einer speziellen Aufklä-rungseinheit in den Livermore-Laboratorien. Die Experten geltenals Koryphäen auf dem Gebiet der Proliferation. Die Division Zist für die Analyse ausländischer Atomwaffenpotentiale zuständig(vor allem des sowjetischen). »In der Division Z wurde [nach Er-halt des Vanunu-Materials] nur noch über Zahlen diskutiert«, erin-nerte sich ein früherer Beamter des Weißen Hauses, der mit Pro-liferation befaßt war. Vanunu sagte gegenüber der Sunday Times,seiner Meinung nach belaufe sich das israelische Arsenal auf überzweihundert Sprengköpfe, eine erstaunlich hohe Zahl. Bis in dieachtziger Jahre hinein war man in der CIA und der Defense Intel-ligence Agency nur von vierundzwanzig bis dreißig israelischenSprengköpfen ausgegangen. »Nach allem, was die Division Zwußte«, ergänzte der Mitarbeiter des Weißen Hauses, »paßten sol-che Zahlen jedoch nicht zu dem, was man [auf Vanunus Bildern]sehen konnte.«Vanunus Material gab keine Hinweise auf zusätzliche Kühlkapa-zitäten für den Reaktor von Dimona. Der Ausstoß hätte für dieProduktion von Plutonium für zweihundert Sprengköpfe dra-matisch ansteigen müssen. Teile des Interviews wurden jedochnicht veröffentlicht und auch der Division Z nicht zur Verfügunggestellt. Darin erklärte Vanunu, im Reaktor seien neue Kühlkapa-zitäten gebaut worden, während er in Dimona angestellt gewe-sen sei.1 Amerikanische Proliferations-Experten hatten unabhän-gig davon im letzten Amtsjahr Präsident Carters erfahren, daß dieKühlkapazitäten in Dimona drastisch erhöht worden seien. Daswar eine weitere Bestätigung von Vanunus Glaubwürdigkeit undein Beweis dafür, daß der Reaktor auf höherem Niveau arbeitenund mehr Plutonium produzieren konnte.Vanunus Aufnahmen von Modellen der israelischen Atombom-ben, die offenbar im Maßstab l : l gebaut worden waren, interes-sierten die USA besonders.2 Kopien dieser Fotos wurden Waf-fenkonstrukteuren in den Laboratorien von Los Alamos und

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Livermore zur Auswertung und Analyse vorgelegt. Diese Fachleu-te rekonstruierten anhand der Fotos die israelischen Waffen.Auch mit sowjetischen Waffen war schon so verfahren worden.Die Fachleute kamen zu dem Ergebnis, Israel sei in der Lage, eineder höchstentwickelten Waffen des nuklearen Arsenals herzustel-len - eine Neutronenbombe mit niedrigen Detonationswerten.Solche Waffen bauten die Amerikaner schon seit Mitte der siebzi-ger Jahre. Neutronenbomben entfalten eine verstärkte Strahlungund eine relativ geringe Druck- und Hitzewelle, so daß in einembegrenzten Areal alles Leben vernichtet wird, Gebäude und Ma-schinen aber weitgehend intakt bleiben. Die Waffe ist im Grundeeine zweistufige thermonukleare Bombe, die nach dem Prinziparbeitet, die Freisetzung von Neutronen durch die Verschmelzungvon Tritium und Deuterium (beides Nebenprodukte des Wasser-stoffs) zu maximieren (statt durch Lithiumdeuterid).Vanunus Material half den amerikanischen Fachleuten auch da-bei, die Entwicklung des israelischen Atomwaffenarsenals zu-rückzuverfolgen. Vanunu berichtete zum Beispiel, im Tunnel ha-be die Einheit 92 seit den sechziger Jahren sehr sorgfältig Tritiumaus schwerem Wasser extrahiert, was darauf hindeutet, daß diePhysiker von Dimona - getreu Levi Eschkols Forderung nach be-schleunigter Forschung - sich gleich nach Aufnahme der Produk-tion in Dimona darum bemühten, »Atombomben der zweiten Ge-neration« zu bauen. Die USA begannen Anfang der fünfzigerJahre, mit diesem Verfahren zu experimentieren. Eine dramati-sche Steigerung der Zerstörungskraft einer einstufigen Spaltungs-bombe ist die Folge. Vanunu berichtete der Sunday Times weiter,er sei 1980 nach einem Auslandsurlaub zur Arbeit in einer neuenProduktionsanlage für Lithium-6 eingeteilt worden, einem weite-ren wichtigen Bestandteil der Wasserstoffbombe. 1984 sei danneine neue Anlage (Einheit 93) zur Produktion von Tritium in gro-ßem Maßstab in Betrieb genommen worden.

Nach der Beschreibung Vanunus (der Autor hat sich diese Infor-mationen in späteren Interviews mit israelischen Beamten bestä-tigen lassen) besteht Dimona aus dem Reaktor und damals min-destens acht anderen Gebäuden, von denen die chemische

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Wiederaufbereitungsanlage das wichtigste ist. Jeder Trakt arbeitetunabhängig von den anderen. Die silberne Kuppel des großenReaktors hat dreißig Meter Durchmesser und ist von der nahenAutobahn gut sichtbar. Die Uranbrennstäbe bleiben drei Monatelang im Reaktor, der von schwerem Wasser gekühlt und mode-riert wird. Das schwere Wasser selbst wird von gewöhnlichemWasser gekühlt. Dieses fließt durch einen Wärmetauscher, wobeiDampf entsteht, der - in einem normalen Kernkraftwerk - eineTurbine antreiben und Elektrizität herstellen würde. In Trakt l je-doch wird der Dampf in die Atmosphäre abgelassen, wobei eineradioaktive Wolke entsteht.3 Trakt 2 ist die chemische Wiederauf-bereitungsanlage. In Trakt 3 wird Lithium-6 in einen Festkörperumgewandelt, damit es in einen Atomsprengkopf eingebrachtwerden kann, und Natururan wird für den Reaktor aufbereitet.Trakt 4 ist eine Anlage zur Behandlung des radioaktiven Abfallsaus der chemischen Wiederaufbereitungsanlage in Trakt 2. InTrakt 5 werden die Uranbrennstäbe aus Trakt 3 mit Aluminiumumhüllt, bevor sie im Reaktor verbraucht werden. Wenn dieBrennstäbe einmal in den Reaktorkern eingebracht sind, liefernsie den Brennstoff, der für eine Kettenreaktion notwendig ist, undfangen waffenfähige Plutoniumisotope ein. In Trakt 6 werdengrundlegende Dienstleistungen erbracht und die Energieversor-gung geregelt. In Trakt 8 ist ein Labor zum Testen von Probenund zum Experimentieren mit neuen Fertigungsprozessen; hiersitzt auch die Spezialeinheit 840, in der israelische Wissen-schaftler eine Methode der Gaszentrifugierung zum Anreichernvon Uran für militärische Zwecke entwickelt haben. Auch inTrakt 9 gibt es eine Wiederaufbereitungsanlage zur Anreicherungvon Uran. Abgereichertes Uran (mit einem sehr geringen AnteilUran-235) wird in Trakt 10 chemisch isoliert und an die israeli-schen Streitkräfte geliefert oder an europäische oder andere Waf-fenhersteller verkauft. Es wird bei Geschossen, bei Bomben oderArtilleriegranaten verwendet. Uran hat ein erheblich höheres spe-zifisches Gewicht als Blei, und Geschosse, die damit »beschwert«sind, haben aufgrund ihrer höheren Masse auch eine größereDurchschlagskraft. Solche konventionellen Geschosse durch-schlagen dicke Panzerplatten und spielen in modernen Waffenar-

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senalen eine große Rolle.4 Die wichtigste Anlage von Dimona istnatürlich die Wiederaufbereitungsanlage in Trakt 2, wo Vanunudie meiste Zeit arbeitete. Hier wird das Plutonium, ein Nebenpro-dukt des Spaltungsprozesses im Reaktor, mit chemischen Mittelnaus den abgebrannten Uranstäben herausgelöst. Das restlicheUran wird dann wiederaufbereitet und für die Wiederverwen-dung in neuen Brennstäben vorbereitet. In den sechs unterirdi-schen Ebenen des Tunnels gibt es mindestens neununddreißigseparate Einheiten, deren wichtigste die Produktionshalle ist, wodie abgebrannten Uranstäbe wiederaufbereitet werden. Vor derWiederaufbereitung jedoch müssen die Stäbe wochenlang inwassergefüllten Tanks gekühlt werden; dadurch wird ihre Radio-aktivität auf weniger als ein Tausendstel reduziert. Aber selbstdann noch ist die radioaktive Strahlung der Stäbe tödlich, wes-halb sie immer mit Fernbedienung und hinter einer Bleiabschir-mung bewegt werden. Die Produktionshalle des Tunnels er-streckt sich unterirdisch von Ebene l bis Ebene 4. Die Arbeit dortwird von einer großen Steuerungszentrale aus überwacht. Dazugehört auch ein Beobachtungsbereich, der von den Technikern»Goldas Balkon« genannt wird - als Reaktion auf die häufigenBesuche Golda Meirs in Dimona, nachdem sie 1969 Premiermini-sterin geworden war. Laut Vanunu wurden pro Woche durch-schnittlich neun »Knöpfe« aus reinem Plutonium mit zusammen1,2 Kilogramm Gewicht produziert.Das Plutonium wird maschinell in einem abgeschirmten Bereichin Ebene 5 hergestellt, dem einzigen Stockwerk des Tunnels, zudem Vanunu keinen Zutritt hatte. Schließlich beschaffte er sichaber einen Schlüssel und fand eine Reihe separater Räume - ausSicherheitsgründen voneinander isoliert -, wo das waffenfähigePlutonium, jetzt in Metallform, in versiegelten und mit Argon, ei-nem Schutzgas, gefüllten Handschuharbeitskästen lagert. DieHandschuharbeitskästen sind so konstruiert, daß die Technikeraußerhalb des »heißen« Bereichs stehen und ferngesteuerte robo-terähnliche Vorrichtungen von Hand bedienen können, um diePlutoniumkügelchen in mikroskopisch kleine Halbkugeln zu for-men, die dann in die Atomsprengköpfe eingebracht werden.Auch andere Chemikalien, die im israelischen Atomwarrenarsenal

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benötigt werden (Lithiumverbindungen, Beryllium u. a.), werdenin Ebene 5 maschinell hergestellt. Solche Arbeiten erfordern erst-klassige Präzisionsgeräte: Jeder mikroskopisch kleine Fehler ander inneren Oberfläche eines Bombenkerns kann eine deutlicheVerminderung der Detonationswirkung oder einen »Blindgänger«zur Folge haben. Die zulässigen Toleranzen sind für einen Au-ßenstehenden nur schwer verständlich: Die Halbkugel eines ame-rikanischen Plutoniumsprengkopfs zum Beispiel darf von ihrervorgeschriebenen Dicke um keine fünf Zehntausendstel einesZolls abweichen - das ist ungefähr ein Sechstel des Durchmesserseines Menschenhaares.Wenn die Waffenteile fertig sind, werden sie von bewachten Au-tokonvois ohne Kennzeichen in eine andere Fabrik im Nordendes Landes gefahren, die Vanunu niemals gesehen hat. Dort wer-den sie zu Sprengköpfen zusammengesetzt. Israelische Beamtehaben mir berichtet, die Endmontage der Sprengköpfe werde ineiner militärischen Anlage nördlich von Haifa gemacht, die vonRafael betrieben würde, der streng geheimen israelischen For-schungs- und Produktionsagentur, die für Israels geheime Waffenzuständig ist.Laut Vanunu blieb der Tunnel an vierunddreißig Wochen im Jahrrund um die Uhr in Betrieb. Von Juli bis November wurde erdann für routinemäßige Instandsetzungs- und Reparaturarbeitengeschlossen. Amerikanische Atomfachleute, die Vanunus Berichtgelesen hatten, meinten, in Dimona werde abgebranntes Uranüberwiegend mit Routinemethoden wiederaufbereitet. Die indu-striellen Lösemittel und Lösungen, die von den Israelis benutztwerden, sind die gleichen, die auch in der Anlage von SavannahRiver in Aiken (South Carolina) zum Einsatz kommen, wo seitMitte der fünfziger Jahre die modernsten Schwerwasser-Produk-tionsreaktoren in Betrieb sind.Erstaunlich war allerdings der Umfang der israelischen Tätigkeit.Wenn Vanunus Berichte über die Kapazitäten der Plutonium-Wie-deraufbereitung der Wahrheit entsprechen - eine kontinuierlicheProduktion von 1,2 Kilogramm pro Woche -, dann könnte der Re-aktor Material für vier bis zwölf oder mehr Bomben pro Jahr lie-fern. Die definitive Zahl hängt von der Konstruktion der Spreng-köpfe ab. Außerdem müßte der Reaktor 120 bis 150 Megawatt lei-sten, mehr als das Fünffache seines offiziellen Ausstoßes, und jähr-lich fast 100 Tonnen Uranerz verbrauchen.5 Einige amerikanische

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Experten glauben, Vanunus Angaben könnten Spitzenwerte seinund nicht der durchschnittliche Ausstoß, obwohl sie nicht an derGlaubwürdigkeit seiner Aussagen zweifeln. Doch selbst unter derAnnahme einer verminderten Produktion könnte Dimona immernoch jährlich 16 bis 20 Kilogramm waffenfähigen Plutoniums her-stellen; das wäre genug für vier bis fünf Sprengköpfe.

Die amerikanischen Experten waren besonders vom unterirdi-schen Standort und der ausgeklügelten Konstruktion der Wieder-aufbereitungsanlage von Dimona beeindruckt. »Sie müssen ver-stehen«, erläuterte ein Amerikaner, »daß Trakt 2 so raffiniert ist,weil es so >heiß< ist. Die Radioaktivität ist außerordentlich hoch.Man braucht meterdicke Bleiwände, Leute in Schutzanzügen, Ro-boter. Man muß höllisch vorsichtig sein, damit das Ganze geheimbleibt. Also geht man tief nach unten.» Dadurch wiederum erhöh-ten sich die Kosten für Lüftungsschächte, Ansaugrohre und Ven-tilatoren, von den normalen Baukosten ganz zu schweigen.Die unterirdische Bauweise brachte auch enorme Konstruktionsri-siken mit sich, die nur durch meisterhafte Planung und erstklassi-ges Expertenwissen bewältigt werden konnten. Die Konstrukteurezum Beispiel, die für die amerikanische Atomenergiekommissiondie Anlage von Savannah River in South Carolina bauten, setztendie dicken, bleibewehrten Türen, die die Belegschaft schützten,auf speziell gefertigte bewegliche Schlitten. Die Türen werden vonferngesteuerten Motoren geöffnet und geschlossen. »Wir haben dieTüren nicht oft genug bewegt«, erzählte der Amerikaner, »und dieSchlitten wurden flachgedrückt. Die Türen waren zu schwer; wirhaben einfach die physikalischen Verhältnisse falsch eingeschätzt.Wir mußten die ganze Anlage abschalten und die Türen ersetzen.Wir haben das vorher nicht getestet, weil wir einfach nicht darandachten.«Der Beamte war der Meinung, es sei durchaus möglich, daß dieIsraelis von Anfang an solche Probleme vermeiden wollten, undzu diesem Zweck die Anlage von Savannah River in den USA

ausspioniert hatten. »Eine solche Information ist nicht streng ge-heim - es ist stupides Zeug, das eben gemacht werden muß.Aber diese Art von -Spionage« ist entscheidend, wenn man nicht

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das Rad noch einmal erfinden will. Alles, was man darüber her-ausfinden kann, was andere gelernt haben, bringt einen gleichein ganzes Stück weiter.« Beauftragt war Binyamin BlumbergsBüro für Spezialaufgaben, das Mitte der siebziger Jahre als dasLAKAM bekannt wurde (Verbindungsbüro des israelischen Pre-mierministers für Fragen wissenschaftlicher Beziehungen). Blum-bergs Agenten waren auf der ganzen Welt im Einsatz, sammeltenjede verfügbare technische Information und gründeten in Euro-pa und Lateinamerika Briefkastenfirmen, über die sie von denAmerikanern High-Tech-Geräte kauften, die nach Israel nicht ex-portiert werden durften.Ein weiterer hochempfindlicher Bereich war die Robotertechnik.Das erste Anwendungsgebiet für Roboter waren die Laboratorienmit »heißen Waffen« in den USA, in denen Menschen nicht arbei-ten konnten. Die erforderliche Genauigkeit bei der Bearbeitungund Anordnung der dünnen Plutoniumhalbkugeln für Atomwaf-fen der zweiten Generation erzwang auf dem Gebiet der Fern-steuerung enorme Fortschritte. Aharon Katzir (früher Katchalsky)wurde wie Ernst Bergmann eine geistige Stütze der israelischen' Atomenergiekommission. Für seine Forschungen auf dem Gebietder Robotertechnik am Weizman-Institut wurde er weltberühmt.Katzir erschien mit seinen Forschungsapparaturen sogar am3. Dezember 1966 auf dem Titelbild des Saturday Review Maga-zine; der Artikel trug den Titel: »Der erste Roboter mit Muskeln.«Er berichtete über Katzirs Pionierleistungen beim Umwandelnvon chemischer Energie in Bewegungsenergie. Katzirs Team amWeizman-Institut konzentrierte sich auch auf die Entwicklungkünstlichen Muskelgewebes für den Bau von Robotern. SeineProjekte wurden vom Büro der US-Luftwaffe für wissenschaft-liche Forschung finanziell massiv gefördert; das Hauptinteresseder Luftwaffe galt dem Einsatz von Robotern bei der Weltraum-forschung. Die Verantwortlichen bei der Air Force hatten keineAhnung davon, daß sie damit auch einen Beitrag zur Weiterent-wicklung des israelischen Atomwaffenarsenals leisteten; außer-

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dem wußten sie nicht, daß Katzir hauptsächlich in Dimona arbei-tete und nicht am Weizman-Institut.Vanunus Enthüllungen waren die Bestätigung des lang gehegtenVerdachts vieler amerikanischer Geheimdienstler, daß Israel sei-ne hochentwickelten thermonuklearen Waffen (die alle miniaturi-siert werden mußten, damit sie in Bomben und Raketenspreng-köpfe paßten) heimlich getestet hatte. Sollte dies wider Erwartennicht der Fall gewesen sein, dann mußten sich die Israelis die Er-gebnisse der amerikanischen Tests auf illegalem Weg beschaffthaben. »Wir haben [im unterirdischen amerikanischen Testgelän-de in Nevada] in der Regel zehn bis zwölf Tests benötigt, bis wirdie nötigen Daten hatten«, erklärte ein Waffenexperte. »Warumkonnten sie so viel Geld (für die unterirdische Wiederaufberei-tungsanlage) ausgeben, ohne Tests durchzuführen? Alle Datenhätten hundertprozentig gesichert sein müssen. Man kann sichbei so etwas einfach keine Fehler leisten.«Trotz solcher Kommentare gibt es keine eindeutigen Beweise da-für, daß Israel zum Bau seiner Atomwaffen auf ausländische Hilfeangewiesen war. Dr. George Cowan hat mehr als zwanzig Jahremit der Konstruktion von Kernwaffen in Los Alamos verbracht. Erbestätigt, es habe immer eine enge Verbindung zu israelischenPhysikern aus dem Weizman-Institut bestanden. »Sie haben sichdie Laboratorien [von Los Alamos und Livermore] angesehen undwurden wahrscheinlich mit größerer Offenheit behandelt als an-dere Besucher; aber das vielbeschworene Geheimnis, das ihnenniemand hätte verraten dürfen, wird hochgespielt«, sagte Cowan.»Die Israelis sind intelligent genug für eigene Forschung. Die Be-deutung der technischen Spionage ist im wesentlichen eine Erfin-dung von Agententhrillern. Davon hängt in Wirklichkeit viel we-niger ab, als man gemeinhin glaubt.« Wie viele Wissenschaftler inden amerikanischen Kernlaboratorien hat Cowan einen guten is-raelischen Freund, der mit Dimona zu tun hatte: »Er hat mir imLauf der Jahre keine einzige Frage zur Bombe gestellt.« Ähnlicheswußte der Physiker und Nobelpreisträger Hans Bethe zu berich-ten, der an der Entwicklung der ersten amerikanischen nuklearenund thermonuklearen Waffen mitgearbeitet hatte. Dreimal sei erim Weizman-Institut zu Besuch gewesen; seine Gastgeber »führ-

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ten mich überaD herum und diskutierten über alles mit mir. Siewußten genau, daß ich mich für Kernreaktoren interessierte,doch bezeichnenderweise boten sie mir niemals einen Besuch inDimona an.«

Nach den erschreckenden Enthüllungen Vanunus, die Washing-ton auf spektakuläre Weise den Beweis für eine israelische Wie-deraufbereitungsanlage lieferten, gab es nur einen Trost für dieamerikanischen Geheimdienste: Der außerordentliche Planungs-aufwand, der in Dimona betrieben wurde, mußte den höherenBeamten in der israelischen Befehlshierarchie unbegreiflich blei-ben. »Es ist unwahrscheinlich«, sagte ein Experte, »daß die Köpfeder israelischen Regierung wirklich verstanden«, was in Dimonavor sich ging - genausowenig wie die amerikanischen Geheim-dienste es verstanden hatten.Zumindest in diesem Punkt hatten die amerikanischen Expertenrecht. Shimon Peres gab Freunden gegenüber zu, er habe wäh-rend der Anfangsphase in Dimona oft Beschaffungsverfügungenim Namen der Regierung Ben Gurion unterschrieben, ohne ge-nau zu wissen, was er da eigentlich genehmigte.

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16Vorspiel zum Krieg

Israel hätte zu keinem passenderen Zeitpunkt als 1969 den Statuseiner vollwertigen Atommacht erreichen können: Am 20. Januar1969 trat Richard Nixon sein Amt als amerikanischer Präsident an.Sein Sicherheitsberater war Henry Kissinger, und beide Männerwaren davon überzeugt, Israels nuklearer Ehrgeiz sei gerechtfer-tigt und verständlich. Kaum im Amt, setzten sie ihre Überzeugungin die Tat um.Auch in ihrer negativen Beurteilung des Atomwaffensperrver-trags von 1968, den Lyndon B. Johnson in der Öffentlichkeit soglühend verteidigt hatte, waren sich die beiden Politiker einig.Mitten im Wahlkampf gegen Vizepräsident Hubert Humphreybrachte Nixon die Befürworter der Rüstungskontrolle fast zur Ver-zweiflung. Er drängte den Senat, die Ratifizierung des Sperrvertra-ges bis nach den Wahlen hinauszuschieben. Ein paar Tage spaterging er noch weiter: Vor Journalisten sagte er in Charlotte, NorthCarolina, besonderen Kummer mache ihm, daß der Sperrvertragden Transfer von »nuklearen Verteidigungswaffen« (also von Mi-nen oder antiballistischen Raketensystemen) an Nicht-Atommäch-te verbiete. Die Befürworter der Rüstungskontrolle in der Regie-rung nahmen dann aber Anfang Februar 1969 mit Erleichterungzur Kenntnis, daß Nixon den Senat formell aufforderte, den Ver-trag anzunehmen. Dann stellte er bei einer Pressekonferenz fest,er werde sein Bestes tun, auch Frankreich und die Bundesrepu-blik Deutschland - die Vorbehalte gegen den Vertrag geltendmachten - zur Unterzeichnung zu bewegen: »Ich werde meineAuffassung klarstellen: Eine Ratifizierung des Vertrages durch alleNationen, ob sie nun Atomwaffen haben oder nicht, liegt im In-teresse des Friedens und der weltweiten Limitierung von Atom-waffen.«

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Nur wenige Regierungsangehörige wußten allerdings, daß Nixonund Kissinger gleichzeitig einen vertraulichen Präsidentenerlaßan die Administration geschickt hatten, in dem sie alles zurück-nahmen, was sie öffentlich gesagt hatten. In dem Geheimdoku-ment (Akte NSDM Nr. 6; Entscheidungsmemorandum zur Natio-nalen Sicherheit), war zu lesen, es sollten »keine Maßnahmender US-Regierung ergriffen werden, andere Nationen, insbeson-dere die Bundesrepublik Deutschland, [zur Ratifizierung desSperrvertrages] zu drängen. In der Öffentlichkeit sollte sich dieRegierung optimistisch dazu äußern, daß andere Länder denVertrag unterzeichnen oder ratifizieren würden, während sie sich[auf diplomatischer Ebene] klar von jedem Versuch distanzierensollte, diese Länder zum Unterzeichnen oder Ratifizieren zudrängen.«»Es war ein abrupter Kurswechsel in der amerikanischen Politik«,erinnerte sich Moiton Halperin, damals Kissingers engster Mitar-beiter aus dem Nationalen Sicherheitsrat. »Henry dachte, es seigut, Atomwaffen in der ganzen Welt zu verbreiten. Ich hörte ihnsagen, an Israels Stelle würde er sich Atomwaffen besorgen. Erwar der Ansicht, die Vereinigten Staaten sollten nicht versuchen,den Israelis das auszureden.« In den ersten Monaten des Jahres1969 sagte Kissinger zu seinen Mitarbeitern, Japan und Israel wä-ren mit der Bombe in einer besseren Situation als ohne. SeinerÜberzeugung nach waren Atomwaffen für die nationale Sicher-heit beider Länder ausschlaggebend. Kissinger habe in erster Li-nie pragmatisch gedacht, fügte Halperin hinzu: Die meisten grö-ßeren Mächte würden irgendwann über Atomwaffen verfügen,und die USA könnten am meisten davon profitieren, wenn sie siedabei unterstützten, statt nutzlose moralische Übungen wie denSperrvertrag zu machen.

In der israelischen Führung war durchaus bekannt, daß Kissingerdem israelischen Atomwaffenprogramm gewogen war, was er jaauch 1968 im Haus General Elad Peleds gesagt hatte. Ein offenesSignal für den veränderten Standpunkt der US-Regierung ließnicht lange auf sich warten. 1969 wurde beschlossen, die seit1962 von Floyd Culler durchgeführten Inspektionen in Dimona

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nicht fortzusetzen. Die amerikanischen Befürworter der Rü-stungskontrolle hatten diese Inspektionen immer im Prinzip fürwichtig, aber in der Praxis für recht nutzlos erachtet; dennochwurden sie unter Johnson unverändert durchgeführt. Israel lehntedie Inspektionen als Einbruch in seine Souveränität ab. Schließ-lich wurde befürchtet, Culler oder einer seiner Mitarbeiter werdetatsächlich etwas Verdächtiges finden, besonders, nachdem Endeder sechziger Jahre in Dimona die Produktion der Sprengköpfe invollem Umfang aufgenommen worden war.Johnson hatte in letzter Minute entschieden, Israel die heißbe-gehrten F-4-Kampfflugzeuge zu verkaufen, ohne - wie es dasAußen- und das Verteidigungsministerium gewünscht hatten -an die Waffenlieferung die Ratifizierung des Sperrvertrages zukoppeln. Seitdem erschien einigen Amerikanern die Inspektionim Jahre 1969 vollkommen sinnlos. »Cullers Team kam an einemSamstag und blieb nur ein paar Stunden«, schilderte der verstor-bene Joseph Zurhellen eine solche Inspektion. Zurhellen wardamals der Stellvertreter des Botschafters Wally Barbour in TelAviv. »Man kann nicht einfach hineingehen und quasi eine Füh-rung mitmachen. Man muß sich schon sehr anstrengen, wennman feststellen will, was in einem Reaktor vorgehen könnte.«Zurhellen machte sich über den Zweck von Dimona keine Illu-sionen: »Die Franzosen hatten uns Sand in die Augen gestreut,und die Israelis genauso.- In einem Memorandum an Washing-ton wies er besonders darauf hin, welche Wirkung die Inspek-tionen auf die öffentliche Meinung hätten: Die Israelis -könnensich darauf berufen, daß unsere Inspektionen bewiesen hätten,Dimona sei >clean<. In Wahrheit beweisen sie überhaupt nichts.«Solche Einwände waren auch schon von anderer Seite geäußertworden.Jetzt schien es für Washington opportun, mit der Scharade aufzu-hören. Die Inspektionen wurden eingestellt und nie wiederaufge-nommen, denn die Regierung Nixon hatte ein Grundsatzurteil ge-fällt, das der amerikanischen Politik die nächsten zwei Jahrzehntelang zugrunde liegen sollte: Israel war eine Atommacht, und dieUSA konnten und wollten daran nichts ändern.

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Die neue Politik setzte sich in der Administration rasch durch. DieBeamten reagierten, wie in Bürokratien üblich: Sie führten mehroder weniger widerwillig Befehle aus. Charles Van Doren, der alsBerater in der Rüstungskontroll- und Abrüstungsbehörde der Re-gierung Nixon arbeitete, glaubte, daß Israel die »Achillesferse« deramerikanischen Sperrvertrags-Politik sei: »Wir haben Israel gegen-über einfach ein Auge zugedrückt.« Van Doren hat neunzehn Jah-re im Bereich Rüstungskontrolle gearbeitet. Er erinnert sich, wieer unter Nixon und Kissinger mehrfach versuchte, »den Sperrver-trag auf die Tagesordnung von Gesprächen über den NahenOsten zu bringen, aber mir wurde mitgeteilt, dafür habe man jetztkeine Zeit«. Er begriff natürlich den wahren Grund für diese Ab-stinenz: »Es war eine Anweisung ergangen, keine Informationenüber die israelische Atombewaffnung herauszulassen. Das war al-les sehr frustrierend.«1

Die Duldung der atomaren Bewaffnung Israels durch Nixon undKissinger hatte auch Auswirkungen in der Berichterstattung derPresse. Im Juli 1970 gelangte der Geheimbericht Carl Duckettsüber die Atomwaffen Israels, der anfänglich 1968 von LyndonJohnson und später von Richard Helms unterdrückt worden war,schließlich in die Schlagzeilen der New York Times - und nie-mand kümmerte sich darum. Die Story der Times, geschriebenvon ihrem Washingtoner Korrespondenten Hedrick Smith, infor-mierte die amerikanische Öffentlichkeit zum ersten Mal darüber,wie die CIA das israelische Nuklearpotential einschätzte. Der er-ste Satz des Artikels lautete: »Seit mindestens zwei Jahren be-treibt die US-Regierung ihre Nahost-Politik in dem Wissen, daßIsrael entweder eine Atombombe besitzt oder über Einzelteileverfügt, die sich rasch zu einer Bombe zusammenbauen lassen.«Smith beschrieb auch Israels Fortschritte bei der Entwicklungdes Jericho-I-Raketensystems und wies auf die Fabrik für festeTreibstoffe und Raketentriebwerke in der Nähe von Tel Aviv hin.Smith hatte zwei Jahre lang versucht, den Artikel in der Times zuveröffentlichen, was ihm aber nicht gelungen war, weil »meineBeweise nicht ganz schlüssig waren«. Im Juli sagte dann StuartSymington, ein demokratischer Senator aus Missouri, bei einemsonntäglichen Fernsehauftritt, es sei »keine Frage, daß Israel gro-

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ße Anstrengungen unternimmt, Atomwaffen zu entwickeln«.Dies war der geeignete Aufhänger, und Smith durfte seine Storyein paar Tage später veröffentlichen. Er hatte Erfahrung mit Ar-tikeln über diplomatische Skandale und rechnete deshalb damit,daß der Artikel bei den restlichen Medien und beim Kongreßviel Wirbel machen würde. Es geschah jedoch nichts. »Ich warsprachlos«, sagte Smith. »Niemand fragte danach, keine Presse-agentur bemühte sich darum.« Auch die Konkurrenten der Timesrührten sich nicht; sie waren nicht in der Lage, den Artikel zubestätigen. »Ich hatte das Gefühl, allen meilenweit voraus zusein«, sagte Smith. Wer sich allerdings bei dem Reporter meldete,war die israelische Botschaft in Washington; Smith traf sich mitdem »sehr erbosten« Botschafter Yitzhak Rabin. »Er beharrte aufseiner Standardaussage, daß Israel die Atombombe nicht zu ei-nem Erstschlag einsetzen würde«, sagte Smith. Direkt gefragt, ober den Inhalt der Reportage bestreiten wolle, habe Rabin ge-schwiegen.Mitte 1971 führte die duldsame Haltung des Weißen Hauses ge-genüber der israelischen Bombe dazu, daß sogar die Beamten,die den Export heikler Materialien überwachten, ein Auge zu-drückten. Glenn Cella, ein Offizier im auswärtigen Dienst, war indiesem Sommer im Außenministerium für politisch-militärischeAngelegenheiten im Zusammenhang mit Israel zuständig; fernerwar er der Vertreter des Ministeriums in der Middle East TaskForce, einer Vermittlungsgruppe, deren Hauptaufgabe es war, dieAusführung der amerikanischen Beschlüsse zum Waffentransferzu überwachen. Cella hatte schon in Marokko, Algerien undÄgypten gedient. Er stellte bald Fragen zur israelischen Bombeund erfuhr von Ducketts unterdrücktem Geheimbericht. Außer-dem wurde ihm eröffnet, falls Druck auf Israel zur Einstellung sei-nes Atomwaffenprogramms ausgeübt werden sollte, dürften sichdie Task Force oder das Außenministerium keinesfalls an denPressionen beteiligen. Israel bemühte sich damals um die soforti-ge Lieferung weiterer F-4-Flugzeuge, und die Abteilunug Nach-richtendienst und Forschung (INR) des Außenministeriums wardamit beauftragt worden, eine Studie über das militärischeGleichgewicht im Nahen Osten zu erstellen. Doch zu Gellas Kum-

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mer wurden in der fertigen Studie die israelischen Kernwaffenmit keinem Wort erwähnt. »Ich dachte, wir sollten der Tatsacheins Auge sehen, daß sie die Bombe hatten«, sagte Cella, »aber nie-mand durfte darüber reden.« Ein paar Monate später erfuhr Cella,daß die Israelis Kryotronen kaufen wollten. Der Export wurdevom Vertreter des Pentagon in der Task Force routinemäßig ge-nehmigt. Kryotronen, wurde Cella auf Anfrage mitgeteilt, sindempfindliche elektronische Schaltelemente, die in frühen Rechen-automaten verwendet wurden. »Ich rief [den Vertreter des Penta-gon in der Task Force] an und erfuhr, daß man diese Dinger beiHechingers [einer großen Baumarkt-Kette in Washington] kaufenkönne«, berichtete Cella. »Man sagte mir nicht, daß es sich um ei-nen entscheidenden Bestandteil der nuklearen Waffentechnikhandelt. Dann fand ich heraus, daß man mit Kryotronen Atom-bomben zünden kann.«Cella blieb zwei Jahre lang an seinem Arbeitsplatz im Außenmini-sterium und wurde dort schnell, wie er sagte, als »Arabist« abge-stempelt - »wogegen ich mich wehrte«. Aber er hatte die Lektiongelernt. Ein Jahr später tauchten im US-Haushalt zweckgebunde-ne Mittel für die Lieferung von zwei Supercomputern ans Weiz-man-Institut auf. Wie Cella wußte, konnte man mit den Compu-tern Kettenreaktionen simulieren. »Es war klar, wozu sie dienensollten«, sagte er, »aber ich habe erst gar nicht versucht, dagegenanzukämpfen.«Im Hauptquartier der CIA war die Atmosphäre nicht besser. Ri-chard Helms, Bürokrat mit Leib und Seele, erfreute seine Vorge-setzten immer noch mit der Unterdrückung eindeutiger Erkennt-nisse über die israelische Bombe. Außerdem hatte er sich eineeigenwillige Meinung über die israelischen Geheimdienste gebil-det. Immer wieder sagte er seinen Mitarbeitern, er sei überzeugtdavon, Israel leite amerikanische Satelliteninformationen an die-Sowjetunion weiter. »Die CIA bekam Ende 1972 eine Kopieder geheimdienstlichen israelischen Anfragen«, erläuterte CarlDuckett. »Die Israelis baten ihre Kontaktleute (in den USA) umSatellitenbilder. Helms war überzeugt, die Israelis täten das imNamen der Sowjets. Er hielt Israel für eine Art offenen Kanal,durch den Daten nach Moskau geschleust wurden.« Natürlich

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gab es eine viel einfachere Erklärung - eine, die Ducke« undHelms Anfang der siebziger Jahre noch nicht erkennen konnten:Israel wollte die Satellitenbilder von der Sowjetunion, um dieZiele seiner eigenen Atomraketen zu bestimmen.2

Die Mitarbeiter der amerikanischen Behörden waren sich ebensowie Helms im klaren darüber, daß israelische Atomwaffen als The-ma tabu waren. »Mit dem Thema hat man sich bei uns nie offiziellbefaßt«, erklärte David Long, ein Nahostexperte aus dem Außen-ministerium. Wenn ein Stabsoffizier im Außen- oder Verteidigungs-ministerium Anfang der siebziger Jahre mehr über israelischeAtomwaffen erfahren wollte, dann sei das nicht möglich gewesen,weil solche Informationen die höchste Geheimhaltungsstufe hat-ten: »Sobald man sich einen Schritt in diese Richtung bewegenwollte, mußte man entscheiden, ob man einen Aufstand wagenoder weiter seine Arbeit machen wollte.« Andererseits seien er undandere ständig von Diplomaten aus dem Nahen Osten informellüber Israels Atombomben ausgefragt worden: »Ich antwortete im-mer, daß wir nichts wüßten, und verwies auf die Stellungnahmender Israelis.« Einmal wurde Long von einem Vorgesetzten gebeten,diese Antwort in einer offiziellen diplomatischen Note an eineNahostnation schriftlich zu formulieren. Er weigerte sich. -Ich sag-te, wir können doch nicht einfach sagen: >kein Kommentar.« Ichwar der Meinung, wenn man absichtlich einen falschen Eindruckerwecken wolle, gehe das über bloße Ausflüchte hinaus. Ich woll-te aber keinen Aufstand machen, sondern bat einfach darum, daßjemand anders die Note verfassen sollte. Und so geschah es dannauch.« Auch Curtis Jones arbeitete als Nahostexperte im auswär-tigen Dienst; zuletzt war er von 1971 bis 1975 im INR als Direktorfür Nahost, Nordafrika und Südasien zuständig. »Die Verhinderungder israelischen Atomwaffenproduktion war für die US-Regierungnie ein Thema, solange ich dort war«, sagte Jones. »Wir haben unsniemals darüber unterhalten.«

Mit nachlassendem Druck aus Washington wurden alle Beschrän-kungen für Dimona aufgehoben. Die israelische Führung inter-pretierte den Stopp der Inspektionen durch Culler korrekterweiseso, daß die Amerikaner ihr nun freie Hand ließen. Die Techniker

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und Wissenschaftler von Dimona taten Anfang der siebziger Jahregenau das, was ihre amerikanischen und sowjetischen Kollegenzu Beginn des Kalten Krieges getan hatten - sie produzierten soviele Bomben wie möglich.3

Nach Aussagen ehemaliger israelischer Regierungsbeamter wardas israelische Atomwaffenarsenal im Jahr 1973 auf mindestenszwanzig Sprengköpfe angewachsen. In Hirbat Zachariah standendrei oder mehr Raketenabschußrampen, und Israel besaß eine un-bekannte Zahl mobiler Abschußrampen für Jericho-I-Raketen, dieim Rahmen von Projekt 700 gebaut worden waren. Die Raketenkonnten seit 1971 arabische Hauptstädte und Ziele im Süden derSowjetunion erreichen (zum Beispiel Tiflis mit seinen Ölfeldernoder Baku am Kaspischen Meer). In unterirdischen Schutzräumendes Luftwaffenstützpunkts von Tel Nof bei Rehovot stand rund umdie Uhr eine F-4-Staffel bereit, die mit Atombomben bestückt wer-den konnte. Die besonders ausgebildeten F-4-Piloten waren dieElite der israelischen Luftwaffe. Es war ihnen verboten, über ihrenAuftrag mit Außenstehenden zu sprechen. Die F-4-Langstrecken-flugzeuge konnten mit einer Tankfüllung eine Atombombe nachMoskau tragen; falls sie nach Israel zurückkehren sollten, hättensie in der Luft aufgetankt werden müssen.Inzwischen waren in Dimona viele grundlegende Probleme beider Miniaturisierung von Bomben gelöst worden. Die kleinerenSprengköpfe eröffneten den israelischen Waffenkonstrukteureneine ganze Reihe von Möglichkeiten wie die Entwicklung vontaktischen Gefechtsfeldwaffen mit niedrigen Detonationswerten.Auch hierzu hatten die USA ihren Teil beigetragen. Anfang dersiebziger Jahre genehmigten sie den Verkauf von 175- und 203-Millimeter-Kanonen mit großer Reichweite an die israelischenStreitkräfte. Mit diesen Waffen konnte man Ziele in vierzig Kilo-metern Entfernung treffen, was die nuklearen Optionen der Israe-lis stark erweiterte.Die Israelis hatten mit Dr. Gerald Bull, einem umstrittenen kana-dischen Waffenkonstrukteur, vertraglich die Lieferung von spe-ziellen Artilleriegranaten mit einer um 25 Prozent erhöhtenReichweite vereinbart.4 In Anbetracht der Ungenauigkeit einesArtilleriegeschosses, das auf solche Entfernung abgefeuert wird,

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durchschauten manche amerikanischen Waffenexperten diewirkliche Absicht der Israelis. »Wenn man siebzig Kilometer weitschießt, und die Abweichung drei Prozent der Reichweite betra-gen kann«, erläuterte ein Experte, »was würde man dann mit ei-ner Granate mit konventionellem Sprengstoff ausrichten? Nichtviel. Man brauchte eine Kernwaffe.« Dieser Amerikaner, ein hö-herer Beamter in einer der Waffentestanlagen der US-Army, war1973 in Israel gewesen und hatte vom geplanten Einsatz der Su-pergeschütze gehört. Pflichtbewußt gab er die Information andie US-Geheimdienste weiter. Es habe auch Andeutungen gege-ben, ergänzte er, daß Israel während des Jom Kippur Krieges mitdiesen Geschützen die syrische Hauptstadt Damaskus ins Visiergenommen habe. Washington verstand den Wink. Ein höhererGeheimdienstbeamter im Außenministerium erinnerte sich, daßman sich Anfang der siebziger Jahre große Sorgen wegen desehrgeizigen israelischen Artillerieprojekts gemacht habe. »Wirgingen von der Annahme aus, daß sie eine miniaturisierte nu-kleare Artilleriegranate entwickelt hatten und sie testen wollten«,sagte der Beamte.Je weiter das israelische Waffenprogramm gedieh, desto vorsich-tiger wurde man in der israelischen Regierung und beim Militär.Die politischen Kämpfe und internen Streitigkeiten um die Atom-bombe wurden beigelegt. Es war an der Zeit, den Gefechtseinsatzder neuen Waffe zu planen. Eine Doktrin mußte entwickelt wer-den; Personal mußte ausgebildet werden. Die israelische Führungmußte Abläufe für den tatsächlichen Einsatz der Bombe festlegen.Schon früh kam man überein, daß keine Atomwaffe ohne Geneh-migung des Premierministers, des Verteidigungsministers und desStabschefs des Heeres scharfgemacht und abgefeuert werdendürfe. Die Sicherheitsvorschriften wurden später noch dahinge-hend modifiziert, daß auch der Chef der israelischen Luftwaffezustimmen müsse. Die Sprengköpfe der Luftwaffe wurden, wieverlautet, in speziellen Sicherheitstrakts aufbewahrt, die nur mitdrei Schlüsseln geöffnet werden konnten. Diese waren im Besitzder obersten zivilen und militärischen Führung. Von anderen Si-cherheitsvorkehrungen ist nichts bekannt. »Als wir so viele Bom-ben hatten, daß wir uns sicher fühlten«, erläuterte ein israelischer

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Offizier, »hörten wir lieber auf, darüber zu reden. Denn sobald esin Israel eine Bombe gab, merkten die Leute, daß wir nun auchdas Ziel von Bomben geworden waren.«Diesem Gefühl der Sicherheit fiel Anfang der siebziger Jahre einprominenter Politiker zum Opfer: Verteidigungsminister MosheDayan. Seine Position im Militär und in der Regierung warschwach, obwohl er sehr populär war. Man hielt seine militäri-schen Qualitäten für überbewertet; seine ständigen Frauenge-schichten und seine dubiosen Geschäfte schadeten seiner Repu-tation. Es gab eindeutige Beweise dafür, daß sich Dayan Fundearchäologischer Ausgrabungen unter direktem Bruch israelischerGesetze angeeignet hatte. Aber er wurde nicht angeklagt.' Da-yans schwerwiegendster Charakterfehler war jedoch, daß er nichtschweigen konnte: »Er war das größte Tratschmaul auf GottesErdboden«, erklärte einer seiner Mitarbeiter in der Armee. »Die all-gemein verbreitete Meinung war, er habe sich in einer Zeit, alsIsrael sich in einer äußerst prekären Lage befand, unverantwort-lich und unberechenbar verhalten. Die Araber sollten zwar wis-sen, was wir hatten« - aber explizit verkünden wollte man esihnen nicht. Dayans öffentliche Verlautbarungen und die Andeu-tungen, die er an die Presse durchsickern ließ, machten dieseTaktik zunichte. Ein weiteres Problem: »Dayan besprang alles,was sich bewegte« - unter den unternehmungslustigen israeli-schen Militärführern kein ungewöhnliches Hobby -, »und es wardurchaus denkbar, daß er einer gutaussehenden Frau, die ihmüber den Weg lief, von Dimona erzählte. Er und Peres fühltensich fast wie die Eltern« des Atomkomplexes. Dayan büßte zwarnicht an Autorität ein, aber schließlich sei ihm klargemacht wor-den, daß er in Dimona nicht mehr willkommen sei; es gebekeinen militärischen Grund mehr, ihn über das israelische Atom-programm zu informieren; dafür sei nun das Büro der Premiermi-nisterin zuständig.Im Mai 1972 ereignete sich ein tragischer Zwischenfall, der auchdas Atomprogramm tangierte. Ein japanischer Rote-Armee-Terro-rist verübte ein Attentat auf den Flughafen Lod bei Tel Aviv. Da-bei wurde Aharon Katzir, der führende Physiker von Dimona, ge-tötet. Es gibt keine Hinweise darauf, daß der Attentäter es speziell

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auf Katzir abgesehen hatte. Katzirs Nachfolger Shalheveth Freierwar ein Nuklearphysiker mit einem erstklassigen Ruf; er haltewährend der kritischen Zeit in den fünfziger Jahren, als die is-raelisch-französische Kooperation vereinbart wurde, als wissen-schaftlicher Berater der israelischen Botschaft in Paris gearbeitet.Auch international war Freier unter Wissenschaftlern hoch ange-sehen. Besonders gut war er amerikanischen Kernwaffenkon-strukteuren bekannt, die seine Arbeiten kompetent beurteilenkonnten.Die Forscher in Dimona und am Weizman-Institut leisteten wei-terhin erstklassige Arbeit. 1973 verursachten zwei israelische Wis-senschaftler einen Aufruhr in der Wissenschaft und bei den Ge-heimdiensten. Sie erhielten ein westdeutsches Patent für einLaserverfahren, mit dem in sehr kurzer Zeit U-235 angereichertwerden konnte, und zwar extrem kostengünstig. Die Erfindungbewährte sich laut Mordecai Vanunu sechs Jahre später. Damalswurde in Dimona ein besonderer Trakt zur Anreicherung vonUran mittels Laserstrahlen eingerichtet.

Die prunkvolle nukleare Festung von Dimona hätte vielleicht of-fiziell vor aller Welt geheimgehalten werden können. Aber An-fang der siebziger Jahre entdeckten die israelischen Geheim-dienstler, daß der sowjetische KGB die Führungsebenen desVerteidigungsministeriums und der Geheimdienste infiltriert hat-te und die wichtigsten strategischen Entscheidungen an Moskauund seine Verbündeten im Nahen Osten weitergab. Die sowje-tische Operation wurde von einem Geheimkommando des is-raelischen Militärs aufgedeckt (der Einheit 515, später umbe-nannt in Einheit 8200), die für das Abfangen von Funksprüchenund das Entschlüsseln von Chiffrierungen "zuständig ist. Sie istdas israelische Pendant zur amerikanischen National SecurityAgency.Ein höherer Offizier des Kommandos war Reuven Yerdor, ein an-erkannter Linguist. Ihm gelang es, den sowjetischen Code zuknacken, mit dem der geheime Nachrichtenverkehr zwischendem KGB-Hauptquartier in Moskau und einer Station in Zypernverschlüsselt wurde (später bekam er dafür den höchsten militä-

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rischen Orden des Staates Israel). Die Israelis arbeiteten nun allezuvor abgefangenen und unentzifferten Funksprüche der Sowjetsauf und stellten dabei fest, daß die wichtigsten geheimen Ent-scheidungen des israelischen Verteidigungsministeriums, die un-ter anderem auch Atomwaffen betrafen, manchmal innerhalb vonzwölf Stunden nach Moskau gemeldet worden waren. »Sie dreh-ten völlig durch«, erzählte ein ehemaliger israelischer Geheim-dienstoffizier, »und stellten sofort ein Spezialteam auf, das eineUntersuchung durchführen sollte.« Das Team war dem Shin Betuntergeordnet, Israels inländischem Sicherheitsdienst. Mitarbeiterdes Mossad und des Büros von Premierministerin Golda Meir wa-ren an der Untersuchung beteiligt. Aber sie vermochten nicht zuklären, wie der KGB, der während dieser geheimen Ermittlungenseine Spionage fortsetzte, seine Informationen aus Israel heraus-schmuggelte. Allerdings ließ sich der kleine Kreis von Israelis ein-grenzen, der zu dem sensiblen Material Zugang gehabt hatte, dasan den KGB weitergeleitet worden war. Mindestens einer vonGolda Meirs persönlichen Beratern gehörte dazu. Ein paar Ver-dächtige, darunter der Berater, bewiesen ihre reine Weste bei ei-nem Test mit dem Lügendetektor. Andere lehnten einen solchenTest ab, und der Fall blieb zur herben Enttäuschung der Ermittlerungeklärt.6

Den Spionageskandal könnte man zu den Treppenwitzen derWeltgeschichte zählen. Die israelische Regierungsspitze hattenämlich seit Beginn ihrer Zusammenarbeit mit Frankreich nichtnur die Absicht gehabt, ihre Atomraketen vorwiegend auf dieSowjetunion zu richten, sondern auch, die Sowjets als erste da-von zu unterrichten. 1973 war man in Dimona mit der Verklei-nerung der Bomben so weit vorangekommen, daß man Spreng-köpfe bauen konnte, die in einen Koffer paßten. Unverzüglichwurde die Nachricht von der Kofferbombe den Sowjets bei ei-nem jener regelmäßigen Treffen zugespielt, die in Europa zwi-schen Vertretern des Mossad und des KGB stattfanden. Die So-wjets begriffen, daß keine Überwachung der Welt israelischeAgenten davon hätte abhalten können, in Autos, Flugzeugenoder Frachtschiffen Atombomben über die sowjetische Grenzezu schmuggeln.

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Die israelische Führung, allen voran Moshe Dayan, hatte zu Be-ginn der siebziger Jahre für die arabische Kriegskunst nur Verach-tung übrig. Aus ihrer Sicht war der Hauptwidersacher Israels imNahen Osten - auch in Zukunft - die Sowjetunion. Die Atomra-keten aus Dimona sollten in der Theorie die Sowjetunion davonabschrecken, einen arabischen Großangriff auf Israel zu unter-stützen. Außerdem sollten die Bomben Ägypten oder Syrien voneiner Invasion abhalten.Die israelische Diplomatie dieser Jahre war vom Status quo be-stimmt. Kontinuierlich wurden amerikanische Waffen nach Israelgebracht, und die amerikanische Politik stand verläßlich hinterder systematischen Besiedlung der besetzten Gebiete durch Is-rael. Diese Gebiete und die vermehrte Sicherheit, die sie für dieLandesgrenzen brachten, hatten den israelischen Bedarf nach im-mer mehr und moderneren Waffen jedoch keineswegs befriedigt.Die Verteidigungsausgaben stiegen zwischen 1966 und 1972 umfünfhundert Prozent.Nassers Tod im September 1970 hatte am Kräfteverhältnis im Na-hen Osten nichts Wesentliches verändert; sein Nachfolger Anwarel Sadat war in den Augen von Premierministerin Golda Meir undihrem Kabinett den Juden nicht weniger feindselig gesinnt. Derneue ägyptische Führer war im Zweiten Weltkrieg von den briti-schen Behörden wegen seiner offenen prodeutschen Haltungund seines öffentlichen Eintretens für Hitler lange inhaftiert wor-den; daß er in Wahrheit eher antibritisch als prodeutsch gehan-delt hatte, konnte die israelische Führung nicht beruhigen. Kaumim Amt, betrat Sadat jedoch Neuland. Er bot den Israelis Friedens-verhandlungen an. Sadat war der erste arabische Führer, der ei-nen Friedensvertrag mit Israel überhaupt in Erwägung zog. AlsGegenleistung sollten sich die Israelis auf die Grenzen von 1967zurückziehen. Golda Meir lehnte Sadats Angebot rundweg ab(Moshe Dayan wollte es wenigstens prüfen). Sie betrachtete denvorgeschlagenen Kompromiß nur als Ausgangspunkt für ausge-dehnte Verhandlungen. Sadat rechnete damit, daß Washington in-tervenieren würde, was jedoch nicht geschah. In dieser Situationließ der bitter enttäuschte ägyptische Präsident überraschend diesowjetischen Truppen und Berater des Landes verweisen, um un-

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ter anderem klarzustellen, daß Ägypten nicht prokommunistischsei. Nixon und Kissinger waren über den Hinauswurf der Sowjetsebenso verblüfft wie der Rest der Welt, doch sie betrachteten ihnlediglich als Bestätigung proisraelischer Politik. Kissinger bemerk-te privat, Sadat sei ein Narr, der durch einseitiges und gefühlsge-leitetes Handeln die Chance vertan habe, die Ausweisung der So-wjets als disponible Konzession bei Verhandlungen zu nutzen.Sadat konnte gegenüber dem Westen auf diplomatischem Wegenichts erreichen und zog schließlich den Schluß, nur durch einenKrieg gegen Israel könne er sich und Ägypten Anerkennung ver-schaffen.In Israel starrte man gebannt auf die sowjetische Bedrohung undbetrachtete die Ausweisung eher als Verminderung der Kriegsge-fahr. Auf dem Papier waren Armee und Luftwaffe Israels sogarden vereinigten Streitkräften der arabischen Staaten des NahenOstens überlegen. Ohne sowjetische Unterstützung würde es kei-ne arabische Nation wagen, den Kampf zu beginnen. Zwar wür-de es vermutlich keinen Frieden geben, aber die Herrschaft derIsraelis über die besetzten Gebiete war nicht unmittelbar bedroht.Diese Überlegung wurde Kenneth B. Keating im Spätsommer1973 ganz unverblümt vorgetragen. Keating war ein ehemaligerrepublikanischer Senator aus New York und Wally BarboursNachfolger als US-Botschafter in Israel. Im August machten Keat-ing und sein Stellvertreter Nicholas A. Veliotes einen Höflichkeits-besuch bei Moshe Dayan. Er machte einen zufriedenen, wennnicht gar überheblichen Eindruck. Den ganzen Sommer über hat-te es Gerüchte über einen bevorstehenden arabischen Angriff ge-geben, erinnert sich Veliotes, und die Botschaft war in erhöhteAlarmbereitschaft versetzt worden. Die beiden Amerikaner frag-ten Dayan, ob ihn das beunruhige. Veliotes berichtet: »Seine Ant-wort hieß: 'Machen Sie sich keine Sorgen.' Die arabischen Wüste-narmeen beschrieb er als 'langsam sinkende Schiffe« - als ob dieWüste ein Meer wäre. Er war sehr arrogant.« Dayans Bemerkun-gen wurden damals widerspruchslos hingenommen, sagte Velio-tes. »Wir waren fest davon überzeugt, daß die Israelis uns nichtalles erzählten, was sie wußten. Und wir waren vom israelischenSieg im Jahre 1967 immer noch wie hypnotisiert.«

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Auf die Ereignisse am Samstag, dem 6. Oktober 1973 - es warJom Kippur, der höchste jüdische Feiertag -, war Israel nicht vor-bereitet. Sadat griff im Sinai an, und die Syrer besetzten dieGolanhöhen. Die ersten Tage waren für Israel eine Katastrophe.Die Armee hatte hohe Verluste; manche Einheiten zogen sich ein-fach in wilder Flucht vom Schlachtfeld zurück. Fünfhundert Pan-zer und neunundvierzig Flugzeuge, darunter vierzehn F-4-Kampf-flugzeuge, wurden in den ersten drei Tagen zerstört. Im Sinaiüberrollten die ägyptischen Streitkräfte, mit Raketen und vielElektronik ausgerüstet, die Bar-Lev-Verteidigungslinie am Ostuferdes Sueskanals. Bald hatten sie zwei große Armeen über den Ka-nal gesetzt. Der erste israelische Gegenangriff von drei Panzerdi-visionen wurde gestoppt. Auf den Golanhöhen walzten 1400 sy-rische Panzer die israelischen Stellungen nieder und drangen bisan den Rand von Galiläa vor. Nur ein paar israelische Panzerstanden zwischen den Syrern und dem dichtbevölkerten Hulla-Tal. Bis nach Haifa waren es nur noch Stunden.Viele Israelis dachten, das Ende ihres Staates sei gekommen. Mo-she Dayan verkündete historisierend: »Dies ist das Ende des drit-ten Tempels.« Es drang nie an eine breitere Öffentlichkeit, in wel-che Panik Dayan am Montag, dem 8. Oktober, geraten war, aberviele Israelis wußten Bescheid. Es war Dayans Aufgabe als Vertei-digungsminister, die der Zensur unterliegenden Medien auf einertäglichen Pressekonferenz über den Krieg zu informieren - mitanderen Worten, festzulegen, was sie berichten durften. Ein Jour-nalist, der bei der Pressekonferenz vom Montag dabei war (einGeneral im Ruhestand), erinnerte sich an Dayans Feststellung:»Die Situation ist verzweifelt. Alles ist verloren. Wir müssen unszurückziehen.« Bei einem späteren Treffen war von Appellen andas Weltjudentum die Rede, von der Verteilung von Panzerab-wehrwaffen an alle Bürger und von verzweifelten letzten Wider-standsversuchen in den größeren Städten. Es war Israels schwär-zeste Stunde, aber der Befehl zum Rückzug wurde nicht gegeben.Statt dessen versetzte Israel zum ersten Mal sein nukleares Arse-nal in Alarmbereitschaft. Die Atombomben wurden scharfge-macht, und Israel erpreßte die Vereinigten Staaten von Amerika.Ein dramatischer Schwenk der US-Politik war die Folge.

