19
SPIRITUALITÄT IM PFLEGEALLTAG: NUR EIN ADD-ON ODER WESENTLICHER BESTANDTEIL RESSOURCENORIENTIERTER PFLEGE? Referentin: Prof. Dr. Constanze Giese, Professorin für Ethik und Anthropologie in der Pflege Dekanin am Fachbereich Pflege der Katholischen Stiftungsfachhochschule München Spiritualität – Kraftquelle in/für Pflege und Begleitung 17.Februar 2017 in Eichstätt Aula der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt

SPIRITUALITÄT IM PFLEGEALLTAG: NUR EIN ADD … · Prof. Dr. Constanze Giese Kann die Rückbesinnung auf originär spirituelle Aufgaben im Kontext pflegerischer Sorge den Blick für

  • Upload
    vanngoc

  • View
    217

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

SPIRITUALITÄT IM PFLEGEALLTAG: NUR EIN ADD-ON ODER WESENTLICHER BESTANDTEIL RESSOURCENORIENTIERTER PFLEGE?

Referentin: Prof. Dr. Constanze Giese, Professorin für Ethik und Anthropologie in der Pflege

Dekanin am Fachbereich Pflege der Katholischen Stiftungsfachhochschule München

Spiritualität – Kraftquelle in/für Pflege und Begleitung 17.Februar 2017 in Eichstätt Aula der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt

Übersicht ! 1. Sinn oder Zweck des Spiritualitätsdiskurses?

Warum kommt dem Thema Spiritualität derzeit so viel Aufmerksamkeit und Bedeutung zu?

! 2. Spiritualität der Pflege als Spiritualität der Pflegenden? ! 2.1. Spiritualität in der Ausbildung:

Zwischen Autodidaktik und Theodizee ! 2.2. Spiritualität und berufliches Selbstverständnis:

Für die kleinen Dinge des Alltags zuständig sein ! 3. Spirituelle Sorge für den Menschen als Add-on –

oder als selbstverständlicher Aspekt pflegerischer Versorgung   ! 4. Wie Pflegende selbst spirituelle Aspekte ihrer Tätigkeit erleben ! 5. Spiritualität als Ressource –

Gelassenheit anstelle von „auch das noch“

2

Prof. Dr. Constanze Giese

1. Sinn oder Zweck des Spiritualitätsdiskurses? Warum kommt dem Thema Spiritualität derzeit

so viel Aufmerksamkeit und Bedeutung zu?

Die Bedeutung der Spiritualität des Menschen für sein gesundheitliches Outcome, z.B. in:

!  Glaube und verringertes Krankheitsrisiko LEVIN, JEFFREY S. God, Faith, and Health - Exploring the Spirituality-Healing Connection. New York: J. Wiley, 2001

!  Glaube und Lebensdauer LA COUR, PETER, KIRSTEN AVLUND, and KIRSTEN SCHULTZ-LARSEN. "Religion and Survival in a Secular Region. A Twenty Year Follow-Up of 734 Danish Adults Born in 1914." Social Science & Medicine 62, no. 1 (2006): 157-64.

!  Glaube und Genesung (psychisch und physisch) FALLOT, ROGER D. "Spirituality and religion in psychiatric rehabilitation and recovery from mental illness." International Review of Psychiatry 13, no. 2 (2001): 110-116.

!  Glaube und Krankheitsverarbeitung PARGAMENT, K. I., KOENIG, H. G., TARAKESHWAR, N. & HAHN, J. (2001) Religious Struggle as a Predictor of Mortality among Medically Ill Elderly Patients: A 2-Year Longitudinal Study. Arch Intern Med, 161, 1881-1885. Literaturauswahl nach Roser 2016

3

Zweckfreiheit von Spiritual Care Die Zeiten sind vorbei, in denen man sich aus gesundheitsförderlichen Gründen fast für Blaise

Pascals Wette entscheiden mußte:

„Wenn Du an Gott glaubst, aber Gott existiert nicht, so verlierst Du nichts – aber wenn Du nicht an Gott glaubst, und Gott existiert, so wirst Du in die Hölle geworfen. Deswegen ist es dumm, nicht an Gott zu glauben.“ (Blaise Pasacal 1623-1662)

Genauso wenig ist es empfehlenswert, religiös oder in bestimmter Weise spirituell zu werden, um gesund zu werden.

