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Z Kardiol 87: Suppl 3, 19 – 21 (1998) © Steinkopff Verlag 1998 T. Bonzel Soll bei Mehrgefäßerkrankungen der Patient die Wahl des Therapieverfahrens mitbestimmen? Pro-Statement ohne weiteres so deuten, daß auch die Dilatation von mehreren Koronarstenosen die Prognose dieser Patienten verbessert. Hieraus ergibt sich, daß klare Entscheidungshilfen („evi- dence“) für eine Bypassoperation oder Dilatation bei Mehr- gefäßerkrankungen nicht existieren, sondern daß die Ent- scheidung auf der Anwendung des besten verfügbaren Wis- sens einschließlich neuerer Therapieentwicklungen beruht. Davon ausgehend müssen bei der Planung eines Eingriffs bei Patienten mit Mehrgefäßerkrankung ethische und recht- liche Gesichtspunkte herangezogen werden. Als erstes ist grundsätzlich festzuhalten, daß der Arzt den Patienten über jede vorzunehmende Behandlung aufklären muß. Nach Roßner (5) kann „der Patient eine den Heileingriff rechtfertigende Einwilligung in der Regel nur erteilen, wenn ihn der Arzt zuvor darüber aufgeklärt hat, worin er einwilligt“. Die nächste Frage, ob der Patient auch auf eine Aufklärung von sich aus verzichten kann, wird sich nur äußerst selten stel- len. Trotzdem sind Ausnahmen möglich: „Ein Aufklärungs- verzicht ist vorstellbar als eine ausdrückliche oder still- schweigende Erklärung des Patienten gegenüber dem Arzt, sich.... kein (vollständiges) Bild von den Umständen machen zu wollen, sondern die Entscheidung in die Hände des Ärztes zu legen“ (5). Wie soll sich nun der Arzt, der aufklären muß, dem Patien- ten gegenüber verhalten, wenn unterschiedliche, jeweils wissenschaftlich anerkannte Methoden angewandt werden können, um eine Erkrankung zu heilen. Nach Ulsenheimer (6) besteht kein Zweifel, daß der Arzt über alle wesentlichen in Frage kommenden Verfahren aufklären muß: „Der Arzt ist ver- pflichtet, bei unterschiedlichen Risiken oder Erfolgschancen, unterschiedlichen Belastungen oder ernsthaften wissenschaft- lichen Kontroversen bezüglich der verschiedenen vertretbaren Behandlungsalternativen hierüber den Patienten eingehend und umfassend aufzuklären“ und nach einem Urteil des Bun- desgerichtshof, zitiert ebenfalls nach Ulsenheimer „soll der Patient nach sachverständiger und vollständiger Beratung selbst prüfen können, was er an Belastungen und Gefahren auf Prof. Dr. med. T. Bonzel (Y) Städtisches Klinikum Fulda Med. Klinik I 36013 Fulda Should the patient determine the choice of therapy in the case of multivessel disease? Schlüsselwörter Ärztliche Aufklärung Key words Informed consent Bei Metaanalysen von Studien, in denen Bypassoperation und PTCA bei Patienten mit Mehrgefäßerkrankung verglichen werden, läßt sich für viele Patienten kein eindeutiger Vorteil eines der beiden Verfahren erkennen (1, 2, 3). Diese Studien (CABRI, RITA, EAST, GABI u.a.) weisen aus heutiger Sicht einige Nachteile auf: Sie sind an einem hochselektionierten Patientengut durchgeführt worden, sie sind überwiegend in sehr erfahrenen Zentren durchgeführt worden, es wurde nur ein kleiner Prozentsatz Stents oder modernere Thrombozyten- aggregationshemmer verwandt und es wurden nur verhältnis- mäßig wenig Mammariabypässe angelegt. Durch diese Ein- schränkungen lassen sich aus diesen Studien nur sehr bedingt Entscheidungshilfen für das individuelle Vorgehen bei Patien- ten mit Mehrgefäßerkrankung entnehmen. Bei komplexen Mehrgefäßerkrankungen mit Stenosen, Verschlüssen, Kolla- teralen und Resten früherer Bypassoperationen können die vorliegenden Studienergebnisse erst recht nicht für das thera- peutische Vorgehen herangezogen werden. Aber auch Studien aus den 70er Jahren, bei denen prognostische Vorteile für die Bypassoperation bei Mehrgefäßerkrankung im Vergleich zur konservativen Therapie gefunden wurden, lassen sich nicht

Soll bei Mehrgefäßerkrankungen der Patient die Wahl des Therapieverfahrens mitbestimmen?