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Nukleare Erpressung

Moshe Dayans Prognosen für Israels Zukunft waren düster. Dochdie Wende kam auf einer dramatischen Sitzung am Montag, dem8. Oktober 1973. Die Sitzung fand in Golda Meirs Büro in Tel Avivstatt, nur wenige hundert Schritte vom »Bor« entfernt, der riesigenunterirdischen Kommandozentrale des Militärs. Das sogenannteKüchenkabinett, bestehend aus Golda Meirs engsten Beratern, tratzusammen. Die Sitzung dauerte bis zum nächsten Morgen. AußerDayan und Meir waren anwesend: General David (Dado) Elazar,der Stabschef des Heeres; Yigal Allon, der stellvertretende Premier-minister; Brigadegeneral Yisrael Leor (Gingy genannt), der militäri-sche Berater der Premierministerin; und Israel Gallili, der einfluß-reiche Minister ohne Geschäftsbereich und langjährige VertrauteGolda Meirs.Im Lauf der nächsten Stunden fällte die israelische Führung ange-sichts ihrer schwersten Krise drei Entscheidungen von großerTragweite: erstens sollten die zusammenbrechenden Streitkräftezu einem großen Gegenangriff geführt werden; zweitens solltendie Atombomben für den Fall des totalen Zusammenbruchs undder anschließenden Notwendigkeit der Samson-Option scharfge-macht werden; und drittens sollte Washington von diesen nochnie dagewesenen Maßnahmen und Gefahren in Kenntnis gesetztwerden. Das Küchenkabinett wollte von den USA eine Luftbrük-ke für den Nachschub von Waffen und Munition fordern, um denGegenangriff in vollem Umfang durchführen zu können.Die Abschußrampen für Atomraketen in Hirbat Zachariah sollten,soweit sie fertiggestellt waren, für den Einsatz vorbereitet wer-den, ferner acht besonders gekennzeichnete F-4-Flugzeuge, diein Tel Nof, einem Luftwaffenstützpunkt bei Rehovot, rund um dieUhr in Bereitschaft gehalten wurden. Auf der ursprünglichen Liste

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der Ziele standen die militärischen Hauptquartiere Ägyptens undSyriens bei Kairo beziehungsweise Damaskus. Es konnte nicht inErfahrung gebracht werden, wie viele Bomben scharfgemachtwurden. Allerdings war bekannt, daß in Dimona bis 1973 bereitsmehr als zwanzig Sprengköpfe hergestellt worden waren. Auf dieSowjetunion wurden jedoch keine Raketen gerichtet, aber die So-wjets würden zweifellos schnell erfahren, was vor sich ging. Derisraelische Geheimdienst fing kodierte und unentschlüsselbareFunksprüche ab, die wahrscheinlich von sowjetischen Agentenim Land abgeschickt worden waren; die Funksprüche wurdenwährend des ganzen frühen Morgens mit Richtstrahlern gesendet.

Alle Schlüsselfiguren von damals sind heute tot. Niemand ausdiesem Kreis hat Aufzeichnungen hinterlassen, was an diesemTag vor sich ging. (In seinem Tagebuch, das auf hebräisch veröf-fentlicht wurde, hat General Elazar die Nacht vom 8. Oktober ein-geschwärzt und nur die Bemerkung stehenlassen: »EntscheidendeSitzung.«) Unter hohen israelischen Militärs und Politikern ist all-gemein bekannt, was in der »entscheidenden Sitzung« beschlos-sen wurde, aber in den folgenden Jahren haben alle Teilnehmer(auch die Stenographen und Berater) in der Öffentlichkeit keinWort darüber verloren.Die einzigen nennenswerten Einwände kamen aus den Kreisender Nuklearexperten selbst. Einige von ihnen - nicht jedoch Frei-er - warfen (laut einer israelischen Quelle) den Politikern Panik-mache vor. Aus ihrer Sicht war die Situation noch nicht so ver-zweifelt, daß zum letzten Mittel gegriffen werden mußte: zu denWaffen, die treffenderweise den Decknamen »Tempelwaffen« tru-gen.Ein israelischer Regierungsbeamter, der diese Nacht im Büro derPremierministerin verbracht hat, gab eine Schilderung der ket-tenrauchenden Golda Meir. Sie habe in der ersten Phase desKrieges sehr wenig geschlafen und sei wegen Dayans Befürch-tungen über den bevorstehenden Zusammenbruch verwirrt undbesorgt gewesen. Die prinzipielle Entscheidung, Atomwaffenscharfzumachen, sei schnell getroffen worden. Viel komplizier-ter sei es gewesen, festzulegen, wie viele Sprengköpfe scharfge-

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macht und auf welche Ziele die Raketen gerichtet werden soll-ten. Zuvor gab es eine gesonderte Lagebesprechung, bei dertechnische Experten aus Dimona unter der Leitung von Freierdie einsatzbereiten Waffen und ihre möglichen Ziele beschrie-ben.Der Beamte schilderte auch die Furcht, die sich bei den Mitarbei-tern der Premierministerin breitmachte, als die Entscheidung be-kannt wurde: »Ein paar Tage lang schien das Ende der Welt nahe.Für jene unter uns, die den Holocaust mitgemacht hatten, war ei-nes klar - das würde nie wieder geschehen.« Die Israelis gingendavon aus, daß die Sowjets von der nuklearen Mobilmachung er-fahren würden. Schließlich hatten sie in den vergangenen Jahrenauch andere israelische Geheimnisse erfahren. Man hoffte, daßsie daraufhin ihre Verbündeten Ägypten und Syrien drängen wür-den, die Offensive zu begrenzen und nicht über die Grenzen, dievor 1967 gültig gewesen waren, nach Israel hinein vorzurücken.Tatsächlich sprachen die Sowjets eine solche Warnung aus. Mo-hammed Heikai (der Herausgeber von AI Ahram, der führendenägyptischen Zeitung; er spielte unter Nasser und Sadat die Rolleeiner grauen Eminenz) gab in einem Gespräch zu verstehen, dieSowjetunion habe der ägyptischen Führung gleich zu Beginn desKrieges gesagt, »die Israelis hätten drei abschußbereite Spreng-köpfe zusammengebaut«. Die Information wurde General Mo-hammed Abdel Ghany el-Gamasy, dem ägyptischen Stabschef,von einem sowjetischen Geheimdienstoffizier übergeben, dereng mit el-Gamasy zusammengearbeitet hatte, als er Chef der Mi-litärspionage gewesen war. Die sowjetische Warnung erwähntelaut Heikai auch, Moshe Dayan habe die Front besucht, sei miteinem «alarmierenden Bericht« nach Tel Aviv zurückgekehrt undhabe ihn Golda Meir und dem entsetzten Küchenkabinett vorge-legt.Laut israelischen Regierungsbeamten gab es einen zweiten, nichtweniger wichtigen Grund für die nukleare Mobilmachung. Dieserdrastische Schritt sollte die USA zwingen, das israelische Militärsofort und massiv mit Nachschub zu versorgen. Im israelischenKabinett herrschte große Verärgerung über das Weiße Haus, überNixon und besonders über Henry Kissinger. Man vermutete ganz

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richtig, daß sie aus strategischen Gründen die Nachschublieferun-gen verzögern wollten, um den Arabern den Gewinn weiterenTerrains zu ermöglichen und auf diese Weise ihr Selbstvertrauenzu stärken. Dadurch sollten Voraussetzungen geschaffen werden,aufgrund derer die Araber anschließend zu ernsthaften Verhand-lungen über Land gegen Frieden hätten bewegt werden sollen.Der frischgebackene Außenminister Kissinger sollte die Verhand-lungen leiten.

Kissinger machte aus seiner anfänglichen Strategie in diesemKrieg kein Hehl. Zu Verteidigungsminister James Schlesinger sag-te er, Israel solle »schließlich die Nase vorne haben, aber dafürbluten müssen«. In Diplomatenkreisen wurde diese Strategie alspolitischer Normalfall akzeptiert. »Ob wir versuchten, für uns ei-nen Vorteil aus der Situation zu schlagen?« fragte Nicholas Veliotesrhetorisch. »Aber das tun wir doch immer.«Im zweiten Band seiner Memoiren (1973-1974) erwähnt Kissingerdie atomare Drohung nicht, beschreibt aber ein paar dringendeTelefonanrufe von Simcha Dinitz, dem israelischen Botschafter inWashington, die am Dienstag, dem 9. Oktober, morgens uml Uhr 45 begonnen hätten - gerade als die Nachtsitzung in GoldaMeirs Büro zu Ende ging (in Israel war es 8 Uhr 45 morgens). Di-nitz ging es in erster Linie um eine Frage, schreibt Kissinger: »Erwollte wissen, ob wir unsere Rüstungslieferungen ausweitenkönnten.« Beim zweiten Anruf um 3 Uhr früh stellte er dieselbeFrage wieder. »Wenn er seinem Kabinett nicht beweisen wollte,daß er mich jederzeit aus dem Bett holen konnte«, schreibt Kissin-ger, »dann mußte sich die Lage sehr ungünstig entwickelt haben.«Kissinger (begleitet von Peter Rodman, seinem langjährigen As-sistenten) und Dinitz (begleitet von General Mordecai Gur, demisraelischen Militärattache) trafen sich morgens um 8 Uhr 20 imKartenzimmer des Weißen Hauses. Kissinger erfuhr von der ver-zweifelten Situation des israelischen Heeres und dem Bedarf anzusätzlichen Panzern und Flugzeugen. »Israel stand jetzt an derSchwelle eines erbittert geführten Ermüdungskrieges, den es an-gesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit seiner Feinde unmög-lich gewinnen konnte. Deswegen mußte etwas Entscheidendes

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geschehen.« Am Ende des Gesprächs im Kartenzimmer, schreibtKissinger, habe Dinitz mit ihm unter vier Augen sprechen wollen.Rodman und Gur wurden hinausgeschickt, obwohl sie als absolutvertrauenswürdig galten. Sobald sie allein waren, hatte Dinitz lautKissinger nichts anderes zu sagen, als daß Golda Meir »bereit sei,persönlich für eine Stunde in die Vereinigten Staaten zu kommen,um bei Präsident Nixon wegen der dringenden Waffenlieferun-gen vorstellig zu werden«. Diesen Vorschlag, schreibt Kissinger,lehnte er »kurzerhand und ohne mit Nixon darüber gesprochenzu haben ab. Er hätte nur als Hysterie oder Erpressungsversuchgedeutet werden können.«Eine ausführlichere Schilderung dessen, was Dinitz zu Kissingersagte, würde zweifellos zeigen, daß es eher Erpressung als Hyste-rie war. Kissinger wußte das, und die Erpressung funktionierte.»Am Abend des 9- Oktober«, schreibt Kissinger in seinen Memoi-ren, »hatten wir Israel zugesagt, daß die in den Kämpfen einge-tretenen Materialverluste ersetzt werden würden. Auf diese Zu-sicherung hin hatte die israelische Armee den Verbrauch vonKriegsmaterial gesteigert, was unseren Absichten entsprach.«Wie wurde Israels Warnung vor einem drohenden Harmaged-don den USA übermittelt? Weder Kissinger noch Dinitz konntenzu Stellungnahmen zu diesem Thema bewegt werden. Daß Di-nitz auf einem Gespräch unter vier Augen bestand und Kissingerspäter den Ausdruck »Erpressung« benutzte, deutet allerdingsdarauf hin, daß die Atomwaffen dabei zur Sprache kamen. Auchvon den Sowjets erfuhren die USA von der nuklearen Mobilma-chung in Israel, wie ein früherer israelischer Geheimdienstbeam-ter erklärte. Nach seiner Darstellung fing die israelische Spiona-ge-Einheit 8200, die auch die (von Heikai bestätigte) sowjetischeWarnung an Kairo abfing, am Morgen des 9. Oktober eine so-wjetische Warnung an Washington ab. Darin sei von der Mobil-machung die Rede gewesen. Auf die Frage, warum die USA sei-ner Ansicht nach eine solche Warnung nie öffentlich erwähnthätten, antwortete der Israeli: »Wer in Amerika hätte zugegeben,daß die Sowjets mehr wußten als sie?«Kissinger hat in der Öffentlichkeit nie über die israelische nukle-are Mobilmachung gesprochen. Seine engsten damaligen Berater,

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darunter Rodman und William Hyland, der damals im NationalenSicherheitsrat für die Sowjetunion zuständig war, sagten, sie wüß-ten von einer solchen Information nichts. Die beste Quelle für diedamaligen Ereignisse ist jedoch Kissinger selbst. Privat gab er zu,sowohl Anwar el Sadat als auch Hermann Eilts, dem amerikani-schen Botschafter in Ägypten, der während der hektischen «Nah-ost-Pendeldiplomatie« Mitte der siebziger Jahre eng mit Kissingerzusammenarbeitete, sei mit dem Einsatz von Kernwaffen gedrohtworden.1

Eilts war im Oktober 1973 von Kissinger für die Aufgabe in Kairopersönlich ausgewählt worden und trat seinen Dienst am Endedes Jom Kippur Krieges an. Sein erstes ausführliches Gesprächmit Kissinger über seine neue Tätigkeit fand in einem denkbarungewöhnlichen Rahmen statt; auf die Bitte Kissingers trafen sichdie beiden Anfang November zu einem hastig arrangierten Ar-beitsfrühstück in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad, woKissinger auf dem Weg nach China übernachtet hatte. »Henrysprach viel davon, daß die Israelis am vierten Kriegstag, dem9. Oktober, in Panik geraten wären«, erinnerte sich Eilts, »und dawurde dann die Entscheidung gefällt, sie zu unterstützen. In die-sem Zusammenhang« - und bei ähnlichen Unterredungen mitKissinger in den nächsten drei Jahren - »fiel kein Wort über eineMobilmachung von Kernwaffen.« Ein letztes Treffen fand imHerbst 1976 statt. Die Amtszeit Fords und Kissingers war fast ab-gelaufen. Wieder brachte Kissinger den Krieg von 1973 zur Spra-che. »Und dann ließ Henry ganz nebenbei die Bemerkung fallen«,sagte Eilts, »es habe allgemein Befürchtungen gegeben, die Israe-lis würden Atomwaffen einsetzen. Sie hätten Andeutungen ge-macht, daß sie Atomwaffen einsetzen könnten, wenn sie nichtschnell militärischen Nachschub bekämen.« Eilts erinnerte sich ansein Erstaunen, daß »nichts davon früher herausgekommen sei«.Auch wunderte er sich, wie beiläufig Kissinger sprach: »Es warfast nur eine Randbemerkung.«Als Kissinger im Krieg von Israels Absichten erfuhr, blieb er wohlnicht ganz so gelassen. Natürlich erzählte er keinem seiner Kabi-nettskollegen von der nuklearen Drohung. Aber er änderte überNacht seine Meinung und hielt es nun für notwendig, in großen

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Mengen Waffen nach Israel zu schaffen. »Israels Munitionsvorrätereichten für einen siebentägigen Krieg«, berichtete James Schle-singer - ein Zeichen für das Vertrauen, das die Amerikaner in dieKampfkraft von Israels Armee und Luftwaffe gesetzt hatten. »AberKissinger drehte sich um 180 Grad. Er war sogar ein bißchenhysterisch« - und verlangte sofort Nachschub für Israel. »Henryschien sich über die Möglichkeit eines nuklearen Schlagabtauschs[im Nahen Osten] größere Sorgen zu machen als ich«, sagte Schle-singer. Kissingers Verhalten brachte einige höhere Beamte zu derEinschätzung, ein israelischer Atomwaffeneinsatz sei nicht auszu-schließen. »Aus unserer Sicht«, sagte Schlesinger, »hatte Israel einpaar Atombomben, und bei einem [militärischen] Zusammen-bruch hätten sie eingesetzt werden können.« William Colby, da-mals Direktor der CIA, dachte ebenso: »Wir fürchteten, Israel wür-de alles auf eine Karte setzen.« Man habe angenommen, fügteColby hinzu, Atomwaffen würden »nur in einer extremen Situa-tion« eingesetzt werden.Kissingers erstes ausführliches privates Gespräch mit dem ägypti-schen Präsidenten Anwar el Sadat fand am 7. November 1973 inKairo statt. (Der Besuch war ein Vorläufer von Kissingers be-rühmter »Nahost-Pendeldiplomatie«, die ein Jahr später begann.2)Kissinger brachte die israelische Drohung zur Sprache. Späterinformierte Sadat Heikai über dieses inoffizielle Treffen. Dabeisprach er laut Heikai von einem hochgestellten »Amerikaner« —Kissinger muß gemeint gewesen sein -, der die blitzschnell er-richtete Luftbrücke zwischen den USA und Israel mit der Notwen-digkeit erklärt habe, eine nukleare Eskalation zu verhindern. Wei-ter zitierte Sadat Kissinger wie folgt: »Es war ernst - ernster, als Siees sich vorstellen können.« Israel habe mindestens drei Spreng-köpfe und bereite sich auf ihren Einsatz vor, sagte Sadat zuHeikai. (Kissinger verließ sich offenbar auf die Schätzung CarlDucketts von der CIA aus dem Jahr 1968. Das war die einzigeamerikanische Schätzung des israelischen Atompotentials, die1973 vorlag.) Der ägyptische Präsident hielt sich an das mit Kis-singer vereinbarte Stillschweigen und sagte Heikai nie ausdrück-lich, von wem die Information stammte, aber er hatte wederdamals noch später die geringsten Zweifel: »Der einzige Amerika-

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ner, der so glaubwürdig war, daß Sadat ihm die israelische Dro-hung abnahm, war Henry Kissinger.« Heikai schrieb dann ohneHinweis auf seine Quelle in AI Abram über Kissingers Kommen-tar. Die Regierung Nixon habe während der Kampfhandlungenbefürchtet, die Israelis »könnten die Nerven verlieren und einevon ihren drei Bomben einsetzen, um die arabische Offensive zu-rückzuschlagen« .

Damals konnten die amerikanischen Geheimdienste mit demKH-11 vermutlich zum ersten Mal einen Blick auf die einsatz-bereiten Raketenabschußrampen in der Flanke eines Hügels beiHirbat Zachariah werfen. Die Rampen standen - vielleicht ab-sichtlich — im Freien. So waren sie von den amerikanischen Bild-auswertern viel leichter zu entdecken. (Und auch die Sowjetsbeobachteten den Nahen Osten mit Satelliten und sahen, was siesehen sollten.) Ein amerikanischer Beamter erinnerte sich daran,auf den Bildern auch in den Berg gegrabene Bunker und großeexplosionssichere Türen gesehen zu haben, von denen Eisen-bahngleise zu einer mobilen Abschußrampe in der Nähe führ-ten.

Die israelischen Gegenangriffe auf den Golanhöhen und auf derHalbinsel Sinai waren erfolgreich. Eine unmittelbare Bedrohungisraelischen Territoriums war Mitte Oktober abgewendet. DieNotwendigkeit der nuklearen Mobilmachung bestand nicht mehr;am 14. Oktober wurde sie aufgehoben. Die Ägypter jedoch hat-ten durch eine neue sowjetische Luftbrücke seit dem 10. OktoberNachschub erhalten und begannen eine zweite Offensive aufdem Sinai, die nur durch einen exzellent geführten israelischenVorstoß über den Sueskanal und durch eine Bresche in den ägyp-tischen Linien gestoppt werden konnte.Ägypten war nun wieder in der Defensive. Am 16. Oktober flogder sowjetische Premier Alexei Kossygin nach Kairo und überre-dete Sadat zu einem Waffenstillstand. Kissinger flog am 20. Okto-ber nach Moskau und zwei Tage später nach Tel Aviv, wo er auchvon den Israelis die Zustimmung zu einem Waffenstillstand er-hielt. Inzwischen wurde die dritte ägyptische Armee von der Ein-

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kesselung bedroht. Die Israelis setzten ihren Angriff auf ägypti-schem Gebiet fort. Sie rückten nach Norden und Westen vor undnäherten sich Kairo bis auf hundert Kilometer. Nach der Ein-schließung der dritten Armee versetzte Leonid Breschnew seineLuftlandedivisionen in erhöhte Alarmbereitschaft und warnte dasWeiße Haus, wenn Israel nicht damit aufhöre, den Waffenstill-stand zu verletzen, »sähen wir uns gezwungen, angemessene ein-seitige Schritte in Betracht zu ziehen«. Breschnew hatte offenbarvor, sowjetische Truppen hinter die Linien in Ägypten zu bringen,um die Israelis zu blockieren und daran zu hindern, weiter aufKairo vorzurücken.Nixon war in diesen Tagen tiefer denn je in den Watergate-Skan-dal verstrickt. Die sowjetische Drohung kam ein paar Tage, nach-dem er den Watergate-Ankläger Archibald Cox entlassen und denRücktritt des Justizministers Elliot Richardson und seines Stellver-treters William Ruckelshaus akzeptiert hatte (das sogenannte»Massaker von Samstagabend«). Der Präsident war schon durchdie Anklage wegen Korruption und den darauf folgenden Rück-tritt von Vizepräsident Spiro Agnew schwer angeschlagen. Hinzukam der von den arabischen Staaten angekündigte Ölboykott ge-gen die USA und die drastische Erhöhung der Rohölpreise.Es gibt trotz der Alarmbereitschaft in der UdSSR keine Beweisedafür, daß die Sowjets tatsächlich vorhatten, größere Truppen-kontingente nach Ägypten zu senden. Die meisten Kenner derMaterie sind sich inzwischen darüber einig, daß Breschnew mitseiner Warnung an das Weiße Haus Washington zwingen wollte,Israel zum Einhalten des Waffenstillstands zu drängen. Kissingerübte wegen des Waffenstillstands auch wirklich Druck auf Israelaus (Nixon war von Watergate absorbiert; es ist nichts darüberbekannt, ob er in dieser Krise eine wichtige Rolle gespielt hat),aber gleichzeitig ordnete er die Alarmbereitschaft der 82. Luftlan-dedivision und der mit Atombomben bestückten B-52-Bomberdes Strategischen Luftwaffenkommandos an. Der Flugzeugträger»John F. Kennedy« wurde ins Mittelmeer geschickt, und min-destens fünfzig B-52-Bomber wurden von Guam in die USA zu-rückgerufen. Die Nation, noch ganz im Watergate-Taumel, warerstaunt und besorgt wegen der einseitigen Maßnahmen des Wei-

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ßen Hauses. Man nahm an, die Alarmbereitschaft sei in erster Li-nie aus innenpolitischen Gründen angeordnet worden, und nicht,weil die Sowjets gedroht hatten, im Nahen Osten zu intervenie-ren.3

Israel befahl angesichts der Maßnahmen der USA zum zweitenMal im Jom Kippur Krieg die nukleare Mobilmachung. (Diese In-formation stammt von Yuval Neeman, dem Physiker und Kern-kraftexperten, der später in mehreren israelischen RegierungenForschungs- und Wissenschaftsminister war.)Die Krise wurde jedoch rasch gemeistert, denn Golda Meir ließ dieFeindseligkeiten gegen Ägypten einstellen und erlaubte den UN-Friedenstruppen, die Einhaltung des Waffenstillstands zu kontrol-lieren. In dieser Situation übermittelte eine kleine und geheimeAufklärungseinheit der US-Marine unter der Bezeichnung TaskForce 157, die im Bosporus operierte, Daten nach Washington, ausdenen hervorging, daß eines der sowjetischen Schiffe, die aus demSchwarzen Meer in Richtung Mittelmeer unterwegs waren, radio-aktives Material an Bord habe. Wie ein Lauffeuer verbreitete sichdiese Meldung bei den amerikanischen Geheimdiensten und imWeißen Haus. In den nächsten Tagen - die Sowjets und viele Stim-men aus dem amerikanischen Kongreß und den Medien warfenNixon und Kissinger Überreaktionen vor - erschienen in der Pres-se Beschreibungen der sowjetischen Bedrohung, garniert mit dra-matischen Einzelheiten über den Transport von Atomsprengköp-fen nach Ägypten.Die vollständigste Beschreibung der - aus Sicht des Weißen Hau-ses - sowjetischen Eskalation erschien 1974 unter dem Titel Kis-singer, eine Biographie von Marvin und Bernhard Kalb. Die bei-den arbeiteten damals als Korrespondenten für CBS. Kissingersoll am Morgen nach der Anordnung der Alarmbereitschaft vonEinheiten der US-Armee von der CIA über »einen erschreckendenBericht aus Ägypten« informiert worden sein: Es sei nicht auszu-schließen, »daß die Russen dort Atomwaffen stationiert habenkönnten«. Der amerikanische Geheimdienst, schreiben die Auto-ren, »sei einem sowjetischen Schiff auf der Spur gewesen, das ra-dioaktives Material an Bord hatte und auf Port Said Kurs nahm«.Es sei angenommen worden, daß mehrere sowjetische Atom-

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Sprengköpfe den Ägyptern zur Bestückung ihrer SCUD-Raketenüberlassen werden sollten. »Der Bericht erhärtete Kissingers Auf-fassung, daß die Russen Luftlandetruppen nach Ägypten schickenwollten. Die Atomwaffen könnten einer größeren sowjetischenStreitmacht Rückendeckung geben. Andererseits mußte Kissingerdie Möglichkeit in Betracht ziehen, daß die Russen Atomwaffennach Ägypten brachten, weil sie glaubten, die Israelis hättenAtomwaffen und wollten sie gegen Ägypten einsetzen.«Leider entspricht Kissingers Schilderung nicht den Tatsachen.Der Bericht der Task Force 157 wurde sehr schnell von den Ge-heimdiensten als irrelevant zu den Akten gelegt. Ein hochrangi-ger amerikanischer Offizier, der damals eine wichtige Geheim-dienstagentur leitete, sagte, die Aufklärung habe ergeben, daßdie Sowjets zwar einen Frachter in einem Schwarzmeerhafen mitAtomsprengköpfen beladen hätten. Dieses Schiff sei jedoch niein See gestochen. »Ein anderes Schiff fährt los«, erzählte der Of-fizier, »und schon meldet uns die dumme kleine 157«, die so-wjetischen Sprengköpfe seien ins Mittelmeer und möglicherwei-se nach Ägypten unterwegs. »In den USA spielen alle verrückt,aber es war eine völlig falsche Information. Es war ein anderesSchiff«, das durchs Schwarze Meer fuhr. Auch von sowjetischenBeamten, die direkt angesprochen wurden, bekam man nega-tiven Bescheid: »Die Sowjets sagten, sie hätten nichts losge-schickt.« Die Geheimdienste zogen daraus den Schluß, es gebekeinen Beweis für einen sowjetischen Versuch, Atomsprengköp-fe ins Kampfgebiet zu schaffen.4 Die Hinweise, die statt dessenvorlagen (damals wurden sie nicht veröffentlicht, und auch Kis-singer erwähnt sie in seinen Memoiren nicht), deuteten daraufhin, daß die sowjetischen Zerstörer und anderen Schiffe im Na-hen Osten Order hatten, die nächsten Häfen anzulaufen undihre Atomwaffen auszuladen. Patrick Parker, damals Stellver-tretender Abteilungsleiter im Verteidigungsministerium mit Zu-ständigkeit für den Bereich Spionage, erinnerte sich, unter hö-heren Geheimdienstbeamten im Pentagon habe Einvernehmendarüber geherrscht, daß »die Sowjets verständlicherweise Angstvor der Situation hatten und sie unter Kontrolle behalten woll-ten«.Auch den angeblichen sowjetischen Transport der Sprengköpfeerwähnt Kissinger im zweiten Band seiner Memoiren nicht; ge-nausowenig hat er - oder sonst ein amerikanischer Beamter - zu-

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gegeben, daß Israel im Verlauf der Krise zweimal eine nukleareMobilmachung anordnete. Nach der Krise im Oktober ließ er al-lerdings durchblicken, daß man sich offiziell neue Sorgen wegenDimona machte. Einige Wochen nach dem Krieg forderte Kissin-ger von der CIA eine formelle Einschätzung des israelischenAtomwaffenprogramms an. In dem Papier war von mindestenszehn Atomsprengköpfen die Rede. Die Abteilung für Wissen-schaft und Technik unter Carl Duckett brauchte Monate für denBericht; dann wurden die Materialien wieder nur dem WeißenHaus vorgelegt.5

Der israelischen Regierung wurde gegen Ende des Krieges klar,daß die amerikanischen Geheimdienste irgendwie - unabhängigvon den Sowjets oder von Botschafter Dinitz - von der nuklearenMobilmachung in Israel erfahren hatten. »Irgendwie, und dasweiß ich genau«, sagte ein früheres Mitglied des persönlichen Sta-bes von Golda Meir, »fanden die Amerikaner es heraus. Daraufhinführte der Mossad eine Untersuchung durch, wie sie das geschaffthatten. Golda Meir beauftragte den Mossad, zu ermitteln, welcherSchaden dadurch entstanden war.« Die Untersuchung habe nocheinen anderen Aspekt gehabt: Da die Israelis annahmen, dieamerikanischen Geheimdienste hätten entdeckt, daß sowjetischeSprengköpfe durchs Schwarze Meer transportiert wurden, stelltensie die Fragen: »Hatte es eine Drohung gegeben? Wieviel habensie [die USA] uns verraten? Was wußten die USA und wann habensie es uns gesagt?«Die Ergebnisse der Mossad-Untersuchung sind nicht bekannt.Golda Meirs Befürchtung, die USA könnten Israel ausspionieren,wurde jedoch erst geringer, als Kissingers »Pendeldiplomatie« inGang kam. Sieben Jahre danach wurde ganz dezent ein Hinweisveröffentlicht, daß die USA unmittelbar bei der nuklearen Mobil-machung informiert gewesen waren. Der Journalist Jack Ander-son publizierte täglich in mehreren Zeitungen eine Kolumne. Am10. März 1980 nahm er den Einfluß der amerikanischen Ölindu-strie auf das Energieministerium zum Thema. Der Kolumne war

ein vier Absätze langer Zusatz mit der Überschrift »Close Call« an-gefügt. Darin hieß es unter anderem: »In den Geheimakten desPentagon finden sich erschreckende Hinweise darauf, daß Israel

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nach dem arabischen Angriff von 1973 gefährlich nahe am Randeines Atomkrieges entlangmanövrierte. In den Geheimdokumen-ten ist zu lesen, Israel hätte in wenigen Stunden sein gesamtesKriegsmaterial verbraucht gehabt. >In diesem entscheidenden Au-genblick wurde mit den USA die Möglichkeit des Einsatzes vonAtomwaffen erörtert«, heißt es in einem Bericht. Die Amerikanerfürchteten, die Israelis könnten sich, um ihr Überleben zu si-chern, für diese Option entscheiden. Dies war, laut den Geheim-papieren, ein zwingender Grund für die USA, Israel mit konven-tionellen Waffen zu versorgen.«

Weitere Hinweise auf die israelische Bereitschaft, im Krieg von1973 Atomwaffen einzusetzen - oder mit ihrem Einsatz zu dro-hen -, wurden Anfang des nächsten Jahres bei einem Treffenzwischen David Elazar und Generalleutnant Ortwin Talbott ge-liefert, dem stellvertretenden Chef von TRADOC (Kommando fürdie Ausbildung und die Entwicklung von Einsatzkonzepten desUS-Heeres). Talbott machte einen längeren Besuch in Israel, umeinige Lehren aus dem Jom Kippur Krieg zu erörtern und erbeu-tetes arabisches und sowjetisches Kriegsmaterial zu inspizieren.Mit Elazar, der immer noch israelischer Stabschef war, hatte ermehrfach Kontakt. Bei einem Treffen, erinnerte sich Talbott,kam Elazar plötzlich und unvermittelt auf die israelische Dro-hung zu sprechen, in den verzweifelten Stunden des KriegesAtomwaffen einzusetzen: »Ich hatte damals den Eindruck, daß erWashington durch mich wissen lassen wollte, wie ernst die Lagegewesen war - nämlich kurz vor dem Punkt, an dem sie Atom-waffen eingesetzt hätten.« Talbott begriff die Bedeutsamkeit derInformation und verfaßte schnell eine kurze, streng geheimeNotiz für General Creighton Abrams, den Stabschef des Heeres.»Ich habe keine Kopien davon angefertigt und es niemandemgezeigt«, sagte der inzwischen pensionierte Talbott. »Ich hielt dasdamals nicht für eine Information, über die man diskutieren soll-te. Ich nahm an, Dado wollte uns etwas mitteilen.«6

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General Talbott hatte seine Pflicht getan, aber sein Bericht anCreighton Abrarns zeitigte keine Wirkung. Carl Duckett, der da-mals direkt für die Aufklärungsarbeit der CIA über das israeli-sche Atomwaffenarsenal verantwortlich war, erfuhr zum erstenMal durch den Autor dieses Buches von Talbotts Notiz; er sagteauch, er sei nie über irgendwelche Erkenntnisse informiert wor-den, nach denen Israel im Jom Kippur Krieg zweimal eine nu-kleare Mobilmachung angeordnet habe.Die Kontrolle der Information über das atomar bewaffnete Israelwar nahezu total: Auch ein nach Israel versetzter CIA-Beamterwußte ganz konkret von der nuklearen Mobilmachung und be-richtete seinen Vorgesetzten nicht, wie auch Henry Kissinger ge-schwiegen hatte. Der CIA-Beamte war ein Experte auf dem Ge-biet der Fernmeldeaufklärung und verbrachte nach 1970 dreiJahre als geheimer Verbindungsoffizier bei der Einheit 8200; ersollte unter anderem den Israelis bei der Überwachung des Da-tenaustauschs zwischen den hochentwickelten sowjetischen Ra-dar- und Fernmeldeanlagen helfen, die den Ägyptern währenddes Abnutzungskrieges geliefert worden waren. Israel betrieb mitGeräten, die von der National Security Agency gepachtet waren,mindestens drei geheime Horchposten. Sie konnten Funksprücheim ganzen Nahen Osten bis in den Süden der Sowjetunion hineinabfangen. Die Informationen wurden gemeinsam mit den USAausgewertet, und der amerikanische Geheimdienstoffizier konnteviel über israelische Arbeitsmethoden beim Abfangen des feindli-chen Nachrichtenaustauschs lernen.7

Nach dem Krieg faßte er einen streng geheimen Bericht über ei-nige israelische Täuschungsmanöver ab. So waren beispielsweiseden ägyptischen und syrischen Truppen per Funk von den Israe-lis Befehle erteilt worden, um deren Operationen zu behindern.»Ich schrieb einen kurzen Bericht für Jessup« (Peter Jessup warAnfang der siebziger Jahre zum zweiten Mal Stationschef derCIA), »aber ich wußte, daß die Israelis ihn sich in Washingtonschnappen würden, wenn er zu den Akten gelegt wurde. Alsowar ich sehr vorsichtig bei meinen Formulierungen. Ich erwähntenichts davon, daß meine Gespräche [mit seinen israelischen Kon-taktleuten] sich auch um atomare Drohungen gedreht hatten. Ich

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wußte, daß die vorhandenen Waffen ein gewichtiger Faktor allerKalkulationen waren. Sie [die Israelis] sagten mir, das sei denÄgyptern mitgeteilt worden, und fügten hinzu: Wir haben dieseArt wechselseitiger Kommunikation entwickelt.««Nach dem Krieg kehrte der CIA-Mann zurück nach Washingtonund wurde zu James Angleton bestellt, dem Chef der Spionage-abwehr. Angleton war nach wie vor für Israel zuständig. Er hatteden Bericht über die israelischen Täuschungsmanöver gelesenund wünschte nachträglich noch eine gesonderte Berichterstat-tung. Es war eine bizarre Situation, erinnerte sich der CIA-Mann:»Ich wurde praktisch zwei Tage lang von einem von AngletonsLeuten verhört, während er im Vorzimmer am Schreibtisch einerSekretärin saß.« Es war klar, daß der Raum abgehört wurde undAngleton das Gespräch verfolgte. Der Mitarbeiter verließ manch-mal den Raum, um ein Faktum oder die Stoßrichtung der Befra-gung mit ihm abzusprechen, aber Angleton selbst trat nie in Er-scheinung. Nur durch gelegentliches Stuhlrücken verriet er demCIA-Mann seine Anwesenheit.»Ich sprach nicht über das Thema Atomwaffen«, sagte der CIA-Mann. »Und ich habe es auch nicht in irgendwelche Botschaftenverpackt. Ich hatte das Gefühl, daß über diesen Bereich andereLeute Bescheid wußten und daß von mir niemand etwas darüberhören wollte.«In der Folge kehrten die Israelis und Amerikaner wieder zurVogel-Strauß-Politik zurück. Im Juni 1974 jedoch gab Anwar elSadat bekannt, sein Land habe Hinweise, daß Israel taktischeAtomwaffen entwickelt habe. Eine Woche später stritt Shimon Pe-res, Verteidigungsminister der neuen israelischen Regierung unterYitzhak Rabin, kategorisch die Existenz solcher Waffen ab undwarf Sadat vor, er »sammle selbstfabrizierte Informationen«. DerZank zwischen den beiden Ländern fand nur schwächlichen Wi-derhall in der Presse und löste bei Präsident Gerald Ford und sei-nen Beratern keine Besorgnis aus. Ein Beamter des NationalenSicherheitsrates schnitt das Thema beim Essen mit einem israe-lischen Diplomaten mehr als ein Jahr später behutsam an. »Ichsagte ihm, meiner Meinung nach sei bei uns die Auffassung allge-mein verbreitet, daß Israel Atomwaffen hat«, berichtete der Beam-

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te später in einer internen Notiz. Der israelische Diplomat strittdie Existenz einer israelischen Atombombe ab und schien »sicht-lich verstört... Er war gar nicht einverstanden mit der Wendung,die das Gespräch genommen hatte, und lenkte es schnell aufKunst und Musik. Und dabei blieb es.«

Im März 1976 machte Carl Duckett einen Fehler, der seiner Karriereein Ende setzte: Er sprach offen über Israels Atombewaffnung. Am11. März 1976 nahm Duckett mit anderen CIA-Beamten an eineminformellen Seminar mit Mitgliedern des amerikanischen Institutsfür Luft- und Raumfahrt teil. Solche Veranstaltungen, die in einemHörsaal in der Nähe des CIA-Hauptquartiers in McLean, Virginia,stattfanden, waren in Washington an der Tagesordnung; es ver-stand sich von selbst, daß keine geheimen Informationen preisge-geben werden durften. Duckett wurde von einem Teilnehmernach Israels Atombewaffnung gefragt und antwortete ohne zu zö-gern, Israel verfüge schätzungsweise über zehn bis zwanzig »ein-satzbereite« Kernwaffen. Nach wenigen Tagen erschien ein Berichtüber diese Bemerkung in der Washington Post. Dadurch warGeorge Bush, der neue CIA-Direktor, zu einer öffentlichen Stel-lungnahme gezwungen. Er übernahm die »volle Verantwortung-für die Preisgabe der Geheiminformation. Sichtlich wütend fügteBush hinzu, er sei »entschlossen, dafür zu sorgen, daß so etwasnicht noch einmal geschieht«. Duckett war bei der Besprechungangeblich angetrunken - offenbar wurde unterstellt, nur ein Besof-fener könne so töricht sein, öffentlich über Israels Atomwaffen zusprechen. Bush nahm Ducketts Entlassungsgesuch an.Jahre später gab Duckett bei einem Gespräch über diese Erei-gnisse zu, Gerüchte über seine Alkoholprobleme hätten »zu ei-nem Gespräch mit Bush und meiner Entscheidung geführt, dieCIA zu verlassen«. Der eigentliche Grund sei jedoch nicht der Al-kohol gewesen, sondern Bushs Weigerung, ihn zum stellvertre-tenden Direktor der CIA zu befördern.Das Wissen in der CIA über das israelische Atomwaffenarsenalblieb konstant gering. Ducketts Schätzung aus dem Jahr 1974,daß Israel über zehn bis zwanzig Atombomben verfüge, galt bisAnfang der achtziger Jahre als offizielle Ansicht der amerikani-

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sehen Geheimdienste - Jahre, in denen Israel seinen Vorrat anAtomsprengköpfen exponentiell vergrößerte. Duckett gab zu,daß der Schätzung keine spezielle Information zugrunde lag.»Wir überlegten, was wohl die Ziele ihrer Atomraketen sein wür-den«, - und diese Daten seien dann benutzt worden, um die An-zahl der produzierten Sprengköpfe zu schätzen. »Wir spekulier-ten«, sagte er über die Mitarbeiter der CIA. »Unserer Ansicht nachhatten die Israelis keinen Grund, mehr Bomben [als zehn biszwanzig Stück] zu bauen - und deshalb blieben unsere Zahlenziemlich stabil. Sie hatten aber genaugenommen keine realeGrundlage.«

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Unrecht

Carl Ducke« legte der CIA 1968 unter höchster Geheimhaltungseine Einschätzung vor, der zufolge Israel über drei oder vierAtombomben verfügte. Diese Annahme basierte vor allem aufDucketts Überzeugung, daß ein amerikanischer Jude namens Zal-man Shapiro fast 100 Kilogramm angereichertes Uran nach Israelverschoben habe - genug für vier Bomben. Das angeblich ge-schmuggelte Uran war 1974 auch für Ducketts zweite Schätzungein wesentlicher Faktor. Er vermutete, daß Israel nunmehr übermindestens zehn Bomben verfügte. Diese Schätzung beruhte aufzwei Annahmen: auf der Uranmenge, die Shapiro nach DuckettsÜberzeugung abgezweigt hatte, und auf der Vermutung, daß dieisraelischen Techniker in Dimona seit 1970 auf chemischem We-ge genug Plutonium für sechs weitere Bomben produziert hatten.Wie Israel dies ohne eine chemische Wiederaufbereitungsanlagehätte erreichen sollen, blieb unklar; die CIA hatte noch keinenBeweis gefunden, daß Israel über eine solche Anlage verfügte.Doch Duckett und seine Kollegen, unter ihnen vor allem RichardHelms, hielten Shapiros Schuld für erwiesen.Shapiro war nach Auffassung der CIA nicht irgendein Jude, derIsrael unterstützte; er war vielmehr im Geschäft mit der nukle-aren Brennstoffaufbereitung tätig, reiste regelmäßig nach Israelund trat in mehreren Unternehmungen als Geschäftspartner derisraelischen Regierung auf. Auch in anderer Hinsicht erweckte erden Eindruck einer gespaltenen Loyalität: Er war der sehr erfolg-reiche Sohn eines orthodoxen Rabbiners, der aus Litauen einge-wandert war; er hatte die Abschiedsrede bei der Schlußfeier sei-ner High School in Passaic, New Jersey, gehalten und war dannan die Johns Hopkins University gegangen; er hatte den Magister-abschluß im Abendunterricht geschafft und 1948 - im Alter von

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28 Jahren - mit einem Stipendium der Standard Oil von Indianaden Doktortitel in Chemie erworben. Shapiro war brillant undkonnte hart arbeiten. Er gehörte zu den ersten Wissenschaftlern -und 'war mit Sicherheit einer der ersten Juden —, die in einem neueingerichteten Labor der Westinghouse Electric Corporation imAuftrag der US-Marine Atomreaktoren für U-Boote entwickelnsollten.Shapiro wurde in seiner Zeit bei Westinghouse strengen natio-nalen Sicherheitsprüfungen unterworfen. Er machte aus seinerLoyalität zu Israel kein Geheimnis. Mehrere Mitglieder seiner Fa-milie waren dem Naziterror zum Opfer gefallen; Shapiro glaubte,ein unabhängiger jüdischer Staat sei notwendig. Er wurde aktivesMitglied der Zionistischen Organisation von Amerika und leisteteder American Technion Society großzügige Unterstützung. DieseGesellschaft wirbt um Spenden und stellt dem Technion-Instituteof Technology in Haifa, der besten technischen Hochschule Isra-els, Ausrüstungen zur Verfügung.Im Jahre 1957 gründete er mit mindestens 25 Aktionären in ei-nem seit dem Zweiten Weltkrieg stillgelegten Stahlwerk in Apol-lo, Pennsylvania, eine Gesellschaft für nukleare Brennstoffaufar-beitung. Apollo liegt etwa 25 Meilen nordöstlich von Pittsburgh.Das Unternehmen trug den Namen Nuclear Materials and Equip-ment Corporation (NUMEC). Die Branche für Brennstoffaufberei-tung wurde von Firmen beherrscht, die in der Fortune-Liste der500 größten amerikanischen Unternehmen aufgeführt waren; imVergleich zu diesen Firmen war Shapiros Gesellschaft recht un-bedeutend. Er mußte ständig um Aufträge kämpfen. Shapiro ak-quirierte sehr aggressiv. In den frühen sechziger Jahren erbrach-te NUMEC bereits für mindestens neun ausländische Staatennukleare Dienstleistungen. Ständig besuchten ausländische Ge-schäftsleute die Anlage, viele auf Empfehlung des Handelsmini-steriums und des Außenministeriums, die das Regierungspro-gramm »Atoms for Peace« vorzeigen wollten. Mindestens dreiAusländer waren bei NUMEC beschäftigt, darunter ein israeli-scher Metallurgie-Experte, der Forschung über Brennstoffe fürReaktoren vom Typ der schnellen Brüter betrieb. Damals fandauch ein ständiger Austausch zwischen Sicherheitsbeauftragten

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der AEC und NUMEC über den Umgang mit Materialien statt, dieder Geheimhaltung unterlagen. Shapirqs Firma wurde aufgefor-dert, ihre Verfahren zu verbessern.Im Jahre 1965 stellte ein Inspektionsteam der AEC nach jahre-langen internen Anhörungen und Überprüfungen fest, daß fast100 Kilogramm angereichertes Uran nicht mehr auffindbar waren.Westinghouse und die US-Marine hatten das Uran an NUMEC zurAnreicherung geliefert. Schließlich äußerten der GemeinsameAusschuß für Atomenergiefragen des Kongresses und die CIAden Verdacht, Shapiro habe das Uran nach Israel verschoben.Dieser Verdacht der Beihilfe zur Proliferation blieb an Shapiro inden folgenden 25 Jahren haften - die wichtigsten Beweise gegenihn waren seine jüdische Abstammung und die Tatsache, daß ei-ner der Hauptaktionäre der NUMEC Israel gegenüber ebenso loyalwar wie Shapiro. Eine Anzahl erfahrener Revisoren der Regierungund des Kongresses, wie auch Dutzende von Journalisten, hieltenShapiros emotionale Bindung an Israel für ein ausreichend starkesMotiv, um Atomspionage zu begehen, ein Verbrechen, auf dasnach dem Atomenergiegesetz die Todesstrafe stand.Mehr als zehn Jahre lang wurden intensive Nachforschungen an-gestellt, an denen auch das FBI beteiligt war. Eindeutige Bewei-se, daß Shapiro Uran aus seiner Fabrik verschoben hatte, wur-den nicht gefunden. Dennoch hielten ihn viele in Regierung undPresse auch weiterhin für schuldig. In jedem Artikel, der sich mitder Entwicklung israelischer Atomwaffen befaßte, fand sich un-weigerlich auch ein Hinweis auf Shapiros Bindung an Israel undauf den angeblichen Uran-Deal seiner Firma. In manchen Zei-tungen oder Büchern wurde zwar angemerkt, daß die Anschul-digungen gegen Shapiro nicht hatten bewiesen werden können;in anderen Berichten jedoch wurde einfach festgestellt, Shapirohabe Uran geliefert und Israel zur Atombombe verholfen.Zalman Shapiro hatte kein Uran aus seiner Aufbereitungsanlagefür Israel abgezweigt, aber diese Tatsache war ein schwacherTrost für die Atomindustrie, denn das fehlende Uran wurde garnicht gestohlen, sondern verflüchtigte sich in die Luft und in dasWasser von Apollo und in die Leitungen, Röhren und Böden derNUMEC. Und die amerikanischen Geheimdienste waren betrübt,

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daß sie Shapiro den Deal nicht beweisen konnten, weil sie vonShapiros enger Bindung zu Ernst David Bergmann und BinyaminBlumberg ebensowenig erfuhren wie von der heiklen - und legi-timen - Mission, die er für sein geliebtes Israel auf sich nahm.

Shapiros Aufgabe war nicht gerade angenehm: Bei vielen Auf-trägen der NUMEC ging es um die chemische Trennung undWiedergewinnung angereicherten Urans aus dem bei der Her-stellung von nuklearen Brennelementen anfallenden Müll. DieAbfälle wurden mitunter zwei- bis dreimal chemisch behandelt,um das Uran zu extrahieren. Bei diesen Prozessen entstanden un-vermeidlich gewisse Verluste, denn kleine Mengen angereicher-ten Urans gingen durch Abwässer verloren oder setzten sich inBürsten, Luftventilen, Filtersystemen, Reinigungsmaterialien undSchutzmasken fest. Solche Aufträge nahmen die größeren und fi-nanziell stärkeren Konkurrenzfirmen der NUMEC gar nicht an.Bei anderen Aufträgen der NUMEC ging es um weniger schmut-zige Arbeiten, zum Beispiel um die Umwandlung von hochgradigangereichertem Uran (93 Prozent U-235) aus gasförmigem Uran-hexafluorid - in dieser Form wurde es von den riesigen staat-lichen Urandiffusionsfabriken angeliefert — in pulverförmigesUranoxid, das zu Brennelementen für die Reaktoren der US-Ma-rine weiterverarbeitet werden konnte. Auch bei diesen Prozessenentstanden Abfälle - 10 bis 15 Prozent des Urans verblieb im Müllund mußte wiedergewonnen werden. Da die Arbeit mit waffen-fähigen Stoffen außerordentlich gefährlich war, mußte NUMECdas uranhaltige Material in kleine Portionen aufteilen, um zu ver-hindern, daß eine Kettenreaktion in Gang kam. Dadurch fiel je-doch zusätzlich Abfall an. Die Regeln der AEC bezüglich der Wie-dergewinnung von waffentauglichem Uran und Plutonium warensehr streng. Shapiros Unternehmen war voll verantwortlich undmußte hohe Bußgelder für alles angereicherte Material bezahlen,über das es keine Rechenschaft ablegen konnte: pro Gramm zehnDollar; jedes Kilogramm bedeutete also einen Verlust von nahezu10 000 Dollar.Das Kürzel MUF (»Material unaccounted for«) bezeichnete dasUran, das bei den Bearbeitungsprozessen verlorenging; in der

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Kernbrennstoffindustrie wurde es zu einem alltäglichen Begriff.Entscheidender Faktor des Sicherheitsprogramms der AEC warendie Geldbußen für die Materialverluste. Man ging davon aus, daßkeine Wiederaufbereitungsfirma Uran verschieben oder stehlenwürde, wenn sie mit harten Strafen rechnen mußte.Die AEC erarbeitete schließlich komplizierte Regeln für denNachweis von MUF. Diese Regeln ermöglichten es Privatunter-nehmen wie der NUMEC, in ihren regelmäßigen Berichten dieUranmengen zu schätzen, die in den Luftfiltersystemen der Fabrikoder in ihren Abfallgruben verblieben waren. NUMEC führte beijedem Auftrag routinemäßig beträchtliche Verluste von angerei-chertem Material an - 30 bis 40 Prozent waren nicht ungewöhn-lich. Nach Schätzungen sollten mindestens 80 Prozent des verlo-renen Materials bei der Reinigung wiedergewonnen werdenkönnen. Die AEC akzeptierte solche Schätzungen als realistischund verzichtete auf Strafen.Es war kein Geheimnis, daß in dieser Branche Atommüll alsunvermeidliches Nebenprodukt angesehen wurde; in einem Sä-gewerk galt schließlich Sägemehl auch als unvermeidlich. DerAtommüll gehörte jedoch zu jenen Fakten, die der Öffentlichkeitsorgsam verschwiegen wurden. Angesichts der zunehmendenSensibilität der Nation gegenüber Umweltkosten blieb die Nu-klearindustrie zu diesem Problem ausgesprochen einsilbig. Dasangereicherte Material, das die Beschäftigten der NUMEC bear-beiteten, war nicht »heiß« im eigentlichen Sinne, denn es warnicht in einem Reaktor bestrahlt worden; deshalb ging auch kei-ne schädliche oder gar tödliche Strahlung von ihm aus. Gefähr-lich für die Beschäftigten der NUMEC war jedoch, daß Uranüber die Atemwege oder auf andere Art in ihre Körper gelangte.Wie alle Schwermetalle akkumuliert Uran in den Knochen, greiftdas Knochenmark an und verursacht Leukämie. AngereichertesUran kann Lungenkrebs auslösen, wenn es eingeatmet wird. DieNUMEC-Beschäftigten wurden deshalb ständig ermahnt, Schutz-masken zu tragen. Allerdings weigerten sich viele, vor allem imSommer, die Masken anzulegen.Zalman Shapiro bekam 1962 Probleme, die schließlich seine Kar-riere beenden sollten. Damals bewarb er sich als Billiganbieter

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bei Westinghouse um zwei schwierige Aufträge. Es ging um dieAufbereitung von mehr als 1100 Kilogramm angereichertenUrans. NUMEC erhielt von Westinghouse die Zusicherung, daßmindestens 60 Prozent von jeweils 100 Kilogramm Uran erfolg-reich aufbereitet werden könnten. Bis zu 40 Prozent des Uransverblieben also zunächst im Müll und sollten getrennt wiederge-wonnen werden. NUMEC mußte jedoch bald feststellen, daß derProzeß bei einem der beiden Aufträge weit schwieriger war, alsWestinghouse angekündigt hatte; nur 35 Prozent der Ausbeutewaren verwendbar. Fast zwei Drittel des von Westinghouse gelie-ferten Urans blieb im Abfall und wurde schließlich größtenteils -wie Shapiro und seine Geschäftspartner dachten - zusammen mitverseuchten Reinigungsmaterialien in Fässern in zwei riesigenGruben auf dem Gelände der NUMEC vergraben. Die Müllgrubenenthielten nicht nur den verseuchten Müll aus dem Westing-house-Auftrag, sondern auch aus anderen Aufträgen privater Un-ternehmen. Shapiro hatte den Abfall der einzelnen Aufträge nichtgetrennt gelagert, wie es die AEC vorschrieb. Inspektoren derAEC kamen später zu dem Schluß, Shapiro habe den Abfall ver-schiedener Aufträge absichtlich vermischt, um Kosten zu sparen.Shapiro verärgerte die AEC auch durch sein Zögern - wiederumaus Kostengründen —, mit der zeitintensiven Arbeit der Rückge-winnung des fehlenden Urans aus dem Abfall zu beginnen. Stattdessen arbeiteten seine Beschäftigten an neuen Aufträgen, für dieer sofort bezahlt wurde. Bei der NUMEC wurde es die Regel, dieInspektionsteams der AEC, die Nachweise über das fehlendeUran verlangten, immer wieder mit fadenscheinigen Gründen zuvertrösten.

Die AEC unternahm 1964 und 1965 in langwierigen Verhandlun-gen den Versuch, die komplizierte Angelegenheit aus der Weltzu schaffen. Shapiro begründete sein Verhalten dabei beharrlichmit der schwierigen finanziellen Lage der NUMEC. Ein Teil derAbfälle von 1963 wurde schließlich ausgegraben; die Inspekto-ren der AEC stellten fest, daß die Menge des dort vergrabenenangereicherten Urans zur Erklärung des riesigen Ausschusses beiweitem nicht ausreichte. Die Inspektoren folgerten, daß 93,8 Ki-

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logramm angereichertes Uran nicht nachweisbar (»MUF«) seien.Sie berichteten ihrer Behörde ferner, daß aufgrund der »unzurei-chenden und unvollständigen Buchführung« der NUMEC eineFehlleitung nicht ausgeschlossen werden könne, obwohl es »kei-ne Beweise« für die Proliferation des Urans gebe. Die Angele-genheit wurde bei einer eigens einberufenen Besprechung vonKommissionsmitgliedern und leitenden Angestellten der AEC imFebruar 1966 behandelt. Nach einem mittlerweile freigegebenenProtokoll dieser Besprechung beschlossen die Kommissionsmit-glieder, durch eine Befragung der Beschäftigten der NUMEC zuklären, was geschehen war. Außerdem wurde beschlossen, daßder Gemeinsame Ausschuß für Atomenergiefragen des Kongres-ses von dem verschwundenen Uran in Kenntnis gesetzt werdenmüsse.Der Bericht an den Kongreß schlug ein wie eine Bombe. Schonim Oktober 1964 war die mit Atomfragen befaßte amerikanischePolitik und Wirtschaft durch die Nachricht erschüttert worden,daß die erste chinesische Atombombe mit Uran und nicht, wiedie CIA und andere Geheimdienste erwartet hatten, mit Plutoni-um gezündet worden war. Sofort war der Verdacht entstanden,daß China das angereicherte Uran für seine Bombe auf demschwarzen Markt erworben - oder gestohlen - habe. (Die CIAerfuhr erst etwa ein Jahr später, daß China eine riesige Diffu-sionsanlage viel früher als erwartet in Betrieb genommen hatte.)Die Sicherheitsrichtlinien der AEC wurden von einem gemein-samen Komitee des Kongresses überprüft; in dem Bericht diesesKomitees wurde die Auffassung der AEC in Zweifel gezogen,daß Geldbußen einen ausreichenden Schutz gegen nukleareSchiebereien böten. Die AEC schien dem Bericht zufolge ihrePflicht als getan zu betrachten, »wenn für das Material bezahltwurde«.Die AEC, die dem Problem der Proliferation gegenüber stetswachsam war, hatte die Verluste der NUMEC im Oktober 1965dem FBI mitgeteilt. Das FBI hatte keine Veranlassung für eineÜberprüfung gesehen. Nach inzwischen freigegebenen Doku-menten stellten die verantwortlichen Nachrichtenoffiziere fest,daß »diese Situation bisher von der AEC zu Recht als Verwaltungs-

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angelegenheit behandelt wurde und daß es für uns keine Veran-lassung gibt, einzugreifen ...«. Ein Inspektorenteam der AEC ver-nahm schließlich mehr als 120 Beschäftigte der NUMEC. Beweisedafür, daß Uran abgezweigt worden war, wurden nicht gefunden.

