11
Einleitung Für den Schulerfolg hat der körperliche, geistige und psychosoziale Entwicklungs- stand von Kindern zum Zeitpunkt der Einschulung große Bedeutung. Bei Ein- schülern wird der Entwicklungsstand im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung (SEU) erfasst und ausgewertet. In allen deutschen Bundesländern werden diese Untersuchungen durch die Schulgeset- ze und z. T. durch die Gesetze zum Öf- fentlichen Gesundheitsdienst geregelt (für Sachsen-Anhalt s. unten). Bei der SEU wird im Rahmen einer ärztlichen Unter- suchung bewertet, ob das Kind den An- forderungen in der Schule gewachsen ist. Zum Spektrum der untersuchten Merk- male zählt u. a. der körperliche, psychoso- ziale und geistige Entwicklungsstand des Kindes [20]. Die Bedeutung von Entwick- lungsrückständen bei Kindern im Vor- schulalter wird in den Gesundheitswis- senschaften thematisiert [14]. Auch der Kinder- und Jugend-Gesundheitssurvey (KiGGS) untersucht Entwicklungsindika- toren von Kindern und Jugendlichen in Deutschland [2]. Einige Bundesländer veröffentlichen auf der Grundlage der Daten der SEU Schulanfängerstudien, in denen ebenfalls der Entwicklungsstand von Kindern und dessen prognostische Bedeutung betrach- tet wird. Aktuellen Erkenntnissen zufolge scheinen auf die kindliche Entwicklung, neben genetischen, biologischen und psychosozialen Faktoren [2, 17, 19], ins- besondere der Geburtszeitpunkt, das Ge- sundheitsverhalten der Mutter [13] sowie der Sozialstatus des Elternhauses, in dem das Kind aufwächst, Einfluss zu haben. So ist das Risiko von Entwicklungs- verzögerungen bei Frühgeborenen höher als bei zeitgerecht Geborenen [1]. Außer- dem wird ein niedriges Geburtsgewicht als Risikofaktor für die Entwicklung mo- torischer und kognitiver Defizite disku- tiert [10]. Als frühgeboren gelten Kinder, die vor dem Ende der 37. Schwangerschaftswo- che geboren wurden [21]. Frühgeborene Kinder, die in einem fördernden, siche- ren und emotional verlässlichen Rahmen aufwachsen haben größere Chancen, Ent- wicklungsdefizite aufgrund einer Frühge- burt in den ersten Lebensjahren zu kom- pensieren als Kinder, die entsprechen- de Rahmenbedingungen nicht vorfinden [26]. Noch weitaus größer scheint das Ri- siko für sozial benachteiligte frühgebore- ne Kinder zu sein. Bradley et al. [5] iden- tifizieren in ihrer Arbeit Frühgeburtlich- keit und Armut als sehr einschneidende Entwicklungsrisiken. Allerdings wiesen sie auch auf Faktoren hin, die für Frühge- borene in Armutslagen entwicklungsför- derlich waren. Dazu zählt eine aufmerksa- me, sinnstiftende, akzeptierende und An- reize schaffende Interaktion sowie eine si- chere, verlässliche Umgebung. Daneben haben perinatale Faktoren Einfluss auf die Gesundheit von Kindern [2]. Hier spielt insbesondere das Alter und Gesundheitsverhalten der Mutter eine be- deutende Rolle. Eine nährstoffarme, fett- reiche Ernährung sowie Nikotin- und Al- koholkonsum können ungünstige Aus- wirkungen auf die Entwicklung des Kin- des haben [3]. Biomedizinische Faktoren zum Zeit- punkt der Geburt, beispielsweise ob Kin- der zu früh geboren wurden oder es Ge- burtskomplikationen gab, haben insbe- sondere im 1. Lebensjahr wesentliche Be- deutung für die kognitive Entwicklung [7]. Ab dem 2. Lebensjahr beeinflussen zunehmend psychosoziale Faktoren, wie der Bildungsstand des Elternhauses, Bin- dung oder der Sozialstatus, die Entwick- lung von Kindern [22, 12]. Neben dem Einfluss des Sozialsta- tus auf den Gesundheitszustand ist eben- so eine umgekehrte Wirkrichtung plausi- bel, also der Einfluss des Gesundheitszu- stands der Eltern auf die soziale Situation des Kindes [18]. Thomas Hering 1 · Christin Schlüter 2 · Goetz Wahl 3 · Hanna Oppermann 3 · Reinhard Nehring 4 1 Hochschule für Gesundheit Bochum, Deutschland 2 Hochschule Magdeburg-Stendal, Magdeburg, Deutschland 3 Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt, Magdeburg, Deutschland 4 Ministerium für Arbeit und Soziales Sachsen-Anhalt, Magdeburg, Deutschland Sozialstatus, Frühgeburtlichkeit und Entwicklungsstand von Kindern in Sachsen-Anhalt Handlungsfelder für Prävention und Gesundheitsförderung? Präv Gesundheitsf 2014 · 9:69–79 DOI 10.1007/s11553-014-0429-2 Online publiziert: 8. März 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 69 Prävention und Gesundheitsförderung 2 · 2014 | Prävention/Gesundheitsförderung

Sozialstatus, Frühgeburtlichkeit und Entwicklungsstand von Kindern in Sachsen-Anhalt; Social status, premature birth and child development in Saxony-Anhalt;

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Page 1: Sozialstatus, Frühgeburtlichkeit und Entwicklungsstand von Kindern in Sachsen-Anhalt; Social status, premature birth and child development in Saxony-Anhalt;

Einleitung

Für den Schulerfolg hat der körperliche, geistige und psychosoziale Entwicklungs-stand von Kindern zum Zeitpunkt der Einschulung große Bedeutung. Bei Ein-schülern wird der Entwicklungsstand im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung (SEU) erfasst und ausgewertet. In allen deutschen Bundesländern werden diese Untersuchungen durch die Schulgeset-ze und z. T. durch die Gesetze zum Öf-fentlichen Gesundheitsdienst geregelt (für Sachsen-Anhalt s. unten). Bei der SEU wird im Rahmen einer ärztlichen Unter-suchung bewertet, ob das Kind den An-forderungen in der Schule gewachsen ist. Zum Spektrum der untersuchten Merk-male zählt u. a. der körperliche, psychoso-ziale und geistige Entwicklungsstand des Kindes [20]. Die Bedeutung von Entwick-lungsrückständen bei Kindern im Vor-schulalter wird in den Gesundheitswis-senschaften thematisiert [14]. Auch der Kinder- und Jugend-Gesundheitssurvey (KiGGS) untersucht Entwicklungsindika-toren von Kindern und Jugendlichen in Deutschland [2].

Einige Bundesländer veröffentlichen auf der Grundlage der Daten der SEU Schulanfängerstudien, in denen ebenfalls der Entwicklungsstand von Kindern und

dessen prognostische Bedeutung betrach-tet wird.

Aktuellen Erkenntnissen zufolge scheinen auf die kindliche Entwicklung, neben genetischen, biologischen und psychosozialen Faktoren [2, 17, 19], ins-besondere der Geburtszeitpunkt, das Ge-sundheitsverhalten der Mutter [13] sowie der Sozialstatus des Elternhauses, in dem das Kind aufwächst, Einfluss zu haben.

So ist das Risiko von Entwicklungs-verzögerungen bei Frühgeborenen höher als bei zeitgerecht Geborenen [1]. Außer-dem wird ein niedriges Geburtsgewicht als Risikofaktor für die Entwicklung mo-torischer und kognitiver Defizite disku-tiert [10].

