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Sigrid von Moisy Franz Graf Pocci (1807–1876) · Dieses Buch erscheint anlässlich der Ausstellung »Franz Graf Pocci (1807–1876): Schriftsteller, Zeichner, Komponist unter drei

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Sigrid von Moisy

Franz Graf Pocci (1807–1876)Schriftsteller, Zeichner, Komponist unter drei Königen

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Dieses Buch erscheint anlässlich der Ausstellung»Franz Graf Pocci (1807–1876): Schriftsteller, Zeichner, Komponist unter drei Königen«in der Bayerischen Staatsbibliothek vom 27. Juli bis 14. Oktober 2007

Bayerische Staatsbibliothek. Ausstellungskataloge. 78

Ausstellung und Katalog: Sigrid von MoisyGestaltung der Ausstellung: Florian Raff

Frontispiz: Franz Graf Pocci. Bleistiftzeichnung von Wilhelm von Kaulbach

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar.

Juli 2007

Allitera VerlagEin Verlag der Buch&media GmbH, Münchenwww.allitera.de© 2007 Bayerische Staatsbibliothek, Münchenund Buch&media GmbH, MünchenUmschlaggestaltung: Florian Raff, München und Kay Fretwurst, FreienbrinkUmschlagmotiv: Franz Graf Pocci, Selbstkarikatur, 1862Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 8026-6, Nr. 12Herstellung: Kessler Druck + Medien GmbH & Co. KG, BobingenPrinted in Germany · isbn 978-3-86520-265-9

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Inhalt

Rolf Griebel: Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Hans Maier: Proteus im Staatsgewand Franz Graf Pocci und das neue München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

I Kindheit und Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

II »Daß alte Zeiten werden neu« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

III Pocci und die Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

IV Unter drei Königen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

V Der Privatmann Pocci . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

VI »Kindereyen« und Puppenspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

VII Volksdramen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

VIII Karikaturen ohne Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

IX »Ein üppig Fantasia« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

Leihgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

Mehrfach zitierte Handschriften bzw. Drucke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

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Zur Benützung des Katalogs:

Bei Werken Poccis wird der Verfassername nur dann angegeben, wenn Missver-ständnisse möglich sind.

Erstmals veröffentlichte Briefe und Schriftstücke sowie alle Autographen aus dem Eigentum der Bayerischen Staatsbibliothek sind in der Orthographie der Originale wiedergegeben. Auslassungen werden durch drei Punkte gekennzeichnet.

Zitate sind in der Normaltype gesetzt, die einleitenden und verbindenden Texte der Katalogbearbeiterin in Kursive.

Der größte Teil der Exponate ist dem Bestand »Pocciana« entnommen. Bei Expo-naten aus anderen Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek bzw. aus fremden Institutionen werden die Signaturen und Leihgeber angeführt.

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Vorwort

Rolf GriebelVorwort

»Fortwährend erfüllte mich das Streben nach dem Ideale, die drei Kunstrichtungen in Eines zu bringen. Eigene Dichtungen in Musik zu setzen und mit Randbildern zu umgeben, wurde zur ersten Manifestation dieser Idee.« Das hier von Franz Graf Pocci skizzierte Programm ist im unmittelbaren Kontext auf sein Liedschaffen be-zogen, es macht aber zugleich die ungewöhnliche Vielfalt seiner Talente insgesamt sichtbar. Der heute auch vielen Münchenern nur mehr einseitig als »Kasperlgraf« bekannte Künstler hat als Schriftsteller, Zeichner und Komponist gleichermaßen ein umfangreiches Oeuvre hinterlassen. Die Ausstellung der Bayerischen Staatsbiblio-thek will das wieder in Erinnerung bringen.

In jungen Jahren zog vor allem die Musik Pocci in ihren Bann. Seine nur zu ei-nem Drittel veröffentlichten rund 600 Kompositionen umfassen neben zahlreichen Liedern und kleineren Instrumentalwerken auch einige Singspiele wie den 1840 im Münchener Hoftheater aufgeführten »Alchimist« und zwei Klaviersonaten. Die »Frühlingssonate« hat sogar Robert Schumann einer humorvollen, freilich nicht un-kritischen, Besprechung gewürdigt, die in dem Urteil mündet: »Der Herr Graf hat sehr viel Talent, aber wenig studiert«. Anregend waren für Pocci nicht zuletzt die Begegnungen mit Felix Mendelssohn Bartholdy und Franz Liszt.