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Z Kardiol 87: Suppl 3, 19 – 21 (1998)© Steinkopff Verlag 1998

T. Bonzel Soll bei Mehrgefäßerkrankungen derPatient die Wahl des Therapieverfahrensmitbestimmen?Pro-Statement

ohne weiteres so deuten, daß auch die Dilatation von mehrerenKoronarstenosen die Prognose dieser Patienten verbessert.

Hieraus ergibt sich, daß klare Entscheidungshilfen („evi-dence“) für eine Bypassoperation oder Dilatation bei Mehr-gefäßerkrankungen nicht existieren, sondern daß die Ent-scheidung auf der Anwendung des besten verfügbaren Wis-sens einschließlich neuerer Therapieentwicklungen beruht.

Davon ausgehend müssen bei der Planung eines Eingriffsbei Patienten mit Mehrgefäßerkrankung ethische und recht-liche Gesichtspunkte herangezogen werden. Als erstes istgrundsätzlich festzuhalten, daß der Arzt den Patienten überjede vorzunehmende Behandlung aufklären muß.

Nach Roßner (5) kann „der Patient eine den Heileingriffrechtfertigende Einwilligung in der Regel nur erteilen, wennihn der Arzt zuvor darüber aufgeklärt hat, worin er einwilligt“.Die nächste Frage, ob der Patient auch auf eine Aufklärungvon sich aus verzichten kann, wird sich nur äußerst selten stel-len. Trotzdem sind Ausnahmen möglich: „Ein Aufklärungs-verzicht ist vorstellbar als eine ausdrückliche oder still-schweigende Erklärung des Patienten gegenüber dem Arzt,sich.... kein (vollständiges) Bild von den Umständen machenzu wollen, sondern die Entscheidung in die Hände des Ärzteszu legen“ (5).

Wie soll sich nun der Arzt, der aufklären muß, dem Patien-ten gegenüber verhalten, wenn unterschiedliche, jeweilswissenschaftlich anerkannte Methoden angewandt werdenkönnen, um eine Erkrankung zu heilen. Nach Ulsenheimer (6)besteht kein Zweifel, daß der Arzt über alle wesentlichen inFrage kommenden Verfahren aufklären muß: „Der Arzt ist ver-pflichtet, bei unterschiedlichen Risiken oder Erfolgschancen,unterschiedlichen Belastungen oder ernsthaften wissenschaft-lichen Kontroversen bezüglich der verschiedenen vertretbarenBehandlungsalternativen hierüber den Patienten eingehendund umfassend aufzuklären“ und nach einem Urteil des Bun-desgerichtshof, zitiert ebenfalls nach Ulsenheimer „soll derPatient nach sachverständiger und vollständiger Beratungselbst prüfen können, was er an Belastungen und Gefahren auf

Prof. Dr. med. T. Bonzel (Y)Städtisches Klinikum FuldaMed. Klinik I36013 Fulda

Should the patient determine the choice of therapy in thecase of multivessel disease?

Schlüsselwörter Ärztliche Aufklärung

Key words Informed consent

Bei Metaanalysen von Studien, in denen Bypassoperation undPTCA bei Patienten mit Mehrgefäßerkrankung verglichenwerden, läßt sich für viele Patienten kein eindeutiger Vorteileines der beiden Verfahren erkennen (1, 2, 3). Diese Studien(CABRI, RITA, EAST, GABI u.a.) weisen aus heutiger Sichteinige Nachteile auf: Sie sind an einem hochselektioniertenPatientengut durchgeführt worden, sie sind überwiegend insehr erfahrenen Zentren durchgeführt worden, es wurde nurein kleiner Prozentsatz Stents oder modernere Thrombozyten-aggregationshemmer verwandt und es wurden nur verhältnis-mäßig wenig Mammariabypässe angelegt. Durch diese Ein-schränkungen lassen sich aus diesen Studien nur sehr bedingtEntscheidungshilfen für das individuelle Vorgehen bei Patien-ten mit Mehrgefäßerkrankung entnehmen. Bei komplexenMehrgefäßerkrankungen mit Stenosen, Verschlüssen, Kolla-teralen und Resten früherer Bypassoperationen können dievorliegenden Studienergebnisse erst recht nicht für das thera-peutische Vorgehen herangezogen werden. Aber auch Studienaus den 70er Jahren, bei denen prognostische Vorteile für dieBypassoperation bei Mehrgefäßerkrankung im Vergleich zurkonservativen Therapie gefunden wurden, lassen sich nicht