Als frühgeboren gelten Kinder, die vor dem Ende der 37. Schwangerschaftswo-che geboren wurden [21]. Frühgeborene Kinder, die in einem fördernden, siche-ren und emotional verlässlichen Rahmen aufwachsen haben größere Chancen, Ent-wicklungsdefizite aufgrund einer Frühge-burt in den ersten Lebensjahren zu kom-pensieren als Kinder, die entsprechen-de Rahmenbedingungen nicht vorfinden [26]. Noch weitaus größer scheint das Ri-siko für sozial benachteiligte frühgebore-ne Kinder zu sein. Bradley et al. [5] iden-tifizieren in ihrer Arbeit Frühgeburtlich-keit und Armut als sehr einschneidende Entwicklungsrisiken. Allerdings wiesen

sie auch auf Faktoren hin, die für Frühge-borene in Armutslagen entwicklungsför-derlich waren. Dazu zählt eine aufmerksa-me, sinnstiftende, akzeptierende und An-reize schaffende Interaktion sowie eine si-chere, verlässliche Umgebung.

Daneben haben perinatale Faktoren Einfluss auf die Gesundheit von Kindern [2]. Hier spielt insbesondere das Alter und Gesundheitsverhalten der Mutter eine be-deutende Rolle. Eine nährstoffarme, fett-reiche Ernährung sowie Nikotin- und Al-koholkonsum können ungünstige Aus-wirkungen auf die Entwicklung des Kin-des haben [3].

Biomedizinische Faktoren zum Zeit-punkt der Geburt, beispielsweise ob Kin-der zu früh geboren wurden oder es Ge-burtskomplikationen gab, haben insbe-sondere im 1. Lebensjahr wesentliche Be-deutung für die kognitive Entwicklung [7]. Ab dem 2. Lebensjahr beeinflussen zunehmend psychosoziale Faktoren, wie der Bildungsstand des Elternhauses, Bin-dung oder der Sozialstatus, die Entwick-lung von Kindern [22, 12].

Neben dem Einfluss des Sozialsta-tus auf den Gesundheitszustand ist eben-so eine umgekehrte Wirkrichtung plausi-bel, also der Einfluss des Gesundheitszu-stands der Eltern auf die soziale Situation des Kindes [18].

Thomas Hering1 · Christin Schlüter2 · Goetz Wahl3 · Hanna Oppermann3 · Reinhard Nehring4

1Hochschule für Gesundheit Bochum, Deutschland2Hochschule Magdeburg-Stendal, Magdeburg, Deutschland3Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt, Magdeburg, Deutschland4Ministerium für Arbeit und Soziales Sachsen-Anhalt, Magdeburg, Deutschland

Sozialstatus, Frühgeburtlichkeit und Entwicklungsstand von Kindern in Sachsen-Anhalt

Handlungsfelder für Prävention und Gesundheitsförderung?

Präv Gesundheitsf 2014 · 9:69–79DOI 10.1007/s11553-014-0429-2Online publiziert: 8. März 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

69Prävention und Gesundheitsförderung 2 · 2014 |

Prävention/Gesundheitsförderung

Page 2: Sozialstatus, Frühgeburtlichkeit und Entwicklungsstand von Kindern in Sachsen-Anhalt; Social status, premature birth and child development in Saxony-Anhalt;

Sowohl der Fokusbericht Sachsen-Anhalts [27] als auch die Ergebnisse der KiGGS-Studie (2003–2006) zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Prävalenz von Entwicklungsstörungen und dem Sozialstatus des Kindes bzw. seiner Eltern auf. Kinder mit niedrigem Sozialstatus sind häufiger von Entwick-lungsverzögerungen betroffen als Kinder mit mittlerem oder hohem Sozialstatus.

Der Sozialstatus schlägt sich auch im Risiko für Frühgeburtlichkeit nieder. So nimmt das Risiko einer Frühgeburt zu, je niedriger der Schulabschluss der Mut-ter ist [13]. Ein vergleichbarer Zusammen-hang lässt sich auch beim Geburtsgewicht erkennen: Frauen mit niedrigem bzw. mittlerem Schulabschluss bringen öfter Kinder mit niedrigem Gewicht zur Welt, als Frauen mit hohem Schulabschluss [13].

Ein Teil der Entwicklungsverzögerun-gen kann auf Frühgeburtlichkeit zurück-zuführen sein. Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, ob und wie sich der Entwicklungsstand von Frühgeborenen und zeitgerecht geborenen Kindern mit unterschiedlichem Sozialstatus zum Zeit-punkt der SEU voneinander unterschei-det. Dazu wurden die Häufigkeiten geis-tiger, sozialer, fein- und grobmotorischer Entwicklungsrückstände sowie Sprach-störungen in Abhängigkeit vom Geburts-zeitpunkt und dem Sozialstatus auf der Basis der Ergebnisse der SEU ausgewer-tet. Die Datenerhebung erfolgte durch die Schulärztlichen Dienste.

Methode

Die SEU wird bei allen Kindern im Alter zwischen 4 und 6 Jahren durchgeführt, al-so etwa 1,0 bis 1,5 Jahre vor Beginn der Schulpflicht. Die rechtliche Grundla-ge bilden in Sachsen-Anhalt § 37 Abs. 2 Schulgesetz [25] und § 9 Abs. 2 des Ge-sundheitsdienstgesetzes [9]. Die folgende

Analyse basiert auf Daten von 60.452 Kin-dern aus den SEU der Jahre 2008 bis 2012.

Bei der ärztlichen Untersuchung der einzuschulenden Kinder werden neben medizinischen Untersuchungen auch entwicklungsbezogene Tests durchge-führt, aus denen mögliche Entwicklungs-verzögerungen bzgl. Grobmotorik, Fein-motorik, Sprache und geistigem, sozialem und emotional-psychischem Entwick-lungsstand abgeleitet werden können.

Neben den Untersuchungsdaten wer-den bei der SEU auch Anamnesedaten er-hoben: Die Eltern der zu untersuchenden Kinder erhalten zusammen mit der Einla-dung zur SEU einen Fragebogen, in dem neben vielen anderen Items u. a. nach ei-nem möglicherweise frühen Geburtszeit-punkt des Kindes (Ankreuzfeld: Frühge-burt) und nach der Schulbildung (3-stu-fig) und der Erwerbstätigkeit (2-stufig, . Abb. 1) der Eltern gefragt wird.

Im Einladungsschreiben zur SEU wer-den die Eltern darauf hingewiesen (und quittieren mit Unterschrift), dass die Be-antwortung aller Items im Elternfragebo-gen freiwillig ist und dass die Nutzung der Anamnese- und Untersuchungsdaten für die Gesundheitsberichterstattung in ano-nymisierter Form nur nach schriftlicher Zustimmung der Eltern erfolgt. Das ge-samte Vorgehen der Datenerfassung bei der Schuleingangsuntersuchung ist mit dem Landesdatenschützer abgestimmt.

Bei allen Kindern wird der Sozialsta-tus mit dem Brandenburger Sozialindex erhoben [4]. Hierbei sind den Angaben des Vaters und der Mutter zum Schulab-schluss und zur Erwerbstätigkeit Punkt-werte zugeordnet, deren Summe die Ein-ordnung in einen Sozialstatus ermöglicht. Bei Alleinerziehenden wird der Punkt-wert des alleinerziehenden Elternteils ver-doppelt.

Als Frühgeburt gelten Kinder, die vor Vollendung der 37. Schwangerschafts-

woche zur Welt kamen [21]. Eine Eintei-lung nach früh- und normal geborenen Kindern wurde in der vorliegenden Stu-die ausschließlich auf der Basis der Selbst-auskunft der Eltern im Elternfragebogen vorgenommen (s. Kritik).

