Somalia - Geschichte und Hintergründe

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Alle Welt redet von den Piraten Somalias. Doch wer sind diese Piraten? In welchem soziokulturellen und historischen Kontext leben sie? Dieses Buch liefert wichtige Hintergründe.

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Die Piraterie in Somaliasamt

einer kurzen Geschichte des Landes und seiner konomieJRGEN EHBRECHTGttingen, August 2011

INHALTSVERZEICHNIS: 0. Einleitung 1. Geschichte Somalias 1.1 Vorkoloniale Geschichte - meerzentriert 1.2 Geschichte des Hinterlands 1.3 Kolonialgeschichte 1.4 Das Kamel wird gemolken 1.5 Der Siyadismus 1.6 Postsiyadistische Zustnde 1.7 Das Neue Jahrtausend 1.8 (Relativ) Milizenfreie Zonen 1.9 Eine informelle konomie 2. Piraten 2.1 Die ersten groen Ausbrche 2.2 Piratenfischer und Sondermll 2.3 Die Anfng maritimer Privatgewalt 2.4 Kstenschutzversuche 2.5 Die Zweite Welle 2.6 Modus Operandi 2.7 Die Postmoderne Armada 2.8 Rechtliche Probleme 2.9 Musterkaperungen 2.10 Somalische Piraten 3. Kurze Bemerkungen zu einer Kritik der antipiratischen konomie 3.1 Fallstricke 3.2 Maritime Privatgewalt und Plndermentalitten 3.3 Somalische Piraten IIAbkrzungen Literaturverzeichnis Abbildungen: Somalia Clanterritorien Oman und Umgebung 2 6 37 75 76

2 3 3 4 8 14 12 18 23 28 31 35 36 38 40 43 44 50 55 56 62 66 69 69 71 73

[email protected] Weiterverbreitung ist ausdrcklich erwnscht. Sollte der Text auerhalb der virtuellen Welt vervielfltigt werden, bitte mit dem Autor Rcksprache halten.

0. EINLEITUNG SOMALIA UND DIE PIRATERIEUnsere Geschichtsbcher sagen zum Beispiel, dass Frankreich Algier eroberte, um sich gegen die Piraterie der muslimischen Gaunerknige zu verteidigen. Aber sie sagen uns nicht, da die nordafrikanischen Knigreiche ihrerseits Opfer europischer Piraterie waren, die sie davon abhielt, normalen Handel zu entwickeln, und sie zum Korsarentum zwang (Josep Fortuna).

Nach dem zweiten Weltkrieg galt die Piraterie,wie die Dinosaurier, als ausgestorben, als Relikt aus der ra der Segelschiffe. Noch um 1975 kannte die Welt Piraten nur als Protagonisten mehr oder minder fiktiver Geschichten aus Bchern und Filmen. Doch im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts kam es zu einer berraschenden Renaissance. Flchtlinge aus Vietnam, Laos und Kambodscha wurden im Golf von Thailand mitten auf dem Meer ausgeraubt, und allmhlich, parallel zum Schiffsverkehr, der aufgrund der Globalisierung zunahm, entwickelte sich Sdostasien, insbesondere die Strae von Malakka, zu einem modernen hotspot der Piraterie. Seit ein paar Jahren hat sich der Schwerpunkt der postmodernen Piraterie nach Westen verlagert, nach Somalia. Gbe es die somalischen Piraten nicht, Somalia knnte statt am Horn von Afrika auch auf dem Mars liegen1; so wie ber den roten Planten nicht viel bekannt ist, so kennt die informierte ffentlichkeit nur wenige unzusammenhngende Fakten ber Somalia: David Bowie ist mit einem somalischen Model verheiratet, 1977 strmten deutsche Eliteeinheiten die Landshut auf dem Flughafen von Mogadishu, der oscarprmiierte Propagandafilm Black Hawk Down spielt in der somalischen Hauptstadt, Waris Dirie (die Wstenblume) machte die Weltffentlichkeit auf die (nicht nur) in Somalia bliche Praxis der Verstmmelung der weiblichen Geschlechtsorgane aufmerksam, whrend der Fuball-WM 2006 in Deutschland verboten Islamisten Fuballbertragungen, vor Somalia kreuzen deutsche Kriegsschiffe, und die Piraten haben sich ins Bewusstsein der Weltffentlichkeit gekapert.

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Dass Somalia im Sommer 2011 in einem anderen Zusammenhang als der Piraterie selbst in Lokalzeitungen zum Thema wurde, widerspricht seinem marsianischen Charakter nicht: die frchterliche Hungersnot zhlt zu den humanitren und Naturkatastrophen, von denen sich kulturindustrielle Medien nhren wie Hynen von Aas und auf die sie niemals verzichten knnen. Nachrichten abstrahieren in der Regel vom politischen, gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhang, in dem entstand, was sie der ffentlichkeit prsentieren dass die Hungersnot in Sdsomalia seit Monaten absehbar war, weil die Menschen seit Anfang des Jahres unter einer Jahrhundertdrre litten, und dass sie soziale Ursachen hat, greifen ffentliche Medien selten auf.

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Wer sich nicht mit sporadischen Meldungen ber spektakulre Kaperungen, Geiselbefreiungen, Tote und Lsegelder zufrieden geben mag, sondern die somalische Piraterie als Ausdruck der sozialen, gesellschaftlichen und politischen Verhltnisse in Somalia (und als lokal-spezifische Reaktion auf den Siegeszug des postfordistischen Kapitalismus) zu verstehen versucht, steht vor hnlichen Schwierigkeiten wie jene Radiohrer in New York 1938, die ein Hrspiel ber einen Angriff von Marsianern auf die Erde hrten und Realitt und Fiktion nicht auseinander halten konnten. In vielerlei Hinsicht ist die somalische Gesellschaft so einzigartig, dass ohne ein Minimum an Hintergrundinformationen (Spilker 2008, 9) weder die aktuelle Situation noch die Piraterie am Horn von Afrika verstndlich wird. Da die Piraten nicht in einem ahistorischen Vakuum operieren, sind zum (vorlufigen) Verstndnis der somalischen Piraterie einige Umwege notwendig. Zuerst geht es um die Geschichte Somalias2 und die nach westlichen oder staatsfixierten Mastben exotische Sozialstruktur Somalias, in dem Nomaden die Mehrheit der Bevlkerung ausmachen. Die historische Abschweifung beginnt mit einem Ausflug in die vorkoloniale Geschichte Somalias (Kap. 1.1 und 1.2). Daran schliet eine kurze Einfhrung in die Kolonialzeit an (Kap. 1.3). Das nchste Kapitel schildert die erste Phase des unabhngigen Somalias, Kapitel 1.5 widmet sich der Diktatur Siyad Barres (1969-1991). Nach dem Sturz des Diktators zerfiel Somalia in drei Teile: die Geschichte der Kmpfe in Sdsomalia und in Mogadishu, die bis heute andauern, kommen in den Kapiteln 1,6 und 1.7 zur Sprache, whrend sich Kapitel 1.8 auf die Entwicklungen in Puntland und Somaliland konzentriert, zwei seit 1991 faktisch unabhngigen Landesteilen. Im letzten Kapitel wird der Versuch gewagt, anhand unzureichender Quellen und Nachrichten die konomie in einer Gesellschaft ohne Staat skizzenhaft nachzuzeichnen. Der Hauptabschnitt (Teil 2) dreht sich um die somalische Piraterie, und im letzten Abschnitt (Teil 3) wird versucht, sie in den Hauptstrom der piratischen Geschichte einzuordnen.

1. EINE KURZE GESCHICHTE SOMALIAS1.1 VORKOLONIALE GESCHICHTE MEERZENTRIERT

Kste war bereits in ein den Die ostafrikanischeOzean umspannte. um die Zeitenwendesie ins berregionales Seehandelsnetz integriert, das Jedeswestlichen Indischen Ab etwa 800 geriet Visier islamischer Hndler (Ptak 2007, 144). Jahr3

Gott schuf zuerst die Familie des Propheten Mohammed und war sehr zufrieden mit dem edlen Ergebnis seiner Arbeit. Dann schuf er den Rest der Menschheit und war erfreut. Zuletzt schuf er die Somalis und musste ber das Resultat seiner Schpfung lachen (somalische Legende).

wurde am Persischen Golf eine Flotte (Chaudhuri 1985, 39) ausgerstet, die Mogadishu, Malindi, Mombasa, Sansibar, Kilwa und Sofala ansteuerte; ob die Handelsschiffe in Sichtweite der Kste blieben (Hourani 1995, 80) oder quer ber den Indischen Ozean segelten, ist unbekannt. Arabische und persische Muslime lieen sich in Ostafrika nieder, ein indischer Einfluss war nicht zu bersehen. Die ostafrikanische Kste von Sofala bis Mogadishu, sptestens seit dem 12. Jahrhundert islamisiert, wurde von einem Gegensatz zwischen den maritimen Emporien und ihrem Hinterland geprgt, der zu Zeiten in offene Feindseligkeit umschlu, da die arabische Welt schwarze Sklaven importierte, Zanj, die zum Teil ber ostafrikanische Hfen nach Norden verschifft wurden. Schriftlich erwhnt wurde Mogadishu zum ersten Mal in arabischen Quellen aus der ersten Hlfte des 13. Jahrhunderts 4: die Rede war von einer Stadt am Zanj-Meer, in der Muslime lebten, die sich von der Bevlkerung der Umgebung unterschieden. 1331 setzte Ibn Battuta von Aden nach Zeila ber und segelte von dort auf einer Dhau nach Mogadishu 5. Zu dieser Zeit war die Stadt das Zentrum eines Sultanats, das auch die Kstenstdte Merka und Brawa weiter im Sden sowie das Hinterland2

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Die Geschichte Somalias wird selten rezipiert, es liegt nur wenig gedrucktes oder verffentlichtes Material vor (zuverlssiges schon gar nicht), und zudem wird sie von zwei akademischen Disziplinen beackert: den Geschichtswissenschaften und der Ethnologie. Die neuere Geschichte der einzelnen Teile Ex-Somalias ist nur an eher entlegenen Stellen im Internet aufzuspren: haupt- und nebenberufliche UN-Berater schreiben mehr oder minder offizielle Berichte, das Militr sponsert manchmal Forschungen (deutsche Beitrage gibt es wohl nicht), und einige kritische Stimmen sind dank des Internets nicht zu berhren. Berichte ber die Hungersnot am Horn von Afrika werden etwa in der Tagesschau regelmig von einer Landkarte illustriert, auf der Somalia in den nicht mehr aktuellen Grenzen von 1960 dargestellt wird. Ein Seemannshandbuch zeigt, da im 1. nachchristlichen Jahrhundert Hndler aus Sdarabien und vom Roten Meer entlang der ostafrikanischen Kste nach Rhapta reisten, das sich irgendwo im heutigen Kenia oder Tansania befunden haben mu (Iliffe 2000, 74). Bereits al-Idrisi (gest. 1166) und al-Hamani (gest. 1229) sollen die Kstenstdte Sdsomalias beschrieben haben. Ein italienischer Archologe behauptete Anfang des letzten Jahrhunderts, die Ruinen einer Stadt auf dem Gebiet von Mogadishu wren die berreste einer phnizischen Ansiedlung. Ein Historiker der Universitt Kairo meint, Mogadishu wre schon Anfang des achten Jahrhunderts von Muslimen erobert worden. Whrend des Kalifats von Hrn ar-Rashid soll Mogadishu sich geweigert haben, Steuern an den Kalifen zu bezahlen; obwohl dieser eine Strafexpedition in die Gegend schickte (), verblieb Mogadishu in einem Zustand bestndiger Rebellion (Mukhtar 1995, 4). Danach reiste er nach Kilwa weiter, wo seine Reise gen Sden endete. Dort war der Sultan mit einem jihd gegen die Bevlkerung des Hinterlands beschftigt: Er mochte bewaffnete Streifzge durch die Lnder der Zanj. Er plnderte sie aus und machte viel Beute (Ibn Battuta, zit. n. Hall 1988, 62) und fing Sklaven fr den Export.

