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KLAUS G. KOHLHEPP V orläufer der heutigen Kunststoffe sind aus allen Kulturen bekannt. Die Chinesen verwenden schon vor der Zeitenwende Harze aus Wundsäften be- stimmter Bäume zur Herstellung von Lacken und zur wasserfesten Abdichtung von Geräten und Textilien. In Arabien praktiziert man die Abdichtung von Was- serbecken und Kanälen mit natürlichem Asphalt. Aus Arabien stammen auch be- stimmte Baumharze, die sich in der Wär- me verformen lassen und als Gummi Ara- bicum den europäischen Handelsraum erreichen. In Osteuropa ist schon seit dem Ende der Eiszeit die Bearbeitung von Bernstein, einem fossilen Harz, bekannt. Hieraus werden Speerspitzen sowie Schmuck- und Kultgegenstände angefertigt. Nach- teilig ist die geringe Witterungsbestän- digkeit und die Brennbarkeit, die dem Stoff auch seinen ursprünglichen Namen gibt: Brennstein. Das Handwerk der Bernsteinbearbeitung hält sich bis in das 20. Jahrhundert. Der Austausch dieses für die damalige Zeit teuren Materials durch „künstliche Ersatzstoffe” ist eines der wichtigsten Ziele der frühen Erfinder der Kunststoffe. Im Mittelalter wird entdeckt, dass sich Tierhorn durch trockenes Erhitzen oder durch Kochen in Wasser und alkalischen Lösungen in einen plastisch formbaren Stoff verwandelt. Gemahlenem Horn setzt man Bindemittel wie Tierblut zu und erhält verformbare Massen, aus de- nen Tabakdosen, Griffe, Knöpfe, Feder- halter und Kämme hergestellt werden. Naturforscher bringen im 17. und 18. Jahrhundert elastische Massen mit, die in Malaysia und Brasilien durch Trocknung milchiger Baumsäfte gewonnen werden. Der Begriff „Gummi” findet im deutsch- sprachigen Raum Verwendung für die ge- trockneten Baumsäfte, die in Form von Ballen und Bahnen Europa erreichen. Be- sonders die Springfähigkeit daraus her- gestellter Bälle erregt Aufmerksamkeit. Aus der zunehmenden Nachfrage nach diesem elastischen Stoff entstehen dann die brasilianischen Gummiplantagen. Durch den Schmuggel von Gummi- baumschösslingen nach England und von dort nach Malaysia kann 1877 das 22 © Carl Hanser Verlag, München Kunststoffe 5/2005 SPECIAL Wachstum im Wandel der Zeiten Entwicklungsgeschichte der Kunststoffe. Kunststoffe sind Begleiter der gesell- schaftlichen Veränderungen und Wegbereiter des technologischen Fortschritts. Das belegt ein Rückblick auf ihre Entwicklung, die vor dem 20. Jahrhundert be- ginnt und durch stetiges Wachstum gekennzeichnet ist. Am Anfang standen Gala- lith, Celluloid und Duroplaste, heute sind Polyolefine und andere Thermoplaste die großen Volumenträger. Die Wachstumschancen der Kunststoffe erscheinen auch weiterhin fast grenzenlos, wie in den sich jetzt rasant entwickelnden Volkswirt- schaften Asiens mit China als Motor der Entwicklung bewiesen wird. Bild 1. Nähkasten aus Celluloid aus dem Jahr 1930 (Foto: Sandretto Plastics Museum) Bild 2. Schmuckdose aus Kasein (Belgien) aus dem Jahr 1928 (Foto: Sandretto Plastics Museum) Bild 5. Radiogehäuse aus Kasein (USA) aus dem Jahr 1940 (Foto: Sandretto Plastics Museum) Bild 3. Telefon aus Phenolharz aus dem Jahr 1940 (Foto: Sandretto Plastics Museum) © 2005 Carl Hanser Verlag, München www.kunststoffe.de/Kunststoffe-Archiv Nicht zur Verwendung in Intranet- und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern

SPECIAL Wachstum im Wandel der Zeiten

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Page 1: SPECIAL Wachstum im Wandel der Zeiten

KLAUS G. KOHLHEPP

Vorläufer der heutigen Kunststoffesind aus allen Kulturen bekannt.DieChinesen verwenden schon vor der

Zeitenwende Harze aus Wundsäften be-stimmter Bäume zur Herstellung vonLacken und zur wasserfesten Abdichtungvon Geräten und Textilien. In Arabienpraktiziert man die Abdichtung von Was-serbecken und Kanälen mit natürlichemAsphalt. Aus Arabien stammen auch be-stimmte Baumharze, die sich in der Wär-me verformen lassen und als Gummi Ara-bicum den europäischen Handelsraumerreichen.

In Osteuropa ist schon seit dem Endeder Eiszeit die Bearbeitung von Bernstein,einem fossilen Harz, bekannt. Hierauswerden Speerspitzen sowie Schmuck-und Kultgegenstände angefertigt. Nach-teilig ist die geringe Witterungsbestän-digkeit und die Brennbarkeit, die demStoff auch seinen ursprünglichen Namengibt: Brennstein. Das Handwerk derBernsteinbearbeitung hält sich bis in das20. Jahrhundert. Der Austausch dieses fürdie damalige Zeit teuren Materials durch„künstliche Ersatzstoffe” ist eines derwichtigsten Ziele der frühen Erfinderder Kunststoffe.

Im Mittelalter wird entdeckt, dass sichTierhorn durch trockenes Erhitzen oderdurch Kochen in Wasser und alkalischenLösungen in einen plastisch formbarenStoff verwandelt. Gemahlenem Hornsetzt man Bindemittel wie Tierblut zuund erhält verformbare Massen, aus de-

nen Tabakdosen, Griffe, Knöpfe, Feder-halter und Kämme hergestellt werden.