Die CIA blieb dennoch weiterhin an Shapiros langdauernden Ver-bindungen zu Israel interessiert. Shapiro reiste häufig nach Israel,und unter den vielen ausländischen Besuchern, die sich für Be-triebsbesichtigungen der NUMEC einschrieben, waren auch Israe-lis. Shapiro war ferner Partner der israelischen Regierung bei Ge-schäften mit der Pasteurisierung von Nahrungsmitteln und derSterilisierung von medizinischen Gerätschaften durch Bestrah-lung. Zwischen Israel und der NUMEC wurden Pakete hin- undhergeschickt. Selbst Ende 1966 hatte John Hadden, der Leiter derCIA-Station in Israel, noch keine Beweise finden können, daß Is-rael eine chemische Wiederaufbereitungsanlage in Dimona be-trieb, obwohl die amerikanische Botschaft in Tel Aviv über denisraelischen Fortschritt bei der Herstellung von Atomwaffen zuberichten begonnen hatte. Ohne eine solche Anlage konnte Israeldas angereicherte Uran oder das Plutonium nur von Quellen au-ßerhalb des Landes beziehen, um jene Bomben herzustellen, diees nach Haddens Informationen faktisch bereits besaß.Ducken und Helms waren der Ansicht, daß Shapiro die Quellefür den israelischen Fortschritt in der Atomwaffenproduktion ge-wesen sein müsse. In den folgenden Jahren teilten die beidenMänner ihre Überzeugung jedem mit, der sie hören wollte - auchden Präsidenten Johnson und Nixon. Gebannt starrten sie auf dieBeziehungen Shapiros zu Israel; auch spielte dabei eine Rolle,daß David Lowenthal, einer der ersten Anteilseigner der NUMEC,vor 1948 dabei geholfen hatte, illegale Einwanderer nach Israelzu bringen. Duckett war schließlich davon überzeugt, wie er Mit-gliedern einer Untersuchungskommission des Kongresses mitteil-te, daß die NUMEC 1957 von Shapiro im Zuge einer weitreichen-den israelischen Geheimdienstaktion mit dem Ziel gegründetworden war, Uran zu verschieben. Die meisten Verdächtigungen,die Duckett und Helms vortrugen, wurden von George F. Murphyunterstützt, dem Stellvertretenden Direktor des Stabs des Aus-

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Schusses für Atomenergiefragen. Murphy konnte nicht glauben,daß fast 100 Kilogramm angereichertes Uran einfach in den Müll-gruben der NUMEC verschwunden waren. Er besaß allerdingskeinerlei Kenntnisse über den nuklearen Brennstoffzyklus. Shapi-ros angeblich schlampige Buchführung, die in den Berichten derAEC geschildert wurde, bezeichnete er als unerhört. Shapiro war,wie Murphy sagte, »der gerissenste, härteste Geschäftsmann, denich je kennengelernt habe«. Murphy war auch entsetzt über dieangeblichen Sicherheitsmängel bei der NUMEC und erklärte ei-nem Mitglied der Untersuchungskommission, er habe bei einerBetriebsbesichtigung in Apollo Urankugeln »überall auf denWerkbänken« herumliegen sehen. Die Möglichkeit einer Verschie-bung des Urans nach Israel schien festzustehen; Shapiro wurde inden späten sechziger Jahren unter FBI-Überwachung gestellt.Shapiro unternahm mittlerweile einen verzweifelten Versuch, seinUnternehmen zu retten. Er stellte James E. Lovett ein, der zuvorals leitender Wissenschaftler bei der AEC gearbeitet hatte. Lovettsollte für die Buchführung über die Nuklearmaterialien derNUMEC zuständig sein. Als erstes bestand er darauf, daß der Ze-mentfußboden der alten Fabrik mit rostfreiem Stahl abgedecktwurde. Lovett wußte, daß Zement viel mehr Uran absorbierte, alsman vermutete. Zur Wiedergewinnung der fehlenden 100 Kilo-gramm Uran aus den Abfallgruben der NUMEC gaben sich Shapi-ro und die anderen leitenden Angestellten des Unternehmens al-lerdings Illusionen hin, wie sich Lovett erinnerte. »Sie glaubtenallen Ernstes, wenn es hart auf hart ginge, könnten sie den größ-ten Teil wiedergewinnen.« Doch der größte Teil des Urans befandsich nicht in den Müllgruben der Anlage; er befand sich vielmehrin den Zementböden und in den Belüftungsanlagen oder war mitanderen Abfällen in die örtlichen Abwassersysteme oder in dieLuft gelangt.Die anhaltende Kontroverse über die angebliche Verschiebungdes Urans war in der engverschworenen Nuklearbranche allge-mein bekannt. Shapiro litt darunter. »Ich war ein toter, stinkenderFisch«, erinnerte er sich verbittert. »Aufträge wurden storniert undanderen Firmen gegeben.« Im Jahre 1967 sahen sich Shapiro undseine Partner gezwungen, mit der Atlantic Richfield Company

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(ARCO) zu fusionieren. Shapiro besaß noch immer eine Q-Lizenz(für eine Tätigkeit im Bereich der Atomenergie); er konnte des-halb weiterhin seine Fabrik leiten.Shapiro rührte jedoch ein zweites, geheimes Leben, von dem we-der CIA noch AEC jemals Kenntnis erhielten. Bei seinen Be-suchen in Israel war er vielen führenden israelischen Nukle-arwissenschaftlern begegnet und hatte mit einigen von ihnenFreundschaft geschlossen. Mit Ernst David Bergmann war seineFreundschaft besonders eng. Bergmann stand bis 1966 an derSpitze der israelischen Atomenergiekommission. Shapiro bezeich-nete Bergmann als Genie. »Er war das Genie der Genies. Er ar-beitete Tag und Nacht. Ich habe keine Ahnung, wann er schlief.«Bergmann war vor allem an einer atomgetriebenen Wasserentsal-zungsanlage interessiert, wie sich Shapiro erinnerte.Wasser war für Israel das kostbarste aller Güter. 1964 wurde eine240 Kilometer lange Wasserleitung vom Norden des Landes bis indie Negev-Wüste gebaut. Das System, bekannt als »National WaterCarrier«, stellte damals das größte Entwicklungsprojekt Israels dar.Es verband örtliche und regionale Wasserleitungen zu einem inte-grierten Netz, das die gesamten Niederschläge sammeln und in Re-servoirs leiten sollte. Das Netz konnte nicht ohne ständige Reibe-reien mit Syrien fertiggestellt werden, vor allem, weil die IsraelisWasser vom See Genezareth in Galiläa nach Süden leiten wollten.Im nördlichen Israel wurde das Wasser über weite Strecken in of-fenen Leitungen geführt und nur durch Zäune geschützt; die Was-serleitung stellte ein ideales Ziel für Terroristen dar. El Fatah, diearabische Guerillagruppe (die später ein wichtiges Mitglied der Pa-lästinensischen Befreiungsbewegung PLO wurde), drohte damit,das Wasser zu vergiften. Einmal fürchteten israelische Sicherheits-beamte, El Fatah habe versucht, den Zaun durchzuschneiden, derdie Wasserleitung schützte, um eine Bombe zu legen.Zalman Shapiro wurde damals von den Israelis gebeten, eine Me-thode zu entwickeln, mit der sich schnell und einwandfrei fest-stellen ließ, ob Wasser mit toxischen Stoffen verseucht war. Aberdas war nicht das einzige Problem: Rund 30 Prozent des Wassersverschwanden unterwegs. Die Israelis konnten nicht feststellen,wie und wo die Verluste zustande kamen. Während der vielen

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Untersuchungen von Seiten der US-Regierung und des Kongres-ses, denen NUMEC unterworfen wurde, gestand Shapiro zögerndein, daß er auch in der Frage des Wasserverlustes Israel beratenhabe. Er hatte den Israelis empfohlen, am See Genezareth einenradioaktiven Tracer in das entnommene Wasser einzubringen, umden Lauf des Wassers überwachen zu können. Shapiro hatte sichentschlossen, bei den Anhörungen nicht über alle seine Aktivitä-ten in israelischem Auftrag Auskunft zu geben. Er erklärte, die is-raelische Wasserversorgung sei noch immer gefährdet: »Ich wolltegewissen Leuten keinesfalls Anregungen geben.«In den späten sechziger Jahren organisierte Shapiro eine Reihevon Zusammenkünften amerikanischer Wissenschaftler und Is-raelis, manchmal in seiner privaten Wohnung. Dabei sei es umdie Frage gegangen, wie der National Water Carrier vor potentiel-len Terroristen geschützt werden könne. Einige Besprechungen,die Duckett und seine Kollegen als endgültige Beweise für Shapi-ros Schuld ansahen, wurden vom FBI überwacht. Damals hatteNUMEC den Auftrag erhalten, kleine Stromgeneratoren nach Is-rael zu liefern. Shapiro weigerte sich, die Funktion dieser Ge-neratoren zu beschreiben; er erklärte lediglich, sie seien für dieSicherung der Wasserleitungen bestimmt gewesen. Alle Lieferun-gen seien vom Handelsministerium für den Export freigegebenworden. »Wir hatten Genehmigungen dafür. Ich habe niemals ei-nes dieser Dokumente aus der Hand gegeben. Bei den Bespre-chungen ging es nur um die Wasserversorgung.«Shapiro wollte keine Auskunft darüber geben, ob er - wie vieleamerikanische Wissenschaftler — über die Anlage in Dimona in-formiert gewesen war. Er gab zu, Binyamin Blumberg zu kennen.Blumberg war Direktor des LAKAM, des Verbindungsbüros desisraelischen Premierministers für Fragen des wissenschaftlichenAustauschs: »Ich habe nie behauptet, ihn nicht zu kennen«, sagteShapiro, bestritt jedoch, jemals geheime amerikanische Angele-genheiten verraten oder radioaktive Materialien weitergegebenzu haben. »Ich habe mich für die Sicherheit Amerikas krumm ge-arbeitet. Glauben Sie denn wirklich, ich würde etwas tun, das dieSicherheit dieses Landes gefährdet?«Duckett und Helms waren nach wie vor überzeugt, daß sich Sha-

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piro der Spionage schuldig gemacht hatte. Nachdem Duckett mitEdward Teller gesprochen und 1968 seine erste Schätzung der is-raelischen Kernwaffenkapazität vorgelegt hatte, drängte Helmsdas FBI, die Nachforschungen zu den Beziehungen Shapiros zuIsrael wiederaufzunehmen. Damals stritt sich das FBI unter J. Ed-gar Hoover mit der Spionageabwehrabteilung der CIA unterJames Angleton erbittert über die Behandlung von Fahnenflüch-tigen. Außerdem stritten sich die beiden Dienste über die fort-gesetzten - und illegalen - CIA-Operationen in den VereinigtenStaaten. Im Auftrag des Präsidenten sollte die CIA herausfinden,ob die gegen den Vietnam-Krieg gerichtete Protestbewegung vonMoskau gesteuert wurde. Hoover stritt sich mit Helms währenddes ganzen nächsten Jahres über den Fall Shapiro. Ein ehemali-ges Mitglied der Untersuchungskommission des Kongresses gingdie Akten der Ausschüsse des Senats und des Repräsentanten-hauses für die Geheimdienste noch einmal durch. »Die CIA ließdamals Hoover wissen«, erinnerte er sich, »daß Hoover für dieSpionageabwehr in Amerika verantwortlich sei. Er solle Shapiroüberwachen und ihn festnehmen, falls er ein Spion sei. Hooverantwortete: 'Wir sind nicht einmal sicher, ob etwas gestohlen wur-de. Wenn es euch gelingt, nach Dimona zu gehen und (Beweisefür Shapiros Uranschiebereien) zu finden, reden wir wieder mit-einander.' Es war wie ein Spiel. Die Gesprächsprotokolle klangenhysterisch. So ging es immer hin und her.«

Die Akte NUMEC blieb bis 1975 geschlossen. Shapiro arbeitetewieder im Auftrag von Westinghouse. Anfang 1975 wurde dieAEC aufgelöst; man gründete zwei neue Kommissionen. In einerdieser Kommissionen, der Nuclear Regulation Commission (NRC)arbeitete James H. Conran als Analytiker. Er erhielt den Auftrag,einen Überblick über die nuklearen Sicherheitsmaßnahmen zuerstellen. Man verweigerte ihm aus Geheimhaltungsgründen denZugang zu den NUMEC-Akten. Conran setzte nun alles daran, fürdie fünf Mitglieder der NRC und ihre engsten Mitarbeiter Informa-tionen über die NUMEC zu beschaffen. Ohne Zugang zu den Ak-ten über die NUMEC könne er seinen Bericht aber nicht schrei-ben, erklärte er.

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Es stand jedoch noch eine weitere wichtige Angelegenheit aufdem Spiel: Die Atomwirtschaft setzte alles daran, die Unterstüt-zung der Öffentlichkeit und der Regierung für eine riesige An-lage zur Aufarbeitung von Plutonium zu bekommen. Nun schienplötzlich die gesamte Zukunft der Kernenergie davon abzu-hängen, daß die Öffentlichkeit den Bau von schnellen Brüternakzeptierte, die mehr Plutonium produzieren konnten, als sieverbrauchten. Es war klar, worum es bei dieser öffentlichen po-litischen Angelegenheit ging: Wie konnten die Regierungen die-ser Welt verhindern, daß Plutonium für militärische Zwecke ab-gezweigt wurde? Würde nun der Fall NUMEC wieder aufgerollt,dann entstünde ein höchst unerwünschtes Dilemma: Entwederwar Material verschoben worden, oder der inhärente Verlust vonPlutonium und Uran in Wiederaufarbeitungsanlagen wie derNUMEC - und im ganzen Land gab es viele solcher Anlagen -war viel höher, als in der Öffentlichkeit angenommen wordenwar.Im NRC gab es viele Verfechter der Kernenergie. Sie zitterten beidem bloßen Gedanken an eine ungünstige öffentliche Meinungzur Sicherheit der Kernreaktoren und zu einer potentiellen Ver-seuchung der Umwelt. In der NRC konnte Conran also kaum aufFreunde hoffen, wenn er die Wahrheit über das fehlende Urander NUMEC herausfinden wollte. Carl Duckett berief eine Bespre-chung auf hoher Ebene ein, bei der die Möglichkeit von illegalenUranverkäufen diskutiert wurde. Das damalige Kommissionsmit-glied Victor Gilinsky erinnerte sich, daß Ducketts Einlassungensehr sachlich waren: »Duckett wurde (über die israelische Atom-bombe) befragt. Er erklärte, die CIA sei der Ansicht, Israel habeNuklearwaffen und atomares Material sei verschoben worden. Ersagte nichts mit absoluter Bestimmtheit - aber aus unserer be-schränkten Sicht interpretierten wir seine Worte. Wir (die Kom-missionsmitglieder der NRC) waren nicht dafür verantwortlich,wie man mit den Israelis umging - für uns bilden die Ergebnisseder anderen Nachrichtendienste den Ausgangspunkt der Überle-gungen.« Gilinsky vertrat die Ansicht, die NRC sei nicht verpflich-tet zu überprüfen, ob Ducketts Behauptungen stimmten. Die NRCbeschloß jedoch auf der Grundlage von Ducketts Aussagen, die

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Vorschriften für den Umgang mit nuklearen Materialien zu ver-schärfen. Die meisten bei diesem Gespräch Anwesenden »hattenmit auswärtigen Beziehungen nichts zu tun«, stellte Gilinsky fest.»Sie verteidigten die Auffassung, daß die Verfahren der NRC fürden Schutz des Plutoniums angemessen seien. Die ganze Sacherichtete sich gegen unsere Behauptung, daß man das Zeug schüt-zen könne.«Ducketts Aussage vor der NRC und seine informellen Äuße-rungen gegenüber der CIA und vor dem American Institute of Ae-ronautics and Astronautics schadeten zwar seiner Karriere, riefenjedoch zugleich eine kurz aufflackernde Besorgnis über NUMECim Weißen Haus unter Präsident Ford hervor. Wieder wurde eineUntersuchung gegen Shapiro eingeleitet. Und wie zuvor konntedas FBI auch diesmal keine Beweise für eine Verschiebung fin-den.Es gab aber unabhängige Beweise dafür, daß Shapiros Problemebeim Betrieb der NUMEC nicht so ungewöhnlich waren, wie dieAEC es Mitte der sechziger Jahre öffentlich angedeutet hatte. DieAnlage war in den frühen siebziger Jahren von Babcock & Wil-cox übernommen worden, einem der führenden amerikanischenUnternehmen für die Entwicklung von Reaktoren. Bei einer neu-erlichen Überprüfung der Anlage fand die NRC heraus, daß wei-tere 89 Kilogramm angereichertes Uran während einer Periodevon 29 Monaten seit April 1974 verschwunden waren. Bei einergenaueren Untersuchung zeigte sich, daß es für 50 Kilogramm«keine identifizierbaren und nachweisbaren Verlustmechanismen«gab, wie es in dem Bericht der NRC hieß. Dazu gehörte bei-spielsweise die Verseuchung der Arbeitskleidung, Verluste durchReinigung, Aufnahme des Materials durch die Böden und Ab-lagerungen in den Geräten. Der restliche Verlust wurde »unver-meidlichen Unsicherheiten in den Meßsystemen und Fehlern imBerechnungssystem- zugeschrieben. Mit anderen Worten: Uran-verluste sind kaum meßbar. Da eine so große Menge Uran ver-lorengegangen war, ergaben sich Fragen zur Verseuchung derunmittelbaren Umgebung der Anlage. In Apollo waren täglichdurchschnittlich 50 000 Liter Wasser und Abwasser in den nahenFluß Kiskiminetas eingeleitet worden, einem Nebenfluß des AI-

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legheny, der wiederum die wichtigste Trinkwasserquelle fürmehrere Städte in der Gegend von Pittsburgh ist.1

Jody Powell, der Pressesprecher des Präsidenten Carter, kündigteim Oktober 1977 öffentlich an, daß »nach vier Jahren ununterbro-chener Untersuchungen« durch AEC, FBI und General AccountingOffice eine Verschiebung von Uran nach Israel nicht habe bewie-sen werden können. Gegen Jahresende wurde der Fall NUMECnicht nur von einem der kompetentesten und aggressivsten Aus-schüsse des Kongresses (dem House Subcommittee on Oversightand Investigations), sondern auch vom Unterausschuß für Ener-gie- und Umweltfragen aufgegriffen. Carl Duckett und John Had-den, die beide der CIA nicht mehr angehörten, arbeiteten unein-geschränkt mit den Unterausschüssen zusammen. Einmal riefDuckett mitten in der Nacht ein Ausschußmitglied an und ver-langte, ihn sofort von einer öffentlichen Telefonzelle bei einerTankstelle zurückzurufen. Bei diesem Telefongespräch drängteDuckett darauf, die Untersuchung gegen Shapiro fortzusetzen.Hadden deutete wiederholt an, die israelische Regierung müsseeinen »Maulwurf« - einen Agenten - in der Atomenergiekommis-sion haben, der Shapiro bei den früheren Untersuchungen ge-schützt habe.Für Shapiro kam bei diesen Untersuchungen wenig heraus. DieMitglieder der Unterausschüsse schienen jeder Behauptung Duk-ketts und Haddens unbesehen zu glauben. Aber gerade am Bei-spiel dieser Behauptungen können Außenstehende nachvollzie-hen, wie die CIA und die beiden Unterausschüsse des KongressesBeweise gewichten und welche internen Mechanismen für Kon-trolle und Ausgleich ihre Untersuchungen bestimmen.Duckett drückte seine Überzeugung in einem Fernsehinterviewder ABC überdeutlich aus. Er sagte, in der CIA habe ein »klarerKonsens« darüber bestanden, daß Israel »sehr wahrscheinlich«durch Shapiros Uranlieferungen zur Atommacht aufgestiegen sei.»Ich bin vollkommen überzeugt, daß das der Fall war ... Ich glau-be, daß mir dabei alle führenden Analytiker voll zustimmen wer-den, die mit dem Problem befaßt waren«, erklärte Duckett. Natür-lich konnten die Mitglieder der Untersuchungsausschüsse nichtwissen, wie wenig Duckett und seine »führenden Analytiker« über

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das israelische Atomarsenal hatten herausfinden können. Die Un-terausschüsse erfuhren auch nicht, daß Ducketts erste Schätzungder israelischen Nuklearkapazität primär auf einer diesbezügli-chen Behauptung Edward Tellers basierte und nicht auf spezifi-schen Kenntnissen der Kapazität des israelischen Kernreaktorsoder dem Nachweis, daß Israel in Dimona über eine chemischeAufarbeitungsanlage verfügte. Auch gab es keine klaren Beweise,daß Shapiro mit der Lieferung angereicherten Urans nach Israeletwas zu tun hatte. Die Unterausschüsse bemerkten nicht, daßDucketts Schätzung für die CIA 1974 auch damals schon Kritikausgelöst hatte. Nachrichtenoffiziere der Atomenergiekommis-sion hatten darauf bestanden, der Schätzung eine Fußnote hinzu-zufügen. Darin wurde darauf hingewiesen, daß der KommissionInformationen über einen Uran-Deal mit Israel nicht vorlägen.•Duckett setzte im USIB (United States Intelligence Board) allesdaran, Israel und Apollo (in die Schätzung) aufzunehmen«, erin-nerte sich ein Mitglied der AEC, »und er hat es geschafft.«Dessen ungeachtet gaben Henry R. Myers und Peter B. Stockton,die Vorsitzenden der Unterausschüsse des Kongresses, fast 15Jahre lang die Vermutungen Ducketts und Haddens als Insider-wissen aus Geheimdienstquellen an Journalisten weiter. Viele Re-porter behandelten diese Vermutungen in ihren Berichten als»Tatsachen«.Myers galt im Unterausschuß für Energiefragen als Energiespe-zialist. Als ich mit meinen Nachforschungen über Zalman Shapi-ro begann, erzählte Myers, es habe einen »Anlaß für die Vermu-tung gegeben, daß NUMEC ausschließlich für die Verschiebungvon Uran gegründet worden sei. Der Grund hierfür ist, daß nie-mand jemals klären konnte, woher das Geld kam.« Myers bezogsich auf die Rolle, die David Lowenthal 1948 in Israel spielte,und fügte hinzu: »Es gab Berichte über geheime Telefon- oderFernschreiberleitungen zwischen NUMEC und der israelischenBotschaft.« Myers erwähnte auch eine Besprechung zwischen Ri-chard Helms und einer Gruppe von Abgeordneten, an der erteilgenommen habe: »Helms sagte im wesentlichen, daß ShapiroLeiter einer Gruppe sei, die geheime und nicht geheime Infor-mationen für Israel sammle.« Außerdem wurde behauptet, CIA-

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Agenten hätten in der Nähe von Dimona in Israel »Spuren an-gereicherten Urans« einer Art gefunden, die den an NUMEC zurAufbereitung gelieferten Materialien ähnlich gewesen seien. Au-ßerdem habe am Flughafen von Pittsburgh ein hochgradig ver-dächtiges Treffen zwischen Shapiro und Jeruham Kafkafi stattge-funden. Kafkafi, ein israelischer Wissenschaftsattache, sei eigensvon Washington nach Pittsburgh geflogen und unmittelbar nachder Begegnung wieder nach Washington zurückgekehrt. Myersmeinte, Kafkafi sei »möglicherweise ein israelischer Geheim-dienstagent« gewesen.Myers glaubte noch Anfang der neunziger Jahre, daß seine Anga-ben korrekt seien. Tatsache ist jedoch, daß Lowenthal nur einerder Anteilseigner der NUMEC war; unter den Investoren warenauch Nichtjuden. In der Fabrik gab es keine besonderen gehei-men Telefon- oder Fernschreibverbindungen; dies wurde auchvon Duckett und anderen zugegeben, die an den Untersuchun-gen über das verschwundene Uran beteiligt waren. RichardHelms mochte davon überzeugt gewesen sein, daß Shapiro alsKopf eines israelischen Spionagerings wirkte; Fakten für dieseBehauptung sind jedoch nicht bekannt. Duckett und die anderenvon der Regierung mit der Untersuchung Beauftragten gaben zu,daß es keine emstzunehmende Beziehung zwischen dem in derNUMEC-Anlage bearbeiteten Uran und den Spuren angereicher-ten Urans gab, die amerikanische Agenten bei Dimona gefundenhatten. Und Shapiro erklärte vor den Unterausschüssen des Kon-gresses - die ihm offenbar keinen Glauben schenkten -, daß sei-ne Besprechung mit Kafkafi am Flughafen von Pittsburgh auf sei-ne - Shapiros - Initiative zurückgegangen sei. NUMEC habe eineAntiterrorausrüstung nach Israel geliefert, aber dafür keine Be-zahlung erhalten. Ein Betrag von 32 000 Dollar sei offen gewesen.Shapiro habe die Sache als »peinlich« empfunden, aber NUMEChabe das Geld dringend gebraucht.

Duckett wiederholte 1991 in einem Interview viele seiner frühe-ren Behauptungen. Er spielte dabei auf Shapiros zerstörte Karrie-re an: »Trotz aller Probleme, die auf mich zurückgehen, ist mirkein einziger Beweis bekannt, daß Shapiro schuldig war. Es gibt

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indirekte Informationen, aber ich habe nie versucht, auf dieserGrundlage zu urteilen. Ich habe in dieser Sache zu keinem Zeit-punkt eigene Interessen verfolgt. Im Grunde ging es immer dar-um sicherzustellen, daß man die Informationen, die man bekam,richtig weiterleitete. Am Ende verliert man dann die Kontrolleüber die Information. Ich habe Shapiro nie kennengelernt undwar auch nicht daran interessiert, mit der Geschichte hausierenzu gehen.«Auch Peter Stockton gestand 1991 in einem Interview ein, daß ermehrfach Zweifel an Haddens Glaubwürdigkeit gehabt habe. »Erhat mich nie völlig überzeugt«, erklärte Stockton. Es habe ihmSorgen bereitet, daß Hadden vor den Abgeordneten und Mitglie-dern der Unterausschüsse andere Versionen einer Geschichte er-zählte als vor den Mitgliedern des Government Accounting Of-fice, die ebenfalls die angebliche Uranschieberei durch NUMECuntersuchten. »Wir waren von gewissen Leuten abhängig«, sagteStockton, »die uns herumhetzten.« Doch Stockton berichtete wei-terhin Reportern über NUMEC und streute weiterhin Fehlinforma-tionen aus. Viele Journalisten sind nach wie vor überzeugt, Sha-piro habe das Uran für die israelische Atombombe verschoben.Andrew und Leslie Cockburn interviewten Stockton 1989- In ih-rem Buch Dangerous Liaison, erschienen 1991, beschreiben sieShapiros Rolle beim israelischen Erwerb der Atombombe als so»delikat«, daß sie von fünf amerikanischen Präsidenten geheimge-halten wurde. »Stockton entdeckte«, schreiben sie, »daß minde-stens ein CIA-Beamter sehr klare Vorstellungen davon hatte, wor-um es bei der NUMEC-Affäre wirklich ging. John Hadden ...«

Babcock & Wilcox stellten den Betrieb in Zalman Shapiros An-lage in Apollo 1978 ein. Das Geschäft mit Kernbrennstoffen liefdamals nicht besonders, vor allem deshalb, weil die US-Marineweniger Aufträge erteilte. Shapiro beharrte darauf, daß das feh-lende Uran in die Böden versickert oder in die Luft abgegebenworden sei, und löste damit eine Kontroverse über nukleare Ver-seuchung der Umwelt aus. Babcock & Wilcox geriet unter öf-fentlichen Druck; die Firma willigte schließlich ein, die Anlage inApollo nicht abzureißen, damit man herausfinden könne, wie

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stark die Verseuchung war. 1989 begann das Unternehmen, dieAnlage zu entseuchen. Der Prozeß war kostspielig, denn be-stimmte Flächen mußten vollständig abgetragen werden. Bab-cock & Wilcox sicherten der Gemeinde zu, nach Wegen zu su-chen, das Gelände wieder nutzbar zu machen - und die Firmaversprach, daß in künftigen Produktionsstätten auf dem Geländekeine radioaktiven Materialien mehr verwendet würden.Ende 1990 billigte der Kongreß eine Gesetzesvorlage des Vertei-digungsministeriums; darin wurden 30 Millionen Dollar für dieEntseuchung der Anlage in Apollo bewilligt. Babcock & Wilcoxbrachten weitere 30 Millionen Dollar auf. Angestellte des Unter-nehmens gaben zu, daß unter anderem der Zementboden sostark verseucht war, daß er Stück für Stück abgetragen und in ge-eigneten Lagern vergraben werden mußte - allerdings erst, nach-dem man das wertvolle Uran extrahiert hatte. Beamte der NuclearRegulatory Commission, NRC, berichteten, daß mehr als 100 Kilo-gramm angereichertes Uran - die Menge, die Zalman Shapiro an-geblich nach Israel verschoben hatte - bis 1982 aus der stillgeleg-ten Anlage wiedergewonnen worden waren und daß jedes Jahrweiteres Uran wiedergewonnen würde. In der NRC wurde diesals »Gewinne aus der Einrichtung« bezeichnet. Es war nicht abzu-schätzen, wieviel Uran insgesamt extrahiert werden würde. Au-ßerdem blieb es ungewiß, ob die 60 Millionen Dollar ausreichten,die die Regierung und Babcock & Wilcox für die Entseuchungder Anlage disponiert hatten, ganz zu schweigen davon, ob dasGelände jemals wieder genutzt werden könnte.

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19Carters Unbehagen

Der überraschende Sieg der Likud-Partei unter Menachim Beginbei den Parlamentswahlen im Mai 1977 setzte der neunund-zwanzigjährigen Dominanz der Mapai und Arbeiterpartei im poli-tischen Leben Israels ein Ende. Die neue Regierung war nochstärker als die Labour-Regierung der Notwendigkeit eines israeli-schen Atomarsenals verpflichtet. Begin und seine Anhänger ver-traten eine populistisch-nationalistische Sicht; ein größeres Israelhabe ein Recht darauf, das Westufer des Jordan für alle Zeitenunter Kontrolle zu halten. Ihrer Ansicht nach hatten die Haupt-vertreter des Zionismus, also Männer wie David Ben Gurion, dreiwichtige Kriege ohne eine übergreifende Strategie geführt. Diemilitärischen Ziele Israels waren nach dieser Sichtweise von dergegnerischen Seite diktiert worden. Die Führer der arabischenStaaten hatten entschieden, wann und an welcher Front der Kriegbeginnen würde. Begin und seine Koalition waren entschlossen- was sie 1982 im Libanon-Krieg mit katastrophalen Auswirkun-gen auch bewiesen -, mit Hilfe der militärischen Macht Israels diepolitische Landkarte des Nahen Ostens umzugestalten.Kernwaffen sprachen einen problematischen Zug von BeginsCharakter an: Er war fasziniert von der Dramatik militärischer Ge-walt. Begin insistierte beispielsweise auf der Bombardierung desirakischen Reaktors Osirak. Schon im Juli 1946 war er an demBombenattentat auf das King-David-Hotel in Jerusalem beteiligtgewesen. Damals war er einer der Führer der im Untergrund ak-tiven jüdischen Terroristenorganisation Irgun.1

Begin erfüllte, und das unterschied ihn von vielen Israelis, die ausOsteuropa eingewandert waren, ein tiefer Haß auf den Kommu-nismus und die Sowjetunion. Er war mit seiner Familie nach demdeutschen Überfall auf Polen in den Ostteil des Landes geflohen

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und dort, wie die meisten Zionisten, von sowjetischen Truppengefangengenommen und in einen sibirischen Gulag gebrachtworden. Erst 1942, nach dem Überfall der Nazis auf Rußland,wurde er in ein in höchster Eile zusammengestelltes polnischesKontingent der Roten Armee aufgenommen.

Begin hat, soweit bekannt, Dimona erst besichtigt, nachdem erPremierminister geworden war. Er war nicht einmal sonderlichgut über den Reaktor informiert. Der abgewählte PremierministerYitzhak Rabin weihte Begin in die heiklen Angelegenheiten dernationalen Sicherheit ein. Ari Ben-Menashe, ein ehemaliger israe-lischer Geheimdienstmann, arbeitete damals als Zivilbeamter imVerteidigungsministerium. Er erinnerte sich, daß Begin die in Di-mona entwickelten Pläne nachdrücklich unterstützte, die Sowjet-union als Ziel israelischer Nuklearwaffen zu wählen. Begin ging,so Ben-Menashe, sogar noch weiter: »Er gab den Befehl, weiteresowjetische Städte als Nuklearziele zu bestimmen.«2

Die Ausweitung der Nuklearziele erhöhte das Interesse der Is-raelis an der amerikanischen Satellitenaufklärung, erklärte Ben-Menashe. Aber die israelischen Militärattaches und Diplomatenrannten in Washington gegen eine Mauer, denn die Carter-Admi-nistration baute die intensiven Beziehungen, die unter den Prä-sidenten Nixon und Ford geknüpft worden waren, systematischab. Einem amerikanischen Offizier zufolge, der in den erstenJahren der Präsidentschaft Carters einen militärischen Nachrich-tendienst leitete, waren die Israelis überall im Pentagon anzutref-fen, wobei sie vor allem an Aufklärung über die Sowjets interes-siert waren: »Sie schwirrten überall herum. Sie wollten an derAuswertung der Satellitenfotos beteiligt werden und obendreinwissen, was unsere (militärischen) Attaches berichteten und waswir brauchten. Unser Haus war für sie wie eine Honigwabe.«

Die amerikanischen Nachrichtendienste hatten keine Kenntnisdavon, daß Begin die Pläne unterstützte, die Sowjetunion zumisraelischen Nuklearziel zu machen. Sie versuchten noch immerwie besessen zu beweisen, daß Zalman Shapiro Uran nach Israelverschoben hatte. In der Welt der Nachrichtendienste bestanden

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keine Zweifel mehr, daß Israel die Bombe besaß. Doch niemandin Washington hielt es für nötig, die Sache zur Sprache zu brin-gen - nicht einmal die neue Administration Jimmy Carters, dieerste Regierung, die ernsthaft gegen die Proliferation von Kern-waffen antrat.Die israelische Regierung sorgte sich um ihren Rückhalt in Ameri-ka. Sie bestritt deshalb weiterhin öffentlich, daß Israel Kernwaffenhatte, selbst wenn sie mit Beweisen für das Gegenteil konfrontiertwurde. 1976 gab Carl Duckett in Washington versehentlich be-kannt, daß die CIA das israelische Arsenal auf mindestens zehnGefechtsköpfe schätzte. Der amerikanische Botschafter MalcolmToon wurde daraufhin zu dem israelischen Außenminister YigalAllon bestellt, um über die Angelegenheit zu sprechen. »(Allon)war über diese Entwicklung sehr besorgt«, telegrafierte Toon andas US-Außenministerium. »Er glaubt, daß sie mit den Beziehun-gen zwischen unseren beiden Ländern kaum vereinbar ist ... Erstellte die rhetorische Frage, warum die CIA das getan habe.« Toonberichtete femer, daß er Allon erklärt habe, Ducketts Bemerkun-gen seien nicht fürs Protokoll bestimmt gewesen. Er habe Allon ge-fragt, ob Ducketts Schlußfolgerungen zuträfen: »Allon blickte michleicht erschreckt an und sagte, daß sie nicht wahr seien.«Allons entschiedenes Dementi war Öl ins Feuer. Ein Jahr später,nach Carters Wahlsieg, erklärte Toon einer Delegation von 13amerikanischen Senatoren, er sei sicher, daß Israel im Besitz derAtombombe sei. Die Delegation wurde von Abraham Ribicoff ge-leitet, dem demokratischen Senator von Connecticut. Sie solltesich über die Aussichten einer Politik zur Eindämmung der Proli-feration im Nahen Osten informieren. Die Delegation erbat dieErlaubnis, Dimona zu besichtigen. Man ließ sie unverblümt wis-sen, daß seit der Beendigung der amerikanischen Kontrollbesu-che 1969 keine Besuche des Reaktors mehr zugelassen wordenseien und daß man dies auch jetzt nicht wünsche. Toon unter-richtete das US-Außenministerium telegrafisch, wie die Delega-tion behandelt wurde, und beschwerte sich, daß es »ein ungehö-riges israelisches Benehmen sei, uns Dimona nicht besichtigen zulassen«. Er erinnerte sich lebhaft an die Antwort: »Bitte vermeidenSie in dieser Sache jedes Aufsehen.«3

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Die Senatoren übertrafen das Außenministerium noch bei demVersuch, die Tatsache zu vertuschen, daß ihnen der Zutritt zumReaktor verweigert worden war. »Die Weigerung ist von der Pres-se weit über ihre wirkliche Bedeutung hinaus dramatisiert wor-den«, hieß es in ihrem öffentlichen Bericht. »Die meisten Delega-tionsmitglieder wollten Dimona gar nicht besichtigen, weil ihnendie technischen Kenntnisse fehlten, die für einen solchen Besucherforderlich gewesen wären. Die Delegation erhielt keine Infor-mation darüber, ob Israel Kernwaffen besitzt oder nicht.«Die Senatoren waren in dieser Angelegenheit besonders pflicht-bewußt, denn kurz zuvor hatte der Kongreß eine Änderung desGesetzes über Exportkontrollen verabschiedet. Durch die Geset-zesänderung wurde es untersagt, Staaten Auslandshilfe zu ge-währen, die Materialien, Ausrüstungen oder Technologien für nu-kleare Aufbereitung oder Anreicherung ex- oder importierten.Die Gesetzesänderung betraf allerdings Staaten wie Israel nicht,die in den Transfer oder Verkauf von atomaren Materialien schonvor dem Inkrafttreten des Gesetzes verwickelt gewesen waren.Mit anderen Worten: Man hatte Israel von der Gesetzesänderungausgeklammert. Das Gesetz war von Senator Stuart Symingtoneingebracht worden. Der Präsident erhielt das Recht, sich überdie Bestimmungen hinwegzusetzen, wenn er der Auffassung war,daß sich die Einstellung der Auslandshilfe nachteilig auf die ame-rikanische nationale Sicherheit auswirken könnte.4

Seit dem Inkrafttreten ist das Gesetz lediglich zweimal gegenüberPakistan angewandt worden.Im Grunde unterstützten der Kongreß und das Weiße Haus mitdiesem Gesetz die Befürworter der Rüstungskontrolle, die recht-fertigen wollten, warum sie über die israelische Atombombe kei-ne Fragen gestellt hatten. Nach Israel brauchte kein Uran mehrverschoben werden, denn es besaß bereits die Atombombe. Einhochrangiger Nachrichtenbeamter des Außenministeriums, des-sen Aussagen entscheidend zur Einstellung der Entwicklungshilfefür Pakistan beitrugen, erinnerte sich, wie zynisch er damals dieGesetzesvorlage Symingtons beurteilte: »Haben mir diese Bur-schen (die Senatoren), die mich im Falle Pakistans so erbar-mungslos ins Kreuzverhör nahmen, jemals Fragen über Israel ge-

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stellt'« Einem ehemaligen Beamten der Nuclear Regulatory Com-mission, der aus der Sicht der NRC darstellen sollte, ob Israel ge-gen das Symington-Gesetz verstieß, war bei seiner Aussage klar,daß der Kongreß »in einer öffentlichen Anhörung nichts heraus-finden wollte«. Er war zwar persönlich davon überzeugt, daß Is-rael Kernwaffen entwickelt hatte; in der Anhörung bezeugte eraber wiederholt, er habe »keine Beweise«, daß es in Israel solcheWaffen gebe. Wenn entscheidende Informationen weiterzugebenwaren, »tat man das bei einer Tasse Kaffee. Aber niemals in eineröffentlichen Anhörung.«Die amerikanische Nachsicht gegenüber den israelischen Atom-waffen mochte vom Kongreß oder von den Medien problemlosakzeptiert werden, nicht aber vom pakistanischen PräsidentenZia ul-Haq. George H. Rathjens war in den frühen Jahren der Prä-sidentschaft Jimmy Carters Stellvertreter von Gerard C. Smith,dem Sonderbotschafter des Präsidenten für Fragen der Prolifera-tion. Rathjens erinnerte sich lebhaft an Zias Reaktion, als Smithihn über das pakistanische Atomprogramm befragte: »>Warumfragt ihr Israel nicht?' Smith war verärgert, konnte aber Zia keineAntwort geben - keine befriedigende Antwort.« Über das israeli-sche Atomprogramm »wollten die Leute (in den Vereinigten Staa-ten) nicht reden«, sagte Rathjens. »Es war ihnen unangenehm.«

Nach dem Sechstagekrieg von 1967 begann eine ernsthafte Koope-ration über Atomfragen zwischen Israel und der Republik Südafri-ka. Charles de Gaulle hatte Israel zurückgewiesen. Die Israelis wa-ren gezwungen, sich anderweitig nach Unterstützung umzusehen.In seinem Buch Les deux bombes schildert Pierre Pean eine über-raschende Begegnung zwischen einem französischen Atomwis-senschaftler, der in Dimona gewesen war, und einer Gruppe israe-lischer Atomwissenschaftler, die zehn Jahre zuvor mit denFranzosen in Saclay und Marcoule zusammengearbeitet hatten.Die Begegnung fand 1967 in Johannesburg statt. Der französischePhysiker und seine Kollegen hatten den Israelis Kenntnisse vermit-telt, die diese nun den Südafrikanern weitergaben. Israel bot seinKnow-how in Nuklearphysik gegen Uranerz und andere militä-risch bedeutsame Mineralien an, die in Südafrika im Überfluß vor-banden waren. Die Südafrikaner brauchten dringend Hilfe undnahmen jede technische Unterstützung, die sie bekommen konn-

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ten, erinnerte sich Ari Ben-Menashe. »Als Atomstaat taugten sienichts. Wir mußten ihnen ständig helfen.«Ernst David Bergmann hatte 1968 kein Amt mehr in Israel, warjedoch in Nuklearfragen noch immer sehr einflußreich. Er reiste1968 nach Südafrika und hielt dort öffentliche Vorträge über »We-ge zur internationalen Zusammenarbeit« in Atomfragen. In einerRede vor dem Südafrikanischen Institut für Internationale Angele-genheiten in Johannesburg erwähnte Bergmann zwar Kernwaffennicht, sprach aber ganz offen über das »gemeinsame Problem«,dem Israel und Südafrika gegenüberstünden: »Wir haben beidekeine Nachbarn, mit denen wir sprechen können, auch nicht inder nächsten Zukunft. Da wir uns in dieser isolierten Situation be-finden, ist es vielleicht für beide Länder das beste, miteinander zusprechen.«Bergmanns Aussage über die isolierte Situation könnte man pro-phetisch nennen, da außer Malawi, Lesotho und Swasiland alleafrikanischen Staaten die diplomatischen Beziehungen zu Israelnach dem Jom Kippur Krieg von 1973 abbrachen. Der wichtigsteGrund dafür war, daß Israel die besetzten Gebiete nicht räumte.Viele ehemalige Verbündete Israels in Afrika begannen, die palä-stinensischen Ziele zu unterstützen. Im November 1974 billigtedie Vollversammlung der Vereinten Nationen mit 72 zu 35 Stim-men (bei 32 Enthaltungen) eine Resolution, in der der Zionismusals »eine Form des Rassismus und der Rassendiskriminierung« be-zeichnet wurde. Der israelische UNO-Botschafter Chaim Herzogwarf daraufhin den Vereinten Nationen vor, sie entwickelten sichzum »Weltzentrum des Antisemitismus«.Israel und Südafrika, zwei in der Staatengemeinschaft isolierteNationen, verstärkten nach dem Krieg ihre Handelsbeziehungenund Waffengeschäfte. Innerhalb von drei Jahren wuchs ihr jähr-licher Handel miteinander von 30 Millionen auf 100 MillionenDollar. In Südafrika lebten nur 118000 Juden; diese kleine Min-derheit war jedoch einflußreich und zeichnete in großem Um-fang israelische Anleihen und veranstaltete karitative Sammlun-gen. Die südafrikanischen Juden brachten so ihre Unterstützung

für die eher konservativen politischen Parteien Israels zum Aus-druck, speziell für Menachim Begins Likud-Koalition. 1974 un-

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ternahm Verteidigungsminister Moshe Dayan eine geheime Reisenach Pretoria, wobei er laut Ari Ben-Menashe über einen israe-lischen Atomtest auf südafrikanischem Territorium verhandelte.Dayan schied ein paar Monate später, als Yitzhak Rabin Premier-minister wurde, aus dem israelischen Kabinett aus. Rabin er-nannte Shimon Peres zum neuen Verteidigungsminister und si-cherte so die Kontinuität in zentralen Fragen der israelischenund der südafrikanischen Verteidigungs- und Nuklearpolitik.Zwei Jahre später stattete Vorster, der im Zweiten WeltkriegDeutschland unterstützt hatte, Israel einen Besuch ab - der ersteoffizielle Staatsbesuch eines südafrikanischen Premierministersin der israelischen Geschichte.5

Vor dem Besuch Vorsters in Israel unternahm Peres mindestens ei-ne private Reise nach Pretoria, wie er auch schon zwanzig Jahrezuvor privat nach Frankreich gereist war, um über Waffen- und Nu-klearkooperationen zu verhandeln. Er diskutierte ebenfalls überAtomtests, wie vor ihm Moshe Dayan. Peres erreichte laut Ben-Me-nashe, daß John Vorster einer Serie gemeinsamer Tests in Südafrikaprinzipiell zustimmte. Über den Staatsbesuch Vorsters in Israelwurde in den Medien umfassend berichtet. Ergebnis des Besuchswar die Wiederaufnahme voller diplomatischer Beziehungen; dar-über hinaus wurden jedoch auch geheime Abkommen über Waf-fenlieferungen geschlossen. Diese Abkommen sollten es den bei-den Ländern ermöglichen, trotz der internationalen öffentlichenMeinung und trotz der Sanktionen der Vereinten Nationen zusam-menzuarbeiten; in den frühen achtziger Jahren war die Wirtschaftbeider Länder extrem abhängig von Rüstungsexporten.Nach dem Besuch Vorsters erklärten israelische Beobachter, esgebe »sechs oder sieben« geheime militärische und nukleare Ab-kommen zwischen Israel und Südafrika. Ein früherer israelischerBeamter nannte vier Gründe: »Erstens: um grundlegende Ressour-cen gemeinsam nutzen zu können. Südafrika ist ein sehr reichesLand, und Israel ist sehr arm. Zweitens: um Rohmaterialien zu be-kommen. Drittens: Testgelände. Ein Sturm der Entrüstung würdelosbrechen, wenn in Israel ein Atomtest durchgeführt würde. In

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Südafrika ist die Sache anders. Viertens: In Israel hegt man gewis-se Sympathien für Südafrika. Auch dort stehen europäische Sied-ler einer feindlichen Welt gegenüber.Als sich Südafrika für den Besitz von Kernwaffen entschied, fandes nur ein einziges Land, an das es sich wenden konnte«, fügteder Beamte hinzu.

In den ersten Jahren der Regierung Carter blieb die Frage der israe-lischen Atomwaffen im Hintergrund. Eine Priorität Carters war dieLösung des Nahostkonflikts. Die Nuklearexperten der Geheim-dienste in Los Alamos und Livermore hatten seit den frühen sech-ziger Jahren versucht, den Transport von Uranerz von Südafrikanach Israel zu überwachen. Das ganze Ausmaß der hartnäckigenBemühungen Südafrikas um die Nukleartechnologie hatten sie je-doch nicht erkannt. Premierminister John Vorster erklärte 1970 vordem Parlament, südafrikanische Wissenschaftler hätten ein einzig-artiges Verfahren zur Anreicherung von Uran entwickelt. Innerhalbweniger Jahre begann Südafrika mit dem Bau einer Pilotanlage fürdie Produktion angereicherten Urans, die nicht unter die Sicher-heitsbestimmungen der IAEA fiel. Die Anlage wurde bei einer Fa-brik namens Valindaba in der Nähe von Pretoria errichtet.0

Die amerikanischen Geheimdienste erfuhren nichts über die ge-heimen Verhandlungen zwischen Vorster und Peres, aber einigeAnalytiker wußten, daß zwischen den beiden Nationen eine gehei-me Kooperation stattfand. Ein amerikanischer Beamter erinnertesich, daß Mitte der siebziger Jahre »die Südafrikaner und die Israelisdie Dinge plötzlich ganz anders machten. Wir wurden vollkom-men überrascht. Sie gingen vom Reißbrett in die Produktion [ange-reicherten Urans]. Sie täuschten uns über ihr Produktionsdesignund ihren Output, und wir beobachteten die falschen Orte.« Damitdeutete er an, daß der Komplex der Kernwaffenproduktion in denVereinigten Staaten so gewaltig und schwerfällig war, daß Innova-tionen nur schwer zu erreichen waren. Jedes neue Verfahren wur-de in Pilotproduktionen jahrelang getestet, bevor es von der staat-lichen Kernwaffenschmiede in der Nähe von Amarillo, Texas,eingesetzt wurde, in der mehr als 5000 Gefechtsköpfe pro Jahrgefertigt werden können.

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Südafrika sah sich Mitte der siebziger Jahre in einer ähnlichen La-ge wie Israel nach 1967: Das Land kämpfte im Inneren gegen denAfrican National Congress, die Anti-Apartheid-Bewegung, denBürgerkrieg in Namibia und nach außen gegen den wachsendenschwarzen Nationalismus und die unabhängig gewordenen Staa-ten Angola und Mosambik. Die langfristigen militärischen Per-spektiven Südafrikas waren deprimierend: Wie die israelischenPolitiker sahen sich auch die südafrikanischen Führer einer feind-lichen Übermacht gegenüber.Die weißen Südafrikaner glaubten, sie könnten ihre Sicherheitmit Atombomben gewährleisten. Wie die Israelis brauchte auchSüdafrika eine Waffe - atomare Artillerie-Granaten -, die einge-setzt werden konnte, falls die vordersten Verteidigungsliniendurchbrochen und die Städte bedroht würden. Im August 1977ließ der sowjetische Präsident Leonid Breschnew der RegierungCarter durch diskrete Kanäle die Warnung zukommen, das so-wjetische Satellitensystem Cosmos habe Hinweise für die Vorbe-reitung eines Atomtests oder einer Serie von Tests in Südafrikageliefert. Außerdem gebe es Hinweise auf eine unterirdischeAnlage in der Kalahari-Wüste. Großbritannien, Frankreich unddie Bundesrepublik Deutschland erhielten ähnliche Warnungen.Diese Länder hatten neben der Sowjetunion und den VereinigtenStaaten 1975 eine Konferenz in London abgehalten, um deninternationalen Handel mit Kerntechnologien zu regeln. DieGruppe erarbeitete eine Reihe unverbindlicher Richtlinien, umdie technische und materielle Hilfe für nichtnukleare Nationenzu begrenzen.7

Die Amerikaner brachten sofort einen Satelliten über der Kalahari-Wüste in Position und konnten die klassischen Anzeichen für dieVorbereitung eines unterirdischen Atomtests beobachten. EineGrube mit Umfassung war ausgehoben und ein Beobachtungs-turm errichtet worden; die vielen Kabel für die Meßanlagen wur-den installiert. Carter und Breschnew stellten sich an die Spitzeeiner internationalen Protestkampagne. Der südafrikanischen Re-gierung wurde mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungengedroht; Ende August gab sie nach. Carter verkündete öffentlich,»Südafrika hat uns darüber informiert, daß es weder über Einrich-

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tungen für Atomexplosionen verfügt, noch solche zu entwickelnbeabsichtigt, sei es zu friedlichen oder militärischen Zwecken.« DerPräsident erklärte ferner, man habe ihm versichert, daß die Testan-lage in der Kalahari-Wüste »nicht für nukleare Explosionsversuchebestimmt sei und daß Südafrika weder jetzt noch in der Zukunftnukleare Testexplosionen durchführen werde«.Im Weißen Haus herrschte nach diesem ersten größeren außen-politischen Erfolg Hochstimmung. Eine Reihe von Pressekon-ferenzen wurde veranstaltet, bei denen die Feinheiten der erfolg-reichen Diplomatie des Weißen Hauses dargelegt wurden. DieReporter erfuhren jedoch nichts über die Berichte der CIA, nachdenen israelisches Militärpersonal in Zivil überall in der Kalahari-Testanlage herumspazierte. Sie seien recht offen aufgetreten, er-innerte sich ein CIA-Offizier. Die Presseleute erfuhren auch nichtsdavon, daß ein hochrangiger südafrikanischer Diplomat auf demHöhepunkt der Krise Anfang August den Vereinigten Staaten pri-vat versichert habe, sein Militär plane nicht den Test einer Lang-streckenrakete, sondern nur einer »Artillerie-Granate ... oder et-was ähnliches«.Die CIA folgerte später in einem formellen Bericht an das WeißeHaus, daß die starken internationalen Proteste Südafrika »zumin-dest für die nächste Zeit« von den geplanten Atomtests abgebrachthätten. Israelis hätten »an bestimmten südafrikanischen Kernfor-schungsaktivitäten der letzten Jahre teilgenommenCarters öffentlichkeitswirksam vermarkteter diplomatischer »Siegin der Wüste« war weniger bedeutend als angenommen. Ein wirk-licher Triumph hätte einen weiteren Schritt erfordert: den Angriffauf das israelische Atomprogramm. Dazu hatte jedoch niemandin der Regierung Carter den Mut.

Ende 1977, während Washington noch mit diesen Angelegenhei-ten beschäftigt war, traf ein Israeli in Amerika ein, der Insider-In-formationen über Dimona hatte und sie verschachern wollte. Ernahm mit einem leitenden Beamten der amerikanischen Nach-richtendienste Kontakt auf, der sich mit Nuklearfragen beschäftig-te und mit dem er schon früher beruflich zu tun gehabt hatte. DerIsraeli berichtete, daß Israel bereits weit über 100 nukleare Ge-

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fechtsköpfe produziert habe. Bis 1980 würde es mehr als 200 Ge-fechtsköpfe geben, von denen viele atomare Artillerie-Granatenseien. Der amerikanische Beamte, selbst ein Jude, begriff sofort,warum der Israeli auspacken wollte: »Er war ein Techniker, derauf seinen eigenen Vorteil bedacht war. Der Bursche wollte US-Bürger werden.« Die Tatsache, daß die Israelis Atomwaffen be-saßen, war, so glaubte der Amerikaner, »längst der ganzen ame-rikanischen Regierung bekannt. Ich war überzeugt, daß dieserMensch die Information zu seinem persönlichen Vorteil verhö-kern wollte. Deshalb ignorierte ich die Angelegenheit.«Der US-Beamte leitete also die Information nicht an seine Vorge-setzten und Kollegen weiter, obwohl er am Wahrheitsgehalt kei-nen Zweifel hatte. Er sagte, er habe gehört, daß Israelis auch aufanderen technischen Gebieten versucht hätten, Informationenund Geheimwissen gegen die amerikanische Staatsbürgerschaftzu tauschen. Offenbar seien diese Personen über den WahlsiegBegins verärgert gewesen.Unmittelbar nach dem Vertrag von Camp David wurden die Be-ziehungen zwischen Carter und Begin immer gespannter. In die-sem Klima gab es jedoch auch Annäherungen auf eher traditio-nellen Wegen. Einige israelische Beamte versuchten - offenbarohne Billigung von höherer Stelle -, strategische Hilfen für dieehrgeizigen israelischen Pläne zu bekommen. Auch wollten sieAmerika dazu bewegen, endlich die Realität des israelischen Nu-kleararsenals anzuerkennen und damit zu tolerieren.Sie setzten beim Office of Net Assessments an, einer wenig be-kannten Abteilung des Pentagon. Der Abteilungsdirektor, AndrewMarshall, war früher als Analytiker bei der Rand Corporation be-schäftigt gewesen. Seit zwei Jahrzehnten versorgte er die Verteidi-gungsminister mit einem Strom unabhängiger Informationen undAnalysen. In den letzten Monaten der Ford-Administration harteMarshall die Genehmigung für seinen Plan erwirkt, mit Israel ei-nen strategischen Dialog zu beginnen. Ein Ziel des Dialogs wares, die Voraussetzungen für einen Kooperationsvertrag über Ver-teidigungsfragen zwischen den Vereinigten Staaten und Israel zuerkunden. Premierminister Rabin ernannte einige führende strate-gische Köpfe Israels als Mitglieder der Marshall-Gruppe, darunter

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den israelischen General Avraham Tamir, der später als LeitenderDirektor des Außenministeriums Dienst tat. Wie sich ein Mitgliedder Marshall-Gruppe erinnerte, stellte Tamir wiederholt Nuklear-fragen zur Diskussion. Das geschah nach dem Besuch Anwar elSadats in Jerusalem im November 1977, der als erster Schritt zuden Gesprächen von Camp David gelten kann.8 Die Frage lautete:Würden Marshall und die übrigen Vertreter des Verteidigungsmi-nisteriums über Kriegsszenarios für den Ernstfall mit der Intentionberaten, den Süden der UdSSR zum atomaren Zielgebiet zu ma-chen?Alle Beteiligten wußten, daß diese Frage von höchster Brisanzwar. Die USA vertraten offiziell noch immer den Standpunkt, daßIsrael keine Atomwaffen besitze. Mindestens zweimal wurde dieFrage dem Verteidigungsminister Harold Brown zur Entscheidungvorgelegt. In beiden Fällen kam die Antwort postwendend: Nu-klearfragen sollten in der Marshall-Gruppe nicht angesprochenwerden.Brown wurde später über die Initiativen Tamirs interviewt. Erbezeichnete sie zunächst lediglich als weiteres Beispiel der Be-geisterung militärischer Planer für Kriegsszenarios. Dann fügte erdie hypothetische Bemerkung hinzu: »Wenn mir eine solche Fra-ge vorgelegt worden wäre, hätte ich für eine Entscheidung nichtlange gebraucht.« Schließlich gestand er, daß er den israelischenVorstoß ohne Rücksprache mit Präsident Carter abgelehnt hatte.Die Regierung Carter, behauptete Brown, »hätte nicht in einenisraelisch-sowjetischen Konflikt verwickelt werden wollen. Mirerscheint die Vorstellung verrückt, Israel gehöre zu unserem Ein-flußgebiet. Die Israelis würden sagen: >Wir wollen euch helfen',und würden uns dann doch nur für ihre Zwecke benutzen. DieIsraelis haben ihre Sicherheitsinteressen, und wir haben unsere.Sie sind nicht identisch.« Andrew Marshall und seine Kollegenhielten Browns Position - wie es ein Amerikaner ausdrückte -für »eine törichte Zurückhaltung«, befolgten aber seine Anwei-sungen. Selbstverständlich informierten sie niemanden in derUS-Regierung über die israelische Bitte um Festlegung gemein-samer Atomwaffenziele.9

Die amerikanische Bürokratie schirmte ihren Präsidenten auch

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weiterhin von den Fakten über die nuklearen Kapazitäten Israelsab; deshalb blieb es ihm auch erspart, auf der Grundlage diesesWissens handeln zu müssen. Diese Haltung war bereits in allenRessorts sehr verbreitet, als Israelis und Südafrikaner im Herbst1979 endlich einen Atomtest durchführten.