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kontrollierte (Hhne 2007a, 20). Ibn Battuta war (wie die Portugiesen zwei Jahrhunderte spter) berrascht, wie wohlhabend die ostafrikanischen Emporien waren. In Nordsomalia scheint es zwar grere Kstenhandelsstdte gegeben zu haben, aber dort lebten kaum Muslime; in Zeila bernachtete Ibn Battuta nicht einmal, weil es dort frchterlich nach Fisch und Kamelblut gestunken haben soll. In der Folgezeit geriet Mogadishu gegenber den sdlicheren Emporien ins Hintertreffen. Dennoch besuchte die Flotte von Zheng He Anfang des 15. Jahrhunderts Mogadishu, wo der berhmte chinesische Admiral Zebras und Lwen als Tribut (Dreyer 2007, 88) berreicht bekam. 1415 stie das christliche Knigreich thiopien nach Osten auf muslimische Gebiete in Nordwestsomalia vor, eroberte das Sultanat Ifat (mit Harar als Zentrum) und machte sich die lokalen Muslime tributpflichtig. Mit der ersten portugiesischen Karavelle im Indischen Ozean brach fr Ostafrika ein neues Zeitalter an. Die Portugiesen eroberten Sttzpunkte rund um den Indischen Ozean und erzwangen sich mit Waffengewalt Zugang zum Seehandelsnetz, das von Sdchina bis Tansania reichte. Die meisten ostafrikanischen Emporien gerieten unter portugiesische Herrschaft, Mogadishu jedoch nicht. Somalis nahmen Kontakt zu osmanischen Korsaren auf, um die Portugiesen zu bekmpfen; eine portugiesische Strafexpedition blieb erfolglos, nur Zeila wurde 1517 ausgeplndert. Zwischen 1540 und 1560 fhrte das Sultanat Adal ein wohlhabendes, weltoffenes Sultanat (Birnbaum 2002, 36) Krieg gegen thiopien, um die Christen wieder zu vertreiben, die sich seit einem Jahrhundert in Nordwestsomalia und Eritrea festgesetzt hatten. Sie drngten diese nicht nur hinter die frheren Grenzen zurck, sondern drangen auch auf thiopisches Gebiet vor, wo sie jedoch mit portugiesischer Hilfe6 und europischen Kanonen besiegt wurden. Um 1580 verbndeten sich somalische und ostafrikanische Kstenstdte gegen die Portugiesen und baten erneut Korsaren um Hilfe; dem osmanischen Kapitn Ali Bey [gelang] eine Kaperfahrt entlang der ostafrikanischen Kste (Rink 2007, 36), die ihn bis nach Mosambique fhrte. Eine gemischte Flotte vertrieb die Portugiesen aus vielen Kstenstdten. Daraufhin verlegte Portugal bewaffnete Schiffe aus Indien nach Ostafrika, und die Kstenstdte wurden zgig zurckerobert. Im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts tauchte eine neue Seemacht auf dem nordwestlichen Indischen Ozean auf: das Sultanat von Oman. Ein langer und bitterer Krieg zwischen dem Estado da ndia und Oman folgte (Barendse 2002, 16), der mit einem Sieg des Omans ber die Portugiesen endete 7. 1698 wurde Mogadishu von Omanis besetzt, die auch Kaperfahrten ins Rote Meer unternahmen; als sie bemerkten, dass die Stadt ihren arabischen Charakter verloren hatte, zogen sie wieder ab, verlangten (und erhielten) jedoch Tributzahlungen. Aufgrund eines Brgerkriegs (1720-1746) und eines Angriffs der Perser auf Oman lie die omanische Prsenz in Ostafrika nach, aber um 1750 waren die Omanis wieder da. 1785 bernahmen sie die Kontrolle ber Kilwa und setzten in Hafenstdten Gouverneure ein. Als der Sultan 1840 seinen Herrschaftssitz von Oman nach Sansibar verlegte, von wo aus er eine lockere Kontrolle ber Mogadishu ausgebte, war am Horizont ber dem monsunverhangenen Meer eine neue Welle europischer Eroberer erkennbar.1.2 DIE GESCHICHTEDES

HINTERLANDS

Seit der Entdeckung der Kamele, stritten sich Mnner um sie (somalisches Sprichwort).

ist 3.300 km lang (2.000 km am Indischen Ozean), die lngste Afrikas. Land Somalias KsteBRD, wurde aber 2001 nur von etwa 6,3 Millionen Menschen bewohnt. Das Sden,ist dreimal so gro wie die ehemalige Im in den Flusstlern des Juba und Shebelle, wird Landwirtschaft betrieben, da (meist) genug Regen fllt; hier lebten 1989 etwa 25% der Bevlkerung. In Zentral- und Nordsomalia und westlich des Juba reichen die Niederschlge fr sesshaften Ackerbau nicht aus; etwa 60% der Somalis sind nomadische oder halbnomadische Weidehirten, die Vieh, Kamele, Schafe und Ziegen (UNEP 2005, 12) zchten und im Rhythmus der Jahreszeiten (von Januar bis Mrz und von Juli bis September fllt kein Regen) wandern und Wasser und Weidegrnde suchen. Besonders in Nordsomalia variieren die Niederschlge von Jahr zu Jahr 8 und von Jahreszeit zu Jahreszeit. Obwohl der jhrliche Zyklus von zwei trockenen und zwei regnerischen Jahreszeiten regelmig eintritt, sind die Wanderungsrouten der Nomaden nicht stabil (Khazanov 1994, 57). Die restliche Bevlkerung lebt in Stdten9. Die Nomaden sprechen Maxaatiri, die offizielle Sprache Somalias, die Sesshaften Maayi (die sich zueinander wie Portugiesisch und Spanisch verhalten).6

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Zufllig befand sich der Sohn Vasco da Gamas mit Truppen und Ausrstung in thiopien. Er suchte den legendren Priesterknig Johannes, um sich mit ihm in einem heiligen Krieg gegen die Muslime zu verbnden. Europische Christen suchten Johannes zuvor schon bei den Mongolen, aber als sich herausstellte, dass die Mongolen keine Katholiken waren, blieb nur thiopien als christliches Reich mit Johannes als Anfhrer auerhalb Europas brig. Portugiesische Kapitne und Anfhrer, die ihr Amt gekauft hatten, sahen ihre persnlichen Felle davonschwimmen und berzogen die Kste von Sansibar bis zum Golf von Aden mit maritimen Plnderzgen (MPZs), damit sich ihre Investitionen durch Beute amortisierten kein Wunder, das die lokale Bevlkerung den Portugiesen die Untersttzung versagte. Die Variationsbreite der Niederschlagsmenge ist betrchtlich. In unregelmigen Abstnden bleibt der Regen in der Regenzeit aus und eine Drre berzieht das Land, seltener regnet es zwei oder drei Regenzeiten nicht. Manchmal folgen auf eine Drre sintflutartige Regenflle und berschwemmungen. Alle Bevlkerungszahlen sind mit Vorsicht zu genieen; es gibt keine genauen Angaben. Zudem leben mindestens eine Million Somalis im Exil, die Bevlkerung in den Stdten (insbesondere in Mogadishu) schwillt im Rhythmus ausbrechender Kmpfe an und ab, und bei einer Drre flchten Somalis vom Land in die Hauptstadt oder ins Ausland.

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Als die ersten muslimischen Hndler nach Mogadishu segelten, lebten in Somalia verschiedene Bevlkerungsgruppen. Im Sden zchteten die mobilen Reewin (Rahanweyn) Vieh und bauten Getreide an. Neben ihnen betrieben Bantus Ackerbau, die von Sden nach Somalia eingewandert waren, und wo es zu unwirtlich fr Landwirtschaft war, lebten Jger, Fischer und Sammler. Nordsomalia wurde von mobilen Gemeinschaften bewohnt, die den Anbau von Getreide und Viehzchtung miteinander kombinierten.-

- EXKURS: NOMADISCHE CLANS EINST ...Nur hoffnungslose Armut kann einen Nomaden dazu bewegen, den Boden zu bestellen. Sowie er sich mit Vieh versorgt hat, wirft er sofort den plumpen Spaten weg, mit dem er statt eines Pflugs den Boden bestellte und wird wieder nomadisch (ein russischer Ethnologe, 19. Jahrhundert).

Somalia gehrt zu den wenigen Lndern auf der Welt, in denen Nomaden die Mehrheit der Bevlkerung stellen. Die Gesellschaft Somalias und ihre soziale und politische Dynamik wurde (und wird) folglich von nomadischen Sozialstrukturen geprgt, die fr Sesshafte (also die berwltigende Mehrheit der heutigen Weltbevlkerung) sonderbar anmuten. Die somalischen Nomaden gehren vier unterschiedlich verzweigten und groen Clanfamilien (CFs) an: den Dir, Darod (die grte CF), Hawiye und Isaq, dazu kommen zwei weitere CFs, die Digil und die Reewin, grtenteils sesshafte Bauern und Pastoralisten (Weidehirten). Jede CF fhrt ihre Existenz auf einen (mythischen) Grndervater zurck, der vor bis zu dreiig Generationen gelebt haben soll, somalische Nomaden leben also in Gesellschaften, die entlang von Verwandtschaftslinien strukturiert sind10. Eine CF besteht aus (unterschiedlich vielen) Clans, die bis zu zwanzig Generationen zurckzhlen. Fr die alltgliche soziale Praxis sind Clans zu gro; die ersten Bezugspunkte fr ein Individuum sind sein Subclan (SC, bis zu zehn Generationen alt), sein Subsubclan und seine dia-paying-Gruppe (dpG). Diese besteht aus miteinander verwandten Mnnern (Frauen sind von der Mitgliedschaft ausgeschlossen), die durch Vertrge (heer11) aneinander gebunden sind, in denen insbesondere das gemeinsame Bezahlen und Eintreiben von Blutgeld (auf somalisch dia) in Konflikten mit anderen Gruppen geregelt wird: sie umfasst einige hundert bis mehrere tausend Menschen. Das Fundament der nomadischen Gesellschaft besteht aus Kernfamilien, die zusammen wandern. Trotz oder wegen der Eingebundenheit in rigide verwandtschaftliche Strukturen sind die Nomaden von einem Drang nach Ungebundenheit beseelt, der in Musik und Poesie verherrlicht wird, und nur unter extremen ueren Bedingungen, etwa whrend Konflikten, schlieen sich kleine Einheiten zu greren Clangruppen zusammen (Little 2003, 49). Jeder Clan ist patriarchal12 strukturiert. Die Abstammung vom Vater bestimmt die Clan- und SC-Zugehrigkeit, geheiratet wird exogam: Ehefrauen wechseln vom SC ihres Vaters in den ihres Ehemanns13, bleiben aber eigentlich ihrem SC zugehrig. Der Alltag wird durch eine doppelte Arbeitsteilung bestimmt: die bliche zwischen Mnnern und Frauen14 und eine weitere zwischen Mnnern Jungen15 und unverheiratete Mnner hten die Kamelherden (im Sden Rinder), die Basis des Wohlstands der Nomaden, und wandern auf anderen Wegen als ihre Familien, die mit Kleintieren und einigen Transportkamelen unterwegs sind. Junge Mnner arbeiten umsonst; der soziale Aufstieg ist ans Heiraten, an Kinder und an die allmhliche AkDas sieht auf den ersten Blick nicht sehr exotisch aus, schlielich ist jeder Mensch ber seine Eltern und Geschwister mit anderen Menschen verwandt. In sesshaften Gemeinschaften und Gesellschaften je grer sie sind, um so mehr ist die Verwandtschaft jedoch nur ein soziales Merkmal unter vielen, das in der Politik, in der konomie und in groen Teilen des sozialen Alltags der meisten Menschen nur noch eine geringe Rolle spielt. Das ist bei Nomaden grundstzlich anders und eben deshalb fr einen typischen westlichen Stadtmenschen so schwer verstndlich, der sich mit dem Bruder der Nichte der Schwester seines Onkels kaum verbunden fhlt, seinen Alltag in der Kernfamilie (wo sie noch existiert) und mit Arbeitskollegen, Freunden oder Bekannten verbringt und politische Entscheidungen an Fremde delegiert. Das heer hat einen doppelten Charakter: einerseits umfasst es Vertrge, die nur fr die Unterzeichner gelten, andererseits die Gesamtheit aller nomadischen Traditionen und Regeln, in denen Strafen fr Vergewaltigung, Beleidigung, Mord, unzulssiges Heiraten und anderes geregelt werden. Im Allgemeinen wird die Geburt eines Jungen gefeiert, indem man zwei Tiere schlachtet, whrend fr ein Mdchen nur eines geschlachtet wird oder gar keines. Fr einen ermordeten Mann wird die doppelte Kompensation [dia] wie fr eine ermordete Frau gezahlt (Gardner/El Bushra 2010, 9). Die traditionellen Werte werden Mdchen in jungen Jahren eingeimpft; zu den Kernbotschaften gehrt, dass Mdchen weniger essen, ihre Stimme senken und den Blick abwenden sollen und Jungen vor Mdchen bevorzugt werden (Dini 2008, 89). Alter und Status von Frauen knnen an der Frisur abgelesen werden (Ibrahim 2004, 31); verheiratete Frauen bedecken ihr Haar mit einem schwarzen Schal, verschleiern sich aber nicht. Von allen Entscheidungen, die ber die Kernfamilie hinausgehen, sind Frauen ausgeschlossen, auch wenn sie informell konsultiert werden. Bis zur Geburt des ersten Kindes verblieb die Ehefrau im SC der Mutter und nahm nach ihrem Umzug nicht den Namen des Ehemanns an. Die bedeutende Beziehung einer somalischen Frau zur Mutter und zur Schwester (Ahmed 1995b, 172) wird selten erwhnt, da Europer Frauen in der Regel als Ehefrauen definierten; oft ist die emotionale Bindung zwischen Schwestern oder Mttern und Tchtern enger als jene zum Ehemann, insbesondere dort, wo die Polygamie praktiziert wird. In erster Linie ziehen Frauen die Kinder auf und sind fr den Haushalt verantwortlich. Sie kochen, sammeln Feuerholz, produzieren Ghee, Fleisch und Milch fr den Eigenverbrauch und den Verkauf auf lokalen Mrkten und stellen die mobile Behausung her, eine Rundhtte aus Grasmatten und einem Gerst aus sten (aqal). Auf Wanderungen sind sie fr den Transport des Haushalts verantwortlich. Wenn Jungen sechs Jahre alt sind, gesellen sie sich zu ihren Neffen und Brdern, um in entfernten Weidegebieten auf die Kamele aufzupassen (Ibrahim 2004, 32); ab dem gleichen Alter hten Mdchen die Schafe, die in der Nhe des aqal grasen. Kommen Mdchen in die Pubertt, lernen sie, einen Haushalt zu fhren, und beginnen, einen eigenen aqal herzustellen.

