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E ine neue Gruppe hat begonnen. Fünf Kinder im Alter von vier bis fünf Jahren sind dabei den Raum zu erkunden. Zunächst faszinieren sie die große Trommel und die Con- gas, einer steht beim Metallophon, verschiedene Flöten werden auspro- biert, die Kinder laufen hin und her, probieren hier und dort. Auf einmal treffen sich Jan und Manuel beim Klavier, beide spielen recht freudig, ihre Finger bewegen sich schnell über die Tasten, es entstehen Wirbel von Tönen. Dann kommen die Füße dazu, „tanzen“ mit, sie tauchen immer mehr ins Spiel ein und etwas schwingt miteinander. Plötzlich hal- ten beide inne, zur gleichen Zeit, schauen sich an – erstaunt – und lachen ... „noch mal“.... Immer wieder erlebe ich Momen- te solch großer Intensität, in denen die Kinder sichtlich berührt sind, etwas in ihrem Innern angesprochen wird und eine große Freude spürbar wird, die ihren ganzen Körper durchzieht. Momente, die in der Kreativitätsforschung als „Flow“ bezeichnet werden, ein Eintauchen in die Erfahrung, ganz mit sich ver- bunden sein und das Erleben großer Freude, bis in jede Faser des Kör- pers. Jonathan (31/2) bekommt auf der Querflöte (eine Obertonflöte, bei der die Töne nur durch unterschiedlich starke Atemgebung entstehen) einen Ton heraus und lacht freudig auf. Ein kleiner Moment zunächst, der ihn aber bewegt immer wieder die Quer- flöte zu nehmen. Während des Spie- lens kommen seine Füße in Bewe- gung, er geht durchs Zimmer und es entstehen immer mehr Töne. Die kleinen Momente wiederholen sich, immer wieder hält er kurz inne, lacht und macht weiter. Dann kommt er wieder zu mir und erzählt mir freudig erregt: „Die Flöte hat düdelidüt gemacht“. Solche Momente entstehen ein- fach, man kann sie nicht durch irgendetwas hervorrufen wollen. Sie entstehen, wenn die Kinder Raum haben, ihren inneren Impulsen zu folgen, zu experimentieren, wenn sie die Klänge finden können, die sie berühren, und wirklich ihre eigene Musik finden und spielen können, sei es mit Instrumenten oder mit der Stimme. Gerade im Umgang mit Klängen, Tönen, Musik scheint es mir wich- tig, einen solch offenen Raum zur Verfügung zu stellen, frei von irgendwelchen Anforderungen und Leistungserwartungen oder -den- ken, denn Töne berühren unmittel- bar das Innere und erreichen oft sehr feine Schichten. Kinder sind noch offen und haben einen leichten und spontanen Zugang zu der Energie der Klänge, der Musik. Und nicht nur zu Musik, mit Farben verhält es sich ähnlich. Raffael geht zu den Holzglocken und fängt mit seiner lebhaften, fast stürmischen, überschäumenden Ener- gie an: „1, 2, 3, los ...“ Doch schon nach ein paar Klängen bekommt sein Spiel eine andere Intensität, wird ruhiger, er spielt langsamer, Mit Kindern wachsen 2 „Da ist etwas Besonderes drin – ein Geheimnis“ Erfahrungen in einer freien kreativen Spielgruppe Sonja Welker Solche Momente entstehen einfach, man kann sie nicht durch irgendetwas hervorrufen wollen.

Sonja Welker Erfahrungen in einer freien Spielgruppe „Da ... sonja.pdf · „Da ist etwas ganz besonderes drin – ein Geheimnis“, sagt er zu mir. Dann wird es leuchtend gelb

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Page 1: Sonja Welker Erfahrungen in einer freien Spielgruppe „Da ... sonja.pdf · „Da ist etwas ganz besonderes drin – ein Geheimnis“, sagt er zu mir. Dann wird es leuchtend gelb

Eine neue Gruppe hat begonnen.Fünf Kinder im Alter von vier

bis fünf Jahren sind dabei den Raumzu erkunden. Zunächst faszinierensie die große Trommel und die Con-gas, einer steht beim Metallophon,verschiedene Flöten werden auspro-biert, die Kinder laufen hin und her,probieren hier und dort. Auf einmaltreffen sich Jan und Manuel beimKlavier, beide spielen recht freudig,ihre Finger bewegen sich schnellüber die Tasten, es entstehen Wirbelvon Tönen. Dann kommen die Füßedazu, „tanzen“ mit, sie tauchenimmer mehr ins Spiel ein und etwasschwingt miteinander. Plötzlich hal-ten beide inne, zur gleichen Zeit,schauen sich an – erstaunt – undlachen ... „noch mal“....