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sich nehmen will, wenn er eine echte Wahlmöglichkeit hat“.Schließlich kann diskutiert werden, ob der Patient die Ent-scheidung über ein Behandlungsverfahren an andere Perso-nen, z.B. Angehörige, Vertraute, evtl. sogar Vorgesetzte, dele-gieren kann; auch dieses wird von juristischer Seite ausdrück-lich verneint (4).

Wenn man also davon ausgeht, daß die Vor- und Nachteileeiner Bypassoperation oder Ballondilatation bei Mehrge-fäßerkrankungen von der individuellen Situation abhängig

sind, bleibt kein Zweifel, daß der Patient bei Mehrgefäß-erkrankungen die Wahl des Therapieverfahrens mitbestimmenmuß, denn der Arzt ist zur Aufklärung über ein Behandlungs-verfahren verpflichtet und unterschiedliche Verfahren müssenmitgeteilt werden. Letztlich kann die Einwilligung nur vomPatienten selber erteilt werden und nicht von einem Vertreter.Ein im Prinzip möglicher Verzicht auf eine Aufklärung wirdnur im Ausnahmefall in Frage kommen. Der Patient muß beider Wahl des Therapieverfahrens mitbestimmen.

1. Anderson WD, King SB (1996) A reviewof randomized trials comparing coronaryangioplasty and bypass grafting. Curr OpinCardiol 11: 583–590

2. Dagres N, Erbel R (1998) Vergleich zwis-chen PTCA und Bypass-Operation. MedKlin 93: 22–26

3. Hamm CW (1998) Vergleichende StudienPTCA versus Bypass-Operation: Rationalefür eine Patienten-orientierte Therapie. ZKardiol 87 (Suppl 2): 171–174

4. Kern BR (1994) Fremdbestimmung bei derEinwilligung in ärztliche Eingriffe. NJW47: 753–816

5. Roßner HJ (1990) Verzicht des Patientenauf eine Aufklärung durch den Arzt. NJW37: 2291–2296

6. Ulsenheimer K (1996) Juristische Impli-kationen, Aufklärungspflichten für ein-weisende und behandelnde Ärzte. Z Kar-diol 85: 529–536

Literatur

Vorsitz: G. Kober (Bad Nauheim), H. Oster (Rotenburg a.d. Fulda)

Vallbracht. „Lieber Herr Schöndubel, ich danke dem Himmel,daß er Sie nach Rotenburg geschickt hat; es wäre uns ja dochsonst einiges vorenthalten geblieben. Ich will ihnen nur schnellnoch sagen, was ihr „netter Herr Vallbracht“ nachher mit demPatienten vorhat, damit auch ein Chirurg sich einmal wundernkann. Ich habe mich schon mit Herrn Dr. Hoffmann, demHausarzt unseres Patienten abgesprochen, wir werden nachhermit dem Patienten die CD anschauen und gemeinsam das Vor-gehen beraten, und wenn Sie meine innere Überzeugung jetztschon hören wollen: Ich würde ihm 2 Mammaria-Bypässezukommen lassen.“

Rutsch. „Ich wollte zu diesem sehr amüsanten Vortrag vonHerrn Schöndubel eine kleine kritische Anmerkung machen.Einmal muß man sagen, diese vergleichenden Studien PTCAgegen Koronarchirurgie sind ja relativ alt, sie umfassen nichtdie Stenttechnologie. Eine sehr wichtige Aussage dieser Stu-dien, daß bei der Mehrgefäßkrankheit die Koronarchirurgieder PTCA bezüglich Lebenserwartung überlegen sei, hat sichbei den Metaanalysen ja nicht bestätigt. Tod und Infarkt warin beiden Gruppen gleich. Zum anderen darf man natürlichnicht vergessen, was Sie als Chirurg verschwiegen haben, daßdie chirurgische Reintervention ja ein viel größerer Aufwandist als die Re-PTCA und eine dritte Anmerkung sei mir gestat-

tet: Sie sagten, es wäre gut, wenn der Chirurg bei der Indika-tionsstellung ein Wort mitreden könnte.