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kumulation von Wohlstand und Ansehen gekoppelt. Gegen diese Fesseln wehrten sich junge Mnner, indem sie unter einem charismatischen Anfhrer aus ihrer Rolle ausbrachen und Plnderzge (PZs) unternahmen oder in den Krieg zogen und Beute machte eine akzeptierte Abkrzung zu Ruhm und Reichtum (und Frauen). Nomadische Gruppen blieben so verteidigungsfhig und pflegten ein gewisses Kriegerideal16. Wandernde Gruppen schlieen sich temporr zusammen, ihre Autorittsstrukturen sind auf jeder Ebene der nomadischen Gesellschaftsstruktur informell und zumeist an Alter und Erfahrung gebunden. Bis auf ein paar Ausnahmen ist ein hierarchisches Autorittsmuster der pastoralen Gesellschaft der Somalis fremd, die in ihren gewhnlichen Entscheidungsprozessen so demokratisch17 ist, dass sie fast an Anarchie grenzt (Lewis 2002, 10); Individualitt, Egalitt und ein Mangel an Institutionalisierung sind die besonderen Kennzeichen (Bongartz 1991, 18) der nomadischen Gesellschaft. Die Egalitt zwischen Mnnern ist tief verwurzelt, Wohlstand an sich kein Differenzierungsmerkmal. SC-Mitglieder haben innerhalb gewisser Regeln Ansprche auf Kamele, Vieh und Vermgen von Verwandten, obwohl es kein gemeinsames Vermgen gibt. Unterschiede hinsichtlich des privaten Wohlstands waren nicht unblich, wechselseitige Solidarittsund Reziprozittsbeziehungen im Rahmen des erweiterten Familienverbandes verhinderten jedoch, da es zu gravierenden Armuts- oder Verelendungsprozessen (Labahn 1990, 155) kam. Alle Somalis sind Muslime (Sunniten), hngen aber oft einem mystisch-magisch angehauchtem Islam an, organisierten sich in Sufi-Bruderschaften und verehrten Heilige. Berufene wandten sich vom Clanleben ab und wurden Scheichs, religise Gelehrte, die Wissen vermittelten, Gebete leiteten, Gerichte abhielten und in Konflikten vermittelten; einige Sufi-Bruderschaften grndeten im 19. Jahrhundert eigene, clanlose Drfer. Jeder Clan akzeptierte das islamische Gesetz, aber im nomadischen Gewohnheits- und Vertragsrecht ist nicht der Einzelne fr seine (bel-)Taten verantwortlich, sondern seine Verwandtschaftsgruppe oder dpG, so dass das islamische Recht, das individuelles Fehlverhalten bestraft, oft nicht angewendet werden kann. Es gibt keine individuelle Haftung18, sondern nur eine kollektive Verantwortung19. Nur innerhalb von stabil verbundenen Solidarittsgruppen knnen effektive Sanktionen16

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Als der berhmte Dichter Ali Dhuux einmal ein paar glubigen Mnnern Kamele stahl und dafr von seinem Clan heftig gescholten wurde, schrieb er zu seiner Verteidigung ein Gedicht, in dem er darauf hinwies, dass der Diebstahl von Kamelen durchaus ehrenwert wre. Whrend Konflikten wurde ein Mann, der beim Tten und Plndern mitmachte, gewhnlich bewundert und gepriesen, ein Befrworter des Friedens hingegen verachtet und als schwach und wertlos abgeschrieben (Gardner/El Bushra 2004, 11). (Nicht nur) Lewis verfllt hier in einen sonderbaren Widerspruch: wie kann eine Gemeinschaft demokratisch sein, in der die Hlfte der Bevlkerung nichts zu sagen hat? Dieses Sozialverhalten beschreibt etwa ein Begrungsritual treffend: man fragt: gibt es Frieden?, worauf mit es gibt Frieden! geantwortet wird. Dann wird wer bist du? gefragt, aber ein Angesprochener antwortet darauf nicht mit seinem Namen, sondern indem er seinen Clan und SC nennt, damit abgeklrt wird, ob miteinander friedliche Beziehungen gepflegt werden. Gegenber anderen CFs steht die eigene CF im Vordergrund, gegenber anderen Clans der eigene Clan, gegenber anderen SCs (auch des eigenen Clans) der eigene SC; bei Konflikten zwischen SCs knnen sich Solidaritten ergeben, die die Zugehrigkeit zu CFs und Clans durchkreuzen. Kein Nomade hat eine feststehende Identitt, sondern diese ndert sich je nach Kontext und Konflikt (bei Nomadinnen ist es noch komplizierter). Diese Struktur sorgt fr einen gewissen Schutz einer Ehefrau vor huslicher Gewalt: obwohl sie nicht in ihrem SC lebt, achtet dieser darauf, dass sie gut behandelt wird. Die Clanidentitt wirkte wie eine Lebensversicherung (Elmi 2010, 33): sie schtzt durch die Androhung von Gegengewalt vor Gewalt.

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gegen einen Rechtsbrecher verhngt werden (Hhne 2002, 21). Konflikte mit dpGs, SCs und Clans wurden auf einem Treffen, einem shir, geregelt. lteste, Sultane20 und Scheichs konnten sich einbringen und vermitteln, aber ihre Beitrge waren nicht bindend. Wurde auf einem shir keine Einigung erzielt, galten das Recht des Strkeren und das Gesetz der Blutrache; kommt eine Spirale aus Gewalt und Gegengewalt in Gang, ist sie nur schwer zu stoppen. Konflikte konnten dazu fhren, dass schwchere SCs zur Knechtschaft (oder in die Sklaverei) gezwungen wurden (minoritre SCs mussten sich also starke Alliierte suchen). Oft milderten die gemeinsame Zugehrigkeit zur islamischen Gemeinschaft und Verbindungen zu SCs von Ehefrauen und Mttern die Unvershnlichkeit, mit der sich Konfliktparteien gegenberstanden: der soziale Friede war in ein kompliziertes Geflecht eingebettet, in dem die patrilineare Abstammung, die militrische Strke, lokale Vertrge, das heer, das islamische Recht, die Autoritt der ltesten und die Vermittlung von Scheichs gerade wegen der inhrenten Widersprchlichkeiten fr ein Gleichgewicht sorgten. Alle somalischen Clans hielten sich Sklaven und Abhngige; und es gab eine Art Kaste von Unberhrbaren oder Unreinen (sab) Jger und Fischer, Metallarbeiter und Schuhmacher. Die somalische Gesellschaft ist bis heute von einer nomadischen Arroganz durchzogen, die an Rassismus grenzt: sesshafte, schwarze Afrikaner und die Nachkommen von Sklaven werden zu weniger gleichen Menschen herabgewrdigt, whrend sich Nomaden zu edle(re)n Menschen stilisieren21.- Wenn es genug regnete, lebten die Pastoralisten im Sden zur Zeit des Propheten friedlich nebeneinander; blieb der Regen aus, erhielt der lteste Clan oder SC bevorrechtigten Zugang zu Wasserstellen und zum besten Land (wenn das alte erschpft war). Daher emigrierten einzelne Gruppen in Gegenden, wo sie sich selbst als lteste etablierten. Anfnglich war dieser Prozess sehr langsam; zwei Faktoren erhhten jedoch seine Geschwindigkeit: (1) ein Bevlkerungsanstieg und (2) die Einfhrung des Kamels in Sdsomalia (Kusow 1995, 99) um die Mitte des siebten Jahrhunderts. Das Kamel, ein neues Produktionsmittel, induzierte (auf lange Sicht) gewaltige Vernderungen. Proto-Hawiye zogen nach Norden, verdrngten dort Bevlkerungen, die keine Kamele besaen, und gingen, um das trockene Klima optimal auszunutzen, vom Pastoralismus zu echtem Nomadismus ber. Etwa im 13. Jahrhundert schlug wohl die (legendre) Geburtsstunde der heutigen CFs, als sich die Nomaden unter dem Einfluss muslimischer Migranten arabisierten, den Islam annahmen und sich die Meinung herausbildete, dass der pastorale Nomadismus irgendwie besonders edel (Ehret 1995, 250) sei. Zur gleichen Zeit verringerte sich die durchschnittliche Niederschlagsmenge pro Jahr. Weil nun weniger Menschen vom Land leben konnten, kehrte sich die Migrationsrichtung um: diejenigen, die als Weidehirten in den Norden gekommen waren, machten sich als Nomaden wieder gen Sden auf22. Zuerst wanderten Darod und Dir nach Westen und Sden, ihnen folgten die Isaq. Whrend ihrer Migration vertrieben sie andere Bevlkerungen oder schoben sie vor sich her, so dass diese wiederum andere verdrngten. Im 15. und im 16. Jahrhundert, als thiopien und die Sultanate Ifat und Adal im Norden Krieg fhrten, beschleunigte sich die Migration. Die meisten Bantus wurden nach Kenia abgedrngt; neben den Reewin und den Digil siedelten sich neue Clans und CFs in den fruchtbaren Flusstlern und in Sdsomalia an, wobei viele jener, die sich zwischenzeitlich dort niedergelassen hatten, erneut vertrieben oder versklavt wurden; nur am Kstenstreifen sdlich von Kismayo blieben nicht-somalische Bevlkerungsgruppen ansssig. Die Hawiye strzten im frhen 17. Jahrhundert die regierende Dynastie in Mogadishu und breiteten sich entlang der Kste nrdlich der Stadt und nordwestlich des Juba aus. Die nomadische Besiedelung des Sdens exportierte die Clanideologie in die Stdte und Ackerbaugebiete; in den Stdten entstand eine urban-nomadische Kultur. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts bildete sich das Clan-Siedlungsmuster heraus, das in etwa heute zu beobachten ist.

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Sultane, nominell Clan- oder SC-Chefs, hatten in der Regel kaum Autoritt, selbst wenn das Amt erblich war; ihre Stellung entsprach in etwa der der Queen in England. Ein Sultan ist sozusagen ein auf Dauer gewhlter ltester. Wo Nomaden auf sesshafte Bauern trafen, fhlten sie sich ihnen in der Regel berlegen. Das hat mglicherweise damit zu tun, dass Nomaden eine mnnliche Kriegerethik pflegten und auf ihre Ungebundenheit stolz waren, Tugenden, die sie bei Sesshaften vermissten. Zum Gegensatz zwischen Sesshaften und Nomaden kam in Somalia die rassistische Abwertung von Schwarzafrikanern hinzu, gegenber denen sich die somalischen Nomaden wie Araber fhlten. Als sich in Britisch-Somaliland Clans darber beschwerten, dass sie wie Afrikaner behandelt wurden, obwohl sie doch Araber wren, erfanden die Briten eine dritte Kategorie zwischen Weien und Schwarzen. Die Rekonstruktion der Geschichte der Nomaden Somalias ist umstritten. Es gibt (so gut wie) keine schriftlichen Quellen, da die nomadische Kultur eine orale war; zur Verfgung stehen nur berlieferte Genealogien und Legenden, die durch linguistische Forschungen und Ausgrabungen ergnzt werden. Zumeist wird die Nomadengeschichte anders erzhlt: die nomadischen CFs lebten schon immer im Norden und eroberten im Lauf der Jahrhunderte den Sden, wobei sie whrend ihrer Expansion alle vertrieben, die ihnen unterwegs begegneten. Dieser Theorie, die Somalias Geschichte nomadisiert, wird von einigen postkolonialen KritikerInnen ein kolonialistischer und orientalistischer Blick auf die Geschichte vorgeworfen, da sie Somalia entafrikanisiert, die Streifzge nomadischer Krieger verherrlicht und die Legenden nomadischer Mnner fr bare Mnze nimmt (und jene der Frauen verschweigt). Verkompliziert wird der Streit dadurch, dass das offizielle Somalia (bis 1991) dazu tendierte, im Konsens mit europischen Historikern (wie Lewis 2002) und Ethnologen sein nomadisches Erbe hervorzuheben.