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Ein israelischer Atomtest

Am 22. September 1979, einem stürmischen Morgen, rissen dieWolken über dem Südindischen Ozean kurz vor der Dämmerungplötzlich auf. Ein amerikanischer Satellit registrierte zwei deutli-che, helle Lichtblitze innerhalb des Bruchteils einer Sekunde - einstarker Hinweis auf eine Nuklearexplosion. Der Satellit mit derBezeichnung VELA war zur Beobachtung von Atomtests in Um-lauf gebracht worden. Er hatte bereits 4l ähnliche Lichtblitze auf-gezeichnet; die Auswertung hatte jedesmal ergeben, daß es sichum Nuklearexplosionen gehandelt hatte. Die meisten Beobach-tungen hatten über Lap Nor stattgefunden, wo die Chinesen ihreAtomtests durchführten, oder im Südpazifik über dem französi-schen Testgebiet. In der Carter-Administration folgerten einigeProliferations-Experten sofort, daß Israel und Südafrika nun docheinen Atomversuch durchgeführt hätten. Schon zwei Jahre zuvorhatten die beiden Länder versucht, einen Test durchzuführen, derjedoch fehlgeschlagen war.Diese Vermutung erwies sich als richtig.Ehemalige israelische Regierungsbeamte erklärten, daß bei demVersuch an diesem Samstagmorgen eine atomare Artillerie-Gra-nate gezündet wurde, die für den Einsatz in den israelischenStreitkräften entwickelt und standardisiert worden sei. Die israe-lischen Quellen führten ferner aus, daß der Satellit VELA nichtden ersten, sondern den dritten Nukleartest über dem IndischenOzean aufgezeichnet habe. Mindestens zwei Schiffe der israeli-schen Marine waren im voraus zu der Stelle gefahren, an der dieTests stattfinden sollten, und ein Kontingent israelischer Militärsund Kernwaffenexperten sowie die südafrikanische Marine hat-ten Beobachtungsposten bezogen. »Wegen eines einzigen Atom-versuchs hätten wir unsere Schiffe nicht dorthin entsandt«,

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erklärte ein Israeli. »Wir hatten verdammtes Pech«, fügte er hin-zu, womit er die Aufzeichnung des Tests durch den Satellitenmeinte. »Wir hatten angenommen, daß VELA durch den Sturmblockiert würde, aber plötzlich schlug das Wetter kurz um, esentstand ein Wolkenfenster, und VELA konnte den Atomblitzauffangen.«

Der Satellit schickte Bilder in digitalen Signalen an das Haupt-quartier des Air Force Technical Applications Center (AFTAC) aufder Patrick Air Force Base in Kap Canaveral, Florida. Nach derOrtszeit an der Ostküste war es Freitagnacht, der 21. September.Nachdem die Signale ausgewertet und bestätigt worden waren,wurde die Nachricht über die Defense Intelligence Agency, denmilitärischen Nachrichtendienst, an das National Military Com-mand Center im Pentagon weitergeleitet. Man schätzte, daß derAtomtest vor der Küste der Prinz-Edward-Insel, ungefähr 2300 Ki-lometer südöstlich des Kaps der Guten Hoffnung stattgefundenhabe. In den Vorlagen der CIA und der DIA für den Präsidentenund für seinen Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski stand dieseNachricht am Samstagmorgen an erster Stelle.Gerald Oplinger war Brzezisnkis Referent für Globalfragen. Erverbrachte dieses frühherbstliche Wochenende in seinem Som-merhaus am Deep Creek Lake in Maryland. Als die Nachricht vondem Atomversuch eintraf, wurde er zu einer dringenden Konfe-renz in den Lagebesprechungsraum des Weißen Hauses beordert.Oplinger war im Auswärtigen Dienst und in der Nuclear Regula-tory Commission beschäftigt gewesen, bevor er sich BrzezinskisTeam anschloß; er kannte das VELA-Programm und wußte, daßfrühere Indizien für chinesische und französische Atomtests inder Atmosphäre stets durch verschiedene Meßmethoden bestätigtworden waren. Oplinger erinnerte sich: »Einer nach dem anderenwurde befragt: 'War es ein Atomtest?' Die Vertreter von CIA undDIA erklärten, daß es sich mit neunzigprozentiger Wahrschein-lichkeit um einen Atomtest gehandelt habe.« Oplinger selbst hattekeinerlei Zweifel: »Der gesunde Menschenverstand sagte mir, daßes mit hoher Wahrscheinlichkeit das war, wonach es aussah - nurwar das Ganze kaum zu glauben.« •, ,

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»Die Leute waren wie gelähmt«, erklärte Spurgeon M. Keeny Jr.,der Stellvertretende Direktor der Arms Control and DisarmamentAgency (ACDA), ein hoher Beamter, der seit der PräsidentschaftEisenhowers mit wissenschaftlichen Fragen auf höchster Ebenebefaßt gewesen war. Ihm sei klar geworden, sagte Keeny, daß erund seine Kollegen »Zeit gewinnen mußten. Selbst wenn ein Teststattgefunden hatte, wußten wir nicht, wer ihn durchgeführt hat-te. Das war eine ernste Angelegenheit.« Keeny bereitete auch dieAussage der Nachrichtendienste Sorgen, daß ihre Einschätzunghöchstwahrscheinlich zutreffe. Seiner Meinung nach kannten dieim Lagebesprechungsraum anwesenden Beamten der CIA undder DIA bestimmt nicht alle Fakten: »Es waren Bürokraten mittle-ren Ranges, die lediglich Daten weitergaben.«Nach Keenys Bericht machte er den Vorschlag, daß eine externeGruppe die Daten des VELA-Satelliten überprüfen sollte; er wollteprüfen lassen, ob der Satellit eine Fehlmeldung geliefert habenkönnte. Ein Irrtum hätte unübersehbare politische Konsequenzennach sich gezogen. Laut Jerry Oplinger verlief die Besprechunganders: »Die Besprechung führte zu keinem Ergebnis. Frank Press[der Wissenschaftsberater des Präsidenten] schlug schließlich vor:•Wir sollten eine unvoreingenommene, externe Überprüfungdurchführen lassen.'« Oplinger machte sich keine Illusionen dar-über, was Frank Press wirklich meinte: »Press fragte immer wie-der: -Was machen wir, wenn durchsickert, daß wir das für einenAtomtest halten?« Er wollte vermeiden, daß die externe Gruppe zudem Ergebnis kam, daß eine Nuklearexplosion stattgefunden ha-be.« Brzezinski selbst ergriff nach Oplingers Erinnerung währendder Besprechung nur selten das Wort.1

Frank Press war ein Seismologe, der jahrelang mit geheimen Auf-gaben der Beobachtung von Atomtests befaßt gewesen war. Erkannte das VELA-Programm weit besser als seine Kollegen imWeißen Haus. Er wußte, daß die Satelliten technisch veraltet wa-ren - manche waren in den frühen sechziger Jahren gestartetworden - und daß sie ständig von Wissenschaftlern der Los Ala-mos Scientific Laboratories neu programmiert und analysiert wur-den, um eine Minderung der Leistung zu verhindern. Die Wissen-schaftler hatten bei der Entwicklung des Systems mitgewirkt.

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Tatsächlich waren kurz zuvor Befürchtungen geäußert worden,daß durch einen Fehlalarm des Satelliten falsche Nachrichten ver-breitet werden könnten. Es lag daher nahe, eine externe Gruppemit der Überprüfung der Daten zu beauftragen. Auf diese Weisesollte nicht nur Zeit gewonnen werden, sondern auch die zeitli-che Verzögerung der politischen Reaktionen erschiene legitimiert.Diese Satellitenbilder wurden zu einer der wichtigsten Geheim-sachen der Carter-Administration.Alles deutete auf einen geheimen israelisch-südafrikanischenAtomtest hin. Die führenden Beamten der unglückseligen Carter-Administration wußten, daß der Präsident - wenige Monate vordem Präsidentschaftswahlkampf von 1980 - durch die öffentlicheErörterung dieses an Gewißheit grenzenden Verdachts in einfurchtbares Dilemma geraten würde. Carter hatte sich in der Öf-fentlichkeit gegen die Proliferation stark gemacht. Wenn er nungegen die beiden isolierten Staaten nicht konsequent vorginge,würde ihm Scheinheiligkeit vorgeworfen werden. Doch für Sank-tionen hätte er einen gewaltigen politischen Preis zahlen müssen.Hodding Carter, als stellvertretender Außenminister zuständig füröffentliche Angelegenheiten, erinnerte sich: »Als das Ding daoben die Blitze meldete, rannte ich über den Flur im siebtenStockwerk«, wo sich das Büro des Außenministers Cyrus R. Vancebefand. »Es herrschte Panik. Überall war zu hören: »Scheiße. Achdu großer Gott. Was machen wir jetzt?-«Auch ein anderes Mitglied der Regierung Carter erklärte: »Wir wa-ren in einer fürchterlichen Situation. Wir waren nämlich geradeim Begriff gewesen, dem Senat den SALT-Vertrag vorzulegen. Wirwußten, daß der Vertrag von 1963 über die Beschränkung vonAtomwaffentests in der Atmosphäre gebrochen worden war, aberwir konnten es nicht beweisen und konnten auch niemandenanklagen. Der unmittelbare strategische Imperativ war also, dieSache unter den Teppich zu kehren.« Der Beamte hatte damalsZugang zu allen Berichten der Nachrichtendienste über dieVELA-Beobachtungen. Seiner Meinung nach war es erwiesen,daß der Satellit -definitiv einen Atomtest fotografiert hatte. Daßwir die Sache zufällig beobachtet hatten, erwies sich nun als pein-lich und stellte uns vor ein großes politisches Problem. Es gab

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viele, die über die Angelegenheit einfach stillschweigend hinweg-gehen wollten.«Die amerikanische Politik im Iran war im Chaos versunken; derkranke Schah, dem Jimmy Gatter zwei Jahre zuvor so herzlich zu-getoastet hatte, hielt sich in Mexiko auf und bat um Einreiseer-laubnis in die Vereinigten Staaten.2 Nur wenige Wochen zuvorhatte ein Geheimdienst eine unglaubliche Nachricht geliefert: An-geblich war eine sowjetische Brigade in Kuba gelandet. Dies hät-te für Carter eine direkte Herausforderung bedeutet, wie 1962 inder Kubakrise für Präsident Kennedy. Die Nachricht gelangte andie Öffentlichkeit; die US-Regierung wollte dem Volk ihre Ent-schlossenheit beweisen und verlangte von den Sowjets, ihreTruppen sofort zurückzuziehen. Die Sache verlief jedoch nichtwie das glorreiche Poker der Kubakrise, sondern geriet zur Posse.Peinlich berührt mußten die Beamten der Carter-Administrationzugeben, daß der Bericht des Geheimdienstes schlicht falsch war.Sowjetische Soldaten waren seit den frühen sechziger Jahren inKuba stationiert. Eine zusätzliche Demütigung war, daß die Car-ter-Administration sich gerade auf eine hitzige Debatte mit denRepublikanern im Senat einstellen mußte, ob die Regierung über-haupt in der Lage sein würde, das SALT-II-Abkommen im Juni1979 zu unterzeichnen. Der SALT-Vertrag und Carters Erfolg inCamp David sollten die zentralen Themen seiner Wahlkampagnesein.Eine israelische Atombombe bedrohte all diese Pläne. Deshalbdurfte der amerikanische Präsident wieder einmal nicht wissen,was er hätte wissen sollen. Die amerikanische Bürokratie hatte sich30 Jahre lang im Wegschauen geübt, wenn es um das israelischeAtomprogramm ging. Ein Teil des administrativen Systems wolltemit allen Mitteln verhindern, den israelisch-südafrikanischenAtomtest offiziell zur Kenntnis nehmen zu müssen.

In Israel wußten viele, daß ein Atomtest durchgeführt wordenwar. Ari Ben-Menashe erklärte, er habe kurz nach Menachem Be-gins Wahlsieg 1977 im Verteidigungsministerium einen Schrift-wechsel zu dieser Frage gesehen. Die Annahme war verbreitet,daß bei dem Besuch des früheren Verteidigungsministers Shimon

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Peres in Südafrika im Jahre 1976 geheime diplomatische Verhand-lungen mit John Vorster stattgefunden hätten; es war jedoch inder israelischen Regierung nicht allgemein bekannt, welche kon-kreten Vereinbarungen dabei getroffen worden waren. Ben-Me-nashe fügte hinzu, daß Peres Menachim Begin nicht darüber un-terrichten wollte. Und Begin seinerseits wollte sich nicht direkt anPeres wenden, weil dieser ihn während seiner ganzen Laufbahngeringschätzig behandelt und lächerlich gemacht hatte; Beginwar von David Ben Gurion ebenso behandelt worden. Er be-schloß, den neuen Verteidigungsminister Ezer Weizman nachSüdafrika zu entsenden. Laut Ben-Menashe sollte Weizman »her-ausfinden, was eigentlich los war«.Weizman sei zurückgekehrt, berichtet Ben-Menashe, und habegesagt, Israel habe »diesen Burschen nukleare Gefechtsköpfe ver-sprochen«. Er habe Begin empfohlen, den Verpflichtungen nach-zukommen. Ben-Menashe sagte ferner, soweit er und seine Kol-legen wüßten, habe Begin mit der Bemerkung reagiert: »Ja. Andie Arbeit.«Ein anderer Israeli, der ebenfalls direkten Zugang zu Informa-tionen des Verteidigungsministeriums über den Atomversuch inSüdafrika hatte, erklärte, Weizman habe schon vor den Tests desJahres 1979 ein Abkommen unterzeichnet. Es sei dabei um dieLieferung von Technologie und Ausrüstungen an Südafrika ge-gangen, die für die Herstellung von Atomgranaten für Geschützeder Kaliber 17,5 cm und 20,3 cm benötigt wurden. Weizmans An-weisung löste eine interne Diskussion mit führenden Beamten imNuklearbereich aus, wie sich der Israeli erinnerte. Die Beamtenhätten gegen die Entscheidung der Regierung protestiert, dieseInformationen preiszugeben. Die Fachleute in Dimona hieltendiese Kernwaffen für »das beste Zeug, das wir haben«.3

Frank Press bestimmte schließlich Jack Ruina zum Vorsitzendender externen Gruppe, die herausfinden sollte, ob Israels »bestesZeug« über dem Südindischen Ozean getestet worden war. Dis-kretion war angesagt, und unter dieser Voraussetzung war Rui-na, Professor für Elektrotechnik am Massachusetts Institute ofTechnology, eine hervorragende Wahl: Er war seit langem Bera-

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ter des Pentagon für militärische und wissenschaftliche Angele-genheiten und hatte viele der heikelsten Untersuchungen imamerikanischen militärischen und wissenschaftlichen Komplexdurchgeführt. Er war in den frühen sechziger Jahren Direktorder Advanced Research Project Agency (ARPA) gewesen, derForschungsabteilung des Pentagon. Später hatte er das Institutefor Defense Analysis (IDA) geleitet, die wichtigste Denkfabrikdes Pentagon. Ruina war ein ehrenwerter und vorsichtigerMann, der Befehle verläßlich ausführte und an Journalisten kei-ne Informationen weitergab - schon gar nicht, nachdem er unterdem Siegel höchster Verschwiegenheit in die Krise eingeweihtworden war, in der das Weiße Haus steckte. »Press rief mich anund bat mich, [zum Weißen Haus] herüberzukommen«, erinnertesich Ruina. »Er sagte: >Ich kann das am Telefon nicht erklären.Kommen Sie herüber.««Das Geheimnis wurde gewahrt. Innerhalb weniger Wochen stell-ten Press und Ruina eine Gruppe von acht herausragenden Wis-senschaftlern zusammen, deren Integrität über jeden Zweifelerhaben war. Ruinas Gruppe gehörten unter anderen an: Nobel-preisträger Luis Alvarez, Fachbereich Physik an der University ofCalifornia; Wolfgang K. H. Panofsky, Linear Accelerator Center,Stanford University; Richard L. Garwin vom Thomas J. WatsonResearch Center der IBM. Panofsky und Garwin hatten schonfrüher als Berater der Regierung füngiert und waren für die un-verblümte Äußerung ihrer Meinung bekannt.Spurgeon Keeny und Frank Press entwarfen einen sorgfältig for-mulierten Auftrag für die Gruppe. Es war keine Überraschung, daßsich der Auftrag primär auf eine gründliche Untersuchung derMöglichkeit konzentrierte, daß der VELA-Satellit einen Fehlalarmausgelöst haben könnte. Die Ruina-Gruppe sollte ferner die Mög-lichkeit untersuchen, daß das aufgezeichnete Signal auch »natürli-chen Ursprungs« gewesen sein könne, »vielleicht durch das Zusam-mentreffen von zwei oder mehr natürlichen PhänomenenRuina waren die Grenzen seines Auftrags bewußt. »Mein Mandatlautete, nur die technischen Daten zu untersuchen«, erinnerte ersich. Man habe ihm und seinen Kollegen das gesamte verfügbareNachrichtenmaterial über die VELA-Beobachtung übergeben, er-

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klärte Ruina, »aber wir bezogen keine politischen Daten ein -zum Beispiel die Frage, ob die Israelis an Nuklearwaffen interes-siert waren. Das stand nicht in unseren Anweisungen.« Die Mit-glieder der Gruppe hatten an dem Auftrag nichts auszusetzen:rein technische Untersuchungen gehörten für wissenschaftlicheBerater der Regierung zum Alltag.

Der VELA-Bericht blieb trotz seiner Brisanz mehr als einen Monatlang geheim. Doch dann erfuhr John Scali, ein Fernsehreporterder ABC, durch einen alten Freund von einem simulierten sowje-tischen Atomangriff auf die Vereinigten Staaten, der vom amerika-nischen Frühwarnsystem nicht bemerkt worden war. Scalis alterFreund war sehr konservativ; er hielt das amerikanische Versagenfür eine »Ungeheuerlichkeit«. Scali war unter Präsident Nixon UN-Botschafter gewesen; er erzählte die Geschichte einem anderenalten Freund im Pentagon. Innerhalb weniger Stunden wurde erin das Büro eines hochrangigen Beamten des Verteidigungsmini-steriums gebeten und erfuhr dort die wesentlichen Fakten.Scali brachte die Meldung am Abend des 25. Oktober in der ABC:Das Geheimnis hatte über einen Monat lang gewahrt werdenkönnen. Das Weiße Haus hatte genug Zeit gehabt, eine plausibleErklärung zu formulieren. Der Sprecher des Weißen Hauses er-klärte den Vertretern der Medien, daß es »keine Bestätigung« einesAtomtests gegeben habe. Außenminister Vance stimmte in dieseMelodie ein und bestätigte, daß keine schlüssigen Beweise für ei-nen Atomtest vorlägen. Südafrika veröffentlichte ein scharfes De-menti.5

»Die Regierung der Vereinigten Staaten«, schrieb die New YorkTimes bieder, »sah sich dem südafrikanischen Dementi solcherAktivitäten gegenüber. Sie hatte keinerlei Beweise außer demunbestätigten Hinweis eines einzigen Satelliten. Die Regierungsuchte deshalb eine größere Konfrontation zu vermeiden, dennihrer Auffassung nach ging es lediglich um die Möglichkeit, daßirgendein Staat einen atomaren Sprengkörper in einem Gebietvon rund 4500 Quadratmeilen zur Explosion gebracht hatte .. .«Vance unterrichtete die Presse ferner darüber, daß er bereits we-nige Stunden nach dem ersten VELA-Signal mit Brzezinski und

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Verteidigungsminister Harold Brown über die Angelegenheit ge-sprochen habe.Natürlich wußte kein Reporter, daß ein höherer israelischerBeamter schon zweimal dem Office of Net Assessments (im Ver-teidigungsministerium unter Harold Brown) vorgeschlagen hatte,in der Sowjetunion gemeinsame amerikanisch-israelische Zielefür Kernwaffen festzulegen. Wurde Cyrus Vance seinerzeit vonBrown über diese diplomatischen Aktivitäten unterrichtet? Infor-mierte Brown den Präsidenten und dessen Sicherheitsberater? Be-schäftigte sich ein Mitglied der US-Regierung noch einmal mitden Geheimdienstakten über den 1977 geplanten südafrikani-schen Atomtest in der Kalahari? Stellte denn keiner der höherenBeamten des Weißen Hauses kritische Fragen, nachdem die Na-tional Security Agency und andere Geheimdienste zahlreicheSchiffe der südafrikanischen und der israelischen Marine auf demWeg zu einem Ort beobachtet hatten, der 1500 Meilen vor derKüste Südafrikas lag?6

Und beachtete niemand, was der südafrikanische PremierministerP. W. Botha am 25. September 1979, drei Tage nach dem Test, zusagen hatte - drei Tage, die ohne Kommentar oder Aufschrei derinternationalen Öffentlichkeit vergingen? Botha hatte allen Grundzu der Annahme, daß sein Land und seine israelischen Partnerdiese Runde gewonnen hatten. Vor einem Kongreß der Cape Na-tional Party prahlte er nach einem Bericht der Rand Daily Mail,Südafrika besitze bereits genügend Waffen, um den Terrorismusabzuwehren, und könne solche Waffen auch produzieren. Damitspielte er offenkundig auf den African National Congress (ANC)an, der an der Spitze der Anti-Apartheid-Bewegung stand. »Wennes Leute gibt, die etwas anderes zu tun gedenken«, wurde Bothain dem Zeitungsartikel zitiert, »so sollten sie sich das noch einmalgut überlegen. Sie könnten nämlich feststellen müssen, daß wirWaffensysteme haben, von denen sie noch gar nichts wissen.«

Die Ruina-Gruppe bohrte monatelang in der Angelegenheit her-um. Sie erörterte legitime Fragen hinsichtlich der Zuverlässigkeitund Qualität des VELA-Satelliten. Die Gruppe beschloß, sich aufdie Frage nach dem sogenannten »Fehlalarm« zu konzentrieren.

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Nuklearexplosionen bringen zwei unterschiedliche und klar unter-scheidbare Lichtblitze hervor: den eigentlichen Detonationsblitzund einen Feuerball, der etwa eine Drittelsekunde später auftritt.Diese beiden Lichtblitze werden als Doppelausschlag auf den Gra-phen des VELA-Satelliten verzeichnet. Die Gruppe entdeckte einegewisse Anomalität dieses Doppelausschlags in den Aufzeichnun-gen vom 22. September. Sie folgerte daraus, wie es im Schlußbe-richt hieß, daß die VELA-Beobachtungen »genügend interne In-konsistenzen aufweisen, um ernsthafte Zweifel zu begründen, obdas Signal von einer Nuklearexplosion oder aber von einer ande-ren Lichtquelle in der Nähe des VELA-Satelliten stammte«. DieGruppe konnte ferner keine Nebeneffekte einer Nuklearexplosionfeststellen - seismische Signale, Schallwellen, ionosphärische Stö-rungen, magnetische oder elektromagnetische Impulse, die auffrüheren VELA-Aufzeichnungen vorhanden gewesen waren. Auchwurden weder ein außergewöhnlicher radioaktiver Fallout nochTrümmer eines Sprengkörpers gefunden. Es gab keine direkten In-dizien, die die Gruppe zu eindeutigen Schlußfolgerungen gezwun-gen hätten. Der Mangel an solchen Beweisen war nicht unge-wöhnlich, da vermutlich nur eine atomare Artillerie-Granate aneinem abgelegenen Ort gezündet worden war. Wie Press und dieRuina-Gruppe wußten, vermuteten amerikanische Seismologenschon seit langem, daß die Sowjets in den fünfziger und sechzigerJahren viele solche Tests durchgeführt hatten, die von den ameri-kanischen Aufzeichnungssystemen nicht registriert worden waren.Im Juli 1980, zehn Monate nach dem Ereignis, legte die Gruppeihren Schlußbericht vor. Der freigegebenen Version dieses Be-richts zufolge stammte der Lichtblitz, den der Satellit aufgezeich-net hatte, »wahrscheinlich nicht von einer Nuklearexplosion. Ob-wohl die Gruppe die Möglichkeit nicht ausschließen kann, daßdas Signal einen nuklearen Ursprung hatte, halten wir es fürwahrscheinlicher, daß das Signal einem >zoo event< [einer unbe-kannten Ursache] zuzuschreiben war, möglicherweise dem Auf-prall eines kleinen Meteoriten auf dem Satelliten.«Die Ergebnisse lösten unter Atomexperten und professionellenBombenproduzenten in Los Alamos, die das VELA-System ent-wickelt hatten, einen Sturm der Entrüstung aus. Viele von ihnen

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waren Mitglieder des Nuclear Intelligence Panel (NIP), der ge-heimsten nuklearen Nachrichtengruppe in der US-Regierung. NIPhatte eine eigene Untersuchung des vom VELA-Satelliten aufge-zeichneten Tests durchgeführt, vom Weißen Haus jedoch den Be-fehl erhalten, den Bericht aus Gründen der nationalen Sicherheitnicht zu veröffentlichen.In Interviews mit dem Verfasser legten jedoch NIP-Mitglieder ganzoffen die Ergebnisse ihrer Untersuchung dar. Danach war am22. September ganz sicher eine atomare Artillerie-Granate zur Ex-plosion gebracht worden. Die NIP-Mitglieder waren über das Aus-maß der Einmischung des Weißen Hauses in die Untersuchungsehr verärgert. »Wenn etwas wie eine Ente aussieht, muß es wohleine Ente sein«, sagte Harold M. Agnew, NIP-Mitglied und Direk-tor des Labors in Los Alamos von 1970 bis 1979. »Aber diese Aus-kunft gefiel Carter nicht.« Nach Agnews Auffassung ging es we-niger um die Frage, ob eine Kernwaffe explodiert war, sondern umdas »Wer war's?« Louis H. Roddis Jr. gehörte ebenfalls NIP an. Erhatte in der amerikanischen Kernwaffenentwicklung nach demZweiten Weltkrieg eine führende Rolle gespielt. Roddis folgerte,daß der südafrikanisch-israelische Atomtest auf einem Schiff oderauf einer Insel im Südindischen Ozean ausgelöst worden sei. Aucher zeigte sich verärgert über Frank Press und das Weiße Haus. »DieAdministration hat sich große Mühe gegeben, die Sache herun-terzuspielen«, sagte Roddis. »Tatsächlich haben sie die Tatsachensogar verschleiert — oder manipuliert. In New Mexico waren alleüberzeugt, daß es ein Atomtest gewesen war.«Die geheime NIP-Untersuchung wurde von Donald M. Kerr jr. ge-leitet. Kerr hatte der Carter-Administration als Direktor des Vertei-digungsprogramms im Energieministerium gedient - er war fürdie amerikanischen Atombomben zuständig. »Wir alle waren In-sider - wir gehörten nicht zu den Leuten, die öffentlich her-umquatschten.« Damit versuchte Kerr zu erklären, warum dieMitglieder seiner Gruppe damals in dieser Sache geschwiegenhatten. »Wir hatten keinen Zweifel daran, daß eine Atombombegezündet worden war.« Kerr fügte hinzu, seiner Meinung nach seider Auftrag der Ruina-Gruppe von politischer Seite diktiert wor-den: »Sie sollte eine andere Erklärung finden.«

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Es bleibt ein Geheimnis, warum die Wissenschaftler diesesTeams, allesamt ehrenwerte Männer, die Untersuchung durch-führten, obwohl andere die auszuwertenden Informationen be-schränken durften. Den Mitgliedern der Ruina-Gruppe war zuge-sichert worden, daß sie alle relevanten Erkenntnisse über denSatelliten bekämen. Doch eine der wichtigsten Erkenntnisse - dieRuina selbst entdeckte und die dem Weißen Haus bekannt war -wurde ihnen vorenthalten.Ruina war Direktor des Defense and Arms Control Studies Pro-gram des Massachusetts Institute of Technology, also des For-schungsprogramms für Verteidigung und Rüstungskontrolle amMIT. In dieser Funktion war er Ende 1979 an der Abfassung ei-nes aus Bundesmitteln geförderten Forschungsberichts des MITbeteiligt. Hochrechnungen sollten erstellt werden, welche Staa-ten in welchem Ausmaß über entscheidende Komponenten fürden Bau von ballistischen Kurzstreckenraketen verfügten. Au-ßerdem sollten diese Komponenten mit den in den VereinigtenStaaten produzierten Bauteilen verglichen werden. Drei Kolle-gen arbeiteten mit Ruina zusammen an diesem Bericht; einervon ihnen war ein israelischer Doktorand. Kurz nachdem amMIT bekannt wurde, daß Ruina die VELA-Beobachtungen aus-werten sollte, begann der Israeli mit Ruina ein Gespräch überdas israelische Atompotential. Er erklärte, er habe an den israe-lischen Atomraketensystemen mitgearbeitet. »Ich hatte den Ein-druck, er [der Israeli] wußte eine Menge«, erinnerte sich GeorgeRathjens, der in der Carter-Administration für Rüstungskontrollebei Kernwaffen zuständig gewesen war und jetzt am MIT engmit Ruina zusammenarbeitete. »Er wußte über Raketen und überLeitsysteme Bescheid. Er sprach ganz offen darüber. Er benahmsich, als habe er einen ganz normalen Job.« Ruina leitete die In-formationen des Israeli schriftlich an Spurgeon Keeny bei derACDA weiter. »Manche Leute [in den Nachrichtendiensten]glaubten, daß [der Israeli] die Wahrheit sagte«, meinte Keeny.»Die Botschaft lautete: -Wir haben ein großes System, und es istweiter entwickelt, als ihr denkt.« Der Bursche sagte, die Sache(der Lichtblitz am 22. September) sei ein israelisch-südafrikani-scher Versuch gewesen.«

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Keeny hatte nun potentiell brisantes Nachrichtenmaterial, das zubeweisen schien, was sich ereignet hatte und wer beteiligt gewe-sen war. Er blieb dem Stil der Präsidentschaft Carters treu undbezeichnete den Bericht als Unsinn. »Ich kam zu dem Ergebnis,daß der Bericht sehr fragwürdig war«, gestand Keeny ein. »Ichnahm die Sache nicht sehr ernst.« Laut Keeny waren auch seineKollegen im Weißen Haus der Ansicht, daß Ruinas Doktorand mitisraelischer Desinformation hausieren ging. Die Information wur-de daher weder an die Geheimdienste noch an die Mitglieder derRuina-Gruppe weitergegeben. Sie verschwand in den Schubladender Amtsstuben.Einige Regierungsexperten für Fragen der Atomwaffenkontrollewaren überzeugt, Frank Press und Spurgeon Keeny hätten richtiggehandelt. Sie hätten lediglich versucht, die negativen politischenAuswirkungen eines südafrikanisch-israelischen Atomtests zu be-grenzen. »Ich denke, die Untersuchungsergebnisse der Ruina-Gruppe waren in der damaligen Situation die richtige Reaktion«, er-klärte einer dieser Experten. »Was sollten wir tun? Eine Mengeanderer Probleme wurde davon berührt - Apartheid, Camp David,der Atomwaffensperrvertrag. Menschenrechte, die Verhandlungenmit Indien (zur Verhinderung der Proliferation), der weltweiteStopp der Aufbereitung von Brennstäben. Man mußte etwas Über-zeugendes tun, vor allem gegenüber Israel, aber es gab ein bedeu-tendes Segment der Bevölkerung, das Carter nicht verstimmendurfte.«Die amerikanischen Nachrichtendienste waren zwar über densüdafrikanischen Test recht gut informiert - die CIA betonte inden internen Einschätzungen der Jahre 1979 und 1980, daß einAtomtest stattgefunden habe -, aber hinsichtlich des Entwick-lungsstandes des israelischen Nuklearprogramms tappten sieweiterhin im dunkeln. 1980 veröffentlichte die CIA eine weitereSchätzung des israelischen Potentials, die im wesentlichen dieZahlen enthielt, die auch Carl Duckett schon 1974 vorgelegt hat-te. Die CIA vertrat die Ansicht, Israel habe mindestens 20, mög-licherweise sogar 30 nukleare Gefechtsköpfe hergestellt. Dieseneuen Hochrechnungen waren jedoch viel detaillierter als frühe-re Untersuchungen. Die CIA konnte berichten, daß die Israelis

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die Produktion des Reaktors in Dimona erhöht und das Kühlsy-stem verbessert hatten - klare Hinweise darauf, daß eine größe-re Menge von Plutonium für Kernwaffen erzeugt wurde. Es gebekeinen Zweifel mehr, hieß es in der Schätzung der CIA, daß Is-rael den Bau einer chemischen Aufbereitungsanlage abgeschlos-sen habe - nur Methode und Ort seien nicht bekannt. »Das wardie erste ernsthafte Schätzung«, erklärte ein Beamter der Carter-Administration, »und sie half den Leuten draußen, jetzt wirklichzu klären, wie viele Atomwaffen Israel hatte.« Dennoch unter-schätzte auch der CIA-Bericht bei weitem die Zahl der israeli-schen Gefechtsköpfe und den Entwicklungsstand des israeli-schen Nuklearprogramms. Manchmal wurden die Tatsachen sohingebogen, daß die Zahlen niedrig angesetzt werden konnten.Der Satellit KH-11 hatte mit seinen hervorragenden Kameras einisraelisches Atomraketensilo fotografiert. Die Experten für dieAuswertung des Bildmaterials im National Photographic Inter-pretation Center (NPIC) hatten zehn Gegenstände gezählt, diedann als nukleare Gefechtsköpfe identifiziert wurden. Niemandhatte jemals einen israelischen Gefechtskopf gesehen; in Ge-heimdienstkreisen faßte man die Tatsache, daß nur zehn Ge-fechtsköpfe entdeckt wurden, »als Bestätigung unserer Schätzun-gen auf«, wie sich ein Beamter erinnerte. »Wir hielten die Fotosfür ganz außergewöhnlich, waren jedoch der Ansicht, daß sieuns keine neuen Informationen lieferten. Sie stimmten schlichtmit unseren Zahlen überein.«Die CIA-Schätzung des Jahres 1980 wurde von dem leitenden Be-amten im Außenministerium Joseph S. Nye jr. angefordert, der in-zwischen als ausgesprochen fortschrittlicher Berater des Präsi-denten zu Fragen der Proliferations-Politik hervorgetreten war.Nye gestand ein, daß Jimmy Carter der Reaktion auf die israeli-sche Atombombe geringe Priorität einräumte. »Wir konnten nichtviel tun«, erklärte Nye. »Die Israelis hatten bereits die Bombe. Ineiner solchen Angelegenheit konnten wir kaum nur mit einer De-marche [einem diplomatischen Protest] reagieren. Die Frage war:Sollten wir deshalb einen Riesenkrach veranstalten?«Die Antwort war ein klares Nein.

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Der israelische Atomspion

Jonathan Jay Pollard ist in den Augen vieler Amerikaner ein ame-rikanischer Jude, der aus falsch verstandener Loyalität für Israelspionierte - ein Mensch, der davon überzeugt war, er würde mitseinen Dokumenten und Informationen Israel im Kampf gegenden internationalen Terrorismus unterstützen. Als Pollard im No-vember 1985 verhaftet wurde, erklärte er, er habe den Israelis erstseit 14 Monaten Geheimdokumente zugespielt - und viele dieserDokumente hätten eigentlich die Vereinigten Staaten den Israeliszugänglich machen müssen. Die israelische Regierung entschul-digte sich für seine Spionagetätigkeit und behauptete, PollardsAnwerbung sei eine Entgleisung gewesen, eine nicht genehmigte»Gauneraktion«. Pollard wurde wegen Spionage zu lebenslangerHaft verurteilt.Er spionierte tatsächlich aus falsch verstandener Loyalität für Isra-el - und gegen Bezahlung -, aber abgesehen davon stimmt keineder weitverbreiteten Behauptungen über diesen Fall. Pollard warIsraels erster Atomspion.

Seit 1979 arbeitete Pollard als Zivilbeschäftigter für den Nachrich-tendienst der US-Marine. Schon 1980 bot er Israel an, Informatio-nen zu liefern, wurde aber erst im Herbst 1981 als Agent rekru-tiert - drei Jahre früher, als er und die israelische Regierung späterzugaben. Zu dieser Zeit arbeitete er als Nachrichtenspezialist imField Operations Intelligence Office der US-Marine. In den Jahren1984 und 1985 war Pollard auf dem Höhepunkt seiner Spionage-aktivität. Er sollte vor allem amerikanisches Nachrichtenmaterialsammeln, das für die israelischen Pläne zur atomaren Zielbestim-mung der Ölfelder und militärischen Einrichtungen in Südrußlandnützlich sein konnte. Diese Tatsache wurde den für die Untersu-

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chung eingesetzten Beamten des Justizministeriums und derStaatsanwaltschaft von israelischer Seitee vorenthalten.Pollard hatte in allen Verhören durch das Justizministerium be-hauptet, daß er erst im Juli 1985 mit der Spionage begonnen ha-be. Zuvor sei er gesellschaftlich dem israelischen Luftwaffen-oberst Aviem Sella begegnet, einem seiiner Idole. Sella hatte 1981an der Bombardierung des irakischen Kernreaktors Osirak teilge-nommen. Tatsächlich war er jedoch deir führende Experte der is-raelischen Luftwaffe für die Plazierung 'von Atombomben. Er warals kompetenter Verbindungsmann zu Pollard eingesetzt worden.Die für nukleare Zielerfassung relevanten Daten, die Pollardlieferte, enthielten auch streng geheimes amerikanisches Nach-richtenmaterial über die Lokation sowjetischer Militärziele undspezifische Daten über die sowjetischen Tarnungs- und Schutz-maßnahmen für diese Ziele. Pollard leitete auch amerikanischeInformationen über die sowjetische Luftabwehr an Israel weiter,vor allem über das gefürchtete Boden-Luft-Raketensystem SA-5,das sich im Vietnamkrieg gegen die amerikanischen B-52-Bom-ber als sehr wirkungsvoll erwiesen hatte. Pollard lieferte schließ-lich auch ein Exemplar des Jahresberichts der US-Nachrichten-dienste über das sowjetische strategische Waffensystem. DieserJahresbericht war unter der Bezeichnung 11-38 bekannt und galtaufgrund seines Anhangs über Satellitefotografie, Abhöreinrich-tungen, Radarinformationen und Agemtenberichte als eines dergeheimsten Dokumente der US-Regierung. Ferner lieferte Pollardden Israelis die Codes für das diplomatische Kommunikations-netz der Amerikaner. Dadurch konnte die Chiffrierungsabteilungdes israelischen Nachrichtendienstes Telegramme und Botschaf-ten des gutinformierten US-Botschafters Samuel W. Lewis abfan-gen, der seit 1977 in Israel Dienst tat. Insgesamt lieferte Pollardnach den Berechnungen der Bundesstaatsanwälte bis zu seinerVerhaftung 1800 Dokumente an Israel - schätzungsweise 500 000Seiten.Den israelischen Spitzenpolitikern Shimon Peres, Yitzhak Rabinund Yitzhak Shamir war bekannt, daß in den Vereinigten Staatenein Informant an höchster Stelle saß. Israelische Geheimdienst-beamte ließen einige der wichtigsten Dokumente neu schreiben

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und passend redigieren; anschließend übergaben sie diese Un-terlagen der Sowjetunion als Geste des guten Willens Israels.Dies geschah auf besondere Anweisung Yitzhak Shamirs, derseit langem für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Is-rael und der Sowjetunion eintrat. All das konnte Israel jedochnach Pollards Verhaftung und seinem Gnadengesuch erfolgreichvertuschen. Israel stellt auch heute noch die Pollard-Affäre alsGaunerstückchen von Betrügern dar, das ohne Kenntnis der Ent-scheidungsträger ausgeführt worden sei.

Die Pollard-Affäre begann mit den israelisch-amerikanischen Be-sprechungen im Weißen Haus im September 1981, drei Monatenach dem Luftangriff auf Osirak. Ariel Sharon war kurz zuvor vonMenachem Begin zum Verteidigungsminister ernannt worden. Erhatte Begin nach Washington begleitet, um dort einen detaillier-ten Zeitplan für eine strategische Kooperation zwischen den bei-den Staaten vorzulegen. Israel sollte Amerikas militärischer Part-ner und verlängerter Arm im Nahen Osten und am PersischenGolf werden. Sharon wollte den amerikanischen Streitkräften La-gerstätten für feststationierte Waffen und für Munition anbieten.Die von den Israelis herbeigesehnte Besprechung mit PräsidentReagan fand im Kabinettssaal statt. Außer Reagan waren führendeBerater anwesend wie Verteidigungsminister Caspar Weinberger,Außenminister Alexander Haig, der Nationale SicherheitsberaterRichard Allen und Sam Lewis, der damalige US-Botschafter in Is-rael. Er schilderte die Besprechung: »Begin sagte: >Mr. President,wir haben dieselben Ansichten über die kommunistische Bedro-hung. Wir sollten unsere Beziehungen definitiv regeln. Ich schla-ge eine formelle Allianz vor.- Reagan sagte ja. Alle anderen warenschockiert. Begin fuhr fort: -Mr. President, ich möchte jetzt Mini-ster Sharon bitten, unsere Vorstellungen zu erläutern.« Sharonbrauchte etwa eine halbe Stunde, um darzulegen, wie die ge-meinsamen amerikanisch-israelischen strategischen Interessenformuliert werden könnten. AI Haig (ein entschiedener Vertreterder Interessen Israels) wurde grün im Gesicht, ebenso Dick Allenund der Rest der Leute vom Weißen Haus. Cap (Weinberger) liefdunkelrot an. Ich dachte, er explodiert gleich.«

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Sharons Plan sah eine gemeinsame Nutzung der Luftwaffenbasenund Marinestützpunkte vor. Ein wichtiger Aspekt war der ge-meinsame Zugang zu Nachrichtenmaterial; Israel war besondersbegierig darauf, offiziell Zugang zu KH-11-Daten zu bekommen,weil es diese Informationen für die Festlegung von Atomzielen inder Sowjetunion benötigte. Das war jedoch den meisten amerika-nischen Teilnehmern der Konferenz nicht bekannt.Lewis erklärte, nach Sharons Präsentation habe sich Begin anden Präsidenten gewandt, der bis zu diesem Zeitpunkt keine er-kennbaren Reaktionen gezeigt habe, und gesagt: »>Wir könntenunsere beiden Verteidigungsminister bitten, den Vorschlag aus-zuarbeiten.« Cap sah aus, als würde er jeden Augenblick ohn-mächtig werden.«In den nächsten Monaten machte sich Weinberger daran, Sharonin Verhandlungen so »einzuwickeln«, daß nach Lewis' Aussage »ei-ne Maus herauskam«. Es würde keine gemeinsamen amerika-nisch-israelischen Luftwaffenbasen im Nahen Osten geben, undIsrael würde auch nicht den erwünschten Zugang zu Nachrichtenvon amerikanischen Satelliten bekommen. Sharon erfuhr ferner,daß Israel auch keine Empfangsstation in Tel Aviv für Echtzeit-KH-11-Fotografien bekommen würde.Sharon hatte ursprünglich nicht hinnehmen wollen, daß sein stra-tegischer Plan beschnitten wurde, und war bereit gewesen, fürdie Sache zu kämpfen. Begin jedoch, erklärte Lewis, wollte unbe-dingt »eine formelle Allianz mit den Vereinigten Staaten abschlie-ßen - vor allem nach den Erfahrungen der Carter-Jahre«. Sharonwurde schließlich gezwungen, die verwässerte amerikanischeVersion zu akzeptieren, die er zuerst vehement bekämpft hatte. Ermußte sie sogar vor der Knesset verteidigen. Doch er blieb sei-nem Premierminister gegenüber loyal und tat seine Pflicht, weiler größere Pläne hatte.In den nächsten Monaten fand Sharon einen Weg, seine strategi-schen Ziele ohne Hilfe aus Washington zu verwirklichen. Mit Be-gins Unterstützung entsandte er Truppen in den Libanon. Ihr Auf-trag war, die PLO zu vernichten und mit Hilfe der militärischenDominanz Israels die politische Struktur des Nahen Ostens zuverändern. Nach Sharons Plan sollte Israel den Kampf bis in die

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Randbezirke von Beirut tragen und dort einen zu gewärtigendensyrischen Vorstoß stoppen, während die Milizen, die mit Israelverbündete Armee der libanesischen Christen, die Stadt von denAnhängern der PLO reinigen sollten. Aber die christlichen Milizentraten nicht in Aktion. Zur Unterstützung der Invasionsarmeebombardierte die israelische Luftwaffe Beirut. Statt eines Siegesgeriet der Vormarsch ins Stocken; 500 israelische Soldaten undmehr als 10 000 Palästinenser und Libanesen wurden getötet. Inden palästinensischen Flüchtlingslagern in Sabra und Shatillawurden entsetzliche Massaker angerichtet.Bevor Sharon seinen Plan ausführen konnte, mußte er die Kon-trolle über die israelischen Geheimdienste und die »Tempelwaf-fe« Israels, das Atomwaffenarsenal, an sich reißen. Er setzte Män-ner in Schlüsselpositionen ein, die ihm treu ergeben waren undseine strategischen Ziele unterstützten. Einer der ersten Männerder alten Garde, die entlassen wurden, war Binyamin Blumberg.Er hatte seit den fünfziger Jahren das Office of Special Tasks ge-führt. Der neue Leiter war ein enger Gefolgsmann Sharons undhatte lange Zeit als verdeckter Agent gearbeitet. Sein Name warRafael »Rafi« Eitan; er diente damals zugleich als SonderberaterBegins für Terrorismusbekämpfung. Eitan füllte beide Positionenaus. Er war ehrgeizig und wurde in Israel allgemein »Rafi derStinker«1 genannt. I960 war er an der Entführung Adolf Eich-manns in Buenos Aires beteiligt gewesen und hatte an zahlrei-chen Geheimdienstoperationen in der arabischen Welt mitge-wirkt. Einige Jahre zuvor hatte man ihn jedoch gezwungen, denMossad zu verlassen. Dieser Bruch in seiner Karriere hatte Eitanebenso verbittert wie die Unfähigkeit des Mossad und der ande-ren israelischen Geheimdienste, mit seiner Gruppe für Terroris-musabwehr zusammenzuarbeiten.

Sharon machte aus seinen politischen Plänen kein Geheimnis,sondern hatte sie öffentlich bei vielen Anlässen immer wieder er-läutert, nachdem er 1973 die israelische Armee verlassen hatte.Seine Hauptziele waren der Sturz des jordanischen Königs Hus-sein und die Umwandlung Jordaniens in einen palästinensischenStaat, in den alle palästinensischen Flüchtlinge »transferiert« -

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oder vertrieben - werden könnten. Im Frühherbst 1981, ein paarWochen nach seiner Rückkehr aus Washington, rief Sharon diehöchsten Offiziere der israelischen Streitkräfte zusammen und er-läuterte ihnen zum ersten Mal, wie er seine Ziele in die Tat um-setzen wollte - durch Invasion des Libanon. Ein Offizier erinnertesich, daß er und andere Anwesende über Sharons Formulierungunglücklich waren, er wolle »über die Notwendigkeit sprechen, inden Libanon einzudringen und die «Hauptstadt des Terrorismus«zu zerstören«. Sharon sprach sinngemäß über den langen Arm derStreitkräfte und die Notwendigkeit, »die Regime der arabischenWelt auszutauschen«. Der Offizier, ein ehemaliger Nachrichten-spezialist, erinnerte sich auch an Sharons Aussage, man müsse»die Struktur der israelischen Nachrichtendienste verändern«.»Ich saß mit einer Gruppe von Generälen zusammen«, fügte derOffizier hinzu, »und sagte: >Er führt uns in einen Nahostkrieg.<«Ringsum sei daraufhin nervöses Gelächter ausgebrochen.Sharons Erläuterungen war jedoch eine weitere Information ein-deutig zu entnehmen: »Er kehrte als Antiamerikaner (aus Wa-shington) zurück; früher war mir das gar nicht aufgefallen. Erschilderte den Besuch in Washington. Er sagte: >Die Amerikanerbehandeln uns wie einen Flugzeugträger - als schwimmendenStützpunkt. Sie haben unsere wahre Bedeutung noch gar nicht er-kannt: Wir sind nicht ein Flugzeugträger, wir sind zwanzig Flug-zeugträger. Wir sind viel wichtiger, als sie glauben. Wir könnenden ganzen Nahen Osten mit uns reißen, wenn wir zerstört werdensollen.'« Es war ein eigenartiger und beunruhigender Auftritt, mein-te der Offizier, und dieser Eindruck wurde durch Sharons Drohungnoch verstärkt, er werde jeden vor ein Militärgericht bringen, derüber diese Pläne nicht absolutes Stillschweigen bewahre.Am 15. Dezember ließ Sharon durch Aharon Yariv vor einer Kon-ferenz des Institute of Strategie Studies eine Rede verlesen; erselbst war nicht anwesend. In dieser Rede erklärte er, die Verei-nigten Staaten seien indirekt verantwortlich für die wachsendeBedrohung durch die Sowjetunion im Nahen Osten. »Der sowje-tische Vormarsch in dieser Region während der siebziger Jahrewurde nur durch die strategische Passivität der Vereinigten Staa-ten in jenen Jahren und durch die Handlungsfreiheit möglich, die

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die Sowjetunion genoß . . .« Die wachsende sowjetische Ma-növrierfähigkeit im Nahen Osten und in Afrika, fügte Sharon hin-zu, »gefährdet die Stabilität in der Region und vitale Interessen derfreien Welt. Diesen Punkt will ich ganz besonders hervorheben.In den achtziger Jahren wird die große Gefahr für die freie Weltdarin bestehen, daß man weiterhin Wunschdenken mit Tatenlo-sigkeit verbindet. Dadurch ist die Haltung des Westens gegenüberder graduellen sowjetischen Expansion während der beiden letz-ten Dekaden gekennzeichnet.«Sharon rief Israel auf, seine nationalen Sicherheitsinteressen stär-ker zu fördern. Sie sollten »über den Nahen Osten und das RoteMeer hinaus auch Staaten wie die Türkei, Iran, Pakistan, und Re-gionen wie den Persischen Golf und Zentral- sowie Nordafrika«einschließen. Der neue Verteidigungsminister erklärte, die Sicher-heitsinteressen Israels würden jetzt von der Fähigkeit abhängen,die Ereignisse in einer Region zu beeinflussen, die sich von Keniabis zur Türkei und von Mauretanien bis Pakistan erstrecke.Es gab einen sicheren Weg, der neuen und sich ausbreitendensowjetischen Bedrohung zu begegnen: Israel mußte sich nochstärker auf sein Atomwaffenarsenal stützen. Doch dies konnteohne Zugang zu KH-11-Satelliten und ohne zusätzliche Informa-tionen aus amerikanischen Quellen nicht erreicht werden.Sharon definierte Israels strategische Lage neu. Gleichzeitig bekamWashington endlich eindeutige Informationen über das israelischeAtomarsenal. Ein israelischer Wissenschaftler oder Techniker, derin Dimona arbeitete, hatte - ähnlich wie Mordecai Vanunu fünfJahre später - ein paar Fotos von Raketensilos in unterirdischenBunkern aufgenommen. »Das war unser erster Blick ins Innere«,sagte ein leitender Nachrichtenoffizier. »Bemerkenswert fandenwir vor allem, daß er in ein Silo gelangt war.« Die Fotos zeigten ein-zelne in schweren Bleigehäusen gelagerte Gefechtsköpfe; sie wa-ren den amerikanischen Kernwaffen-Iglus recht ähnlich. »Wir sa-hen deutlich, wie die Waffen dort aufgereiht lagen.«Die Männer, die den Überläufer befragten, waren Experten fürWaffenproduktion. Sie wußten, daß auf den Fotos thermonukle-are Gefechtsköpfe zu sehen waren. Der Überläufer erklärte, Israelhabe mehr als 100 Waffen dieser Art in den Silos. »Wir dachten

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nur noch: -Verdammte Scheiße!-«, erinnerte sich ein Amerikaner,der an den Verhören teilgenommen hatte. »-Wie konnten wir unsnur so täuschen?« Wir hatten immer nur gesagt: >Die Israelis habenzehn Gefechtsköpfe? Okay. Was ist schon dabei? Jeder kann siebauen.« Aber jetzt plötzlich merkten wir, wie weit sie bereits wa-ren. Alle drehten durch. Wozu braucht man eine thermonukleareWaffe? Wir wissen doch, daß 20 Kilotonnen ausreichen, um Kairoauszulöschen. [Israel] war weiter gekommen und besser gerüstet,als unsere Leute es für möglich gehalten hatten - saubere Bom-ben, bessere Gefechtsköpfe. Das Weiße Haus wurde davon un-terrichtet, aber nicht in der Weise, in der ich es hier erzähle, denndie ganze Sache war ein Schlag ins Gesicht unserer Nachrichten-dienste.«Der Überläufer brachte auch spezifische Daten über die Größeder Gefechtsköpfe und die Steuerungssysteme mit. »Wir bekamensehr viel Papier.« Die Amerikaner kamen schließlich zu der Über-zeugung, daß Israel einen nuklearen Gefechtskopf zielgenau pla-zieren konnte. Aus den Unterlagen des Überläufers sei deutlichgeworden, erklärte ein Amerikaner, daß die Israelis »alles tunkönnen, was wir oder die Sowjets tun können«.Auch diesmal gab es Kommunikationsprobleme, wie es seit denspäten fünfziger Jahren üblich war, wenn es um Informationenüber israelische Kernwaffen ging: Die Daten des Überläufers wur-den nicht an die mit der Proliferation befaßten Experten des Au-ßenministeriums und auch nicht an die Analytiker der Z-Divisionin Livermore weitergeleitet, weil sie als Liberale galten. »Ich gehejede Wette ein, daß die Informationen den Leuten der Z-Divisionvorenthalten wurden«, sagte der Beamte der Regierung Reagan.»Wir waren wie verrückt vor Angst, daß sie sie dennoch bekä-men.« Die Informationen des Überläufers blieben irgendwo hän-gen. Jene Amerikaner, die das Ausmaß und die Qualität des israe-lischen Atompotentials hätten kennen sollen, erfuhren nichts.

Jonathan Pollard hatte in South Bend, Indiana, eine unglücklicheKindheit verbracht. Er war der Sohn eines Professors der NotreDame University und wurde in der Grundschule immer wiedergequält und verprügelt, weil er Jude war. Bei einem Interviewerzählte er, der Sechstagekrieg habe den »Wendepunkt« in seinemLeben dargestellt. Er war damals 13 Jahre alt. Der israelische Sieghabe auf ihn »emotional berauschend« gewirkt. Er war besessen

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von israelischen Sicherheitsfragen, und ist es heute noch. Die fixeIdee, er müsse zur Sicherheit Israels beitragen, hatte in diesem Siegihre Ursache. Pollard erzählte seinen Kommilitonen an der Stan-ford University, er habe zwei Staatsbürgerschaften und sei Oberstder israelischen Armee. Angeberei und phantasievolle Behauptun-gen kennzeichneten auch seine Jahre an der Fletcher School ofLaw and Diplomacy, die zur Tufts University in Boston gehört. Pol-lard schrieb sich dort 1977 ein. Aber er fiel bei der Abschluß-prüfung durch; auch die Bewerbung bei der CIA wurde abgelehnt.Schließlich fand er eine Stelle bei der US-Marine. Anfang 1981bewarb sich Pollard um eine Stelle als Verteidigungs-Analytikerbeim American Israel Public Affairs Committee (AIPAC), einer dermächtigsten Lobby-Gruppierungen in Washington. Beschäftigtedes AIPAC fanden es unangemessen und »seltsam«, daß Pollardständig damit prahlte, er habe Zugang zu streng geheimen Infor-mationen. Ein Angestellter des AIPAC erinnerte sich, daß PollardsStory »zu unglaublich klang, um wahr zu sein. Wir trennten uns vonihm.« Man vermutete, daß Pollard an einer gegen AIPAC gerichte-ten Operation teilgenommen haben könnte. Er war offensichtlichein schwieriger Fall.Pollard hatte Israel 1980 und 1981 seine Dienste angeboten. Aller-dings würde kein ernstzunehmender israelischer Geheimdienst-beamter in Betracht ziehen, einen ganz offen für Israel eintreten-den amerikanischen Juden zu rekrutieren, der noch dazu bei denamerikanischen Geheimdiensten beschäftigt war. Auch gab es einungeschriebenes Gesetz, das die Rekrutierung amerikanischer Ju-den untersagte, ob sie nun für oder gegen Israel waren. SolcheMitarbeiter brachten einfach zu hohe Risiken mit sich.Pollards wiederholte Angebote hatten die israelischen Geheim-dienstleute entnervt. »1980 lehnten wir ihn ab«, erklärte ein ehema-liger Agent des Mossad. »Er ist verrückt; er ist Jude - wir dürfen ihnnicht nehmen. Das wäre so, als würde man einen Kommunistenrekrutieren, um ihn (in den Vereinigten Staaten) für den KGB spio-nieren zu lassen. Ein solcher Mann wäre automatisch verdächtig.«

Rafi Eitan, der aggressive neue Direktor des Office of SpecialTasks, entschloß sich, diese Grundregel zu ändern, nachdem sei-ne Gespräche mit dem Präsidenten und dessen führenden Bera-

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tern in Washington ergebnislos geblieben waren. Er stimmte mitSharon überein, daß die Vereinigten Staaten Nachrichtenmaterialzurückhielten, das für Israels Sicherheit von größter Bedeutungsein konnte - zum Beispiel die KH-11-Fotografien. »Das war eingrundlegender Verdacht«, erklärte ein Israeli, der im Mossad mitEitan zusammenarbeitete. »Was immer wir bekamen, war nichtdas Beste - es gab Besseres.«Ari Ben-Menashe und seine Kollegen, die für die auswärtigen Be-ziehungen zuständig waren, reagierten entsetzt, als Eitan Pollardim Oktober 1981 rekrutierte. Pollard gehörte einem Team der US-Marine an, das Israel im Herbst 1981 besuchte, um den Austauschvon Nachrichtenmaterial mit der israelischen Marine zu koordinie-ren. Solche Besuche gehörten zur Routine. Die Israelis hatten sicheine neue Methode einfallen lassen, ihren amerikanischen Kolle-gen den Aufenthalt angenehm zu gestalten: Jeder Amerikaner wur-de ins Haus eines israelischen Offiziers zum Essen eingeladen. »Ra-ten Sie mal, wer Pollard einlud?« fragte Ben-Menashe. »Rafi. Er fingihn [Pollard] an einem einzigen Abend ein. Er zahlte ihm nicht ein-mal viel, sondern erzählte ihm nur großartige Geschichten.« Ben-Menashe glaubte, Eitan habe Pollard gebraucht, »um Zugang zubestimmten Papieren zu bekommen, von denen er gehört hatte. Erbrauchte einen Analytiker.« Pollards Rekrutierung sei in den militä-rischen Geheimdienstkreisen als »die schlimmste Scheiße« bezeich-net worden, die Rafi fabrizieren konnte.

