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Sicherheit versus Bewegungsfreiheit

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Page 1: Sicherheit versus Bewegungsfreiheit

34 Heilberufe / Das P� egemagazin 2014; 66 (1)

Deutscher Pflegetag 2014

Sorgfaltspflicht im Heim

Sicherheit versus BewegungsfreiheitSteigende Bewohnerzahlen und akuter Pflegekräftemangel lassen in den Heimen auch die Gefahr von Stürzen und Verletzungen steigen. Wie ist es hier um die Obhutspflicht bestellt? Die Rechtssprechung zeigt – ein Blick auf den Einzelfall bleibt unverzichtbar.

Ein Heim beziehungsweise das dort beschäftigte Personal trifft aus dem Heimunterbringungsvertrag eine

grundsätzliche Verpflichtung, ausrei-chende und geeignete Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen, um Verletzun-gen des Bewohners zu verhindern. Bei der Beurteilung des Sorgfaltsmaßstabs ist stets der Einzelfall zu betrachten. Es muss eine Güterabwägung zwischen den

zum Schutz des Bewohners angedachten Maßnahmen und den dadurch betroffe-nen Rechten erfolgen. Abhängig vom Grad der gesundheitlichen Gefährdung des Bewohners beziehungsweise der In-tensität und Dauer der Schutzvorkehrung kann die Abwägung im Einzelfall unter-schiedlich ausfallen. Die grundsätzliche Verpflichtung des Heimbetreibers zum Schutz des Bewohner vor Verletzungen soll aber nicht dazu führen, alle nur denkbaren Sicherheitsvorkehrungen zu ergreifen. Entscheidend mitzuberück-sichtigen sind stets die Grundrechte des Betroffenen, sein Recht auf Fortbewe-gungsfreiheit, auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und insbesondere seine Menschenwürde.

So hat der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 28.04.2005 (Az. III ZR 399/04) ausgeführt, dass im Einzelfall stets geprüft werden muss, ob eine spezifische Obhutspflicht bestand oder ob ein Sturz zum allgemeinen Lebensrisiko zählt. In

diesem Zusammenhang sind alle Pflichten begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, „die mit einem vernünf-tigen finanziellen und personellen Auf-wand realisierbar sind.“ Maßstab sind die erforderlichen und für Bewohner und Pflegepersonal zumutbaren Maßnahmen.Selbst bei Schwerkranken muss keine Be-obachtung/Beaufsichtigung „rund um die Uhr“ erfolgen, zumal der personelle Auf-wand hierfür angesichts der zum Teil dramatischen Personalknappheit in Al-ten- und Pflegeheimen das Pflegepersonal überfordern würde.

In beschützenden Abteilungen besondere Vorkehrung notwendig Anders sieht es in der beschützenden Ab-teilung eines Heims aus. Dort sind im Einzelfall besondere Vorkehrungen gegen eine Verletzung des Heimbewohners zu treffen. Das betont das Oberlandesgericht (OLG) München in seinem Urteil vom 23.02.2006 (Az. 8 U 4897/05). So seien beispielsweise für Bewohner der beschüt-zenden Abteilung Vorkehrungen zu tref-fen, mit denen Schädigungen durch nicht mit Temperaturreglern oder Temperatur-begrenzern ausgestattete Duschen verhin-dert werden können.

Bei einer beschützenden Abteilung han-delt es sich um eine speziell auf die Be- ©

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2-zDeutscher P� egetag

Am 24. Januar 2014 widmet sich ein Themen-block des Deutschen Pflegetags aktuellen pflege- und arbeitsrechtlichen Aspekten. Diskutieren Sie dort auch mit Dr. Annette Oberhauser über Sorgfaltspflichten im Heim.

www.deutscher-pflegetag.de

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▶ Inzwischen existiert eine sehr ausdif-ferenzierte Rechtssprechung zu den zumutbaren Sorgfaltspflichten der Heimbetreiber.

▶ Die vorliegenden Urteile schaffen ei-nen angemessenen Ausgleich zwi-schen den Bedürfnissen der Pflegebe-dürftigen und den Möglichkeiten der Pflegeheime.

FA Z IT FÜ R D I E PFLEG Edürfnisse von besonders hilflosen, inten-siv pflegebedürftigen Heimbewohnern und den darauf beruhenden Anforderun-gen an das Pflegepersonal und die Aus-stattung ausgerichtete Einrichtung. Min-destens für die beschützende Abteilung eines Pflegeheims ist zu fordern, dass die sachliche Ausstattung der Räumlichkeiten die Patienten nicht nur – soweit möglich, zumutbar und vorhersehbar – gegen be-kannte Gefahren wie häufige Stürze durch Gebrechlichkeit, sondern auch gegen spe-zielle Unfallgefahren im Nassbereich (Ba-dezimmer, Toilette) schützt.

Der Sturz als PflichtverletzungGrundsätzlich kann aus dem Sturz eines Heimbewohners nicht ohne weiteres auf eine schuldhafte Pflichtverletzung ge-schlossen werden, so dass die Beweislast in der Regel beim Heimbewohner liegt. Das gilt jedoch nicht, wenn eine von den vertraglichen Pflichten ausdrücklich er-fasste konkrete Gefahrensituation mit gesteigerten Obhutspflichten bestanden hat, deren Beherrschung einer Pflegekraft anvertraut war.