Der Schriftsteller Pocci hat mehrere Volksstücke geschrieben, die in ihrer roman-tisch-idealistischen Tendenz dem damaligen Zeitgeschmack allerdings nicht ent-sprachen und die Bühne nicht dauernd erobern konnten. Dazu kamen an weiteren Veröffentlichungen u.a. drei Bände mit Gedichten und zahlreiche kulturhistorische und -kritische Artikel für Zeitungen und Zeitschriften. Nach wie vor reizvoll sind vor allem die über 40 Komödien, die Pocci für das Münchener Marionettentheater verfasste. In vielem an Ferdinand Raimund erinnernd, waren sie mit der lustigen Gestalt des Casperl Larifari nicht nur das Entzücken der Kinder, sondern noch weit mehr der Erwachsenen; denn sie allein konnten und können die zahlreichen Anspie-lungen auf Literarisches und Zeitgeschichtliches voll goutieren.

Als Zeichner hat sich Pocci besondere Verdienste um die Entwicklung des illus-trierten Kinderbuchs, einer damals noch wenig gepfl egten Gattung, erworben und auf Künstler wie Ludwig Richter anregend gewirkt. Auch konnte er hier sein Ideal einer Synthese der Künste verwirklichen, denn für nicht wenige Kinderbücher hat er auch die Texte geschrieben. Eine ähnlich vollkommene Verbindung von Wort und Bild gelang ihm in der Satire auf den Staatshämorrhoidarius, den subalternen Beam-ten, die er für die »Fliegenden Blätter«, Deutschlands erste humoristisch-satirische

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Rolf Griebel

Zeitschrift, schuf. Überhaupt war Pocci ein begnadeter Karikaturist, wie zahllose Zeichnungen in seinem Nachlass, in privaten Alben seiner Zeitgenossen und denen der Altmünchener Gesellschaften verraten. Hier war er, dessen sanguinischem Tem-perament der schnelle Einfall, das treffsichere Erfassen des Augenblicks weit mehr lag als das geduldige Ausarbeiten, in seinem Element.

Von Interesse ist Pocci für uns aber nicht nur als vielseitiger Künstler, sondern ebenso als Zeitgestalt, in deren Leben sich ein nicht geringes Stück Münchener Ge-schichte und Kulturgeschichte in vielen Facetten widerspiegelt. Poccis Jugend fi el in die Zeit der Münchener Spätromantik, und sein Verkehr in den Ritterbündnissen um Ludwig von Schwanthaler, im Kreis um die Malerin Louise Wolf und in der »Gesellschaft für deutsche Altertumskunde« hat ihn für sein Leben geprägt – seine Vorliebe für das Zeichnen von Burgen, Rittern und Landsknechten beweist es zur Genüge. In späteren Jahren war er Mitglied in den Altmünchener Gesellschaften der »Zwanglosen« und »Altengland«, die Sammelpunkte der gesellschaftlichen und geistigen Elite der Stadt waren: Angehörige des Königshauses wie Herzog Max in Bayern verkehrten hier ebenso wie Künstler und Gelehrte aus Altbayern und dem Kreis der »Nordlichter«.

Doch war Pocci nicht nur in der »kleinen Welt« intimer privater Zirkel, sondern ebenso in der »großen Welt« des öffentlichen Lebens und des Königshofes zu Hause. Als langjähriger Hofmusikintendant hat er die Musikkultur Münchens mitgeprägt und mit manch sachlichen und menschlichen Unzulänglichkeiten zu kämpfen ge-habt. Als Zeremonienmeister, Oberstkämmerer und Reisebegleiter dreier Könige hat er das Leben bei Hofe aus unmittelbarer Nähe kennengelernt und als loyaler, aber keineswegs unkritischer Diener die Stärken und Schwächen der hohen Her-ren beobachtet und in privaten Aufzeichnungen festgehalten. Auch das unruhige Revolutionsjahr 1848 mit der Abdankung König Ludwigs I. , die Berufungspolitik und die »Symposien« Maximilians II. und der zunehmende Rückzug Ludwigs II. aus seinem öffentlichen Pfl ichtenkreis in eine Traumwelt kommen in Briefen und Schriftstücken Poccis zur Sprache.

Die Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek reiht sich ein in eine Vielzahl von Veranstaltungen, mit denen im Münchener Raum in diesem Jahr 2007 des 200. Ge-burtstages von Franz Graf Pocci gedacht wird: u.a. durch Ausstellungen im Münch-ner Stadtmuseum, in der Internationalen Jugendbibliothek und in der Kreissparkasse München und Starnberg, die aber jeweils nur einen Teilaspekt in den Blick rücken. Im Gegensatz dazu lässt die Bayerische Staatsbibliothek Poccis Leben und Werk in seiner ganzen Bandbreite anhand von Dokumenten lebendig werden, die im Katalog zum Teil erstmals zitiert und abgebildet sind.