Zur Erfassung des Entwicklungsstands der Kinder wurde das Instrument Basis-diagnostik für umschriebene Entwick-lungsrückstände im Vorschulalter (BUE-VA) eingesetzt [6]. Bei einigen Parame-tern ist die kinderfachärztliche Einschät-zung ausschlaggebend für die Bewertung des Entwicklungsstands.

Die Kodierung von Entwicklungsver-zögerungen erfolgt, wenn erstmalig bzw. erneut zu einer Behandlung überwiesen wird oder das Kind bereits in Behandlung war/ist bzw. eine Auffälligkeit ohne aku-ten Handlungsbedarf besteht.

Es werden folgende Entwicklungsindi-katoren erfasst: 5 geistiger Entwicklungsstand, 5 sozialer Entwicklungsstand, 5 emotional-psychischer Entwicklungs-stand, 5 Sprachstörungen, 5 feinmotorischer Entwicklungsstand und 5 grobmotorischer Entwicklungsstand.

Der geistige Entwicklungsstand wurde über BUEVA erfasst [6]. Kinder müssen hier bspw. Knöpfe nach Farbe, Form und Größe sortieren, Mengen vergleichen und zuordnen.

Aggressivität, das Überschreiten so-zialer Regeln und eine schlechte Lern-fähigkeit sind Symptome eines sozialen Entwicklungsrückstands. Weist ein Kind mindestens zwei dieser Symptome auf, wird ein sozialer Entwicklungsrückstand diagnostiziert. Die Einschätzung oblag dem fachärztlichen Personal und ist nicht vollständig standardisiert.

Ebenso verhält es sich bei der Ein-schätzung eines emotional-psychischen Entwicklungsrückstandes. Dazu zählen übertriebene Ängstlichkeit, starke Ge-hemmtheit, Neigung zu Verstimmungen und übertriebene Eifersucht sowie Rivali-tätsprobleme. Dabei muss das Kind min-destens zwei der genannten Symptome aufweisen bzw. dadurch sich selbst und sein soziales Umfeld spürbar beeinträch-tigen.

Hoher Sozialstatus9-10 Punkte

Mittlerer Sozialstatus7-8 Punkte

Niedriger Sozialstatus4-6 Punkte

Schulbildung Punkte je Elternteil

1

23

12

Niedrige Schulbildung (fehlender Schulabschluss bzw.weniger als 10 Klassen)mittlere Schulbildung (10 Klassen)hohe Schulbildung (mehr als 10 Klassen)

Erwerbstätigkeitnicht erwerbstätigerwerbstätig (Vollzeit und Teilzeit)

Abb. 1 8 Erfassung des Sozialstatus nach dem Brandenburger Sozialindex [4].

70 | Prävention und Gesundheitsförderung 2 · 2014

Prävention/Gesundheitsförderung

Page 3: Sozialstatus, Frühgeburtlichkeit und Entwicklungsstand von Kindern in Sachsen-Anhalt; Social status, premature birth and child development in Saxony-Anhalt;

Im Hinblick auf die anstehende Ein-schulung werden das Artikulationsver-mögen und das Grammatikverständnis standardisiert mit BUEVA geprüft [6]. Dabei geht es u. a. um die Artikulation bestimmter Lautverbindungen und Laut-gruppen sowie um die Fähigkeit der Plu-ralbildung, Steigerungsformen und Parti-zipformen.

Die fein- und grobmotorischen Fä-higkeiten werden ebenfalls mit BUEVA ermittelt [6]. Tests im Einbeinstand, Ein-beinhüpfen und im Balancieren geben Aufschluss über die grobmotorischen Fä-higkeiten des Kindes.

Berechnet werden relative Häufigkei-ten und Chancenverhältnisse (Odds-Ra-tios) mittels logistischer Regressionsana-lyse mit SPSS.

Ergebnisse

Bei der folgenden Ergebnisdarstellung werden Jungen und Mädchen auf deskrip-tiver Ebene getrennt betrachtet. Zudem wird die Bedeutung von Frühgeburtlich-keit und Sozialstatus für die Häufigkeit von Verzögerungen der fein- und grob-motorischen, geistigen, sprachlichen, so-zialen und emotional-psychischen Ent-wicklung untersucht (s. . Tab. 2, 3, 4, 5, 6, 7). Im Lauf der Untersuchung zeigte sich in fünf der sechs betrachteten Entwick-lungsbereiche, dass zu früh geborene Kin-der aus mittleren und hohen Statusgrup-pen seltener von Entwicklungsverzöge-rungen betroffen sind als normal geborene Kinder aus niedrigen Statusgruppen. Die-se Kinder waren nicht dem Risiko eines zu frühen Geburtszeitpunkts, wohl aber sozi-alen Entwicklungsrisiken ausgesetzt. Um auf diesen Tatbestand aufmerksam zu ma-chen, wird die Gruppe der zu früh gebo-renen Kinder mit hohem Sozialstatus als Referenzgruppe in die Regressionsanaly-sen aufgenommen.

Auf der Grundlage der Elternangaben wurden 5,8 % der in dieser Studie betrach-teten Kinder zu früh geboren. In niedri-gen sozialen Statusgruppen ist das Risiko einer Frühgeburt verglichen mit mittleren Statusgruppen geringfügig erhöht, in ho-hen Statusgruppen ist es dagegen geringer als in mittleren (. Tab. 1).

Werden Unterschiede von Entwick-lungsverzögerungen nach den unter-

Zusammenfassung · Abstract

Präv Gesundheitsf 2014 · 9:69–79 DOI 10.1007/s11553-014-0429-2© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

T. Hering · C. Schlüter · G. Wahl · H. Oppermann · R. Nehring

Sozialstatus, Frühgeburtlichkeit und Entwicklungsstand von Kindern in Sachsen-Anhalt. Handlungsfelder für Prävention und Gesundheitsförderung?

ZusammenfassungHintergrund. Der körperliche, geistige und psychosoziale Entwicklungsstand von Kin-dern im Vorschulalter wird in Sachsen-Anhalt regelmäßig im Rahmen der Schuleingangs-untersuchung (SEU) überprüft. Dem aktuel-len Erkenntnisstand zufolge scheint neben genetischen, biologischen und psychosozia-len Faktoren der Zeitpunkt der Geburt, das Gesundheitsverhalten der Mutter, der Sozial-status und der Bildungsstand des Elternhau-ses die Entwicklung eines Kindes zu beein-flussen. Die Studie untersucht den Entwick-lungsstand von Kindern zum Zeitpunkt der SEU ausgehend von Geschlecht, Geburtszeit-punkt und Sozialstatus.Methode. Auf Grundlage der Befunde der SEU in Sachsen-Anhalt der Jahre 2008–2012 (N = 60.452) wurden die Häufigkeiten fein- und grobmotorischer, geistiger, sprachlicher und sozialer Entwicklungsverzögerungen in Abhängigkeit vom Geburtszeitpunkt und dem Sozialstatus untersucht.

Ergebnisse. Die Ergebnisse zeigen ein höhe-res Risiko für Entwicklungsverzögerungen bei Frühgeburten im Vergleich mit zeitgerecht ge-borenen Kindern. Früh geborene Kinder mit niedrigem Sozialstatus haben bei allen unter-suchten Entwicklungsbereichen ein höheres Risiko für Verzögerung als früh geborene Kin-der mit mittlerem und hohem Status. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen. Auch für zeitgerecht geborene Kinder mit niedrigem Sozialstatus ist das Risiko für Entwicklungsver-zögerungen, verglichen mit früh geborenen Kindern mit mittlerem und hohem Sozialsta-tus, deutlich höher. Für früh geborene Kinder mit niedrigem Sozialstatus und für Jungen er-gibt sich ein in Methode und Intensität spezi-fischer Präventions- und Förderbedarf.

