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Spirit 3-4/15

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Popspiritualität

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DAS MAGAZIN FÜRS WESENTLICHESchweiz 16,80 sfr, EU-Länder außer Deutschland 9,40 € 3–4/2015 31. Jg. B 6128

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www.connection.de · März-April 3-4/2015 3

ieses Heft ist ein Manifestdes Widerstands gegendie Spiritualität der Be-

langlosigkeit unserer Zeit, gegenden Missbrauch der Worte und ei-ner vor nichts haltmachendenKom merzialisierung, die sich aller-orten mehr oder weniger subtil ein-schleicht in das Heilige, Schöne,Wahre und ernst Gemeinte. Sicher,der tiefsten Wahrheit kann nichtsetwas anhaben, aber es tut weh,sie verfälscht, missbraucht und soletztlich auch verachtet zu sehen.

Geldverdienen ist keine Schande

Ich mag die selbstgefälligen Mie-nen der Eso-Seller nicht, wenn siewieder einmal mit einem Engels-spray für unerwarteten Geldsegengute Umsätze erzeugt haben. Miteinem Produkt, an das sie selbstnicht glauben, das aber trickreichausgedacht ist, um die Sehnsüchteder Suchenden zu berühren undso deren Erfüllung verheißt. Produkte werden für Marktlückengeschaffen, weil doch Geldverdie-nen keine Schande ist. Nein, Geld-verdienen ist keine Schande. Na-delöhr hin, Kamel her, Reichtumist mit Spiritualität vereinbar. AberHeuchelei ist mit Spiritualität nichtvereinbar! Ja, ich weiß, das geschieht überall,wo es Märkte gibt, und ich kann esnicht verhindern. Es geschieht auchim Bereich der spirituellen Pro-dukte, und auch dort kann ich esnicht verhindern. Markt ist Markt,als freigeistiger Menschen sollteman keinen Zaun um das vermeint -lich Heilige, zu Schützende ma-chen. Zensur ist mir ein Gräuel, undich will auch selbst kein Zensorsein. Die bunte Vielfalt der Märk-te ist erfreulich – meistens. Aberes ärgert mich, dass viel zu oft der

Glitzerkram dort die besten Um-sätze erzeugt. Dass Glasperlen zuBestsellern werden, und man dieDiamanten in all dem Blendwerkübersieht.

Geschäfte mit dem Heiligen

Eine Schändung des Heiligen gibtes für mich nicht. Ich bin ein Anar-chist des Spirituellen, und doch ha-be ich ein Gewissen und Gefühle.Es widert mich auch heute noch an,nach dreißig Jahren »im Geschäft«,die mich längst zu einem abge-brühten Händler hätten machenmüssen, wie da so oft und heute so-gar immer mehr seichte Phrasen alsWahrheit vermarktet werden undgefällig präsentierte Kopien wirk-licher Tiefe die Massen verzückenund eine Zeitlang mit der Gewiss -heit erfüllen, dass es das ist, was dieWeisen meinten. Nein, das ist esnicht, möchte ich aufschreien, ihrirrt euch! Ihr müsst es selbst ent-decken! Auch wenn das Gesuchteheute nicht erst nach strapaziösenReisen durch Wüsten und auf Berg-gipfeln zu erringen, sondern billigzu haben ist und uns aus den Kauf-häusern und von den Kiosken herentgegenschreit. Täuscht euch nicht,bitte lasst euch nicht täuschen, dasist es noch nicht!

Die Wahrheit

Die Wahrheit ist einfach, sehr ein-fach, aber sie ist nicht billig zu ha-ben. Sie ist ohne Geld zu haben,aber nicht billig. Wenn du sie in denSchoß gelegt bekommst, und es istnicht der rechte Moment dafür, er-kennst du sie nicht und wirfst siefort. Heute wird sie dir sogar nichtnur in den Schoß gelegt, sondernnachgeworfen, aber in all dem Müllunserer von Informationen über-

fluteten Welt erkennst du sie nicht.Sie zu erkennen braucht ein feinesUnterscheidungsvermögen undmehr Einsatz als nur eine Kauf-laune. Die Wahrheit zu erkennen fordertden ganzen Menschen. Sie packtuns und verbaut uns alle Ausredenund Ausflüchte, nun müssen wirecht werden. Sie wäscht uns undmacht uns dabei nass. Sie ist das Le-ben selbst, wie es uns vorfindet,beschenkt und durch Höhen undTiefen schleudert – und glücklichsein lässt, unendlich glücklich. Esbraucht nichts dazu, wirklich nichts.Das Gesuchte lässt sich nicht inWorten sagen und nicht einmal inTönen, mit Musik. Aber man kannes finden! Wenn wir nur aufhör-ten, an unserer Suche zu kleben,und so – ohne die Last der ewigvor uns hingehaltenen Karottenfalscher Verheißungen – ganz leichtwürden, dann wüssten wir kaummehr, wohin mit all dem Glück.Das vorliegende Heft befasst sichmit den Verheißungen. Wenn dabeietwas übrig bleibt, wirf auch dasweg. Und auch das. Alles. Dann, ja,dann ... das ist es! Editor