Das geht aus einem Urteil des OLG Hamm vom 05.06.2009 (Az. 26 U 27/09) hervor. Im zugrunde liegenden Fall war ein an Morbus Parkinson und den Folgen eines Schlaganfalls leidender Bewohner gestürzt und hatte sich dabei Verletzungen zugezogen. In den Pflegeunterlagen war dokumentiert, dass der Bewohner das Zimmer ohne Hilfe nicht verlassen könne, Sturzgefahr bei falscher Fußstellung be-stehe und er bereits einmal gestürzt sei.

Daher bestand nach Auffassung des Gerichts eine erhöhte Gefahrensituation mit gesteigerten Obhutspflichten, die in den von der Pflegeeinrichtung beherrsch-baren und zu beherrschenden Pflichten-kreis fielen. Gerade der Schutz vor derar-tigen aus der Erkrankung resultierenden Gefahren war die vertragliche Aufgabe des Heims. Dem kann nicht entgegen ge-halten werden, dass Stürze nie völlig aus-zuschließen sind. Die Gefahr war für den Heimbetreiber voll beherrschbar.

Obhutspflicht auf die üblichen Maßnahmen begrenztIm Heimvertrag werden Obhutspflichten und allgemeine Verkehrssicherungs-pflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Bewohner begründet.

Sie sollen Bewohner vor Schädigungen wegen Krankheit oder einer sonstigen körperlichen oder geistigen Einschrän-kung durch sie selbst oder durch die Ein-richtung und bauliche Gestaltung des Altenheims schützen.

Diese Pflichten sind allerdings begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maß-nahmen, die mit einem vernünftigen fi-nanziellen und personellen Aufwand re-alisierbar sind (LG Mönchengladbach, Urteil vom 31.01.2010, Az. 6 O 370/08). Dabei muss nach sämtlichen Umständen des konkreten Einzelfalls eine Abwägung zwischen der Menschenwürde und dem Freiheitsrecht des Heimbewohners und der Notwendigkeit, sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit unter Be-schränkung dieser Rechte zu schützen, getroffen werden. Beweiserleichterungen hinsichtlich des Nachweises eines objek-tiven Pflichtverstoßes des Pflegepersonals kommen in Betracht, wenn der Geschä-digte im Herrschafts- und Organisations-bereich des Schuldners zu Schaden ge-kommen ist und die den Schuldner tref-fenden Vertragspflichten (auch) dahin gingen, den Geschädigten gerade vor einem solchen Schaden zu bewahren. Dies setzt jedoch voraus, dass der Sturz entwe-der anlässlich einer konkreten Hilfsmaß-nahme erfolgt oder aber eine geschuldete Hilfeleistung versäumt worden ist. Erst dann ist der Schluss auf eine Pflichtver-letzung des Behandlungspersonals ge-rechtfertigt. Der voll beherrschbare be-ziehungsweise voll zu beherrschende Risikobereich des Heimbetreibers muss gegen den eigenen alltäglichen Gefahren-bereich des Heimbewohners abgegrenzt werden.

Darlegungslast bei PflegemängelnHinsichtlich der Darlegungslast des Heimbetreibers bei Pflegemängeln hat das LG Nürnberg-Fürth am 25.05.2012 (Az. 12 O 589/12) ein wichtiges Urteil gespro-chen. Demnach trifft einen wegen unzu-reichender Pflege auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Seniorenheim-Betreiber eine sekundäre Darlegungslast. Der Betreiber habe umfassend vorzutra-gen, dass und in welcher Weise er seinen Pflichten ordnungsgemäß nachgekom-men ist. Dafür ist im Rechtsstreit eine lückenlose und detaillierte Pflegedoku-mentation vorzulegen.

Zwar könne aus dem Umstand, dass die von der Bewohnerin erlittenen Schäden während ihres Aufenthalts in der Einrich-tung aufgetreten sind, nicht zwangsläufig auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des Heims geschlossen werden. Damit bleibt die Geschädigte (Anspruchsstellerin) grundsätzlich beweispflichtig. Diese Be-weispflicht kann aber nur soweit gehen, wie sie Einsicht in die genauen Betriebs-abläufe des Heims hat.

Wenn die Schadensursache aus der Sphäre des Heims hervorgegangen ist, kann von der Geschädigten nicht verlangt werden, die Entstehung des Schadens de-tailliert nachzuweisen. In diesem Fall oblag vielmehr dem Heim eine sekundäre Darlegungspflicht, umfassend vorzutra-gen, dass und in welcher Weise es seinen Pflichten ordnungsgemäß nachgekom-men ist. Denn der Betreiber des Pflege-heims musste über bessere Kenntnisse des Sachverhalts, also einen Wissensvor-sprung verfügen. Er durfte sich nicht mit einfachem Bestreiten begnügen, sondern hatte dezidiert dazulegen, warum die von ihm bestrittenen Behauptungen unrichtig sind. Dies folgt auch aus dem Prinzip der redlichen Prozessführung und Prozess-förderung. Das Heim war jedoch nicht in der Lage, ein pflichtwidriges und schuld-haftes Verhalten zu widerlegen. Die Vor-lage einer lückenlosen und detaillierten Pflegedokumentation erfolgte nicht.

Dr. iur. Anette OberhauserRechtsanwältin für Gesundheitsrecht und Mediation Sturmstr. 10, 90478 Nü[email protected]