Ausstellung und Katalog stützen sich fast ausschließlich auf den reichen Pocci-Fundus des eigenen Hauses. Kernbestand ist die umfangreiche Hälfte des Nachlasses Pocci, die 1992 in die Bibliothek kam (die andere Hälfte befi ndet sich in Familienbe-sitz). Sie umfasst rund 550 Briefe an Pocci, Lebensdokumente und 22 große Kassetten

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mit Originalzeichnungen und Druckgraphiken. Wesentliche Ergänzungen dazu bie-ten weitere Bestände, die seit dem 19. Jahrhundert in gezielter Erwerbungspolitik ge-sammelt wurden. Die Erstausgaben von Poccis Veröffentlichungen sind hier ebenso zu nennen wie die rund 400 Briefe von Pocci in der Autographensammlung und vor allem in den Nachlässen seiner Freunde Friedrich Beck, Georg Scherer und Hya-cinth Holland. Besonders reizvoll sind die vielen Karikaturen Poccis in den Bänden des Archivs der »Zwanglosen Gesellschaft«, das als Schenkung von der heute noch bestehenden Gesellschaft übergeben wurde. Der größte Teil dieses reichen Materials ist bisher nicht veröffentlicht, doch ist eine Edition in der Pocci-Gesamtausgabe, die seit März dieses Jahres im Allitera Verlag erscheint, geplant. Pocci-Ausstellungen ha-ben in der Bayerischen Staatsbibliothek eine Tradition: Eine erste, mitgestaltet vom Enkel des Grafen, fand im Jahr 1926 zu seinem fünfzigsten Todestag statt, gefolgt, fünfzig Jahre später, 1976, von einer Ausstellung gemeinsam mit dem Staatsarchiv München.

Einige wenige ergänzende Stücke in der Ausstellung sind Leihgaben anderer Mün-chener Institutionen oder kommen aus Privatbesitz, so von der Familie Pocci. Allen Leihgebern weiß sich die Bibliothek für ihr Entgegenkommen zu Dank verpfl ichtet. Zu danken ist Herrn Dr. Wolfram Göbel vom Allitera Verlag für die gute Unter-stützung bei der Herstellung des Katalogs und die Übernahme in sein Verlagspro-gramm. So ergibt sich ein guter Konnex zwischen Katalog und Pocci-Gesamtaus-gabe. Das Layout des Katalogs hat die Graphikerin Frau Kay Fretwurst mit großer Einfühlungsgabe erstellt. Für die Gestaltung der Ausstellung danke ich Herrn Florian Raff, der in bewährter Weise für uns tätig war, und den Mitarbeitern unseres Instituts für Buch- und Handschriftenrestaurierung. Mein ganz besonderer Dank gilt Prof. Dr. Hans Maier, der seine langjährige Verbundenheit mit der Bayerischen Staatsbibliothek einmal mehr mit dem hier vorliegenden Beitrag und seiner Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung beweist.

Ausstellung und Katalog verdankt die Bayerische Staatsbibliothek Frau Dr. Sigrid von Moisy, der Leiterin des Nachlassreferats in der Abteilung für Handschriften und Alte Drucke. Sie hat sich hier erneut in vorbildlicher, wegweisender und zu neuen Erkenntnissen führender Form der Erschließung und Vermittlung des Mün-chener Geisteslebens und der Münchener Kulturgeschichte gewidmet. Ihre her-vorragende Kenntnis des in ihrer Obhut verwalteten Bestands von rund tausend Nachlässen, besonders der vielfachen Beziehungen der Dokumente untereinander, weckt ein authentisches und komplex vielfältiges Bild von Pocci und seiner Zeit zu neuem Leben. Auf Franz Graf Pocci hat Frau Dr. von Moisy bereits 1976, anlässlich seines 100. Todestags in einer ersten Pocci-Ausstellung nachdrücklich aufmerksam gemacht. Pocci hat ihr Interesse und ihre Aufmerksamkeit weiter gefunden und sie wohl auch fasziniert. Bei den vertieften Recherchen zur Vorbereitung von Ausstel-lung und Katalog gelang Frau Dr. von Moisy auch eine interessante musikalische Neuentdeckung: ein Graf Pocci gewidmetes Autograph eines bisher völlig unbe-

Vorwort

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kannten und unveröffentlichten Liedes von Franz Liszt Wenn die letzten Sterne blei-chen, das in einem Konzert am 11. Juli 2007 in der Bayerischen Staatsbibliothek von Juliane Banse und Helmut Deutsch zur Uraufführung gebracht wurde. Am gleichen Tag erschien im G. Henle Verlag München das Faksimile einschließlich der Edi-tion.