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Wolf Schneider, [email protected]

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Tiefe oder

FlachlandEs gibt noch mehr als nur ›Spirituality light‹

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4 März-April 3-4/2015 · www.connection.de

MÄRZ-APRIL 3-4/2015

S. 54 – 61

S. 48 – 53

Ein kleines Land im Himalaya hat das »Glücksprodukt« in die Welt

gesetzt, als Alternative zum Missbrauch des Bruttosozialproduktes

als umfassendem Gradmesser von Wohlstand. Auch die

Menschen in Bhutan können sich der Weltwirtschaft nicht entziehen, aber sie gehen einen eigenen Weg

PopspiritualitätWas den Pionieren nochheilig war, ist nun zum

Kommerz geworden, denn Der Markt hat sich desThemas angenommen.

Können wir damit leben?Wollen wir es? Wohin

flüchten wir uns nun – oder,anders gedacht, was liegt

darin Gutes, dass alleskäuflich

ist, auch Zeit, Kunst,Wertschätzung, Liebe

und Wahrheit?

Bhutans Sonderweg

70 Jahre nach Auschwitz

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Loslassen, Entrümpeln und Abnehmen

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S. 14 – 39

Und sie sägten an den Ästen, auf denen sie saßen, und schrien sich zu ihre Erfahrungen, wie man besser sägen könne.

Und fuhren mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen beim Sägen,schüttelten die Köpfe und sägten kräftig weiter.

Bertolt Brecht

Noch immer gibt es Zeitzeugen, auch 70Jahre nach der Befreiung von Auschwitz,aber es sind nur noch wenige. ChristaSpannbauer und Thomas Gonschiorhaben mit vieren von ihnen gesprochenund ein Buch und einen Film darübergemacht.

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6 Tao Chi über die Bedeutung der Dinge

7 Wie es ist – Nachrichten von heute

10 Wie es sein könnte – Nachrichten aus einer Welt von morgen

12 Visuelle Poesie von Christina von Puttkamer

Schwerpunkt: Popspiritualität14 Der Wasserverkäufer am Fluss – Wolf Schneider rätselt immer noch, warum kaum einer

von allein hingeht zum Trinken

18 Spiritualität und Kapitalismus können koexistieren, meint Eli Jaxon Bear

21 Heiliger Blöff – Tom de Toys besingt seinen Verlust der großen Begriffe

22 Die mystische Rose – Konstantin Wecker über ein Leben ohne Warum

24 Spiritualität und Spirituosen sind einander höllisch ähnlich, verrät uns ein Niemand von der Liga der Leeren

26 Gehen wir Spirit shoppen, empfiehlt Johannes Galli als Deppenweg zur Erleuchtung

29 Stirb bevor du stirbst und entledige dich so des falschen Selbst, rät Jed McKenna

30 Der wunde Punkt – Ulrich Nitzschke hat ein Gespräch zwischen Eckhart Tolle und Jed McKenna belauscht

32 Transzendentale Schwadronage nervt auch Matthias Mala. Aber er weiß einen Weg, um die Selbstverneinung zu beenden

37 Alan Watts über den Spießer-Zen und das Verlangen nach Echtem

39 D. T. Suzuki sagt: Zen ist der Mensch

40 Vom Mangel zur Fülle führt uns die indische Göttin Lakshmi, sagt Dagmar Kylar nach einem Seminar mit Chameli Ardagh

46 WerWasWo

48 »Die Toten haben uns bevollmächtigt zu sprechen« – Rainer Spallek überErinnerungskultur 70 Jahre nach Auschwitz

54 Hoch und heilig liegt Bhutan im Himalaya, und seine Philosophie des Glücks. Geseko von Lüpke hat es besucht

63 »Liebe ist die Antwort« – zum Tod von Veeresh. Ein Nachruf von Wolf Schneider

64 Promotion: Wir sind veränderbar, sagt Sigrid Beckmann-Lamb, und sie weiß einen Weg,wie es geht

66 Promotion: Public Relations für eine bessere Welt – Bobby Langer über die Ansprüchevon ecoFAIRpr

68 Filme: über das Leben im Kibbuz (Doku, DVD) und Frauen in Äthiopien (Spielfilm, Kino)

72 Bücher über innere Helfer, Advaita, das Enneagramm, Heilung der Erde und anderes

74 Leserbriefe über Tucholskys Löcher, Körpererfahrung und spirituellen Guguus

78 Marktplatz

79 Heidrun Bomke über das Erwachen

80 Veranstaltungskalender und Inserentenverzeichnis

82 Vorschau/Impressum

, Zeitschrift für Spiritualität & Politik, Mystik & Widerstand, Ökologie,Lebenskunst und Humor. Erscheint alle zwei Monate mit einem starken Schwerpunkt. Gegründet1985, ist Connection Spirit die älteste transkonfessionelle spirituelle Zeitschrift auf deutsch.Fachmagazine über Tantra und Schamanismus aus demselben Verlag ergänzen sie.

