Upload
redbircs
View
9
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
SPORT
1
S P O R T - D E B A T T E
Sportler sind keine VorbilderBekannt werden nur die Athleten, die sexy fürs Fernsehensind. Das ist nicht verwerflich, beraubt aber den Sport seinerpädagogischen Wirkung. Ein philosophisches EssayVON Gunter Gebauer | 23. September 2013 - 17:04 Uhr
© AFP/Getty Images
Robert Harting
Dieser Text ist Ausgangspunkt für das vierte Philosophische Armdrücken mit Gunter
Gebauer. In der Sportdebatte von ZEIT ONLINE geht es diesmal um die Frage: "Sind
Sportler Vorbilder?" Der Autor wird am Donnerstag, den 26. September, im Berliner
Veranstaltungsraum von ZEIT ONLINE die Reaktionen auf seinen Text diskutieren und
gegen den Fernsehjournalisten Michael Steinbrecher antreten , der für die Gegenposition
steht. Der Eintritt ist frei, Anmeldung per E-Mail an anmeldung [at] zeit.de.
Sport ist Ästhetik, Glamour, Erotik. Doch ist er auch eng mit pädagogischem Denken
verbunden, das hat historische Gründe. Sport und Schule sind seit dem 19. Jahrhundert eine
Partnerschaft eingegangen, in der sie sich gegenseitig stützen. Heute wie damals wird diese
Allianz mit einer scheinbar unschlagbaren Behauptung beschworen: Sportler sind Vorbilder
für die Gesellschaft. Doch stimmt sie?
Angefangen hat die pädagogische Nutzung des Sports, als das Schulfach "Leibesübungen"
um 1850 eingeführt wurde. Die preußische Schule sollte durch sportliche Übungen
körperlich belastbare junge Männer ausbilden. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts
propagierte der französische Baron de Coubertin die edle Haltung der olympischen
Wettkämpfer als Vorbild für die berufliche und wirtschaftliche Konkurrenz.
privat
GUNTER GEBAUER
Gunter Gebauer, geb. 1944, ist Professor für Philosophieund Sportsoziologie an der Freien Universität Berlin. SeineArbeitsschwerpunkte sind Historische Anthropologie,Sprachtheorie und Sozialphilosophie. In seinen Büchernbefasst er sich mit dem Mythos der Olympischen Spielesowie anthropologischen und soziologischen Fragen desSports. Er ist Mitglied des Exzellenzclusters Languages ofEmotion.
Bis heute gilt die Vorbildwirkung von Sportlern bei allen Institutionen des Sports als
unumstößliche Tatsache. Sie wird als zentrales Argument für die staatliche Sportförderung
in Deutschland genutzt: Erfolge im Spitzensport motivieren die Deutschen angeblich zur
SPORT
2
Nachahmung, von den Spitzensportlern übernehmen sie angeblich die Werte des Fairplay
und der Persönlichkeitsbildung.
Schon ein erster Blick lässt daran zweifeln. Wenn es stimmte, dass Goldmedaillen zur
Nachahmung anregen, würden besonders viele Jugendliche in die Sportarten strömen,
in denen deutsche Athleten sehr erfolgreich sind. Wir wären ein Land von Kanuten,
Dressurreitern, Biathleten, Hockeyspielern, Fechtern, Diskuswerfern.
Auf Nachahmungseffekte kann sich keine Sportart verlassen. Erfolge deutscher Athleten
heben zwar unbestreitbar das Interesse an ihren Sportarten, oft jedoch nur mit kurzer
Halbwertzeit. Vielmehr wird der Nachwuchs durch die exzellente Arbeit von Trainern,
Vereinen und Leistungszentren für den Sport gewonnen. Im Turnen und Skifahren
sind lange Zeit erfolgreiche Vorbilder ausgefallen, dennoch werden sie von sehr vielen
Deutschen betrieben. Dieses Interesse ist in langfristig ausgebildeten Lebensstilen,
Freizeitvorlieben und Körpereinstellungen fundiert.