Anfang 1982 war Reuven »Rudi« Yerdor zum Brigadegeneral be-fördert und mit der Leitung der Einheit 8200 betraut worden, desisraelischen Kommunikations-Nachrichtendienstes. Yerdor warein hochrangiger Analytiker, der eng mit den Kollegen der Ame-rican National Security Agency zusammenarbeitete und deshalballe drei Monate für Koordinationsgespräche nach Washingtonreiste. Yerdors offizieller Titel lautete Stellvertretender Stabscheffür militärisches Nachrichtenwesen in den israelischen Streitkräf-ten. Sein unmittelbarer Vorgesetzter war Generalmajor Yehoshua

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Saguy, der Direktor von AMAN (dem militärischen Nachrichten-dienst) und Sharons Stellvertreter. Wie Sharon wurde auch Saguynach dem Massaker in Sabra und Shatilla entlassen. Jedem höhe-ren Offizier war klar, daß Saguy als Direktor des militärischenNachrichtendienstes gemäß den militärischen Verfahrensregelndirekt dem Premierminister berichtspflichtig war. Aber Saguy warin den Kreisen höherer Militärs dafür bekannt, daß er Sharon nursehr ungern herausforderte und ihm bereitwillig den Vortritt beider Aufgabe überließ, Begin und das israelische Kabinett übermilitärisches Nachrichtenmaterial zu informieren.Am Neujahrstag 1982 wurde Yerdor zu Saguy beordert. Er erhieltzwei Pakete mit Dokumenten, die er auswerten sollte: »Sagen Siemir, was Sie davon halten.« Das erste Paket enthielt sehr techni-sches amerikanisches Nachrichtenmaterial, in dem ein sowjeti-sches militärisches System beschrieben wurde, das den Araberngeliefert worden war. Das zweite Paket mit Dokumenten inter-essierte Yerdor weniger; es enthielt Kopien der Tages- undWochenberichte der weltweiten Abhöraktionen der NSA. »Rudi[Yerdor] erklärte Saguy, daß die technischen Daten phantastischseien«, erinnerte sich ein israelischer Beamter, »aber daß -wir dasin dieser Form niemals von den Amerikanern bekommen wer-den«. Die Berichte über die Abhöraktionen hielt Yerdor für we-niger nützlich.« Er erklärte später einem Kollegen, er habe an-genommen, daß die Nachrichtendienste seiner Regierung zweiAgenten in den Vereinigten Staaten angeheuert hätten. DiesenSchritt habe er für bedauerlich und kurzsichtig gehalten. Dochallmählich kam Material »in großen Mengen« herein, wie Yerdorseinem Kollegen erzählte. Yerdor habe »ein Spezialteam einset-zen müssen, um die Sachen lesen und analysieren zu lassen«.Im Februar erfuhr Israel, daß die Sowjets die syrische Luftabwehrverstärkten und drei Bataillone mit der SA-5, der damals modern-sten, für große Flughöhen bestimmten Luftabwehrrakete, ent-sandten. Das System wurde erstmals im Nahen Osten stationiert.Die Raketen blieben unter sowjetischer Kontrolle, sollten aber diesyrischen Kurzstreckenraketen SS-21 beschützen, die israelischesTerritorium erreichen konnten. Das neue System stellte auch fürdie modernsten israelischen Bomber vom Typ F-15 und F-l6 eine

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Bedrohung dar. Die Stationierung war eine besorgniserregendeEskalation. Die Vereinigten Staaten wurden in einer offiziellenAnfrage gebeten, Israel Zugang zu Nachrichtenmaterial über dieQualitäten der SA-5 zu gewähren. Wie Yerdor erwartet hatte, ließman ihn wissen, daß über das System kaum Informationen ver-fügbar seien; die Daten seien zu heikel. »Zwei Tage später«, sagteein israelischer Freund Yerdors, »bekam Rudi aus blauem Himmelplötzlich das vollständige amerikanische Datenmaterial über dieSA-5, aus dem hervorging, daß die Rakete nicht so gut war, wiewir befürchtet hatten.« Über die Quelle erzählte Yerdor seinemKollegen nur, daß so etwas nicht durch die normalen Kanäle zubekommen sei.Mitte Mai 1982, drei Wochen vor der Invasion im Libanon, erhieltYerdors Abteilung eine erstaunliche Sammlung unschätzbareramerikanischer technischer Daten über das Luftabwehrsystem inSyrien. Diese Materialien hatten die US-Geheimdienste bisher vorIsrael sorgsam unter Verschluß gehalten: detaillierte Informatio-nen über neue Radarsysteme, elektronische Landkarten, präziseRadiofrequenzen für die Operationen der syrischen SA-6, SA-8und der modernen Boden-Luft-Raketen SA-3. Yerdor stellte Gene-ral Saguy auch diesmal Fragen: »Wir bekommen diese Materialien[auf normalem Wege] nicht. Auch wenn wir danach fragen wür-den, bekämen wir sie nicht.« Die israelische Luftwaffe konnte mitHilfe dieser Informationen im Libanon-Feldzug die syrische Luft-waffe und über 70 syrische Raketenwerfer zerstören.Es gab noch mehr Material. »Allmählich kamen auch NSA-Abhör-daten herein«, erklärte ein voll informierter Israeli. Rafi Eitanselbst kam in Yerdors Büro und »warf ihm täglich einen Abhörbe-richt hin«. In diesen Berichten ging es um die diplomatischen Ak-tivitäten des US-Botschafters Samuel Lewis. Yerdor sagte zu Eitan:»Diese Sachen rühre ich nicht einmal mit einem drei Meter langenStock an.« Lewis war ein Karriere-Diplomat. Er war bis 1985 Bot-schafter in Tel Aviv und galt weithin als guter Freund Israels. ArielSharons Politik lehnte er jedoch scharf ab.Yerdor schätzte Eitan wenig, machte sich aber um die langfristi-gen Implikationen der israelischen Geheimdienstoperationen inden Vereinigten Staaten Sorgen. Er war überzeugt, daß sich Eitan

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von persönlichem Ehrgeiz und von dem Wunsch treiben ließ,alte Rechnungen mit Yitzhak Hofi zu begleichen, dem Direktordes Mossad, und mit Avraham Shalom.2 Er war auch überzeugt,jedenfalls bis der Spionagefall Pollard öffentlich bekannt wurde,Eitan habe zwei weitere Amerikaner rekrutiert. Es schien kaummöglich, daß eine einzige Person Zugang zu einer solchen Fülleund Bandbreite höchst geheimer Dokumente haben konnte, dieüber Yerdors Schreibtisch gingen. Yerdor erfuhr später, daß Pol-lard trotz seiner proisraelischen Ansichten für unbedenklicheingestuft worden war und so Zugang zu den heikelsten Nach-richtenmaterialien der US-Regierung bekommen hatte. Pollardbenutzte seine Stellung im Geheimdienst der Marine und bestell-te stapelweise Dokumente bei den Geheimarchiven in der Re-gion Washington.Ben-Menashe blieb wie Yerdor auch nach Pollards Verhaftung undGeständnis weiterhin überzeugt, Eitan habe mit mehr als einemAmerikaner zusammengearbeitet. In dieser Zeit ging es normaler-weise in Ben-Menashes Büro für auswärtige Beziehungen sehrhektisch zu: Eitans Operationen in den Vereinigten Staaten liefer-ten einen stetigen Strom wissenschaftlicher und technischer Doku-mente. Ähnliches als nützlich klassifiziertes US-Material war schonseit den fünfziger Jahren verfügbar gewesen. Jetzt jedoch warendie Mengen so groß, daß den Geheimvermerken auf den Doku-menten ein besonderer Codename hinzugefügt wurde: JUMBO.Ben-Menashe erinnerte sich, daß es strenge Vorschriften gab: »Al-les, was mit JUMBO gekennzeichnet war, durfte den amerikani-schen Kollegen gegenüber nicht angesprochen werden.«Sharon blieb auch nach dem Massaker von Sabra und Shatilla inBegins Kabinett, aber nur als Minister ohne Geschäftsbereich.Moshe Arens, ein ehemaliger Luftfahrtingenieur, wurde Verteidi-gungsminister. Im folgenden Jahr herrschte in der israelischen Po-litik noch mehr Unordnung als gewöhnlich. Menachem BeginsFrau starb im Frühjahr. Begin hatte sich zum Zeitpunkt ihres To-des in Washington aufgehalten. Er fühlte sich schuldig und fiel ineine tiefe Depression. Im September 1983 trat er als Premiermini-ster zurück; Yitzhak Shamir wurde sein Nachfolger. Shamir hattefrüher eine führende Stellung im Mossad gehabt und war konser-

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vatives Mitglied des Likud-Blocks. Weder die Arbeiterpartei nochLikud erreichten bei den Wahlen im Mai 1984 eine Mehrheit; inden folgenden Wochen verhandelte man über die Bildung einerKoalition der nationalen Einheit. In dieser Koalition teilten sichShimon Peres und Shamir die Macht: Bis September 1986 solltePeres als Premierminister und Shamir als Außenminister amtieren,dann sollten sie ihre Ämter tauschen. Yitzhak Rabin sollte für diegesamte Dauer der Koalition Verteidigungsminister bleiben. Pe-res, Rabin und Shamir bildeten eine israelische Troika.Rafi Eitan blieb trotz dieser Wirren im Amt - und Jonathan Pollardebenfalls. Ein Ablaufmuster etablierte sich: Pollards Informations-material wurde von Eitan zusammengefaßt und mit einem Me-morandum, jedoch ohne Analyse oder Kommentar, dem Premier-minister und dem Verteidigungsminister vorgelegt. Zu dieser Zeitenthielt Pollards Nachrichtenmaterial bereits wichtige KH-11-Bil-der und Berichte und Lagebeurteilungen der amerikanischen Bot-schaften und Geheimagenten in Saudi-Arabien, Jordanien undÄgypten. Solches Material wird in der Diplomatie als Information»aus dritter Hand« bezeichnet und prinzipiell nicht an Außenste-hende weitergegeben. Die Spitzenpolitiker wußten natürlich, wasdas bedeutete. Ein früherer israelischer Geheimdienstbeamter er-klärte, Peres und Rabin, die beide im Umgang mit Informations-material sehr erfahren waren, hätten sofort gefragt, woher »dasZeug« stamme. Dem Israeli zufolge sagte man ihnen, daß israeli-sche Nachrichtendienste »>die amerikanischen Nachrichtendienstepenetriert« hätten. Beide Männer ließen die Erklärung durchge-hen. Keiner sagte: -Hört sofort damit auf.'« Moshe Arens hielt manfür in den Nuancen geheimer Informationen sehr viel weniger er-fahren als Peres und Shamir. Er stellte keine Fragen. Er war »zudumm, um zu fragen«, erklärte der Israeli, aber er wurde darüberunterrichtet, daß die amerikanischen Nachrichtendienste pene-triert worden seien, und das »von Geheimdiensttypen, die sichden Hintern nicht verbrennen wollen«.Nach Pollards Verhaftung bestritt die israelische Führung jeglicheKenntnis seiner Aktivitäten. Das Kabinett und die Knesset setztenzwei interne Kommissionen ein, die den Skandal untersuchten.Die Kommissionen sprachen die politische Führung von dem

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Verdacht frei, direkt von der Sache gewußt zu haben. Pollardselbst jedoch schien das besser zu wissen. Bevor er im März 1987zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, reichte erein Gnadengesuch ein. Darin erklärte er, seine israelischen Ver-bindungsleute hätten ihm gesagt, daß Israels Abhängigkeit voneiner .speziellen Informationsquelle« bei Sitzungen des israeli-schen Kabinetts erwähnt worden sei. Er behauptete ferner, er ha-be regelmäßig Listen erhalten, in denen das von den Israelisgewünschte Nachrichtenmaterial aufgeführt war. Die Listen seienzwischen den Leitern sämtlicher israelischer Militärnachrichten-dienste abgestimmt und nach Dringlichkeit geordnet worden.Viele Dokumente, die er geliefert habe, seien Satellitenaufnah-men und Protokolle von Lauschaktionen gewesen - Material also,von dem jeder israelische Beamte wissen mußte, daß es »nichtüber offizielle Kanäle transferiert wurde«. Pollards Verbindungs-leute in den Vereinigten Staaten (seit Mitte 1984 auch Aviem Sella)hatten die israelische Regierung sogar veranlaßt, über ihre Bot-schaft in Washington die modernsten Fotokopiermaschinen fürdie Reproduktion höchst geheimer Dokumente, darunter KH-11-Satellitenaufnahmen, zur Verfügung zu stellen.

Ari Ben-Menashe war klar, daß Rudi Yerdor über diese Spionagenicht glücklich war: »Yerdor schimpfte dauernd darüber, daß Ei-tan die israelischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten aufsSpiel setze.« Ben-Menashe wußte noch etwas anderes: YitzhakShamir hatte als Premierminister 1983 und 1984 angeordnet, be-stimmte von Pollard gelieferte Dokumente zu »editieren«, abzu-tippen und an sowjetische Geheimdienstleute weiterzuleiten.Ben-Menashe, ein irakischer Jude, hatte enge Verbindungen zuShamir. Im Jahre 1987, zwei Jahre vor seiner Verhaftung in denVereinigten Staaten und seiner Entfremdung von Israel, verließ erdas Amt für auswärtige Beziehungen und arbeitete fortan direktals Berater für Fragen der Nachrichtendienste für Shamir, der in-zwischen wieder Premierminister geworden war. Im Grunde, sag-te Ben-Menashe, habe er für Shamir geheime Operationen durch-geführt. Seine Beziehungen zu Shamir waren auch familiärer Art:Sein Vater hatte vor dem jüdischen Unabhängigkeitskrieg von

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1948 mit Shamir in der radikal antibritischen Stern-Gruppe zu-sammengearbeitet.3 Shamir verachtete die Vereinigten Staaten austiefster Seele. Er konnte Ben-Menashe zufolge auch »Begin undseine moralistische Auffassung von auswärtigen Beziehungennicht ausstehen. Seine [Shamirs] erste und ohne Zögern getrof-fene Entscheidung [als Premierminister] war, den sowjetischenBlock für Israel zu öffnen.« Ben-Menashe fügte hinzu, daß dies inden israelischen Nachrichtendiensten sofort Wirkung gezeigt ha-be: »Eine Anweisung für den Mossad-Agenten in Bukarest. Infor-mationen auszutauschen und die Fronten aufzuweichen. In denGeheimdiensten hätte niemand gewagt, dies ohne Billigungdurch den Premierminister zu tun.«Die Sowjets hätten diese Annäherungsversuche begrüßt, sagteBen-Menashe, und hätten Israel noch im selben Jahr eingeladen,an einer Konferenz der Nachrichtendienste in Indien teilzuneh-men, bei der über die pakistanischen Nuklearanlagen in Kahutadiskutiert werden sollte. Als Premierminister habe Shamir An-fang 1984 »genehmigt, Nachrichtenmaterial über amerikanischeWaffensysteme mit den Sowjets auszutauschen. Plötzlich habenwir mit ihnen Informationen getauscht.« Rohes amerikanischesNachrichtenmaterial wurde den Sowjets nicht direkt übergeben,sondern zuerst überarbeitet, um den Schaden für amerikanischeMethoden und Agenten möglichst zu begrenzen. Dieser Aus-tausch brachte sofort einen konkreten Nutzen, der über die Re-duzierung der diplomatischen Spannungen und Ausreisegeneh-migungen für sowjetische Emigranten nach Israel hinausging,erklärte Ben-Menashe. Ende 1984 habe ihm die polnische Regie-rung gestattet, als Abgesandter des Staates Israel nach Warschauzu reisen und über den Verkauf von AK-47 und SA-7 sowie an-derer Waffen an den Iran Verhandlungen aufzunehmen.Ben-Menashes Bericht erschiene unglaubhaft, wäre er nicht spätervon einem anderen Israeli bestätigt worden, dessen Name unge-nannt bleiben muß. Dieser Israeli erklärte, die Pollard-Dokumenteseien »editiert« und einer Sekretärin diktiert worden, bevor sie denSowjets übergeben wurden. Einige Materialien seien direkt an denNahostspezialisten im Außenministerium, Jewgenj M. Primakow,weitergeleitet worden, der sich öffentlich und privat mit Premier-

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minister Shamir getroffen hat. Shamirs Hinwendung zu den So-wjets habe mit dessen persönlichen und politischen Überzeugun-gen in Einklang gestanden, erklärte der Israeli. In den fünfzigerund sechziger Jahren, als Shamir für den Mossad arbeitete, habe erimmer wieder versucht, die Beziehungen zu seinen Gegenspielernvom KGB zu verbessern. Mitte der sechziger Jahre verließ Shamirden Nachrichtendienst und schloß sich Begins Herut-Partei an.1977, als Begin Premierminister wurde, wurde er Speaker derKnesset. Er arbeitete beharrlich daran, neue Verbindungen zur So-wjetunion aufzubauen, die er als Hilfsmittel politischer Balanceoder als Gegengewicht zu Israels traditionellem Vertrauensverhält-nis zu den USA ansah. »Shamir war immer fasziniert von Autoritätund starken Regimen», erklärte der Israeli, »und demokratischenRegierungen gegenüber sehr mißtrauisch. Die USA hält er für sehrweich, bürgerlich, materialistisch und kraftlos.«Shamir war der Ansicht, fügte der Israeli hinzu, die Weitergabeder von Pollard gelieferten Informationen an die Sowjets sei eineMöglichkeit zu zeigen, daß Israel im Nahen Osten ein viel verläß-licherer und wichtigerer Partner sein konnte als die »wankelmüti-gen« Araber: »Welcher Araber könnte euch solche Sachen geben?«Shamirs einseitige Entscheidung ist heute führenden Politikerkrei-sen in Israel bekannt, erklärte der Israeli. Rabin, der den Vereinig-ten Staaten sehr positiv gegenübersteht, habe buchstäblich »einenSchock« erlitten, als er davon erfahren habe; er habe jedochnichts unternommen. Rabin, Peres und ihre politischen Beraterwaren sich im klaren darüber, daß Shamirs Aktion das Ende derimmer brüchiger werdenden Likud-Koalition bedeuten würde,falls sie an die Öffentlichkeit dringen sollte. Ihnen sei auch klargewesen, fügte der Israeli hinzu, daß die gesamten Beziehungenzwischen den Vereinigten Staaten und Israel »gefährdet waren.Deshalb sagte niemand etwas.« Einige Mitglieder der Mapam, derlinksstehenden Arbeiterpartei, die über enge Verbindungen zumOstblock verfügte, erfuhren von Shamirs Aktion und überlegten,ob sie diese Information der Presse zuspielen sollten. Doch dieFührer der Mapam hielten die Sache für »zu explosiv«.Shamir und seine wichtigsten Anhänger vertraten ihren Kollegengegenüber die Ansicht, sein Ziel sei es, die langdauernde Feind-

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schaft zwischen Israel und der Sowjetunion zu beenden und eineArt strategischer Kooperation einzuleiten. Shamir habe auch be-hauptet, erklärte der Israeli, daß er den Vereinigten Staaten kei-nen sehr großen Schaden zufüge, wenn er den Sowjets mitteile,daß sie sich nicht verstecken könnten - die Amerikaner könntenalles sehen und hören.

Rafi Eitan und Aviem Sella bekamen die Wirkungen des Skan-dals am stärksten zu spüren. Eitan erlitt allerdings keine finan-ziellen Verluste. Er wurde später in eine hohe administrative Po-sition bei der Israel Chemicals Company berufen, der größtenisraelischen Unternehmung in Staatsbesitz. Seine überraschendeErnennung wurde von keinem Geringeren als Ariel Sharon ver-anlaßt, der 1984 Minister für Handel und Industrie gewordenwar. Sella wurde nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staa-ten zum Brigadegeneral befördert und als Kommandant in TelNof eingesetzt, wo die atomwaffenfähige Einheit der israelischenLuftwaffe stationiert war. Nach amerikanischen Protesten wurdeSella statt dessen Direktor der Stabsschule der israelischen Streit-kräfte. Seine Aussichten, in der Luftwaffe noch höher zu steigen,waren schlecht; Sella nahm seinen Abschied.»Alle hatten beschlossen, daß Rafi die Sache auf seine Kappe neh-men müsse«, sagte ein gutinformierter amerikanischer Diplomat,»und daß sich Sharon um ihn kümmern würde.« Der Amerikanerhatte kurze Zeit nach dem Bekanntwerden eine private Untersu-chung der Pollard-Affäre durchgeführt. Er sagte, die israelischeFührung habe sich von Anfang an darauf verständigt, die Sache zuvertuschen, obwohl zwischen den Parteien große Differenzen be-standen hätten. »In Israel gibt es eine Doktrin der nationalen Si-cherheit, der alles andere untergeordnet wird - -Schützt unsereRegierung.' Hätte man zugelassen, daß [die Untersuchung] überRafi hinaus geführt worden wäre, dann wäre die Regierungskoa-lition auseinandergebrochen. Es hätte Israel oder der Arbeiter-partei nichts gebracht, wenn die Sache publik geworden wäre.«Einmal jedoch schien es sich Rafi Eitan anders zu überlegen. An-fang 1987 erklärte er in einer israelischen Zeitung: »Alle meineAktionen, auch die Pollard-Affäre, wurden mit dem Wissen mei-

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ner Vorgesetzten durchgeführt. Ich habe keine Lust, mich opfernzu lassen, um die Mitwisserschaft und Verantwortlichkeit andererzu vertuschen.« (Rafi machte noch am selben Tag einen Rückzie-her und erklärte einem israelischen Rundfunkreporter, daß allevor kurzem publizierten Erklärungen »nicht von mir abgegebenwurden«.)

Ein Aspekt der Pollard-Story, den niemand enthüllt wissen wollte,betraf Aviem Sella. Sella war Experte für die Beförderung vonAtomwaffen in die Zielgebiete. Er sollte sicherstellen, daß die mitNuklearwaffen ausgerüsteten israelischen F-l6-Maschinen die so-wjetische Luftabwehr überwinden und ihre Ziele in der Sowjetuni-on erreichen konnten. Früher hatte Sella als Pilot einer F-4 in TelNof gedient, wobei er einem der »schwarzen« - also atomwaffenfä-higen - Geschwader zugeteilt gewesen war. Ariel Sharons Überle-gungen zur nationalen Sicherheit Israels und zur sowjetischen Be-drohung hatten zu einer dramatischen Zunahme an atomarenSzenarios und zur Definition neuer Ziele für Kernwaffen geführt.Die Luftwaffe war auch für das moderne Raketensystem -Jericho«zuständig, deren Reichweite stetig erhöht wurde. Die neuen Rake-tenziele in der Sowjetunion machten eine Zunahme der Geheimin-formationen erforderlich; Sellas Auftrag lautete, Pollard zu helfen,die wichtigen Informationen zu sammeln und sie dann auszuwer-ten. Israel brauchte das neueste amerikanische Nachrichtenmateri-al über die Wetterlage und Abhörprotokolle, wie auch Daten überdie Verfahrensregeln bei Notfällen und Alarmen. Außerdem waramerikanisches Wissen über die elektromagnetischen Felder imKaukasus auf dem Weg von Israel nach Südrußland entscheidendfür die Auswahl der Ziele der Jericho-Raketen.Sellas Kenntnisse und Fähigkeiten auf diesen Gebieten machtenEitan und die israelischen Geheimdienste blind für die Tatsache,daß er ein Pilot war, der keine Ahnung hatte, wie er eine ver-deckte Operation durchführen sollte. Als Pollard Ende 1985 inSchwierigkeiten geriet, hatte ihm Sella nichts zu bieten - Sellawollte schleunigst aus den Vereinigten Staaten verschwinden,bevor er verhaftet und mit Fragen konfrontiert würde, die wederer noch die israelische Regierung beantworten wollten.

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Jene Israelis, die Sellas Mission und ihre Hintergründe kannten,glauben auch, Jonathan Pollard habe gewußt, was er tat. »Pollardwußte es«, sagte ein Freund Sellas. »Selbstverständlich wußte eres. Wir brauchten Pollard nicht, um Fotografien vom PLO-Haupt-quartier in Tunis zu bekommen.« (Der Israeli bezog sich damit aufPollards Behauptung, sein Nachrichtenmaterial habe Israel gehol-fen, die Bombardierung der PLO-Büros in Tunis zu planen.)

Pollard weigerte sich sechs Monate, Sellas Namen zu verratenund mit der Staatsanwaltschaft in Washington zusammenzuarbei-ten. Er wies es zurück, Auskünfte über seine Verstrickung zu ge-ben, wie er sich ausdrückte. All das hing zusammen mit einemlaufenden Gnadengesuch. Es ist nicht bekannt, ob den Anklä-gern in Washington zum Zeitpunkt von Pollards Gnadengesuchbewußt war, daß Sellas Mission mit Atomspionage zu tun hatte.Es ist nicht einmal klar, ob irgend jemand in der US-Regierungspäter davon erfahren hat. Viele Einlassungen der Regierung,darunter auch eine ausführliche Präsentation von Caspar Wein-berger, wurden als streng geheim eingestuft.Die Regierung gestand ein, daß nur wenige in dieser Sache dieWahrheit sagten. Diese seltsame Situation führte dazu, daß manauf der Auslieferung Sellas an die Vereinigten Staaten bestand.Die israelische Regierung lehnte ab. Sella wurde im März 1987 inAbwesenheit vom US-District Court in Washington verurteilt. ImJuni 1990 wurde Sella als justizflüchtig erklärt.Sella hat später Freunden und Kollegen eine glaubwürdigere Ver-sion seiner Verstrickung in diese Angelegenheit gegeben, dochauch diese Variante ist noch weit von der Wahrheit entfernt. Ererklärte, daß er bei einem Aufenthalt in Israel für die Aufgabe re-krutiert worden sei, Pollard zu kontrollieren, der die israelischenGeheimdienste mit Dokumenten überhäufte. Sella wurde 1984angesprochen; er hatte damals beinahe alle Leistungen erbracht,die für seine Promotion in Computerwissenschaften an der NewYork University notwendig waren. Offenbar glaubte man, Sellastechnische Ausbildung wäre vorteilhaft für die Sichtung und Wer-tung und möglicherweise Vorauswahl des Materials, das Pollardlieferte. Sella wußte, wie er Kollegen mitteilte, daß Pollard lange

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vor 1984 rekrutiert worden war - »der Topf stand schon auf demHerd«, sagte er zu einem Freund -, aber er war dennoch scharfauf den Auftrag: Der Verbindungsmann eines so wichtigen Spionswie Pollard müßte zwangsläufig auf der Karriereleiter aufsteigen.Bevor er den Auftrag übernahm, hielt er Rücksprache mit seinemVorgesetzten, Generalmajor Amos Lapidot, einem Luftwaffen-Stabschef. Lapidot habe ihm versichert, erzählte Sella, daß Pollardkein Betrüger sei - und daß man für Seilas Auftrag die Geneh-migung von Verteidigungsminister Yitzhak Rabin vorliegen habe.Als Sella bereits mit der Aufgabe betraut war, beschwerte er sicheinmal gegenüber einem Freund, daß »Pollard durchdreht«. DerSpion, sagte Sella, »gibt mir Sachen, die ich nicht wollte und dieich nicht brauche«.

Israel unternahm einen direkten Vorstoß, die Amerikaner zur Ein-stellung des Verfahrens gegen den jungen Oberst Sella zu bewe-gen. Im Juni 1986, kurz nachdem Pollard Seilas Namen verratenhatte, wählte Israel Leonard Garment als Sellas Verteidiger. Gar-ment, ein früherer Berater Richard Nixons, war ein bekannter An-walt in Washington und privater Rechtsberater von Männern wiedem früheren Justizminister Edwin Meese. Er war ein überzeugterFürsprecher Israels und unter Nixon verschiedentlich mit diplo-matischen Aktionen auf hoher Ebene befaßt gewesen.Garment flog Ende Juni nach Tel Aviv, um mit Sella und israeli-schen Repräsentanten zu sprechen. Er wollte eine wie immer ge-artete Gemeinsamkeit zwischen Washington und der israelischenRegierung in dieser Angelegenheit finden und sie beilegen, bevorsie in der Presse noch weiter ausgewalzt wurde. Seilas Berater inIsrael waren Chaim Joseph Zadok, ein ehemaliger Justizministerund geachteter Altpolitiker der Arbeiterpartei, und andere Regie-rungsbeamte. Seine Rechtsbeistände schlugen vor, dem US-Justiz-ministerium ein definitives Angebot zu unterbreiten, in dem Sel-las Verwicklung - oder Nichtverwicklung - beschrieben werdensollte. In diesem Dokument behauptete Sella, er habe lediglichgesellschaftlichen Umgang mit Pollard gehabt. Als er jedoch ein-mal bei einem Essen von Pollard erfahren habe, daß dieser daraninteressiert war, Dokumente nach Israel zu liefern, habe seine

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(Sellas) Antwort ausschließlich in dem Vorschlag bestanden, Pol-lard solle sich »direkt an das zuständige Amt wenden«. Die israe-lische Position, wie sie Garment dargelegt wurde, war nicht sehrüberzeugend: Die Vereinigten Staaten hätten keine Beweise ge-gen Oberst Sella, und es gebe nicht den geringsten Hinweis, daßer Spionage getrieben habe. Garment sprach während seines Auf-enthalts in Israel mit vielen führenden Politikern und wurde sogarzu einem Essen in Shimon Peres' Haus eingeladen. Alle versicher-ten ihm, daß sie von der Pollard-Affäre nichts gewußt hätten.Garment führte gegen Ende seines Besuchs noch ein langes Ge-spräch mit Sella und dessen Bruder in Tel Aviv. Er mußte nun Zeitgewinnen. Deshalb weigerte er sich, das Angebot an das Justiz-ministerium weiterzuleiten und erklärte, daß er noch daran arbei-ten müsse. Garment kehrte nach Washington zurück und ver-suchte noch einmal, eine diplomatische Lösung zu finden oderein Dokument zu entwerfen, das seinen Klienten hätte entlastenkönnen und dennoch im Einklang mit geltendem Recht gewesenwäre. Nach langer Kommunikation in beiden Richtungen traf imAugust 1986 eine sechsköpfige israelische Delegation zu einerBesprechung mit Vertretern des Justiz- und des Außenministe-riums in Washington ein, um die Angelegenheit zu regeln. DieWahl der Personen deutete bereits darauf hin, daß die Notwen-digkeit, Sella zu schützen, inzwischen in der israelischen Regie-rung hohe Priorität hatte. Entsandt wurden Chaim Zadok, der frü-here Justizminister; Meir Rosenne, ein früherer Mossad-Offizier,jetzt israelischer Botschafter in Washington; Rosennes Stellvertre-ter Elyakim Rubinstein, einer der gewieftesten Diplomaten Isra-els, der später Sekretär des Kabinetts wurde; Ram Caspi, ein be-kannter Rechtsanwalt der Arbeiterpartei und enger Vertrauter vonShimon Peres; Avraham Shalom, der frühere Führer des israeli-schen Geheimdienstes (der später von seinem Posten zurücktre-ten mußte, weil ihm vorgeworfen worden war, er habe die Er-mordung zweier gefangener palästinensischer Flugzeugentführerdurch die Shin Beth vertuscht); und Hanan Bar-on, Stellvertreten-der Direktor des israelischen Außenministeriums. Caspi, Shalomund Bar-on waren von Peres unmittelbar nach Pollards Verhaf-tung mit einer internen Untersuchung beauftragt worden. Die

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drei Männer waren innerhalb einer Woche zu dem Schluß ge-kommen, daß Pollard einem nachrichtendienstlichen »Betrüger-ring« angehört habe, der ohne Kenntnis der Regierung operierthabe.Garment lud die sechs Männer am Tag vor der Besprechung mitden Beamten des Justiz- und des Außenministeriums in sein Hausein. Sie arbeiteten stundenlang an dem Angebot für das Justiz-ministerium. Garment wollte erreichen, daß die Israelis nicht dar-auf beharrten, das ursprüngliche Dokument einzureichen. Die Un-terredung dauerte bis nach Mitternacht. Garments Frau Suzanne,eine bekannte Washingtoner Kolumnistin für das Wall Street Jour-nal, tippte die Entwürfe für das umstrittene Angebot auf ihrerSchreibmaschine. Garment insistierte auf seinen Einwänden, undschließlich kam (nach Aussage eines Anwesenden) die unver-meidliche Frage: »Was für ein Jude sind Sie eigentlich?« Garmentreagierte wütend: »Ich bin auch amerikanischer Bürger.« Was siewollten, würde seiner Ansicht nach seinem Klienten nichts nützen.Garment entschloß sich schließlich, ihnen mitzuteilen, was erwußte. Er las seine Notizen über das Gespräch mit Sella vor. DieIsraelis hörten schweigend zu und baten dann, sie für kurze Zeitallein zu lassen. Als Garment in das Zimmer zurückkehrte, wolltensie Sellas Notizen haben. »Es sind meine Notizen«, erklärte Gar-ment. Sie bestanden darauf, daß er sie herausgeben solle, aberGarment blieb fest. Unter diesen Voraussetzungen, sagten sieschließlich, »sind Sie entlassen«.Nun verlor Garment die Geduld. Er erklärte den Mitgliedern derDelegation, daß sie die Notizen über Sella niemals bekommenwürden und warnte sie: »Wenn mir einer von Ihnen zu nahe tritt,werfe ich ihn in den Pool.« Alle beruhigten sich wieder; späterkamen sie überein, daß Garment das Mandat niederlegen solle,aber ohne Aufsehen zu erregen.Garment wußte, wie er sich selbst schützen konnte - er hatteschließlich Nixons Amtszeit im Weißen Haus überlebt. Ihm warnicht bekannt, daß Aviem Sella ein führender Spezialist für dieAuswahl von Zielen für Atomwaffen war und daß die Pollard-Af-färe Geheimsachen aus diesem Bereich tangierte. Daß drei dersechs Männer, mit denen er über das Sella-Angebot verhandelt

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hatte, bereits mit einer internen Untersuchung und Vertuschungs-aktion des Pollard-Skandals befaßt gewesen waren, wußte erebensowenig. Garment teilte jedoch im privaten Gespräch demUS-Staatsanwalt Joseph E. di Genova, der im Pollard-Prozeß dieAnklage vertrat, und Mark M. Richard, einem der stellvertreten-den Justizminister, mit, warum er das Mandat niedergelegt hatte:Er sei nicht mehr sicher gewesen, wer nun eigentlich sein Klientwar - Aviem Sella oder die israelische Regierung.Die israelische Regierung nahm nun Abstand von dem Versuch,Sella zu schützen - und damit endete seine Karriere. Sella verließschließlich desillusioniert und enttäuscht die Luftwaffe. Er lebtenoch Mitte 1991 in Israel - auf der Flucht vor der amerikanischenJustiz.

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Ein israelischer Aktivposten

Im Oktober 1986 wartete Jonathan Pollard noch aufsein Urteil. Beiden US-Nachrichtendiensten waren viele der Überzeugung, daß ereinen oder vielleicht sogar mehrere Komplizen in der Regierunghatte - Männer oder Frauen, die streng geheime Dokumente an Is-rael weitergaben. Die Jagd nach »Mr. X«, wie die Regierung Pollardsangeblichen Komplizen nannte, hatte erst begonnen.Israel und die Spionage gerieten in die Schlagzeilen. Bei der Lon-doner Sunday Times hatte man guten Grund zu der Annahme,daß die Enthüllungen über Dimona vom 5. Oktober 1986, die aufInterviews mit Mordecai Vanunu basierten, für eine Sensation sor-gen würden. Es war der erste Insiderbericht über die israelischeAtomanlage, der auf einer öffentlich genannten Quelle basierte.Außerdem war der Verrat politisch motiviert: Vanunu und Pollardwurden nicht in erster Linie von Profitgier getrieben (obwohl bei-de Geld nahmen), sondern sie waren überzeugt, daß sie richtighandelten.Die Sunday Times richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Nach-richtendienste. Ein wichtiger amerikanischer Geheimdienstbeam-ter, der sich mit atomaren Fragen befaßte, gab zu, daß die Vanu-nu-Story und das 1982 erschienene Buch Pierre Peans über diefrühe Beteiligung der Franzosen am Dimona-Projekt »zusammenden Beweis lieferten, der alle Fragen ausräumte. Was wir unddie Abteilung Z nicht wußten, deckten sie auf.«Aber die Presse schenkte der Sache kaum Beachtung. Die Konkur-renz der Sunday Times in der Fleet Street und der größte Teil derWeltpresse ignorierten sie einfach. In der Washington Post und inder New York Times wurde die Geschichte in ein paar kurzen Arti-keln abgehandelt, und in den großen Nachrichtenagenturen wur-de ebenso verfahren.

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Jerry Oplinger, ein ehemaliger Mitarbeiter im Weißen Haus, warentsetzt darüber, daß die Presse die Wichtigkeit von Vanunus Be-richten nicht erkannte. »Ich konnte diese Typen nicht verstehen.Weder in der Times, noch in der Post, noch im Wall Street Journalstand etwas [Wesentliches] darüber. Jeder im Rüstungskontrollge-schäft war erstaunt, daß sich in der Presse nichts tat. Für michund meine Freunde war das richtig entmutigend. Da ist eine fas-zinierende und erschreckende Story, und nicht einmal die Presseinteressiert sich dafür.«Peter Hounam, Chefreporter und Verfasser der Vanunu-Story,wußte, daß er die bedeutendste Story seiner Laufbahn hatte. Er warauf alles gefaßt, nur nicht auf Gleichgültigkeit. Es kamen nicht ein-mal Anrufe von den großen Zeitungen der Vereinigten Staaten.Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn Mordecai Vanunu per-sönlich Rede und Antwort gestanden hätte. Die Sunday Timeshat-te eine PR-Kampagne vorbereitet, um auf die Story aufmerksam zumachen. Am Tag der Veröffentlichung sollte eine Pressekonferenzstattfinden (bei diesem Anlaß wollte die Zeitung verkünden, daßVanunu sich bereit erklärt habe, ein Buch zu schreiben, und daßdas westdeutsche Nachrichtenmagazin Der Stern die Rechte er-worben habe). Doch in der Woche davor war Vanunu plötzlichverschwunden, und die Sunday Times konnte ihn nicht vorführen,als er am dringendsten gebraucht wurde.

Vanunu war vom israelischen Geheimdienst hereingelegt wor-den. Am 30. September verließ er London und begab sich nachRom, wo er vom Mossad entführt wurde.In der Woche zuvor, am 28. September, hatte der Sunday Mirror,Großbritanniens zweitgrößte Boulevardzeitung, ein Foto von Va-nunu und einen feindseligen Artikel veröffentlicht. Vanunu be-schloß daraufhin, den Londoner Zeitungen den Rücken zu keh-ren.In dem Artikel wurden israelische Beamte zitiert, die erklärten,Vanunu sei bereits im Jahr zuvor gefeuert worden, »weil er ver-suchte, Dokumente zu kopieren«. Ein israelischer Presseattachefügte hinzu: »Es gibt und es gab nie einen Wissenschaftler diesesNamens in der nuklearen Forschung Israels. Ich kann aber be-

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stätigen, daß ein Mordechai Vanunu als Techniker bei der Atom-energiekommission arbeitete.« Im Sunday Mirror wurde sogardie Glaubwürdigkeit von Vanunus Fotos angezweifelt; ein na-mentlich nicht genannter Atomwaffenexperte soll erklärt haben,sie könnten auch in einer »Legebatterie« aufgenommen wordensein. Im Mirror wurde spekuliert, Vanunus Bericht könne »einSchwindel [sein], oder sogar noch etwas Schlimmeres - einKomplott, um Israel in Mißkredit zu bringen?«Der Artikel hatte eine reißerische Schlagzeile: »Ein seltsamer Fall inIsrael und der nukleare Hochstapler.« Der angebliche Hochstaplerin der Schlagzeile war nicht Vanunu, sondern Vanunus Agent, Os-car E. Guerrero, ein opportunistischer Journalist aus Kolumbien,der sich im Juni mit dem glücklosen Vanunu angefreundet hatte,als dieser noch in Australien im Exil war. Guerrero überzeugteVanunu, daß seine Geschichte und die spektakulären Fotos min-destens eine Million Dollar wert seien. Nachdem Guerrero beiNeivsiveekkein Glück gehabt hatte, wandte er sich Ende August andie Londoner Sunday Times, und schon ein paar Tage später warPeter Hounam in Australien und interviewte Vanunu.Da Guerrero offenbar Angst hatte, bei Vanunus Vereinbarung mitder Sunday Times übergangen zu werden, verhandelte er nochmit dem Sunday Mirror (der für seinen Scheckbuchjournalismusberüchtigt ist), während Hounam und sein Team von der SundayTimes ihren Artikel bearbeiteten. Diese Verhandlungen wecktendas Interesse Ari Ben-Menashes und des israelischen Geheim-dienstes.

Hounam und die Redakteure der Sunday Times wußten nicht,daß ein Kollege aus der Fleet Street namens Nicholas Davies, derfür das Ausland zuständige Redakteur des Daily Mirror, derSchwesterzeitung des Sunday Mirror, Mordecai Vanunu bei denIsraelis bloßgestellt hatte. Davies' Kontaktmann war Ari Ben-Menashe. Er und Ben-Menashe waren Partner im internationalenWaffengeschäft gewesen. Ihre Firma war anfänglich unter demNamen Ora Limited bekannt und hatte ab 1983 ihren Sitz inDavies' Haus in London gehabt. Die Firma Ora Limited, die Ben-Menashe zufolge mit Zustimmung der israelischen Regierung ge-

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gründet worden war, sollte dafür sorgen, daß der Iran mit Waffenbeliefert wurde - eine von vielen geheimen Operationen auf derganzen Welt. »Davies unterstützte mich vorwiegend bei allen Waf-fenverkäufen an den Iran«, erklärte Ben-Menashe.Weil Ben-Menashe Persisch konnte, war er im November 1980einer kleinen Arbeitsgruppe innerhalb des israelischen Nachrich-tendienstes zugeteilt worden, die sich mit dem Iran befaßte. DerIran war damals - wie Israel - auf der ganzen Welt geächtet undbenötigte dringend Waffen für den Krieg mit dem Irak. Ben-Me-nashe sollte Mittel und Wege finden, das Waffenembargo zu um-gehen. Zu diesem Zweck wurden Briefkastenfirmen gegründetund Leute mit weißer Weste, die als Inhaber zeichneten, ange-worben. «Nick hatte einen Freund beim Mossad«, erinnerte sichBen-Menashe. Sie trafen sich zufällig in London. Davies nahmeine Einladung nach Israel an; es dauerte nicht mehr lange, biser ein wertvoller Mitarbeiter der Israelis wurde. Laut Ben-Mena-she war Davies als Katholik aus Nordengland wie geschaffen fürden Job, ein gutgekleideter Charmeur mit einem Hang zum sü-ßen Leben.In Ben-Menashes Akten befinden sich einige hundert Fernschrei-ben und andere Dokumente, die beweisen, daß die Ora Limitedauf höchster Ebene aktiv am Waffenhandel mit dem Iran beteiligtwar. In einem Telegramm von 1987 an Ayatollah Ali Akbar Ha-shemi Rafsanjani wurden die Bedingungen für den Verkauf von4000 TOW-Raketen zum Stückpreis von 13 800 Dollar an den Irangenannt. In dem Telegramm hieß es, ein britischer Staatsbürgernamens Nicholas Davies sei als Vertreter der Ora Limited »berech-tigt, im Iran Verträge zu unterzeichnen ...«.Andere Dokumente betrafen die Bemühungen der Ora Limited,1987 in Tucson, Arizona, eine Gesellschaft für Kommunikationunter Leitung von Robert D. Watters einzurichten, der damals wis-senschaftlicher Assistent in der Abteilung für Raumfahrt und Ma-schinenbau an der Universität Arizona war. Watters, ein Expertefür Satellitenfunk, erinnerte sich an mehrere Begegnungen mitBen-Menashe in Tucson und viele Telefongespräche mit Daviesin London. -Ich hielt Nick für den Mann mit dem Geld«, sagte Wat-ters. »Er repräsentierte die Ora.«1

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Davies war unter der Telefonnummer der Ora Limited in Londonzu erreichen. Er gab zwar zu, Ben-Menashe zu kennen, bestrittaber jede Beteiligung an Waffenverkäufen. »Ich sage nur, suchenSie weiter.« Ben-Menashe, erklärte er, sei nur ein Informant. »Erverfügte über erstaunliche Informationen.« Einmal, so Davies,hätten er und Ben-Menashe darüber gesprochen, gemeinsam einBuch zu schreiben, aber der Verleger ihrer Wahl sei nicht in-teressiert gewesen. Jetzt erzähle Ben-Menashe aus Rache Storysüber ihn. »Wenn in England irgendwelche falschen Behauptun-gen aufgestellt werden«, warnte Davies, »werde ich meinen An-walt einschalten.«Zusätzlich zu dem oben angeführten Telegramm wurden Ben-Menashes Behauptungen von Janet Fielding, einer LondonerSchauspielerin, die von 1982 bis 1985 mit Nicholas Davies verhei-ratet war, ausdrücklich bestätigt. Sie habe gewußt, erklärte sie, daßDavies zusammen mit Ben-Menashe Waffen verkaufte und gleich-zeitig Auslandskorrespondent des Daily Mirror war. Schließlich,sagte sie in einem Telefoninterview, sei sie über die Aktivitäten ih-res damaligen Mannes »entsetzt« gewesen. »Nick wollte mir irgend-was (über die Waffenverkäufe) erzählen, aber ich sagte, ich wollenichts davon hören. Deswegen verließ ich ihn.«Sie kannte ihn nur als Journalist, der sich 1982 anläßlich der israe-lischen Invasion im Libanon kritisch zu den Massakern von Sabraund Shatilla geäußert hatte. »Aber dann ließ er sich mit Ari ein.« Sieerinnerte sich noch gut, wie sie Ben-Menashe Ende 1984 bei sichzu Hause das Mittagessen servierte: »Ich hatte mir Mühe gegeben,koschere Salami zu bekommen, aber Ari mochte sie nicht.«Auf die Frage, ob sie gewußt habe, daß Ben-Menashe ein israeli-scher Agent war, antwortete Janet Fielding: »Es war nicht schwer,zwei und zwei zusammenzuzählen. Meinen Sie, ich bin dumm?Ich verschloß meine Ohren und ging.« Die Ehe wurde geschie-den.

Kurz nachdem sich Guerrero an den Sunday Mirror gewandt hat-te, erfuhr Davies davon und rief umgehend Ben-Menashe in Israelan, um ihn zu warnen. »Das nächste, an das ich mich erinnere, ist,daß ich mit der Abendmaschine nach London flog«, erzählte Ben-

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Menashe. »Irgendein Arschloch aus Kolumbien ging in London mitden Fotos hausieren. Nick arrangierte ein Treffen mit dem -tollen«amerikanischen Journalisten - mit mir.« Bei dem Treffen zeigteGuerrero, der die Story unbedingt nochmal verkaufen wollte, eini-ge von Vanunus Farbfotos. Ben-Menashes Problem war, daß ereinfach keine Ahnung hatte, was auf den Fotos zu sehen war, oderob sie wichtig waren. »Ich sagte ihm, ich brauchte Abzüge.« Guer-rero stutzte. »Ich sagte: >Sie wollen Geld? Dann muß ich auch sichersein, daß sie echt sind.« Ich erklärte ihm, Nick werde für mich bür-gen.« Guerrero übergab mir die Abzüge von drei Fotos.Daß Vanunu übergelaufen war, wußte die politische Führung Is-raels bereits seit Wochen. Laut Ben-Menashe wurde darüber dis-kutiert, was zu tun sei. Einige Regierungsbeamte forderten Vanu-nus Kopf, und der Nachrichtendienst empfahl, ihn einfach zuignorieren. Es war nicht klar, wieviel Vanunu wußte, oder wie-viel Schaden ein kleiner Techniker anrichten konnte. Shimon Pe-res schloß die Ermordung aus, berichtete Ben-Menashe. »Peressagte: -Wir wollen an ihm ein Exempel statuieren.««Vanunus Fotos, die Ben-Menashe direkt nach Israel geschickt hat-te - er hatte den strikten Auftrag, der israelischen Botschaft fern-zubleiben - lösten ein Chaos aus. Am nächsten Morgen erfuhrBen-Menashe, daß sie echt waren. Peres wollte die Krise selbstmeistern. Ein paar Tage später erfuhr Ben-Menashe einen derGründe: Man befürchtete, Vanunu könne wissen, daß Israel ent-lang den Golanhöhen nukleare Landminen ausgelegt hatte — unddaß er darüber sprechen werde. Die Landminen waren Anfangder achtziger Jahre gelegt worden; damals hatte Vanunu noch inDimona gearbeitet.

Nach dieser Neuigkeit wurden in Israel die Bemühungen ver-stärkt, weiter Desinformation zu betreiben. »Jede denkbare Storysollte gestoppt werden«, erklärte Ben-Menashe. »Und es sollte dieNachricht verbreitet werden, daß alles Quatsch sei.« Davies trugbeim Sunday Mirror seinen Teil dazu bei; er arbeitete direkt mitRobert Maxwell zusammen, dem Verleger einer Reihe von engli-schen Boulevardzeitungen wie dem Daily Mirror und dem Sun-day Mirror. »Davies lieferte den Rahmen für die am 28. Septem-

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her veröffentlichte Vanunu-Story«, erinnerte sich Ben-Menashe,und danach »ging sie an Maxwell. Er verhandelte direkt mit Max-well.« Davies habe ihn, Ben-Menashe, einmal sogar mit Maxwellin seinem Büro im neunten Stockwerk zusammengebracht. Beidieser kurzen Unterredung habe Maxwell klargestellt, daß ihmbewußt sei, was bezüglich der Vanunu-Story unternommen wer-den müsse. »Ich weiß, was geschehen muß«, habe Maxwell zuBen-Menashe gesagt, »und ich habe bereits mit Ihren Vorgesetz-ten gesprochen.«Maxwell, ein Pressebaron wie Rupert Murdoch und sein größterKonkurrent, war dafür bekannt, daß er engen Kontakt zur israeli-schen Führung hatte. Er wurde später Mitinhaber der israelischenTageszeitung Maariv und war für kurze Zeit Eigentümer der Cy-tex Corporation, einer Lieferfirma für High-Tech-Druckmaschinenmit Sitz in Israel. Zu den leitenden Angestellten gehörte Yair Sha-mir, ein ehemaliger Oberst der Luftwaffe und Sohn Ytzhak Sha-mirs.Das Reporter- und Redaktionsteam des Sunday Mirror hatte kei-nen Kontakt zu Nicholas Davies; diese Journalisten kannten ihnnur als Redakteur der Zeitschrift Daily Mirror. Die Reporterwußten jedoch, daß Inhalt und Stil der Story, die unter ihren Na-men veröffentlicht wurde, von Chefredakteur Michael Malloydiktiert worden waren. In Tony Frosts Team gab es heftige De-batten, weil die Reporter ausdrücklich betonten, daß die wahreStory nicht von Guerrero und seinen Eskapaden handeln sollte,wie Maxwell und Malloy es wollten, sondern von Vanunus Fo-tos. Was immer Guerrero für Probleme hatte, Vanunus Fotoskonnten immerhin handfeste Beweise liefern - und dann wardas eine Wahnsinnsstory. Die Reporter schlugen vor, die Bilderin großer Aufmachung auf der Titelseite zu bringen und in demBegleitartikel die Frage nach ihrer Echtheit aufzuwerfen. AberMalloy wollte keine Fotos veröffentlichen und bestand darauf,Vanunu und die Sunday Times zu verunglimpfen.Der kritische Moment nahte am Donnerstag vor der Veröffentli-chung. Frost und ein Kollege namens Mark Souster erhieltenvon Malloy den Auftrag, Vanunus Fotos und die übrigen Unter-lagen in die israelische Botschaft zu bringen. John C. Parker, da-

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mals Malloys erster Stellvertreter, wußte, daß Maxwell selbst dieAnweisung gegeben hatte. Parker und seine Kollegen befürchte-ten, es könne für Vanunu Folgen haben, wenn er zur Botschaftgehe. Ihm würde Ermordung oder Verhaftung drohen. »Das istein Privileg des Redakteurs«, erklärte Malloy. Die Mitarbeiter derZeitung taten, was er wollte.Frost wußte, daß er und seine Kollegen nicht gerade eine Stern-stunde des Journalismus miterlebt hatten. »Ich hoffte, daß einesTages die Wahrheit über die Vanunu-Story ans Licht kommenwürde«, sagte er. Peter J. Miller, der leitende Redakteur für Poli-tik beim Sunday Mirror, wurde 1990 von Maxwell gefeuert.(Frost wurde aufgrund der Auseinandersetzung ebenfalls entlas-sen.) Miller meinte wütend, die Wahrheit sei völlig verdreht wor-den, weil von oben Druck gemacht worden sei. »Der Stand-punkt, den wir laut Anweisung zu vertreten hatten«, erklärteMiller, »kostete den Sunday Mirror einen einmaligen Exklusivbe-richt.«2

Parker, der 1988 den Sunday Mirror verließ, um sein Buch »Kingof Fouls« zu veröffentlichen, eine Bestseller-Biographie über denHerzog von Windsor, war ebenfalls erbost über die Behandlungder Story. »Der Sunday Mirror hatte damals die heißeste Story derWelt an der Angel, aber wegen des Standpunkts, den er vertrat,wurde nichts daraus. Es war ein klassisches Beispiel [israelischer]Desinformation.«Malloy verlor 1988 seinen Job als Redakteur beim Sunday Mir-ror. Er gab zu, daß er mit Maxwell über die Handhabung derVanunu-Story gesprochen hatte, erklärte aber gleichzeitig, daß»daran nichts unheimlich oder merkwürdig war. Ich erzählte Bobdavon wegen seiner Beziehungen zu Israel. Er hat dort einfluß-reiche Freunde und enge Kontakte.« Auf die Beschwerden Par-kers, Millers und Frosts angesprochen, meinte Malloy, er selbsthabe die Bedeutung der Fotos falsch beurteilt. »Mein Instinkt fürden Wert von Nachrichten war schlecht entwickelt«, erklärte Mal-loy. Er arbeitet heute als freier Journalist und Romanschriftsteller.»Ich hielt es für ein abgekartetes Spiel.« Laut Malloy beauftragteMaxwell die Mitarbeiter, die Fotos zur israelischen Botschaft zubringen. »Ich glaube, er [Maxwell] sagte: -Sollen die Israelis doch

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einen Blick darauf werfen«, und so wurde es gemacht. Immerhinhaben wir das Material nicht einem unbekannten Feind überge-ben.«Malloy fügte hinzu, er könne auch nicht leugnen, daß er sich aufMaxwell berufen habe, als er Miller, Parker und Frost erklärte,wie sie mit der Story umzugehen hätten. Obwohl sich Malloynicht mehr erinnern konnte, wie es speziell im Vanunu-Fall ge-handhabt wurde, sagte er, Maxwell habe »generell im vorauseinen Entwurf [der Artikel] bekommen«. Es sei auch durchausmöglich, daß Maxwell ihn nicht vollständig über seine Kontaktezu den Israelis oder zu anderen in der Mirror-Gruppe, wie Ni-cholas Davies, informiert habe.3 »Maxwell war während des Krie-ges beim Nachrichtendienst«, erklärte Malloy. »Er kann sehr hin-terhältig sein. Wenn er also tatsächlich mehr wußte als ich, dannist es gut möglich, daß er es mir nicht erzählen wollte.«

Die Interventionen in der Redaktion des Sunday Mirror warenerfolgreich. Doch auch die Sunday Times befaßte sich noch im-mer mit der Vanunu-Story - und der israelische Geheimdiensthatte in der höchsten Etage der Times keinen Einfluß. »Diese Ty-pen gehörten nicht zu uns«, meinte Ben-Menashe. »Sie wollten diewahre Geschichte.« Als nächstes mußte man Vanunu finden, dersich noch immer in London versteckte, und ihn irgendwie ausEngland herausschaffen. »Wir wußten nicht, in welchem Hotel erwohnte«, fügte Ben-Menashe hinzu. »Wir baten Nick, sich umzu-hören und herauszufinden, wo zum Teufel er steckte. Nick tat es,und schließlich fanden wir ihn.« Ein paar Tage später wurde dereinsame Vanunu, der nichts von den Landminen wußte, von Cin-dy Hanin Bentov, einer Agentin des Mossad, in eine Falle gelocktund nach Rom gebracht.An diesem Punkt war Ben-Menashes Arbeit beendet, aber er hieltseine Geschäftsverbindungen mit Davies noch bis zu seiner Ver-haftung 1989 in New York aufrecht. Anfangs, so Ben-Menashe,habe er versucht, Davies' Rolle bei den laufenden Waffenverkäu-fen geheimzuhalten, wie es jeder gute Agent getan hätte, aber,nachdem Davies keine Anstalten gemacht habe, ihm zu Hilfe zukommen, habe er beschlossen zu reden. Mit Hilfe eines New Yor-

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ker Anwalts erreichte Davies, daß er in Ben-Menashes Prozeßnicht unter Eid aussagen mußte. Hätte Davies ausgesagt, hätte erden amerikanischen Anklägern den Beweis liefern können, daßdie Verkäufe der C-130 an den Iran mit Billigung der israelischenRegierung getätigt worden waren.