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S. 18

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S. 63

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14 März-April 3-4/2015 · www.connection.de

POPSPIRITUALITÄT

VON WOLF SCHNEIDER

Die große Schwierigkeit bei der Vermittlung der Essenz unseresDaseins ist, dass diese Essenz jedem ohne Vermittler zugänglich istund ein Vermittler dabei im typischen Fall sogar mehr stört als nützt.

Die meisten Methoden einer vermeintlichen Vermittlung oderAufklärung über das Wesen unseres Daseins schütten diesen Zugangeher zu als ihn freizulegen. Was tun? Ein ernüchterter Verkäufer desHeiligen spricht hier aus 30 Jahren zumeist gescheiterter Versuche,

auf das Selbstverständliche und Offensichtliche hinzuweisen

Der Wasserverkäufer

FLICKR.COM ©

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ONIE

Von der Schwierigkeit,das Echte zu vermarkten

am Fluss

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www.connection.de · März-April 3-4/2015 15

POPSPIRITUALITÄT

nen stand »köstliches Wasser«. Das müsstegenügen, um die Menschen zu überzeugen,dachte er. Hundert dieser Flaschen stellteer bei seiner nächsten Rede auf, aber trotzseiner großen Beredtheit griffen nur vier derZuhörer zu den Flaschen. Sie nahmen sie mitnach Hause und tranken in kleinen Schlu -cken davon, so kostbar war dieses Wasser fürsie; es sollte ja noch lange reichen, wer weiß,wann sie wieder welches bekämen. Vier vonhundert? Adam war enttäuscht.

Der Verkauf gelingt

Als nächstes probierte er es mit einem nochausgefeilteren Trick. Wieder besorgte er sichEtiketten, auf denen aber stand diesmal»Wasser zum Sonderpreis von 1 € ! Nur heu-te, und nur für die Kunden des besten Was-serverkäufers der Welt!« Kaum hatte er denTisch aufgebaut und die Hörer seiner Redesich versammelt, standen sie Schlange vorseinem Tisch und wollten das Wasser kaufen.Noch ehe er mit seiner Rede geendet hatte,waren alle Flaschen verkauft. Das setzte sichso bei den weiteren Veranstaltungen fort, sodass er nun kaum mehr dazu kam, seine Re-de zu halten, denn nun brauchte er eine Kas-se und Wechselgeld, und die Leute wolltenwissen, wann der Stand wieder offen sei,wann es Nachschub gäbe, und ob sie bei Ab-nahme von fünf oder zehn Flaschen einenRabatt bekämen. Das Geschäft war eröffnet,und es lief gut. Immerhin tranken die Leute

nun Wasser, doch Adam war enttäuscht. We-gen des Geschäftes hatte er nun nicht mehrso viel Zeit, das Wasser zu loben, kaum dasser selbst zum Trinken kam, und an einem Orttief in seiner Brust fühlte er sich mit seinerIdee verraten. Die wenige Zeit, die ihm noch neben demWassergeschäft blieb, saß er zuhause mitLilith und träumte von einer Welt, in der je-der von allein zum Fluss gehen und Wassertrinken würde. Von einer Welt, in der nichtnur dieses ganze Wassergeschäft überflüs-sig wäre, sondern sogar alle Lobesreden überdas Wasser, weil einfach jeder Durstige dasRauschen des Flusses hörte und dann vonselbst hinginge, um auszuprobieren, ob estrinkbar ist.

Das spirituelle Geschäft

Wer auch immer sich mit Tiefenspiritualitätbefasst hat – manche nennen es »Mystik« –,weiß, wovon ich hier spreche. Ich bin ja nicht

as Dao, über das man sprechen kann,ist nicht das wahre Dao. Diesen er-sten Satz aus dem Daodejing (nach

der Bibel das meistübersetzte Buch der Welt)werde ich nie vergessen. Dass man diesen er-sten Satz aus dem Altchinesischen auch nochganz anders übersetzen kann, weiß ich, esgibt da eine Fülle von Varianten, die der Es-senz des eben Gesagten aber nicht wider-sprechen. Schon diese Hunderten von Über-setzungen scheinen zu bestätigen, dass manüber das Wesentliche nicht sprechen kann.Oder soll ich vielleicht den großen Wittgen-stein noch mit dazuholen, der 1921 schrieb:Was sich überhaupt sagen lässt, kann manklar sagen, und wovon man nicht reden kann,darüber muss man schweigen? Nein, ich wer-de nicht schweigen, sondern euch die Ge-schichte vom Wasserverkäufer am Fluss er-zählen.