Wer die Ausstellung besucht und den elegant geschriebenen Katalog liest, ver-mag die mühsame Kleinarbeit, das intensive Suchen und Lesen von Dokumenten, die diffi zile, einen immensen Überblick und eine außerordentliche Geschicklichkeit erfordernde Auswahl, die zu dieser gelungenen Synthese führt, nicht mehr zu er-kennen. Verborgen bleiben der gewaltige Zeitaufwand und die unermüdliche En-ergie, die – neben dem fordernden Tagesgeschäft – lange Monate hindurch unter Bündelung aller Kräfte eingesetzt wurden. Unter Hintanstellung aller persönlichen und gesundheitlichen Belastungen war es ihr ein Anliegen, das Pocci-Jahr mit dieser Ausstellung zu bereichern und in dem Katalog ihre Erkenntnisse zusammenzufas-sen. Für dieses außergewöhnliche Engagement darf ich Frau Dr. von Moisy meinen herzlichsten Dank aussprechen.

Dr. Rolf GriebelGeneraldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek

Rolf Griebel

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Proteus im Staatsgewand

Hans MaierProteus im Staatsgewand Franz Graf Pocci und das neue München

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Pocci – kein Name könnte passender sein für einen Autor von Kinderbüchern und Kasperlstücken. Fest und doch federleicht wirken die beiden Silben mit ihrem dunk-len o und hellen i und dem spaßigen tsch dazwischen. Romanische Namen waren in München keine Seltenheit, zumal unter Künstlern – man denke an Barelli, Zuc-calli, Cuvilliés, die in der Stadt ihre bis heute sichtbaren architektonischen Spuren hinterlassen haben. Zu dieser erlesenen Gesellschaft gehört auch der Graf Pocci, der väterlicherseits aus einer alten Adelsfamilie des Kirchenstaates entstammte (seine Mutter war Bayerin) – nur dass seine Spuren nicht Kirchen und Schlösser sind, sondern Verse, Bilderbücher, Kompositionen, Theaterstücke, Zeichnungen, Litho-graphien, Karikaturen. Nicht zuletzt der unsterbliche Kasperl Larifari erinnert bis heute an seinen Schöpfer, den »Kasperlgrafen« Pocci – und ebenso das mit Poccis Hilfe gegründete Münchener Marionettentheater, eine alterslose Einrichtung, die bis in unsere Gegenwart hinein kleine und große Kinder anzieht und fasziniert.

Pocci war eigentlich Hofbeamter. Er diente drei bayerischen Königen in verschie-denen Hofämtern: dem ersten Ludwig als Zweiter Zeremonienmeister (seit 1830) und als Hofmusikintendant (seit 1847), dem zweiten Maximilian als Oberzeremo-nienmeister (seit 1863) und dem zweiten Ludwig als Oberstkämmerer (seit 1864). Er war also – in heutigen Begriffen – eine Art von Protokollchef, Intendant und Organisationsreferent in einer Person, ein Vorausgeher bei Hofveranstaltungen, ein Impresario, betraut mit wechselnden Aufgaben, die von der Vorbereitung von Festen, der Reisebegleitung der Fürsten bis zu erzieherischen und diplomatischen Aktivitäten reichten. Seltsam zu denken, dass ein so spottlustiger Mensch wie Pocci, der schon als Kind Zeitgenossen karikierte, lange Zeit für das strenge spanisch-fran-zösische Zeremoniell verantwortlich war, das im 19. Jahrhundert am Bayerischen Hofe herrschte und sich unter dem Märchenkönig sogar noch einmal zuspitzte und verschärfte. Aber anderseits: Rief dieses höfi sche Zeremonienspiel mit seinen mas-kenhaften Zügen, seinem Pomp und seiner leisen Unwirklichkeit nicht geradezu gebieterisch nach einem Künstler?