Immer wieder erlebe ich Momen-te solch großer Intensität, in denendie Kinder sichtlich berührt sind,etwas in ihrem Innern angesprochenwird und eine große Freude spürbarwird, die ihren ganzen Körper

durchzieht. Momente, die in derKreativitätsforschung als „Flow“bezeichnet werden, ein Eintauchenin die Erfahrung, ganz mit sich ver-bunden sein und das Erleben großerFreude, bis in jede Faser des Kör-pers.

Jonathan (31/2) bekommt auf derQuerflöte (eine Obertonflöte, bei derdie Töne nur durch unterschiedlichstarke Atemgebung entstehen) einenTon heraus und lacht freudig auf. Einkleiner Moment zunächst, der ihnaber bewegt immer wieder die Quer-flöte zu nehmen. Während des Spie-lens kommen seine Füße in Bewe-gung, er geht durchs Zimmer und esentstehen immer mehr Töne. Diekleinen Momente wiederholen sich,immer wieder hält er kurz inne, lacht

und macht weiter. Dann kommt erwieder zu mir und erzählt mir freudigerregt: „Die Flöte hat düdelidütgemacht“.

Solche Momente entstehen ein-fach, man kann sie nicht durch

irgendetwas hervorrufen wollen. Sieentstehen, wenn die Kinder Raumhaben, ihren inneren Impulsen zufolgen, zu experimentieren, wenn siedie Klänge finden können, die sieberühren, und wirklich ihre eigeneMusik finden und spielen können,sei es mit Instrumenten oder mit derStimme.

Gerade im Umgang mit Klängen,Tönen, Musik scheint es mir wich-tig, einen solch offenen Raum zurVerfügung zu stellen, frei vonirgendwelchen Anforderungen undLeistungserwartungen oder -den-ken, denn Töne berühren unmittel-bar das Innere und erreichen oft sehrfeine Schichten. Kinder sind nochoffen und haben einen leichten undspontanen Zugang zu der Energieder Klänge, der Musik. Und nichtnur zu Musik, mit Farben verhält essich ähnlich.

Raffael geht zu den Holzglockenund fängt mit seiner lebhaften, faststürmischen, überschäumenden Ener-gie an: „1, 2, 3, los ...“ Doch schonnach ein paar Klängen bekommtsein Spiel eine andere Intensität,wird ruhiger, er spielt langsamer,

Mit Kindern wachsen2

„Da ist etwas Besonderes drin– ein Geheimnis“

Erfahrungen in einer freien kreativen Spielgruppe

Sonja Welker

Solche Momente entstehen einfach, man kann sienicht durch irgendetwas hervorrufen wollen.

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lauschend. Sein Gesichtsausdruckund seine Körperhaltung und -span-nung verändern sich. Er scheintmehr in seine Mitte zu kommen,spielt wie von innen getragen. Eswird insgesamt stiller im Zimmer,auch die anderen Kinder spürenetwas von der Intensität und hörenzu. Als er fertig ist, gibt es einen kur-zen Blickkontakt mit mir, ein Strah-len – und er geht zu den Trommeln.Auch hier kommt er wieder in einruhiges, lauschendes Spielen, erbeginnt auf einer Trommel, dannwandert einer der Schlägel zur näch-sten. Ich stelle die Trommeln imHalbkreis um ihn herum. Er vertieftsich immer mehr ins Spiel hinein,spielt immer eine nach der anderen(jede hat einen anderen Ton) undfindet seinen ganz ureigenen Rhyth-mus darin, der sich immer wiederwiederholt. Dann geht er zu anderenAktivitäten über, aber in dieserStunde geht er mehrmals zu denTrommeln zurück, es scheint mirals ob er sich dort sammelt undseine Kraft findet.

