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DAS THEMA NG|FH 7/8|2008 29 Wie bei einem Großfamiliengeburtstag glänzen die meisten Israel-Gratulanten seit Monaten mit pathetischen Floskeln, schlecht versteckten Sticheleien und bes- serwisserischen Belehrungen gegenüber dem Jubilar. Über all dem schwebt das Be- kenntnis zu einer Beziehung, die als »be- sondere« gilt, jedoch immer wieder in Fra- ge gestellt wird. Wer Verweise auf eine besondere Be- ziehung zwischen Deutschland und Israel zeremoniell, wie eine Geburtstagstorte mit 60 Kerzen vor sich herträgt, vergisst, dass Staaten wie Menschen in einem Bündel vie- lerlei besonderer Beziehungen leben. Es kommt also nicht darauf an, eine Besonder- heit zu beschwören, sondern sie mit Inhal- ten zu füllen. Was heißt dies für die Bezie- hung zwischen Deutschland und Israel? Es gilt, dabei die drei zentralen Dimensionen des Besonderen auszuleuchten: die beson- dere Nähe zu Israel, die besondere Lage Is- raels und unsere eigenen deutschen bzw. so- zialdemokratischen Prioritäten. Nur dann wird aus einem rituellen Bekenntnis eine zukunftsfähige Strategie des Besonderen. Drei zentrale Dimensionen Es geht zunächst um besondere Nähe. Ju- den und Deutsche teilen eine mehr als tau- sendjährige wechselhafte Geschichte der Koexistenz, Verfolgung und Vernichtung. Es geht um die historische Nähe einer ge- scheiterten, aber einzigartigen Symbiose und um die historische Unentrinnbarkeit der tödlichen Täter-Opfer-Nähe, die beide Völker für immer auf tragische Weise ver- eint. Uns vereint aber auch eine andere, zukunftsweisende Gemeinsamkeit, eine demokratische Nähe, denn beide Staaten sind nach den Prinzipien der parlamenta- rischen Demokratie verfasst. Trotz aller Probleme und Rückschläge verbindet uns ein Konsens von Demokraten, der auf ei- ner Vision von Gleichheit und Freiheit gründet. Es geht aber auch um die gesellschaftli- che Nähe des Alltags: Um Ephraim Kishon und Zeruya Shalev auf unseren Bücher- regalen, um Dani Karavan in unseren Ga- lerien, Eitan Fox und Joseph Cedar in un- seren Kinos und – ja auch das! – um Na- talie Portman oder Dana International auf unseren Bildschirmen. Wir teilen mitei- Sergey Lagodinsky Israel, ein progressiver Traum Deutschland muss sich über die Besonderheit seiner Beziehung zu Israel, das durch ein Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Andersartigkeit gekennzeich- net ist, klar werden. Die Beurteilung Israels darf sich dabei aber nicht allein auf das Verhalten im Nahost-Konflikt beschränken, gerade die Sozialdemokratie muss daneben auch den gemeinsamen Wertekanon berücksichtigen. Sorge um Israel – Frieden in Nahost Sergey Lagodinsky (*1975) ist Fellow am Global Public Policy Institute, Berlin (GPPi). Er ist Gründer und einer der Sprecher des Arbeitskreises Jüdischer Sozialdemokraten. [email protected]

Sorge um Israel – Frieden in Nahost - GPPi...und Zeruya Shalev auf unseren Bücher-regalen, um Dani Karavan in unseren Ga-lerien, Eitan Fox und Joseph Cedar in un-seren Kinos und

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    Wie bei einem Großfamiliengeburtstagglänzen die meisten Israel-Gratulantenseit Monaten mit pathetischen Floskeln,schlecht versteckten Sticheleien und bes-serwisserischen Belehrungen gegenüberdem Jubilar. Über all dem schwebt das Be-kenntnis zu einer Beziehung, die als »be-sondere« gilt, jedoch immer wieder in Fra-ge gestellt wird.

    Wer Verweise auf eine besondere Be-ziehung zwischen Deutschland und Israelzeremoniell, wie eine Geburtstagstorte mit60 Kerzen vor sich herträgt, vergisst, dassStaaten wie Menschen in einem Bündel vie-lerlei besonderer Beziehungen leben. Eskommt also nicht darauf an, eine Besonder-heit zu beschwören, sondern sie mit Inhal-ten zu füllen. Was heißt dies für die Bezie-hung zwischen Deutschland und Israel? Esgilt, dabei die drei zentralen Dimensionendes Besonderen auszuleuchten: die beson-dere Nähe zu Israel, die besondere Lage Is-raels und unsere eigenen deutschen bzw. so-zialdemokratischen Prioritäten. Nur dannwird aus einem rituellen Bekenntnis einezukunftsfähige Strategie des Besonderen.