Naturforscher bringen im 17. und 18.Jahrhundert elastische Massen mit, die inMalaysia und Brasilien durch Trocknungmilchiger Baumsäfte gewonnen werden.Der Begriff „Gummi” findet im deutsch-sprachigen Raum Verwendung für die ge-trockneten Baumsäfte, die in Form von

Ballen und Bahnen Europa erreichen. Be-sonders die Springfähigkeit daraus her-gestellter Bälle erregt Aufmerksamkeit.Aus der zunehmenden Nachfrage nachdiesem elastischen Stoff entstehen danndie brasilianischen Gummiplantagen.Durch den Schmuggel von Gummi-baumschösslingen nach England undvon dort nach Malaysia kann 1877 das

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Wachstum im

Wandel der ZeitenEntwicklungsgeschichte der Kunststoffe. Kunststoffe sind Begleiter der gesell-

schaftlichen Veränderungen und Wegbereiter des technologischen Fortschritts.

Das belegt ein Rückblick auf ihre Entwicklung, die vor dem 20. Jahrhundert be-

ginnt und durch stetiges Wachstum gekennzeichnet ist. Am Anfang standen Gala-

lith, Celluloid und Duroplaste, heute sind Polyolefine und andere Thermoplaste

die großen Volumenträger. Die Wachstumschancen der Kunststoffe erscheinen auch

weiterhin fast grenzenlos, wie in den sich jetzt rasant entwickelnden Volkswirt-

schaften Asiens mit China als Motor der Entwicklung bewiesen wird.

Bild 1. Nähkasten aus Celluloid aus dem Jahr 1930 (Foto: Sandretto Plastics Museum)

Bild 2. Schmuckdose aus Kasein (Belgien) aus dem Jahr 1928 (Foto: Sandretto Plastics Museum)

Bild 5. Radiogehäuse aus Kasein (USA) aus dem Jahr 1940 (Foto: Sandretto Plastics Museum)

Bild 3. Telefon aus Phenolharz aus dem Jahr 1940 (Foto: Sandretto Plastics Museum)

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brasilianische Gummimonopol gebro-chen werden.

Die Gummi- und Kunststoff-Industrie entsteht

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ent-wickelt sich eine florierende Gummi-In-dustrie. Mit Latex eingestrichene Textili-en werden wasserdicht und in Form vonRegenmänteln sehr beliebt. Bald stelltman fest, dass sich Gummi durch Knetenund unter Einwirkung von Luftsauerstoffin eine plastisch verformbare Masse ver-

wandelt. Charles Nelson Goodyear erfin-det dann – durch Zufall, wie so viele Er-findungen in der Polymerchemie, – dieals Vulkanisation bezeichnete Vernetzungdes Gummis durch Zusatz von Schwefel.Kurz darauf werden die ersten Reifen ausGummi bekannt.

Goodyear ist auch der Erfinder vonHartgummi, einer in der Wärme ver-formbaren, aber bei Raumtemperaturharten Masse. Dieser Stoff, Ebonit ge-nannt,enthält hohe Mengen Schwefel undeignet sich hervorragend für die Herstel-lung von Füllfederhaltern, Schmuck-stücken,Zigarettenspitzen, frühen Telefo-nen, Teilen von Musikinstrumenten undGebissen. Ebonit geht als erster Duroplastin die Geschichte der Kunststoffe ein.

In den folgenden Jahrzehnten schrei-tet die Erfindung neuer Kunststoffe ra-

sant voran. In den USA wird Schellackentwickelt und in England Cellulose-nitrat, ein zur Explosion neigender Stoff,der zunächst bei der Imprägnierung vonTextilien Einsatz findet.

Ein Meilenstein in der Geschichte derKunststoffe ist 1869 die Erfindung vonCelluloid durch John Wesley Hyatt. Erentdeckt, dass Cellulosenitrat durch denZusatz von Kampfer an Sprödigkeit ver-liert. In der Folge gründet Hyatt ver-schiedene Firmen zur Herstellung vonCelluloid und daraus gefertigter Artikel(Bild 1 [1]) und entwickelt 1872 die erste

funktionsfähige Spritzgießmaschine.1927 wird sein Unternehmen von der Ce-lanese Corporation gekauft.

Im ausgehenden 19. Jahrhundert ent-wickeln sich in Europa und in den USAkräftig wachsende Industrien zur Her-stellung von Gummi-Aufarbeitungsma-schinen (Kneter und Kalander) und fürdie Fertigung von Formteilen aus Gum-mi. Hierzu gehört der 1892 von PaulTroester gefertigte Rohr- und Kabelex-truder.

1897 wird Kasein (Galalith) erfunden,ein Werkstoff, der aus Milcheiweiß undFormaldehyd entsteht. Er ähnelt Cellu-loid, Horn und Elfenbein. Aus Galalithkönnen Gegenstände in allen Farben ge-fertigt werden,beispielsweise Knöpfe,An-stecknadeln, Zigarettendosen, Füllfeder-halter, Spielzeug, Regenschirmgriffe und

Radiogehäuse. Galalith ist über die fol-genden Jahrzehnte hinweg einer der be-vorzugten Werkstoffe der Kunststoff-Ver-arbeitung. 1930 werden weltweit schon10 000 t verbraucht (Bild 2 [1]).

1901 schreibt Otto Röhm seine Dis-sertation über Polymerisationsprodukteder Acrylsäure, doch es wird noch Jahr-zehnte dauern, bevor er dazu Patente an-melden kann (1928) und es zu erstenGieß- und Spritzgießanwendungen (1933und 1938) von Polymethylmethacrylat(PMMA) kommen wird.

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts mar-kieren Phenolharze das Zeitalter der voll-synthetischen Werkstoffe. 1907 erfindetLeo H. Baekeland die Kondensation vonPhenol und Formaldehyd zu Harzen(Bakelite). Das Harz hat hervorragendeelektrische Eigenschaften, was es für dieaufstrebende Elektroindustrie zum be-gehrten Gehäusematerial macht. DerWerkstoff lässt sich verpressen, ermög-licht die Fertigung von Artikeln in hohenStückzahlen, und seine AusgangsstoffePhenol und Formaldehyd sind in großenMengen verfügbar (Bilder 3 bis 5 [1] undBild 6 [2]).