SchlüsselwörterEntwicklungsstand · Frühgeburtlichkeit · Schuleingangsuntersuchung · Sozialstatus · Soziale Ungleichheit und Gesundheit

Social status, premature birth and child development in Saxony-Anhalt. Field of action in prevention and health promotion

AbstractBackground. In Germany the physical, men-tal and psychosocial development status of children in pre-school age is assessed within the scope of school entry (health) examina-tions regularly. The developmental status of pre-school aged children is a central scientific theme for some time.In accordance to current perceptions genet-ic, biological, psychosocial factors, the time of birth, the maternal health-related behav-ior, the parental educational background and the social status have an influence on the de-velopmental status of children. The question is posed, if and in what way disparities in the level of development exist between preterm births and normal births with different so-cial background at the time of school entry (health) examination.Methods. Mental, social, fine- and gross sen-sory motor developmental delays as well as disturbance of speech in addition to the time of birth and the social status has been ex-

amined at the data base of the school entry (health) examination in Saxony-Anhalt 2008–2012, Germany (N = 60.452).Results. The results of the examination con-firm the presumption, that preterm births have a higher risk to emerge a developmen-tal delay. Moreover the examination shows that preterm birth children with lower social status show a much higher risk to emerge ev-ery examined developmental indicator than preterm births with middle or high social sta-tus. Boys are affected more often than girls. Remarkable is, that even the children with lower social status and normal birth time show a higher risk to emerge a developmen-tal delay than preterm birth children with high social status.

KeywordsChild development · Premature birth · School entry (health) examination · Social status · Social and health inequalities

71Prävention und Gesundheitsförderung 2 · 2014 |

Page 4: Sozialstatus, Frühgeburtlichkeit und Entwicklungsstand von Kindern in Sachsen-Anhalt; Social status, premature birth and child development in Saxony-Anhalt;

schiedlichen Geburtszeitpunkten inner-halb der sozialen Statusgruppen betrach-tet wird erstens erkennbar, dass früh ge-borene Kinder mit Ausnahme emotiona-ler Entwicklungsverzögerungen im nied-rigen Sozialstatus signifikant häufiger Entwicklungsverzögerungen zum Zeit-punkt der SEU aufweisen (p < 0,001) und

zweitens, dass ein deutlicher sozialer Gra-dient zu Ungunsten sozial benachteiligter Gruppen erkennbar wird.

Jungen sind in allen drei Sozialsta-tusgruppen häufiger von den betrachte-ten Entwicklungsverzögerungen betrof-fen als Mädchen, z. T. ist der Unterschied erheblich (s. . Abb. 2, 3, 4, 5, 6, 7). Auch

ein zu früher Geburtszeitpunkt ist häufig mit einer oder mehreren Entwicklungs-verzögerungen verbunden. Erwartungs-gemäß sind es Jungen aus niedrigen so-zialen Statusgruppen, die in besonderem Maß Entwicklungsverzögerungen auf-weisen. Nichtsdestotrotz muss auch auf die teils erhebliche Betroffenheit von so-zial benachteiligten und zu früh gebore-nen Mädchen verwiesen werden, wenn auch in geringerem Ausmaß als bei den Jungen (. Abb. 2).

Im Folgenden werden die Untersu-chungsergebnisse zu Entwicklungsrück-ständen in Abhängigkeit vom Geburts-zeitpunkt (normal/früh) und vom Sozial-status (niedrig/mittel/hoch) dargestellt.

Sprachentwicklungsstand zum Zeitpunkt der SEU

Sprachstörungen sind die mit Abstand häufigsten Entwicklungsstörungen zum Zeitpunkt der SEU. Insgesamt 31,3 % der Kinder weist danach sprachliche Ent-wicklungsverzögerungen auf.

Zu früh geborene Kinder mit nied-rigem Sozialstatus sind häufiger von Sprachentwicklungsverzögerungen be-troffen als zu früh geborene Kinder mit hohem Sozialstatus (50,8 % zu 28,8 %). Auch normal geborene Kinder mit nied-rigem Sozialstatus haben ein signifikant höheres Risiko für Sprachstörungen, als zu früh geborene Kinder mit hohem So-zialstatus (44,4 % zu 28,8 %, . Tab. 2). Er-gänzend zu den einleitenden Ausführung zu Geschlechterunterschieden fällt auf, dass mehr als die Hälfte der zu früh gebo-renen Jungen mit niedrigem Sozialstatus zum Zeitpunkt der Schuleingangsunter-suchung Sprachentwicklungsverzöge-rungen aufweist (Mädchen dieser Grup-pe: 45,3 %) (. Abb. 2).

Feinmotorischer Entwicklungsstand zum Zeitpunkt der SEU

Am häufigsten fanden sich feinmoto-rische Entwicklungsrückstände in der Gruppe der zu früh geborenen Kinder mit niedrigem Sozialstatus (40,2 %). Auffällig ist auch hier, dass zeitgerecht geborene Kinder mit niedrigem Sozialstatus signifi-kant häufiger von einem feinmotorischen Entwicklungsrückstand betroffen waren,

Tab. 2 Risiko für Sprachstörung für früh- bzw. normal geborene Kinder nach sozialem Status (Anteil betroffener Kinder in Klammern)

Sprachstörung Signifikanz p Odds-Ratio 95 %-Konfidenzintervall

Unterer Wert Oberer Wert

Hoher Sozialstatus und Frühgeburt (Referenz) (28,8 %)

0,000

Niedriger Sozialstatus und Normalgeburt (44,4 %)

0,000 1,969 1,697 2,285

Mittlerer Sozialstatus und Normalgeburt (29,3 %)

0,752 1,024 0,885 1,185

Hoher Sozialstatus und Normalgeburt (23,7 %)

0,000 0,767 0,661 0,890

Niedriger Sozialstatus und Frühgeburt (50,8 %)

0,000 2,555 2,095 3,116

Mittlerer Sozialstatus und Frühgeburt (36,5 %)

0,000 1,421 1,196 1,690

Tab. 3 Risiko für feinmotorische Entwicklungsrückstände für früh- bzw. normal geborene Kinder nach sozialem Status (Anteil betroffener Kinder in Klammern)

Feinmotorischer Entwicklungs-rückstand

Signifikanz p Odds-Ratio 95 %-Konfidenzintervall

Unterer Wert Oberer Wert

Hoher Sozialstatus und Frühgeburt (Referenz) (15,0 %)

0,000

Niedriger Sozialstatus und Normalgeburt (24,6 %)

0,000 1,853 1,536 2,236

Mittlerer Sozialstatus und Normalgeburt (11,9 %)

0,005 0,766 0,636 0,923

Hoher Sozialstatus und Normalgeburt (7,6 %)

0,000 0,468 0,387 0,567

Niedriger Sozialstatus und Frühgeburt (40,2 %)

0,000 3,815 3,031 4,801

Mittlerer Sozialstatus und Frühgeburt (20,5 %)

0,000 1,468 1,183 1,821

Tab. 1 Sozialstatus (Brandenburger Sozialindex) und Frühgeburtlichkeit (Selbstauskunft im Elternfragebogen)

Branden-burger So-zialstatus

Kinder mit gül-tiger Eltern-auskunft (n)

Anteil der Kin-der als Früh-geburt (%)