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Zwischen 1800 und 1890 importierten reiche Somalis etwa 50.000 schwarze Sklaven aus Sansibar, die in den Tlern des Shebelle Getreide und Baumwolle fr den Export anbauen sollten23. Das Juba-Tal blieb relativ unberhrt (dort war die TseTse-Fliege endemisch), wurde ab 1840 jedoch zur Zuflucht geflchteter und freigelassener Sklaven; um die Jahrtausendwende lebten dort 40.000 Ex-Sklaven, deren Anzahl sich fast verdoppelte, als die Italiener die Sklaverei abschafften. Die Ex-Sklaven imitierten die nomadische Clanideologie und organisierten sich in Clans. Sie werden von den Nomaden als gosha oder jareer bezeichnet, wobei jareer ein Begriff ist, der ein afrikanisches Aussehen und einen minderwertigen und stigmatisierten Status (Besteman 1995, 48) impliziert.1.3 KOLONIALGESCHICHTE

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Fr ein geklautes Kamel/bringst du Dutzende Landsleute um/und doch wirfst du keinen Stein/fr die Befreiung deines Mutterlands (somalisches Gedicht).

814 rebellierte Mogadishu gegen den Sultan in Sansibar, wurde 1828 von Omanis bombardiert und kapitulierte. Nrdlich von Mogadishu hatte sich das Sultanat von Obbia, am Horn von Afrika das Sultanat von Majertein gebildet. Beide befehdeten sich, hatten den regionalen Handel monopolisiert, und Schiffe wurden ausgeplndert, die strandeten oder in Seenot gerieten. Berbera war zu einem Provinznest herabgesunken, das nominell zum trkischen Reich gehrte, praktisch jedoch von einem lokalen SC der Isaq regiert wurde. 1839 unterzeichnete der Sultan von Majertein einen Freundschaftsvertrag mit den Briten, im gleichen Jahr eroberte die britische Ostindienkompanie (EIC) Aden, das 1858 zur Kronkolonie (Wende 2008, 281) erklrt wurde; mit dem Oman und Sansibar unterzeichneten die Briten Vertrge zur Sicherung der Seewege nach Indien. 1869 wurde der Suezkanal fertiggestellt. Als gypten der Staatsbankrott drohte, mischten sich die Briten unter dem Vorwand, die Interessen europischer Glubiger wahrzunehmen, in die inneren Angelegenheiten des Landes ein. Dagegen rebellierten Teile der gyptischen Armee, woraufhin Grobritannien das Land besetzte, ohne es in eine Kolonie umzuwandeln. Nach der Erffnung des Suezkanals war gypten sdwrts expandiert und hatte die osmanische Kontrolle ber Berbera und sein Hinterland erneuert. Die Briten erkannten 1877 die Oberhoheit gyptens ber Nordwestsomalia an, was ihnen nicht sonderlich schwergefallen sein drfte, da sie gypten kontrollierten. Frankreich und Italien sicherten sich Hfen am Roten Meer nrdlich von Berbera24. Als 1884 im Sudan die Revolte des Mahdi ausbrach, zog sich gypten fluchtartig aus Nordwestsomalia zurck und berlie die Region sich selbst. Die Briten schickten Vizekonsuln, um die Versorgung von Aden mit Fleisch sicherzustellen. 1885 gab Italien bekannt, dass Eritrea unter seinem Schutz stnde; drei Jahre spter einigten sich England und Frankreich auf Grenzen zwischen ihren Protektoraten Djibouti und Britisch-Somaliland. Whrend die europische Herrschaft ausgebaut wurde, fhrten thiopische Stotrupps PZs auf somalischem Clangebiet durch; gegen Handelskonzessionen und einen Friedensvertrag lieen die Briten zu, dass thiopien die Kontrolle ber den Ogaden beanspruchte, wo viele Somalis ihr Vieh weiden lieen. Im Sden hatte die britische Ostafrikakompanie die Region um Mogadishu und Kismayo vom Sultan in Sansibar gemietet; noch 1871 hatte dieser in Mogadishu einen militrischen Auenposten einrichten und zwei Jahre spter eine Festung bauen lassen. 1889 vermieteten die Briten die Kstenstdte an die kniglich-italienische ostafrikanische Kompanie weiter, drei Jahre spter zahlte diese Tribute an den Sultan (bis 1905); das Gebiet sdlich des Juba 1895 erklrten die Briten zur Kolonie. Im gleichen Jahr unterzeichnete der italienische Konsul in Sansibar mit den Sultanaten von Obbia und Majertein Vertrge, in denen diese den Schutz und die Regierung (Lewis 2002, 51) Italiens anerkannten. Am 13. Januar 1905 kaufte Italien Sdsomalia und erwarb das Recht, im englischen Kismayo Handel zu treiben, wenig spter rebellierten die Bimal, ein Dir-Clan sie lebten, neben der Viehzucht, auch von Ackerbau, den Sklaven fr sie erledigten , weil die Italiener die Sklaverei abschafften. Erst nach drei Jahre wurden die Nomaden besiegt. Bis 1914 hatte Italien das Hinterland von Mogadishu einigermaen pazifiziert. 1911 wurde ein Gesetz erlassen, dass Land, das von Einheimischen nicht kultiviert wurde, dem Staat gehrte; allerdings wurde es nur in den fruchtbaren Gebieten angewendet, wo sich der Anbau von Exportprodukten lohnte.-

- MUSTERKARRIEREN: DER SAYYID DAS ERSTE AUFFLACKERN EINES SOMALISCHEN NATIONALISMUSFr England! Fr die Heimat! Fr Beute! (Russell Crowe als Jack Aubrey beim Entern in Master and Commander).

Kurz vor der Jahrhundertwende erklrte im Norden Somalias ein Scheich aus dem Clan der Darod Sayyid Muhammad Abdille Hassan, der verrckte Mullah, wie ihn die Kolonialherren nannten einen jihd25 gegen die Unglubigen. Er schrieb (auf-

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Dem Sklavenhandel und der Plantagenwirtschaft war keine Zukunft beschieden. Ostafrika erlebte vielmehr einen abrupten wirtschaftlichen Bruch. Sein Wirtschaftswachstum im 19. Jahrhundert erwies sich lediglich als eine tckische Art der Unterentwicklung (Iliffe 2000, 249) was mit dazu beitrug, dass viele Sklaven in Somalia freigelassen wurden. 1869 kaufte eine italienische Gesellschaft eine Hafenstadt an der Kste Eritreas. Versuche, die italienische Herrschaft ins thiopische Hinterland zu erweitern, fhrten zu Kriegen mit thiopien; im zweiten (1896) wurde Italien vernichtend geschlagen, weshalb thiopien unabhngig blieb. Der britische Konsul fr Somaliland erhielt am 1.9.1899 einen Brief vom Sayyid, in dem dieser sich darber beklagte, dass die Briten die Ausbung des Islam behinderten und Muslime unterdrckten. Er stellte die Englnder vor die Wahl: wenn ihr Krieg wollt, akzep-

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rhrerische) Gedichte, vertrat einen rigiden Islam 26 er stellte das islamische Recht ber die Clantraditionen und bekmpfte Magie, Mystizismus und Heiligenkulte und verband seine religise berzeugung mit einer pansomalischen, antikolonialen Agenda. Sein Aufruf zu den Waffen fiel vielerorts auf fruchtbaren Boden, seine religisen berzeugungen wurden jedoch nur von wenigen geteilt. Einige Muslime aus Somalia wandten sich sogar an Gelehrte in Mekka, um die religisen Ansichten des Sayyid verurteilen zu lassen. Tatschlich schrieben diese einen Brief zurck, in dem sie den Sayyid aufforderten, seine hretischen Auffassungen zu widerrufen. Als ein qdi ihm den Brief vorlas, lie er ihn kurzerhand hinrichten. Die Aufstndischen (die Derwische) erhielten ber Djibouti und den Majertein Waffen und berfielen Karawanen im Ogaden. Als thiopien reagierte und (unbeteiligte) nomadische Gruppen angriff, berfielen die Rebellen thiopische Auenposten, attackierten Isaq-Gruppen und erbeuteten viele Kamele, woraufhin sich die Angegriffenen nach Britisch-Somaliland zurckzogen, was wiederum die britischen Behrden zum Eingreifen bewog. Die Bewegung breitete sich schnell aus und lhmte den regionalen Handel; Kmpfen mit berlegenen Krften gingen die Rebellen aus dem Weg und zogen sich je nach Lage auf thiopisches, englisches oder italienisches Territorium zurck. Im Mrz 1903 gelang es den Derwischen, sich bei Eyl an der Kste festzusetzen. 1909 unternahm der Sayyid PZs auf britischem Gebiet, ein Jahr spter verteilten die Briten zur Abwehr der Rebellen Waffen an die Isaq. Sie gingen davon aus, der Sayyid wre ein normaler Clananfhrer und verfeindete Clans wrden ihn vertreiben. Die Isaq dachten jedoch gar nicht daran, gegen die Rebellen in die Offensive zu gehen, obwohl einige Isaq-Clans angegriffen und ausgeplndert worden waren, sondern setzten die Waffen in internen Auseinandersetzungen ein. 1913 schickten die Briten Truppen ins Hinterland. Beide Seiten erlitten heftige Verluste, die Rebellen unternahmen neue PZs und griffen das Sultanat von Majertein an, das sich daraufhin an Italien um Hilfe wandte 27. Whrend des ersten Weltkriegs wurde der Sayyid von der Trkei und Deutschland untersttzt. 1919 unternahmen die Briten den entscheidenden Feldzug ins Landesinnere und weiteten ihre Herrschaft ber Nordwestsomalia aus. Ein Jahr spter starb der Sayyid, und die Revolte war vorbei, whrend derer ein Drittel der Bevlkerung Somalilands ums Leben gekommen war. Bis heute wird der Sayyid in Somalia als Nationalheld verehrt (wenn auch nicht von allen Clans), seine Gedichte zhlen zum kulturellen Erbe Somalias, und mancherorts gilt er als Heiliger.- Am 5. Dezember 1923 kam in Sdsomalia ein neuer italienischer Konsul an, ein in der Wolle gefrbter Faschist. Ein paar Wochen spter wurde damit begonnen, private Waffen einzusammeln; als einige Hawiye sich weigerten, wurden sie gezwungen. Im Juli 1924 berlieen die Briten den Italienern das Gebiet sdlich des Juba, in dem es immer wieder Rebellionen gegeben hatte; ein Jahr spter wurden Kismayo und sein Umland formell von Italien annektiert. Ebenfalls im Sommer 1924 gab Mussolini den Befehl, in Obbia einzumarschieren. Einige Anhnger des Sultans rebellierten und fgten den Italienern zwei Niederlagen zu. Daraufhin bewaffneten die Italiener jene Hawiye aus Sd-Obbia (Gegner des Ex-Sultans), die sie kurz zuvor entwaffnet hatten; sie besiegten die Rebellen fr Italien. Im November 1927 kapitulierte nach lngeren Kmpfen auch das Sultanat von Majertein. Damit sich Somalia nicht zu einem Verlustgeschft entwickelte, lieen italienische Firmen Bananen, Baumwolle, Sesam und Zuckerrohr anbauen, dennoch mussten die Faschisten regelmig Geld nachschieen. Sie hatten massive Schwierigkeiten, Arbeitskrfte fr die Plackerei auf den Plantagen zu finden 28, also verpflichteten sie Zwangsarbeiter, wobei sie auf ExSklaven und ihre Nachkommen zurckgriffen. 1928 unterzeichneten thiopien und Italien einen Freundschaftsvertrag. Dennoch griffen die Faschisten am 3. Oktober 1935 thiopien an und reagierten auf Widerstand mit brutaler Gewalt: Ich autorisiere Ihre Exzellenz noch einmal, systematisch mit einer Politik des Terrors und der Ausrottung gegen die Rebellen und die mitschuldige Bevlkerung zu beginnen, so Mussolini hchstpersnlich an seinen Statthalter in Addis Abeba (zit. n. Mattioli 2007, 75); zu dieser Strategie gehrten der Einsatz von Giftgas und der Luftwaffe gegen die Zivilbevlkerung und die Vergiftung von Wasserquellen. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs besetzte Italien Britisch-Somaliland, und kurze Zeit brstete sich Mussolini mit einer panostafrikanischen Kolonie. England schlug jedoch schnell zurck: britische Truppen eroberten im Februar 1941 Mogadishu, wo sie von vielen als Befreier begrt wurden, im April des Jahres Addis Abeba, und die letzte italienische Fahne wurde am 27. November 1941 in Ostafrika eingeholt.-

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tieren wir das; aber wenn ihr Frieden wollt, dann bezahlt die Strafe (zit. n. Lewis 2002, 70). Natrlich beugten sich die Englnder dieser Erpressung nicht. Der islamistisch anmutende Furor des Sayyid entstand nicht aus dem Nichts. Bereits 1819 hatte ein Scheich in einer Stadt am Juba den Genuss von Tabak, ffentliche Treffen zwischen den Geschlechtern und den Handel mit Elfenbein verboten, weil Elefanten unrein wren. Erst nach einiger Zeit wurde die rebellische Stadt von Truppen des Sultans erobert und niedergebrannt; alle Einwohner wurden gettet oder flchteten (Lewis 2008, 19). Der Sultan von Majertein, der vertraglich an die Italiener gebunden war, lavierte seit Beginn des Aufstands zwischen einer Kooperation mit Italien und einer antieuropischen Politik. Mehrere Male (1901, 1903 und 1909) bombardierten italienische Schiffe Orte an der Kste, um dem Sultan Autonomiebestrebungen und antiitalienisches Verhalten auszutreiben. Die ltesten der sesshaften und gosha-SCs versuchten, junge Mnner von der Lohnarbeit abzuhalten, da sie befrchteten, Lohnarbeiter wrden sich ihrer Autoritt entziehen und mit angespartem Geld die lokalen Brautpreise in die Hhe treiben, was eine von ihnen nicht gewnschte soziale Differenzierung nach sich gezogen htte.