Eine Werkstoffgruppe bekommteinen Namen

Um 1910 stehen die Industrien zur Her-stellung und Verarbeitung synthetischerStoffe weltweit an der Spitze des techno-logischen Fortschritts. Erfinder allerFachrichtungen verwenden diese Werk-stoffe, um ihre Visionen einer modernenGesellschaft umzusetzen.

Der Boden ist zwar vorbereitet, doch„… der angewandten Zellstoff-Chemiemit Celluloid, künstlichen Seiden undkünstlichem Leder, der Gummi- undKautschuk-Industrie mit ihren Verede-lungsprozessen wie der Vulkanisationund den Kunstharzen, z. B. Schellack, derIndustrie der künstlich hergestellten Har-ze …” (Escales) fehlt für den deutsch-sprachigen Raum noch ein übergreifen-der Name und ein respektiertes wissen-schaftlich-technisches Podium [3].

Es ist der Münchner Chemiker Dr.Ernst Richard Escales (1863–1924), der1910 für diese Werkstoffgruppe den bis-lang noch völlig unbekannten Begriff„Kunststoffe”vorschlägt. Escales lässt denWorten Taten folgen und gründet eineZeitschrift gleichen Namens. So erscheintim Januar 1911 die Erstausgabe vonKunststoffe, für die sich neben Escales alsHerausgeber eine Reihe von Fachleutenaus Deutschland, Österreich, Ungarn,England und USA verantwortlich zeich-

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Bild 4. TV-Gehäuse aus Phenolharz (USA) aus dem Jahr 1940(Foto: Sandretto Plastics Museum)

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net, darunter auch Leo H. Baekeland undArthur D. Little [4].

Kunststoffe enthält seit der ersten Aus-gabe technisch-wissenschaftliche Origi-nalaufsätze führender Fachleute, aktuel-le Patentberichte sowie Auflistungen neuerteilter Patente und von Anfang an auchwirtschaftliche Berichterstattungen, bei-spielsweise über „Deutschlands auswär-tigen Handel mit Kunststoffen” (1911).Und es gibt viel zu berichten.

Vom Ersatzstoff zum Massenprodukt – 1910 bis 1950

1912 gelingt Fritz Klatte die Aufklärungdes bereits 1838 entdeckten Polymerisa-tionsvorgangs von PVC. Nach dem ErstenWeltkrieg führen die beginnenden „Gol-denen Zwanziger Jahre” zum Erblühenvon Operette, Revue und Kabarett. Film-und Schlagerindustrien entstehen undfördern durch ihre Nachfrage nach Film-material und Tonträgern das Wachstumder Kunststoffe.

1920 kommen Harnstoff-Formalde-hyd-Harze auf, die Produktion beginnt1930. 1923 werden die ersten automati-schen Fernwählverbindungen einge-führt, 1924 die ersten Radioapparate,und 1929 stellt Opel mit dem „Laub-frosch”das erste in Europa am Fließbandgefertigte Automobil vor. Zu diesem Zeit-punkt verfügen von jeweils 1000 Ein-wohnern in Deutschland bereits 10 überein eigenes Auto, in England 32 und inden USA 27.

1926 ist ein historisches Jahr für diemakromolekulare Chemie, denn Her-mann Staudinger veröffentlicht seineVorstellungen über den Aufbau derKunststoffe. Aus seiner Sicht bestehendiese aus großen Molekülen, die wie-derum aus zahlreichen kleinen Mo-lekülen zusammengesetzt sind. In derFachwelt stößt seine Meinung auf hefti-

ges Unverständnis. Seine Forschungser-gebnisse werden erst Jahrzehnte spätermit dem Nobelpreis für Chemie aner-kannt (1953).

1926 ist für die Industrie der Kunst-stoff-Verarbeitungsmaschinen ein histo-

risches Datum, denn Eckert & Zieglerstellen die erste serientaugliche Spritz-gießmaschine in horizontaler Bauweisevor. Die Maschine ist handbetrieben undermöglicht Schussgewichte bis zu 10 g.Ein Kniehebel schließt das Werkzeug undbetätigt dann im weiteren Hub den Ein-spritzkolben.

In den folgenden Jahren verdichtensich wegweisende Forschungsergebnisseund produktionstechnische Fortschritte.

1933 gelingt Röhm die industrielle Fer-tigung von PMMA für Gießanwendun-gen und 1939 für Spritzgießanwendun-gen. Das Produkt bekommt aufgrund sei-ner glasähnlichen Eigenschaften denHandelsnamen Plexiglas.

1930 beginnt in Ludwigshafen die Po-lystyrol (PS)-Produktion, ein Stoff, derbereits 1839 von dem deutschen Apothe-ker Eduard Simon beschrieben wurde.Auch bei Dow in den USA laufen 1930 er-folgreiche Vorarbeiten zur Herstellungvon PS, die 1937 erfolgt. 1931 gelingt derICI (Großbritannien) in Reaktoren undunter hohem Druck die Polymerisationvon Ethylen zu Polyethylen,das Patent da-zu wird 1936 erteilt. Die ICI nimmt 1933,

nach Röhm, die Herstellung von PMMAauf. Paul Schlack aus Ludwigshafen be-richtet 1934 über die Herstellung vonEpoxidharzen (EP).

1935 werden von den Firmen Henkel,IG Farben (Mainkur) und Ciba(Schweiz) Harze beschrieben, die durchPolyadduktion von Melamin und Formaldehyd entstehen. Die erstmaligegroßtechnische Herstellung der Mela-min-Formaldehydharze (MF) erfolgt1938 bei Henkel.

Ebenfalls 1935 glückt Wallace H. Caro-thers bei DuPont de Nemours (USA) diePolykondensation von Hexamethylendia-min und Adipinsäure zu Polyamid 6(PA 66), das zunächst als FaserrohstoffEinsatz findet. Das Produkt wird unterdem Handelsnamen Nylon verkauft.

1937 entwickelt Paul Schlack in Lud-wigshafen das Polyamid 6, das er durchPolymerisation von Caprolactam dar-stellt. Das Produkt erhält den Handels-namen Perlon. Im gleichen Jahr beginntin den Buna-Werken der IG Farben dieFertigung synthetischer Gummi, genanntBuna S (Styrol-Butadien) und Buna N(Butadien-Acrylnitril). In Ludwigshafenerfinden Otto Bayer und seine Mitarbei-ter die Polyaddition von Isocyanaten undPolyolen zu Polyurethan.