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Epilog

Aus der Sicht des Weißen Hauses hätte der erste Tag des Kriegesam Persischen Golf nicht besser verlaufen können. PräsidentGeorge Bush konnte zufrieden sein. Amerika - und die ganzeWelt - konnte am Bildschirm verfolgen, wie amerikanischeMarschflugkörper und Flugzeuge der Air Force und Marine ihreZiele im Geschäftsviertel von Bagdad und an anderen Orten imIrak präzise anflogen und zerstörten. Aber bereits am zweiten Tagverflüchtigte sich die Euphorie. Die irakische Armee löste Sad-dam Husseins Versprechen ein. Von Abschußrampen, die angeb-lich schon in den ersten Stunden des Krieges zerstört worden wa-ren, wurden acht SCUD-Raketen auf Israel abgefeuert. ZweiSCUDs schlugen in Tel Aviv ein und eine weitere in der Nähe vonHaifa. Die Welt hörte mit Grauen die ersten Meldungen: An-geblich sollten Sprengköpfe der SCUD-Raketen Nervengas ent-halten. Verängstigte Israelis trugen Gasmasken und warteten inspeziell abgedichteten Räumen auf die nächsten irakischen Bom-benangriffe.Ein hoher Beamter des amerikanischen Verteidigungsministe-riums flog nach Israel und sicherte der dortigen Regierung wei-tere Unterstützung zu. Ein Eingreifen Israels in den Golfkriegschien jedoch unvermeidbar, wenn die israelische Luftwaffe undspeziell ausgebildete Kommandoeinheiten die Raketenbasen derSCUDs im Westen des Irak angriffen.Die Spannungen wurden außerdem dadurch verschärft, daß sichdie amerikanischen Geheimdienste mit ihren Prognosen verrech-net hatten, daß der Irak nur über eine sehr geringe Anzahl vonSprengköpfen und Abschußrampen verfügte - vor dem Krieg la-gen die Schätzungen bei weniger als zwanzig. Man war davon aus-gegangen, daß der Irak seine SCUD-Raketen nur von festen Ab-

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schußbasen oder von mobilen Abschußrampen abfeuern konnte.Niemand hatte jedoch vorausgesehen, daß Saddam Husseins Trup-pen erst kürzlich erworbene Pritschenwagen in provisorischeAbschußrampen umfunktionieren würden. Der amerikanischeBefehlshaber General Norman Schwartzkopf gab schließlich zu,daß der Irak über mindestens fünfzehn SCUD-Batterien verfügte,die jeweils mit fünfzehn Raketen bestückt waren: insgesamt also225 Raketen.

In den ersten Stunden des Golfkrieges spielte noch ein andererUmstand eine Rolle, von dem die Öffentlichkeit nichts wußte. Erwurde von einem amerikanischen Satelliten gemeldet, der insechsundneunzig Minuten die Erde umkreiste. Der Satellit regi-strierte, daß Shamir auf den Beschüß mit SCUD-Raketen mit derAufstellung mobiler Atomwaffen auf Abschußrampen reagiert hat-te, die auf den Irak gerichtet und feuerbereit waren. Der ameri-kanische Nachrichtendienst entdeckte weitere Anzeichen dafür,daß sich Israel in Alarmbereitschaft befand und dieser Zustand wo-chenlang aufrechterhalten wurde. Keiner in der Regierung Bushwußte, was Israel tun würde, wenn eine mit Nervengas bestückteSCUD-Rakete - wie in den ersten Fernsehberichten fälschli-cherweise gemeldet wurde - ein Wohnviertel getroffen und Tau-sende von Menschen getötet hätte. Außer Geld und weiteren Bat-terien mit Patriot-Raketen konnte George Bush Shamir nur dieGarantie bieten, daß die irakischen SCUD-Abschußrampen zu ei-nem vorrangigen Angriffsziel des Luftkriegs erklärt wurden.Solche Garantien bedeuteten allerdings nicht viel; schließlich hat-te Israel die Bombe gebaut, um nie wieder auf den guten Willenanderer angewiesen sein zu müssen, wenn das Leben von Judenbedroht war. Seit Treblinka und Auschwitz war kein Jude mehrdurch Giftgas umgekommen.Die Eskalation blieb aus, da die konventionell bestückten SCUD-Raketen - erstaunlicherweise - nur wenige Opfer forderten unddie Regierung Bush den Israelis Militär- und Finanzhilfe zusicher-te. Die Zurückhaltung der Regierung des Premierministers YtzhakShamir wurde weltweit begrüßt.Die Krise wurde gemeistert, und noch Monate später versicherten

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amerikanische Beamte immer wieder, sie hätten die Dinge fest imGriff gehabt. Sie erklärten den Reportern, Israel habe die unge-heuren Konsequenzen eines Atomschlags erkannt und hätte sei-ne Raketen niemals auf Bagdad abgefeuert.Tatsache ist, daß niemand in Amerika - nicht einmal der Präsi-dent - Shamir und seine Berater davon hätte abbringen können,militärische Maßnahmen anzuordnen, die sie zum Schutz ihresLandes für notwendig erachteten. Diese Souveränität ist wederneu noch ungewöhnlich, ganz im Gegensatz zu der Tatsache,daß einer der wichtigsten Verbündeten der USA - ein Verbün-deter im Belagerungszustand, der von Feinden umgeben ist, dieständig mit Krieg drohen - heimlich ein beachtliches Atom-waffenarsenal aufbauen konnte, während Washington einfachschwieg und die Augen geschlossen hielt.Wie hier gezeigt wurde, war die amerikanische Regierung im Hin-blick auf das israelische Arsenal nicht einfach nachlässig, sondernsie ignorierte bewußt die Realität.Mitte der achtziger Jahre hatten die Techniker in Dimona bereitsHunderte von Neutronensprengköpfen mit geringer Sprengkrafthergestellt. Mit diesen Waffen konnten große Massen feindlicherSoldaten getötet werden, und an Gebäuden würden nur mi-nimale Schäden entstehen. Die Größe und technische Qualitätdes israelischen atomaren Arsenals erlaubt Männern wie ArielSharon, von neuen Grenzziehungen im Nahen Osten zu träu-men. Israel hat auch nukleare Technologie exportiert und mitanderen Ländern, wie Südafrika, in der Atomwaffenforschungzusammengearbeitet.Im September 1988 schoß Israel seinen ersten Satelliten ins All;damit war es den Interkontinentalraketen und der Satellitenüber-wachung einen großen Schritt näher gerückt. Nun war kein Jo-nathan Pollard mehr nötig, um Amerikas Geheimnisse zu stehlen.Wissenschaftler in der Abteilung Z kamen zu dem Schluß, daßdas Antriebsaggregat der Rakete, die den israelischen Satellitenauf seine Umlaufbahn gebracht hatte, genügend Schubkraft be-saß, um einen kleinen Atomsprengkopf zu einem mehr als 9000Kilometer entfernten Ziel zu befördern. Israelische Physiker sindin der Waffentechnik immer noch führend, und wie ihre amerika-

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nischen und sowjetischen Kollegen betreiben sie intensive For-schungen auf dem Gebiet der mit dem Licht einer atomaren Ket-tenreaktion betriebenen Röntgenlaser, der Hydrodynamik unddes gezielten Einsatzes von Strahlung auf größere Distanz - dienächste Waffengeneration wird entwickelt.Weder in der israelischen Öffentlichkeit noch in der Knesset wur-de jemals über diese Dinge gesprochen. Mittlerweile haben israe-lische Strategen eingesehen, daß nukleare Artilleriegeschosse undLandminen auf dem Schlachtfeld unbedingt notwendig sind: einweiteres Mittel zum gleichen Zweck. Hauptziele des Atomwaf-fenarsenals Israels waren und bleiben seine arabischen Nach-barn. Sollte es im Nahen Osten noch einmal zum Krieg kommen,sollten Syrer und Ägypter - wie 1973 geschehen - durchbrechenoder sollte irgendein arabischer Staat Raketen auf Israel abfeuern,wie der Irak es tat, wäre eine nukleare Eskalation, die früher nochundenkbar war und nur als letzter Ausweg galt, höchst wahr-scheinlich. Nie wieder. Die Samson-Option ist längst nicht mehrdie einzige nukleare Option Israels.

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Danksagung

Kein Autor hätte einen intelligenteren, engagierteren oder sorg-fältigeren Forschungsassistenten und Kollegen haben können alsMax Friedman von National Public Radio, einen Absolventen desOberlin College. Er arbeitete drei Jahre lang eng mit mir zusam-men und ist ein ausgezeichneter Journalist.Benjamin Frankel, Politologe und Experte für Staatssicherheit, be-schaffte mir eine ungeheure Materialfülle über israelische Politik,Geschichte und Gesellschaft.Thomas W. Graham von der University of California in San Diegostellte mir seine Kenntnisse über die amerikanischen Bemühun-gen gegen die Proliferation zur Verfügung. Er gehört zu den füh-renden Experten dieser Materie.Thomas B. Cochran und Robert S. Norris hielten mir freundlicher-weise ein paar persönliche, aber professionelle Vorlesungen überTechnologien und Bauweise von verschiedenen Atomwaffenty-pen. Cochran ist Naturwissenschaftler, und Norris bekleidet einengehobenen Posten beim Natural Resources Defense Council inWashington.Mein langjähriger Herausgeber und Freund Robert Loomis vonRandom House betreute die gesamte Entwicklung dieses Buches.Seine Hilfe war ganz entscheidend. Esther Newberg, meine Agen-tin, wußte, wann sie mich antreiben und wann aufmuntern mußte.Es ist ein Vergnügen, von einem so integren und intelligenten Men-schen vertreten zu werden. Ferner gilt mein Dank Heather Shroe-der, die mithalf, ausländische Verlage für dieses Buch zu finden.Dank auch an Miriam Borgenicht Klein.

Seymour M. HershAugust 1991

Washington, D.C.

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Quellennachweise und Anmerkungen

Einleitung

Bibliographische Hinweise

Nur wenige Bücher sind speziell zur israelischen Atombewaffnung geschriebenworden. Das erste und politisch klügste ist Israel and Nuclear Weaponsvon FuadJabber (veröffentlicht 1971 von Chatto & Windus, London, für The InternationalInstitute for Strategie Studies). Siehe auch Israels Nuclear ArsenalVon Peter Pry(Westview Press, Boulder, Colorado, 1984); Israeli Nuclear Deterrence von ShaiFeldman (Columbia University Press, New York, 1982) und Dimona, The ThirdTemple? von Mark Gaffney (Amanda Books, 1989). Das beste Nachschlagewerkzum Stand der weltweiten Verbreitung von Atomwaffen wurde von LeonardS. Spector vom Carnegie Endowment in Washington zusammengestellt undgeschrieben. Dieses Werk wird regelmäßig aktualisiert. Das neueste (von Spectorund Jacqueline R. Smith) heißt Nuclear Ambition: The Spread of NuclearWeapons, 1989-1990 (Westview Press, Boulder, Colorado, 1990).Zur aktuellen Position der Israelis in der Debatte um Kernwaffen siehe: -OpaqueNuclear Proliferation-, Arner Cohen und Benjamin Frankel, in: Journal of Strate-gie Studies, Vol. 13, Nr. 3, September 1990, S. 14 f.

Kapitel l

Bibliographische Hinweise

Eine umfassende Beschreibung der Satellitensysteme Amerikas und des KH-11findet sich in American Espionage and the Soviel Target von Jeffrey Richelson(William Morrow and Company, New York, 1987). Der erste journalistische Be-richt über die KK-MOUNTAIN-Aktivitäten der CIA findet sich in Dangerous Liai-son von Andrew und Leslie Cockburn (Harper Collins, New York, 1991). SieheKapitel Fünf: Dirty Work on the Mountain. Eine hervorragende Erörterung derSchwierigkeiten Präsident Carters mit der Arbeit der CIA im Iran findet sich in AllFall Down von Gary Sick (Penguin Books, New York, 1985). Über den Spionage-skandal um Geoffrey Prime in Großbritannien gab es viele Zeitungs- und Zeit-schriftenartikel; siehe zum Beispiel "The Treason of Geoffrey Prime«, The Econo-

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mist vom 13. November 1982, S. 63. William Kampiles" Nöte wurden ähnlich um-fassend festgehalten. Richard Allen wurde für dieses Buch zum ersten Mal am19. Mai 1989 interviewt. Eine gute Darstellung der internen israelischen Fehdenüber die Bombardierung des irakischen Reaktors in Osirak findet sich in Israel'sSecret Wars von lan Black und Benny Morris (Grove Weidenfeld, New York,1991) ab S. 332. Der Überfall selbst ist oft beschrieben worden; siehe zum Bei-spiel Tivo Minutes Over Baghdad von Amos Perlmutter, Michael Handel und UriBar-Joseph (Corgi Books, London, 1982). Ferner siehe Tamus in Flames (auf he-bräisch) von Shlomo Nakdimon (Hebrew; Tel Aviv: Yediot Ahronot/Eidanim,1986). Menachem Begins Reaktion auf den Überfall kann in der israelischen Pres-se vom Juni 1982 nachgelesen werden; siehe -Begin: Secret atom bunker also wasdestroyed in raid«, Jerusalem Post vom 12. Juni 1981, S. 1. Die erwähnte Studiedes amerikanischen Außenministeriums über Mosambik heißt •Summary of Mo-zambican Refugee Accounts of Principally Conflict-Related Experience in Mozam-bique- und wurde dem Außenministerium im April 1988 von Robert Gersony vor-gelegt, einem Berater des Bureau for Refugee Programs. William Bader wurde am3. Juni 1991 in Washington interviewt.

Anmerkungen

1 Der KH-11 repräsentierte damals den wichtigsten Fortschritt der Satelliten-aufldärung. Das entscheidende Element des zwanzig Meter langen Satellitenwar ein abwärts gerichteter Spiegel vor der seitlich (wie ein Periskop) dreh-baren Kamera, mit dessen Hilfe der Satellit auf seiner Umlaufbahn ein unddieselbe Stelle auf der Erde längere Zeit und aus wechselnden Blickwinkelnfixieren konnte. Seine stereoskopischen Bilder waren von ungewöhnlicherQualität und konnten mittels eines Computers sogar noch verbessert wer-den.

2 Die CIA verfaßte zum Beispiel im August 1977 für den Präsidenten einesechzig Seiten starke Studie mit dem Titel -Der Iran in den achtziger Jahren-,die von der Annahme ausging, der Schah werde -noch weit bis in die acht-ziger Jahre hinein eine aktive Rolle im Iran spielen«. Fünf Monate späterbrachte Präsident Carter bei einem Neujahrs-Staatsbankett in Teheran öffent-lich einen Toast auf den Iran aus und nannte ihn "die Insel der Stabilität ineiner unruhigen Ecke der Welt-. Diese Äußerung war ihm später sehr pein-lich.

3 Amerikanische Beamte erklärten, den Briten sei der unbeschränkte Zugangteilweise aus Sorge um ein größeres Leck im britischen nachrichtendienstli-chen Hauptquartier GCHQ (Government Communications Headquarters)verweigert worden. Amerikanische Agenten hatten gegen Ende von CartersAmtszeit herausgefunden, daß die Sowjets über Existenz und Funktionswei-se des KH-11-Systems informiert waren. Der Verdacht lag nahe, daß ein rus-sischer Agent in einer höheren Position beim britischen Geheimdienst riesi-ge Mengen technischer Informationen nach Moskau weiterleitete. Im Herbst1982 wurde ein früherer hochgestellter Mitarbeiter des GCHQ namensGeoffrey Prime aus Cheltenham wegen eines Sittlichkeitsdelikts festgenom-men und gestand später, daß er für die Sowjets spioniert hatte. Prime wurdezu fünfunddreißig Jahren Haft verurteilt. Die britischen Behörden gaben be-

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kannt, er habe zu -Dingen der obersten Geheimhaltungsstufe" Zugang ge-habt. In englischen Zeitungen war zu lesen, hohe britische Beamte hättenschon zwei Jahre vor Primes Verhaftung von seinem Verrat gewußt, hättenaber ihre amerikanischen Partner nicht davon unterrichtet. Der Vorfall führtezwangsläufig zu Spannungen zwischen den Geheimdiensten der beidenVerbündeten. »Wir waren den Briten gegenüber aus einem ganz bestimmtenGrund zurückhaltend-, sagte ein Amerikaner. -Wir wußten, daß sie da einechtes Problem hatten, und wir haben uns sehr genau überlegt, was wir ih-nen gaben.- Die überhebliche Haltung der Amerikaner erwies sich allerdingsbald als höchst unbegründet: 1978 wurde ein kleinerer CIA-Angestellter na-mens William Kampiles zu vierzig Jahren Haft verurteilt, weil er den Sowjetsein streng geheimes technisches KH-11-Handbuch verkauft hatte. Kampilesbekam 3000 Dollar für das Handbuch, das keine vom Satelliten geschosse-nen Fotos enthielt; deshalb erfuhren die Sowjets wahrscheinlich auch nicht,wie gut die optischen Instrumente tatsächlich waren. Im Zusammenhang mitdem Prozeß gegen Kampiles wurden einige peinliche Fragen zur Sicher-heitslage in den CIA-Hauptquartieren laut. Dort fehlten mindestens sech-zehn weitere KH-11-Handbücher, und es gab Hinweise darauf, daß Kam-piles und andere Mitarbeiter - falls sie das gewünscht haben sollten - dieAnlage ohne Sicherheitsüberprüfung verlassen konnten.

4 Wenige Augenblicke später, ergänzte Allen, habe ihn Außenminister Alexan-der Haig angerufen, der seit dem Amtsantritt Reagans mit allen höheren Be-amten um Einfluß in der Regierung konkurrierte. Haig habe aufgeregt ge-fragt, wo der Präsident sei. Der Hubschrauber hatte inzwischen abgehoben.•Dick, ich muß sofort mit ihm sprechen.« Allen fragte, weswegen. »Ich mußeinfach mit ihm sprechen.- -Ist es wegen des Reaktors?- Haig bejahte. Allensagte ihm, er komme zu spät, er selbst habe Reagan schon informiert. -Was?-rief Haig. -Wie hast du davon erfahren?« Allen lachte bei der Erinnerung andieses Telefonat. Haig habe nicht wissen können, wie Allen von der Bom-bardierung erfahren hatte, habe sich aber ohnehin vergeblich bemüht, denPräsidenten schnellstmöglich zu erreichen. -Auf diese Art konnte man beiRonald Reagan sowieso keine Fleißkärtchen einheimsen. Er vergaß spätergrundsätzlich, wer ihn als erster informiert hatte.-

5 Dieser Punkt wurde auch in amerikanischen Geheimdienstkreisen heftig dis-kutiert. Experten für die Verhinderung der Proliferation hatten - wie einerder beteiligten Beamten es formulierte - keine -vollständigen Informationen-über die Kapazitäten des Irak. Nach dem Überfall der Israelis waren dieamerikanischen Experten der Meinung, Israel habe nur eines von zwei Zie-len bombardiert: Der Reaktor war nach Plan zerstört, aber die nahegelegeneWiederaufbereitungsanlage zur Produktion von Plutonium aus abgebrann-ten Reaktorbrennstäben war intakt geblieben.

6 Viele israelische Militärs hielten die Bedrohung für geringer, wenn der Irakviele hundert Millionen Dollar in einen Reaktor steckte, anstatt weitere Pan-zer, Flugzeuge und andere konventionelle Waffen zu kaufen.

7 Einige Analytiker im amerikanischen Geheimdienst bemerkten sofort, daßBegin einen Fehler gemacht hatte, aber ihre Berichte wurden als streng ge-heim eingestuft und drangen nie an die Öffentlichkeit.

8 Casey hatte wenige Monate zuvor seine erste Reise als CIA-Direktor nachIsrael unternommen und (laut israelischen Angaben) ein ehrgeiziges Pro-

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gramm gemeinsamer Geheimoperationen zum Kampf gegen den Kommu-nismus in Gang gebracht. Es ging um Operationen, die, wie Casey glaubte,in der Amtszeit Carters fast eingestellt worden waren. Die Spionageaktivitä-ten in der Sowjetunion, die Unterstützung für die antikommunistische Ge-werkschaftsbewegung in Polen und die wirtschaftliche und militärische Hil-fe für Jonas Savimbis Widerstandsbewegung UNITA in Angola sollten wiederaufgenommen werden (letzteres verstieß gegen ein vom Kongreß ausge-sprochenes Verbot). Casey bestand auf der israelischen Zusage - die er of-fenbar auch bekam -, bei einer Operation zu helfen, die sich Anfang derachtziger Jahre bei ihm fast zu einer Obsession entwickeln sollte: der ver-deckten Unterstützung für die antikommunistische Revolte der Renamo inMosambik. (Eine Studie des amerikanischen Außenministeriums aus demJahr 1988 kam zu dem Ergebnis, daß die Renamo über 100 000 Zivilistenermordet hatte. Nach Schätzungen wurde eine Million Menschen vertrie-ben.) Trotz seines erfolgreichen Besuchs war es peinlich und verletzend fürCasey, daß seine neuen israelischen Kollegen es dann nicht für nötig hielten,ihn vor dem Angriff auf Osirak zu informieren. Der CIA war es also nichtgelungen, die erste schwerwiegende außenpolitische Krise im ersten halbenJahr der Regierung Reagan vorauszusehen.

9 Zur weiteren Verunsicherung trug gewiß auch bei, daß Präsident Carter kurznach seinem Amtsantritt als Sicherheitsmaßnahme den Personenkreis be-schränkte, der über die Geheimcodes des Regierungsapparates verfügendurfte. Das führte in Geheimdienstkreisen zu enormen Komplikationen, daviele Mitarbeiter nun nicht an die Informationen - zum Beispiel die KH-11-Bilder - kamen, die sie für ihre Arbeit benötigten.

Kapitel 2

Bibliographische Hinweise

Es ist nicht verwunderlich, daß über Ernst Bergmann wenig geschrieben wurde.In Chaim Weizman: A Biography by Several Hands wird er in einem Kapitelvon R. H. S. Crossman mit dem Titel »The Prisoner of Rehovot« auf S. 333 er-wähnt (Atheneum, New York, 1963). Siehe auch From These Men von ShimonPeres (Wyndham Books, New York, 1979), S. 185-201. Ein ausgezeichneter Zeit-schriftenbericht über Bergmanns Laufbahn wurde im März 1991 im wöchentlicherscheinenden Tel Aviv Magazine von Yediot Ahronot, Israels größter Zeitung,veröffentlicht: -Who Forgot the Father of the Israeli Atom, and Why?« von RoniHadar. Der Artikel deutet wegen der israelischen Zensur Bergmanns wichtigeRolle nur an. Die beste Biographie Ben Gurions in englischer Sprache ist Ben-Gurion von Michael Bar-Zohar (Adama Books, New York, 1977). Bar-Zoharwird in den ersten Kapiteln des vorliegenden Buches häufig zitiert. PersonalDiary, die hebräischen Tagebücher von Moshe Sharett (Tel Aviv, Maariv, 1980),wurden nur teilweise ins Englische übersetzt. Im Original sind es acht Bände.Einzelheiten über die ersten Verlautbarungen der israelischen Atomenergiekom-mission finden sich in Jabber und Fry. Bergmanns Rede von 1954 kann im Daily

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Report of the Foreign Broadcast Information Service für Dienstag, den 23. No-vember 1954, Nr. 227, nachgelesen werden. Weitere Einzelheiten über die An-fange des israelischen nuklearen Forschungsprogramms lieferte Abba Eban, Bot-schafter bei den Vereinten Nationen, in einer Rede am 15. November 1954;siehe S. 335 der offiziellen Protokolle der Generalversammlung, Neunte Sitzung.Ben Gurions Bemerkung, Israel sei ein "kleiner Fleck-, wurde in »The HiddenDebate- von Uri Bar-Joseph zitiert, Journal of Strategie Studies, Juni 1982, S. 212.Dies ist einer von vielen ausgezeichneten und fundierten Artikeln über die Sues-krise; siehe auch -Israel's Relations with the Arabs- von Avi Shlaim, The MiddleBast Journal, Frühjahr 1983, ab S. 180. Schlomo Aronson, ein israelischer Polito-loge, hat die israelische Außenpolitik hinsichtlich des israelischen Atompotenti-als analysiert: Siehe Conßict and Bargaining in the Middle East (Johns HopkinsUniversity Press, Baltimore, 1978). Der Tod von Aharon Katzir (Katchalsky) wur-de in der Jerusalem Post vom 1. Juni 1972 gemeldet: -Leading Scientist Killed-,S. 3. Bergmanns Bemerkung über die zwei Atomenergien findet sich in -IsraelisHonor Atom Scientist« von James Feron in der New York Times vom 14. Mai1966. Herman Mark wurde am 14. Dezember 1990 in Austin, Texas, interviewt,und anschließend noch mehrere Male telefonisch. Abe Feinberg wurde zum er-sten Mal am 20. April 1989 in New York interviewt und anschließend noch wie-derholt persönlich und telefonisch. Das erwähnte Bergmann-Interview von 1969wurde teilweise in A Tacit Alliance veröffentlicht, einer exzellenten Doktorarbeitüber die militärischen Verknüpfungen zwischen Frankreich und Israel von SylviaK. Crosbie (Princeton University Press, Princeton, New Jersey, 1974). BertrandGoldschmidt wurde am 24. November 1990 in Paris interviewt. Weitere Detailsfinden sich in seiner Schrift Atomic Rivals (Rutgers University Press, New Bruns-wick, New Jersey, 1990) und seiner Geschichte der Kernenergie, The AtomicComplex (American Nuclear Society, La Grange Park, Illinois, 1980).

Anmerkungen

1 Israels Position im Koreakrieg erzürnte Moskau und führte zu einem Abbruchder diplomatischen Beziehungen. In den nächsten dreißig Jahren geißelte dieSowjetunion den Staat Israel, den sie 1948 als erstes Land anerkannt hatte,wegen seiner -rassistischen und diskriminierenden- Behandlung der Palästi-nenser und seiner Verbindungen zum amerikanischen -Imperialismus-.

2 Herman Mark war 95 Jahre alt, als er 1990 im Haus seines Sohnes in Austin(Texas) interviewt wurde. Hans Mark, damals Rektor der Universität von Te-xas, war die Welt der Kernwaffen und der militärischen Aufklärung ebenfallsvertraut. Als hoher Beamter der Luftwaffe trug er den sogenannten 'Schwar-zen Hut<: Er war Leiter des Exekutivkomitees (Ex-Com) des National Recon-naissance Office (NRO), einer streng geheimen Einheit, die für die Entwick-lung, Beschaffung und Zielauswahl der amerikanischen Aufklärungssatellitenverantwortlich ist. Hans Mark hatte ab 1955 zwölf Jahre lang als Kernphysikerfür das Lawrence-Livermore-Laboratorium in Kalifornien gearbeitet, eine derwichtigsten Anlagen zum Bau von Kernwaffen. In dieser Zeit war er vier Jahrelang Abteilungsleiter für Experimentalphysik.

3 Aus Oppenheimers persönlichen Papieren (archiviert in der Kongreßbiblio-thek in Washington) geht hervor, daß er im Mai 1958 nach Israel kam, um

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an den Eröffnungsfeierlichkeiten des Instituts für Nuklearwissenschaft in Re-hovot teilzunehmen. Ferner berichteten damals die Zeitungen, er sei mitBergmann und Shimon Peres in einer Militärmaschine in die Hafenstadt Elatam Südende der Wüste Negev geflogen. Israelische Beamte, die 1958 in derAufbauphase in Dimona arbeiteten, können sich an keinen späteren BesuchOppenheimers erinnern.

4 Damit hatte Bergmann zum zweiten Mal die Gelegenheit verpaßt, ein Weiz-man-Forschungsinstitut zu leiten. Weizman war an der Einrichtung der er-sten israelischen Forschungseinrichtung in den dreißiger Jahren beteiligt ge-wesen, dem Daniel-Sieff-Institut. Wie Shimon Peres berichtete, wandte sichWeizman an Albert Einstein, der damals in Princeton lehrte, und bat ihn,einen seiner Studenten zur Leitung des Instituts vorzuschlagen. Statt dessenschlug Einstein Bergmann vor, der die Stelle aber aus unbekannten Gründennicht bekam.

5 -Wir führten ein langes Gespräch über Atomenergie«, erinnert sich Gold-schmidt. "Ben Gurion fragte mich, wann die Wüste Negev mit Hilfe einernuklear betriebenen Meerwasserentsalzungsanlage zum Blühen gebrachtwerden könne-, - eine seiner Lieblingsfragen. -Ich sagte, in fünfzehn Jahren.Er wurde ärgerlich und meinte, wenn wir alle jüdischen Wissenschaftler insLand holten, würde es viel schneller gehen."

6 Der israelische Durchbruch bei der Produktion von schwerem Wasser er-setzte die bisher übliche Elektrolyse durch ein Destillationsverfahren. Umdie Neuerung gab es viel Wirbel; trotzdem war sie eine Enttäuschung. Mitdem neuen Verfahren konnte schweres Wasser zwar tatsächlich viel leichterund billiger produziert werden, allerdings auch wesentlich langsamer.

Kapitel 3

Bibliographische Hinweise

Die beste Darstellung der Rolle Frankreichs bei der israelischen Atomrüstung istdas zitierte Buch Les deux bombes von Pierre Pean (Fayard, Paris, 1982). DieAnkündigung des kanadisch-indischen Reaktors findet sich in -Canada to HelpBuild Atom Research Reactor for India« von Grey Hamilton in der Toronto Globeand Mail vom 30. April 1956. Wichtige Quellen für die Periode vor der Sueskri-se stellen die Tagebücher von Ben Gurion und Sharett dar, sowie The Eisen-hower Diaries, Robert Ferrell, Hrsg. (W. W. Norton, New York, 1981) und deGaulles Memoiren der Hoffnung (Molden, Wien, 1971). Siehe auch Diary oftheSinai Campaign von Moshe Dayan (Weidenfeld and Nicholson, London, 1965)und Suez von Hugh Thomas (Harper & Row, New York, 1966). Bulganins Dro-hung während des Sueskriegs kann in zeitgenössischen Zeitungsberichten nach-gelesen werden; siehe insbesondere »Soviel Protests Canal Blockade- in der NewYork Times vom 5. November 1956. Die erwähnte Peres-Biographie ist von MattiGolan: Shimon Peres (St. Martin's Press, New York, 1982). Der französische Re-aktor in Marcoule wird im Mechanical Engineering Magazine vom November1959 auf S. 60 beschrieben (seine militärische Komponente wird allerdings nichterwähnt). Zur französischen Sicht des Themas Atombewaffnung vergleiche TheBalance of Terror von Pierre Gallois (Houghton Mifflin Company, Boston,1961), S. 137.

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Anmerkungen

1 Lavon, einer der intellektuellen Köpfe der Mapai-Partei, behauptete, Dayanund andere Zeugen in den verschiedenen internen israelischen Untersu-chungen hätten sich untereinander abgesprochen und falsche Aussagen ge-macht, um ihm allein die Schuld zuzuschieben. Sieben Jahre später wurdeer durch eine Untersuchung der Regierung rehabilitiert. Wie aus Sharetts Ta-gebüchern hervorgeht, glaubte er, daß Dayan sowohl an den Terrorakten inÄgypten beteiligt war als auch an dem späteren Versuch, Lavon verantwort-lich zu machen. Jede Beteiligung Dayans hieße natürlich, daß Ben Gurionvon der Operation persönlich gewußt und ihr sogar zugestimmt habenkönnte.

2 Der erste Tempel und jüdische Staat in Jerusalem wurde im Jahr 587 v. Chr.von den Babyloniern zerstört. Der zweite Tempel wurde von den Römernim Jahr 70 n. Chr. zerstört. Die Juden lebten dort dann allerdings noch vieleJahrhunderte. Die ersten modernen zionistischen Siedlungen in Palästinaentstanden in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Als sich Groß-britannien 1917 in der Balfour-Deklaration für die Gründung einer »nationa-len Heimstätte des jüdischen Volkes- in Palästina aussprach (allerdings mitSicherheitsgarantien für andere, d. h. arabische Bewohner), waren die Judenzu einer politischen Kraft in Palästina geworden.

3 In diesen politisch wechselvollen Jahren spielten parteipolitische Flügel-kämpfe im Zusammenhang mit der stets wichtigen arabischen Frage eineentscheidende Rolle. Der Gewerkschaftsbewegung gehörten drei wichtigeGruppierungen an: 1. Die dominierende Mapai war die gemäßigte Fraktionder sozialistisch-zionistischen Bewegung in Israel. 2. Die Ahdut Avodah(Einheit der Arbeiter) war im Vergleich zur Mapai-Partei innenpolitisch stär-ker sozialistisch orientiert und vertrat im Bereich der Außenpolitik eher dienationalistische Position der Falken. 3. Die Mapam (Partei der Vereinten Ar-beiter) verfolgte hingegen außenpolitisch einen um Ausgleich bemühtenKurs und lehnte sogar 1948 die Ausrufung des Staates Israel ab - sie pro-pagierte als Alternative das Modell eines Jüdisch-Palästinensischen Staates.(Die drei Hauptgruppierungen der Gewerkschaftsbewegung schlössen sichin den späten sechziger Jahren zur Arbeiterpartei zusammen.) Ben GurionsMapai-Partei hatte bei der Wahl von 1955 viele Sitze an die rechtsgerichte-ten Allgemeinen Zionisten verloren - eine Reaktion der Neueinwanderer,die von den Führern der Mapai nicht gut behandelt worden waren. DieAllgemeinen Zionisten, die in Wirtschaftsfragen konservativ, in militäri-schen und Verteidigungsdingen eher gemäßigt waren, büßten Sitze ein.(Die wirtschaftsliberalen Allgemeinen Zionisten schlössen sich 1966 mit derHerut, Menachem Begins populistisch-konservativer Partei, zum Gahal-Block zusammen. Der Gahal-Block seinerseits verschmolz 1973 - auf uner-müdliches Betreiben von Ariel Sharon, der inzwischen General im Ruhe-stand war - mit drei rechtsgerichteten Fraktionen zum Likud, der 1977 an

die Macht kam und damit neunundzwanzig Jahre Regierungsverantwortungder Arbeiterpartei beendete.) Die in bezug auf die Militärpolitik gegenüberden Arabern radikalsten Falken-Fraktionen in den fünfziger Jahren warenl. eine Gruppe unter der Führung von Moshe Dayan und Shimon Peres inder Mapai; 2. die Addut Haawoda, eine nationalistische und sozialistische

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Partei unter der Führung von Yisrael Gallili und Yigal Allon, dem Heldendes Unabhängigkeitskrieges von 1948, und 3. die Herut-Partei. Diese Grup-pierungen wurden von gemäßigten Mitgliedern der Mapai wie Moshe Sha-rett, Levi Eschkol, Abba Eban und Pinhas Sapir abgelehnt. Selbst bei denFalken gab es noch Splittergruppen. Begin und seine Anhänger von derHerut glaubten, die wichtigste Aufgabe der Politik sei die Wiedererrichtungvon »Erez Israel- (Groß-Israel). Ben Gurion, Dayan, Peres und Gallili (die inden künftigen Regierungen eine entscheidende und geheime Rolle spielensollten) waren dagegen aus realpolitischen Erwägungen Falken. Sie glaub-ten an die Gewalt als unverzichtbaren Bestandteil der internationalen Be-ziehungen. Damit waren sie unerbittliche Gegner der fundamentalistischenAnsichten Begins und der Herut. Die Verluste der Mapai bei den Wahlenvon 1955 spiegelten im wesentlichen einerseits wirtschaftliche Ängste wi-der, und andererseits setzte sich in der Partei eine Verschiebung von derTauben-Position Sharetts zur Falken-Position Ben Gurions, Dayans, Peres'und Allons durch.

4 Eisenhowers Weigerung, sich hinter den Angriff auf Ägypten zu stellen, hattemit Bulganins Drohung nichts zu tun. Diese wurde im Hauptquartier der CIAin einer Nachtsitzung analysiert und als Bluff bewertet. Die Sueskrise wurdevon Washington nicht als antisowjetische oder antikommunistische Aktionbetrachtet, sondern als letzter Versuch Englands und Frankreichs, den Nie-dergang ihrer internationalen Machtpositionen aufzuhalten. Eisenhower undseine höchsten Berater glaubten, Nasser und andere Führer der Dritten Welthätten lieber die USA als die Sowjetunion als Bündnispartner und würdeneher proamerikanisch werden, wenn sich die amerikanische Regierung vomnahöstlichen Kolonialismus Englands und Frankreichs distanzierte. Der Prä-sident machte sich Sorgen, weil die beiden amerikanischen Verbündeten ih-re - in seinen Augen - kolonialistische Politik fortsetzten. Auch paßte ihmnicht, daß die Israelis glaubten, er würde aus Rücksicht auf die jüdischenWähler in Amerika den Einsatz militärischer Gewalt am Sueskanal billigen.(Wie die Franzosen und Briten nur zu gut wußten, war Eisenhower durch-aus nicht abgeneigt, sich selbst als Kolonialist zu betätigen, wenn es um dieVerteidigung der »lebenswichtigen amerikanischen Interessen- ging. ZumBeispiel wirkte die CIA 1953 beziehungsweise 1954 beim Sturz der Regie-rungen im Iran und Guatemala tatkräftig mit.) CIA-Beamte erinnerten sichan einen anderen Punkt, der ihnen 1956 im Weißen Haus Sorgen machte:Durch die geheimen U-2-Aufklärungsflüge (der erste U-2-Spionageflug hatteein paar Monate zuvor stattgefunden) wußte Eisenhower, daß Israel sechzigMystere-Kampfflugzeuge von Frankreich gekauft hatte und nicht nur vier-undzwanzig, wie bekanntgegeben worden war. Die Maschinen waren aufRollfeldern gesehen worden. Die Amerikaner erörterten diese Entdeckungjedoch nicht öffentlich, weil die U-2-Aufklärungsflüge zu jener Zeit daswichtigste nationale Geheimnis der Regierung auf dem Gebiet der militäri-schen Sicherheit waren.

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5 Eine Schwierigkeit, mit der Peres bei der Ausarbeitung des offiziellen Ab-kommens zwischen den beiden Regierungen zu kämpfen hatte, war die In-stabilität der französischen Regierungen. Guy Mollets Regierung stürzte Mitte1957. Der neue Regierungschef hieß Maurice Bourges-Maunoury. In letzterMinute bekam Christian Pineau, der neue Außenminister, Skrupel. Später er-zählte Peres einem Biographen, er habe diese Skrupel mit der Behauptungausgeräumt, der Reaktor - von dem die Ingenieure und Beamten in allenfranzösischen Nuklearbehörden bereits wußten, daß er einzig für den Bauder Bombe gedacht war - solle nur für »Forschung und Entwicklung« genutztwerden. Das Treffen mit Peres, bei dem Pineau den Reaktor schriftlich ge-nehmigte, fand Ende September 1957 statt; genau zu dem Zeitpunkt, als dieRegierung Bourges-Maunoury (also Pineaus Regierung) von der französi-schen Nationalversammlung abgewählt wurde. Die formelle Genehmigungfür Dimona wurde also strenggenommen von einem Beamten unterzeich-net, der gar nicht mehr im Amt war.

6 Der Reaktor von Dimona produzierte keinen Strom. Deshalb wird sein Aus-stoß in Wärmeleistung gemessen. Zur Produktion von einem Megawatt elek-trischer Energie sind drei Megawatt Wärmeleistung erforderlich. Die Lei-stung des Reaktors von Dimona würde also acht Megawatt Strom betragen.Der Ausstoß eines durchschnittlichen Kernkraftwerks liegt bei 1000 Mega-watt (oder 3000 Megawatt Wärmeleistung). Die ersten, während des Zwei-ten Weltkrieges und danach gebauten US-Anlagen, die waffenfähiges Pluto-nium produzierten, leisteten ungefähr 250 Megawatt. Nuklearwissenschaftlerhaben errechnet, daß bei der Produktion eines Megawatt-Tages (also derEnergieausstoß je Tonne Kernbrennstoff) ein Gramm Plutonium anfällt. Dervon Dimona gemeldete Ausstoß von 24 Megawatt würde also, wenn der Re-aktor 80 Prozent der Zeit arbeitete, jährlich ungefähr sieben Kilogramm an-gereichertes Plutonium produzieren. Das ist genug für zwei kleinere Bom-ben.

Kapitel 4

Bibliographische Hinweise

Den besten Bericht über die U-2 liefert Mayday von Michael R. Beschloss (Har-per & Row, New York, 1986). Arthur Lundahl wurde am 19. Juni 1989 in Bethes-da, Maryland, interviewt, und danach noch viele Male am Telefon. Dino Brugioniwurde viele Male zu Hause in Hartwood, Virginia, angerufen und am Telefoninterviewt; das erste Mal am 5. Juli 1989. Sein Bericht von den Erkenntnissen überAuschwitz (zitiert in Kapitel 7) ist nachzulesen in «The Serendipity Effect of AerialReconnaissance« von Dino A. Brugioni, Interdisciplinary Science Reviews, Band124, Nummer l, 1989. David A. Rosenberg beschreibt in »The Origins of Overkill:Nuclear Weapons and American Strategy, 1945-1960-, International Security,Band 7, Nummer 3, Frühjahr 1983, Seite 3-71, Amerikas Probleme vor dem Ein-satz von U-2-Flugzeugen, sowjetische Ziele zu lokalisieren. Mit Andrew Good-paster wurde am 11. Januar 1991 in Washington ein Telefoninterview geführt.

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Anmerkungen

1 Der amerikanische Nachrichtendienst war Anfang der fünfziger Jahre, vorInbetriebnahme der U-2, nicht in der Lage gewesen, alle sowjetischen Atom-fabriken zu lokalisieren, und die Atomkriegsplaner des Pentagon mußten ihrAugenmerk in erster Linie auf sowjetische Luftstützpunkte und Raketenba-sen richten. Dem Kriegsplan des Strategischen Luftwaffenkommandos (SAG)von 1954 zufolge waren beispielsweise 735 Kampfbomber notwendig, umdie Sowjets mit einem einzigen massiven atomaren Schlag zu vernichten.Dennoch konnte das SAG nicht garantieren, daß sämtliche sowjetische Nu-klearwaffen zerstört wurden und amerikanische Städte nicht mit einem Ge-genschlag rechnen mußten.

2 Im Oktober 1962 erstattete Lundahl Präsident John F. Kennedy im Oval Of-fice Bericht, nachdem der Erkundungsflug einer U-2 den Beweis erbrachthatte, daß auf Kuba sowjetische Raketen stationiert waren. Er erinnerte sich,daß er hinter dem Präsidenten stand, als dieser mit einer Lupe die Vergröße-rungen betrachtete, die für einen Laien völlig nichtssagend sind. -Ich zeigteihm die verschiedenen Anlagen für die Mittelstreckenraketen - insgesamt et-wa zehn. Er hörte sich alles an und war offenbar unsicher. Er schaute vonden Fotos auf, drehte sich in seinem Sessel um, sah mir direkt in die Augenund fragte: Sind Sie sich dessen ganz sicher?' 'Mr. President', entgegnete ich,•ich bin mir dessen so sicher wie es ein Bildauswerter nur sein kann, und ichdenke, Sie werden mir zustimmen, daß wir Sie bei den vielen anderen Din-gen, die wir Ihnen berichtet haben, nicht irregeführt haben.« Die Kubakrisehatte begonnen.

3 Es war allgemein bekannt, daß die Sowjets den Flug einer U-2 über Radarverfolgen konnten, wenn das Flugzeug erst einmal einen bestimmten Grenz-punkt passiert hatte. Beunruhigender war für Washington jedoch die Tatsa-che, daß die Sowjets bereits im voraus den Zeitpunkt kannten, wann einFlugzeug zu einer Mission startete. Die Nationale Sicherheitsbehörde, dieden sowjetischen Funkverkehr überwachte, berichtete - ausgerechnet wäh-rend völliger Funkstille -, die militärische und zivile Luftfahrtbehörde derSowjetunion erteile vor dem geplanten Start einer U-2 sofort allen anderenFlugzeugen Startverbot. Durch die Ausschaltung des gesamten Flugverkehrswar es für das sowjetische Radarsystem natürlich viel einfacher, den Kursder U-2 zu ermitteln, und an den von den U-2-Kameras anvisierten Zielortenblieb mehr Zeit, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Woher kannten die So-wjets den ungefähren Zeitplan der U-2-Missionen? Eine Gruppe von Fern-meldetechnikern der Air Force in Kelly Field, Texas, löste das Rätsel bereitsin der Anfangsphase des U-2-Programms - keiner der Techniker wußte al-lerdings etwas von der U-2-Operation oder durfte etwas davon wissen. DieAnalytiker der Air Force konnten jedoch aus dem regen und schlecht getarn-ten Funkverkehr zwischen Washington und den U-2-Stützpunkten vor ei-nem Start schließen, daß eine geheime Operation in Gange war, und jedenFlug voraussagen. Das U-2-Kommunikationssystem wurde nicht geändert,aber der hochrangige amerikanische Nachrichtenoffizier, der die U-2-Planerüber die Kenntnisse der Sowjets unterrichtet hatte, wurde - welche Ironiedes Schicksals - der Verletzung der Sicherheitsvorschriften beschuldigt. DerVorfall bestätigt eine Grundregel der Nachrichtendienste: Liefere »hohen Tie-

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ren« nie Informationen, die nicht benötigt werden - wie die Nachricht voneiner israelischen Bombe.

4 Da es keine schriftlichen Aufzeichnungen oder Dokumente gab, fiel es Bru-gioni und Lundahl schwer, sich an bestimmte Ereignisse zu erinnern, wieetwa an das Datum, an dem Lundahl Präsident Eisenhower über Dimonainformierte. In der Eisenhower Library in Abilene, Kansas, stehen der Öf-fentlichkeit keine Dokumente über solche Mitteilungen zur Verfügung. Diehier genannten Daten stimmen nur ungefähr; sie basieren auf den verfügba-ren Unterlagen.

5 Die Eisenhower Library veröffentlichte nur wenig von der privaten Korre-spondenz zwischen Eisenhower und Ben Gurion. Der pensionierte Armee-general Andrew J. Goodpaster, Eisenhowers militärischer Berater im WeißenHaus, erklärte, der diplomatische Austausch zwischen den beiden sei -strenggeheim« und damals nicht einmal engen Mitarbeitern zugänglich gewesen.i Goodpaster, der auch Militärberater von Präsident Nixon war, fügte hinzu, erkönne sich an keinen "Speziellen Gedankenaustausch über einen nuklearenSchutzschirm- erinnern, obwohl der Präsident über die -Vorgänge in Dimo-na- beunruhigt_gewesen sei.

6 Das Berlin-Unternehmen wurde jedoch von innen durch den britischen Ge-heimdienstoffizier und sowjetischen Spion George Blake gefährdet.

»'Kapitel 5

Bibliographische Hinweise

Zu der allgemeinen, aber falschen Ansicht über die frühen Austritte aus der israe-lischen Atomenergiekommission siehe Jabber sowie Dan Raviv und Yossi Mel-man, Every Spy a Prince (Houghton Mifflin Company, Boston), 1990, S. 69. Aufderselben Seite erwähnen Raviv und Melman jedoch Binyamin Blumbergs wich-tige und frühe Rolle im Hinblick auf die israelische Bombe. Black und Morrisbeschäftigen sich ebenfalls mit Blumbergs wenig bekannter Geschichte. lanSmart wurde am 23. Juli 1989 in New York interviewt. Damals lebte er in London.Thomas Graham wurde am 15. Mai 1989 in Washington interviewt; zitiert wurdeaus seinem Artikel »The Economics of Producing Nuclear Weapons in Nth Coun-tries«, in Strategies for Managing Nuclear ProUferation, herausgegeben vonD. L. Brito, M. D. Intriligator und A. E. Wick (Lexington Books, 1983). Peres'Prahlereien über die Beschaffung des Geldes ist nachzulesen in dem vorhin er-wähnten Wochenendmagazin von Yediot Ahronot.

Anmerkungen

l Pierre Pean, ein französischer Journalist, berichtete in seinem reich doku-mentierten Buch Les detix bombes (Fayard) von 1982 als erster ausführlichüber die französische Zusammenarbeit mit Israel. Die wesentlichen Faktenin Peans Buch wurden vom Autor dieses Buches in späteren Interviews mit

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französischen und israelischen Funktionären auf ihre Richtigkeit überprüft.Die Beamten wiederum fragten nach den Motiven jener, die Pean halfen.Ihren Angaben zufolge arbeiteten viele französische Unternehmen, die An-fang der sechziger Jahre beim Bau von Dimona mitgewirkt hatten, zur Zeitder Bombardierung von Osirak im Jahr 1981 mit Zustimmung der französi-schen Atomenergiekommission für den Irak. Die nachfolgende politischeund wirtschaftliche Verstimmung über die Israelis führte dazu, daß ein paarprivate und öffentliche Funktionäre ohne Vorbehalte mit Pean zusammenar-beiteten und ihm Dokumentationsmaterial über die Rolle der Franzosen inDimona zur Verfügung stellten.

2 Moshe Dayan, einer der wenigen Militärs, die das Bombenprojekt in diesemfrühen Stadium unterstützten, war eine Ausnahme. Amerikanische Expertenfür die Weitergabe von Atomwaffen kamen zu dem Ergebnis, daß zwischender Einstellung der Militärs zur Bombe und dem öffentlichen Wunsch, eineAtommacht zu werden, ein enger Zuammenhang bestand. Viele hohe Offi-ziere in Israel und Indien wehrten sich in der Anfangsphase der Entwicklungerbittert gegen ein nukleares Waffenarsenal. Als die Bombe dann schließlichBestandteil des militärischen Arsenals wurde - wie dies Ende der siebzigerJahre in Indien und ein paar Jahre früher in Israel der Fall war - verstummtedie Kritik.

Kapitel 6

Bibliographische Hinweise

John Finney wurde am 18. April 1989 in Washington interviewt. Der zitierte Artikeltrug die Überschrift -U. S. Hears Israel Moves Toward A-Bomb Potential- und er-schien am 19. Dezember I960 auf der ersten Seite der New York Times. McConesRücktritt und sein Fernsehauftritt wurden an diesem Tag ebenfalls auf der erstenSeite behandelt: -McCone to Resign äs AEC Member.- Die zitierte Buchwald-Kolum-ne (die mit seiner Erlaubnis teilweise nachgedruckt wurde) erschien am 10. Januar1961 in der New York Herald-Tribune unter der Überschrift -The Smashing Tailorsof Beersheba-, Walter Eider wurde am 28. August 1989 in seiner Vorortvilla in Virgi-nia interviewt und danach noch viele Male am Telefon. Armand Meyer wurde am15. Juni 1990 in Rosslyn, Virginia, interviewt. Die zitierte Erklärung von Heiter istnachzulesen in The Alliancevon Richard J. Barnet (Simon and Schuster, New York,1983), Seite 179. Philip Farley wurde am 30. Oktober 1989 in Palo Alto, Kalifornien,interviewt. Chapman Pincher wurde am 28. März 1991 am Telefon interviewt. Dererwähnte Artikel trägt die Überschrift -Israel May be Making an A-Bomb- und er-schien am 16. Dezember I960 auf der zweiten Seite des Londoner Daily Express.Myron Kratzer wurde im Juni 1989 in Washington interviewt, und danach telefo-nisch. Die erwähnten Dokumente zum Freedom of Information Act befinden sichim Besitz des Autors. Christian Herters Aussage vor dem Senatsausschuß für Aus-wärtige Beziehungen ist nachzulesen in Band XIII, Teil I der veröffentlichten Sit-zungsprotokolle des Senatsausschusses für Auswärtige Beziehungen (HistorischeReihe), der im April 1984 erschien.

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Anmerkungen

1 Es gibt keinen Beweis dafür, daß die israelische Regierung jemals gegenüberWashington behauptet hätte, bei der Anlage in Dimona handle es sich umeine Textilfabrik. Amerikanischen und europäischen Diplomaten, die stän-dig Nachforschungen anstellten, wurde mitgeteilt, Dimona sei eine For-schungseinrichtung (meist für die Landwirtschaft) oder eine Chemiefabrik.Trotzdem wurde McCones Äußerung gegenüber Finney allgemein als Tatsa-che anerkannt, und Art Buchwald sah sich veranlaßt, am 10. Januar 196l inder York New Herald-Tribune einen humorigen Artikel darüber zu schrei-ben. Buchwald berichtete von einem israelischen Taxifahrer, der vor sechsMonaten einen amerikanischen Diplomaten nach Dimona gefahren hatte,weil dieser sich in der Textilfabrik einen Anzug zum Großhandelspreis be-sorgen wollte. Die Techniker in Dimona ließen ihn hinein und taten so, als•gehe dort überhaupt nichts vor sich«. Als sich der Diplomat nach einem An-zug erkundigte, wurde er gefragt: •Vielleicht möchten Sie etwas in Kobalt-blau? Oder vielleicht einen hübschen uranbraunen? Wie war's mit einemkosmischgrauen Zweireiher mit Nadelstreifenteilchen.- Hinter einer 1,80 Me-ter hohen Bleiwand wurde für den Anzug Maß genommen. Ein anderer Wis-senschaftler -eilte mit einem Geigerzähler, einem Rechenschieber und zweiRoboterarmen herbei. Der Betriebsleiter nahm einen Schreibblock zur Handund sagte: >Shimshon, nenne mir die Maße des Kunden.' Shimshon rief:•Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, oi!<« Es wurdenoch weiter gemessen: «Taille U-235; relativ guter Brustumfang; hexagona-les Prisma in der linken Schulter; der rechte Ärmel braucht Reaktionsmittel.«Als der Diplomat ging, erklärte man ihm: -Bitte, seien Sie so gut, Sir, underzählen Sie Ihren Freunden nichts von uns, denn wir haben im Moment zuviel zu tun, und wenn wir noch mehr Aufträge annehmen, wird die Fabrikaus allen Nähten platzen.«

2 Heiter hatte Amerikas europäische Verbündete in Erstaunen versetzt, als erim April 1959 bei verschiedenen Anhörungen erklärte, er könne sich nicht•vorstellen, daß ein Präsident sich auf einen totalen Atomkrieg einläßt, solan-ge uns nicht die völlige Vernichtung droht-. Die Erklärung war durchaus rea-listisch, kam jedoch de Gaulles ehrgeizigen Plänen für die Force defrappeentgegen. Der Historiker Richard J. Barnet schrieb 1983 im Hinblick auf Her-ters Erklärung: -Der neue Außenminister hatte die ernsten Zusicherungen ei-nes ganzen Jahrzehnts mit einem Satz weggefegt.«

3 McCone, der vielleicht seine Rückkehr ins öffentliche Leben vorausahnte,hielt sich dennoch an die Spielregeln und erklärte im Fernsehen, es lägennur -informelle und inoffizielle Informationen« über Dimona vor. Er wisseauch nicht, ob eine der Atommächte (Frankreich, England, die VereinigtenStaaten und die Sowjetunion) Israel unterstützt habe. Natürlich wurdeMcCone die Entscheidung zur Diskretion dadurch erleichtert, daß er Pin-chers Bericht kannte und wußte, daß am nächsten Tag in der New YorkTimes John Finneys komplette Story veröffentlicht werden würde.

4 Ben Gurion und seine engsten Mitarbeiter waren bereit, alles zu tun, wasihrer Ansicht nach zum Wohl des Staates beitragen konnte. In seiner Biogra-phie Ben Gurions berichtet Michael Bar-Zohar von der Entschlossenheit desPremierministers, seine Verantwortung und die der israelischen Armee für

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die brutale Ermordung von siebzig Jordaniern in dem Grenzdorf Kibiya zuverschleiern. Der Vergeltungsangriff war von Ariel Sharon geführt worden.Im Namen Ben Gurions wurde eine Erklärung veröffentlicht, worin dieGreueltat an den Bewohnern der nahegelegenen jüdischen Grenzsiedlungverurteilt wurde. Als Ben Gurion von einem Vertrauten gebeten wurde, sei-ne Handlungsweise zu erklären, verwies er auf eine Textstelle in Victor Hu-gos Roman Die Elenden, wo eine Nonne einen Polizisten bezüglich des Auf-enthaltsorts eines entflohenen Sträflings belügt. Die Nonne habe mit dieserLüge keine Sünde begangen, erklärte Ben Gurion, »weil ihre Lüge dazu dien-te, ein Menschenleben zu retten. Eine Lüge wie diese wird mit einem ande-ren Maßstab gemessen.- Später schrieb Bar-Zohar, Moshe Sharett, Ben Gu-rions langjähriger Rivale, sei über die Lüge »höchst erstaunt« gewesen: -Ichwäre von meinem Amt zurückgetreten, wenn ich hätte vors Mikrophon tre-ten sollen, um dem israelischen Volk und der ganzen Welt eine erfundeneGeschichte aufzutischen.-

Kapitel 7

Bibliographische Hinweise

Die Strauss-Biographie trägt den Titel No Sacrißce Too Great und stammt vonRichard Pfau (University Press of Virginia, Charlottesville, Virginia, 1984). Es gibtviele Berichte über Oppenheimers Aussagen vor der AEC; siehe The Oppenhei-mer Hearing von John Major (Batsford Limited, London, 1971). Strauss' Aussagezum Atomtestverbot wurde zitiert in The Glory and the Dream von William Man-chester (Little, Brown and Company, Boston, 1973), Seite 985. Carl Kaysen wurdeam 11. November 1989 in Cambridge, Massachusetts, interviewt, und danach amTelefon. William L. Strauss wurde am 3. April 1991 und Alice Strauss am 6. Mai1991 am Telefon interviewt. Algie Wells wurde am 29. März 1991 telefonisch in-terviewt.