Binäre log. Regression

Signi-fikanz

Odds-Ratio

95 %-Konfidenzintervall

Unterer Wert Oberer Wert

Niedrig 12.140 6,7 0,000 1,167 1,071 1,271

Mittel 30.984 5,8 0,000 Referenz

Hoch 17.328 5,2 0,003 0,884 0,814 0,960

Insgesamt 60.452 5,8

72 | Prävention und Gesundheitsförderung 2 · 2014

Prävention/Gesundheitsförderung

Page 5: Sozialstatus, Frühgeburtlichkeit und Entwicklungsstand von Kindern in Sachsen-Anhalt; Social status, premature birth and child development in Saxony-Anhalt;

als zu früh geborene Kinder des mittleren und hohen Sozialstatus (. Tab. 3). Zwar sind bei den feinmotorischen Entwick-lungsstörungen in allen Statusgruppen

Jungen häufiger betroffen. Zu früh ge-borene Mädchen sind allerdings teilwei-se 3-mal so häufig von Entwicklungsver-zögerungen betroffen, als normal gebore-

ne Mädchen. Bei den Jungen ist der Ab-stand nicht so deutlich. Feinmotorische Entwicklungsverzögerungen fallen aber auch bei normal geborenen Jungen häufi-ger auf, als bei Mädchen (. Abb. 3).

Geistiger Entwicklungsstand zum Zeitpunkt der SEU

Geistige Entwicklungsverzögerungen ste-hen an dritter Stelle der betrachteten Ent-wicklungsverzögerungen, wobei das mit Abstand höchste Risiko auch hier zu früh geborene Kinder mit niedrigem Sozialsta-tus haben (26,3 % zu 4,3 % bei Frühgebo-renen mit hohem Sozialstatus).

Auch bei den geistigen Entwicklungs-rückständen wird ein höheres Risiko für normal geborene Kinder mit niedrigem Sozialstatus im Vergleich mit zu früh ge-borenen Kindern mit mittlerem und ho-hem Sozialstatus erkennbar (. Tab. 4). Beim geistigen Entwicklungsrückstand fallen nur kleine Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen auf. Jungen sind abgesehen von der Gruppe der zu früh Geborenen mit niedrigem Sozialstatus – hier ist der Unterschied zwischen den Ge-schlechtern marginal – insgesamt etwas häufiger betroffen, als Mädchen. In der mittleren Statusgruppe sind zudem Jun-gen sowohl als frühgeborene, als auch als normal geborene knapp doppelt so häufig geistig entwicklungsverzögert, als Mäd-chen (. Abb. 4).

Grobmotorischer Entwicklungsstand zum Zeitpunkt der SEU

Bei 25 % der zu früh geborenen Kinder mit niedrigem Sozialstatus werden Ver-zögerungen bei der grobmotorischen Entwicklung erkennbar. Sie sind da-mit häufiger betroffen als zu früh gebo-rene Kinder des hohen sozialen Status (9,6 %). Deutlich wird das höhere Risi-ko für Verzögerungen bei der grobmo-torischen Entwicklung bei normal ge-borenen Kindern mit niedrigem Sozial-status im Vergleich mit früh geborenen Kindern mit hohem Sozialstatus (14,1 % zu 9,6 %, . Tab. 5). Jungen weisen auch beim grobmotorischen Entwicklungs-stand häufiger Verzögerungen auf als Mädchen (. Abb. 5).

Tab. 4 Risiko für geistige Entwicklungsrückstände für früh- bzw. normal geborene Kinder nach sozialem Status (Anteil betroffener Kinder in Klammern)

Geistiger Entwicklungsrückstand Signifikanz p Odds-Ratio 95 %-Konfidenzintervall

Unterer Wert Oberer Wert

Hoher Sozialstatus und Frühgeburt (Referenz) (4,3 %)

0,000

Niedriger Sozialstatus und Normalgeburt (14,3 %)

0,000 3,690 2,666 5,107

Mittlerer Sozialstatus und Normalgeburt (3,3 %)

0,086 0,751 0,541 1,042

Hoher Sozialstatus und Normalgeburt (1,2 %)

0,000 0,269 0,189 0,381

Niedriger Sozialstatus und Frühgeburt (26,3 %)

0,000 7,911 5,539 11,297

Mittlerer Sozialstatus und Frühgeburt (8,3 %)

0,000 2,012 1,401 2,888

Tab. 5 Risiko für grobmotorische Entwicklungsrückstände für früh- bzw. normal geborene Kinder nach sozialem Status (Anteil betroffener Kinder in Klammern)

Grobmotorischer Entwick-lungsrückstand

Signifikanz p Odds-Ratio 95 %-Konfidenzintervall

Unterer Wert Oberer Wert

Hoher Sozialstatus und Frühgeburt (Referenz) (9,6 %)

0,000

Niedriger Sozialstatus und Normalgeburt (14,1 %)

0,000 1,539 1,226 1,931

Mittlerer Sozialstatus und Normalgeburt (7,0 %)

0,003 0,709 0,565 0,888

Hoher Sozialstatus und Normalgeburt (4,7 %)

0,000 0,465 0,368 0,586

Niedriger Sozialstatus und Frühgeburt (25,0 %)

0,000 3,123 2,380 4,097

Mittlerer Sozialstatus und Frühgeburt (14,0 %)

0,001 1,527 1,180 1,976

Tab. 6 Risiko für emotional-psychische Entwicklungsrückstände für früh- bzw. normal gebo-rene Kinder nach sozialem Status (Anteil betroffener Kinder in Klammern)

Emotional-psychischer Entwicklungsrückstand

Signifikanz p Odds-Ratio 95 %-Konfidenzintervall

Unterer Wert Oberer Wert

Hoher Sozialstatus und Frühgeburt (Referenz) (5,2 %)

0,000

Niedriger Sozialstatus und Normalgeburt (10,6 %)

0,000 2,162 1,602 2,917

Mittlerer Sozialstatus und Normalgeburt (4,9 %)

0,697 0,942 0,699 1,270

Hoher Sozialstatus und Normalgeburt (3,0 %)

0,000 0,554 0,408 0,753

Niedriger Sozialstatus und Frühgeburt (12,5 %)

0,000 2,599 1,815 3,721

Mittlerer Sozialstatus und Frühgeburt (7,1 %)

0,065 1,383 0,980 1,951

73Prävention und Gesundheitsförderung 2 · 2014 |

Page 6: Sozialstatus, Frühgeburtlichkeit und Entwicklungsstand von Kindern in Sachsen-Anhalt; Social status, premature birth and child development in Saxony-Anhalt;

Emotional-psychischer Entwicklungsstand zum Zeitpunkt der SEU

Bei 12,5 % früh geborenen Kindern mit niedrigem Sozialstatus werden Verzöge-rungen beim emotional-psychischen Ent-wicklungsstand erkennbar, dieser ist hö-her, als bei Kindern mittlerer (7,1 %) und hoher Statusgruppen (5,2 %).

Auffällig ist dabei einerseits der gerin-ge Unterschied geistig-emotionaler Ent-wicklungsrückstände bei Kindern des niedrigen sozialen Status beider Geburts-zeitpunkte (12,5 % zu 10,6 %) und ande-rerseits das hohe Risiko für emotiona-le Entwicklungsverzögerungen bei nor-mal geborenen Kinder niedriger Status-gruppen (OR: 2,1; 10,6 %) im Vergleich mit früh geborenen Kindern mittlerer (7,1 %) und hoher Statusgruppen (5,2 %; . Tab. 6).