Selbstironisch hat sich der lange dürre Mann in seinen Karikaturen als »Monsieur le Maigre« verewigt, als Zeremonienmeister, der hochaufgerichtet in Galafrack und

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Schiffhut vor Festzügen einherging und bei Empfängen den Gästen ihren Platz an-wies. Vielleicht hat er als Mann der Pfl icht und Disziplin seinen Auftrag – trotz gele-gentlicher Unmutsäußerungen – sogar genossen; war doch der Hof, der Umgang mit der königlichen Familie, die Begegnung mit vielen Hofchargen, Besuchern, Petenten, Künstlern, Wissenschaftlern, Politikern, Kirchenmännern, Beamten, in- und auslän-dischen Gästen eine Quelle unerschöpfl icher Beobachtungen und Erkenntnisse – für einen zeichnenden Poeten, einen dichtenden Künstler ein geradezu ideales Milieu.

Pocci, der Zeremonienmeister, war kein gewöhnlicher Beamter, keiner jener »Staatshämorrhoidarii« mit sitzender Lebensweise, engem Horizont und ausge-prägtem Drang nach oben, wie sie in seinen Karikaturen vielfältig glossiert werden. Er war vielmehr zuallererst ein Künstler, ein Artist, ein Mann von tänzerischem Schwung – ein letzter Repräsentant und Vortänzer jener altehrwürdigen Monar-chie, die ringsherum schon von so viel überwältigend Neuem – Parlamentarismus, Industrie, Presse, freie Künste – umgeben war. Der königliche Zeremonienmeister führte sein Amt noch nach den alten Regeln. Er wahrte gegenüber dem »Hof« wie gegenüber dem »Volk« – dem unruhigen Doppelgestirn in der Zeit der konstitutio-nellen Monarchie – die nötige Balance. Pocci war ein Künstler im Hofdienst, ein wandlungsreicher Proteus im Staatsgewand. Und eben darin war er als Poet und Schöpfer seiner Gestalten so frei wie kaum ein anderer.

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Franz Ludwig Evarist Alexander Graf Pocci kam am 7. März 1807 am Promena-deplatz Nr. 4 in München zur Welt. Vater Pocci, ein Offi zier, der viele Jahre im bayerischen Militär gedient hatte und ohne Schuld verarmt war, wohnte mit seiner Familie im Haus des Schwiegervaters Posch im dritten Stock. Früh trat das zeich-nerische Talent des Sohnes hervor. Die Mutter, selbst malerisch begabt, ließ es bei zeitgenössischen Künstlern ausbilden. Um den kleinen Tisch am Fenster, an dem der Kleine saß und zeichnete, standen nach dem Fronleichnamfest übriggebliebene Birken, an Weihnachten Tannen. Früh entstanden Zeichnungen von Besuchern (Westenrieder, Joseph von Baader) – Pocci selbst spricht in seinen Erinnerungen vom eigenen »ziemlich vorlauten Witz«. Vierzehnjährig veröffentlichte er seine erste Lithographie: sie zeigt den segnenden und heilenden geistlichen Fürsten Hohenlohe in Bad Brückenau, von Kranken umgeben.

Mit achtzehn Jahren ging Pocci an die bayerische Landesuniversität in Landshut, um die Rechte zu studieren. Die Juristerei war nicht seine Lieblingswahl – aber Vater und Mutter hielten einen soliden Brotberuf für nötig, auch angesichts der wirtschaftlichen Situation der Familie. Landshut war mit Savigny und Sailer ein Vorort der Romantik. Aber auch das studentische Paukwesen machte sich dort breit mit Grobheiten gegen die Bürger, mit Raufhändeln und Duellen. Pocci mied diesen Umgang. Als sein Vater

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Proteus im Staatsgewand

ihm freistellte, entweder sein Pferd oder seinen Flügel nach Landshut mitzunehmen, wählte er das Instrument. Die Burg Trausnitz hat er in einer aquarellierten Zeichnung festgehalten; sie war ihm, wie das Martinsmünster, ein Symbol des alten Deutschland.

Die Landshuter Zeit dauerte nur kurz, weil Ludwig I. 1826 die Universität nach München verlegte. Pocci machte nach dem Abschluss seiner Studien sein juristisches Praktikum in Starnberg, Dachau und München. Dann hielt er sich als dreiundzwan-zigjähriger Regierungsakzessist für den Dienst in der Verwaltung bereit. Doch es kam anders: 1830 ernannte König Ludwig I., der Poccis Vater Fabricius kannte und schätzte, den Sohn zum Kammerjunker und später zum Zweiten Zeremonienmeis ter am Hof. Damit begann Poccis Hofl aufbahn, sein Dienst für den König und die Kunst – die Doppelexistenz des höfi schen Zeremonienmeisters und des Zeichners und Poeten. Am 4. Juni 1834 heiratete Franz Graf Pocci im Münchener Dom Albertine Reichsgräfi n von Marschall aus Wien. Aus der glücklichen Ehe – seine Frau fungierte auch als Erstleserin und Kritikerin seiner Werke – gingen vier Kinder hervor. Damit dem Dichter auch das »Lehen« nicht fehlte, erhielt Pocci nach dem Tod des Vaters 1844 Schloss und Gut Ammerland am Starnberger See – ein Refugium, das Pocci wenigstens in den Sommerwochen nutzen konnte, sobald ihn München freigab.