Anmerkungen

l Die Briten sollten überredet werden, ein Gebiet in Kenia, in Tanganjika(dem heutigen Tansania) oder im Norden Rhodesiens (dem heutigen Sim-babwe) abzutreten. Im Spätsommer 1939 brachte Strauss einen Brief von Ba-ruch nach London, in dem er die Ansicht äußerte, das Land, das in Afrikaabgetreten werden sollte, könne »mit modernem Gerät gesäubert- werden.•Die Welt war nicht immer so sauber wie heute. Unser eigenes Land warvoller Morast. Panama und Kuba wurden bereits gesäubert, und Afrika kannauch gesäubert werden ... In diesem neuen Land wäre Platz für einige zehnMillionen, und sie wären die Besten, die Stärksten und die Tapfersten .. .«Baruch und Strauss verschwendeten auf die Interessen und Rechte der Afri-kaner, die in den abzutretenden Gebieten lebten, keinen Gedanken. EineUmsiedlung dieser Dimension hätte unausweichlich einen internen Konflikt

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zur Folge gehabt, wie er damals - und heute - zwischen den Israelis undjenen Palästinensern tobte, die durch die zionistische Bewegung aus ihrerHeimat vertrieben wurden.

2 Natürlich wußten das damals weder Strauss noch Dino Brugioni von derCIA, aber Aufklärungsflugzeuge der alliierten Luftstreitkräfte im Mittelmeerund die 15. Luftlandedivision der Air Force überflogen und fotografierten imletzten Kriegsjahr wiederholt die Krematorien von Auschwitz-Birkenau inPolen, wo 1944 täglich 12 000 Juden und Zigeuner ermordet wurden. DieVernichtungslager waren etwa acht Kilometer von einer Fabrik für syntheti-sches Öl und Gummi der I. G. Farben entfernt, die im Zweiten Weltkriegviermal bombardiert wurde. Im Jahr 1978 stellten Brugioni und Robert Poi-rier, ein Kollege von der CIA, fest, daß sich die Lager in direkter Linie auf derFlugroute zur Fabrik der I. G. Farben befanden. Brugioni wußte aus eigenerErfahrung, daß die Kameras in Aufklärungsflugzeugen immer schon einge-schaltet wurden, bevor das Ziel erreicht war. Lagen etwa Luftaufnahmen derLager in den Archiven des Pentagon aus dem Zweiten Weltkrieg vergraben?In einem späteren Bericht schrieb Brugioni: -Wir stellten fest, daß das Ver-nichtungslager mindestens dreißigmal fotografiert worden war. Bei nähererBetrachtung der Fotos konnten wir vier große Gebäudekomplexe mit Gas-kammern und Krematorien erkennen ... Leichen wurden in Gräben begra-ben oder in großen offenen Gruben verbrannt. Einige der Fotos zeigten Op-fer, die zum Richtplatz geführt wurden, und auf anderen waren Gefangenezu sehen, die Sklavenarbeit verrichten mußten.« Die Fotos waren von eben-so unschätzbarem Wert wie ein historischer Bericht - die Nazis hatten in denLagern Aufnahmen strikt verboten -, und Präsident Jimmy Carter legte derRegierungskommission zum Holocaust persönlich eine Monographie vor,die auf diesen Fotos basierte. Im Krieg, fügte Brugioni hinzu, habe es nochkein historisches oder soziales Wissen gegeben, das es den Bildauswerternder Air Force, die die Fabrik der I. G. Farben ins Visier nehmen wollten,ermöglicht hätte, die Aufnahmen von einem Vernichtungslager richtig zu in-terpretieren. -Jedesmal, wenn auf einem Foto in der Nähe eines Gebäudeseine Menschenschlange zu sehen war, wurde es mit der Aufschrift 'Speise-saal' versehen.« Laut Brugioni gab es noch andere Faktoren, die damals einerichtige Auswertung der Bilder verhinderten. Da war vor allem der enormeInformationsbedarf im Juni 1944 vor der Landung der Alliierten in der Nor-mandie; alle Bildauswerter waren überlastet. Ende 1944 versuchten Kampf-flugzeuge der Alliierten durch schwere Angriffe auf alle Treibstoffanlagendie deutsche Luftwaffe außer Gefecht zu setzen. Es mußte neues Bildmate-rial ausgewertet und eine Bewertung des durch die Bomben verursachtenSchadens vorgenommen werden.

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Kapitel 8

Bibliographische Hinweise

Über Abe Feinbergs Einfluß auf die Politik des Präsidenten und seine Rolle beider Spendenbeschaffung wurde erstmals in einer unveröffentlichten Dissertationberichtet: Etta Zablocki, Ethnic Linkage and Foreign Policy, Columbia University,1983 (erhältlich über den Dissertationsinformationsdienst UMI in Ann Arbor, Mi-chigan). Ähnliches Material findet sich bei Edward Tivnan, The Lobby (Simon andSchuster, New York, 1987) und Michael J. Cohen, Truman and Israel (Universityof California Press, Berkeley, Kalifornien, 1990). Keine dieser Arbeiten diskutiertFeinbergs Beziehung zum israelischen Atomprogramm. Clark Clifford wurde am8. April 1991 zu Feinberg interviewt. Das telefonische Interview mit Abraham Ri-bicoff fand am 5. November 1990 statt. Ben Bradlee und Arthur Schlesinger führ-ten ihr Gespräch über Kennedy am 9. April 1990. Kennedys Kommentare zurWahlkampffinanzierung datieren vom 4. Oktober 196l und sind in den Facts ofFile nachzulesen. Eine gute Darstellung von Kennedys Bemühungen, die Wahl-kampffinanzierung zu reformieren, findet sich in Congressional Quaterly's -Con-gress and the Nation 1965-1968-, Band II, Political Finances, S. 444. Das erste In-terview mit Myer Feldman, dem viele weitere folgten, fand am 13. Juni 1989 inWashington statt. Jerome Weisner wurde am 27. Juni 1991 telefonisch interviewt.Robert Körner wurde am 3. April 1989 in Washington und später noch zweimalinterviewt. Das Interview mit William Crawford fand am 3. Mai 1990 in Marylandstatt. Über die Verwendung des schweren Wassers, das die Israelis aus Norwegenbezogen, berichtete Gary Mihollin, Direktor des Wisconsin Project on NuclearArms Control in Washington. Milhollin führte sorgfältige Recherchen durch, deck-te die Angelegenheit als erster auf und gewährte in überaus großzügiger WeiseEinblick in seine Unterlagen. Die Erklärung, warum es keine Shavit I gab, findetsich in -Publicity on Rocket Explained in Israel-, New York Times, 10. Juni 196l.Paul Nitze wurde am 9. Oktober 1990 interviewt. Robert McNamaras rätselhafteUnterhaltung mit dem Autor fand am 11. Januar 1991 statt. Eine einleuchtendereErklärung, warum die israelische Atomenergiekommission in den späten fünfzi-ger Jahren eigene Wege ging, lieferte Energieminister Yuval Neeman in einemGespräch am 15. April 1991 in Washington. Neeman war nicht bereit, über aktu-elle Fragen im Zusammenhang mit dem atomaren Potential Israels zu sprechen.Floyd Culler wurde am 30. November 1989 im kalifornischen Palo Alto und spä-ter noch einmal telefonisch interviewt. Das Telefoninterview mit Phillips Talbotfand am 8. April 1991 statt.

Anmerkungen

1 Die Wahlkampfchronisten waren nicht die einzigen, die sich die Feinberg-Story entgehen ließen; weder die damaligen Tageszeitungen noch Fernseh-journalisten, die über die Ereignisse von 1948 berichteten, erwähnten Fein-bergs Rolle bei der Finanzierung von Trumans Wahlkampf.

2 Kennedys Freunde und Kollegen erklärten übereinstimmend, daß er auf der

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privaten Vorbereitungsschule in Choate und später in Harvard wenige jüdi-sche Freunde gehabt habe. Der wichtigste war Alan J. Lerner, mit dem er, soKennedys Biograph Arthur S. Schlesinger jr., als junger Mann viel gereist sei.Außer ihm gab es nur wenige, wie Benjamin C. Bradlee jr., langjähriger Her-ausgeber der Washington Post und enger Freund Kennedys, einräumte: »So-weit ich mich erinnere, hatte er nicht sehr viel jüdische Kumpels.« Das än-derte sich allerdings rasch, als Kennedy nach dem Zweiten Weltkrieg in diePolitik ging.

3 Die Kommission unter dem Vorsitz von Alexander Heard, dem damaligenDekan der Graduate School an der Universität von North Carolina, schlugunter anderem vor, Einzelpersonen durch Steuerfreibeträge zu Parteispen-den zu bewegen. Ziel war, die finanzielle Unterstützung der Kandidaten aufeine breitere Basis zu stellen und ihre Abhängigkeit von bestimmten Interes-sengruppen und den Reichen zu vermindern. Im Jahr 1962 brachte Kennedyfünf Gesetzentwürfe zur Reform der Wahlkampffinanzierung im Kongreßein, aber keiner kam durch. Im Jahr darauflegte Kennedy in einem erneutenAnlauf dem Kongreß zwei weitere Gesetzentwürfe vor. Beide wurden abge-lehnt.

4 Wilfred Feinberg, studierter Jurist und vormals Chefredakteur des ColumbiaLaw Reiriew, war von 196l bis 1966 Bundesrichter im südlichen Distrikt vonNew York. Im Jahr 1966 berief ihn Lyndon B. Johnson, der unbedingt etwasfür seinen Freund Abe Feinberg tun wollte, ans Bundesberufungsgericht fürden Zweiten Gerichtsbezirk der Vereinigten Staaten. Dazu mußte er sichüber die Empfehlung des New Yorker Senators Robert F. Kennedy hinweg-setzen. Der jüngere Bruder des späteren Präsidenten, der sich nach seinemRücktritt als Justizminister erfolgreich um einen Sitz im Senat beworben hat-te, plädierte nachdrücklich für die Ernennung Edward Weinfelds, der als derbrillanteste Jurist am unteren Bundesgericht galt, mußte aber bald einsehen,daß er Abe Feinbergs Einfluß bei Johnson nichts Gleichwertiges entgegen-zusetzen hatte. -Es war eine rein politische Entscheidung", erinnerte sichKennedys damaliger Mitarbeiter Peter B. Edelman, «aber in diesem konkre-ten Fall bekamen wir wenigstens keinen schlechten Richter.- Wilfred Fein-berg glänzte in seinem Amt und stieg 1980 zum Vorsitzenden des OberstenBundesberufungsgerichts auf.

5 Jerome B. Wiesner, wissenschaftlicher Berater des Präsidenten und ebenfallsJude, hatte andere Sorgen: Er war von den nachrichtendienstlichen Erkennt-nissen über Dimona völlig abgeschnitten und -vermutete«, Ben Gurion habedas Weiße Haus darum ersucht, ihn nicht in diesem Bereich zu beschäftigen.Wiesner, innerhalb der Kennedy-Administration ein wichtiger Mann für Ab-rüstungsfragen, hatte dem Verwaltungsrat des Weizman-Instituts angehörtund war bei Israelbesuchen wiederholt zufällig mit Ben Gurion zusammen-getroffen. "Ben Gurion stellte mir immer zwei Fragen-, erinnerte sich Wies-ner. -Können Computer denken? Und sollen wir eine Atomboi.^v. bauen?Ich verneinte jedesmal.« Diese Antwort, so vermutete Wiesner, stempelte ihnin Ben Gurions Augen zum Liberalen und war der Grund dafür, daß er nurbegrenzten Zugang zu Informationen erhielt.

6 Nach Crawfords Auskunft hielt Balls Büro den Brief tagelang zurück, bis sichdas Weiße Haus schließlich beschwerte. Crawford bat einen befreundetenMitarbeiter Balls, der Sache nachzugehen, und bekam folgende Auskunft:

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•Mr. Ball will mir unbedingt klarmachen, daß dieser Brief so klingt, als sei ervom Original in Sanskrit übersetzt worden.« Schließlich lag Balls umge-schriebene Version vor. Sie hatte denselben Inhalt, so Crawford, aber »inJFK-Prosa«. Crawford war beeindruckt.

7 Wigner, Nobelpreisträger für Physik, reiste nach Israel, nachdem er von denIsraelis - scheinbar aus eigenem Antrieb - zu einem Besuch in Dimona ein-geladen worden war. In Telefoninterviews 1989 und 1991 erinnerte er sich•vage- daran, daß Rabi, der 1944 den Nobelpreis für Physik erhalten hatte,ihn begleitet habe. -Wir bekamen nicht viel zu sehen«, sagte der 1902 gebo-rene Wigner. -Meiner Meinung nach war die Anlage praktisch betriebsbe-reit.« Die israelischen Wissenschaftler hätten bereits erste Experimentedurchgeführt: »Sie spielten mit ihr.« Wigner, der zusammen mit Albert Ein-stein die Vereinigten Staaten bereits vor dem Zweiten Weltkrieg zum Bau derAtombombe gedrängt hatte, gab dem Autor jedoch zu verstehen, daß seinGedächtnis mit den Jahren nachgelassen habe. Rabi, langjähriger Berater derUS-Regierung in technischen und wissenschaftlichen Fragen, starb 1988. We-der seine Frau, seine Freunde noch die Historiker, die an der Chronik derColumbia University arbeiteten und sich mit seiner Karriere beschäftigten,wußten von seinem Besuch in Dimona.

8 Eine Shavit I gab es nicht, wie Shimon Peres bei einer politischen Veranstal-tung am Abend des Abschusses erklärte. Der Grund: Der Name hätte in Sha-vit Aleph verfälscht werden können. Aleph ist der erste Buchstabe im hebrä-ischen Alphabet und gleichzeitig das Symbol der Mapai-Partei. Wäre dieRakete Shavit I genannt worden, so Peres, -hätte man uns Parteipropagandavorgeworfen«.

9 McCone, sagte Eider, habe schließlich ein sehr enges Verhältnis zu Kennedygehabt. -Er konnte ihn besuchen, wann immer er wollte. Er konnte im Wei-ßen Haus anrufen und sagen, daß er auf dem Weg zum Präsidenten sei.«Unmittelbar nach einer solcher Besprechung schrieb McCone stets ein aus-führliches Memorandum für die Akten, die er später zur Weiterverwertungund sicheren Verwahrung Eider übergab.

10 Viele Mitarbeiter im State Department hatten dem Umsiedlungsplan jedochvon Anfang an wenig Chancen eingeräumt. -Wir hatten damals Wichtigereszu tun«, sagte Phillips Talbot, im Außenministerium für den Nahen Ostenund Südasien zuständig und zur fraglichen Zeit Meyers Vorgesetzter. -DasThema stand nicht gerade oben auf meiner Prioritätenliste.« Talbot erinnertesich an Kennedys Kommentar nach einer ersten Besprechung: -Ein großarti-ger Plan, Phil«, sagte der Präsident. »Er hat nur einen Fehler - Sie mußten nieeinen Wahlkampf führen.«

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Kapitel 9

Bibliographische Hinweise

Das freigegebene Memorandum über Kennedys Gespräch mit Golda Meir ist in derJFK Library in Boston zugänglich und findet sich außerdem bei Mordechai Gazit,President Kennedy's Policy Toward the Arab States and Israel (Shiloah-Zentrumfür Nahost- und Afrikastudien, Universität Tel Aviv), S. 108. Gazits Buch liefertwertvolle Hintergrundinformationen zur Politik Israels in der Kennedy-Ära. Wei-tere Einzelheiten zu Ben Gurions Haltung und zur Geschichte dieser Zeit, daraufsei noch einmal hingewiesen, enthält Michael Bar-Zohars Biographie. Das Inter-view mit Daniel Ellsberg fand am 20. März 1989 in Washington statt. Eine umfassen-de Darstellung von Johnsons frühen Beziehungen zu amerikanischen Juden gibtLouis S. Gomolak in seiner unveröffentlichten Doktorarbeit Pro/ogwe(University ofTexas, 1989), erhältlich über den Dissertationsinformationsdienst UMI.

Anmerkungen

1 Lucet fühlte sich durch McCones Verhalten brüskiert. Zurück in Paris, berich-tete er Bertrand Goldschmidt von dem Vorfall. »Er fragte mich, ob wir Frank-reich von jeder Verantwortung für die [israelische] Bombe freisprechenkönnten-, erinnerte sich Goldschmidt lachend. -Ich verneinte und sagte: >Wirhaben das Mädchen nicht nur entjungfert, wir haben es auch geschwän-gert.»

2 Kennedys Briefwechsel mit Ben Gurion wurde nicht einmal amerikanischenRegierungsbeamten zugänglich gemacht, die von den Sicherheitsorganenfür unbedenklich erklärt worden waren und eine geheime Chronik über die-se Epoche schreiben wollten. Derartig strenge Sicherheitsmaßnahmen, klag-te ein ehemaliger US-Beamter, -führen unweigerlich zu einer mangelhaft in-formierten Administration - selbst wenn dort Leute sitzen, die sich nichtscheuen, gegen das System aufzumucken und unbequeme Fragen zu stel-len«.

3 In einem Land, das von den Überlebenden des Holocaust regiert wurde, warDeutschland ein ständiges Reizthema, das heftige Emotionen auslöste; jederdiplomatische Kontakt beschwor eine Krise herauf. Als Israel und die Bun-desrepublik Deutschland 1952 erste Gespräche über eine Wiedergutmachungfür den Verlust an Menschenleben und jüdischem Eigentum im Holocaustaufnahmen, kam es vor der Knesset zu Protestkundgebungen. Israel, knappan Geldmitteln, akzeptierte schließlich eine Wiedergutmachung in Höhe von800 Millionen Dollar. Doch die Spannungen hielten an, obwohl das Geld floß:Ein israelischer Geiger wurde auf offener Straße niedergestochen, weil er öf-fentlich Musik von Richard Strauss gespielt hatte. Im Juni 1959 löste der Ver-kauf von israelischem Kriegsmaterial an die Bundesrepublik Deutschlandwütende Proteste aus. Ben Gurion trat zurück und verlangte Neuwahlen. DieMapai-Partei behauptete ihre Mehrheit in der Knesset, und Ben Gurion, ge-stärkt durch das Vertrauensvotum der Wähler, kehrte ins Amt zurück.

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4 Arthur Schlesinger beschreibt in Die tausend Tage Kennedys, wie Kennedywährend einer Rede in Billings, Montana, fast zufällig auf das ThemaAtomtestmoratorium zu sprechen kam. Der Präsident sprach Senator MikeMansfield, dem Fraktionsführer der Mehrheitspartei aus Montana, indirektsein Lob dafür aus, daß er den Vertrag unterstützt hatte. «Zu seiner Überra-schung-, schrieb Schlesinger, -löste seine beiläufige Bemerkung starken undanhaltenden Beifall aus. Dadurch ermutigt, äußerte er [Kennedy] die Hoff-nung, die Möglichkeit eines militärischen Konflikts zwischen den beidengroßen Atommächten, die zusammen über das Potential verfügen, an ei-nem einzigen Tag binnen kurzer Zeit 300 Millionen Menschen zu töten<, zuverringern. Die Reaktion der Zuhörer in Billings ermutigte ihn, das ThemaFriedenssicherung im weiteren Verlauf seiner Reise stärker in den Vorder-grund zu rücken.«

5 Die Franzosen waren auf der Grundlage des Atomenergiegesetzes von1946, das die Weitergabe von Informationen über amerikanische Atomwaf-fen an jedes andere Land verbot, nach dem Krieg von jeder Kooperationauf atomarem Gebiet ausgeschlossen worden. Im Jahr 1958 billigte derKongreß eine von Eisenhower empfohlene Ergänzung zu dem Gesetz von1946, die es den Vereinigten Staaten gestattete, mit den Briten spaltbaresMaterial und Know-how auszutauschen. Die Franzosen waren natürlichdarüber erbost, daß sie ausgeschlossen wurden. (Auf dem Gebiet der stra-tegischen Trägerraketen geriet Großbritannien Anfang der sechziger Jahrein totale Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten, ein Zustand, der sichbis heute nicht geändert hat.) Die Kennedy-Administration verfolgte in ato-maren Fragen weiter eine Politik der Nadelstiche gegenüber Frankreich.Verteidigungsminister Robert McNamara, dem die autonome AtommachtFrankreich und ihre zahlreichen Tests in der Sahara ein Dorn im Auge wa-ren, entschloß sich 1962 zu einer öffentlichen Kampagne gegen die Forcede frappe. In seiner berühmten Festrede an der Universität von Michigan(bei der er den Übergang der Vereinigten Staaten von der Strategie dermassiven Vergeltung zur Strategie des begrenzten Atomkriegs verkündete)kritisierte McNamara -schwache nationale Atomstreitkräfte- als «gefährlichund kostspielig. Sie hätten die Tendenz zu veralten und als Abschreckungs-mittel unglaubwürdig zu werden.- Statt dessen, so regte er an, sollten dieeuropäischen Länder amerikanische Waffen und Raketen für ihre kon-ventionellen Streitkräfte kaufen und das Problem der atomaren Abschrek-kung den Vereinigten Staaten überlassen. Wenige Wochen zuvor hatte er inAthen im wesentlichen das gleiche gesagt und damit nicht nur de Gaulle,sondern auch Amerikas NATO-Partner verärgert. "Sämtliche Verbündete-,notierte der britische Premierminister Harold Macmillan in sein Tagebuch,•ärgern sich über den Vorschlag der Amerikaner, wir sollten für zigmillio-nen Dollar Raketen kaufen, ihnen aber die Kontrolle über die Sprengköpfeüberlassen. Hier geht es nicht um Raketen für die Europäer, hier geht esum ein Geschäft für die amerikanische Industrie ... Und das ist sehr bedau-erlich, denn Amerikaner stehen (in ihrer Unerfahrenheit und Naivität) einerDiplomatie gegenüber, die in Jahrhunderten Geschick und Raffinesseerworben hat.- Der anhaltende Widerstand der USA gegen die Force defrappe war ein Grund für de Gaulles Entscheidung von 1966, Frankreichaus der militärischen Organisation der NATO herauszulösen und NATO-Stä-

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be sowie alle militärischen Einrichtungen der Verbündeten auf französi-schem Gebiet räumen zu lassen.

6 In ähnlicher Weise war Johnson im Jahr davor auch von den Beratungenund Diskussionen während der Kubakrise ausgeschlossen worden. JohnMcCone informierte ihn über das Problem erst wenige Stunden vor der Be-kanntgabe. -Johnson war stocksauer«, sagte McCone später zu Walt Eider.•Er schimpfte und stieß Beleidigungen hervor.« Außerdem habe er damitgedroht, den Präsidenten in dieser Sache nicht zu unterstützen, wenn ihmdie Führung des Senats die Zustimmung versagen sollte. McCone versicher-te ihm, daß der Senat hinter dem Präsidenten stehe. Johnson ließ sich be-schwichtigen und machte eine Kehrtwende.

7 Für die Juden in Europa war es in den dreißiger Jahren extrem schwierig,Visa für die Vereinigten Staaten zu bekommen, obwohl die Einwanderungs-quoten nicht erfüllt wurden. So durften zwischen 1933 und 1938 lediglich27 000 deutsche Juden in die Vereinigten Staaten immigrieren, obwohl nachden Quoten 129 875 zulässig gewesen wären. Näheres über Johnsons Rollebei der Unterstützung von Juden findet sich in Prologue: LBJ's Foreign Af-fairs Background, einer unveröffentlichten, 1989 von Louis S. Gomolak ander University of Texas eingereichten Doktorarbeit.

Kapitel 10

Bibliographische Hinweise

Schlomo Aronson, der israelische Politologe und Befürworter der Abschreckungdurch ein israelisches Atomarsenal, hat über diesen Zeitraum eine ausgezeich-nete Arbeit verfaßt. Moshe Dayans Maariv-Artikel erschien am 13. April 1963 ineiner Zusammenfassung in der New York Times und trug die Überschrift -IsraelisWarned on Arms Lag-. Ben Gurions Brief an die Times wurde am 20. November1963 veröffentlicht. Der Titel von Theodore Taylors Referat lautete: -Can NuclearWeapons be Developed Without Füll Testing?« Die Vorlesung wurde am 11. De-zember 1988 anläßlich eines Workshops über den Nachweis der Reduzierungnuklearer und konventioneller Waffen im Robin Brook Centre des St. Bartholo-mew's Medical College in London gehalten. Der Text der Vorlesung sowie zu-sätzliches Material sind abgedruckt in: Theodore B. Taylor, -Nuclear Tests andNuclear Weapons«, in Benjamin Frankel, Hg., Opaque Nuclear Proliferation: Me-tbodological and Policy Implications (London, Frank Cass, 1991), S. 175-190.Die erwähnten Unterlagen des Weißen Hauses befinden sich in der LyndonB. Johnson Library in Austin. Eine Reihe von Büchern ist im Zusammenhang mitder internationalen Kontrolle von Kernenergie recht nützlich. Siehe The Interna-tional Atomic Energy Agency and World Nuclear Order von Lawrence Schein-man (Resources for the Future, Washington D. C., 1987) und Nuclear PowerIssues and Choicesvon Spurgeon M. Keeny, Jr. (Ballinger Publishing Company,Cambridge, Massachusetts, 1977). Zur Diskussion über die psychologische Be-wertung von Samson und Masada siehe A Psycho-History of Zionism von JayY. Gonen (Mason J. Charter, New York, 1975), Kapitel 13. Der erwähnte Artikel

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von Podhoretz trägt den Titel -The Abandonment of Israel« und ist im Juli 1976in einer Ausgabe des Commentary Magazine erschienen. Der Artikel über Berg-mann in der New York Times erschien am 14. Juni 1966 und wird im Text er-wähnt.

Anmerkungen

1 Im Sechstagekrieg 1967 wurde eine israelische Mirage III abgeschossen, alsder Pilot, entweder aus Versehen oder wegen technischer Probleme, in denLuftraum von Dimona eindrang. Im Februar 1973 kam ein libysches Ver-kehrsflugzeug auf dem Flug nach Kairo infolge eines Navigationsfehlersüber der Wüste Negev vom Kurs ab und wurde, da es die Aufforderung zurLandung mißachtete oder nicht empfangen hatte, von Jagdflugzeugen derisraelischen Luftwaffe abgeschossen. Dabei kamen 108 der 113 Insassenums Leben. Israel behauptete, die Maschine habe Dimona zu Spionage-zwecken angeflogen.

2 Der Physiker Theodore B. Taylor, der Waffen für das amerikanische Atom-programm konstruierte, schrieb, daß solche Tests mit reduzierter Spreng-kraft -überzeugender- seien als Tests mit voller Sprengkraft, weil bei geringerSprengkraft ein Konstruktionsfehler schneller erkannt werde. In einem Se-minar über Rüstungskontrolle legte Taylor 1988 in London ein Papier vor, indem er feststellte, daß Tests mit niedriger Sprengkraft für Länder mit be-trächtlicher Testerfahrung zuverlässig genug seien. -Aber sie können auchfür solche Länder nützlich sein-, fügte er hinzu, »die erst Kernwaffen ent-wickeln, wenn die Tests geheim bleiben sollen.-

3 Laut Dino Brugioni ließen sich die Bildauswerter der CIA durch das plötzli-che Auftauchen des scheinbar neuen Rasens nicht täuschen. -Es war ein al-berner Schachzug von ihnen (den Israelis), und er bestätigte nur, was wirbereits wußten. Auf den Luftaufnahmen war zu sehen, was sie taten. Siepflanzten Grassoden, Bäume und Büsche. In Beerscheba wächst nichts der-gleichen. Ich meine, warum zum Teufel pflanzten sie das Zeug dort undnicht um ihre Häuser? Das machte erst recht auf ihre Aktivitäten aufmerk-sam.«

4 Vermutlich erhielt Washington das falsche Signal, als die Regierung Eschkolnach ausgedehnten Verhandlungen im April 1965 schließlich der amerikani-schen Bitte entsprach, die Verantwortung für die Überwachung des Reaktorsin Nahal Soreq der IAEA zu übertragen. Bis dahin hatten amerikanischeTeams gemäß der ursprünglichen Vereinbarung von 1955 zweimal im Jahrohne Regelwidrigkeiten eine Inspektion durchgeführt. Im Gegensatz zuDimona wurde der kleine Forschungsreaktor von Mitarbeitern des Weiz-man-Instituts ständig für medizinische und wissenschaftliche Forschungengenutzt. Die Bitte der Amerikaner entsprach der Politik der Johnson-Admi-nistration, die Schutzfunktion der IAEA zu stärken: Sie behante darauf, daßalle Länder, die sich an dem Programm "Atome für den Frieden- beteiligten,sich der internationalen, und nicht der amerikanischen, Überwachung unter-warfen. Ein weiterer Grund für den Wechsel zu internationaler Sicherungwar, laut Aussagen eines ehemaligen Beamten, der im Bereich Proliferationtätig gewesen war, die weitverbreitete Ansicht, daß die bilateralen amerika-

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nischen Inspektionen zu lasch seien. Als Gegenleistung für die Einwilligungder Israelis erklärten sich die Vereinigten Staaten bereit, weitere vierzig Kilo-gramm angereichertes Uran gemäß den Sicherheitsbestimmungen für dasForschungsprogramm in Nahal Soreq zur Verfügung zu stellen.

5 Im Jahr 1976 faßte Norman Podhoretz in einem Aufsatz im Commentary Ma-gazine eben dieses Argument für Atomwaffen zusammen: Er beschrieb, wasIsrael tun würde, falls es von den Vereinigten Staaten im Stich gelassen undvon den Arabern überfallen werden sollte: -Die Israelis würden ... solangees ginge, mit konventionellen Waffen kämpfen. Wendete sich jedoch dasBlatt entscheidend zu ihren Ungunsten und wäre Hilfe in Form von neuenLieferungen aus den Vereinigten Staaten oder anderen Garanten nicht inSicht, dann ist mit Sicherheit anzunehmen, daß sie schließlich Atomwaffeneinsetzen würden... Es wird immer behauptet, die Israelis hätten einen Ma-sada-Komplex ... aber wenn es sich um einen >Komplex< handelt, bei demman lieber Selbstmord begeht anstatt sich zu ergeben, und der auf einenanalogen Fall in der jüdischen Geschichte zurückgeht, dann ist das BeispielSamsons, dessen Selbstmord gleichzeitig die Vernichtung seiner Feinde be-deutete, geeigneter als Masada, wo die Zeloten nur sich selbst töteten undnicht die Römer.- Als Podhoretz Jahre später zu seinem Aufsatz befragt wur-de, erklärte er, seine Schlußfolgerung im Hinblick auf Samsons Entschei-dung sei seine eigene und basiere nicht auf speziellen Informationen vonIsraelis oder anderen über Israels atomares Potential.

6 John Finney von der New York Times machte es da mit Floyd Cullers Inspek-tionen etwas besser. Finney, der für die Times dieses Thema weiter recher-chierte, berichtete am 28. Juni 1966, das amerikanische Team sei »zu demsel-ben vorsichtigen Schluß gelangt wie vor einem Jahr«, nämlich »daß in demReaktor zur Zeit kein Plutonium für Waffen produziert« werde. Der Reporterwies jedoch klugerweise darauf hin, daß die Schlußfolgerung des Teamsdeshalb -vorsichtig war, weil es schwierig ist, bei einer einmal im Jahr statt-findenden Inspektion nachzuweisen, daß keiner der Brennstäbe entferntwurde, um das Plutonium zu entnehmen...«

7 Ben Gurion war ein begeisterter Tagebuchschreiber, und in späteren Jahren -er starb Anfang 1974 - brachte er viele Stunden damit zu, seine Papiere zuordnen und seinem Biographen Michael Bar-Zohar zu helfen. Myer Feldmanerinnert sich an eines seiner letzten Treffen mit Ben Gurion, an dem auchTeddy Kollek, der Bürgermeister von Jerusalem und langjährige Mitarbeiterdes -Alten«, teilnahm. Die beiden Männer standen herum und warteten, wäh-rend Ben Gurion etwas in sein Notizbuch kritzelte. -Ich fragte Kollek: .Wasmacht er da?<, und Kollek antwortete mit einem Lächeln: Oh, er fälscht dieGeschichte.«

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Kapitel 11

Bibliographische Hinweise

Das ausführlichste Buch über James Angleton ist Cold Warriorvon Tom Mangold(Simon und Schuster, New York, 1991). Mangold zeigt auf, daß Angleton in sei-nem paranoiden Verhalten gegenüber Überläufern immer von Richard Helms be-stärkt wurde. Samuel Halpern wurde am 29. April 1991 in seiner Villa in Virginiainterviewt. Die CIA-Beurteilung der »Consequences of Israeli Acquisition of Nu-clear Capability« ist in dem oben erwähnten Buch von Mordechai Gazit nachzu-lesen. Eine ausgezeichnete Darstellung des Baus der chinesischen Atombombe istChina Builds the Bomb von John Wilson Lewis und Xue Litai (Stanford UniversityPress, Stanford, California, 1988). Das erwähnte Material aus Glenn SeaborgsBuch Stemming the Tide (Lexington Books, Lexington, Massachusetts, 1987)stammt aus Kapitel 13, -A Tale of Two Committees-. Das Zitat über Indien stammtaus McGeorge Bundys Buch Danger and Survival (Random House, New York,1988), S. 585. Seaborg beschreibt die Debatte über die Gilpatric-Kommission. Dieerwähnte Rede Robert Kennedys wurde am 23. Juni 1965 gehalten; siehe dazuden Kongreßbericht über diesen Tag auf Seite 14 566. Die Schlagzeile des John-Finney-Artikels lautete: -Israel Permits U. S. to Inspect Atomic Reactor-; er er-schien am 14. März 1965 auf der ersten Seite der New York Times.

Anmerkungen

1 Am 22. Dezember 1974 wurde Angletons Rolle in der Spionageabwehr erst-mals in einem Artikel des Autors auf der Titelseite der New York Times er-wähnt. Angleton und sein Büro wurden mit der Operation CHAOS in Verbin-dung gebracht, der großangelegten, illegalen Bespitzelungsaktion der CIAvon Kriegsgegnern und Dissidenten in Amerika. Bevor der Artikel erschien,erklärte mir Angleton am Telefon, er könne mir bessere Storys liefern - übereine kommunistische Infiltration der Antikriegsbewegung oder über CIA-Agenten in der Sowjetunion -, falls die Spionagegeschichte im Inland nichtveröffentlicht werde. Am Tag der Veröffentlichung - ein Sonntag, wie ich spä-ter in der Times schrieb - rief mich Angleton sehr früh zu Hause an und be-klagte sich, daß Cecily, seine einunddreißigjährige Ehefrau, erst durch mei-nen Artikel erfahren habe, daß ihr Mann kein Postangestellter war, wieAngleton ihr gegenüber behauptet hatte. -Und nun hat sie mich verlassen«,fügte er hinzu. Der Anruf versetzte mir einen Schock; die Erregung in seinerStimme schien echt zu sein. Ich murmelte etwas von der Verpflichtung desJournalisten zur Wahrheit, hängte ein und rief einen alten Freund an, der zu-sammen mit Angleton bei der CIA war. Lachend erzählte er mir, daß Cecilynatürlich von Anfang an gewußt habe, womit ihr Mann seinen Lebensunter-halt verdiente, daß sie ihn bereits vor drei Jahren verlassen habe und nachArizona gegangen, aber schließlich wieder zu ihm zurückgekehrt sei.

2 Außerdem versicherte Johnson der Nation, daß seine Regierung über denchinesischen Test nicht überrascht gewesen sei. Zu der Zeit wußte es der

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Präsident vielleicht noch nicht, aber beim amerikanischen Nachrichtendienstwar man entsetzt, als man anhand von Luftproben feststellte, daß für diechinesische Bombe angereichertes Uran verwendet worden war und nicht,wie die CIA prognostiziert hatte, das leichter herstellbare Plutonium. DieAmerikaner waren davon ausgegangen, China würde das Plutonium ausden verbrauchten Uranbrennstäben eines Reaktors, wie in Dimona, che-misch wiederaufbereiten. Da nun das Gegenteil bewiesen war, glaubten Mit-glieder der CIA, China könne das angereicherte Uran für seine Bombe ge-stohlen oder sich anderweitig beschafft haben.

3 Rusk führte seine Streitgespräche auch auf anderen bürokratischen Foren,wobei er sich auf ein mit Atomwaffen bestücktes Indien konzentrierte. Da-niel Ellsberg erinnerte sich, daß ihm seine Vorgesetzten im Pentagon nachdem chinesischen Atomtest im Jahr 1964 erzählten, Rusk vertrete den Stand-punkt, -Indien brauche eine Atomwaffe als Abschreckungsmittel, und es ge-be keinen Grund, warum es keine haben sollte«. Rusks grundlegende Hal-tung war: -Warum sollten unsere Freunde nun, da unsere FeindeAtomwaffen haben, keine besitzen?- Es sollte erwähnt werden, daß diese au-ßergewöhnliche Debatte in McGeorge Bundys ausführlicher Geschichte derAtombombe, Danger and Survival, aus dem Jahr 1988 keine Beachtungfand. Indiens Streben nach der Bombe, schrieb Bundy, -bleibt eine fragwür-dige Auszeichnung, da etwas an diesem rätselhaft zerstörerischen Machtstre-ben nicht wahrhaft indisch ist-. Bundy hätte noch hinzufügen können, daßes 1964 in Washington ein paar Amerikaner in hohen Positionen gab, diekeineswegs meinten, Indiens Streben nach der Bombe sei nicht wahrhaftindisch.

4 Zu den Mitgliedern des Gremiums gehörten der pensionierte Allen Dulles,der frühere Außenminister Dean Acheson, der ehemalige Verteidigungsmini-ster Robert A. Lovett, der ehemalige wissenschafüiche Berater im WeißenHaus George B. Kistiakowsky und der IBM-Vorsitzende Arthur K. Watson.

5 Kennedy wies auch darauf hin, daß Israel und Indien "bereits waffenfähigesspaltbares Material besitzen und innerhalb weniger Monate eine Atombom-be herstellen könnten«. Weitere israelische Fortschritte, fügte er hinzu, »wür-den die Ägypter zwingen, ihre gegenwärtigen Bemühungen zu intensivie-ren«. Während die Bemerkungen des Senators in Israel Aufsehen erregten,fanden sie anderswo kaum Beachtung. In dem Bericht über die Kennedy-Rede auf der Titelseite der New York Times wurde Israel nicht erwähnt.

6 Peres stellte die Ergebnisse der Konferenz falsch dar. Seine Erklärung in derKnesset wurde zuerst von Fuad Jabber in Israel and Nuclear Weapons er-wähnt; der Bericht wurde 1971 vom Internationalen Institut für StrategischeStudien (IISS) in London veröffentlicht. Jabber schrieb, auf der Konferenz,

: die als Internationales Forum zum Thema Atomwaffen bekannt ist und zumTeil vom IISS gefördert wird, sei tatsächlich der Ruf nach »ernsthaften Bemü-hungen« laut geworden, über eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Ostenzu verhandeln. Die Versammlung fand vom 23. bis 26. Juni 1966 in Toronto,Kanada, statt.

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Kapitel 12

Bibliographische Hinweise

Walworth Barbour wird in aktuellen Büchern zur Nahost-Politik nur seltenerwähnt. Einer der wenigen, die sich mit Barbour befaßten, war Abba Eban inseiner Autobiograpby (Random House, New York, 1977); Eban beschrieb ihn(S. 297) zutreffend als -korpulent, freundlich und außerordentlich scharfsinnig«.Edward Dale wurde das erste Mal am 7. September 1990 in seinem Heim inChapel Hill, North Carolina, interviewt. John Hadden wurde am 8. Juni 1989 inBrunswick, Maine, interviewt und später noch viele Male am Telefon. Das Inter-view mit Peter Jessup fand am 20. März 1989 in Washington statt; später wurde eram Telefon befragt. Carmelo Alba wurde am 10. April 1991 in einem Vorort inVirginia interviewt. Mit Herman Pollack wurde am 21. Mai 1991 ein Telefoninter-view geführt. Das erste Telefoninterview mit Max Ben fand am 22. Mai 1991 inseinem Haus in St. Petersberg, Florida, statt; weitere folgten. Clytie Webber, Ro-bert Webbers Frau, sprach am 21. Mai 1991 mit dem Autor über ihren verstor-benen Mann. Eugene Braderman wurde zweimal telefonisch zu seinem Israel-besuch im Jahr I960 befragt, am 1. Oktober 1990 und im April 1991. Derverstorbene Joseph Zurhellen wurde am 8. September 1989 in New York inter-viewt. Arnold Kramish berichtete in einem Interview am 5. Juni 1989 über seineBegegnung mit Barbour. Die zitierte Bemerkung Golda Meirs über Barbour istnachzulesen in -Quiet Envoy to Israel- (New York Times, 13. April 1971); das wareine jener seltenen Gelegenheiten, bei der Barbours Name während seiner Zeitals Botschafter in der Presse erwähnt wurde.

Anmerkungen

1 Seine Schwester Ellen spielte während ihrer ausgedehnten jährlichen Besu-che in Israel in der Botschaft die Gastgeberin. Auf Barbours Schreibtischstanden Fotos von Ellen und einer anderen Frau. Ein persönlicher Mitarbei-ter erinnerte sich, daß Barbour auf die Frage nach dem Foto erklärte, er ha-be die Frau in Kairo kennengelernt, wo er während des Zweiten Weltkriegsals Regierungsbeamter tätig war. Er habe nach der Bedeutung des Fotos ge-fragt. -Ich bat sie, meine Frau zu werden, aber sie sagte nein-, antworteteBarbour. Der junge Mitarbeiter war erstaunt: "Sie sagte nein, und trotzdemstand ihr Bild noch zwanzig Jahre später auf seinem Schreibtisch.«

2 Hadden bekam Schwierigkeiten mit dem israelischen Außenministerium,weil Alba versehentlich Haddens amerikanische Nummernschilder an einemJeep anbringen ließ, bevor dieser eine seiner Wochenendtouren in die Wü-ste Negev unternahm. Alle Wagen von Diplomaten mußten in Israel beson-dere Nummernschilder haben. Deshalb entfernten die Mechaniker der Bot-schaft routinemäßig die amerikanischen Nummernschilder von denPrivatwagen neu angekommener Diplomaten und schmückten die Wändedamit. Alba hatte sich bei der Fahrbereitschaft der Botschaft einen schwar-zen Jeep bestellt. Da der Jeep keine Nummernschilder hatte, trug der Oberst

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dem Mechaniker in aller Eile auf, ein paar Nummernschilder von der Wandzu nehmen und an dem Jeep anzubringen. Die Nummernschilder gehörtenzu Haddens Wagen. Natürlich wurde der Jeep von den Israelis überwacht,und sie protestierten in scharfer Form. Warum schnüffelte der Stationschefder CIA im Negev herum?

3 -Wir waren absolut konsequent-, erinnerte sich Herman Pollack, der damali-ge Leiter des Büros für Internationale Wissenschaftliche und TechnologischeAngelegenheiten beim State Department. -Keine nachrichtendienstliche Tä-tigkeit von Wissenschaftsattaches. Ihre Hände sollten sauber bleiben.- Had-den, der die CIA wenige Jahre nach seiner Rückkehr aus Israel verließ, gablachend zu, daß er »nie auf Organisationspläne und Titel achtete. Alles liefbesser, wenn die Leute zusammenarbeiteten und gemeinsam sinnvolle Auf-gaben erfüllten.-

4 Braderman ist heute pensioniert und lebt in Washington. Er erinnerte sich anden Besuch in Israel im Jahr 1967. -Es ist möglich-, erklärte er, -daß ich etwasin der Art zu Bill Dale gesagt habe.- In Dales Erinnerung, so fügte er hinzu,spiegle sich sicherlich seine allgemeine Ansicht über die jüdische Loyalitätwider.

5 Die Dokumente der Johnson Library beweisen, daß Clark Clifford, ein wich-tiger Berater des Präsidenten und späterer Verteidigungsminister, die anfäng-lich laue Reaktion der Regierung bei einer Versammlung des Nationalen Si-cherheitsrats am darauffolgenden Tag beklagte: -Meine Sorge ist, daß wirnicht hart genug sind und die Sache nicht so behandeln, als hätten die Ara-ber oder die UdSSR uns angegriffen.- Es sei -undenkbar-, erklärte Cliffordden Aufzeichnungen des NSC zufolge weiter, daß Israel, wie es behauptete,die Liberty aus Versehen angegriffen habe.

6 Auch die Haltung der CIA änderte sich. Ein ehemaliger hoher Geheimdienst-beamter erinnerte sich, daß nach dem Krieg 1967 im Nachrichtendienst -eingroßer Wandel stattfand-. -Ganz plötzlich behaupteten viele, die Israelis sei-en wunderbar-, fügte der ehemalige Beamte hinzu. -Israelische Informatio-nen waren mit einem Mal unantastbar, und das berufsbedingte Mißtrauen,' das man gegenüber einem fremden Nachrichtendienst haben sollte - selbstwenn es sich um einen befreundeten handelte -, verschwand.- Das wurdevor allem in Nixons Amtszeit deutlich. Nixon und Henry A. Kissinger warenin der CIA dafür bekannt, daß sie die Informationen des Mossad über denNahen Osten denen der CIA vorzogen.

Kapitel 13

Bibliographische Hinweise

Yigal Allons hochtrabende Bemerkungen wurden am 11. Dezember 1967 auf S. lder New York Times gemeldet: -Allon Hints Israel Has Missiles-. Moshe DayansWarnung an die Sowjets wurde am 7. Juli 1967 in der Frankfurter AllgemeinenZeitung veröffentlicht. Walter Rostow wurde am 14. Oktober 1990 in der LyndonB. Johnson Library in Austin, Texas, interviewt. Kissingers Bemerkungen zu

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Atomfragen finden sich in dem oben zitierten Buch von Aronson auf S. 397 (Fuß-noten). Der zitierte Artikel aus Time heißt »How Israel Got the Bomb- und er-schien am 12. April 1976. Das Buch The Plumbat Affair-wurde von Elaine Da-venport, Paul Eddy und Peter Gillman geschrieben (J. B. Lippincott Company,Philadelphia, 1978).

Anmerkungen

1 Im Jahr 1966 berief Premierminister Eschkol einen Vertreter der Firma Tahalin die erweiterte israelische Atomenergiekommission. Der Mann arbeitete imneuen Unterkomitee für Energie und Wasser. Raketensilos könnten auch ge-tarnt als Rohre für Wasserleitungen nach Israel verschifft worden sein.

2 Von amerikanischen Geheimdienstlern habe ich später erfahren, die USAhätten erst Anfang der siebziger Jahre eine schriftliche Kopie der sowjeti-schen Liste nuklearer Ziele in die Hände bekommen. Einige mündliche In-formationen über sowjetische Ziele seien jedoch vorgelegen, und diese Da-ten, die in der CIA und anderswo nur wenigen Individuen bekannt gewesenwären, könnten möglicherweise an die Israelis weitergegeben worden sein.

3 1%5 waren die Mapai und die Ahdut Avodah übereingekommen, in derKnesset bei allen außenpolitischen Fragen gemeinsam abzustimmen. Nachdem Krieg 1967 verschmolzen die beiden Parteien mit der Rafi zur Arbeiter-partei. Im nächsten Jahr beschloß auch die Mapam, bei einigen Themen ge-meinsam mit der vereinigten Arbeiterpartei abzustimmen und mit einer ge-meinsamen Liste zu kandidieren, allerdings ohne sich formell mit derArbeiterpartei zu vereinigen.

4 Im April 1976 berichtete Time, kurz nach dem Sechstagekrieg habe Dayan•den geheimen Befehl erteilt, mit dem Bau [einer Wiederaufbereitungsanla-ge] zu beginnen-. Dem Magazin zufolge sei Premierminister Eschkol dannder Ansicht gewesen, es gehe -nur noch um die Absegnung eines Projektes,das längst im Gange« sei. Der Artikel enthielt zwar falsche Informationenüber die Wiederaufbereitungsanlage, die ja 1967 schon fertiggestellt war,aber er lieferte der Welt die ersten Fakten über das israelische Atomwaffen-programm. Der Artikel war nicht namentlich gekennzeichnet, vermutlichweil die Informationen auf David Halevy zurückgingen, der als israelischerBürger der Regierungszensur unterlag. Halevy, ein früherer Geheimdienst-und Armeeoffizier, war für seine guten Kontakte in der israelischen Regie-rung und in israelischen Geheimdienstkreisen bekannt; in der israelischenRegierung, die den Bericht offiziell dementierte, war die Auffassung verbrei-tet, die Fakten habe überwiegend Moshe Dayan geliefert.

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Kapitel 14

Bibliographische Hinweise

Dan Rather stellte seine Frage an den Präsidenten auf der Pressekonferenz vom19. Dezember 1967. Die hier zitierten Dokumente wurden dem Autor unter demFreedom of Information Act zugänglich gemacht; sie sind in der Lyndon B. John-son Library archiviert. James Critchfield wurde am 13. April 1989 interviewt undspäter nochmals telefonisch. Hany McPherson wurde telefonisch am 8. Mai 1991interviewt. Carl Ducken wurde in seinem Haus in Hutchins, Virginia, am 27. Juni1991 interviewt. Über Richard Helms' mißlungenen Versuch, Johnson von der is-raelischen Bombe zu berichten, gibt es zahlreiche Publikationen; siehe zum Bei-spiel -LBJ Was Told in '68 That Israel Had Bomb- von John J. Fialka, WashingtonStarvom 1. März 1978, S. 1. Paul Warnke wurde am 23. März 1989 interviewt undspäter nochmals telefonisch. Yitzhak Rabins Bericht findet sich in The RabinMemoirs (Little, Brown and Company, Boston, 1979), S. 141. Der verstorbeneHarry Schwanz wurde am 14. Juli 1989 in seinem Haus bei Easton, Maryland,interviewt. Rothschilds Pipeline-Geschäft wurde zum ersten Mal in der New YorkTimes vom 18. Juli 1959 gemeldet: -Rothschild Investment Group To OperatePipeline in Israel.« Bill Moyers wurde am 18. Februar 1991 telefonisch interviewt.

Anmerkungen

l James Critchfield, ein langjähriger CIA-Beamter, leitete 1967 die Nahost-Ab-teilung. Er berichtet, Dayan und Zwi Zamir, damals Chef des Mossad, hättenam Ende des Sechstagekrieges mit ihm und James Angleton den kurzen underfolglosen Versuch unternommen, die Übergriffe im Westjordanland undanderswo zu verhindern. Das Ziel sei gewesen, ein schnelles Abkommenüber den Tausch von Land gegen Frieden zu treffen, bevor die Israelis mitder Besiedlung der besetzten Gebiete begännen. Dayan und Zamir seienüberzeugt gewesen, sagte Critchfield, eine solche Besiedlung würde -einekatastrophale Entwicklung« einleiten. -Wir müssen das sofort unterbinden,sonst schaffen wir ein Fait accompli.« Mit König Hussein von Jordanien soll-ten Verhandlungen geführt werden. Hussein war spät und nur widerstre-bend in den Krieg eingetreten und zeigte Interesse, über ein Ende der israe-lischen Angriffe auf sein Land und seinen Thron zu verhandeln. »Wirbegannen zu verhandeln und machten Fortschritte«, sagte Critchfield. -Ichhatte McGeorge Bundy davon informiert, und er war einverstanden damit.[Bundy war kurzzeitig als Johnsons spezieller nationaler Sicherheitsassistentfür Nahost ins Weiße Haus zurückgekehrt.] Zwölf Tage nach Kriegsendedachte ich, wir müßten Mac daran erinnern, was wir taten.« Im Weißen Hauswurde ein Treffen mit Bundy und Nicholas Katzenbach arrangiert, der da-. mals im Außenministerium war. -Sie sagten uns, wir sollten aufhören damit-,sagte Critchfield. -Angleton vertrat die Ansicht, wenn wir nicht jetzt, mit derUnterstützung Dayans und Zamirs, handelten, würde das Westjordanlandbesiedelt werden. Als wir hinausgingen, sagte Mac zu mir: -Ich hatte ganz

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vergessen, wie hitzig Angleton werden kann. Wir waren zusammen in Yale.»Später sagte Katzenbach, er könne sich nicht an das Treffen erinnern. Critch-fleld, der die CIA 1974 verließ, wunderte sich nicht über diese Gedächtnis-lücke: -Sie haben einen Fehler gemacht und wollten ihn vergessen.-

2 Duckett gab allerdings zu, ein paar Jahre später sei sein Vertrauen in Tellererschüttert worden. Der Anlaß war, daß Teller wieder ein Treffen arrangierthatte, um seine Überzeugung kundzutun, die Sowjetunion würde am 4. Juli1976, dem 200. Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeit, einen ther-monuklearen Erstschlag gegen die USA führen.

3 Im Gegensatz zu seinem Ruf als souveräner Geheimdienstler war Helms einschlimmerer Bürokrat, als die meisten Journalisten und Regierungsbeamtenin Washington sich vorstellen konnten. Einer von Helms' höheren Stellver-tretern erinnerte sich, daß Johnson in seinem letzten Amtsjahr voller Zorneine vierundzwanzigstundige komplette Einstellung des Nachrichtenver-kehrs der CIA, soweit Vietnam betroffen war, anordnete. Der Präsident woll-te verhindern, daß Informationen durchsickerten und nahm anscheinendan, den gewaltigen Nachrichtenfluß der CIA zu unterbinden, sei diesemZweck dienlich. Das vollständige Abbrechen aller Kommunikationswegebarg natürlich einige Risiken in sich, und das höhere CIA-Personal erwartete,Helms würde den unvernünftigen Präsidentenbefehl ignorieren oder über-gehen. Nichts dergleichen. Trotz besseren Wissens führte Helms den Befehlaus und unterbrach den Nachrichtenfluß. -Die Befehlsgewalt eines Präsiden-ten stellt man nicht in Frage-, sagte der CIA-Direktor zu seinen verunsicher-ten Mitarbeitern.

4 Israel hatte auch anderen Geldgebern ähnlich lukrative Geschäfte zuge-schanzt. 1959 zum Beispiel bekam Tricontinental Pipelines Ltd., eine in-ternationale Investment-Gruppe (die Mehrheit hielt Baron Edmund Roth-schild), die Konzession zum Betreiben einer Sechzehn-Zoll-Pipeline von Elatüber Aschdod nach Haifa. Der Vertrag wurde vom damaligen FinanzministerLevi Eschkol für Israel unterschrieben und verpflichtete den Staat, in dennächsten fünfzehn Jahren mindestens 1,5 Millionen Tonnen Öl durch diePipeline zu pumpen. Edmund Rothschild leistete laut Feinberg ebenfallssehr großzügige Beiträge zur Anschubfinanzierung von Dimona.

Kapitel 15

Bibliographische Hinweise

Die beste Einführung in den Bau von Atomwaffen ist U. S. Nuclear Warbead Pro-duction (Bd. II) von Thomas B. Cochran, William M. Arkin, Robert S. Norris undMilton M. Hoenig (Ballinger Publishing Company, Cambridge, Massachusetts,1987). Vanunus-Story erschien erstmals in der Londoner Sunday Times vom5. Oktober 1986 unter dem Titel »Revealed: The Secrets of Israel's Nuclear Arse-nal-. Sie wurde vorn -Insight-Team der Zeitung unter der Leitung von Peter Hou-nan geschrieben. Eine ausführliche Analyse Vanunus und zusätzliche Informatio-nen aus seinen Interviews mit der Sunday Times finden sich in The Invisible

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Bomb von Frank Barnaby (I. B. Tauris & Company, London, 1989). Einzelheitenüber Vanunus Leben und die Interviews mit der Sunday Times finden sich in Tri-ple Cross von Louis Toscano (Birch Lane Press, New York, 1990). Der Einsatz vonRobotertechnik bei der Produktion von Atomwaffen wird kurz in -Machining He-mispherical Shells- beschrieben (in der 1988er Ausgabe von Research Highlights,veröffentlicht vom Los Alamos National Laboratory). George Cowan wurde tele-fonisch am 9. September 1990 in Mexiko interviewt; Hans Bethe wurde am 21. Ja-nuar 1991 in seinem Büro im California Institute of Technology interviewt.

Anmerkungen

1 Vanunu beschrieb Frank Barnaby, einem Nuklearphysiker und früheren An-gestellten der britischen Kernwaffenanlage in Aldermaston, die Kühlvorrich-tungen. Auf Bitte der Sunday Times sprach Barnaby zwei Tage lang mit Va-nunu, weil er sich ein Urteil über dessen Glaubwürdigkeit bilden wollte. DerSunday Times zufolge kam er zu dem Schluß, Vanunus Bericht sei -absolutüberzeugend-. Später wurde Barnaby Direktor des Internationalen Friedens-

" forschungsinstituts Stockholm (SIPRI).2 Solche Modelle werden beim amerikanischen Militär gewöhnlich zu Ausbil-dungszwecken und bei militärischen Instruktionen benutzt. Es liegt auf der" Hand, daß niemand neben einem voll einsatzfähigen Atomsprengkopf ar-beiten will, der mit hochangereichertem Material gefüllt ist. Die Modellesind, was ihre Größe und ihr Design angeht, originalgetreue Nachbildungeneines normalen Sprengkopfes. Die amerikanischen Experten nahmen an,daß die israelischen Modelle ihren Originalen sehr ähnelten.''3 Vanunu sagte, der Dampf sei durch Korrosion und Lecks in wechselndemMaße verseucht gewesen und nur bei Westwind abgelassen worden, der ihndann zur jordanischen Grenze etwa vierzig Kilometer östlich getrieben habe.Eine dieser abgelassenen Dampfwolken wurde offenbar im Jahr 1965 vonArmeeoberst Carmello Alba fotografiert, was der CIA den ersten konkretenHinweis lieferte, daß Dimona in Betrieb war.4 Als die amerikanischen Truppen 1991 im »Wüstensturm- Krieg gegen den

Irak führten, waren sie mit uranverstärkten Geschossen und uranverstärkterPanzerabwehrmunition ausgerüstet. Einige amerikanische Panzer hatten alszusätzlichen Schutz Panzerplatten, die auch Uran enthielten.