1938 läuft bei DuPont die Faserproduk-tion aus PA 66 an, aus denen die bald inMode kommenden „Nylonstrümpfe” ge-fertigt werden. Deutschland folgt kurzfris-tig mit den „Perlonstrümpfen” aus Poly-amid 6. In Bitterfeld beginnt die großtech-nische Polymerisation von PVC. Roy J.Plunkett (USA) erfindet bei DuPont – wie-der eher zufällig – den ersten Fluorkunst-stoff, das Polytetrafluorethylen (Teflon).

Für Deutschland bricht 1939 mit demZweiten Weltkrieg ein schwarzes Kapitelseiner Geschichte an. In den Kriegsjahrenbis 1945 wird insbesondere aus Englandüber die Erfindung neuer und die An-wendung und Produktionsaufnahme be-kannter Kunststoffe berichtet.

Die ICI beginnt 1939 mit der Produk-tion von Hochdruck-Polyethylen (LowDensity PE, PE-LD, wegen seiner gerin-geren Dichte gegenüber dem erst 1954 er-fundenen High Density PE, PE-HD).1940 kommt erstmals PMMA als leicht-gewichtiger Glasersatz in Flugzeugfens-tern zum Einsatz.

1941 erfinden J. R. Whinfield und J. T.Dickson (Großbritannien) von CalicoPrinters das Polyethylenterephthalat(PET), das bald darauf für Fasern und Fo-lien verwendet wird. Kurz danach erwer-ben sowohl ICI wie auch DuPont dieSchutzrechte und beginnen Anfang der

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Bild 6. Multimix Haushaltsgerät aus Phenolharz (Deutschland) aus dem Jahr 1955(Foto: Deutsches Kunststoff Museum)

Weltproduktion von Kunststoffen

Jahr Menge [t] Jahr Menge [t]

1900 20 000 1939 350 000

1913 50 000 1945 500 000

1929 85 000 1947 870 000

1933 110 000 1948 950 000

1935 220 000 1949 1 050 000

1936 250 000 1950 1 300 000

1937 280 000 1951 1 500 000

ohne Fasern und ohne synthetischen Kautschuk

Tabelle 1. Weltproduktion von Kunststoffen imZeitraum von 1900 bis 1951 [5] V

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Fünfziger Jahre mit der Großproduktionder ersten Polyesterfasern (Terylen bzw.Dacron).

Ebenfalls 1941 beginnt in Deutsch-land die Herstellung von Polyurethan.1942 entdeckt Harry Coover (USA) vonEastman Kodak das Methylcyanoacrylat,das ab 1958 als „Sekunden-Kleber” be-kannt und vermarktet wird. Bei DuPont(USA) wird 1943 die erste PTFE-Anlagein Betrieb genommen. In England be-ginnen Arbeiten zur Verwendung vonGlasfasern als Verstärkungsmaterialienfür Kunststoffe. 1946 wird mit Cellulo-seacetobutyrat (CAB) die Gruppe derThermoplaste auf der Basis von Cellulo-se ergänzt.

1945 liegt Deutschland am Bodenund wird geteilt. Ehemals kriegswichti-ge Industriebereiche wie die Kunst-stoffindustrie sind zerstört oder werdendemontiert. Der Wiederaufbau beginntnach der Einführung der D-Mark imJahr 1948 mit großem Einsatz. Es zeich-net sich das ab, was man später als„Deutsches Wirtschaftswunder” be-zeichnet. Die deutsche Kunststoff-In-dustrie wird daran einen wesentlichenAnteil haben.

1946 gelingt L. E. Daly (USA) bei USRubber die erstmalige Darstellung vonAcrylnitril-Butadien-Copolymeren (ABS)

auf der Basis von Styrol-Acrylnitril-Co-polymeren (SAN), die zwar schon 1940beschrieben wurden, bislang aber ohnepraktische Verwendung bleiben.

Weltproduktion 1949 erstmalsüber 1 Mio. t

Im Zeitraum von 1910 bis 1950 ent-wickeln sich die Kunststoffe weg vom Er-satzstoff hin zu einer Werkstoffklasse, mitder die industrielle Massenfertigung all-gemeiner Gebrauchsgüter zu niedrigenKosten möglich wird. Zwischen 1935 und1945 ist ein überproportionaler Anstiegder weltweiten Kunststoff-Produktion zuverzeichnen, getrieben durch Kriegsvor-bereitung und Kriegsführung (Tabelle 1).Nach 1945 nimmt die globale Kunststoff-Produktion dann exponentiell zu undübersteigt 1949 erstmals die Größenord-nung von 1 Mio. t.

Noch 1929 bestreitet Deutschlandmehr als die Hälfte des weltweiten Außen-handels mit Kunststoffen. Nach demZweiten Weltkrieg entwickelt sich dieUSA dann für viele Jahre zum größten Ex-porteur dieser Werkstoffe (Tabelle 2). In-teressant ist auch der rasant ansteigendeenglische Kunststoff-Außenhandel, si-cherlich eine Bestätigung der in diesemLand erbrachten wissenschaftlichen und

technologischen Leistungen auf dem Ge-biet der Polymere.

Bei der Herstellung haben die USAschon längst die Führung übernommen(Tabelle 3). Ihr Anteil an der Weltpro-duktion liegt 1950 bei mehr als 65 %(1951: 62 %),gefolgt von England mit fast9 % (1951: 11 %) und den beiden deut-schen Ländern, die zusammen auf 8 %(1951: 12 %) kommen.

Thermoplaste setzen sich durch– 1950 bis 1980

1950 haben mit PVC, PS, PE-LD, PTFE,PMMA, ABS, PA und PET wesentlichethermoplastische Kunststoffe die Welt-bühne bereits betreten (Bild 7 [1] und 8[2]). Bis 1980 wird die Runde durch dieErfindung weiterer Thermoplaste kom-plett, die bisher dominierenden Duro-plaste werden überholt.