Anna spielt mit der Flöte, einerPiccolo-Blockflöte, wobei die ver-schiedenen Töne hauptsächlichdurch die Atembewegung entste-hen. Sie spielt lange und intensiv,findet immer mehr ins Spiel hin-ein. Die anderen Kinder sindoffensichtlich auch berührt, be-sonders Lisa. Sie schaut sie ganzfasziniert und staunend an. AlsAnna fertig ist, strahlt sie: „Jetzt habich ein Lied gespielt!“ Und sie spieltweiter. Lisa steht auf, holt sich eineähnliche Flöte und spielt mit. Undbeide finden im Spiel zusammen,wieder hat das Spiel eine solcheIntensität und etwas schwingt mit-einander. Sie hören gleichzeitig aufund lachen sich an: „Das war ja wie-der ein Lied“. Die Kinder haben„Häuser“ gebaut, mit Tüchern undKissen, und Instrumente mit dorthingenommen. Anna lädt Lisa nunein, sie zu besuchen. Dort versuchen

sie noch ein Lied mit Rasseln, nichtmehr so lange, aber wieder intensivund dann geht jedes Kind seinerWege. In der nächsten Zeit gibt esoft Besuche, nicht nur zwischen die-sen beiden Kindern, auch die ande-ren werden einbezogen. Auch das

„Lied-Spielen“ geht weiter, verschie-dene Kinder spielen miteinanderund manchmal auch die ganzeGruppe – der Funken ist überge-sprungen.

Für Marvin ist es in einer Stundeder Klang der Panflöte, der ihnbesonders fasziniert. Beim leichtenDarüberblasen entstehen ganz zarteTöne, wie ein feiner Wind. Erbeschäftigt sich über längere Zeitdamit und seine Füße finden ihreeigene Bewegung dazu.

Elias mag in einer Stunde eineTönflöte besonders gern. Wir neh-men Instrumente mit zum Malenund machen vorher ein bißchenMusik. Er nimmt eine Tonflöte mit,spielt kurz und malt dann – spieltund malt – immer wieder. Erbeginnt sein Bild an den Ränderndes Blattes, es entstehen bunte Farb-flächen bis zur Mitte hin. In derMitte bleibt noch etwas frei. Er hältdie Flöte ganz dicht ans Blatt, spieltgenau auf diesen freien Platz gerich-

tet. „Da ist etwas ganz besonderesdrin – ein Geheimnis“, sagt er zumir. Dann wird es leuchtend gelb dadrinnen.

Oft gibt es keine Worte für solchesErleben. Wenn wir jedoch wachsind, die Kinder wahrnehmend

begleiten, lässt sich etwas davonerspüren und oft gibt es einen kur-zen spontanen Blickkontakt, derbestätigt, ich habe dich auch daringesehen.

Alles, was bei den Kindern zumVorschein kommt, will angenom-men, will gesehen werden.

In den Gruppen finden sie einenRaum, in dem sie sein dürfen, wie siesind, in dem entstehen kann, wasgerade an die Oberfläche kommenwill. Einen Raum, in dem ihr Erle-

ben zum Ausdruck kommen kann,in dem ihre Lebendigkeit, ihreFähigkeiten, ihre Neigungen undBesonderheiten, ihre Kraft undStärke, etwas von ihrem Wesensichtbar und spürbar werden kann.Alles was in ihnen steckt, lässt sichin Klängen, Musik, Farben undBewegung erfahren und zum Aus-druck bringen.

Dazu stehen den Kindern vieleverschiedene, leicht spielbareInstrumente zur Verfügung, bunteChiffontücher, größere Tücher,

Bänder, Federn, glitzernde Steine,Blumen, Reifen, ein Trampolin, eingroßer Ball, ... und zum malenWachsmalstifte. Materialien, die zuSpiel und Bewegung einladen, mitdenen sie ihre eigene kleine Weltgestalten können. Es entsteht oftlebendiges Spiel, in das ihre musika-lischen/klanglichen Erfahrungeneingebunden sind und auf dieseWeise integriert werden.

Hanna, Sandra und Lisa spielenPferde, die Idee war beim Auspro-bieren von Bewegung zu verschiede-

Sonderheft Kreativität & Erziehung 3

Alles, was bei den Kindern zum Vorschein kommt,will angenommen, will gesehen werden.