Alle haben Durst

Jener Wasserverkäufer sah, dass die Men-schen Durst hatten. Wo man auch hinschaut,überall sind Durstige – Tanha, Begehren,nannte der Buddha diesen Durst in seinerMuttersprache Pali. Wenn dann einer draufkommt, dass man zum Fluss gehen kann undtrinken, dass das Wasser dort klar ist undgut bekömmlich und den Durst löscht – wun-derbar! Ist doch egal, wie er drauf gekom-men ist, ob ihm jemand den Tipp gegebenhat, oder er es von allein herausgefunden hat.Das Wasser ist köstlich, es löscht den Durst,und jeder kann hingehen und davon trinken,so viel er will; kein Zaun hindert uns und keinSchild »Privatgrund, Trinken verboten!«.Nun sah dieser Mensch aber, dass kaum ei-ner seiner Mitmenschen, die doch so durstigwaren, dort hingingen und tranken. Vielleichtwussten sie gar nicht von diesem Fluss undder Qualität seines Wassers. Und wenn doch,warum gingen sie dann nicht hin? Wusstensie vielleicht nicht, wie man dort hingelangt?Oder fürchteten sie, dass das Wasser vergif-tet sein könnte? Vielleicht kamen sie einfachnicht darauf, dass ihr Durst löschbar war, weilsie mit so viel anderem, Alltäglichen beschäf -tigt waren. Vielleicht dachten sie, das sei ebenso; die menschliche Existenz, la condition hu-maine, sei so, dass man durstig sei und Sehn-sucht nach Wasser habe, und dass das eineim Diesseits, in dieser Welt nicht erfüllbareSehnsucht wäre. Er aber wusste, wie gut essich anfühlte, von diesem Wasser zu trin-ken. Es löschte den Durst, und es war genugda für alle. Und es schmerzte ihn, dass kaumjemand davon trank.

Die frohe Botschaft

Deshalb sprach er immer öfter davon, miteinfachen, klaren Worten. Er lobte das Was-ser, er beschrieb, wie es seine Kehle hinun-terrann, und wie gut man sich danach fühl-

te, wenn man davon getrunken hatte. DieMenschen hörten ihm fasziniert zu. So schönhatten sie nur selten jemand vom Wassersprechen hören. Besonders dann, wenn erimmer wieder sagte, dass jeder selbst zumWasser gehen könne, zum Trinken, dass sieihn dazu gar nicht bräuchten und es nichtskoste, lobten sie ihn und seine Bescheiden-heit. So ein großer Redner! Und er predig-te so ganz ohne Arroganz, das gefiel ihnen.Er sprach zu ihnen auf Augenhöhe, hattenichts zu verkaufen und fühlte sich dabeiauch nicht als was Besseres, deshalb ver-sammelten sie sich um ihn in immer größe-ren Mengen, lauschten seiner Rede und emp-fahlen ihn weiter. Immer mehr kamen, undsie fragten nach den Terminen, wann er dennwieder sprechen würde, damit sie ihre Freun-de und die anderen Durstigen mitbringenkönnten. Aber keiner von ihnen ging zum Fluss, umzu trinken.

Zeig es ihnen!

Diesen großartigen Redner, wir könnten ihnAdam nennen, auch wenn sie vielleicht eineFrau war, das soll jetzt keine Rolle spielen.Vielleicht war es ja Lilith, die erste Frau, oderInanna, die große Göttin. Sie hatte erst nochso gerne von dem Wasser gesprochen, wur-de nun aber allmählich immer unwilliger, die-se Reden fortzusetzen. Sollte sie selbst hin-gehen und trinken, um es ihnen zu zeigen?

Reden genügt nicht, du musst es ihnen zei-gen, hatten so viele Coaches ihr immer wie-der gesagt. Also versuchte sie das nun. Alssie sich aber zum Wasser hinunterbeugte, umihnen das Trinken zu zeigen, sorgten sichdie Menschen um ihren Nacken, der sichdabei verspannen könnte, denn viele vonihnen waren in den Körpertherapien bewan -dert. Außerdem könnte sie hineinfallen,fürch teten sie, deshalb riefen sie vorsorglichdie Ambulanz; und die, denen das zu schul-medizinisch war, riefen jemand von Artaba-na herbei. Keiner wollte es ihr nachmachen.Es selbst zu tun erschien ihnen dann dochzu gefährlich.

Die Partitionierung

Daraufhin besorgte Adam sich Flaschen, dieer mit diesem köstlichen Wasser befüllenkonnte. Ein paar hundert davon, das müsstereichen. Jede konnte einen Liter Wasser fas-sen. Und er besorgte sich Etiketten, auf de-

D

So ein großer Redner! Und er predigte

so ganz ohne Arroganz, das gefiel ihnen

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16 März-April 3-4/2015 · www.connection.de

der Wasserverkäufer, und ihr seid die Dur-stigen, so einfach ist es nicht. Wir alle sinddurstig, und wir alle können zum Fluss ge-hen und Wasser trinken. Und diejenigenunter uns, die sich ein bisschen eingehendermit dem Durst und dem Wasser beschäfti-gen, kommen früher oder später darauf, dasses nicht so leicht ist, vom Wasser zu sprechenund von seiner Trinkbarkeit, geschweigedenn andere dazu zu bringen, selbst davonzu trinken. Dann entsteht das spirituelle Ge-schäft. Wer etwas gegen Geschäftemache-

rei mit dem für alle zugänglichen Wasser hat,schweigt daraufhin – und leidet, weil nur sowenige zum Trinken an den Fluss gehen. Dieanderen mühen sich damit ab, die Flaschen

zu befüllen und zeitgemäße, attraktive Eti-ketten zu entwerfen, damit das Wasser auchgekauft wird. Manche von ihnen vergessen

bei dieser doch recht anspruchsvollen Ge-schäftemacherei selber das Trinken – und so-gar das Wesentliche: dass nach wie vor je-der allein zum Fluss gehen kann und dortseinen Durst stillen.