1950 entdecken – der Zufall hat wiederseine Hände im Spiel – Forscher der BASFdie Schaumstrukturen, die sich mit ex-pandierbarem PS (EPS) erreichen lassen.Das Produkt erhält den Namen Styropor,es macht danach eine rasante Karriere alsbevorzugter Isolier- und Dämmstoff derBauindustrie.

PVC löst Schellack als bevorzugtesSchallplattenmaterial ab (1952). KarlZiegler in Deutschland und Giulio Nat-ta in Italien entdecken 1953/54 die Eig-nung von metallorganischen Katalysa-toren für die Herstellung von Nieder-druck-Polyethylen (Ziegler: PE-HD) undPolypropylen (Natta: PP). Die beidenForscher streiten zunächst über die je-weiligen Anteile an den Erfindungen,sind sich aber 1963 bei der gemeinsamenAuszeichnung mit dem Nobelpreis fürChemie wieder einig.

Hermann Schnell von Bayer erfindetdas Polycarbonat (PC; 1953). Produkti-onsanlagen für so genanntes Ziegler-Po-lyethylen (PE-HD) werden 1955 zuerstvon der Hoechst AG errichtet, 1957 folgtdie Montedison in Italien mit Anlagen für

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Weltausfuhr vonKunststoffen nach Ländern

1929 1935 1937 1938 1950 1951

Mio. RM Mio. RM Mio. RM Mio. RM Mio. DM Mio. DM

Deutschland (BRD ab 1950) 34 15 17 14 30 80

USA 9 11 16 14 125 (*)

Frankreich 8 6 6 8 16 13

England (*) 5 6 5 107 192

Belgien 2 5 6 5 11 (*)

Andere 6 6 6 4 71 (*)

Welt gesamt 60 47 56 49 350 (*)

(*) keine Zahlen verfügbar, RM = Reichsmark, DM = Deutsche Mark (ab 1948)

Tabelle 2. Weltausfuhr vonKunststoffen, aufgesplittet

nach Ländern und Wert, imZeitraum von 1929 bis 1951 [5]

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Bild 7. Radiogehäuseaus Polystyrol (Frank-reich) aus dem Jahr1950 (Foto: Sandretto Plas-

tics Museum)

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Polypropylen (PP). 1958 gehen dann so-wohl bei Bayer in Deutschland als auchbei General Electric in den USA Anlagenzur Herstellung von PC aus Bisphenol A(BPA) in Betrieb.1959 nimmt DuPont dieFertigung von Acetalhomopolymer auf(Delrin), 1960 Celanese (Celcon) undHoechst (Hostaform) die Fertigung vonAcetalcopolymerisaten.

Es folgt die Einführung neuer Fluor-und Schwefelkunststoffe (1960: Tetra-fluorethylen, FEP; Polyvinylfluorid, PVF;1961: Polyvinylidenfluorid, PVDF; 1972:Ethylen-Tetrafluorethylen-Copolymere,ETFE; 1973: Perfluoralkoxy-Copolyme-re, PFA). 1965 stellt Union Carbide (USA)dann Polyarylethersulfon (PES), Polysul-fon (PSU) und ähnliche Copolymere vor,deren Produktion 1976 beginnt.

Ebenfalls 1965 wird Polyphenylenether(PPE) eingeführt und unter der Bezeich-nung Polyphenylenoxid (PPO) von Ge-neral Electric sowie AKU (Niederlande)

in den Markt gebracht. Es findet aber auf-grund geringer thermischer Stabilität kei-ne Akzeptanz. Dies gelingt erst wenig spä-ter der mit PS modifizierten Form desPPE (Noryl). Grundlage dafür sind For-schungsarbeiten der General Electric überdas Blenden und Legieren von Polyme-ren, die dem Unternehmen eine bis heu-

te führende Position auf diesem Arbeits-gebiet verschaffen.

1971 wird über Forschungsarbeitenzur Synthetisierung flüssigkristallinerKunststoffe (LCP) berichtet. Im gleichenJahr nimmt Phillips Petroleum die Fer-tigung von Polyphenylensulfid (PPS)auf, einem hochwärmebeständigen Kuns-tstoff, der seit 1968 in Versuchsmengenim Markt ist (Ryton). 1972 beginnt dieCelanese Corp. mit der Produktion vonPBT.

In den Sechziger und Siebziger Jahrenvollzieht sich eine industrielle Revolution:Computer übernehmen Aufgaben, diebisher von Menschen erledigt wurden.Diese Maschinen werden in Bereichen derBuchhaltung, der Auftragsabwicklung,bei Flugbuchungen und bei Konstrukti-onsberechnungen im Maschinenbau ein-gesetzt. In den USA werden Mikropro-zessoren erfunden (Silizium-Chips). Ta-schenrechner übernehmen alltägliche

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SPEC I A L■

Welterzeugung von Kunststoffen(1000 t) 1947 1948 1949 1950 1951

USA 611 713 708 850 925

Kanada 0 14 19 22 25

UdSSR 0 0 30 38 50

England 108 121 100 111 160

BRD 23 39 62 80 150

DDR 0 0 0 29 35

Frankreich 23 25 30 33 40

Benelux 18 19 20 22 25

Italien 8 9 10 15 20

Japan 7 9 10 14 20

Welt 870 950 1050 1300 1500

Tabelle 3. Welterzeugung vonKunststoffen, aufgesplittetnach Ländern, im Zeitraum

von 1947 bis 1951 [5]

Welt-Kunststoffproduktion von 1976

Bild 9. Welt-Kunststoffproduktion im Zeitraum von 1945 bis 1985: Ein-bezogen sind Duroplaste, Beschichtungsmaterialen, Klebstoffe und Lacke,jedoch ohne Fasern und synthetische Kautschuke [6]

© Kunststoffe

Welt-Kunststoffproduktion von 1989

Bild 10. Welt-Kunststoffproduktion im Zeitraum von 1980 bis 2010 (ge-schätzt): Einbezogen sind Duroplaste, Beschichtungsmaterialen, Kleb-stoffe und Lacke, jedoch ohne Fasern und synthetische Kautschuke [6]

© Kunststoffe

Bild 8. Radiogehäuse aus ABS (Italien) aus demJahr 1965 (Foto: Sandretto Plastics Museum)

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(PES), einem transparenten Hochleis-tungswerkstoff. Im gleichen Jahr beginntBayer mit der großtechnischen Produk-tion von Polyphenylensulfid (PPS).