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nen Instrumentalklängen entstan-den. Sie galoppieren und trabendurchs Zimmer. Ich begleite sie mitder Trommel. Ihre Stimme kommtdazu und ihre Bewegung wirdimmer schwungvoller. Laut wie-hernd und schnaubend ziehen sieihre Runden – „Wir sindWildpferde“. SprühendeFreude, Kraft, Lebendig-keit und Vitalität werdenspürbar. Das Spiel gehtweiter, hinten im Zimmerbauen sie mit Tüchern eineWeide und Unterschlupf,auf der anderen Seite eineQuelle ... und immer wie-der galoppieren sie fröhlichwiehernd herum. Beson-ders Sandra, die bishereher stiller und zurückhal-tend war, kommt in die-sem Spiel mit einer ande-ren Seite von sich in Kontakt, wassich in den nächsten Stunden auchin anderen Zusammenhängen deut-lich weiterentwickelt.

Rebecca hält sich zunächst ganzam Rande, intensiv beobachtendwas geschieht, mit kritischem, teil-weise sogar etwas finsterem Blick.Nur hier und da nimmt sie sich amRande ein paar Sachen und fängtvorsichtig an, ab und zu treffen sichunsere Blicke, zaghaft. In der zwei-ten Stunde wird sie zunehmendlebendiger, zutraulicher und offener.Sie findet ihr Lieblingsinstrument,eine kleine Harfe,baut sich einen über-aus schön gestaltetenPlatz mit Tüchernund Bändern ge-schmückt, und spieltein paar zaghafte Töne. Dann ist dasEis gebrochen – „hier darf man jamachen was man will“, stellt siestrahlend fest und ab dann ist sienicht mehr zu bremsen. (Sie warvorher in einer anderen Gruppe, wosie gehen musste, weil sie sich nichtanpassen konnte. Daher die Skep-

sis!) Wunderschöne Plätze, „Woh-nungen“, mit bunten Tüchern ent-stehen, mit Blumen, Bändern,Federn, Sternen und Steinengeschmückt, werden riesig groß, ver-binden sich mit denen anderer Kin-der, sie sind Nachbarn, besuchen

sich, mal wohnen einige zusammen,mal wird gefeiert ...

Anfangs beansprucht sie vielRaum für sich. Sie benötigt vieleDinge, was teilweise zu Konfliktenmit den anderen Kindern führt. Esfällt ihr nicht leicht, sich zu arran-gieren, Grenzen zu akzeptieren.Aber dies verändert sich mit derZeit, je mehr sie in ihren Besonder-heiten Anerkennung und Bestäti-gung erfährt. Sie hat ihre ganzbestimmten Lieblingsinstrumente –Harfe, Kalimba, Glöckchen (wobeisie sich immer wieder die gleichen 3

Töne heraussucht) und verschiedeneFlöten – wie auch ihre Lieblingsfar-ben: alles zarte Farben, Blautöne,hellgrün, rosa, gelb und weiß. Esentsteht intensives Spiel mit denInstrumenten, oft kommt die Stim-me dazu. Mit Tüchern schmückt siesich und besonders gern tanzt sie

mit Tüchern oder Blumen. Dabeischwingt sie leicht durch den Raum,zu eigenem Singen oder von mirgespielter Musik und nicht seltenmachen andere Kinder spontan mit.Beim Malen entstehen sehr ein-drucksvolle Bilder: viele grüne Wie-

sen, Hügel, Berge mit sehrausgeprägt gestalteten Blu-men und Vögeln, Sonne,Regenbogen, Meer, odereinfach nur Farbkomposi-tionen. Die Eigenheiten,Fähigkeiten und Stärkendieses Kindes kommen zumVorschein.

Solch kreatives Tun, daswirklich Eigene finden undzum Ausdruck bringen zukönnen ist auf eine Weiselebenswichtig für die Kin-der. Es scheint ihnen Nah-rung, Kraft und Selbstver-

trauen zu geben und löst Zufrieden-heit aus. „Die Kinder sind so ausge-glichen nach den Stunden“, bekom-me ich oft als Feedback von denEltern.

Wenn sie jedoch nicht genügendRaum dazu erhalten, zuviel vonaußen gesteuertem folgen müssen,kann das wirklich Eigene verschüttetwerden und der Zugang muss ersteinmal wiedergefunden werden. Einsolches Defizit kann sich auch in auf-fälligem Verhalten niederschlagen.