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- EXKURS: NOMADISCHE CLANS IM UMBRUCHEin Koreaner, der sich fr einen Muslim ausgab, war in der Hauptstadt aufgetaucht, allein und unangemeldet. Obwohl er kein Wort Somalisch sprach, gelang es ihm, eine Unterkunft zu finden (). Am zwlften Tag in Puntland pbelte ihn eine Gruppe mit Gewehren bewaffneter Mnner am hellichten Tag an, als er unbewaffnet spazieren ging (). Dem Koreaner gelang es, sich freizukmpfen und zu flchten. Er schaffte ein paar Meter, bevor einer der irritierten Mchtegern-Geiselnehmer ihm beilufig ins Bein schoss (Jay Bahadur: Deadly Waters).

Die meisten Nomaden lebten unter den Italienern wie ihre Vorfahren, verachteten die Landwirtschaft und das sesshafte Leben und gingen den italienischen Steuereintreibern aus dem Weg (Hess 1966, 186). Den Kolonialherren ging es um Profite und Ruhe, nicht um die Modernisierung des Landes, sie sttzten sich vorwiegend auf die (kleine) stdtische Mittelklasse. Ein modernes Rechtssystem wurde nur in den Stdten eingefhrt; im Landesinneren mischten sich die Italiener nicht in die lokalen und regionalen Traditionen zur Konfliktlsung ein. Selbst wenn sie es gewollt htten, htten sie wohl keine Chance gehabt, der mobilen Landbevlkerung faschistische Strukturen aufzupfropfen. Indem sie einige lteste und SC-Anfhrer mit staatlicher Autoritt ausstatteten und ihnen bevorzugten Zugang zur Kolonialverwaltung (und ihren Ressourcen) gewhrten, bten sie jedoch eine effektive indirekte Kontrolle aus und schufen sich eine Klientel aus ihnen zugeneigten Nomaden: sie hebelten das traditionelle Clansystem aus, indem sie es instrumentalisierten29. Sie bertrieben Clanrivalitten, indem sie bestimmte Clans bezahlten, damit sie fr sicheres Geleit bei Handelswaren und fr Kaufleute sorgten, und andere Clans bewusst provozierten (Little 2003, 26). Die indirekte Kontrolle unterminierte die Autoritt der ltesten jener Clans und SCs, die nicht mit den italienischen Behrden kooperierten, da sie nicht an den Quellen des Wohlstands der kolonialen konomie partizipierten, und junge Nomaden, die in die Stdte zogen, entzogen sich ihrer traditionellen Autoritt. Die Autoritt italophiler ltester wurde hingegen gestrkt, da die Italiener ihnen im Einklang mit den Clantraditionen die Rechtsgewalt ber alle Mitglieder ihrer SCs zustanden. Gegner der italienischen Kolonialherrschaft und der durch sie induzierten Vernderungen im Clansystem erhoben das heer zum Symbol fr ihren Widerstand, bis zum Ende der zwanziger Jahre kam es immer wieder zu militrischen Zusammensten zwischen somalischen Rebellen und italienischen Truppen (Prunier 1997). Fr den Angriff auf thiopien wurde das italienische Heer durch 40.000 Somalis (zumeist Sesshafte) verstrkt, die mehr oder minder zum Militrdienst gezwungen wurden. Weil der Landbevlkerung Arbeitskrfte entzogen wurden, sank die Lebensmittelproduktion, wodurch die Lebensmittelpreise stiegen und sich einige Italiener billig Land aneignen konnten; um zu berleben, blieb fr viele Somalis nur die Lohnarbeit auf den Bananenplantagen30, die vorher erzwungen werden musste. Die Briten gingen ein wenig anders vor. Sie strkten die dpGs, indem sie, um Geld fr die Kolonialverwaltung zu sparen, die kollektive Verantwortung der traditionellen Clanideologie in Strafen fr SCs bei individuellem Fehlverhalten verwandelten. Whrend traditionell Konflikte auf einem shir geregelt wurden, lieen die Briten nicht mit sich verhandeln und setzten Strafen einfach fest. Clanlteste wurden so gezwungen, ihre Verwandtschaftsgruppe streng zu disziplinieren, wodurch SC- und dpGGrenzen enger und rigider gezogen wurden.- Am 3. Mai 1943 grndete sich in Mogadishu der somalische Jugendclub, der sich bald in eine politische Partei, die somalische Jugendliga (SJL), verwandelte, die die Unabhngigkeit Somalias anstrebte. Italien finanzierte nach 1945 proitalienische Gruppen und trieb damit einen Keil in die somalische Gesellschaft. Am 11. Januar 1948 demonstrierte die SJL fr ihre Ziele, Italiener und italophile Somalis machten gegen die Demonstration mobil. Es kam zu Straenkmpfen, 51 Italiener und einige Somalis starben. Trotz dieser Vorflle und der Bedenken vieler Somalis verfgte die UN, dass eine italienische bergangsregierung das Land auf die Unabhngigkeit vorbereiten sollte. Die Hoffnung der Somalis auf ein unabhngiges Grosomalia, das alle Gebiete umfasste, in denen Somalis lebten, erfllte sich nicht: der Ogaden wurde im September 1948 offiziell an thiopien bergeben, Somaliland blieb britisch, Djibouti franzsisch. Italien bemhte sich um eine (bescheidene) konomische Entwicklung des Landes was kaum gelang: bis zur Unabhngigkeit bestritt Italien 60% des somalischen Etats , erlaubte Wahlen und lie Selbstverwaltungsorgane zu, whrend sich die Briten kaum um ihr Protektorat kmmerten. In beiden Regionen existierten unterschiedliche Verwaltungs-, Regierungs-, Erziehungs- und Mitbestimmungssysteme, im Sden gab es das Wahlrecht fr Frauen (im Norden nicht), und zwei Verkehrssprachen, Englisch und Italienisch, waren in Gebrauch.

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Die Briten handelten bis 1923 in Sdsomalia und in Somaliland hnlich. In Sdsomalia trieben sie etwa einen Keil zwischen zwei Darod-Clans: der eine hatte mit den Briten nichts zu tun, whrend der andere praktisch britische Verwaltungsjobs monopolisierte und Soldaten stellte, die gegen andere Somalis kmpften. Was Clanlteste befrchtet hatten, trat ein: junge Mnner entdeckten, dass sie sich durch Lohnarbeit von ihren Clanfesseln befreien konnten. Die Italiener untersttzten diesen Prozess nach Krften, indem sie junge Frauen aus anderen Gegenden und Clans rekrutierten, um Ehepaare zu produzieren, die auerhalb ihrer Clans (auf den Plantagen) lebten, wodurch die traditionelle Heiratspolitik der SCs torpediert und die Autoritt der Clanltesten geschmlert wurde.

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und Die italienische bergangsregierung fr Somaliainendete zum 30.6.1960,Beideberraschend entlie die britische Regierung zum gleichen Zeitpunkt Britisch-Somaliland die Unabhngigkeit. Gebiete vereinigten sich am 1.7.1960 zum unabhngigen Somalia ohne Djibouti, Nordkenia und den Ogaden31. Der neue Staat stand von Anfang an auf tnernen Fen, das Land war arm und konomisch unterentwickelt. Unser Unglck besteht darin, dass unsere Nachbarlnder () nicht unsere Nachbarn sind. Unsere Nachbarn sind unsere somalischen Verwandten, deren Staatsbrgerschaft durch unbedachte Grenzziehungen bestimmt wurde. Sie mssen knstliche Grenzen berqueren, um ihr Weideland zu erreichen. Sie leben auf dem gleichen Gebiet und bettigen sich in der gleichen Weidewirtschaft wie wir. Wir sprechen die gleiche Sprache. Wir teilen die gleichen berzeugungen, die gleiche Kultur und die gleichen Traditionen, so brachte der erste Premierminister Somalias die Paradoxien der Staatsgrndung auf den Punkt (zit. n. Lewis 2002, 178). Der Norden, Ex-Britisch-Somaliland, fhlte sich vom Sden benachteiligt, da sich das Zentrum Somalias im Sden befand: Mogadishu, die Hauptstadt (mit der einzigen Universitt und einem Nationaltheater), die fruchtbaren Gebiete und die wenigen Exportbetriebe. Die Dir und die Isaq, die mehrheitlich den Nordwesten bewohnten, hatten sich von einer Mehrheitsbevlkerung in eine Minderheit verwandelt und beklagten sich, sie wren in der Politik Somalias unterreprsentiert. Obwohl sich die neue Regierung Mhe gab, die beiden CFs des Nordens an der Regierungsarbeit zu beteiligen, wurde die neue Verfassung Somalis, die im Sden erarbeitet wurde und sich eng an die italienische anlehnte, im Nordwesten 1961 bei geringer Wahlbeteiligung mehrheitlich abgelehnt. Eine somalische Schriftsprache zu etablieren, schlug ebenso fehl wie die Vereinheitlichung der Brokratie und der Bildungssysteme. Als die Somalis enthusiastisch fr Dekolonisation und Unabhngigkeit eintraten, war die Intensitt des Nationalismus als Fokus einer neuen Identitt unbersehbar (Samatar 1994, 95). Der Pansomalismus bertnchte die Zerrissenheit im Land, obwohl er sich im Norden anders als im Sden ausprgte: die SJL setzte auf eine (laizistische) Modernisierung des Landes und einen vorsichtigen Ausgleich mit den Nachbarstaaten, whrend die Opposition im Sden und die CFs des Nordens auf einem kmpferischen Pansomalismus beharrten. In Nordkenia operierten ab 1964 somalische Guerillagruppen, die shiftas32, Banditen, die fr die Unabhngigkeit von Kenia kmpften. Weil die Briten Kenia nicht vor den Kopf stoen wollten und sich nicht an die Seite Somalias stellten, brach Somalia die diplomatischen Beziehungen zu Grobritannien ab, aber als die Regierung in Mogadishu beschuldigt wurde, shiftas auszubilden und mit Waffen zu beliefern, dementierte sie. Im Ogaden wuchsen sich Ende 1963 lokale Aufstnde somalischer Exilanten, Grenzscharmtzel und Schmuggel zu einem Grenzkrieg aus. Die Organisation afrikanischer Einheit33 (OAU) vermittelte einen Waffenstillstand; Kenia und thiopien (beide vom Westen untersttzt, was zu einer Annherung Somalias an die UdSSR fhrte) schlossen einen gegen Somalia gerichteten Beistandspakt. Die pansomalische Politik hatte ins Leere gefhrt, und allmhlich zerbrach der fragile Konsens in der somalischen Gesellschaft. Die Regierung verfolgte die gleiche Politik wie die Kolonialherren und hatte Unmengen an Geld fr die Verwaltung und das Militr ausgegeben, statt die konomische Entwicklung zu frdern und die Armut zu bekmpfen; nach dem Scheitern des Pansomalismus war kein integratives Projekt in Sichtweite, so dass Somalias Politik durch innere Zwistigkeiten gelhmt wurde. 1967 kam ein neuer Prsident an die Macht, der eine Regierung berief, in der alle CFs vertreten waren und den fanatischen Nationalismus vorsichtig im Regierungstresor einschloss. Da der innenpolitische Kitt fehlte, schmolz die Untersttzung fr die Regierung wie Schnee in der Sonne dahin.-

1.4 DAS KAMEL WIRD GEMOLKEN Denn in der ersten Zeit des Aufstands mu gettet werden: einen Europer erschlagen heit zwei Fliegen auf einmal treffen, nmlich gleichzeitig einen Unterdrcker und einen Unterdrckten aus der Welt schaffen. Was brigbleibt, ist ein toter Mensch und ein freier Mensch (Jean-Paul Sartre).

- EXKURS: NOMADISCHE CLANS IM UMBRUCHEs gibt keinen Unterschied zwischen dem Unglubigen, den ich [aus dem Land] vertrieb, und jenem, der das Gebude [das Parlament] besetzt hlt (Qasim, ein somalischer Dichter).