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Es war ein neues Bayern, ein neues München, in das Pocci als Hofbeamter und als Künstler hineinwuchs. Nie hatte sich das Land so stark verändert wie in der Zeit nach 1800. Bayern war Königreich geworden, es rückte in den Kreis der größeren deutschen Mittelstaaten auf – und behielt diese Stellung auch nach dem Sturz Napoleons bei, was nicht selbstverständlich war. Es hatte sich vergrößert um Franken und um Schwa-ben – und stand nun vor der Aufgabe, die neugewonnenen Landesteile nicht nur äußerlich anzugliedern, sondern auch innerlich für sich zu gewinnen. Montgelas hatte das Knochengerüst des modernen Bayern geschaffen, er hatte die zentrale Verwal-tung des Königreiches in einem großen Anlauf hingestellt. Aber musste man bei einer Staatsgründung nicht auch an Leib und Seele denken, an die konkreten Menschen mit ihren Eigenarten und Verschiedenheiten – an die Bürger, die ja mehr waren als nur registrierte Einwohner, potenzielle Steuerzahler oder einzuberufende Soldaten?

Von den bayerischen Königen des 19. Jahrhunderts hat Ludwig I. diese politische Aufgabe wohl am deutlichsten erkannt. Ihm vor allem war es zu danken, dass das gewaltig erweiterte, aus disparaten Teilen zusammengefügte Land allmählich zu-sammenwuchs, dass die Distanz zu den außerbayerischen Stämmen des König-reichs – Franken, Schwaben, Pfälzern – sich im Lauf der Zeit verringerte, dass ein gesamtbayerisches Zusammengehörigkeitsgefühl entstand. Ludwig, ein Kulturpoli-tiker von Gnaden und ein für seine Zeit höchst medienbewusster König, hat alles daran gesetzt, Neubayern als eine komplexe Einheit aus unterschiedlichen Traditio-

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Hans Maier

nen zu begreifen und ins Spiel zu bringen: 1835 historisierte er das bayerische Wappen und dehnte es auf die neuen Länder aus (zugleich stellte er das in der Napoleonzeit aufgehobene Münchener Mönchswappen wieder her!). 1837 ersetzte er die nach dem Beispiel der französischen Revolution gewählten Flussnamen für die Bezirke durch historische Bezeichnungen – sie gelten größtenteils noch heute. Er wusste auch den Umstand zu nutzen, dass dem Territorialstaat Bayern mit dem Fränkischen Kreis ein riesiges Stück Mittelalter zugefallen war, geradezu ein Konzentrat altdeutscher Überlieferungen – der Romantiker in ihm begeisterte sich für Nürnberg mit seinen Mauern, Türmen, Kirchen und Brunnen, er schwärmte für Albrecht Dürer und Kaiser Maximilian.

Auch im königlichen München entstanden nun Ritterbündnisse, Sammlungen mittelalterlicher Kunst, ritterliche Maskeraden und Aufzüge, man belebte alte Ge-werke wie die Glasmalerei neu – so in den Kreisen um Ludwig Schwanthaler, Fried-rich Beck und Friedrich Hoffstadt, denen auch der junge Pocci angehörte. Das Ger-manische Nationalmuseum in Nürnberg und die Monumenta Germaniae Historica in Frankfurt (heute in München) sind – neben vielen Geschichtsvereinen – die bis heute lebendige Frucht dieser romantischen Zuwendung zur Vergangenheit. Es ist kein Zufall, dass damals in München gleichzeitig mit den Kirchen von St. Ludwig und St. Bonifaz die Pfarrkirche Maria Hilf in der Au entstand, die nach dem Willen des Königs im »altdeutschen Stil« erbaut wurde – eine Inkunabel der Neugotik, Vorbild für unzählige ähnliche Kirchen des 19. Jahrhunderts in aller Welt.