Für Roman, ein sogenanntes auf-fälliges Kind, ist die Gruppe an einer

Grundschule, an derer 2 Jahre lang teil-nimmt, eine Unter-stützung, seine Sensi-bilität, Stärken undKraft zu finden, und

teilweise Schwierigkeiten und nega-tives Verhalten zu überwinden.

Schon in der ersten Stunde kom-men seine Verhaltensauffälligkeitendeutlich zum Vorschein, er reagiertmotzig, trotzig, legt es hauptsächlichdarauf an, andere zu stören, erkommt dauernd in Konflikte, findet

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Solch kreatives Tun, das wirklich Eigene finden und zum Ausdruck bringen zu können ist aufeine Weise lebenswichtig für die Kinder.

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aber kaum ins Tun. Trotzdem ist erin der zweiten Stunde wieder da undzwar eine viertel Stunde zu früh. Erkommt herein, geht schnurstrackszu den Instrumenten und beginntzu spielen, ein kurzer fragenderBlick, den ich mit „ja, du kannstruhig schon was ausprobieren“,beantworte.Und dannzeigt sich eineganz andereSeite: er istoffensichtlichbegeistert, probiert eins nach demanderen, legt es wieder hin, gehtzwischendurch zum Trampolin,hüpft ein paarmal, nimmt wiederein Instrument und sprichtzwischendrin leise mit sich selbst.Ich staune. Dannkommen die anderenKinder und allesändert sich wieder.Wir sitzen anfangs inder Runde, spielengemeinsam oder derReihe nach, aberRoman macht garnichts mehr, findetalles nur blöd, hältsich die Ohren zuoder redet dazwi-schen. Ich geheschnell über zu einemganz freien Teil undsage ihm kurz, er soll einfach genaudas machen, was er gerade möchte.Er schaut mich erstaunt an undnimmt sich dann verschiedeneInstrumente, mit denen er in Bewe-gung kommt. Und darauf lässt ersich voll und ganz ein, ich binerstaunt was für Bewegungsartendabei entstehen. In nächster Zeitfasziniert ihn besonders das Spielmit Tüchern. Sich verkleiden, inRollen schlüpfen, das macht ihmSpaß. Anfangs sind es meist etwasdüstere Gestalten, aus Sagen, die ergehört hat. Dann spielt er verschie-dene Tiere, er baut Höhlen, für Dra-

chen, Wölfe, Tiger ... Er spielt vielfür sich alleine, spricht oder singtetwas dazu, nimmt sich auch häufigInstrumente. Und immer wiedersucht er den Kontakt zu mir, suchtdie Bestätigung.

Wann immer er auf diese Weisefür sich ins Tun, ins Gestalten fin-

det, ist auch sein nörgelndes, ärgern-des Verhalten verschwunden. Undim Spiel ist er durchaus auch zukonstruktiven Kontakten mit denanderen Kindern fähig, für kurzeZeit. Was sich allerdings dabei als

neue Schwierig-keit erweist, sinddie vorgefertig-ten Meinungender anderen Kin-der über ihn, diees ihnen schwie-rig machen, mitihm zu spielen.

Ein weiteresThema: Malen –er fängt an, zer-knüllt sein Bild,beginnt ein neues,zerknüllt es wie-der – „es wird

einfach nichts“ – Ärger, Verzweif-lung. Ich setze mich zu ihm undspüre zunächst einmal nur seinenÄrger und Verzweiflung mit. „Eswill einfach nicht werden, wie du esgerne hättest“ – „Ja.“ – Nach einerWeile mache ich ihm den Vorschlag:

„Schau doch einfach mal, welcheFarbe du gerade am liebsten hastund wie deine Hand damit malenwill, ganz egal was daraus wird.“ Ein

fragender Blick – das ist neu – aberer probiert es aus. Dabei ändert sichlangsam seine Haltung, die Span-nung löst sich, er wird weicher, undes kommt sogar Freude auf. Es wirdein kräftiges rot-oranges Bild, das eroffensichtlich mag. Gut gelaunt gehter damit nach Hause. Noch einige

Stunden malt er auf dieseWeise, „einfach Farben“ –dann entsteht auch wiederGegenständliches und er-staunliche Motive tauchenauf: große Vögel, Regenbö-

gen, ein Haus mit Wiese und einerSchafherde, Drachen ... Als späterein Mädchen aus seiner Klasse neuin die Gruppe kommt und ähnlicheSchwierigkeiten hat, geht er auf siezu: „Weißt du, du musst nur deineHände malen lassen, wie sie wollen,dann geht es plötzlich ganz einfach“.