Im parlamentarischen System erhielt die Zugehrigkeit zu einer CF, einem Clan oder einem SC eine neue Bedeutung: die meisten Parteien (auer der SJL) definierten sich weniger ber ein politisches Programm, sondern ber die Clanzugehrigkeit ihrer Mitglieder, und verfolgten partikulare Interessen, um den Einfluss ihres Clans zu vergrern und Verwandtschaftsgrup-

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Djibouti wurde 1975 unabhngig; danach verbat es sich jede Einmischung Somalias in seine inneren Angelegenheiten. Der fnfzackige Stern auf der somalischen Flagge symbolisiert die fnf Gebiete mit somalischer Bevlkerung: Nordkenia, den Ogaden, Djibouti, und die italienischen und englischen Ex-Kolonien. Im somalischen Parlament wurden Pltze fr Vertreter jener Gebiete freigelassen, die noch nicht zu Somalia gehrten. Die shiftas entstanden im 19. Jahrhundert in den Bergen Nordostafrikas als lokale Miliz gegen eindringende Europer, mutierten aber bald zu Ruberbanden. Sie spielten eine wichtige Rolle im antikolonialen Kampf, etwa 1905 in Ruanda gegen das deutsche Reich und spter gegen die Besetzung thiopiens durch Italien, und kmpften whrend des zweiten Weltkriegs gegen Italiener und Briten. Weil Somalia seine Grenzen infrage stellte, isolierte es sich innerhalb der OAU, die bestehende Grenzen fr unantastbar erklrt hatte, um zu verhindern, dass Afrika von einer Welle von Grenzkriegen erschttert wird. Dass nahezu alle Grenzen in Afrika ein Erbe des europischen Kolonialismus waren und am grnen Tisch gezogen wurden, nahm die OAU in Kauf.

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pen Zusatzeinkommen zu verschaffen. Zu den Kriterien fr die Besetzung von Regierungspositionen und Verwaltungsjobs gehrte selten die Qualifikation eines Bewerbers, meist spielte dessen Herkunft eine wichtigere Rolle. Unter dem Mantel des Pansomalismus konnten Claninteressen einigermaen in Schach gehalten werden. Als dieser jedoch im politischen Kleiderschrank verstaubte, verwandelte sich die parlamentarische Demokratie in einen Selbstbedienungsladen, und die Aufteilung der Staatsressourcen wurde zum wichtigsten Ziel der politischen Akteure (Hhne 2002, 39) ein arges Durcheinander also, in dem politische Positionen sich nicht an Grundfragen ausrichteten, sondern durch Verwandtschaftslinien, Klanloyalitten und regionale Interessen bestimmt wurden (Birnbaum 2002, 50) und Korruption und Nepotismus vorherrschten. Einige Nomaden zogen in die Stdte oder wurden von ihren SCs dorthin geschickt. Wer ber Verbindungen verfgte, ergatterte einen Posten in der Brokratie oder beim Militr, um so schnell wie mglich reich zu werden (Mansur 1995, 114). Seilschaften bildeten sich, an denen nicht alle Clans gleichermaen beteiligt waren, wodurch alte Clankonflikte ausbrachen und neue geschrt wurden.- Die meisten Somalis blieben von den Auseinandersetzungen um Pfrnde im Staat unberhrt, whrend sich eine neue politische Klasse hemmungslos bereicherte; das parlamentarische System wurde auf ein Versorgungssystem reduziert, aus dem alle ausgeschlossen blieben, die keine Kontakte zur Staatsklasse unterhielten (Bongartz 1991, 27). Der soziale (und politische) Graben, der sich zwischen den neuen Eliten und den Armen auftat, wurde von Clanloyalitten berdeckt, aber zu sozialen Auseinandersetzungen oder zur Grndung sozialdemokratischer oder kommunistischer Parteien kam es nicht. Freuten sich nach der Unabhngigkeit noch viele Somalis, das junge Kamel Somalia zu melken, wie es in einem Gedicht hie, so verbreitete sich nach ein paar Jahren somalischer Realpolitik eine tiefe Desillusionierung: Als das geliebte Kamel Somalia/fr alle Milch im berfluss lieferte,/tranken nur wenige Menschen davon/nicht einmal, sondern oft,/und enteigneten die Hungrigen und die Tapferen,/die hart fr das Kamel gekmpft hatten (zit. n. Mansur 1995, 113). Im Mrz 1969 wurde ein neues Parlament gewhlt, mehr als achtzig, zumeist clanbasierte Parteien traten an. Die SJL gewann die Wahlen; als der Sieger feststand, traten viele Parlamentarier umgehend der SJL bei, um sich bei der anstehenden Postenverteilung gut zu positionieren. Das gleiche war schon bei frheren Wahlen geschehen, aber nun verwischte sich der Unterschied zwischen der SJL und der Staatsbrokratie endgltig. Somalia befand sich auf dem Weg in eine Ein-ParteienAutokratie, doch nach einem erfolgreichen Attentat auf den Prsidenten am 21.10.1969 putschte die Armee und lenkte Somalia auf einen neuen Pfad in die Zukunft.1.5 DER SIYADISMUS Fr die Seefahrt/braucht man den Steuermann/(...) um Revolution zu machen/braucht man die Ideen Mao Tse-Tungs (Lied aus der chinesischen Kulturrevolution).

einem gehrigen Ma an Enthusiasmus und Lobreden begrt 1995a, Der Putsch wurde einstimmig und mituntersttzt. Niemand bemerkte, dass Soldaten nach der Macht (Ahmed die ihr 145) und von vielen Intellektuellen griffen, Handwerk von den Kolonialisten gelernt hatten (der neue Diktator Siyad Barre bewunderte Mussolini). Die Putschisten lsten die Regierung auf und bildeten einen obersten Revolutionsrat (SRC), das Parlament und das Recht auf freie Rede wurden abgeschafft, die Justiz wurde direkt dem SRC unterstellt, und das Regime setzte ein neues Gericht fr Vergehen gegen die ffentliche Ordnung ein und baute Sicherheitsorgane mit weitgehenden Vollmachten auf. In einem Sondergesetz zur Sicherstellung der nationalen Ordnung wurden etwa der Besitz umstrzlerischer Literatur mit bis zu 15 Jahren Gefngnis und religiser Widerstand gegen das Regime mit dem Tod bestraft (zit. n. Bongartz 1991, 65). Die Putschisten verkndeten, sie wollten sich um die konomische Entwicklung des Landes und die Verbesserung des Erziehungssystems kmmern und den Tribalismus34 und die Korruption bekmpfen, und tatschlich bemhten sie sich anfangs darum, fhrende Positionen nicht nach Clanzugehrigkeit zu besetzen. Die Annherung an die UdSSR wurde zum Programm erhoben, Barre bot ihr an, Berbera als Marinehafen zu mieten, und am ersten Jahrestag der Revolution gab er bekannt, Somalia schlge nun den Weg des wissenschaftlichen Sozialismus ein. Da es fr den Begriff kein somalisches Pendant gab, wurde einer erfunden, der wrtlich bersetzt Verteilung von Lebendvieh bedeutete (was viele Nomaden aufhorchen lie). Barre betonte, der neue Weg wre nicht nur mit dem Islam vereinbar, sondern entsprche den wahren Intentionen des Islam. 1972 fhrte das Regime eine somalische Schriftsprache ein35 und ordnete eine breite Alphabetisierungskampagne an. Da alte Lehrplne und Schulbcher abgeschafft wurden, ohne dass Ersatz zur Verfgung stand, das Bildungsprogramm von34

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Per Anordnung lie Barre die traditionellen Begrungsformeln verbieten und durch die Anrede Jaalle (Genosse) ersetzen, die Todesstrafe wurde eingefhrt, um die Blutrache und die Zahlung von Blutgeld zu bekmpfen (eine Manahme, die letztlich nur der Repression diente, den Tribalismus aber kaum einschrnkte), und die Ehe wurde verstaatlicht, um sie von einer Clanangelegenheit in eine staatlich kontrollierte zu verwandeln. Bis dahin wurden die beiden somalischen Sprachen Maayi und Maxaatiri nur gesprochen. Es gab keine Schriftsprache, so dass Zeitungen, brokratische Dokumente, Schulbcher, Bcher, Briefe auf Italienisch oder Englisch verfasst wurden. Barre entschied, dass Maxaatiri in lateinischen (westlichen) Buchstaben geschrieben werden sollte und stie damit insbesondere glubige Somalis vor den Kopf, die ein Somalisch in arabischer Schrift vorgezogen htten.

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sozialistischen und regimetreuen Floskeln durchsetzt war und das Engagement im Bildungswesen nach anfnglichen Erfolgen schnell ins Stocken geriet Studenten und Lehrer waren nicht sehr begeistert, als das Regime sie fr ein halbes oder ganzes Jahr aufs Land zu den Nomaden schickte, um ihnen Lesen und Schreiben beizubringen , sank das allgemeine Bildungsniveau trotz der Alphabetisierung. 1975 verkndete Barre die formale Gleichstellung von Mnnern und Frauen, aber es wurde wenig getan, das neue Gesetz durchzusetzen. Religise Fhrer protestierten lautstark, woraufhin das Regime mit harter Hand durchgriff und zehn Scheichs hinrichten lie, und bei Teilen der lndlichen Bevlkerung stie die verordnete Scheinemanzipation der Frauen auf Ablehnung, da sie als Angriff auf die Clantradition empfunden wurde; die Einmischung entfremdete sie von der Regierung und der urbanen Gesellschaft, in der Frauen aus den mittleren und fhrenden Schichten nun mehr Lebensmglichkeiten offenstanden. Banken, Versicherungen, Fabriken und der Handel mit Leder wurden verstaatlicht, was aufgrund fehlenden Know-hows und einem Mangel an Ersatzteilen zu einem rasanten Rckgang der Produktivitt fhrte, einige Agrargenossenschaften und landwirtschaftliche Staatsbetriebe wurden gegrndet, und Barre legte ein Arbeitsprogramm fr 23.000 junge Arbeitslose auf; die nomadische Pastoralkonomie und die Bananenplantagen wurden nicht angetastet. 1973-1975 litt Somalia unter einer groen Drre; mehr als 100.000 Nomaden wurden umgesiedelt und zu Bauern oder Fischern umgeschult (als es wieder regnete, kehrten die meisten zur nomadischen Lebensweise zurck). Immer mehr Akademiker und Intellektuelle verlieen das Land, rmere Somalis emigrierten als Gastarbeiter in die Golfstaaten und nach Saudi-Arabien. Das Geld, das sie an ihre Familien und Verwandten transferierten, berstieg bald alle anderen Einkommensquellen Somalias bis auf den Viehhandel. Auf dem Land und in kleinen Stdten wurde es ber private und informelle Kanle verteilt, weil es keine Banken gab. Als der reformischere Elan nachlie und ein konomischer Aufschwung ausblieb (zwischen 1970 und 1978 sanken die Reallhne um die Hlfte), kompensierte das Regime seine Misserfolge durch Nationalismus und einen gesteigerten Personenkult: Siyad Barre wurde zum Vater der Nation stilisiert, deren Mutter die glorreiche Revolution war, eine Einheitspartei, die revolutionre sozialistische36 Partei Somalias (SRSP), wurde gegrndet, und Barre verwandelte das Land in eine Militrdiktatur und einen Polizeistaat37. Auerdem zog Barre die pansomalische Trumpfkarte aus dem Hut. Schon in den sechziger Jahren begann ein fr afrikanische Verhltnisse in Quantitt und Qualitt gleichermaen ungewhnlicher Rstungswettlauf (Matthies 1994, 91), der nach 1969 an Tempo gewann; Somalia wurde von der UdSSR, thiopien von den USA aufgerstet (bis es in thiopien 1974/75 zu einem sozialistischen Putsch kam). Whrend der Drre waren ber 200.000 Somalis aus dem Ogaden nach Somalia geflchtet; in Flchtlingslagern entstand die Befreiungsfront fr Westsomalia (WSLF), die fr den Anschluss des Ogaden an Somalia kmpfte. Ihre Mitglieder gehrten berwiegend den Darod an, ihre Fhrung rekrutierte sich zum Groteil aus Ogadeni, mit denen Barre verwandt war. 1977 zog Somalia gegen thiopien in den Krieg, nachdem die WSLF mit einigen tausend Kmpfern in den Ogaden einmarschiert war. Nach anfnglichen Erfolgen zeigte sich, dass der Diktator eine folgenreiche Fehlentscheidung getroffen hatte: die Fhrung der UdSSR kndigte das Bndnis mit Somalia auf, weil sie sich von einer Allianz mit dem inzwischen sozialistischen thiopien politisch und geostrategisch mehr versprach38. Berater aus der DDR und 10.000 kubanische Soldaten verstrkten die thiopische Armee, neuartige Waffen wurden ausprobiert, und es dauerte nicht lange, bis die somalische Armee besiegt war. Das Regime stand nach der Niederlage fast vor dem Nichts. Unmengen an Kapital waren verbrannt worden, und sein treuester Geldgeber hatte Barre im Stich gelassen. Um sich an der Macht zu halten, warf der Diktator das Steuer herum. Bereits am 18.10.1977 hatte er der GSG 9 erlaubt, auf dem Flughafen von Mogadishu die entfhrte Landshut zu strmen, wofr ihn die deutsche Regierung in der Folgezeit untersttzte und mit Geld um sich warf. Ein paar Wochen spter wurden alle sowjetischen Berater des Landes verwiesen, und Somalia lehnte sich an den Westen an. Am 9. April 1978 putschten Offiziere aus dem Darod-Clan der Majertein; so jedenfalls die vom Regime verbreitete Version. Die Anfhrer und Untersttzer des Coups meinen hingegen, die Offiziere, die die Regierung strzen wollten, stammten aus allen Clans, aber das Regime htte die Gelegenheit fr eigene Winkelzge genutzt und nur einen Clan bestraft (Elmi 2010, 148, Anm. 6). Nach der Niederschlagung des Putsches, grndeten Flchtlinge und Sympathisanten im Exil die demokratische Aktionsfront Somalias (SAFS), die sich 1981 mit zwei realsozialistisch ausgerichteten Oppositionsgruppen zur Demokratischen Front zur Errettung Somalias39 (SSDF) vereinigte, einer Majertein-Organisation, die wie die drei Jahre spter36