    Drei zentrale Dimensionen

    Es geht zunächst um besondere Nähe. Ju-den und Deutsche teilen eine mehr als tau-sendjährige wechselhafte Geschichte der

    Koexistenz, Verfolgung und Vernichtung.Es geht um die historische Nähe einer ge-scheiterten, aber einzigartigen Symbioseund um die historische Unentrinnbarkeitder tödlichen Täter-Opfer-Nähe, die beideVölker für immer auf tragische Weise ver-eint.

    Uns vereint aber auch eine andere,zukunftsweisende Gemeinsamkeit, einedemokratische Nähe, denn beide Staatensind nach den Prinzipien der parlamenta-rischen Demokratie verfasst. Trotz allerProbleme und Rückschläge verbindet unsein Konsens von Demokraten, der auf ei-ner Vision von Gleichheit und Freiheitgründet.

    Es geht aber auch um die gesellschaftli-che Nähe des Alltags: Um Ephraim Kishonund Zeruya Shalev auf unseren Bücher-regalen, um Dani Karavan in unseren Ga-lerien, Eitan Fox und Joseph Cedar in un-seren Kinos und – ja auch das! – um Na-talie Portman oder Dana International aufunseren Bildschirmen. Wir teilen mitei-

    Sergey Lagodinsky

    Israel, ein progressiver Traum

    Deutschland muss sich über die Besonderheit seiner Beziehung zu Israel, dasdurch ein Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Andersartigkeit gekennzeich-net ist, klar werden. Die Beurteilung Israels darf sich dabei aber nicht allein aufdas Verhalten im Nahost-Konflikt beschränken, gerade die Sozialdemokratiemuss daneben auch den gemeinsamen Wertekanon berücksichtigen.

    Sorge um Israel –Frieden in Nahost

    Sergey Lagodinsky

    (*1975) ist Fellow am Global PublicPolicy Institute, Berlin (GPPi).Er ist Gründer und einer derSprecher des Arbeitskreises JüdischerSozialdemokraten.

    [email protected]

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    nander die Alltagswerte, die uns diese All-tagsnähe erleichtern.

    Doch es geht auch um Israels besonde-re Lage. Es gibt kaum einen anderen Staatauf der Welt, der sich mitten in einer Um-gebung befindet, die so zahlenmäßig über-wältigend, so exterminatorisch ablehnendund so wertemäßig herausfordernd ist.Abgekoppelt von eigenen europäisch-amerikanischen Träumen leben die Isra-elis mitten in einem emotionalisierten na-tionalstaatlichen Umfeld, das nicht mit ei-nem postmodernen Europa vergleichbarund für uns aus der sicheren Entfernungnur schwer nachvollziehbar ist.

    Zu guter Letzt sollte man über die be-sonderen Prioritäten Deutschlands nichthinwegsehen. Als Wirtschaftsmacht istDeutschland auf die Stabilität nahöstli-cher Absatzmärkte und Energielieferun-gen angewiesen; als ambitionierter Wis-senschafts- und Technologiestandort – aufden Austausch mit Forschungszentrenin Israel. Und nicht zuletzt geht es umDeutschlands Sicherheit, die von unsererstrategischen Positionierung gegenübergewaltbereiten Ideologien abhängt, vondenen viele sich in der Nahostregion ein-genistet haben.

    Nur gemeinsam können diese Dimen-sionen das Besondere erklären. Eine iso-lierte Betrachtung verzerrt das Bild, statt eszu präzisieren. Setzen wir nur auf die Ge-meinsamkeiten zwischen Israel und west-lichen Demokratien, sind wir versucht, diebesondere Lage Israels auszublenden: sei-ne existenzielle Bedrohung mitten im re-gionalen Kontext einer nationalstaatlichenModerne. Betont man hingegen nur dieAndersartigkeit der Lage Israels, so lagertman den jüdischen Staat ganz in die Frem-de aus – der Konflikt verkommt zu einerPrügelei zwischen uneinsichtigen Wildenauf der orientalischen Spielwiese. Undschaut man ausschließlich auf die Prioritä-ten Deutschlands, so tappt man allzu leichtin die Falle des realpolitischen Egoismus,der nur kurzfristig währt.