„Spiritual Care will jedoch nicht die Spiritualität instrumentalisieren, um bestimmte gesundheitsbezogene Ziele zu erreichen, so erstrebenswert diese auch sein mögen.“ (Eckhard Frick SJ 2012:22-23)

1. Sinn oder Zweck des Spiritualitätsdiskurses? Warum kommt dem Thema Spiritualität derzeit

so viel Aufmerksamkeit und Bedeutung zu? 4

Prof. Dr. Constanze Giese

Die Bedeutung der Spiritualität für die Selbstsorge der Pflegenden:

Glaube und verbesserte Resilienz, Stressresistenz und Belastbarkeit „Ressourcenorientierung ist nicht gedacht für Verleugnung, Bagatellisierung und Beschönigung. Die Frage nach der Resilienz darf nicht dafür missbraucht werden, Menschen abzuverlangen, dass sie sich mit sozialer Ungerechtigkeit, Gewalt, ungünstigen, ausbeuterischen Arbeitsbedingungen unter denen z.B. Pflegende leiden oder ungünstigen Betreuungsverhältnissen ‚resilient‘ abfinden sollen.“ (Luise Reddemann 2014, zitiert nach Roser 2014)

1. Sinn oder Zweck des Spiritualitätsdiskurses? Warum kommt dem Thema Spiritualität derzeit

so viel Aufmerksamkeit und Bedeutung zu? 5

Prof. Dr. Constanze

Aufwertung der Pflege durch Zuschreibung spiritueller Aufgaben?

!  Worin kann die Aufwertung durch scheinbar pflegefremde Tätigkeiten bestehen?

Oder sollten wir eher die Frage stellen:

!  Woher kommt die Abwertung der Pflege und ihres Zuständigkeitsbereiches im Verhältnis zu anderen Berufen und Handlungsfeldern?

!  Im Aufwertungsdiskurs der Pflegeberufe geht es im Kern auch um Spiritualität der Pflege: Um das Erleben von Sinnhaftigkeit, von Wert-vollem Tun und von Selbst-Wert-Gefühl in der alltäglichen pflegerischen Arbeit

1. Sinn oder Zweck des Spiritualitätsdiskurses? Warum kommt dem Thema Spiritualität derzeit

so viel Aufmerksamkeit und Bedeutung zu? 6

Prof. Dr. Constanze Giese

Kann die Rückbesinnung auf originär spirituelle Aufgaben im Kontext pflegerischer Sorge den Blick für fehl gelaufene Diskurse über scheinbar aufwertungsbedürftige Pflegeberufe schärfen?

!  „Augustinus sagt, Gott habe keinem Geschöpfe das Nach-dem-Bilde-Sein verliehen außer dem Menschen. Es ist also nicht wahr, dass der Engel in einem höheren Sinne ,nach dem Bilde Gottes‘ genannt wird als der Mensch.“ Thomas von Aquin (1225-1274), STh I, q93

1. Sinn oder Zweck des Spiritualitätsdiskurses? Warum kommt dem Thema Spiritualität derzeit

so viel Aufmerksamkeit und Bedeutung zu? 7

Prof. Dr. Constanze Giese

Arbeitsdefinition Spiritualität Spiritualität als:

Alles was unsere Fähigkeiten als Mensch betrifft, zur: •  Selbsttranszendenz •  Beziehungen, Liebe, Wünsche, Kreativität •  Altruismus und Hingabe •  Überzeugung und Glaube und darin die dynamische und einmalige Identität und Integrität der Person ausmacht. (vgl. Wasner 2007:17)

Spiritual Care als:

„die Sorge der Gesundheitsberufe um die spirituellen Nöte, Krisen und Wünsche kranker Menschen.“ (Frick 2012:20)

8

Prof. Dr. Constanze Giese

2. Spiritualität der Pflege als Spiritualität der Pflegenden?

2.1. Spiritualität in der Ausbildung: Zwischen Autodidaktik und Theodizee

!  Pflegeschülerinnen und –schüler als religiöse Autodidakten (v. gr. autos= selbst, didasko= lehren)