Bei uns in der Klinik ist es so, daß wir als Kardiologen denHerzchirurgen die komplexen Fälle vorstellen und die Thera-pie gemeinsam diskutieren, die Herzchirurgen dagegen nie-mals ihre Patienten uns zur Bewertung ihrer Indikationsstel-lung vorstellen.“

Oster. „Was auf der anderen Seite auch etwas schwierig seindürfte, da der Herzchirurg die Fälle immer nur zugewiesenbekommt, entweder von ihnen oder von anderen Kardiolo-gen.“

Bonzel. „Das Problem ist ja und da muß ich Herrn Schöndu-bel völlig recht geben, daß die Kardiologen mit den Patientenzuerst sprechen, und das kann nur subjektiv sein, völlig klar.Es muß daher jede Grenzentscheidung zwischen Dilatationund Bypassoperation vorher in einer gemeinsamen Konferenzbesprochen werden; ich glaube allerdings, daß das in der ganzgroßen Mehrzahl der Kliniken so auch geschieht. Und wennin dieser Konferenz die Entscheidung offen bleibt, dann sollteder Patient mit einbezogen werden, aber sonst auch nicht. DieTatsache allerdings, daß viele niedergelassene Kardiologenoder Krankenhauskardiologen aus anderen Häusern eineganze Reihe von Koronarangiographien gleich dem Chirurgenzuschicken, ohne daß eine Diskussion stattfindet, und daß auchviele Chirurgen diese Filme diskussionslos annehmen, halte

Diskussion III

Diskussion III 21

ich für fragwürdig. Es gibt wohl auf beiden Seiten noch immerDefizite.“

Reifart. „Die Situation hier im Auditorium ist doch ein klassi-sches Beispiel dafür, daß es schon den Spezialisten nicht soganz einfach fällt, eine Entscheidung zu treffen, ob man die-sen Patienten dilatieren oder operieren soll. Noch schwierigerwird es für den Hausarzt, und noch schwieriger wird es dannfür den Patienten. Man kann ihn gar nicht so lange und sogründlich aufklären, daß er diese Entscheidung dann selbst-verantwortlich treffen kann. Entscheidend wird dann das Ver-trauensverhältnis zwischen Patient und aufklärendem Arztsein, und wenn man sich selber immer wieder sagt, ich mußden Patienten so behandeln wie ich meinen engsten Angehöri-gen behandeln würde, dann liegen wir ziemlich nahe bei dem,was wir eigentlich für den Patienten tun sollten.“

Rutsch. „Es geht ja in der täglichen Praxis viel weniger darumzu entscheiden, PTCA oder Koronarchirurgie, sondern es geht

um die strategische Planung der Behandlung. Es geht darumfestzustellen, in welchem Stadium war seine Erstmanifestationund können wir seine Zukunft so planen, daß er 2, vielleichtsogar ja 3 Jahrzehnte überlebt. Da muß am Anfang die medi-kamentöse Therapie stehen, da muß dann die PTCA stehen,und wenn er dann in eine 3-Gefäßkrankheit mit Verschlüssenund Hauptstammstenose fortgeschritten ist, wird der Herz-chirurg tätig. Wenn schließlich die Bypässe versagen, wirdwieder der Kardiologe tätig.“

Kaltenbach: „Eines was man immer wieder erlebt, ist ganzschlimm: Ein Interventionskardiologe macht ein Angio-gramm, sieht eine Stenose und zeigt dem Patienten den Filmund sagt: Es ist ganz klar, diese Stenose ist jetzt so und so undwenn die zugeht, bist du tot und jeder Patient willigt sofort inden Eingriff ein. Dieser „occulo-stenotische Reflex“, derkommt heute vor und den muß man sicher brandmarken. Wasauch zunehmend um sich greift, das ist das Phänomen, daß esdie konservative Option oft gar nicht mehr zu geben scheint.“