Der Preis

Wie soll man ein Magazin vermarkten, dasvon der Köstlichkeit des Wassers spricht unddavon, dass es für jeden frei verfügbar ist?Würde ich diese Zeitschrift verschenken,

hätte ich zwei Probleme. Das eine: Wer be-zahlt die Herstellungskosten und darunterauch die Lebenshaltung der Menschen, diees erstellen? Das zweite: Die Zeitschrift wür-

de nicht beachtet. Die weitaus meisten spi-rituellen Zeitschriften werden verschenkt,sie finanzieren sich über Anzeigen. Auch

dort stehen inmitten der Anzeigen oft guteTexte über die Köstlichkeit des Wassers, abersie werden ein bisschen weniger ernst ge-nommen, weil es doch »nur Anzeigenblät-ter« sind, die spirituelle Angebote ver-markten. Ist 9 € teuer genug für eine Zeit-schrift, die im Wesentlichen nur von derKöstlichkeit und Erreichbarkeit des Wassersspricht?Ich werde nach diesem Heft von ConnectionSpirit nur noch für zwei weitere Ausgabender verantwortliche Verleger sein. Das ist

meine letzte Chance, den Preis noch einmalzu erhöhen. Sind 12 €genug, um die Bot-schaft rüberzubringen, dass jeder selbst zumFluss gehen kann, um Wasser zu trinken?Dass es niemand anders dazu braucht, keinBuch, keinen Guru, kein Seminar und kei-ne Zeitschrift? Oder besser 15€? Oder, nochbesser, 19,99 € , der Preis für ein gutes Hard -coverbuch? Oder ist das alles noch viel zuwenig? Das Leben ist unbezahlbar, und einganzes Leben lang durstig zu bleiben, dasist nicht mit Gold aufzuwiegen.

Alles ist erlaubt

Jesus hat in Gleichnissen gesprochen. DasDaodejing spricht in vielfältig schillernden

POPSPIRITUALITÄT

Ich bin Fundamenlist nur in einer Hinsicht:

was den Humor betrifft

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A. V

AHAN

VATI

Dieser Shiva, dort, was kostet der? – Last price!

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www.connection.de · März-April 3-4/2015 17

POPSPIRITUALITÄT

Begriffen. Manche schweigen: Meher Baba,die Vipassana-Lehrer, viele Zenmeister. Ach,Wittgenstein, du hattest wohl doch recht.Aber darf man dann nicht wenigstens gegendiejenigen wettern, die falsche Botschaftenverbreiten, die nur Ersatz anbieten statt desEchten? Die uns damit zustopfen und glau-ben machen, wir hätten und wüss ten esschon? Ja, man darf wettern, ebenso wie Ver-

käufer der Ersatzmittel diese anbieten undverkaufen dürfen. Schaut euch die Wirt-schaftsstatistiken an: Ich glaube sogar, dassdie Flaschen sich noch besser verkaufen,wenn sie nicht »köstliches Wasser« enthal-ten, sondern Zuckerwasser, mit Etikettenwie Coca-Cola (»It’s the real thing«, s. S. 20).

Blasphemie

Mein eigener Groll gegen das Unechte unddessen Erfolge auf dem Markt lässt mich nunauch verstehen, warum es im alten Testamentheißt »Du sollst den Namen des Herrn, dei-nes Gottes, nicht unnütz führen« oder dudürftest diesen Namen nicht einmal nennen,oder er hieße nur »Ich bin, der ich bin«.Und warum es religiöse Richtungen gibt, dietrotz all der doch angeblich von Gott selbstgeschaffenen Fülle und Schönheit der Din-ge der Welt sich gegen Idolatrie wenden,gegen Bilderverehrung. Für sie lässt sichGott, das Ganze, das Tao, die Wahrheit hin-ter den Dingen nicht durch einen Gegen-stand darstellen – ebensowenig übrigensdurch ein Wort, meine ich, und das meintauch das Daodejing, so dass es dementspre-chend auch kein Gotteswort geben kann.Dieses Bedürfnis nach dem Schutz des Kost-baren, Ganzen, Unsagbaren, Heiligen stehthinter den diversen »Blasphemie«-Gesetzen,diesen schrecklichen Verboten einer Got -teslästerung, von denen manche sogar dieTötung der Delinquenten verlangen – wasmeist Menschen waren, die dem Tao, Gott,der Wahrheit näher waren als ihre Richter,weil sie von allein, ohne Anleitung und oh-ne priesterlichen Segen zum Fluss gegan-gen waren und dort Wasser getrunken hat-ten.