Jungen sind, wie einleitend dargestellt, häufiger von emotional-psychischen Ent-wicklungsverzögerungen betroffen. Be-sonders Jungen aus sozial benachteilig-ten Familien, die zu früh geboren wur-den, weisen hier Entwicklungsverzöge-rungen auf. Auch Mädchen aus Familien mit niedrigem Sozialstatus, die zu früh ge-boren wurden, zeigen überdurchschnitt-lich häufig emotional-psychische Ent-wicklungsverzögerungen (. Abb. 6).

Sozialer Entwicklungsstand zum Zeitpunkt der SEU

Auch beim sozialen Entwicklungsstand wiederholt sich das Muster einer höheren

Betroffenheit von Entwicklungsverzöge-rungen bei früh geborenen Kindern aus niedrigen Statusgruppen (9,5 %) im Ver-gleich mit früh geborenen Kindern aus hohen Statusgruppen (2,0 %). Auch ist das Risiko für Entwicklungsverzögerun-gen bei normal geborenen Kindern mit niedrigem Sozialstatus (5,0 %) im Ver-gleich mit früh geborenen Kindern ho-her Statusgruppen höher (2,0 %; . Tab. 7).

Die einleitend dargestellten Ge-schlechterunterschiede werden ebenfalls beim sozialen Entwicklungsstand erkenn-bar. Jungen und Mädchen mit niedrigem Sozialstatus weisen in diesem Bereich zu-dem teilweise 7-mal häufiger Entwick-lungsverzögerungen auf als in der hohen Statusgruppe. Der Unterschied ist in kei-nem anderen der betrachteten Entwick-lungsbereiche so ausgeprägt (. Abb. 7).

Diskussion

In der vorliegenden Arbeit wurde an-hand von Daten der SEU der Jahre 2008 bis 2012 in Sachsen-Anhalt die Bedeu-tung von Frühgeburtlichkeit und Sozial-status für den Entwicklungsstand zum Zeitpunkt der SEU betrachtet.

Der Anteil der Frühgeborenen ergibt sich in der vorliegenden Untersuchung aus der Selbstauskunft der Mutter – mit allen damit verbundenen methodischen Problemen. Nur 5,8 % der Mütter gaben danach insgesamt an, dass ihr Kind zu früh zur Welt kam. Dies ist deutlich we-niger als in aktuellen Veröffentlichungen, die das Geburtsgewicht bzw. den Geburts-zeitpunkt (vor Abschluss der 37. Schwan-

gerschaftswoche) als Kriterien für Früh-geburtlichkeit heranziehen. Kemptner und Markus [13] zufolge werden je nach Sozialstatus zwischen 12% (hoher Sozial-status) und 23 % (niedriger Sozialstatus) der Kinder vor Abschluss der 37. Schwan-gerschaftswoche geboren (ST: zwischen 6,7 % niedriger Sozialstatus, und 5,2 % ho-her Sozialstatus). Das methodische Vor-gehen bei der Erfassung von Frühgeburt-lichkeit im Rahmen der SEU in Sachsen-Anhalt führte wahrscheinlich zu einer Unterschätzung der Zahl tatsächlich zu früh geborener Kinder in der vorliegen-den Studie. Dies kann selbstverständlich die Ergebnisse der vorliegenden Studie beeinflusst haben. Denn Kinder, die deut-lich zu früh geboren wurden, haben höhe-re Entwicklungsrisiken als Kinder, die fast zeitgerecht geboren wurden und eventu-ell von den Eltern nicht als „frühgebo-ren“ angegeben werden. Wahrscheinlich deklarieren Eltern eher deutlich zu früh geborene Kinder als „Frühgeburt“, und weniger solche, die kurz vor Ende der 37. Schwangerschaftswoche geboren wurden (s. unten).

In den Ergebnissen wird Frühgeburt-lichkeit erwartungsgemäß als Entwick-lungsrisiko erkennbar. Kinder, die zu früh geboren wurden, weisen bei allen Entwicklungsindikatoren Verzögerun-gen verglichen mit normal geborenen Kindern auf [1].

Ebenfalls zeigt sich erwartungsgemäß ein besonderes Risiko für Entwicklungs-verzögerungen bei Kindern aus sozial be-nachteiligten Familien [2, 12, 18]. Zu früh geborene Kinder mit niedrigem Sozial-status zeigen bei allen untersuchten Ent-wicklungsindikatoren häufiger Verzöge-rungen, als Kinder mit mittlerem und ho-hem Sozialstatus [5]. Bemerkenswert ist, dass selbst zeitgerecht geborene Kinder mit niedrigem Sozialstatus deutlich häu-figer von allen untersuchten Entwick-lungsverzögerungen betroffen sind, als zu früh geborene Kinder mit mittlerem und hohem Sozialstatus. In dieser Aus-prägung waren die Ergebnisse nicht zu erwarten. Jungen sind in allen betrachte-ten Bereichen deutlich häufiger als Mäd- chen von Entwicklungsverzögerungen be-troffen. Allerdings ist auch bei den Mäd-chen aus sozial benachteiligten Familien ein erheblich höheres Risiko für Entwick-

Tab. 7 Risiko für soziale Entwicklungsrückstände für früh- bzw. normal geborene Kinder nach sozialem Status (Anteil betroffener Kinder in Klammern)

Sozialer Entwicklungsrückstand Signifikanz p Odds-Ratio 95 %-Konfidenzintervall

Unterer Wert Oberer Wert

Hoher Sozialstatus und Frühgeburt (Referenz) (2,0 %)

0,000

Niedriger Sozialstatus und Normalgeburt (5,0 %)

0,000 2,561 1,594 4,115

Mittlerer Sozialstatus und Normalgeburt (1,5 %)

0,286 0,772 0,480 1,242

Hoher Sozialstatus und Normalgeburt (0,7 %)

0,000 0,366 0,222 0,603

Niedriger Sozialstatus und Frühgeburt (9,5 %)

0,000 5,135 3,048 8,652

Mittlerer Sozialstatus und Frühgeburt (3,3 %)

0,056 1,682 0,987 2,866

74 | Prävention und Gesundheitsförderung 2 · 2014

Prävention/Gesundheitsförderung

Page 7: Sozialstatus, Frühgeburtlichkeit und Entwicklungsstand von Kindern in Sachsen-Anhalt; Social status, premature birth and child development in Saxony-Anhalt;

lungsverzögerungen zu verzeichnen, nur auf etwas niedrigerem Niveau als bei den Jungen. Auch in früheren Untersuchun-gen waren Jungen insgesamt deutlich häu-figer von Entwicklungsverzögerungen bei

allen betrachteten Indikatoren betroffen, als Mädchen [27].