    Die Komplexität der Zusammenschaualler drei Dimensionen ist nicht einfachauszuhalten, denn sie erzeugt eine Span-nung zwischen Nähe und Andersartigkeit– einen ambivalenten, fast psychoanalyti-schen Stoff, aus dem manch ein traditio-neller Stereotyp gestrickt ist. Nicht um-sonst steht Israel-Kritik so häufig im Ver-dacht, das Land zu einem »kollektivenJuden« der internationalen Gemeinschaftzu reduzieren. Nicht nur aus historischerRücksicht ist es daher erforderlich, einegesunde Mischung aus Eigenreflexion undFremdempathie zu bewahren, wenn wirüber Israel urteilen.

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    Die Positionierung derdeutschen Sozialdemokratie

    Die deutsche Sozialdemokratie muss ihreeigene Nähe zum »Projekt Israel« wie-derentdecken. In ihrem neuen Parteipro-gramm bekennt sich die SPD neuerdings zueigenen auch jüdischen Wurzeln. Die Rollejüdischer Menschen bei der Gründung derSPD ist kein Zufall. Die Vision einer Eman-zipation von Entrechteten liegt der Arbei-terbewegung zugrunde, genauso wie sie derjüdischen Emanzipation zugrunde lag. DieSehnsucht nach einer Heimstätte für einVolk, dessen Schicksal Jahrtausende langfremdbestimmt blieb, war dabei kein Na-tionalismusprojekt unter vielen, sondernein zutiefst emanzipatorischer, ein progres-siver Gedanke der nationalen Selbstbe-freiung und Selbstbestimmung.

    Die Nähe ist beiderseitig: Der linkeGeist bestimmte die Grundlagen des zio-nistischen Projektes in Palästina. Es warenlinke Juden aus aller Welt, die das Land zudem gemacht haben, was es ist – die Prob-leme dieses Landes inklusive. Lange Jahrewaren die linken Parteien (zuerst MAPAI,später die Arbeiterpartei) die unanfecht-baren Regierungsparteien, die das Landauch durch die Kriege von 1948 (Unab-hängigkeitskrieg), 1956 (Sinaikrieg), 1967(Sechstagekrieg) und 1973 (Yom Kipur-Krieg) geführt haben. Das soziale Gerüstdes Landes war auch jahrelang durch dieIdeen der Sozialdemokratie geprägt: DieKibbuzim als treibende Kraft der wirt-schaftlichen Neugestaltung, die Histatrudals eine mächtige Gewerkschaft, die Clalit-Krankenkasse, die eine faire Gesundheits-versorgung ohne Einkommensunterschie-de gewährleistet hat.

    Dass Israel bei all dem von der politi-schen Linken im Ausland zunehmend alsideologischer Gegner angesehen wurde, istdie Ironie des Nahostkonflikts. Unser poli-tischer Kompass versagt im Nahen Osten,denn wir scheinen Schwierigkeiten damitzu haben, die besondere Lage Israels ins

    eigene ideologische Koordinatensystemaufzunehmen. Der internationale Konflikt,in dem die Sprache des Antiimperialismuszweckentfremdet wurde, verschob dieLinks-Rechts-Orientierung weg von all-umfassenden Fragen der Gerechtigkeit hinzur oberflächlichen Betrachtung des Kon-fliktverhaltens: Wer in Israel links und werrechts ist, wird von uns seit Jahren nach ih-rer Position im Konflikt mit den Palästi-nensern beurteilt. Indes ist dies nicht nurfalsch, sondern auch für unser Selbstver-ständnis als linke Kraft schädlich – denndadurch reduzieren wir unsere eigeneIdeologie auf das einfache Krieg-Frieden-Schema und blenden die Komplexität derpolitischen und sozialen Wirklichkeit aus.