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Russische, chinesische, nordkoreanische und nasseritische Ideologieversatzstcke wurden miteinander kombiniert, mit dem Islam verknpft und krftig durchgerhrt. Barre grndete eine Geheimpolizei, die Derwische mit diesem Namen stellte er die Geheimpolizei in eine Tradition mit der Revolte des Sayyid, fr den er auch ein Denkmal errichten lie. Das Lippenbekenntnis zum antiimperialistischen Kampf war auch als Warnung an einige CFs und Clans zu verstehen, die der Sayyid einst berfallen und bestohlen hatte. Kaum war Barre gestrzt, wurde das Denkmal des Sayyid zerstrt. Erst im Dezember 1976 war es zu einem Vertrag zwischen der UdSSR und thiopien ber Waffenhilfe gekommen. Beim Ausbruch des Krieges versuchte die UdSSR, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln, und schlug eine sozialistische Fderation aus thiopien, Somalia, dem Jemen und den autonomen Regionen Eritrea und Ogaden vor. thiopien wie Somalia lehnten den Vorschlag emprt ab. Zu den Grndern der SSDF zhlte Oberst Abdullahi Yusuf, der spter noch von sich reden machen sollte. Bis zum Putsch war er im Norden Somalias stationiert und hatte krftig an der Ausplnderung von Flchtlingen und Isaq verdient. Die SSDF pflegte eine mar-

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gegrndete Nationale Bewegung Somalias (SNM), eine Isaq-Organisation40, von thiopien aus gegen Barre kmpfte. Auf die Grndung der SAFS reagierte das Regime mit gnadenloser Repression: in der Mudug-Region wurden mindestens 2.000 Menschen gettet, Frauen vergewaltigt, und barreloyale Truppen plnderten das Gebiet aus. Die Probleme des Regimes wurden durch Kriegsflchtlinge aus thiopien verschrft; im Oktober 1980 wurde der nationale Notstand ausgerufen. Fr Flchtlinge, die in Lagern untergebracht waren, floss internationale Hilfe, ausgelegt auf jene Zahl an Flchtlingen, die Barre angegeben hatte 41. Ein groer Teil der Hilfe kam jedoch nicht in den Lagern an, Nahrungsmittel wurden im groen Mastab gestohlen, veruntreut und im Einverstndnis mit lokalen Beamten auf dem freien Markt verkauft, und einen Teil der Hilfe verteilte Barre an seine Anhngerschaft. Um an westliches Geld zu gelangen, arrangierte sich Barre mit dem IWF und der Weltbank, woraufhin dem Land die blichen Spar- und Umstrukturierungsprogramme aufgezwungen wurden. Aufgrund wohlwollender IWF-Berichte wurden Somalia Kredite vor allem aus Italien (mit mehr als einer Milliarde Dollar in den achtziger Jahren der grte Geldgeber), den USA, Grobritannien und Deutschland bewilligt. Das Regime verzgerte jedoch geforderte Privatisierungen, und kaum ein Somali investierte in die Produktion. Trotz sprudelnder westlicher Hilfe gehrte Somalia zu den rmsten Lndern der Welt, und die Inflation explodierte (Rawson 1994, 157). Der IWF und Barre fhrten einen sonderbaren Tanz auf: eine gewisse Zeit befolgte das Regime die Bedingungen des IWF, dann wurden sie missachtet, und der IWF zog sich aus Somalia zurck, bis sich die Lage in Somalia dramatisch verschlechterte und Barre erneut auf die Vorgaben des IWF einging 42. 1987/88 lag die Schuldenquote Somalias bei 60% der Exporterlse (vorher lag sie bei 100%, jeder Cent landete sofort in den Taschen einer auslndischen Bank); der Konsum bertrifft das Bruttosozialprodukt betrchtlich, Exporterlse decken Importe nur zu etwa 25%, die Staatseinnahmen machen lediglich die Hlfte des ordentlichen Haushalts aus (Labahn 1990, 153), und die Pro-KopfVerschuldung gehrte 1990 zu den hchsten in ganz Afrika. Der grte Teil der auslndischen Entwicklungshilfe kam entweder dem Militr zugute, floss in (nutzlose) Vorzeige- und Groprojekte oder verwandelte sich wie durch Zauberhand in Zahlungen an Gnstlinge des Regimes. Um die Versorgung der Stdte mit billigen Lebensmitteln sicherzustellen, wurden Hchstpreise diktiert, eine Subventionierung der Stdte auf Kosten der Kleinbauern. Viele Bauern reagierten darauf mit dem Rckzug in die Subsistenzkonomie, was eine Nahrungsmittelknappheit verursachte. Die Kredite des IWF waren zwar an die Bedingung geknpft, Preisregulierungen aufzuheben, aber wenn die Preise fr landwirtschaftliche Erzeugnisse stiegen, hatten die Bauern auch nichts davon, weil sich ihre Produkte dann kaum jemand leisten konnte. Zudem unterminierte die Entwicklungshilfe (wie berall auf der Welt) die kleinbuerliche Landwirtschaft, denn es wurden vorwiegend groe Projekte finanziert knstliche Bewsserung, der Anbau von cash crops (bis 1989 erhielten die drei grten Landwirtschaftsbetriebe im Jubatal 325 Millionen Dollar Entwicklungshilfe und obendrauf 50 Millionen Dollar von Barre) , die Nahrungsmittelhilfe verdarb die Preise fr Grundnahrungsmittel, und der Riss zwischen dem Norden und dem Sden wurde vertieft, da die allermeisten Entwicklungsprojekte im Sden angesiedelt waren. Die schwierige Lage der Kleinbauern nutzten Reiche aus den Stdten und Gnstlinge des Regimes aus und eigneten sich Land an43, zuerst fruchtbares Land in der Nhe von Mrkten, dann Land im Shebelle- und spter im Juba-Tal, wo ein (geplanter) Staudamm immense Wertsteigerungen fr Grundbesitz versprach. Die neuen Landeigentmer blieben in den Stdten; die Bewirtschaftung des Landes erfolgte durch Verwalter und Landarbeiter. Die Vertreibung und Enteignung von Kleinbauern erfolgte nur selten durch rohe Gewalt, sondern meist durch juristische Tricks. Da viele Bauern ihr Land nicht hatten registriexistische Rhetorik, propagierte ein sozialistisches Wirtschaftsprogramm und wollte weltweit den Imperialismus bekmpfen (wozu auch ein verbalradikaler Antizionismus gehrte), also ungefhr das, was die SRSP auch vertrat. Anfang der achtziger Jahre kmpften Angehrige der SSDF auf thiopischer Seite gegen die WSLF, die sich von der Niederlage gegen thiopien nicht beirren lie. Es gibt Hinweise darauf, dass die SSDF (interne und externe) Kritiker erbarmungslos zum Schweigen brachte, es wird von Attentaten und Folterungen gemunkelt. Zunchst waren an der SNM auch Hawiye beteiligt. 1986 kam es zu Streitereien, als sich die Hawiye auf der Fhrungsebene der SNM unterreprsentiert fhlten und die Isaq-Fraktion verstrkt auf eine Abspaltung Nordwestsomalias von Somalia drngte. Ende des Jahres kam es zum Bruch, und die allermeisten Hawiye verlieen die SNM. Barre verbot eine offizielle Zhlung der Flchtlinge. 1979 gab es schtzungsweise 400.000 registrierte Flchtlinge, ein Jahr spter mehr als doppelt so viele, die in mehr als dreiig Lagern untergebracht waren; bei Verwandten kamen mglicherweise noch einmal 500.000 Flchtlinge unter. Ende 1980 galt jeder vierte Somali als Flchtling. 1980 sprang der IWF mit zwei Krediten ein. Als Saudi-Arabien aus veterinrmedizinischen Grnden im Jahr 1983 ein Einfuhrverbot fr somalisches Vieh verhngte (Hhne 2002, 47), stoppte das Regime alle Abkommen mit dem IWF; sofort verdoppelten sich die Staatsschulden, die Inflationsrate stieg auf 92%, und Ende 1984 waren die Schulden hher als das jhrliche Bruttosozialprodukt. 1985 kam es zu einer neuen Einigung mit dem IWF; Preiskontrollen wurden beseitigt, die Wechselkurse freigegeben und viele Sektoren der Wirtschaft liberalisiert und privatisiert. 1986 litt Somalia unter einer groen Drre, ein Jahr spter brach der Diktator erneut mit dem IWF, und die Inflationsrate schnellte auf 100%. Ein Jahr spter war der IWF wieder da. Dieser Prozess begann bereits nach der Unabhngigkeit Somalias, wenngleich eher als Verstaatlichung denn als Privatisierung. Von der Unabhngigkeit bis 1981 wurden 18% der kleinen Landbesitzer im Flusstal des Juba enteignet (Reno 2003, 9), in der Regel ohne Entschdigung. Dazu kamen Enteignungen, um Wasserspeicher und Dmme zu bauen, und viel Land fiel trocken, weil Wasser in Bewsserungsprojekte umgeleitet wurde. Barre beschleunigte den legalen Landraub: 1975 wurde ein Gesetz verabschiedet, nach dem alles Land in Zukunft registriert werden musste.

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ren lassen dazu htten sie in der Stadt die richtigen Stellen schmieren oder ber Einfluss und Verwandte verfgen mssen und ber keine Landtitel verfgten, bewirtschafteten sie Land, das ihnen offiziell nicht gehrte. Reiche Stdter kauften dieses Land vom Staat (dem es nicht gehrte) und nahmen es in Besitz, indem sie es auf ihren Namen registrieren lieen 44. Vertriebene Kleinbauern mussten sich als Landarbeiter zu Hungerlhnen verdingen oder wurden auf schwer zu bewirtschaftendes Land abgedrngt. Der IWF schlug vor, dass sich der Staat regulierend in die nomadische Viehzucht einmischen und den Qathandel der Isaq im Norden unterbinden sollte. Barre tat, wie ihm geraten wurde, verbot den Anbau, den Import und den Konsum von Qat und untersttzte bestimmte Clans bei der Privatisierung und Einzunung von Weide- und Wasserpltzen, indem der Ausbau privater Wasserstellen gefrdert wurde45. Weil sich die Pastoralkonomie durch die Privatisierungen und die Einbindung in den Exporthandel mit der arabischen Welt zunehmend kommerzialisiert hatte, fielen viele nomadische Viehhirten die soziale Stufenleiter herab. Sptestens ab dem lboom waren die Viehexporte Somalias auf die arabische Halbinsel angestiegen. Mit dem Wandel zur tauschorientierten Tierproduktion vernderten sich auch die Konsummuster der Nomaden, die nicht nur fr den Markt produzierten, sondern von diesem zunehmend ihren Bedarf deckten. Sie wurden damit einer Preiskonomie unterworfen, die sich nur selten zu ihren Gunsten entwickelte (Bakonyi 2011, 97). Vieh- und Wasserhndler, die Exporte kontrollierten, wurden reich und kooperierten (zum Teil) mit dem somalischen Regime, im Gegenzug entstand eine breite Schicht armer Nomaden, die in Anstzen zu einem nomadischen Lohnhirtentum (Matthies 1994, 114) herabsanken oder in die Stdte emigrierten. Andere wurden im informellen Sektor aktiv oder schlossen sich Milizen an. Viele Angehrige leben in Flchtlingslagern (de Waal 2007). In einige Weidegegenden war der Bewsserungsanbau vorgedrungen, dort gab es Konflikte zwischen Bauern und Nomaden, die auf ihre Weiden nicht verzichten wollten. 1981 fhrte das Regime eine fnfzigprozentige Steuer auf die Viehexporte des Nordens ein. Die Isaq widersetzten sich den Eingriffen des Regimes und wichen auf informelle Methoden aus, um ihr Vieh zu verkaufen: auf clanbasierte Geschftsbeziehungen, da das fr den Viehschmuggel (etwa ber Djibouti) notwendige Vertrauen am besten zwischen miteinander verwandten Geschftspartnern gedeiht. Gegen ihre Widerspenstigkeit und weil die SNM eine Isaq-Organisation war fuhr Barre die ganze Macht seines Repressionsapparats46 und des Militrs auf (ab 1982 lieen sich Militrs gern nach Norden versetzen, weil sie dort ungestraft die Bevlkerung ausplndern und sich privat bereichern durften). Zugleich schickte er Flchtlinge aus dem Ogaden in den Norden, hetzte sie gegen die Isaq auf und schrte Konflikte, in denen es um die Kontrolle von Weidegebieten und der Transportwege fr Vieh nach Berbera ging. Barre ermunterte die Flchtlinge, sich auf Isaq-Gebiet anzusiedeln und paramilitrische Banden zu bilden, die gegen Isaq vorgehen und besetztes Land beschtzen sollten bei Burao wurden etwa 1983 durch Kmpfer der Ogadeni in einer Woche 500 Isaq gettet , und sorgte dafr, dass sie hohe Regierungs- und Verwaltungsposition im Norden bekamen. In der letzten Phase des Regimes verlieen viele Qualifizierte die Verwaltung und wechselten zu einem Job bei Hilfsorganisationen oder Entwicklungshilfeprojekten, wo sie weitaus mehr verdienten (Beamte erhielten 1989 nur noch etwa 3% des Reallohns von 1975). In Mogadishu lebten immer mehr Arme ohne Arbeit oder von Hungerlhnen, und die Migration in die Stdte nahm explosiv zu. Bei den Migranten handelt es sich vorwiegend um junge Mnner (Janzen 1990, 193). Tausende von obdachlosen Straenkids trieben sich in der Nhe der groen Mrkte herum und boten Marktbesuchern an, das Gekaufte nach Hause zu tragen.-