Die theoretisch diskutierten Grün-de dieser deutlichen Benachteiligung so-zial schwacher Kinder, unabhängig davon ob zu früh oder zeitgerecht geboren, sind

komplex. Zum einen wirken sich wie be-reits erwähnt, der Bildungsstand, die so-ziale und kulturelle Teilhabe sowie das Arbeitsumfeld auf die Gesundheitschan-cen und das Gesundheitsverhalten aus [12]. Zum anderen spielen der Lebensstil

60%

39,2%

45,3%

24,5%

31,3%

Sprachstörungen

18,6%

23,6%

48,8%

55,4%

33,8%

40,5%

28,5%

32,7%

50%

40%

30%

20%

10%

0%N(norm) = 5.458

N(früh) = 362niedriger

Sozialstatus

N(norm) = 7.926N(früh) = 406

hoher Sozialstatus

N(norm) = 5.867N(früh) = 453

niedrigerSozialstatus

N(norm) = 14.981N(früh) = 1.004

mittlerer Sozialstatus

Jungen

N(norm) = 8.506N(früh) = 490

hoher Sozialstatus

N(norm) = 14.203N(früh) = 796

mittlerer Sozialstatus

Mädchen

Normalgeburt Frühgeburt

Abb. 2 9 Häufigkeit von Sprachstörungen in Ab-hängigkeit vom Geburts-zeitpunkt und vom Sozial-status

60%

14,1%

6,3%

33,1%

18,0%

feinmotorischerEntwicklungsrückstand

3,1%

9,4%

30,6%

45,7%

17,2%

25,8%

11,9%

19,6%

50%

40%

30%

20%

10%

0%N(norm) = 5.458

N(früh) = 362niedriger

Sozialstatus

N(norm) = 7.926N(früh) = 406

hoher Sozialstatus

N(norm) = 5.867N(früh) = 453

niedrigerSozialstatus

N(norm) = 14.981N(früh) = 1.004

mittlerer Sozialstatus

Jungen

N(norm) = 8.506N(früh) = 490

hoher Sozialstatus

N(norm) = 14.203N(früh) = 796

mittlerer Sozialstatus

Mädchen

Normalgeburt Frühgeburt

Abb. 3 9 Häufigkeit fein-motorischer Entwicklungs-rückstände in Abhängigkeit vom Geburtszeitpunkt und vom Sozialstatus

75Prävention und Gesundheitsförderung 2 · 2014 |

Page 8: Sozialstatus, Frühgeburtlichkeit und Entwicklungsstand von Kindern in Sachsen-Anhalt; Social status, premature birth and child development in Saxony-Anhalt;

und die Milieuzugehörigkeit eine Rolle für die gesundheitliche Entwicklung von Kindern [8, 12]. Der sozioökonomische Kontext und die Lebenswelt von Kindern haben daneben entscheidende Bedeutung

dafür, ob entwicklungsrelevante Ressour-cen vorhanden sind bzw. genutzt werden können und in welchem Ausmaß Belas-tungen einen entwicklungsverzögern-den Einfluss haben. Auch die vorliegen-

de Untersuchung weist auf eine sehr un-gleiche Verteilung des Morbiditätsrisi-kos zum Nachteil sozial Schwacher hin [18, 11].

60%

5,7%

2,5%

26,2%

12,3%

geistiger Entwicklungsrückstand

0,8%

3,7%

16,0%

26,0%

4,0%

10,5%

1,5%

4,9%

50%

40%

30%

20%

10%

0%N(norm) = 5.458

N(früh) = 362niedriger

Sozialstatus

N(norm) = 7.926N(früh) = 406

hoher Sozialstatus

N(norm) = 5.867N(früh) = 453

niedrigerSozialstatus

N(norm) = 14.981N(früh) = 1.004

mittlerer Sozialstatus

Jungen

N(norm) = 8.506N(früh) = 490

hoher Sozialstatus

N(norm) = 14.203N(früh) = 796

mittlerer Sozialstatus

Mädchen

Normalgeburt Frühgeburt

Abb. 4 9 Häufigkeit geisti-ger Entwicklungsrückstän-de in Abhängigkeit vom Geburtszeitpunkt und vom Sozialstatus

60%

8,9%

3,9%

19,3%

10,1%

grobmotorischer Entwicklungsrückstand

2,1%

7,4%

17,7%

29,4%

10,0%

18,0%

7,2%

11,6%

50%

40%

30%

20%

10%

0%N(norm) = 5.458

N(früh) = 362niedriger

Sozialstatus

N(norm) = 7.926N(früh) = 406

hoher Sozialstatus

N(norm) = 5.867N(früh) = 453

niedrigerSozialstatus

N(norm) = 14.981N(früh) = 1.004

mittlerer Sozialstatus

Jungen

N(norm) = 8.506N(früh) = 490

hoher Sozialstatus

N(norm) = 14.203N(früh) = 796

mittlerer Sozialstatus

Mädchen

Normalgeburt Frühgeburt

Abb. 5 9 Häufigkeit grob-motorischer Entwicklungs-rückstände in Abhängigkeit vom Geburtszeitpunkt und vom Sozialstatus

76 | Prävention und Gesundheitsförderung 2 · 2014

Prävention/Gesundheitsförderung

Page 9: Sozialstatus, Frühgeburtlichkeit und Entwicklungsstand von Kindern in Sachsen-Anhalt; Social status, premature birth and child development in Saxony-Anhalt;

Eltern von zu früh geborenen Kindern erhalten je nach Schweregrad der Beein-trächtigungen ihrer Kinder altersgerecht Angebote beispielsweise für Frühförde-rung, Ergotherapie und Logopädie. Das

Gesundheitswesen hält Angebote bereit, Entwicklungschancen auch bei Frühge-borenen zu erhöhen und die biomedizi-nischen Entwicklungshemmnisse durch gezielte Förderung langfristig zu kompen-

sieren. Diese Kompensation gelingt offen-sichtlich in Mittel- und Oberschichtfami-lien. Hier sind selbst bei der Gruppe der früh geborenen Kinder im Durchschnitt seltener Entwicklungsverzögerungen zu

60%

5,0%3,5%

8,3%8,5%

emotional-psychischer Entwicklungsrückstand

2,0%4,4%

12,4%

15,7%

6,2%8,7%

3,8%5,9%

50%

40%

30%

20%

10%

0%N(norm) = 5.458

N(früh) = 362niedriger

Sozialstatus

N(norm) = 7.926N(früh) = 406

hoher Sozialstatus

N(norm) = 5.867N(früh) = 453

niedrigerSozialstatus

N(norm) = 14.981N(früh) = 1.004

mittlerer Sozialstatus

Jungen

N(norm) = 8.506N(früh) = 490

hoher Sozialstatus

N(norm) = 14.203N(früh) = 796

mittlerer Sozialstatus

Mädchen

Normalgeburt Frühgeburt

Abb. 6 9 Häufigkeit emo-tional-psychischer Entwick-lungsrückstände in Ab-hängigkeit vom Geburts-zeitpunkt und vom Sozial-status

60%

2,1%1,0%

5,2%3,6%

sozialer Entwicklungsrückstand

0,5% 1,2%

5,9%

12,6%

2,1%4,3%

1,0%2,7%

50%

40%

30%

20%

10%

0%N(norm) = 5.458

N(früh) = 362niedriger

Sozialstatus

N(norm) = 7.926N(früh) = 406

hoher Sozialstatus

N(norm) = 5.867N(früh) = 453

niedrigerSozialstatus

N(norm) = 14.981N(früh) = 1.004

mittlerer Sozialstatus

Jungen

N(norm) = 8.506N(früh) = 490

hoher Sozialstatus

N(norm) = 14.203N(früh) = 796

mittlerer Sozialstatus

Mädchen

Normalgeburt Frühgeburt

Abb. 7 9 Häufigkeit sozia-ler Entwicklungsrückstän-de in Abhängigkeit vom Geburtszeitpunkt und vom Sozialstatus