Die Siebziger Jahre des letzten Jahr-hunderts enden erneut mit einer Ver-knappung und Verteuerung des Erdöls,eine Verteuerung der Kunststoffpreiseist die Folge. Nicht alle Hersteller vonKunststoffen können dem steigendenKostendruck durch Rationalisierungbegegnen, es kommt zu ersten massivenVeränderungen in der Firmenland-schaft.

Zwischen 1950 und 1980 ist die Welt-produktion von Kunststoffen weiter ex-ponentiell angestiegen und überschreitet1976 den Wert von 50 Mio. t (Bild 9 [6]).Die erste Ölkrise hat eine tiefe Kerbe hin-terlassen. Die zweite Erdölkrise Anfangder Achtziger Jahre führt dann zwar zurStagnation der Produktion, nicht aberzum Rückgang. Erst ab 1982/83 nimmtdie Produktion wieder deutlich zu.

Die Weltproduktion steigt aufüber 200 Mio. t – 1980 bis 2010

1979/80 trifft, wie erwähnt, die zweite Öl-krise auf einen nach unten gerichtetenKonjunkturzyklus. Die unbefriedigendeAbsatz- und Ertragslage sowie der Preis-verfall bringen den europäischen Erzeu-gern Verluste von jährlich 3 Mrd. DM. Eswerden Forderungen laut nach der Ver-schrottung nicht ausgelasteter europä-ischer Produktionsanlagen, was teilwei-se auch geschieht. Erst 1983 wird dannwieder über eine bessere Anlagenauslas-tung berichtet.

Die Kunststoff-Exporte aus den USAund Europa nach Asien sind aufgrundextrem niedriger Erlöse zum Erliegen ge-kommen. Mit zunehmender Sorge fürdie eigenen Märkte wird der massiveAufbau neuer Produktionskapazitäten inJapan, Südkorea, Malaysia und Indone-sien beobachtet. Die Folgejahre sinddann auch durch eine Exportoffensiveaus dieser Region gekennzeichnet, die bisheute andauert.

Anfang der Neunziger Jahre geht be-reits mehr als 40 % des Weltverbrauchsan Kunststoffen in den Bereich der Ver-packung, 20 % in die Bauindustrie (ein-schließlich Rohranwendungen), 12 % inElektrik und Elektronik, knapp 10 % inden Fahrzeugbau, weniger als 5 % in dieLandwirtschaft und die übrige Menge inandere Anwendungsgebiete. Diese Ab-nehmerstruktur hat sich bis 2004 nichtwesentlich verändert. Die außergewöhn-lich dominierende Position der Verpa-ckungsindustrie bleibt bis heute erhalten.

Rechenaufgaben. In den Lebensmittel-märkten vollzieht sich der Umbau derWaagen und Kassen auf elektronischeGeräte.Analoge Geräte verschwinden, siewerden durch digitale ersetzt.Bauteile ausKunststoffen begleiten den Wandel dieserIndustrie.

1974 wird zu einem schwarzen Jahr inder Geschichte der Kunststoffe, es kommtzu einer Ölkrise. Die OPEC beschließt dieDrosselung der Ölförderung und eineKürzung der Öllieferungen. Die Rohöl-preise steigen um 300 %, der Ethylenpreisum 200 % und die Polymerpreise um biszu 100 %. Es wird zwei Jahre dauern, bissich die Kunststoffindustrie von diesemÖlschock erholt hat.

1977 berichtet die ICI über die Her-stellung von Polyetheretherketon (PEEK),einem äußerst wärmebeständigen Werk-stoff, der 1983 in Produktion geht. 1980wird das lineare Hochdruckpolyethylen(PE-LLD) vorgestellt. 1983 startet beiICI die Produktion von Polyethersulfon

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Bild 11. Das Telefonhäuschen aus Polycarbonat (Deutschland) wurde 1994 das größte Spritzgussteil des Jahres (Foto: Deutsches Kunststoff Museum)

Weltweiter Kunststoffverbrauch

Bild 12. Globale Ver-brauchsentwicklungder Kunststoffe imZeitraum von 1980 bis2010, aufgesplittetnach Produkten(geschätzt), s. auchTabelle 4 [6, 7]

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Anteile am Weltverbrauch [%] 1980 1990 2000 2010

Duroplaste, Lacke etc. 21,8 18,0 15,3 10,2

PUR 5,0 4,7 4,9 5,1

APS, PMMA, Techn. Kunststoffe, andere Thermoplaste 9,1 10,3 9,8 10,8

PET-Flaschenware < 1 < 1 3,8 6,4

PS + EPS 9,0 8,4 7,4 7,2

PVC 18,6 17,0 14,1 13,2

PP 8,0 12,2 16,2 18,3

PE 28,5 29,3 28,4 28,8

Tabelle 4. Anteile einzelner Kunststoffgruppen an der globalen Verbrauchsentwicklung im Zeitraumvon 1980 bis 2010 (geschätzt) [6, 7]

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Neue Medien sind auf dem Vormarsch.Die CD-Audio aus PC wird 1981 einge-führt,wenig später die CD-ROM (PC-Be-darf 1995: 50 000 t, 2000: 350 000 t). DieMedienindustrie hat die größten Wachs-tumschancen aller Branchen. Das Zeital-ter der Telekommunikation beginnt, underneut haben Kunststoffe einen maßgeb-lichen Anteil am Erfolg dieser Branche.