Heiliger Geist

Nein, kein Verbot von Unsinn, Irrtum undLästerung sollte es geben, alles muss erlaubtsein, alles außer Gewalt. Ich bin Funda-

menlist nur in einer Hinsicht: was den Hu-mor betrifft (und während ich dies sage, füh-le ich mich dabei schon lächerlich.) Manmuss über alles lästern dürfen: über denMarkt und jedwede Anbetung und Vergöt-terung von Diesseitigem und Jenseitigem.Man muss es nicht tun, oft kreiert man da-mit doch nur unnötige Konflikte, weil manMenschen in ihrem Heimatgefühl verletzt,

aber es muss grundsätzlich erlaubt sein.Geist verlangt diese Freiheit, um sich be-wegen und entwickeln zu können, auch derHeilige Geist, gerade der. Denn Geist istdie Freiheit, jeden Standpunkt einnehmenzu können, und die Radikalität in der Aus-übung dieser Freiheit sollte uns heilig sein,weil sie alles transzendiert. Mit dem »Heili-gen Geist« kann kein Gespenst aus einer an-deren Welt gemeint sein, das wäre dann dochnur wieder ein mythischer Vogel zum Ab-schießen, will sagen: fürs weitere Transzen-dieren. Wenn man schon aus »Geist« nochetwas Heiliges herausholen und extra stel-len will, dann die Radikalität und Grenzen-losigkeit in der Anwendung dieser Freiheit.

Heiliger Zorn

Ich werde deshalb weiterhin ab und zu ge-gen das Begaffen von Fetischen und Er-leuchtungswegen ablästern, woraufhin mirdann sicherlich wieder bescheinigt wird, »einDing damit« zu haben; meist wird mir net-terweise auch noch irgendeine Therapieempfohlen, damit ich das »loslassen« undentspannen könne. Möge jeder selbst ent-scheiden, ob mein Zorn ein heiliger ist, wieman ihn dem mythisch-historischen Jesus an-dichtet, der die Händler aus dem Tempel ver-trieben haben soll, oder ein zu bedauernderund zu therapierender. Ich habe auch nicht grundsätzlich etwas ge-gen Pseudogurus, Rattenfänger und Schar-latane. (Die letzteren sind mir sogar beson-ders nah ans Herz gewachsen, habe ich dochfür sie neulich eine »Mysterienschule derScharlatane« gegründet.) Sie bereichern dieSzene, sie sind ein Zeichen von Vielfalt, siebringen bunte Farben in eine Gesellschaft,die sonst vielleicht nur aus Gut- undSchlecht menschen bestünde. Heucheleischadet dem, der heuchelt, letztlich mehr alsseinen Opfern, die ihm auf den Leim ge-hen. Geschäftemacherei ist nicht grundsätz-lich schlecht; das Funktionieren der Wirt-schaft ist nach wie vor die wichtigste Vor-

aussetzung für unser materielles Wohlbe-finden, und Märkte können so viel Gutesleis ten, sie bieten Wettbewerb, Vergleichs-möglichkeiten, Alternativen. Schon immerbin ich gerne auf arabische Suqs und türki-sche, persische, indische Bazare gegangen,allein schon die Vielfalt der dortigen Düfteund Farben lohnt; und auch Ebay ist gelin-de gesagt erstaunlich. Wenn wir bei all der Angebotshascherei abervergessen, dass wir Luft atmen können unddas auch dürfen, ohne Genehmigung und oh-ne Gebrauchsanleitung; dass Wasser trink-bar und zumindest in Bergbächen noch sau-ber ist und dort auch nichts kostet; wennwir vergessen, dass wir Sonnenuntergängeam Meer – noch – ohne Eintritt zu bezahlenansehen dürfen, und dass wir lieben dürfen– und das vielleicht sogar auch können –ohne Schulabschluss, dann ist etwas faul anunserer Religiosität und Lebensphilosophie.Dafür möchte ich werben – ich als durchausermüdlicher Wasserverkäufer am Lebens-fluss und Prediger des Selbstverständlichen.

Der Finger und der Mond

»Lesen ist leben« ist der Slogan des Her-der-Verlages, der seit vielen Jahren unzähli-ge spirituelle Bücher herausgibt und die geis -tige Heimat von Anselm Grün ist und vonvielen weiteren großen Autoren. Jedes Jahrwieder komme ich auf der Frankfurter Buch-messe am Eingang zur Halle 3.1 am Her-der-Stand vorbei und wundere mich. Wiekann das der Slogan eines spirituellen Ver-lages sein? Starre nicht den Finger an, derauf den Mond zeigt, heißt es im Zen. Nichtfür die Schule lernen wir, sondern fürs Le-ben, ist ein Grundsatz der Bildung. Wennschon das Lesen übers Leben für Leben-digkeit gehalten wird, dann sind wir dochnoch in Platons Reich der Schatten an derHöhlenwand. Nein, das Lesen ist nur einekleine, sehr besondere Variante des Lebens,eine Variante, die zu Wissen führen kann –wenn denn die Texte gut sind und wahrhaf-tig. Das Lesen, Schreiben oder Nachden-ken über das Leben sollte aber nicht mit demLeben verwechselt werden, der Finger nichtmit dem Mond. Und eine schöne Rede überdas Wasser im Fluss sollte nicht mit dem Ge-nuss des Wassers selbst verwechselt werden.Nur das Trinken löscht den Durst, nicht dasZuhören. Also, vergesst bitte diesen Text,geht trinken!