77Prävention und Gesundheitsförderung 2 · 2014 |

Page 10: Sozialstatus, Frühgeburtlichkeit und Entwicklungsstand von Kindern in Sachsen-Anhalt; Social status, premature birth and child development in Saxony-Anhalt;

verzeichnen, als insgesamt in der Gruppe der sozial schwachen Kinder. Hier läge die Vermutung nahe, dass entweder Kompen- sationsangebote nicht in derselben Form an sozial Schwache gerichtet werden oder dass Angebote nicht konsequent genug genutzt werden – die deutlich geringe- re Inanspruchnahme von Vorsorge-untersuchungen im Kindesalter insbe-sondere von U-Untersuchungen, in so-zial benachteiligten Milieus spräche da-für [23]. Ausgehend von den vorliegen-den Daten der Gesundheitsberichterstat-tung Sachsen-Anhalt ist dies aber offen-bar nicht der Fall. Sprach- und ergothe-rapeutische Fördermaßnahmen werden von früh geborenen Kinder mit niedri-gem Sozialstatus, bei denen ein Förder-bedarf erkannt wurde, etwas häufiger in Anspruch genommen (Sprachförderung: 75,7 %; ergotherapeutische Förderung: 77,5 %), als von früh geborenen Kindern mit mittlerem (Sprachförderung: 67,1 %; ergotherapeutische Förderung: 71,3 %) und hohem Sozialstatus (Sprachförde-rung: 68,3; ergotherapeutische Förde-rung: 72,5 %) mit Förderbedarf. Ledig-lich bei der allgemeinen Frühförderung ist die Inanspruchnahme von früh gebo-renen Kindern mit niedrigem Sozialsta- tus und Förderbedarf geringer (61,0 %), als dies bei Kindern mit mittlerem (69,6 %) und hohem Sozialstatus (75,9 %) der Fall ist. Die entwicklungshemmenden Einflüs- se eines niedrigen Sozialstatus, die sich auch in der familiären Interaktion und im Gesundheitsverhalten zeigen, lassen sich offenbar nicht in angemessener Weise mit den angebotenen und auch genutzten Förderangeboten kompensieren. Even-tuell fällt es sozial benachteiligten Fami-lien mit niedrigem Bildungsstand schwe-rer, Ergebnisse der Förderung zu versteti-gen und in den Alltag der Kinder zu über-führen. Dies spräche für eine methodische Korrektur der Angebote und ggf. eine In-tensivierung entsprechender Fördermaß-nahmen, beispielsweise durch eine stärke-re Integration in den Alltag von Kinder-tagesstätten, um nachhaltige Effekte auch bei sozial benachteiligten Kindern zu er-zielen. Nicht zuletzt zeichnet sich ein For-schungsbedarf bei der wissenschaftlichen Überprüfung der Wirksamkeit von logo-pädischen und ergotherapeutischen För-dermaßnahmen ab (Evidenzbasierung),

dem u. a. mit einer punktuellen Akade-misierung in Logopädie und Ergotherapie entsprochen werden könnte.

Die erkennbaren Geschlechterunter-schiede mit einer deutlich höheren Be-troffenheit von Jungen bei den betrach-teten Entwicklungsverzögerungen, auch aber nicht nur im Zusammenhang mit Frühgeburtlichkeit und Sozialstatus, wei-sen auf den Bedarf einer stärker nach Genderaspekten fokussierten Förderung in Familien und in Kitas hin, die auch und insbesondere den Bedürfnissen von Jun-gen Rechnung tragen sollte.

Der erkennbare Einfluss des Geburts-zeitpunkts könnte in dieser Studie deut-lich überschätzt worden sein, weil Eltern im Elternfragebogen selbst einschätzten, ob ihr Kind zu früh oder zeitgerecht ge-boren wurde. Die Zahlen zur Frühge-burtlichkeit in dieser Untersuchung lie-gen unter denen in Studien, die den kon-kreten Geburtszeitpunkt abbilden [13].

Fazit für die Praxis

Gesundheits- und sozialpolitisch besteht Handlungsbedarf. Kompensationsange-bote werden zwar schichtunabhängig be-reitgestellt. Benachteiligte Gruppen pro-fitieren von diesen Angeboten offenbar nicht stark genug, obwohl sie diese re-ge nutzen. Angebote sollten daher stär-ker auf dem besonderen Bedarf in die-sen Gruppen ausgerichtet werden. Sinn-voll erscheint zudem die Verzahnung zwischen Jugendhilfe und Gesundheits-diensten, wie dies im Kinderschutzgesetz gefordert wird. Erhebliches Potenzial für eine gesunde Entwicklung und gesundes Aufwachsen ist in Gesundheitsförderung und Prävention im Setting Kindertages-stätte zu sehen. Im Rahmen des Gesund-heitszieleprozesses im Bund liegt be-reits ein Schwerpunkt auf gesundem Auf-wachsen. Eine frühe, qualitativ gute, per-sonell qualifiziert ausgestatte Ganztags-betreuung mit altersgerechten Bildungs-angeboten kann darüber hinaus zur Kompensation ungünstiger Effekte sozia-ler Benachteiligung auf die kindliche Ent-wicklung beitragen. Dies greift in die Dis-kussion um frühkindliche Bildung und die akademische Qualifizierung von Erziehe-rinnen und Erziehern ein.

Kritik

Die Ergebnisse dieser Untersuchung müssen aus den folgenden Gründen kri-tisch diskutiert werden. Erstens erfolgte die Einstufung der Kinder nach Sozialsta-tus auf Grundlage des Brandenburger So-zialindex [4]. Dieses sehr kurze und spar-same Instrument erwies sich in bisherigen Untersuchungen als durchaus tauglich für begründete Einstufung in einen bestimm-ten Sozialstatus. Die Gruppe der sozial be-nachteiligten rekrutiert sich im Schwer-punkt aus arbeitslosen Eltern ohne Schul-abschluss, also einer Gruppe, deren Lage besonders prekär ist. Durch das Robert-Koch-Institut wurde ein umfassenderes Instrument vorgelegt, das neben Schul-abschluss auch Berufs- und Hochschul-abschluss, berufliche Stellung und Ein-kommen mit erfasst und darüber den So-zialstatus abbildet [16]. Damit wäre eine differenziertere Analyse von sozialen Ri-siken und Ressourcen sozial benachteilig-ter Lebenslagen möglich.

Zur Verzerrung der Ergebnisse kann zweitens auch die Erfassung der Früh-geburtlichkeit beigetragen haben. Dabei wurde ausschließlich die Selbstauskunft der Eltern ohne weitere Konkretisierung herangezogen. Insofern ist eine deutliche Unterschätzung der Frühgeburtlichkeit in der vorliegenden Untersuchung wahr-scheinlich, weil definitionsgemäß alle Ge-burten vor Abschluss der 37. Schwanger-schaftswoche als Frühgeburt bezeichnet werden müssten [21]. Es ist wahrschein-lich, dass Eltern nur bei erheblich vorzei-tiger Geburt ihr Kind als zu früh geboren im Fragebogen deklarierten.

Drittens findet die SEU in Sachsen-Anhalt im Alter von 4 bis 6 Jahren und damit relativ früh statt. Möglicherwei-se lassen sich damit die vergleichsweise häufigen Entwicklungsverzögerungen bei der Sprache erklären. Im 4., 5. und 6. Le-bensjahr ist die Sprachentwicklung noch nicht vollständig abgeschlossen und die Sprachkompetenz hat in dieser Alters-gruppe noch eine sehr breite Streuung.

Sowohl die Sprachstörungen, als auch die geistige fein- und grobmotorische Entwicklung wurden bei den meisten Kindern mittels BUEVA standardisiert untersucht [6]. Die Einschätzung emotio-nal-psychischer Auffälligkeiten und so-

78 | Prävention und Gesundheitsförderung 2 · 2014

Prävention/Gesundheitsförderung

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zialer Entwicklungsverzögerungen erfolg-te dagegen überwiegend auf der Grund-lage kinderfachärztlicher Diagnostik, die durchaus Verzerrungen möglich machen (Versuchsleitereffekt).

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. T. HeringHochschule für Gesundheit Universitätsstraße 105 44789 Bochum [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt. Thomas Hering, Christin Schlüter, Goetz Wahl, Hanna Oppermann und Rein-hard Nehring geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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