    Das binäre Fernglasbeiseite legen

    Unter diesen Umständen hängt unsere Be-ziehung zu Israel nicht nur von unsererPositionierung gegenüber dem jüdischenStaat, sondern vor allem zu seiner Umge-bung ab. Legt man das binäre Fernglas desNahostkonflikts beiseite, fragt man sich,was viele Sozialdemokraten so empathischgegenüber zahlreichen problematischenAkteuren von Hisbollah bis Iran macht.Gerade hier müssen wir uns auf unserebesonderen sozialdemokratischen Priori-täten rückbesinnen. Diese sind nicht aufKonfliktbeilegung um jeden Preis be-schränkt, sondern beinhalten die Sicherungvon Frauen- und Minderheitenrechten,die Unterstützung von Arbeitnehmer-rechten oder die Förderung sozialer Ge-rechtigkeit. Diese grundlegenden Wertemüssen raus aus dem goldenen Käfig desInnerstaatlichen, um bei der Ausrichtungunserer Außenpolitik eine nicht nur rhe-torische Rolle zu spielen. Unterlassen wirdiese Ausrichtung, so wird die sozialde-mokratische Formel des Wandels durchAnnäherung zu einem realpolitischen Frei-brief: Wer kritische Dialoge mit Regimes,

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    wie dem im Iran führt, darf nicht verges-sen, dass eine Annäherung kein Selbst-zweck ist, sondern auf einen Wandel abzie-len muss. Eine Annäherung ohne Wandelwäre Realpolitik pur, die die Bezeichnung»sozialdemokratische Außenpolitik« nichtverdienen würde. Es geht also auch beiunserer Auseinandersetzung mit IsraelsNachbarn um unser Selbstverständnis alsSozialdemokraten.

    Die sozialdemokratische Partei musssich auf die Suche nach ihrer eigenen be-sonderen Beziehung zu Israel begeben.Der erste Schritt ist getan: Das Bekenntniszu Israels Existenzrecht steht im Ham-burger Programm. Das ist freilich nichtausreichend. Was wir brauchen, ist ein Be-kenntnis zu Israel als historischem Pro-

    dukt der politischen Linken und als Ver-wirklichung des Selbstbestimmungsrechtseines lange unterdrückten Volkes. Esbedarf einer Entkoppelung der Betrach-tung des Nahostkonflikts vom antiimpe-rialistischen Diskurs, sowie einer bewuss-ten Vermeidung des Links-Rechts-Sche-matismus ausschließlich nach der Posi-tionierung der Beteiligten im Nahostkon-flikt. Wenn dies geschieht, wird es auchfür die deutsche Sozialdemokratie ein-facher sein, mit ihrer häufig berechtigtenKritik am israelischen Verhalten reale Ver-änderungen in der Region zu erzielen. 60Jahre Israel sind auch 60 Jahre eines zumStaat gewordenen progressiven Traums.Es ist an der Zeit, Israel diesen Traum zu-zugestehen.

    Mustafa Barghouthi

    Israel, eine Tragödie für die Palästinenser

    Nur wenige erinnern sich daran, dass die Gründung des Staates Israel vor 60Jahren durch die Resolution 181 der VN-Generalversammlung 1947 legitimiertwurde. Darin hieß es, dass die Gründung eines israelischen Staates auf 54 % despalästinensischen Landes an die Schaffung eines palästinensischen Staates auf fast45 % desselben Landes geknüpft sei. Israel wurde gegründet, Palästina hingegennicht. Dieses Unrecht währt bis heute.

    Nach der Gründung Israels brach einKrieg aus, den israelische Truppen nachder offiziellen Bezeichnung in Israel als»Unabhängigkeitskrieg« führten und dender israelische Historiker Ilan Pappe als»ethnische Säuberung von Palästina« be-zeichnet. In Folge dessen wurde die Hälfte

    der palästinensischen Bevölkerung ge-waltsam vertrieben und es entstand daslangwierigste Flüchtlingsproblem der Ge-schichte, bei dem fünf Millionen Palästi-nenser enteignet wurden und seither end-lose Träume von einer Rückkehr in ihreverlassene Heimat hegen.

    Eine mögliche Herangehensweise andiese Geschichte ist, die Tragödie der Pa-lästinenser als Resultat der Tragödie desjüdischen Volkes in Folge des Holocaustund der Zeit davor zu sehen. Mit den Wor-ten von Professor Edward Said waren wir»die Opfer der Opfer« geworden.

    Doch ebenso, wie keiner das Recht hat,das Leid des jüdischen Volkes unter dem

    Mustafa Barghouthi

    (*1954) ist Generalsekretär derBewegung Al-Mubadara

    (Palästinensische Nationale Initiative),Mitglied im Parlament (PLC)

    und ehemaliger Informationsministerder Einheitsregierung.

    [email protected]