!  Themen der Religiosität und Spiritualität werden im Unterricht kaum thematisiert und wenn, dann „im Sterbeseminar“ (Mandl-Schmidt 2012:130ff)

!  Die Schülerinnen sind auffallend motiviert an der Studie teilzunehmen (Mandl-Schmidt 2012:223)

9

Prof. Dr. Constanze Giese

2.1. Spiritualität in der Ausbildung: Zwischen Autodidaktik und Theodizee

!  „Die Erfahrung von Leid und Tod ruft nach Antworten, die junge Erwachsene in der Regel noch nicht geformt haben.“ (Mandl-Schmidt 2012: 227)

!  Auch berufserfahrene ältere Kolleginnen und Kollegen „müssen die letzten Fragen immer wieder neu beantworten, bei Menschen in medizinischen Berufen stellt das eine permanente Herausforderung dar.“ (Mandl-Schmidt 2012: 227)

10

Prof. Dr. Constanze Giese

2.2. Spiritualität und berufliches Selbstverständnis:

Gerade darin liegt die Stärke der pflegerischen Sorge für die spirituellen Bedürfnisse des Patienten: in ihrer situativen, ungeplanten und alltäglichen Zugänglichkeit.

„Die einzige Funktion der Krankenschwester besteht darin, dem Menschen, ob krank oder gesund, zu helfen, bei Handlungen, die zur Gesundheit oder deren Wiedererlangung beitragen (oder einem friedlichen Tod), die er ohne Hilfe ausführen würde, wenn er die notwendige Kraft, den Willen oder das Wissen hätte. Und das ist so zu machen, dass er so schnell wie möglich wieder unabhängig wird.“

(Henderson, zitiert nach Pfabigan 2008: 31)

11

Prof. Dr. Constanze Giese

Spiritualität des Menschen in grundlegenden Pflegemodellen

•  LA, Lebensaktivitäten nach Roper et al. (2009): - Sterben (sic!)

•  ATLs nach Juchli (1991), Schewior-Popp et al (2012): - Sinn finden können im Werden, Sein, Vergehen

•  ABEDLs nach Krohwinkel (2013): (- soziale Bereiche des Lebens sichern) - mit existentiellen Erfahrungen des Lebens umgehen

12

Prof. Dr. Constanze Giese

Pflege und Spiritualität - Anknüpfungspunkte •  Der Leib, der den Dienst versagt und der Pflege bedarf, bedroht das Ich in radikaler, in existenzieller Weise. •  Die Sorge für die seelischen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen ist kein neumodisches Add-On zur selbstverständlichen, körperlichen pflegerischen Versorgung, sondern gehört traditionell und selbstverständlich zum Beruf der „Krankenschwester“ oder wie es heute heißt, der Gesundheits- und Krankenpfleger/in.

13

Prof. Dr. Constanze Giese

2. Spirituelle Sorge für den Menschen als selbstverständlicher Aspekt pflegerischer Versorgung:

Bild 1

14

Prof. Dr. Constanze Giese Wenn das Leben unerträglich wird

Florence Nightingale (1820-1910): Breaking the Lamp?

Die scheinbare Alltäglichkeit pflegerischen Handelns und die Fokussierung medizinisch technischer Assistenz führte dazu, dass die Pflege den Blick auf unseren menschlichen Leib als einzige Daseinsweise, als die Existenz, die wir haben, teilweise verloren hat. Bild 2

15

Prof. Dr. Constanze Giese

!  In der Pflege ist die leibseelische Einheit des Menschen nicht bloß ein schöner Gedanke, sondern tägliches Brot.