Heuchelei schadet dem, der heuchelt,

letztlich mehr als seinen Opfern,

die ihm auf den Leim gehen

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WOLF SCHNEIDER, Jg. 1952. Autor, Redakteur,Kursleiter. Studium der Naturwissenschaften undPhilosophie (1971–75) in München. 1975–77 inAsien. 1985 Gründung der Zeitschrift Connection.Seit 2007 Theaterspiel & Kabarett. Kontakt:[email protected]

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POPSPIRITUALITÄT

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EROhne ein Warum zu leben ist näher am

Wesentlichen als ein bloßes Funktionieren

WOLF SCHNEIDER IM GESPRÄCH MIT KONSTANTIN WECKER

Die

mystische Rose

Begriffe altern und werden missbraucht. So ist es dem Begriff »Esoterik« ergangen, unddann dem Begriff »Spiritualität«, und davon wird wohl auch der Begriff »Mystik« nichtverschont bleiben. Dagegen können wir uns nicht wehren. Manches aber überdauert wie

durch ein Wunder. Als sei sie von heiliger Hand gehalten und geschützt hat Angelus Silesius’Sentenz »Die Ros ist ohn Warum, sie blühet, weil sie blühet. Sie acht’t nicht ihrer selbst,

fragt nicht, ob man sie siehet« die Zeiten überdauert und berührt uns noch heute

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POPSPIRITUALITÄT

zu verfolgen. Das können wir nicht verhindern.Ich aber sage heute mit Angelus Silesius »DieRos ist ohn Warum, sie blühet, weil sie blühet.Sie acht’t nicht ihrer selbst, fragt nicht, obman sie siehet« und glaube, dass man das auchheute noch verstehen kann, obwohl Silesiusdas im 17. Jahrhundert formuliert hat. »Ich sin-ge, weil ich ein Lied hab’«, so hab’ ich das schonvor 40 Jahren gesagt und gesungen. Heute sindMys tik und die Suche nach dem Ewigen fürmich noch viel bedeutsamer geworden. Unddieses »Leben ohne Warum«, das ja auch schonein Kerngedanke bei Meister Eckhart war – sozu leben, so ohne Berechnung, vielleicht auchohne Sinn, wie eine Rose die einfach blüht undsich dabei nicht fragt, ob sie das darf und obdas irgendeinen Sinn ergibt. Ob jemand sichspirituell nennt oder nicht, ist mir fast egal. Eswird ja so viel dahergeredet, weil man weiser,erleuchteter oder frommer scheinen möchteals man ist. Ich lebe einfach schrecklich gerne, so wieich es in diesem Lied formuliert habe. Manch-mal habe ich Angst vor dem Tod, dann fleheich darum, dass dieses schöne Leben nichtenden möge; und dann wieder erscheint esmir als richtig, passend und natürlich, dass ichauch davon werde Abschied nehmen müs-sen. Und bei all meiner Neigung zur Mystikund Hinwendung zum Ewigen werde ichnicht aufhören, Widerstand zu leisten gegeneine Gesellschaft, die so sehr auf Leistungund Gewinn ausgerichtet ist, dass der Menschdabei kaum mehr zählt und nur noch funk-tionieren muss. Empathie und Mitmensch-lichkeit gehen dabei vor die Hunde. Mir gehtes inmitten all des Wahnsinns unserer heuti-gen, von Leistung, Gier und Wettbewerb be-stimmten Gesellschaft um die Rückbesinnngauf das Wesentliche, und die ist für mich – zurZeit jedenfalls noch – in dem Begriff »My-stik« besser eingefangen und aufgehobenals in dem Begriff »Spiritua lität«.

Konstantin Weckers neue CD »Ohne Warum«, an der erjetzt gerade arbeitet, wird im Juli erscheinen.Zusammen mit Margot Käßmann gibt Konstantin Weckerein neues Buch heraus: Entrüstet euch – WarumPazifismus für uns das Gebot der Stunde bleibt; eserscheint am 23. März im Gütersloher Verlagshaus.Konstantins Webseite (redigiert von Roland Rottenfußer)findet ihr unter: www.hinter-den-schlagzeilen.de.