1982 stellt General Electric mit demthermoplastischen Polyetherimid (PEI)einen neuen transparenten Hochleis-tungswerkstoff vor (Ultem), 1983 dieAmoco mit Polyphthalamid (PPA) einaromatisches Polyamid. Die Produktionvon PPA erfolgt ab 1990 (Amodel). Mo-difizierte Polycarbonate wie Polyester-carbonat werden 1983 vorgestellt (Bay-er) und sind ab 1986 im Markt. Mitte derNeunziger Jahre erlangen die ersten bio-logisch abbaubaren Kunststoffe ihre Pro-duktionsreife, sie scheitern aber fast allean der geringen Marktakzeptanz.

Als Durchbruch in der Polymerfor-schung wird die Erfindung der Metallo-cen-Katalysatoren und ihrer Verwendungbei der Polymerisation von Polyolefinengesehen, die 1999 zur ersten industriellenProduktion von Metallocen-PP und Me-tallocen-PE führt.

Die Weltproduktion von Kunststoffenüberschreitet 1989 den Wert von 100Mio. t und verdoppelt sich bis 2003 aufüber 200 Mio. t (Bild 10 [6]), ein deutli-cher Beweis für die Leistungsfähigkeitdieser Werkstoffgruppe (Bild 11 [2]).

Der Anteil der Duroplaste (mit Lackenund Klebstoffen) ist stetig zurückgegan-

gen und liegt 2000 bei 15 % der Gesamt-menge (Bild 12 und Tabelle 4, mit Pro-gnosen für 2010), unter Einbeziehung desebenfalls duroplastischen PUR bei 20 %(thermoplastisches PUR nicht mitgezählt).

Die Welt der Kunststoffe wird durchThermoplaste dominiert, an erster Stellestehen die Polyolefine (2000: insgesamt44 %, darin PE mit 28 % und PP mit16 %), gefolgt von PVC (14 %) und PS(7 %).Die Gruppe der Technischen Kunst-stoffe (PA, PC, modifiziertes PPE, POMund PBT) hat einen Anteil von ca.5 %,dersich unter Zurechnung von ABS, PMMAund den Hochleistungspolymeren auf10 % erhöht. Bemerkenswert ist der ra-sante Anstieg des Anteils der PET-Fla-schenware, der im Jahr 2000 bei 4 % liegtund weiter überdurchschnittlich wächst.

Bis etwa um 1980 ist die japanischeKunststoff-Industrie der wesentliche Ver-sorger des Bedarfs der südostasiatischenund asiatisch-pazifischen Region, wobeider Bedarf zunächst noch größtenteils imeigenen Land besteht. Doch bereits ab1991 übersteigt die Produktion in ande-ren Ländern Südostasiens die japanischeProduktion.

Das wirtschaftlich aufkommende Süd-ostasien wird zum Zentrum der Herstel-lung und des Verbrauchs von Kunststof-

fen, angeführt von China als Motor derEntwicklung. China öffnet sich und wirdaufgrund seiner hohen Bevölkerungszahl(mehr als 20 % der Weltbevölkerung) bis2010 zum größten Kunststoffmarkt derWelt, so die übereinstimmende Progno-se aller Marktforscher. Bemerkenswert istauch der Auftritt der Kunststoff-Herstel-ler im Nahen Osten, die jetzt die einstigeVorhersage von „der Polyethylenanlageneben dem Bohrloch”umsetzen (Bild 13).

Wettbewerbsdruck nimmt zu

Die Hersteller der Kunststoffe sind seitden letzten 25 Jahren dem andauerndenZwang zur Rationalisierung und Anpas-sung an sich ändernde Markterfordernis-se ausgesetzt [8 bis 12]. Nicht alle Her-steller konnten und wollten diesen Ver-änderungen standhalten, weshalb dieletzten Jahrzehnte der Kunststoffindustriedurch massive Verschiebungen in der Fir-menlandschaft gekennzeichnet sind. Teil-weise wurde in der Konzentration der Ka-pazitäten ein Ausweg gesucht, teilweisekam es zu Firmenverkäufen.

30 © Carl Hanser Verlag, München Kunststoffe 5/2005

Pro-Kopf-Verbrauch an Kunststoffen [kg]

Länder und Regionen 1970 1980 1990 2000 2010 2015

West-Europa 21 40 65 92 124 145

Ost-Europa 4 9 12 13 28 40

NAFTA 25 46 69 102 130 150

Lateinamerika 2 7 10 19 27 32

Japan 32 50 81 86 102 113

Südostasien (ohne Japan) 1 2 5 13 25 32

Mittlerer Osten, Afrika 1 3 5 8 12 14

Welt 6 11 16 25 37 44

Tabelle 5. Pro-Kopf-Verbrauch an Kunststoffen, aufgesplittet nach Ländern und Regionen, geschätztfür 2010 und 2015 (nicht enthalten: Duroplaste, Lacke, Klebstoffe und Beschichtungen sowie synthe-tischer Kautschuk und Fasern) [6, 7]

Asien überholt

Westeuropa

Bild 13. Anteil der Regionen an der Welt-Kunst-stoffproduktion im Zeitraum von 1970 bis 2010(geschätzt) [6, 7]; rot: West- und Ost-Europa,beige: Nord- und Südamerika, orange: Südosta-sien ohne Japan, schwarz: Japan, grün: Mittle-rer Osten und Afrika

© Kunststoffe

Bild 14. Dach des AthenerOlympia-Stadions aus Polycarbonat-Scheiben aus dem Jahr 2004 (Foto: Bayer MaterialScience AG)

Bild 15. Brennstoffzelle mit Endplatten aus PPSund Bipolarplatten aus LCP aus dem Jahr 2004 (Foto: Ticona GmbH)

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Die Kunststoffhersteller sind heute mitneuen Unternehmensmodellen konfron-tiert: Diese unterscheiden zwischen Lie-feranten von Standardprodukten, Inno-vatoren und Partnern bei Problemlösun-gen sowie Dienstleistern. Sie müssen sichzunehmend entscheiden, wo genau ihreKernkompetenzen liegen, welche Marke-tingziele sie sich realistischerweise setzenkönnen und mit welchen Organisations-strukturen ihnen das gelingen soll.