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Seit einigen Jahren hat sich dieser Prozess in einigen afrikanischen Lndern internationalisiert: multinationale Unternehmen (etwa aus China und den USA) kaufen Land auf, fr das kein Landtitel existiert, und bauen dort cash crops an, wodurch die Nahrungsmittelproduktion fr den einheimischen Markt sinkt und Kleinbauern verdrngt werden. Solche neokolonialen Ausbeutungsformen, die von den jeweiligen Landesregierungen toleriert und ermutigt werden (aufgrund von sanftem Druck aus Europa, China und den USA), sind mit ein Grund dafr, dass sich eine Drre zur Hungerkatastrophe auswchst. thiopien gehrt zu jenen Lndern, die scheinbar besitzloses Land an auslndische Investoren verkaufen. Die Frderung des Ausbaus von Wasserstellen klingt wie eine gute Manahme, hat aber einen gewichtigen Haken: die Herden von Nomaden, die immer ber genug Wasser verfgten, wanderten nicht mehr und wuchsen berproportional schnell, was zu berweidung, Verwstung und Konflikten mit Bauern fhrte und mit Nomaden, die ihre Tiere an privaten Wasserstellen nicht trnken durften. Nach der Grndung der SNM verschwanden viele Isaq in den Kerkern des Regimes, auf dem Land wurden Wasserquellen zerstrt, Hfe verbrannt, Extrasteuern fr Isaq eingefhrt und Landminen (mehr als eine Million) ausgelegt. 1984 ttete das Regime 40 Isaq (Mnner und Frauen), weil bei einem Attentat der SNM ein hoher Offizier ums Leben gekommen war. Menschen wurden ohne Grund eingesperrt, und dann musste ihre Familie fr die Entlassung bezahlen. Manchmal wurden Vter mitgenommen und gettet. Am nchsten Tag wurden die lteren und die Mtter mitgenommen, und ihnen wurden die Krper ihrer Liebsten gezeigt um uns zu erniedrigen (). Frauen und Mdchen wurden vor ihren Familien vergewaltigt. Viele von uns hatten am meisten Angst davor, vor unseren Vtern vergewaltigt zu werden (zit. n. Musse 2004, 88). Ende Februar fand in Hargeisa eine Schlerdemo statt, die sich fr die Freilassung von verhafteten Isaq einsetzte; die Demo wurde niedergeknppelt und beschossen, und es gab zahllose Verletzte und einige Tote. Whrend die ffentlichen Ausgaben fr den Gesundheitssektor zwischen 1981 und 1985 von 4% auf 1,5% des Etats sanken, steckte Barre im gleichen Zeitraum bis zu 65% ins Militr und in die Repressionsorgane.

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- EXKURS: CLANS UNTER DER DIKTATURKaum ffne ich in der Morgendmmerung meinen Laden, sehe ich schon die Eingnge aller hier einlaufenden Gassen von Bewaffneten besetzt. Es sind aber nicht unsere Soldaten, sondern offenbar Nomaden aus dem Norden. Auf eine mir unbegreifliche Weise sind sie bis in die Hauptstadt gedrungen, die doch sehr weit von der Grenze entfernt ist (Franz Kafka: Ein altes Blatt).

War der SRC einst angetreten, den Tribalismus zu bekmpfen, instrumentalisierte Barre ab 1978 Clanverbindungen zur Absicherung seiner Macht, indem er Clans und CFs gegeneinander ausspielte, einige von der Macht ausschloss und einflusslosen SCs lukrative Posten verschaffte. Durch die Verteilung von Entwicklungshilfe, Staatsgeld und Posten band er bestimmte SCs an sich und schuf sich ein Schattennetzwerk, ein informelles Klientelsystem aus Personen, die ihrerseits clangebundene Gefolgschaften um sich scharten. Junge Mnner auf der Suche nach klandestinen Geschftsmglichkeiten andere gab es kaum entdeckten schnell, dass die beste Gelegenheit zur Verbesserung ihrer Situation darin lag, sich einem regimetreuen Patron anzuschlieen, der sie mit Waffen, Schutz und dem Zugang zu Geschftsmglichkeiten auf der Basis manipulierter Interclanspannungen versorgte (Reno 2003, 20). Der innere Zirkel der Macht sttzte sich auf Darod-Clans, auf die sogenannte MOD-Fraktion: Barre gehrte zum Clan der Marehan, seine Mutter zu den Ogaden, sein Schwiegersohn zu den Dulbuhante. Mitte der achtziger Jahre hatte sich die Politik in Somalia in kaum mehr als ein Clangeschft (Samatar 1994, 117) fr Gnstlinge und Verwandte des Diktators und seine Clique geworden verwandelt 47. Die Staatselite und die Neureichen spielten virtuos auf der Klaviatur der Clanideologie48; stets sickerte ein Teil des erbeuteten Reichtums in alle Verstelungen der je eigenen SCs. Benachteiligte Clans, die von den Fleischtpfen ferngehalten wurden, missinterpretierten die hemmungslose Bereicherung der Eliten als traditionelle Clanpolitik. Wie berall auf der Welt katalysierte die Stadt die Auflsung alter Vorstellungen und Bindungen. Fr eine dpG war die Stadt kein geeignetes Terrain, und die der Clantradition inhrente kollektive Verantwortung war in kapitalistischen Produktionsverhltnissen fehl am Platz. Htte sich eine Bourgeoisie nach westlichem Muster und ein formal von ihr getrennter Staat entwickelt, wren die Clantraditionen im urbanen Schmelztiegel bald zu nostalgischen Erinnerungen verblasst. Der geringe Grad der Urbanisierung und die Instrumentalisierung der Clans durch Kolonialherren und somalische Regierungen wirkten jedoch als Hemmschuh, so dass viele (neue) Stdter die Bindung an ihre Verwandtschaftsgruppen auf dem Land beibehielten. Vom Prsident abwrts, auf allen Ebenen der Regierung und der Verwaltung, haben alle, die ein modernes Leben unter stdtischen Bedingungen leben, Brder und Cousins, die als Nomaden im Landesinneren leben, und alle investieren regelmig in gemeinsame Viehherden (Lewis 2008, 56). Als die Diktatur weniger Ressourcen umverteilen konnte und die Repression zunahm, wurde die Clanideologie im doppelten Sinn gestrkt: Verwandtschaftsgruppen wirkten als Lebensversicherung und bernahmen sozialfrsorgerische Aufgaben, und die Repression sorgte dafr, dass auer den Clans keine gesellschaftlichen Organisationen existierten, in denen sich Einzelne artikulieren und organisieren konnten, wodurch selbst dem Widerstand gegen das Regime eine Clanstruktur aufgezwungen wurde. Wenn es kein legitimes Forum gibt, wo man seine Meinung ausdrcken kann, organisieren sich die Menschen, die in den schmalen Schubladen des Clansystems gefangen sind, entlang dessen, was sie am besten kennen (Ahmed 1995a, 150). Barres Clanpolitik zementierte zwar seine Herrschaft, aber indem er CFs gegen CFs, Clans gegen Clans und SCs gegen SCs ausspielte, destabilisierte er clanbergreifende Institutionen, vor allem das Militr, das sich ab 1989 in sich bekmpfende Clanmilizen aufspaltete. Barres Position als (Um)Verteiler von Geld an Gnstlinge und Verwandte schwchte die Clanstruktur, wenn die Empfnger Privatgeschften nachgingen. Fabrik-, Land- und Plantagenbesitzer, Brokraten und Offiziere verdienten ihr Geld in der Regel auerhalb der Territorien ihrer SCs; wo sie ttig waren persnlich und ber Gefolgsleute, die mit ihnen verwandt waren oder gut bezahlt wurden , blieben lokale SCs und Clans von den Geldflssen ausgeschlossen. So zerstrte Barres Politik lokale Clangleichgewichte und erst recht die Beziehungen zwischen lokalen SCs und jenen, die sich auf fremdem Territorium Geld verdienten und erplnderten. In diesen Gegenden, insbesondere im Sden49, verblasste die Autoritt lokaler ltester, da sie gegen Gnstlinge des Regime nichts auszurichten vermochten und die SCs der starken Mnner nicht greifbar waren.47

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Die sogenannte nationale Partei verhlt sich wie eine ethnische Partei. Sie ist im Grunde ein zur Partei erhobener Stamm. Whrend sie sich gern als national ausgibt, im Namen des gesamten Volkes zu sprechen behauptet, organisiert sich heimlich und manchmal offen eine regelrechte ethnische Diktatur. Wir haben es nicht mehr mit einer brgerlichen Diktatur, sondern mit einer Stammesdiktatur zu tun. Die Minister, die Regierungschefs, die Botschafter, die Prfekten werden aus dem Volksstamm des Fhrers ausgewhlt, manchmal sogar direkt aus seiner Familie. Die Familienregimes scheinen die alten Gesetze der Endogamie wiederaufzunehmen, und man empfindet nicht Wut, sondern Schande angesichts dieser Dummheit (Fanon 1981, 156). Wie Barre Clanrivalitten instrumentalisierte, lsst sich anhand der SSDF exemplarisch beschreiben. Die SSDF bestand hauptschlich aus Majertein, einem Clan aus Barres eigener CF. Um die Majertein zu isolieren, nutzte der Diktator seine Clanverbindungen und bewaffnete andere Darod-SCs. Die Schwche der Majertein nutzten andere Clans und SCs dazu, ihre Machtbasis auf Kosten des Verlierers auszubauen. Zugleich versuchte Barre, Mitglieder der SSDF, die nicht zu den Majertein gehrten, ber Druck auf ihre SCs und durch Bestechung zum Verlassen der SSDF zu bewegen; er machte die SSDF zu einer Majertein-Organisation, obwohl ihre Basis anfnglich Clangrenzen berschritt. Eine Plantage oder ein Agrarprojekt mit knstlicher Bewsserung gehrte in der Regel einem Vertrauten Barres, der ber geschftliche oder politische Verbindungen verfgte, die fr Barre ntzlich waren. So konnte sich etwa ein Hawiye eine Plantage auerhalb seines Clanterritoriums sichern, auf der Reewin arbeiteten, die von Hawiye berwacht wurden. Die Erlse flossen in die Taschen des Besit-

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Im rapide wachsenden stdtischen Subproletariat aus Zugewanderten, Arbeitslosen und im informellen Sektor Beschftigten verlor die Clanzugehrigkeit ihre Konturen. Wenn die Verwandtschaft keine Auswege aus dem Elend bot und die soziale und zwischenmenschliche Wrme der Clans durch die kalte Haut der Stadt abgekhlt wurde, organisierten und verhielten sich Arme und Straenkids wie in jedem Armenviertel und Slum der Welt.- Die Reagan-Administration pumpte ab 1980 Militrhilfe ins Land, um den sowjetischen Einfluss in Ostafrika einzudmmen, vorwiegend defensive militrische Ausrstung, weil sie keine somalische Guerilla im Ogaden finanzieren wollte. Somalia war nach dem Irak das Entwicklungsland mit der hchsten Waffendichte und der hchsten Anzahl von Soldaten pro Kopf; die Strke der Armee stieg von 22.000 Soldaten (1977) auf 50.000 (1981) und berschritt 1989 die Anzahl von 60.000. Ab Mitte 1985 entzog Barre aufgrund sanften Drucks der USA der WSLF allmhlich seine Untersttzung, im April 1988 kam es zu Gesprchen zwischen Somalia und thiopien, womit sich das Barre-Regime vom Pansomalismus verabschiedete. Im Gegenzug stellte thiopien die Untersttzung fr die SNM ein, woraufhin diese mit militrischen Angriffen auf Ziele in Nordwestsomalia begann und kurzzeitig Hargeisa und Burao besetzte. Barres Militr schlug erbarmungslos zurck, OgadeniPrivatmilizen kooperierten mit dem Regime, und andere Clans wurden bewaffnet. Ein Volksaufstand brach aus, der mittels Kampfflugzeugen von sdafrikanischen Sldnern niedergeschlagen wurde (Sheikh/Weber 2010, 88). Zehntausende starben, Massaker selbst an Kindern, Festnahmen und Vergewaltigungen