!  „...die Haltung dessen, als wer man pflegt spielt immer hinein in das Wie.“ (Mayer 2009:75)

4. Wie Pflegende selbst Spiritualität ihrer Patienten und spirituelle Aspekte ihrer Tätigkeit erleben

16 Prof. Dr. Constanze Giese

5. Spiritualität als Ressource – Gelassenheit anstelle von „auch das noch“

„Die Pflegenden sind diejenigen, die am meisten direkten und speziellen körperlich-sinnlichen Kontakt mit den Patienten haben. Auf dieser Ebene wird in jeder Berührung, in pflegerischen Maßnahmen, bei der Hilfe zur Nahrungsaufnahme u.ä. eine besondere Achtsamkeit und Sensibilität erfahrbar – oder eben nicht. Wird trotz der Alltäglichkeit von Handgriffen in den Begegnungen zwischen Patienten und Pflegenden etwas von dem Respekt vor der einmaligen Würde und dem ‚mehr als nur der zu behandelndem Körper‘ erlebbar?“ (Hagen, Raischl 22011:288)

17

Prof. Dr. Constanze Giese

5. Spiritualität als Ressource – Gelassenheit anstelle von „auch das noch“

18

Prof. Dr. Constanze Giese

Nach einer langen und ereignisreichen Schicht versorgt Jackie einen Patienten, wobei ihr beinahe ein lebensbedrohlicher Fehler passiert. Nebenbei schildert ihr die Pflegeschülerin Zoey, wie üblich in rosafarben gemusterter Dienstkleidung, ihre Gedanken zu all dem Leid, dass sie täglich erlebt und dass sie irgendwie zu verstehen versucht.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Literatur: Association of Hospice and Palliative Care Chaplains of the UK 2007, Nature and scope of spiritual care, zitiert nah: Wasner Maria, Bedeutung von Spiritualität und Religiosität in der Palliativmedizin, Saarbrücken 2007:17 Augustinus Aurelius, Bekenntnisse, Buch 8, München 61992 Bobbert Monika, Patientenautonomie und Pflege, Frankfurt/Main 2002, S.41-46 v.a. 44-45 Bradshaw Ann, The legacy of Nightingale, Nursing Times 92 (6), 1996:42-43 Frick Eckhard, Spiritual Care zwischen Kirche, Theologie und Medizin. In: Epistula (Herzogliches Georgianum), 61/2012:20-26. Juchli Liliane, Krankenpflege. Praxis und Theorie der Gesundheitsförderung und Pflege Kranker, Stuttgart, New York, 1991 Krohwinkel Monika, Fördernde Prozesspflege mit integrierten ABEDLs, Bern 2013 Mandl-Schmidt Iris, Religionsanthropagogik. Bildungsbegleitung religiöser Autodidaktik in Pflegeausbildungen, Tübingen 2011 Mayer Hanna, Die spirituelle Dimension pflegerischen Handelns, in: Körtner Ulrich H.J, Müller Sigrid, Maria Kletecka-Pulker, Julia Inthorn, Spiritualität, Kultur am Krankenbett, Wien 2009, S.71-80 Pieper Annemarie, Selber Denken, Anstiftung zum Philosophieren, Leipzig 52002:31-34 Pfabigan Doris, Pflegeethik - interdisziplinäre Grundlagen, Wien, Münster 2008 Puchalski Christina M., The Role of Spirituality in the Care of Seriously Ill, Chronically Ill, and DyingPatients, in: dies. A Time for Listening and Caring. Spirtuality and the Care of the Chronically Ill and Dying, New York 2006 Roper Nancy et al, Das Roper-Logan-Thierney-Modell basierend auf Lebensaktivitäten, Bern 2009 2016 Roser T., die Bedeutung von Spiritualität für Wissenschaft, Glabe und Gesundheit, Vortrag beim Interdisziplinären Symposium IV, Gotteserfahrungen und Alltag, Borken 20.2.2016 Schewior-Popp S., Thiemes Pflege: Das Lehrbuch für Pflegende in Ausbildung, Stuttgart 11 2012 Schnell Martin W., Pflege und Philosophie, Bern 2002 Thomas v. Aquin, Summa Theologiae, I q93 Uzarewicz Charlotte, Uzarewicz Michael, Das Weite suchen. Eine Einführung in phänomenologische Anthropologie für Pflege, Stuttgart 2005 Wasner Maria, Bedeutung von Spiritualität und Religiosität in der Pallitivmedizin, Saarbrücken 2007 Bildernachweis: Bild 1: http://media.kunst-fuer-alle.de/img/36/m/36_181233.jpg Bild 2: http://www.bbc.co.uk/arts/yourpaintings/paintings/florence-nightingale-as-the-lady-with-the-lamp-125797

19

Prof. Dr. Constanze Giese