Bisher wird noch all zu oft die Anzahlder Produkttypen einzelner Sortimen-te verkleinert und die Portfolios vonweniger profitablen Spezialitäten be-freit. Das Ergebnis sind volumenorien-tierte und an Standardprodukte ange-passte Geschäftsmodelle, die auf man-che Kundenwünsche nicht mehr ein-gehen können. Die Situation derHersteller ist zudem dadurch gekenn-zeichnet, dass die Absatzmengen zwar

steigen, die Margen dafür aber immerkleiner werden. Einen spürbaren Ein-fluss haben auch die gegenwärtig vor sichgehenden Verlagerungen ganzer Indus-trieproduktionen von Europa und denUSA nach Asien, dort insbesondere nachChina. Dadurch wird die Nachfrage nachKunststoffen zwar nicht sinken, sie ent-steht aber in geografisch anderen Märk-ten (Tabelle 5). Auch diesen Herausfor-derungen müssen sich die Produzen-ten stellen. Die bekannt gewordenenProduktions-Investitionen führenderKunststoffhersteller in der asiatischenRegion und die eingegangenen Koope-rationen mit längst vorhandenen undstarken lokalen Partnern zeigen, dass dievor sich gehenden Verschiebungen derglobalen Marktstrukturen erkannt undangemessene Maßnahmen zur Zu-kunftssicherung dieser Unternehmengetroffen sind.

Trotz des steigenden Wettbewerbs-drucks ist und bleibt die Kunststoff-In-dustrie eine Wachstumsbranche [13],denn Kunststoffe sind Wegbereiter desFortschritts (Bilder 14 bis 16). Betrach-tet man die Namensgebung der Kunst-stoffe als den Anfang ihrer Geschichte,dann sind diese Werkstoffe jetzt fast hun-

31Kunststoffe 5/2005

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Bild 16. Tragflächenmontage des Airbus A 380 mit Strukturelementen aus PPS-Composit(Typ: Fortron; Frankreich) aus dem Jahr 2004 (Foto: Airbus)

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32 © Carl Hanser Verlag, München Kunststoffe 5/2005

dert Jahre alt – aber trotzdem gut inForm.

Anmerkung des Autors

Allein aus Platzgründen konnten nicht al-le Kunststoffe, nicht alle Erfinder undauch nicht alle mit den erwähnten Kunst-stoffen verbundenen Firmen- und Pro-duktnamen erwähnt werden. Auch dieBeiträge der Hersteller von Kunststoff-Verarbeitungsmaschinen zum Erfolg derKunststoffindustrie mussten leider un-berücksichtigt bleiben. Dafür bittet derVerfasser um Verständnis. Bei der Re-

cherche ergab sich, dass unterschiedli-chen Quellen oft unterschiedliche Jah-reszahlen für das eine oder andere Ereig-nis in der Geschichte der Kunststoffe auf-führen. Auch für daraus entstandeneeventuelle Ungenauigkeiten wird umNachsicht gebeten. ■

LITERATUR

1 Sandretto-Museum, Pont Canavese/Italienhttp://www.sandretto.it/museonew/UKmuseo/FRAMEmuseo2.htm

2 Deutsches Kunststoff Museum, Düsseldorfhttp://www.deutsches-kunststoff-museum.de

3 Tschimmel, U.: Die Zehntausend-Dollar-Idee:

Kunststoff-Geschichte vom Celluloid zum Super-chip. Econ, 1989

4 Kunststoffe – ein Werkstoff macht Karriere. Hrsg.W. Glenz, Hanser, 1985

5 Franzke, L.: Kunststoffe – eine Entwicklung ohneBeispiel. Chem. Ind. 4, 4 (1952) 205

6 Plastics Europe Deutschland: ArbeitsausschussStatistik und Marktforschung. Frankfurt (Claus-Jürgen Simon, Geschäftsführung; Martin Balsam,Plastics Market Intelligence BASF, Leiter des AA;Frank Schnieders, Market Intelligence, Bayer Ma-terialScience, Stellv. Leiter des AA)

7 Balsam, M.; Simon, C.-J.: Kritische Größe errei-chen – Ausrichtung bei Standardkunststoffen.Kunststoffe, 91 (2001) 8, S. 48

8 Metz, G.: Zur Lage der westeuropäischen Kunst-stoffindustrie. Kunststoffe, 85 (1995) 10, S. 1504

9 Trautz, V.: Die Entwicklung der westeuropäischenKunststoffindustrie. Kunststoffe, 88 (1998) 10,S. 1648

10 Schmitt, B.; Prätorius, W.; Mühlbach, K.; Plesnivy,T.: Klimawechsel – Neue Großwetterlage bei derKunststofferzeugung. Kunststoffe, 89 (1999) 6, S. 24

11 Hensel, T.L.: Die künftige Rolle der Kunststoff-Er-zeuger – Strategische Entscheidungen zu Beginndes 21. Jahrhunderts. Kunststoffe, 90 (2000) 1, S. 34

12 Kohlhepp, K.: Wirtschaftlich hoch attraktiv – Ver-änderungen der Firmenlandschaft bei TechnischenKunststoffen. Kunststoffe, 91 (2001) 8, S. 52

13 Zaby, G.: Die Kunststoffindustrie bleibt Wachs-tumsbranche. Kunststoffe, 91 (2001) 10, S. 238

DER AUTOR

KLAUS G. KOHLHEPP, geb. 1943, war viele Jahrein der Kunststoffindustrie tätig, zuletzt als Leiter derMarktforschung und Wettbewerbsbeobachtung beider Ticona GmbH, Kelsterbach. Seit Januar 2005 ister selbständiger Unternehmensberater;[email protected].

SUMMARY PLAST EUROPE

Growth throughChanging Times

DEVELOPMENT HISTORY OF PLASTICS. Plasticsare markers of social change and pacesetters fortechnological progress. This emerges clearly froma review of their development, which started be-fore the 20th century and has been characterisedby steady growth. It all began with galalith, cel-luloid and thermosets, while today polyolefins andother thermoplastics are the high-volume sellers.The growth opportunities for plastics still appearto be almost limitless, as is demonstrated in to-day's rapidly developing economies of Asia, withChina the engine of development.

NOTE: You can read the complete article by entering the document number PE103251on our website at www.kunststoffe.de/pe

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