Das neue München sah anders aus als das gemächliche alte. Die Stadt wuchs weit schneller als das Land, ihr Anteil an der bayerischen Bevölkerung nahm stetig zu; betrug er 1818 erst 1,44 Prozent, so 1850 bereits 3,1 (um 1900 8,5 Prozent, heute etwa zehn Prozent!). Um 1800 lebten ungefähr 40 000 Einwohner in der Stadt; 1850 hatte München 90 000 Einwohner, um 1900 überschritt es bereits die Halbmillionengrenze. Zwischen 1806 und 1918 vervierzehnfachte sich die Münchener Einwohnerzahl.

Ludwig I., zweifellos der ehrgeizigste Bauherr aller Wittelsbacher, gab der bayeri-schen Haupt- und Residenzstadt ihre unverwechselbare Gestalt. Bereits als Kron-prinz hatte er Kunstreisen nach Italien unternommen und den Bau der Glyptothek in die Wege geleitet. Als regierender Monarch gab er dem Königsplatz die Gestalt einer griechischen Tempelanlage und verkündete, indem er das Antikenmuseum und die christliche Basilika St. Bonifaz Rücken an Rücken gegenüberstellte, zugleich sein Programm: die humanistische Verschmelzung von Antike und Christentum. Er sammelte nicht nur die antiken Schätze, er stellte auch den Benediktinerorden wieder her. Der Königsbau der Residenz, das Odeon, die Pinakothek, die Bavaria mit der Ruhmeshalle machten München weltberühmt. Alles Bisherige aber übertraf der Bau des Odeonsplatzes und die Anlage der Ludwigstraße mit ihren Monumen-talbauten – mit einer Straßenbreite, welche über die Dimensionen des alten Mün-chen weit hinausging. Mit der Ludwigstraße wurde München ein für allemal Resi-denzstadt. Die Maximilianstraße, später die Prinzregentenstraße wiederholten und

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Proteus im Staatsgewand

variierten nur das hier erstmals realisierte Programm. Es gelang Ludwig, in seiner Haupt- und Residenzstadt das zu verwirklichen, was er sich schon als junger Mann zum Ziel gesetzt hatte: »Ich will aus München eine Stadt machen, die Teutschland zur Ehre gereichen soll, dass keiner Teutschland kennt, wenn er nicht München gesehen hat.«

Ästheten wie Jacob Burckhardt haben sich immer wieder an der unbeküm-merten Art gestoßen, mit der das neue München die Stile mischte: Antikisches stand hier plötzlich neben Mittelalterlichem und Modernem, Klassisches neben Gotischem – und vor allem: man spielte von Anfang an, fernab aller puristischen Werktreue, mit neu-alten Formen: der Neu-Antike am Königsplatz, der Neu-Gotik in der Maximilianstraße, dem Neo-Barock an vielen Orten. Ein solches Nebeneinander, ein solcher Pluralismus ist in der heutigen Kunstszene, welche die Globalität der Stile zu ihrem Gesetz gemacht hat, gänzlich unumstritten und fast schon allzu geläufi g. Es war jedoch neu für das 19. Jahrhundert. Im neuen Mün-chen wurde ein regelrechter historistischer Spieltrieb entfesselt. Kaleidoskopartig wechselten Alt und Neu, begleitet von Überraschungs-, Wiedererkennungs-, Ver-fremdungseffekten. Diese Eigenart des neuen München hat manche Zeitgenossen verstört, andere freilich auch fasziniert. Noch der junge de Chirico empfand vor dem Ersten Weltkrieg die Isarstadt mit ihren nachgebauten italienischen Palazzi und griechischen Tempeln, ihren »echten« und aus dem historischen Bilderbuch geholten Bauten als »buffonesk« – doch gewann er aus solchem Spiel mit alten und neuen Formen auch Anstöße und Anregungen für die Moderne, für den »Surrealismus«.

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Auch in Poccis Kunst begegnen sich Altes und Neues. Will man sein riesiges, zer-streutes, immer wieder aus dem Augenblick geborenes Werk verstehen, so muss man sich auf der einen Seite historisch weit zurücklehnen: in eine Vergangenheit, in der Stegreifspiel und Commedia dell’arte, Marionettentheater, Hanswurstiaden und Kasperlstücke, aber auch geistliche Dramen die Szene beherrschten. Man muss jedoch auch diejenigen Seiten seiner Produktion beachten, die nur im 19. Jahrhun-dert, unter den Bedingungen einer neuen Öffentlichkeit, neuer Produktions- und Rezeptionsbedingungen entstehen konnten – darunter vieles, was höchst individuell war und seine ganz persönliche Handschrift trug.