allo, Konstantin, mir scheint, dass heute je-der irgendwie ein bisschen spirituell seinwill. Es ist chic geworden, es liegt im Trend,

aber die meisten würden kein bisschen von ihrer bis-herigen Lebensweise, ja oft nicht mal Denkweise dafüropfern. Wobei das ja kein Opfer sein muss im Sinnevon Verzicht, es ist ein Gewinn! Aber ich wünsche mirdabei mehr Tiefe, mehr Echtheit. Deshalb habe ich oftdas Gefühl, lieber Nein sagen zu wollen, wenn mich je-mand fragt »Bist du spirituell?«. Immer öfter habe ichdabei das Gefühl, nicht in guter Gesellschaft zu sein.Der Begriff scheint mir ausgehöhlt, leer, fast bedeu-tungslos. Wie geht es dir damit?Ich habe mir seit einiger Zeit abgewöhnt vonSpiritualität zu sprechen. Aus eben diesenGründen, die du aufgeführt hast. Und fürmich wird der Begriff Mystik immer wichti-ger. Lieber bezeichne ich mich als Myste, alsSuchenden, der versucht das Ewige zu er-spüren, ohne Vermittlung von Priestern undMeistern. Das zu erspüren, vielleicht sogarzu be-greifen, wenn auch nur kurz und stetsaußerhalb der Zeit, im Nu, im Jetzt, im Im-merwährenden. Wohl wissend, dass es immerwieder Abstürze gibt, ein Versinken in die»dunkle Nacht« des Johannes vom Kreuz,und eben auch die Abstürze in die Verführ-barkeit des Sinnlichen, der Ablenkungenaller Art, Zeiten des Unangebundenseins,Zeiten verlockender Gottlosigkeit.

Ich glaube, in nebenstehendem Gedicht überdie Vergänglichkeit, das ich gerade als Liedim Studio aufnehme, habe ich diese Zerris-senheit besser als mit ach so klugen Wortenbeschreiben können.Auch ich verwende den Begriff Spiritualität kaum mehr,es sei denn zur Beschreibung der Denkweise und Bil-derwelt einer Zielgruppe, die gewissen Gewohnheitenund Klischees verhaftet ist, die sie für transzendenthält, wie das die Religionen ja auch schon immer tun.Mystik ist gewiss der bessere Begriff für das, was duund ich suchen und zu praktizieren versuchen. Nochist er das! Denn wenn der Begriff »Mystik« einmal be-ginnt, größere Kreise anzusprechen, wird auch das fürVermarkter eine lohnende Zielgruppe sein. Dann wer-den sie die Accessoires der mystischen Lebensweisezu verkaufen suchen. Der Workshop, der durch »diedunkle Nacht der Seele« führt, wird dann bei sehr großerDunkelheit auch ziemlich teuer sein. Wie sollen wirdamit umgehen, dass alles, wirklich alles, was sich sa-gen oder zeigen lässt, vermarktbar ist? Wie gehst dudamit um?Ich überlege nicht, ob das, was ich sage oderdie Lieder, dich ich singe, irgendwann von ir-gendwem missbraucht werden könnten. Klarkönnen sie das! Sie können missverstandenwerden, und sie werden missverstanden. Siekönnen missbraucht werden, und natürlich gibtes schon heute Menschen, die das, was ich sa-ge, verdrehen, um damit ihre eigenen Zwecke

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KONSTANTIN WECKER,geb. 1947 in München,ist verheiratet undVater zweier Söhne. Er komponiert undsingt seine selbstgetexteten Lieder überLiebe, den Menschenund die Welt und istdabei ein scharferGesellschaftskritiker

und unerschütterlicher Pazifist. www.wecker.de

H

Dass alles so vergänglich istauch wenn es überschwänglich ist und scheinbar für die Ewigkeit gemacht und gilt für alle Zeit

dass das dann doch wie nebenbei verpufft, entfernt aus der Kartei,ein Leben wie ein Paukenschlag vergehen muss an einem Tag

und in der letzten Stunde dannnichts dir die Zeit anhalten kann– auch keiner hat Gevatter Todjemals wohl mit Erfolg gedroht

Und doch, wenn ich so Bilder sehaus schöner Zeit, dann tut es wehdass sich nichts rüber nehmen lässtin diese Welt des Hier und Jetzt,

dass die oft herrlich warme Zeit verlorener Vergangenheitnicht mehr präsent ist wie zuvor.Da steh ich nun, ich armer Tor

und würd mich gern an Weisheitslehrenberauschen oder gar verzehrenich hab so gern gelebt und nunmacht es mir Angst mich auszuruhen.

Dass alles Schöne endlich istund oft nur das, was schändlich ist

dir mahnend im Gedächtnis bleibtstets wiederkehrt und Unfug treibt

Und dass das Glück so flüchtig istdoch das, wonach man süchtig istund an das Schreckliche gemahnt im Rad des Werdens fest verzahnt.

Es gibt Geläuterte, die meinenman würd sich dann mit sich vereinen

und selig in den Himmel schwebenjedoch verzeiht mir – ich will leben

zum Leben ward ich doch geborendem Leben hab ich mich verschworen

und ach, des Todes Possenspielscheint mir noch nicht das rechte Ziel!

Ich ahn’s, jetzt wär es an der Zeitfür Wunsch- und KörperlosigkeitErleuchtung ist jetzt das Gebot

sie hebt dich fort aus deiner Not

und ja, ich hab es auch studiertmit Inbrunst selbstlos meditiert

und fühl mich manchmal auch ganz klugdoch kenn ich auch den Selbstbetrug

Drum nehmt zum Schluss die Botschaft hinich scheine weiser als ich bin.

Erleuchtung ist mir noch so fern:ich lebe einfach schrecklich gern!