5 Der nukleare Brennstoffzyklus funktioniert so präzise, daß Wissenschaftleri bei einem gegebenen Ausstoß ausrechnen können, wieviel Uran in Dimonaverbraucht wurde. Laut Vanunu betrug die Fließgeschwindigkeit des aufge-lösten Urans und Plutoniums durch die chemische Wiederaufbereitungsan-lage im Durchschnitt 20,9 Liter pro Stunde, wobei die Urankonzentration450 Gramm pro Liter und die Plutoniumkonzentration 170 bis 180 Milli-gramm pro Liter betrug (oder 0,39 Milligramm Plutonium pro l GrammUran). Vanunu sagte allerdings, die tatsächliche Fließgeschwindigkeit imTunnel habe die Standardfließgeschwindigkeit normalerweise um 150 bis175 Prozent überstiegen, was bedeuten würde, daß jährlich sogar 37 Kilo-gramm Plutonium wiederaufbereitet wurden, bei einer kontinuierlichen Be-triebszeit von jährlich acht Monaten. Nukleartechniker haben auf VanunusBehauptung hingewiesen, der abgebrannte Uranbrennstoff in Dimona habe

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eine geringere Plutoniumkonzentration enthalten - ungefähr 0,3 statt 0,39Milligramm pro Gramm -, was bedeuten würde, daß nicht weniger als 125Tonnen Uran erforderlich waren, um den Reaktor zu beschicken - wesent-lich mehr als offiziell geschätzt. Ohne den Leistungsausstoß und die Be-triebsgeschichte des Reaktors zu kennen, ist es unmöglich, auch nur grob zuschätzen, wieviel Plutonium in Dimona produziert wurde. Diese Daten blei-ben ein streng gehütetes israelisches Staatsgeheimnis. - Die generelle Ge-nauigkeit und wissenschaftliche Überprüfbarkeit von Vanunus Zahlen mach-ten ihn bei amerikanischen Geheimdienstlern noch glaubwürdiger.

Kapitel 16

Bibliographische Hinweise

Nixon äußerte sich in dieser Weise zum Atomwaffensperrvertrag am 8. Septem-ber 1968 in Pittsburgh und am 11. September in Charlotte (North Carolina).NSDM 6 unterliegt offenbar immer noch der Geheimhaltung und befindet sich imBesitz des Autors. Morton Halperin wurde am 10. Juni 1991 in Washington inter-viewt. Charles Van Doren wurde am 29. Mai 1989 in Washington interviewt. AuchNSDM 32 befindet sich im Besitz des Autors. Hedrick Smiths Geschichte erschienunter der Überschrift -U.S. Assumes the Israelis Have A-Bomb or Its Parts- in derNew York Times vom 19. Juli 1970 auf S. 1. Smith wurde am 9. Mai 1991 über dieGeschichte interviewt. Glenn Cella wurde am 31. März 1989 und auch späternoch interviewt. David Long wurde am 18. Januar 1991 telefonisch interviewt.Curtis Jones wurde am 6. September 1990 in Chapel Hill (North Carolina) inter-viewt. Der Artikel von Norris, Cochran und Arkin erschien als >History of the Nu-clear Stockpile- im Bulletin oftbe Atomic Scientists vom August 1985. Über Ge-rald Bull ist einiges veröffenüicht worden; ein guter Artikel ist »The Guns ofSaddam« von William Scott Malone, David Halevy und Sam Hemingway in derWashington Post Outlook Section vom 10. Februar 1991. Über Israels Fortschrittebei dem Laserverfahren zur Urangewinnung wurde zum ersten Mal von RobertGillette unter der Überschrift -Uranium Enrichment: Rumors of Israeli Progresswith Lasers- im Science Magazine vom 22. März 1974 berichtet. Nicholas Velioteswurde zum ersten Mal am 20. Juni 1989 in Washington interviewt. Das Zitat vonMoshe Dayan über das Ende des Dritten Tempels findet sich in dem erwähntenArtikel im Time Magazine vom 12. April 1976; es wird auch bei Pry zitiert.

Anmerkungen

l Im November 1969 entschieden Kissinger und Nixon, wegen '•Haushaltseng-pässen« könnten die USA den vieldiskutierten israelischen Wunsch nach ei-ner mit Kernenergie betriebenen Entsalzungsanlage nicht unterstützen. Is-raelische Beamte meinten jedoch, diese Entscheidung sei nicht finanziellbedingt gewesen. Vielmehr habe man befürchtet, daß eine solche Anlagenach dem Sechstagekrieg und im wiederaufgenommenen Abnutzungskrieg

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mit Ägypten ein allzu verlockendes Ziel für arabische Terroristen sei. Den-noch setzte diese Entscheidung, die als NSDM 22 bekanntgemacht und vonKissinger im Namen des Präsidenten unterschrieben wurde, den Schluß-punkt unter einen Streit: Nun ging es nicht mehr darum, eine etwaige Fi-nanzhilfe für die Anlage an Inspektionen durch die IAEA zu knüpfen.

2 Helms verstand wenig von Wissenschaft und Technik; es fiel ihm schwer, als. CIA-Direktor vor der Atomenergiekommission auszusagen, wie es seine Po-sition erforderte. Man muß ihm laut Duckett aber zugute halten, daß er sichum Abhilfe bemühte. Unter strenger Geheimhaltung wurden ein paar "Fort-bildungsveranstaltungen« in seinem Büro arrangiert. Bei der ersten Lektionwurde er von seinem -Lehrer-, einem der führenden Experten der CIA aufdem Gebiet der Kernspaltung, gefragt, ob er auf der High School Physik ge-habt habe. Die Antwort war nein. -Schön-, sagte der Lehrer, »dann fangenwir mit dem Periodensystem der Elemente an.« Helms machte schließlich zu-sammen mit Duckett und anderen Regierungsbeamten einen eintägigen Be-such im unterirdischen Atomwaffentestgelände in Nevada. Nachdem er fastacht Jahre lang Leiter der CIA gewesen war, wurde er Anfang 1973 von Ri-chard Nixon als Botschafter in den Iran geschickt.

3 Zwischen 1945 und 1985 produzierten die USA schätzungsweise 60 000 ato-mare Sprengköpfe für 116 Waffensysteme; die durchschnittliche Tagespro-duktion betrug vier Stück. Dabei handelte es sich um ein breites Spektrumvon Sprengkörpern; von riesigen thermonuklearen Sprengköpfen, mit de-. - nen man ganze Städte verwüsten kann, bis zu Mini-Atombomben, die eineBazooka von einem Jeep abfeuern kann. 1985 schrieben drei Kritiker desamerikanischen Atomwaffenarsenals, Robert Norris, Thomas Cochran undWilliam Arkin, das «bürokratische Konkurrenzgebaren und die bürokratische» Trägheit haben dazu geführt, daß Atomsprengköpfe für jeden vorstellbaren

militärischen Zweck, für jede Waffengattung und für jedes geographischeSzenario hergestellt wurden. Der technologische Enthusiasmus hat einenüchterne Analyse dessen, was zur Abschreckung ausreichen würde, beisei-te gefegt. Das Ergebnis ist ein gigantisches System von Atomwaffen - Labo-ratorien, Produktionsstätten, Truppenteilen und so weiter -, das sich selbstperpetuiert und das arbeitet, ohne daß vor der Öffentlichkeit darüber Re-chenschaft abgelegt werden müßte.-

4 Bull wurde im März 1990 vor seinem Haus in Brüssel von Attentätern getö-tet; der Verdacht wurde laut, daß die Israelis die Hintermänner der Mörderwaren. Zum Zeitpunkt seines Todes hatte Bull auch für das irakische Militärgeleistet, was er schon für die Israelis getan hatte. In Israel machte man sichauf höchster Ebene Sorgen darüber, daß Bull eine »Superkanone- für die Ira-ker konstruieren könnte; eine Langstreckenwaffe, die der Irak (wie die Is-raelis nur zu gut wußten) mit chemischen, biologischen und konventionel-len hochexplosiven Sprengköpfen bestücken und Israel bedrohen könnte.Bulls Verträge mit Israel liefen Mitte der siebziger Jahre aus; seine Firma, die, Space Research Corporation (SRC), machte später mit Südafrika und ChinaGeschäfte. Seine Fabrik stand auf einem zweiunddreißig Quadratkilometergroßen Gelände, das von Kanada in den US-Bundesstaat Vermont hinein-reichte. Teilhaber Bulls in der SRC war in den siebziger Jahren die Arthur D.Little Company, eine hochangesehene Firma, die sich mit der Erforschungvon Management-Fragen befaßte. Vier Leute von Arthur D. Litüe saßen in

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der Direktion der SRC. Der geheimnisvolle Bull saß sechs Monate in einemamerikanischen Bundesgefängnis, nachdem er sich 1980 schuldig bekannthatte, Geschütze, Granaten und ein Radarfahrzeug ohne Genehmigung nachSüdafrika verkauft zu haben. Allerdings behauptete er bis zu seinem Tod,seine Aktivitäten in Südafrika seien von den amerikanischen Geheimdien-sten abgesegnet gewesen.

5 Nach dem Sechstagekrieg war das biblische Terrain im Westjordanland undim Gazastreifen wieder für israelische Forscher und Archäologen zugäng-lich. Dayan ließ einige Gebiete, die für ihren Reichtum an Altertümern be-kannt waren, vom Militär absperren und erzürnte damit seine Landsleute.Dann schaffte er viele unschätzbar wertvolle Kunstwerke mit Hilfe der Trup-pen zu seinem persönlichen Nutzen fort. Schließlich legte er hinter seinemHaus in Zahala, einem Nobelvorort von Tel Aviv, sogar einen Garten mitFundstücken aus den Grabungen an. Solcherlei Aktivitäten des Verteidi-gungsministers führten manchmal zu kritischen Reaktionen in der israeli-schen Presse, aber niemals zu einer Untersuchung durch die Regierung.Amerikaner, die als Diplomaten und Militärattaches in Israel Dienst taten,haben berichtet, sie hätten Dayan antike Objekte abgekauft. Sie hätten stetsin amerikanischen Dollar bezahlen müssen.

6 Am meisten machte dem Spezialteam die Frage zu schaffen, wie die KGB-Spione die Informationen außer Landes brachten. Einmal hätten sich die Er-mittler an die National Security Agency um Hilfe gewandt, sagte ein gutun-terrichteter Israeli, aber die NSA konnte auch nicht aushelfen. Jahre späterwurde dann ein iranischer General festgenommen, der für den KGB im Iranspionierte. Er trug ein amerikanisches Satellitenkommunikationsgerät beisich, mit dem er seine Berichte durchgab. -Als er verhaftet wurde-, fügte derfrühere israelische Offizier hinzu, -gab es ein großes Aha-Erlebnis: >Das er-klärt also, warum keine Kommunikationen [aus Israel hinaus] abgefangenwurden.' Die Sowjets hatten das amerikanische Satcom-Gerät gestohlen undwußten es besser einzusetzen als wir.«

Kapitel 17

Bibliographische Hinweise

Zum Jom Kippur Krieg gibt es viele Veröffentlichungen und zahlreiche Berichtein Memoirenform von Kriegsteilnehmern. Unterschiedliche Standpunkte könnenin folgenden Artikeln nachgelesen werden: -Kissinger and the Yom Kippur War«von Edward N. Luttwak und Walter Laqueur im Commentary Magazine vom Sep-tember 1974; "Arab-Israeli Conflict: Implications of Mass Destruction Weapons«von Avigdor Haselkorn, Global Affairs vom Winter 1988; «The Relevance and Ir-relevance of Nuclear Options in Convenüonal Wars: The 1973 October War« vonYair Evron im Jerusalem Journal of International Relations, Bd. 7, Nr. 1-2, 1984;und -The Soviel Nuclear Threat Toward the Close of the Yom Kippur War« vonYona Bandmann und Yishai Cordova, Jerusalem Journal of International Rela-tions, Bd. 5, Nr. l, 1980. Siehe auch die oben erwähnten Werke von Shai Feldman

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und Schlomo Aronson. Mohammed Heikai wurde am 3. Juli 1991 telefonisch inseinem Büro in Kairo interviewt. Die Zitate von Henry Kissinger über sein Treffenmit Botschafter Dinitz und anderes sind Kapitel XI seiner Memoiren 1973-1974,Band 2 entnommen (Lizenzausgabe mit Genehmigung der C. Berteismann VerlagGmbH, München, 1982, S. 576-579 und S. 604). Trotz vieler Anrufe in seinem Bü-ro und bei seinen früheren Kollegen in der US-Regierung ließ sich Kissinger nichtüber den Krieg von 1973 interviewen. Hermann Eilts wurde am 10. Juli 1991 te-lefonisch in Boston interviewt. James Schlesinger wurde am 25. April 1989 in Wa-shington interviewt; William Colby am 10. Januar 1991, ebenfalls in Washington.Die Brüder Kalb veröffentlichten wichtige Auszüge aus ihrem Material über denKrieg von 1973 in Kissinger (Little, Brown and Company, Boston, 1974) im NewYork Times Magazine vom 23. Juni 1974 unter der Überschrift »Twenty Days inOctober«. Patrick Parker wurde Anfang Dezember 1990 in Washington interviewt.Orwin Talbott wurde am 10. Dezember 1990 telefonisch in Annapolis (Maryland)und ein zweites Mal am 20. Juni 1991 interviewt. Bruce Williams wurde am28. November 1990 in Washington interviewt. Über Kissingers Auftrag an die CIA,einen Bericht über das israelische Atomwaffenarsenal zu liefern, wurde zum er-sten Mal von Benjamin Welles im Christian Science Monitor vom 6. Dezember1973 berichtet: -Kissinger Orders CIA Study of Israel's A-Weapons Capability«.Über Ducketts Probleme mit der Schätzung von 1974 ist umfangreich berichtetworden; siehe zum Beispiel -How Israel Got the Bomb- von John Fialka, The Wa-shington Monthly vom Januar 1979.

Anmerkungen

1 Der Karrierediplomat Edts wurde 1979 - nach sechs Jahren als Botschafterin Ägypten - Direktor des Zentrums für internationale Beziehungen an derUniversität Boston.

2 Laut einem Augenzeugen sagte Kissinger im Rahmen seiner Pendeldiploma-tie bei einem Gespräch mit Golda Meir unvermittelt: -Erstens bin ich Ameri-kaner; zweitens bin ich Außenminister der Vereinigten Staaten von Amerika;und drittens bin ich Jude.- Wie aus der Pistole geschossen antwortete GoldaMeir: -Ist schon gut, mein Sohn, hier lesen wir von rechts nach links.-

3 Die Mehrzahl der höheren Beamten und Berater in Kissingers Umgebung,so auch William Colby, sprachen sich für die Alarmbereitschaft aus. Colbyerinnerte sich, daß die Nachrichtendienste kontinuierlich gemeldet hatten,die Sowjetunion bereite ihre besten Luftlandetruppen und ihre Transport-flugzeuge für den Einsatz im Nahen Osten vor. In der Nacht, als die Alarm-bereitschaft angeordnet wurde, hätten die amerikanischen Nachrichtendien-ste -die [sowjetische] Luftflotte aus den Augen verloren. Wir fürchteten, siesei [mit Luftlandetruppen in den Nahen Osten] unterwegs.« Ein anderer hö-herer Berater des Nationalen Sicherheitsrats bestätigte Colbys Bericht undfügte hinzu: -Ich dachte, sie seien im Anmarsch« - ein Standpunkt, von demer auch Kissinger überzeugte. Der Berater des Nationalen Sicherheitsratssagte, weder er noch Kissinger hätten vorausgesehen, daß sich die Nachrichtvon der erhöhten Alarmbereitschaft so schnell verbreiten würde. -Wir woll-ten den Sowjets gar kein Zeichen geben. Es war uns einfach nicht klar, daßdie Armee Mannschaften und Unteroffiziere aus dem Urlaub zurückrufen

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würde«, wovon die Presse auf jeden Fall erfahren mußte. Ein anderer hoheramerikanischer Beamter, der alle verfügbaren Informationen einsehen durf-te, betrachtete die Aktionen beider Supermächte nur als -Drohgebärden. Wirdrohten öffentlich damit, im Sinai einzurücken, und die Sowjets antwortetenmit einem Contra.«

4 Die Task Force 157 sollte in der Türkei den sowjetischen Schiffsverkehr aufdem Schwarzen Meer observieren. Laut einem früheren Mitglied der Einheithatte sie keine Möglichkeit, die Korrektheit ihrer Erkenntnisse unabhängigzu verifizieren. Sie habe aus speziell zu diesem Zweck rekrutierten türki-schen Bürgern bestanden, die keine unmittelbaren Einschätzungen vorneh-men konnten, sondern ihre Bänder und andere Daten per Luftpost zur Ana-lyse nach Washington schickten. Der Schluß, an Bord des sowjetischenFrachters seien Sprengköpfe, sei in einem Marinelabor in Washington gezo-gen worden und nicht in der Türkei: »Wir (im Feld) hatten nie eine Ahnungdavon, ob eine Sache heiß war oder nicht.«

5 Eine andere noch ungelöste Frage im Zusammenhang mit dem Jom KippurKrieg betrifft die nukleare Abschreckung: Haben Ägypten und Syrien bei ih-ren ersten Angriffen Zurückhaltung geübt, weil sie fürchteten, ein tieferesVordringen ins Feindesland würde eine nukleare Reaktion provozierea' Mo-hammed Heikai zum Beispiel behauptete, die sowjetischen Berichte überdie israelische Atombewaffnung seien zwar ernst genommen worden, hät-ten aber im großen und ganzen keinen Einfluß auf die militärischen Opera-tionen der Ägypter gehabt. Die militärischen Ziele Ägyptens seien von An-fang an streng begrenzt gewesen. Es gibt klare Hinweise darauf, daß auchSyrien seiner Armee einen sehr begrenzten Auftrag gab: Sie kam mehr alseinen Tag vor Golda Meirs Küchenkabinettssitzung in Tel Aviv (auf der dienukleare Mobilmachung beschlossen wurde) zum Stillstand, und zwar ohneeinen Gegner vor sich zu haben. Man muß wohl davon ausgehen, daß diesyrischen und ägyptischen Militärstrategen wußten, daß jedes tiefe Eindrin-gen über die Grenzen von vor 1967 hinaus einen massiven, vielleicht atoma-ren Gegenangriff ausgelöst hätte. Daß ein solcher Vormarsch nicht geplantoder unternommen wurde, hatte viel mehr mit dem Mythos der militärischenUnbesiegbarkeit der Israelis als mit Befürchtungen wegen der Kernwaffenaus Dimona zu tun.

6 Bei dem Treffen mit Elazar wurde Talbott von Oberst Bruce Williams beglei-tet, dem amerikanischen Heeresattache in Israel. Auch Williams hatte ElazarsBemerkungen als sehr aufschlußreich in Erinnerung: -Ich weiß nicht mehrwörtlich, was er sagte, aber es war unmißverständlich: Israel sei bereit zumEinsatz von Atomwaffen gegen die Syrer gewesen, wenn diese den Durch-bruch geschafft hätten.«

7 Eine dieser gemeinsamen Anlagen (im Hermon-Gebirge nördlich der Golan-höhen) wurde in den ersten Kriegstagen von den Syrern überrannt. Laut ei-nem früheren israelischen Geheimdienstler waren innerhalb von fünfzehnMinuten sowjetische Hubschrauber da, und die Besatzungen bauten die Ge-räte ab. Es war ein herber Verlust. Nicht weniger als sieben unterirdischeStockwerke waren vollgepackt mit den empfindlichsten Lausch- und Auf-zeichnungsapparaturen, die nun alle in sowjetische Hände fielen. Nach demKrieg forderte Israel die Rückgabe der zerstörten Anlage.

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Kapitel 18

Bibliographische Hinweise

John Fialka, der damals für den Washington Star arbeitete, und David Burnham,damals bei der New York Times, schrieben ausführlich über Zalman Shapiro, vgl.Burnhams Beitrag -The Gase of the Missing Uranium« in Atlantic Magazine (April1979). Beide Reporter stellten wiederholt Fragen nach Shapiros Aktivitäten, be-tonten aber auch, daß ihm kein Fehlverhalten zur Last gelegt werden konnte.Einen ganz anderen, eher konventionellen Ansatz bietet James Adams, TheUnnatural Alliance (Quartet Book, London, 1984), der die Behauptung aufstellt(S. 152), Shapiro sei ein Agent des Mossad gewesen. Nicht viel besser ist dasBuch von Andrew und Leslie Cockburn, Dangerous Liaison (Harper Collins, NewYork, 1991), vgl. Kapitel 4: -A Sword for Damocles«. Die Dokumente und Berich-te, die darin zitiert werden, sind nach dem Freedom of Information Act freizugänglich - Tausende von Seiten über NUMEC und die damit verbundenen Pro-bleme. Zalman Shapiro wurde wiederholt telefonisch von Pittsburgh aus inter-viewt; das erste Interview fand am 12. April 1991 statt. George Murphy wurdetelefonisch am 30. Mai 1989 und danach interviewt. James Lovett wurde am11. Juli 1991, James Cbran am 16. Juli 1991 interviewt. Victor Gilinsky wurde am12. Juni 1989 in einem Vorort von Maryland und später telefonisch interviewt.Cynthia Virostek wurde telefonisch am 17. Juli 1991 interviewt; sie hat ausführ-liche Akten über NUMEC angelegt. Der Verfasser möchte ihr auf diesem Wege fürihre großzügige Hilfe danken. Das zitierte Dementi von Jody Powell wurde am26. Oktober 1977 in der New York Times in dem Artikel »White House DiscountsAllegations About Israeli Theft of Uranium« von Charles Mohr veröffentlicht.Ducketts TV-Auftritt erfolgte in der Sendung ABC News Closeup, »Near Armaged-don: The Spread of Nuclear Weapons in the Middle Hast- am 27. April 1981. Hen-ry Myers sprach mit dem Verfasser am 17. November 1980 zum ersten Mal überNUMEC und Shapiro, und später noch einige Male. Peter Stockton sprach mitdem Verfasser am 26. Januar 1988 zum ersten Mal über Shapiro. Über die Bereit-stellung von Geldern für die Entseuchung der NUMEC-Anlage durch den Kon-greß berichtete UPI Internationalam 28. Oktober 1990 unter dem Titel »CongressOKs Money for Cleanup of Nuclear Site«. Die Schätzung, daß mehr als 100 Kilo-gramm Uran wiedergewonnen wurden, stammt von einem leitenden technischenBeamten der Nuclear Regulatory Commission, der die Rechenschaftsberichte vonBabcock & Wilcox an die NRC begutachtete. Berichte dieser Art sind nach demFreedom of Information Act zugänglich.

Anmerkungen

l Cynthia A. Virostek, eine Hausfrau aus Apollo, unternahm eine Kampagne,um der Öffentlichkeit das potentielle Risiko einer Verseuchung durch dieAufbereitungsanlage bewußt zu machen. 1990 wurde sie in den Stadtrat ge-wählt, vor allem aufgrund der Wirkung ihres Protests. Mrs. Virostek war da-mals 35 Jahre alt; sie lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen nur 150 Meter

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von der Babcock & Wilcox-Anlage entfernt. Ihr Protest wurde Anfang derachtziger Jahre durch die Ankündigung des Unternehmens ausgelöst, manwolle die Anlage entseuchen. -Das hat mir sozusagen die Augen geöffnet«,erklärte Mrs. Virostek. -Ich fing an, Fragen über die Anlage zu stellen, aberich bekam keine Antwort.« Sie begann eine erbarmungslose Kampagne mitAnfragen, berief sich auf die Informationsfreiheit und wollte Informationenan die Öffentlichkeit bringen. In einer Untersuchung des Gesundheitsamtesvon Pennsylvania wurde Mrs. Virostek zufolge schließlich festgestellt, daß inihrem Wohnort die statistische Zahl der Krebstoten deutlich höher lag als inden anderen Orten der unmittelbaren Umgebung.

Kapitel 19

Bibliographische Hinweise

Ari Ben-Menashe nahm im August 1990 erstmals Kontakt mit dem Verfasser auf.Das erste Interview fand am 11. April 1991 in Cincinnati, Ohio, statt. Später wurdeer in Washington und sehr häufig telefonisch interviewt. Für eine umfassende Dar-stellung von Menachim Begins Charakter vgl. Amos Peremutter, The Life and Timesof Menachim Begin (Doubleday and Company, Garden City, New York, 1987).Malcolm Toon wurde am 20. Mai 1991 telefonisch interviewt; auf der Grundlagedes Freedom of Information Act konnte der Verfasser Einblick in das Telegrammüber den Senatorenbesuch nehmen, das Toon nach Washington sandte. Die Fuß-note über Vanunu und die Zurückweisung der Senatorengruppe wurde in TripleCrosszitiert. George Rathjens wurde am 25. März 1989 und später telefonisch inter-viewt. Bergmanns Rede in Südafrika wird u. a. in The Unnatural Alliance zitiert.Vorsters Besuch in Israel erregte seinerzeit einiges Aufsehen; vgl. den Artikel -Vor-ster Visit to Israel Arouses Criticism« von Terence Smith in der New York Times,18. April 1976. Die beste Darstellung der diplomatischen Bemühungen der Carter-Administration anläßlich des Kalahari-Tests im Jahre 1977 stammt von Murrey Mar-der und Don Oberdorfer von der Washington Post. Ihre Story wurde am 4. Septem-ber 1977 auch im Philadelphia Inquirerauf S. l unter dem Titel «How the PowersStopped a Test« veröffentlicht. Die CIA-Einschätzung des versuchten Tests wurdedem Natural Resources Defense Council nach dem Freedom of Information Actübergeben, der sie wiederum am 26. September 1990 der Presse zugänglich mach-te. Harald Brown sprach am 26. April 1991 mit dem Verfasser telefonisch über dasisraelische Ersuchen einer gemeinsamen strategischen Zielbestimmung.

Anmerkungen

l Das Hotel diente den Briten als Hauptquartier in Jerusalem. Der Bombenan-schlag war nach monatelanger Planung die Rache für eine Säuberungsak-tion, die die Briten aus Sicherheitsgründen gegen die jüdische Widerstands-bewegung in Palästina durchgeführt hatten. Bei der Säuberungsaktionwaren zahlreiche Personen verhaftet und einige Waffen beschlagnahmt wor-

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den. Durch die Explosion im Hotel kamen 82 Menschen ums Leben, darun-ter 40 Araber und 17 Juden. Der Anschlag wurde von der Weltöffentlichkeitscharf verurteilt. Die Briten reagierten eine Woche später: Sie exekutiertendrei mutmaßliche Irgun-Terroristen durch den Strang, woraufhin Begin dieHinrichtung zweier britischer Feldwebel befahl, die sich in Gefangenschaftseiner Terrorgruppe befanden.

2 Ben-Menashe arbeitete mehr als zehn Jahre lang in der Abteilung für Aus-wärtige Beziehungen der israelischen Streitkräfte, einem der heikelsten Äm-ter der israelischen Geheimdienste. Nach eigenem Bekunden verließ er 1987das Ministerium und arbeitete als Berater für Geheimdienstangelegenheitendirekt für Premierminister Yitzhak Shamir. Im Jahre 1989 wurde er in denVereinigten Staaten verhaftet und wegen Verschwörung gegen das Gesetzzur Kontrolle des Waffenexports angeklagt. Ihm wurde vorgeworfen, er ha-be versucht, amerikanische Militärflugzeuge aus israelischem Besitz vomTyp C-130 an den Iran zu verkaufen. Im November 1990 wurde er von ei-nem Bundesgericht in New York City freigesprochen. In den Vorverhandlun-gen und in der Gerichtsverhandlung legte die israelische Regierung eine Rei-he widersprüchlicher Einlassungen über Ben-Menashe vor, der behauptethatte, der illegale Verkauf sei von seiner Regierung und den VereinigtenStaaten genehmigt worden. Die israelische Seite hatte ursprünglich dem Ge-richt gegenüber erklärt, Ben-Menashe sei ihr unbekannt; später beschuldigtesie ihn, die vier Empfehlungsschreiben gefälscht zu haben, die er bei seinemWeggang aus dem Ministerium bekommen hatte. Israel gab schließlich zu,daß die Schreiben echt seien, stellte dann aber Ben-Menashe als einfachenÜbersetzer bei den israelischen Nachrichtendiensten hin. Ben-Menashe warfseinerseits seiner Regierung Verrat vor, nachdem sie vor Gericht erklärt hat-te, er habe illegal als Waffenhändler gearbeitet. Ben-Menashe begann, öf-fentlich über seine angebliche Verwicklung in genehmigte Waffenverkäufean den Iran im Wert von Hunderten von Millionen Dollar in den frühen acht-ziger Jahren zu sprechen. Die Verkäufe seien unter Geheimhaltung von derReagan-Administration genehmigt worden. Er beschuldigte Robert M. Gates,einen hohen Geheimdienstbeamten unter Reagan, von 1986 bis 1989 trotzisraelischer Proteste direkt mit dem Verkauf von Waffen, darunter auch che-mischen Waffen, an den Irak befaßt gewesen zu sein. Ben-Menashes Be-hauptungen wurden sowohl von Washington als auch von Jerusalem scharfzurückgewiesen; die Untersuchung der Affäre durch den Kongreß war imSommer 1991 noch nicht abgeschlossen.Ben-Menashe nahm Mitte 1990 mit dem Verfasser Kontakt auf. Anfang 1991fanden erste Interviews mit Ben-Menashe über das israelische Nukleararse-nal und über seine Aktivitäten in den israelischen Nachrichtendiensten statt.Im Juni verließ Ben-Menashe die USA und lebt heute in Australien im Exil.Er stimmte - im Gegensatz zu allen anderen zitierten Israelis - der Nennungseines Namens im Zusammenhang mit Nuklearfragen und anderen Angele-genheiten in diesem Buch zu.

3 Mordecai Vanunu erklärte in einem seiner vielen Interviews mit der Londo-ner Sunday Times, er habe an einer Wand in Trakt 2 der chemischen Kern-spaltungsanlage in Dimona einen Zeitungsausschnitt entdeckt, den vermut-lich ein Witzbold angeklebt habe. Der Artikel habe von der Zurückweisungder Senatorengruppe gehandelt.

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4 Victor Gilinsky, Mitglied der Nuclear Regulatory Commission, erzählte, daßer kurz nach der Verabschiedung des Gesetzes an einer Dinnerparty in Wa-shington teilgenommen habe. Dort habe Symington in einer informellen Re-de erklärt, wie wichtig es sei, die Proliferation zu begrenzen. -Als er sichwieder gesetzt hatte-, sagte Gilinsky, -fragte ich ihn: »Und was ist mit Israel?'Der Senator antwortete: 'Oh, sie brauchen sie. Seit dreißig Jahren erkläre ichDayan, daß sie sich die Bombe beschaffen müssen.»

5 Vorsters Besuch fand im April 1976 statt und wurde von der OrganisationAfrikanischer Staaten (OAS), der Arabischen Liga, die ihren Sitz in Kairo hat-te, der Sowjetunion und den Niederlanden scharf verurteilt.

6 Das Wort Valindaba stammt aus dem afrikanischen Sotho-Dialekt und be-deutet -Die Beratung ist zu Ende- oder «Das Gespräch ist zu Ende-.

7 Die Gruppe der Nuklearlieferanten - die nach dem indischen Atomtest von1974 gegründet worden war - wurde nicht ohne Grund von Staaten derDritten Welt beschuldigt, eine Art internationales Kartell bilden zu wollen,um die Führungsposition der Großmächte zu sichern. Auch wurde behaup-tet, die Abkommen verstießen gegen die Zusagen, die den Nichtbesitzernvon Atomwaffen in Artikel 6 des Atomwaffensperrvertrags gemacht wordenseien. In diesem Artikel würden alle Unterzeichner ausdrücklich dazu aufge-rufen, -den weitestmöglichen Austausch von Ausrüstungen, Materialien so-wie wissenschaftlicher und technologischer Informationen für den friedli-chen Nutzen der Kernenergie- zu erleichtern. Der Vertrag enthalte auch denAufruf, den «Bedürfnissen der Entwicklungsregionen der Welt- besondereAufmerksamkeit zu widmen.

8 Sadat traf sich privat mit Begin kurz nach seiner Ankunft in Jerusalem. DerDarstellung eines israelischen Beamten zufolge habe Sadats erste Frage demisraelischen Atomarsenal gegolten. Ein Israeli, der in eine erstklassige Zu-sammenfassung der Gespräche zwischen Begin und Sadat Einblick nehmenkonnte, erklärte, der Ägypter habe die Zusicherung erreichen wollen, daßIsrael keine Atomwaffen gegen Ägypten einsetzen würde, wenn ein Frie-densvertrag zwischen den beiden Staaten unterzeichnet werden sollte. Be-gin habe darauf nicht geantwortet.

9 Ein hoher Beamter der amerikanischen Nachrichtendienste erinnerte sich,daß die Franzosen verschiedentlich ähnliche Forderungen an das Pentagongerichtet hätten. Dabei sei es um gemeinsame nukleare Zielbestimmung undAustausch von Nachrichtenmaterial gegangen. Die Bitten seien stets sofortabgelehnt worden, ohne daß die Vorgänge auf der Ebene des Verteidigungs-ministers behandelt worden seien. So sei auch mit dem Vorschlag von Avra-ham Tamir verfahren worden. -Es war klar, daß niemand vor den FranzosenAngst hatte-, sagte der Beamte, -aber sie hatten Angst vor den Israelis. Wiralle wußten, daß die Franzosen keine Beziehungen durch die Hintertür(zum Weißen Haus) hatten-, wie das bei den Israelis der Fall war.

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Kapitel 20

Bibliographische Hinweise

Es gibt ausgezeichnete Kritiken des Versuchs des Weißen Hauses, durch die Rui-na-Kommission den israelisch-südafrikanischen Atomtest aus der Welt zu zau-bern; vgl. -The September 22, 1979, Mystery Flash: Did South Africa Detonate aNuclear Bomb?- Unveröffentlichte Studie des Washington Office on Africa Educa-tional Fund vom 21. Mai 1985. Autor der Studie war Ronald Walters von derHo-ward University. Ferner die unveröffentlichte Studie von Gary Milhollin (Bezugdurch Wisconsin Project in Washington, D.C.), «The Vela Sighting in 1979". Ste-phen Green nimmt in seinem Buch Living by the Sword (Amana Books, Brsttle-boro, Vermont, 1988) auf S. 111 ff. den Bericht der Ruina-Kommission auseinan-der. Gerald Oplinger wurde am 9. Januar 1991 in seinem Haus in einem Vorortvon Virginia interviewt. Spurgeon Keeny wurde am 24. März 1989 in Washingtonund danach häufig per Telefon interviewt. Hodding Carter und Jack Ruina *oir-den am 2. August 1991 telefonisch interviewt. Für Details über den Besuch desSchahs in den Vereinigten Staaten vgl. Gary Sick, a. a. O. John Scali wurde am6. August 1991 telefonisch interviewt. Die bizarre Erklärung von Admiral Salterwird in dem Artikel «Pretoria Suggests Cause of 'Explosion'- von John F. Burnszitiert, der am 28. Oktober 1979 in der New York Times erschien. Die zitierte Be-merkung von P. W. Botha stand am 26. September 1979 auf S. 2 der Rand DailyMail unter der Überschrift "SA could have secret weapon, hints PW-. Der Berichtder Ruina-Kommission vom 15. Juli 1979 wurde vom Office of Science and Tech-nology Policy im Weißen Haus freigegeben. Der schmucklose Titel lautete -AdHoc Panel Report on the September 22 Event.- Harold Agnew wurde am 7. Sep-tember 1990 telefonisch interviewt. Louis Roddis wurde am 7. Mai 1991 undDo-nald Kerr am 13. Februar 1991 telefonisch interviewt. Joseph Nye wurde am 2.Januar 1991 kurz telefonisch interviewt.

Anmerkungen

l Brzezinski war, einem seiner Berater zufolge, an Fragen der Proliferationoder des atomaren Brennstoffkreislaufs nie sonderlich interessiert. PräsidentCarter hatte einen Aufschrei der Entrüstung ausgelöst, als er das von Präsi-dent Ford 1976 verhängte Verbot einer kommerziellen Wiederaufbereitungverbrauchter Brennelemente für Kernreaktoren verlängerte. Die Entschei-dung Carters entsprang seiner Besorgnis um die Umwelt und die Prolifera-tion. Die amerikanische Kernkraftindustrie hielt die Entscheidung für töricht,da sie die Absatzchancen amerikanischer Reaktoranlagen und Ausrüstungenauf der ganzen Welt beeinträchtigte. Die Berater Brzezinskis im NSC warenkeineswegs sicher, ob er verstanden hatte, worum es ging. Oplinger erinner-te sich an eine Begebenheit aus der Anfangszeit der Carter-Administration.Brzezinski habe sich einmal durch Jessica Tuchman informieren lassen, Op-lingers Vorgängerin im NSC-Stab. Er habe ihrer Beschreibung des nuklearenBrennstoffkreislaufs zugehört. Sie habe mit der Einführung der Brennele-

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mente in den Reaktor begonnen und mit der Wiederaufbereitung der abge-brannten Elemente geschlossen. -Zbig hörte die ganze Zeit zu-, erzählte Op-linger. -Dann fragte er: Okay. Aber erklären Sie mir mal - woher kommtdenn nun die Energie?" Brzezinski erwähnte in seinen 1983 veröffentlichtenMemoiren Power and Principle das VELA-Ereignis nicht.

2 Der Schah erhielt am 22. Oktober die Einreiseerlaubnis in die VereinigtenStaaten, um sich medizinisch behandeln zu lassen. Die Erlaubnis löste eineneue Welle antiamerikanischer Proteste in Teheran aus und führte schließ-lich am 4. November zur Besetzung der amerikanischen Botschaft; die Gei-sel-Affäre im Iran hatte begonnen, durch die Jimmy Carter eine entschei-dende politische Niederlage erleiden sollte. Nicholas Veliotes war damalsStaatssekretär für Angelegenheiten des Nahen Ostens und Südasiens. Er be-richtete, daß der entmachtete Staatschef während der angespannten Ver-handlungen vor der Einreise vertraulich eingestanden habe, mit den Israelisüber den Kauf von Langstreckenraketen verhandelt zu haben. Es habe sichum Trägerraketen für nukleare Gefechtsköpfe gehandelt. -Er sagte, die Is-raelis hätten ihn gebeten, uns nichts davon zu sagen-, fügte Veliotes hinzu.Seine Information wurde, wie die meisten anderen Informationen über dieisraelischen Atompläne, anderen amerikanischen Beamten nicht weiterge-geben.

3 Nach dem Krieg von 1973 bauten die israelischen Streitkräfte mindestensdrei kernwaffenfähige Artilleriebataillone auf, von denen jedes mit zwölf175-mm-Geschützen auf Selbstfahrlafetten ausgerüstet wurde. Die Bataillonewurden als Teil der strategischen Reserve Israels angesehen und operiertenauf der Grundlage einer direkten Befehls- und Kontrollverbindung: Nuklear-granaten konnten auf direkten Befehl des Premierministers abgefeuert wer-den, wobei der Befehl über den Verteidigungsminister, den Stabschef derArmee und den Einsatzleiter an den Kommandanten des Artilleriebatailloneweitergegeben wurde. Im Unterschied zu normalen Einsätzen war eine Be-fehlsbestätigung durch einen Offizier des regionalen Hauptquartiers, desKorps, der Division oder der Brigade nicht erforderlich. Ehemalige israe-lische Armeeoffiziere erklärten, daß im Laufe der Zeit mindestens drei nu-kleare Artilleriegranaten für jedes Geschütz eingelagert wurden - insgesamt108 Gefechtsköpfe. Zusätzlich wurden Gefechtsköpfe für die 203-mm-Ge-schütze bereitgestellt.

4 Carter war wegen seiner Haltung zur Proliferation und zu den Menschen-rechten im Pentagon alles andere als populär.

5 Eines der seltsamsten Dementis, die in dieser Kontroverse abgegeben wur-den, war die Äußerung des südafrikanischen Vizeadmirals J. C. Walters, derBlitz sei möglicherweise durch einen Unfall an Bord eines sowjetischenAtom-U-Boots verursacht worden. In der Stellungnahme des Admirals hießes, eine sowjetische Verwicklung sei -eine realistische Möglichkeit-, Wie dieNew York Times berichtete, habe Salter seine Ausführungen mit Billigungvon Premierminister P. W. Botha gemacht, der gleichzeitig südafrikanischerVerteidigungsminister war. Der Admiral bot keine Fakten an; seine Behaup-tung war für einen Kalten Krieger typisch und geriet bald wieder in Verges-senheit.

6 Victor Gilinsky war 1979 noch immer in der Nuclear Regulatory Commis-sion tätig. Er erinnerte sich, daß er sich in einer offiziellen Besprechung

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danach erkundigte, ob im Indischen Ozean Schiffe stationiert gewesen wä-ren. Die Antwort lautete nein. Am nächsten Tag habe er dann erfahren,daß dort Schiffe in See waren. Gilinsky war nicht überrascht, als die Ruina-Gruppe zu dem Schluß kam, daß wahrscheinlich kein Atomversuch stattge-funden habe: »Alle wählten die bürokratisch passendste Erklärung.-

Kapitel 21

Bibliographische Hinweise

Das einzige Buch über die Pollard-Affäre ist Territory of Lies von Wolf Blitzer(Harper & Row, New York, 1989), in dem auf professionelle Art alle bekanntenund veröffentlichten Informationen über den Fall zusammengefaßt sind. Blitzerübernimmt jedoch unbesehen zu viele Aussagen Pollards. Viele wesentliche De-tails über Pollards frühe Lebensabschnitte stammen von Blitzer und aus damali-gen Presseberichten. Samuel Lewis wurde am 22. September 1991 über die Be-sprechung im Weißen Haus befragt. Sharons strategische - und törichte - Vision,die der israelischen Invasion des Libanon zugrunde lag, kommt am deutlichstenin einem Buch von Ze'ev Schiff und Ehud Ya'ari zum Ausdruck: Israel's LebanonWar (Simon and Schuster, Touchstone, New York, 1984). Sharons Rede vom15. Dezember 1981 kann in gekürzter Form von der israelischen Botschaft in Wa-shington bezogen werden; der Text war ursprünglich in einem Pressebulletin derBotschaft herausgegeben worden. Ausführlicher über die Stern-Organisation in-formiert Mordechai Schreiber in seinem Buch Wanted (Shengold Publishers, In-corporated, New York, 1984) auf S. 142.

Anmerkungen

1 Eitan hatte diesen Spitznamen der Gewohnheit zu verdanken, seine Sockennicht zu wechseln; dafür war er 1948 im israelischen Unabhängigkeitskriegberüchtigt gewesen.

2 Hofi stand Ariel Sharon schon seit dem Sueskrieg, in dem sie zusammen alsFallschirmjäger gedient hatten, kritisch gegenüber. Nach der Invasion des Li-banon brachte er seine Mißbilligung gegenüber Sharons Politik durch einenungewöhnlich offenen Brief an die israelische Presse zum Ausdruck, derauch publiziert wurde. In diesem Brief warfen Hofi, der frühere StabschefMordechai Gur und andere Offiziere außer Dienst Sharon vor, er habe inden fünfziger Jahren und während des Sueskriegs wiederholt Befehle ver-weigert und sich feige verhalten.

3 Yair Stern hielt den Kampf der Juden gegen die Briten für wichtiger als denWeltkrieg gegen die Achsenmächte. Die Führer der Organisation unternah-men 1940 für kurze Zeit den Versuch, ein Abkommen mit dem Dritten Reichzustande zu bringen. Durch dieses Abkommen sollte die illegale Ansiedlungvon Juden aus Deutschland und dem übrigen Europa in Palästina möglichwerden. Die Juden sollten dann dort gegen die Briten kämpfen. Die Kriegs-

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anstrengungen der Briten wurden von David Ben Gurion und sogar von derrivalisierenden Terroristengruppe Irgun unterstützt; 1943 übernahm Mena-chem Begin die Führung der Irgun-Gruppe. (Der Gründer der Organisation,David Raziel, war sogar hochrangiger Offizier eines britischen Geheimdien-stes und trug zum Zeitpunkt seines Todes bei einem Einsatz im Irak 1941eine britische Uniform.) Die Stern-Gruppe beugte sich dem Druck nicht undweigerte sich, auf der Seite der Alliierten zu kämpfen. Sie nahm einmal sogardirekten Kontakt mit Otto von Hentig auf, einem Repräsentanten des deut-schen Außenministeriums. Allerdings blieben die Bemühungen ohne Ergeb-nis. In seinen Memoiren erwähnt von Hentig eine Begegnung mit einer jü-dischen Delegation (der Stern-Gruppe), die Kooperation mit den Nazisangeboten habe. Sie habe im Grunde zugesagt, im Krieg gegen ihre zionisti-schen Landsleute, die auf der Seite der Alliierten standen, zu kämpfen, wennHitler die Unabhängigkeit eines jüdischen Palästina nach dem Krieg zusi-cherte. Ähnliche Gespräche führten Abgesandte der Stern-Organisation auchin Benito Mussolinis Italien. Die Italiener sollten Durchgangslager einrichten,Transitrechte für die jüdischen Flüchtlinge einräumen und ihnen Waffen zurVerfügung stellen. Als Gegenleistung wollte die Stern-Gruppe dazu beitra-gen, den italienischen Einfluß im Nahen Osten zu stärken.

Kapitel 22

Bibliographische Hinweise

Peter Hounan wurde am 30. Juli 1991 von London aus interviewt; weitere Inter-views folgten. Der zitierte Artikel im Sunday Mirror wurde von Tony Frost, MarkSouster, Richard Brecher und Geoff Garvey verfaßt und erschien am 28. Septem-ber 1986. Der Artikel enthielt gut sichtbar ein Foto von Vanunu und daneben dasFoto des Reaktors in Dimona von außen. Die Story selbst wurde zwar auffälligdargeboten, jedoch tief im Innern der Zeitung versteckt. Nicholas Davies (nichtverwandt mit Nick Davies, einem früheren Reporter des Londoner Independeni)wurde telefonisch am 26. Juli 1991, Janet Fielding ebenfalls telefonisch von Lon-don aus am 5. August 1991 interviewt. Peter Miller wurde telefonisch von Londonaus am 21. und 22. August 1991 interviewt. John Parker wurde am 9. August 1991in Washington interviewt. Tony Frost wurde am 6. August 1991 und später telefo-nisch aus Newcastle, England, interviewt. Material über Millers Rechtsstreitigkei-ten mit Maxwell und dem Sunday Mirror sowie über Frosts Entscheidung, seineEntlassung nicht anzufechten, stammt aus dem UK Press Digest vom 29. August1991: »Sacked Mirror Man Finds Place in Sun- von Jean Morgan.

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Anmerkungen

1 Watters war nicht überrascht, als er erfuhr, daß Davies im Zeitungsgeschäftwar. "Wenn er anrief, war im Hintergrund immer Stimmengewirr undSchreibmaschinengeklapper zu hören. Ich fragte mich immer, wo er wohlsteckte.- Ehe sich Watters bereit erklärte, die Zentrale für die Ora Limitedeinzurichten, versuchte er, Näheres über Ben-Menashe und dessen Londo-ner Firma herauszufinden. Watters hatte einen Vertrag für Kommunikations-forschung mit der US Border Patrol und setzte sich mit einem dort arbeiten-den Freund in Verbindung. Der Freund wiederum vermittelte einen Kontaktzu Beamten des Justizministeriums. -Sie sagten: >Nur zu. Machen Sie das, waser Ihnen sagt. Halten Sie uns nur auf dem laufenden.»

2 Miller wurde im November 1990 gefeuert, nachdem ihm zunächst Pflichtver-säumnisse vorgeworfen worden waren und er später beschuldigt wurde, ge-meinsam mit Frost und einem weiteren Mitarbeiter des Sunday Mirror einFoto von Lady Diana, der Prinzessin von Wales, auf dem diese mit dem ame-rikanischen Schauspieler John Travolta tanzt, an die Konkurrenz verkauft zuhaben, nachdem es im Mirror veröffentlicht worden war. Miller, heute Her-ausgeber mehrerer Londoner Zeitungen und Zeitschriften, protestierte ge-gen seine Entlassung, und im Juni 1991 gewann er vor dem britischen Ar-beitsgericht einen Prozeß wegen unrechtmäßiger Entlassung. Das Gerichtberatschlagte von August 1991 an, welche Summe dem zu Unrecht entlasse-nen Redakteur zustand. Frost wurde von Maxwell ebenfalls entlassen, setztesich aber nicht gegen seine Entlassung zur Wehr. Er ist heute stellvertreten-der Herausgeber der Sunday Sun in Newcastle.

3 Malloy erklärte, er wisse nichts von Davies' Verbindungen zu den Israelis,bezeichnete ihn aber als -eine Art persönlichen Diener Maxwells. Bob reistimmer mit Gefolge, und Nick gehörte dazu.« Davies, so Malloy, -war ein Un-ternehmertyp - nebenbei verkaufte und kaufte er«.

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Namenregister

Adenauer, Konrad 130Agnew, Spiro 240, 291Allem, Yigal 181, 270Angleton, James 152-155, 246, 260Arens, Moshe 307-308Aronson, Schlomo 186

Bar-on, Hanan 316Barbour, Walworth 167-170, 174,

176, 178-180, 187, 192, 219Begin, Menachem 10, 16-17, 21,

175, 193, 268-269, 278, 286,297-298, 307

Ben Gurion, David 25, 27, 34-35,39-41, 44-45, 47, 6l, 75, 84, 99,107-109, 111-112, 114, 117-118,121, 123, 127-131, 136-137, 143,147-150, 175, 193, 286

Ben, Max 173Ben-Menashe, Ari 269, 273-274, 285,

304, 307, 309-310, 321-324, 327Bergmann, Ernst David 24-25, 28-32,

34-35, 50, 65, 67, 91, 93, 99,109-110, 143, 148, 150, 173, 182, 258

Bethe, Hans 215Blumberg, Binyamin 138, 146, 214,

259, 299Breschnew, Leonid 240Brown, Harald 279, 289Brugioni, Dino A. 53, 58-59, 6l,

96-97, 155, 165-166Brzezinski, Zbigniew 282-283, 288Bulganin, Nikolai 47Bull, Gerald 224Bundy, McGeorge 105, 132, 139, 140,

157-158Bush, George 15, 247, 329-330

Carter, Jimmy 9-10, 269, 275-276,278-279, 284, 291, 293-294

Casey, William 18-19, 23Cella, Glenn 221-222Chamouns, Camille 57Chruschtschow, Nikita 79, 108Clifford, Clark 101, 197, 199-200Colby, William 238Conran, James 260-261Cowan, George 215Cox, Archibald 240Crawford, William R. 106, 112Culler, Floyd 138, 140, 206, 218-219

Dale, Wüliam 169, 172-174,176-177

Davies, Nicholas 321-322, 324-325,327-328

Dayan, Moshe 39, 44, 123, 136, 147,175, 183-185, 187-188, 193, 197,226, 229, 231-232, 234, 274

Deshalit, Amos 31, 85Deshalit, Meir 152Dinitz, Simcha 235Doren, Charles van 220Ducken, Carl 165-166, 195-196,

220, 222, 243, 247-249, 256, 26l,263-265, 270, 293

Dulles, John Foster 56, 60

Eban, Abba 200Eden, Anthony 47Eisenhower, Dwight D. 27, 44,

47-48, 53, 57, 59, 6l, 78-79,89-90, 92, 94, 112, 121, 124,187

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Eitan, Raffael (Rafi) 299, 304, 306,308, 312

Elazar, David 244Eider, Walter 111-112el-Gamasy, Ghany Abdel 234Ellsberg, Daniel 159Eschkol, Levi 43, 72, 85, 91, 123,

129, 131, 136, 139-144, 146-147,149-150, 162, 170, 175, 185, 191,193-194

Faruk, König 26Feinberg, Abraham 32, 73, 99-102,

104, 106-107, 109, 115, 118, 133,169, 198, 200-202, 205

Feldman, Myer 104-105, 115,117, 201

Fielding, Janet 323Finney, John 163Flapan, Simha 145-146Ford, Gerald 246Fox, Raymond 96Freier, Shalheveth 227

Gallili, Israel 232Gallois, Pierre 50Garment, Leonard 315-318Gaulle, Charles de 35, 65-66, 74-75,

126, 132, 183, 272Gilinsky, Victor 26lGoldschmidt, Bertrand 36-38

Hoover, Edgar 260Hounam, Peter 321Hussein, König von Jordanien 299Hyland, William 237

Jabotinsky, Vladimir 193Jenkins, Walter 201Jessup, Peter 245Johnson, Lyndon B. 91, 105,

132-135, 139-142, 147, 151, 157,159-162, 168-169, 175, 191-192,194, 197, 199-201, 256

Joliot-Curie, Frederic 33Jones, Curtis 223

Kafkafi, Jeruham 265Katzir, Aharon 214, 226Kaysen, Carl 92, 104Keating, Kenneth 230Keeny, Spurgeon 292Kennedy, John F. 81, 91, 95,

99-109, 111-114, 117-118, 121,123-124, 127, 130-132, 143, 158

Kennedy, Robert 111, 161Kerr, Donald 291Kissinger, Henry 177, 185-186,

217-218, 220, 230, 234-242,245

Kollek, Teddy 193Kossygin, Alexei 239Kramish, Arnold 178Krim, Arthur 201

Hadden, John 172, 263, 266Haig, Alexander 15, 20Halperin, Moiton 218Halpern, Samuel 154Hanin Bentov, Cindy 207, 327HaugeJensC. 109-110Heikai, Mohammed 234, 238Helms, Richard 195-196, 222,

256Heiter, Christian 80, 86Hickenlooper, Bourke B. 86Hiüer, Adolf 229Ho Chi Minh 42Hofi, Yitzhak 15, 17, 307

Lavon, Pinhas 39-40, 85,128Leinsdorf, Erich 133Leor, Yisrael 232Lewis, Samuel 296-298, 306Long, David 223Lovett, James 257Lowenthal, David 256, 265Lubrani, Uri 12Lundahl, Arthur C. 53, 59-61,

Malloy, Michael 325Mark, Herman 31

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Marshall, Andrew 278-279Maxwell, Robert 324, 326-327McCone, John 99, 111-114, 124,

141, 158-159, 171McNamara, Robert 115, 157-158, 197Meir, Golda 45, 123-124, 128-130,

143, 180, 211, 229, 232-233, 236,241

Mendes-France, Pierre 42Mollet, Guy 42, 47, 49Myers, Henry 264

Nasser, Gamal Ab del 26, 41, 44,46, 48, 59, 6l, 106, 109-110,114, 136-137, 142, 146, 174, 187,229

Neeman, Yuval 241Nixon, Richard 179, 217-218, 220,

230, 234, 236, 240-241, 256, 315Nye, Joseph 294

Oplinger, Gerald 282-283, 320Oppenheimer, J. Robert 89-90, 97

Peled, Elad 186, 218Peres, Shimon 25, 31, 34-35, 42,

48, 68, 71, 73, 76, 99, 123, 125,136, 141-142, 147, 163, 207, 216,246, 274, 286, 296, 308, 324

Podgorny, Nikolai 183Pollard, Jonathan 295-297, 302-304,

307-308, 310, 312-315, 317, 319,331

Powers, Francis 79Press, Frank 283, 286-287, 290Proctor, Edward W. 95

Rodman, Peter 237Roosevelt, Franklin D. 102Rosenne, Meir 316Rostow, Walter 192, 199Rothschild, Baron Edmund 73, 169Rubinstein, Elyakim 316Ruckelshaus, William 240Ruina, Jack 286-287, 290, 292Rusk, Dean 157, 197

Sadat, Anwar el 10, 229-230,237-239, 246, 279

Saguy, Yehoshua 15-16, 305-306Sapir, Pinhas 72Scali, John 288Schlesinger, James 235, 238Schwanz, Harry 198-199, 202-203Seaborg, Glenn T. 157Sella, Aviem 296, 312-318Shalom, Avraham 316Shamir, Yitzhak 296-297, 307-311,

325, 330-331Shapiro, Zalman 249-251, 253-254,

256-259, 262-263, 265, 267, 269Sharett, Moshe 39-40, 44, 93Sharon, Ariel 21-22, 41, 297-301,

304, 307, 312, 331Smith, Hedrick 220-221Stevenson, Adlai E. 101Stockton, Peter, 264, 266Strauss, Lewis 88-90, 92-94, 96,

98Symington, Stuart 126, 220, 271

Talbott, General Ortwin 244-245Teller, Edward 55, 195, 260, 264Toon, MMcolm 270Truman, Harry S. 27, 100-101Turner, Stansfield 11-12

Rabin, Itzhak 145, 175, 186, 198,203, 221, 246, 274, 278, 296, 308,311, 315

Rathjens, George 292Reagan, Ronald 14-15, 20, 297Reza Pahlawi, Schah 12Ribicoff, Abraham 270Roddis, Louis 291

Vance, Cyrus 284, 288-289Vanunu, Mordecai 206-211, 213,

215, 301, 319-321, 324-325,327

Veliotes, Nicholas 230, 235Vorsi;r, John 274-275, 286

Page 380: Seymour M. Hersh Atommacht Israel - VHOaaargh.vho.org/fran/livres/HERSHsamsond.pdfCamp David mit Präsident Anwar El Sadat zu belohnen. Diese Beamten hatten verstanden, was vielen

Wamke, Paul 197-198 Yadin, Yigael 15Watters, Robert 322 Yanv, Aharon 300Weinberger, Caspar 298 Yerdor, Reuven 227, 304-307, 309Weizman, Chaim Yiftach, Shimon 137

(auch Weizmann)30-31, 51, 93

Weizman, Ezer 286 Zadok, Chaim 315-316Wheeler, Earle 186 Zurhellen, Joseph O 178, 219