So stehen Poccis populärste Werke, die Kasperlstücke, auf einem soliden tradi-tionellen Boden. Sie sind Reden ex tempore, sie leben aus dem Geist der Impro-visation, sie bezaubern durch ihre gleichsam aus der Luft aufgefangenen Reime, die niemals erklügelt wirken, freilich auch nie zu Ende »verdichtet« sind – eine Sprache, die gesprochen und gespielt sein will, in der die Szene und die Körper-

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Hans Maier

sprache mitgedacht sind und von der Druckfassungen nur einen schwachen Ein-druck geben können. In Süddeutschland waren solche alteuropäischen Künste des Stegreifspiels noch lebendig, wohingegen die Literatur im Norden sich längst ins Schriftliche, in Druck und Buch, zurückgezogen und vom Volk entfernt hatte; der Norden war »gebildet aber bildlos«, wie Goethe gesagt hat. Pocci gelang es, in sei-nen Kasperlkomödien noch einmal eine Literatur für Kinder wie für Erwachsene, für Gebildete wie für Ungebildete zu schreiben – im 19. Jahrhundert eine seltene und erstaunliche Leistung.

Beim zweiten Blick erkennt man freilich, dass der Autor durchaus auch ein Kind der Zeit war, dass er dem Zeitgeschmack entgegenkam. Er hat nicht nur den alten Salzburger Kasperl von Grobheiten, Gewalttätigkeiten, Zoten gereinigt, er hat auch dafür gesorgt, dass in diesen Stücken – bei aller Zauberei, allen kühnen Verwand-lungen ex machina – doch alles am Ende mit rechten Dingen zuging, dass der Moral Genüge getan wurde und dass das Gute unter allgemeinem Beifall siegte. Doch das ist nur das Ende vom Lied – was Pocci auf dem Weg dahin an Stolpersteinen auf-häuft und an Hindernissen türmt, was er an surrealen Wendungen sich einfallen lässt, ist allemal verblüffend. Im bescheidenen Kasperl- und Kinderformat lebt der alte Mimus, das alte unberechenbare Sichfortbewegen und Querfeldein-Treiben wie-der auf. Am deutlichsten und hörbarsten wird das in der Sprache selbst, die beim Kasperl Larifari oft aus lauter Missverstehen zusammengesetzt ist – in einer verbalen Nicht-Kommunikation, die manchmal schon Karl-Valentinsche Dimensionen er-reicht. Der Preis für die beste Nonsens-Poesie im 19. Jahrhundert ist noch nicht ver-geben, trotz Gogol, Nestroy, Thackeray; Pocci wäre ohne Zweifel für diesen Preis ein ernsthafter Kandidat.

Ähnlich steht es mit dem zeichnerischen und malerischen Werk. Kein Zweifel, dass Pocci in diesen Künsten Vollendung anstrebte – er hat darunter gelitten, dass ihm Zeitnot und eine überquellende Phantasie die ruhige Ausbildung seines Talents versagten. Die Orientierung am Dürerstil, die romantische Anlehnung an die al-ten Meister in seiner Jugend war wohl als Gegengewicht gegen sein quecksilbriges, ungeduldiges Temperament gedacht, und in der Tat erreicht Pocci in zahlreichen Lithographien und Holzschnitten eine hohe Qualität; von Dilettantismus kann keine Rede sein. Pocci war als Graphiker und Illustrator allgemein anerkannt. Er hat Märchen und Geschichten aus England, Deutschland, Dänemark, Soldaten-, Jäger- und Studentenlieder illustriert – u.a. auch Bücher von Hans Christian Ander-sen. Und natürlich hat er eine Fülle eigener illustrierter Geschichten ersonnen und unter die Leute gebracht – so in seinem von 1833 an erscheinenden, gemeinsam mit Guido Görres herausgegebenen »Festkalender in Bildern und Liedern«, der sogar Bismarcks Aufmerksamkeit fand, in den vielen Büchern für Kinder, in den »Mün-chener Bilderbogen«. Berühmt wurden Satiren wie der »Staatshämorrhoidarius« (1857) oder die komischen Bilder über das »Turnwesen in Berlin«, die Poccis Abnei-gung gegen die national auftrumpfende Turnbewegung erkennen lassen – nicht zu

Page 17: Sigrid von Moisy Franz Graf Pocci (1807–1876) · Dieses Buch erscheint anlässlich der Ausstellung »Franz Graf Pocci (1807–1876): Schriftsteller, Zeichner, Komponist unter drei

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Kindheit und Jugend

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Unter drei Königen