Er findet seine Stärken, z.B. wenner Tiere spielt, in Bewegung und mitder Stimme, kommt seine Kraft zumVorschein. Besonders haben es ihmdie Wölfe angetan. Er hat viel Fanta-sie, erfindet und spielt Geschichtenzu Postkarten mit Tieren, einmalspielt er eine Begrüßungsszene vonWölfen und Eisbären, die alle beein-druckt.

Es läuft jedoch nicht alles so glatt,auch seine Schwierigkeiten tretendeutlich zutage. Es fällt ihm schwer,Kontakte zu knüpfen, er ist sehrlabil und steht oft unter Druck.Über eine längere Phase bricht erschnell in Tränen aus, wenn irgend-etwas nicht so läuft, wie er es gernemöchte – z.B. wenn ein Kind ihnnicht drannimmt bei Gruppenaktio-nen oder wenn er noch nicht mit

etwas fertig ist,wenn andere schonweiter sind. „Wa-rum immer ich“,bricht es aus ihm

heraus, „warum kann ich nichts,warum bin ich letzter, warum habeich keine Ideen“ (was ja letztlichüberhaupt nicht so ist!). Ich versu-

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„Weißt du, du musst nur deine Händemalen lassen, wie sie wollen, danngeht es plötzlich ganz einfach“.

Wann immer er auf diese Weise für sich ins Tun,ins Gestalten findet, ist auch sein nörgelndes,ärgerndes Verhalten verschwunden.

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che, seinen Schmerz mitzufühlenund ihn zu stärken, ihm mein Ver-trauen in ihn und seine Fähigkeitenzu vermitteln, indem ich ihm immerwieder die Brücke ins Tun zuerleichtern versuche, wobei er sichmeistens fängt. Am Ende dieserPhase experimentieren wir mit Ton:es entsteht ein großer Drache, mitFedern und bunten Steinen wunder-schön gestaltet. Meinen Vorschlag,zu dem Getonten Musik zu machen,nimmt er freudig auf. Er brauchteine Weile, geht zu den Trommeln,setzt den Drachen auf die eine undbeginnt auf der anderen zu spielen.Erst zaghaft, dann singt er dazu mitleiser Stimme, noch suchend, manspürt richtig, wie es aus dem Innernkommt und es entsteht ein Lied mit3 Strophen über einen schönen undstarken Drachen, der im Dorf vonallen bewundert, geachtet undgefürchtet wird, der viel Feuerspuckt und der, wenn es im Dorfeinmal brennt, sein Feuer in Wasserverwandelt und alles löscht. SeineStimme und der Text werden imLaufe des Liedes immer klarer under strahlt. Im Raum wird es still,auch die anderen Kinder sind sicht-lich berührt und sagen ihm nachher,sie hätten gar nicht gedacht, dass erso etwas schönes machen könnte.

Anmerkung

Jeder hat ein ganz persönliches inne-res Resonanzfeld – (ähnlich wie derFingerabdruck). Dies ist mit demSelbst verbunden. Bei Kindern ist es(wie auch bei den ungeübtenErwachsenen) noch unbewusst.Wenn die Kinder nun mit verschie-denen Tonerfahrungen experimen-tieren können, finden sie von selbstetwas, was sie anspricht, wo sieResonanz spüren – dies kann auchvon Situation zu Situation variieren– manches bleibt gleich – durchge-hend – manches wechselt.

In der indischen Musiktherapiespricht man von einem „Grundton“,den jeder hat). Dieses Resonanzer-lebnis erfreut die Kinder und esbestärkt sie in ihrem eigenen Sein.

So ist bei der gestaltorientiertenArbeit mit Musik nicht das Erlernenund Aufführen von MusikstückenInhalt, sondern die ganz persönlicheErfahrung jedes Kindes im musikali-schen und poetischen Selbsterleben.Dies fördert innere Stärke, Selbstbe-wusstsein und Vertrauen.

Katharina Martin

Mit Kindern wachsen6

Sonja Welker ist Musik- undGestaltpädagogin (langjährigeWeiterbildung in essentieller Ge-staltarbeit bei Katharina Martin)und leitet seit vielen Jahren freiekreative Kindergruppen mit denSchwerpunkten Musik, Farbe,Bewegung.