Auch die hohe Beteiligung von Jugendlichen am Fußball ist nicht an die schwankenden
Konjunkturen der deutschen Nationalmannschaft gebunden. Fußball hat traditionell
eine herausragende Stellung in der Alltagskultur der Deutschen, die durch die extreme
Bevorzugung durch die Medien noch gestärkt wird.
Ein Zusammenhang zwischen Erfolg und Wirkung ist auch für Athleten nicht
nachzuweisen. Sie müssen mehr bringen als Siege. Erst wenn sie einen hohen
Bekanntheitsgrad erlangt haben, gerät ihre Persönlichkeit in den Blick. Allerdings folgt die
Logik der Popularität nicht jener der Pädagogik. Nicht wer sich zum Vorbild für die Jugend
eignet, wird berühmt.
Sonst würde sich – ein aktuelles Beispiel – die Öffentlichkeit mehr mit Martin Häner
befassen. Verdient hätte er es. Kurz nach dem Gewinn der Goldmedaille im Hockey schloss
er erfolgreich sein Medizinstudium ab. Eine großartige Leistung. Selbst eine ganzseitige
Zeitungswerbung, die ihn als "Sport-Stipendiaten des Jahres" feiert, wird ihm wohl kaum
die Popularität verschaffen, die notwendige Voraussetzung für eine Vorbildwirkung ist.
Popularität erhalten Sportler und Sportlerinnen erst dann, wenn sie in den Medien eine
Rolle spielen und diese wirkungsvoll ausfüllen. Eine hohe Aufmerksamkeit erfährt ein
Athlet selbst in einer Sportart wie Gewichtheben, wenn er seine Goldmedaille mit einer
tragischen Geschichte verbindet. Ein Teenager wird berühmt, wenn er für das Verlassen
des Vereins, der ihn jahrelang gefördert hat, mit Reichtum belohnt wird. Sporterfolge
werden von den Angehörigen eines begabten Jugendlichen als Eintritt in die Laufbahn
eines Großverdieners wahrgenommen.
Menschliche Schicksale, die Verständnis verdienen
Das Geld des zukünftigen Krösus fließt jedoch nur unter der Bedingung, dass er für
Werbung, Vereine, für das Fernsehen als "sexy" gilt. Seine Präsenz muss zu einem
SPORT
3
Event werden. Nur selten funktioniert dies ohne die Bereitschaft des Athleten, sich dem
allgemeinen Voyeurismus hinzugeben. Aus der ursprünglich privaten Existenz wird ein
Leben im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, das mit zunehmendem Alter in die Karriere
eines Partygängers konvertiert wird. Das Interesse gilt dann der neuen Freundin des
ehemaligen Jungstars oder dem Schicksal der früheren Schwimmqueen, die sich von ihrem
Lebenspartner vor dem Gefängnistor verabschiedet.
Zugegeben, dies sind Extrembeispiele. Wen aber hat man uns nicht alles zum Vorbild
angeboten? Jeder kann in Gedanken eine lange Liste zusammenstellen, angefangen mit den
entlarvten Dopingsündern bis hin zu Athleten, die ihre Karriere glanzlos beenden mussten.
Von den Problemen depressiver, hochängstlicher und anorektischer Sportler werden selbst
hartgesottene Sportjournalisten berührt.
Alle diese Athleten haben Außerordentliches geleistet, sie haben uns mit ihren Siegen
erfreut. Sie alle repräsentieren menschliche Schicksale, die Verständnis verdienen. Von
Vorbildern kann allerdings kaum die Rede sein. Bevor man sich die Falschen zum Vorbild
nimmt, ist es besser, den pädagogischen Klammergriff um den Sport zu lösen.
Die Leser-Reaktionen auf diesen Text werden Teil der Podiumsdiskussion und der
anschließenden Publikumsdebatte am 26. September am Askanischen Platz in Berlin sein.
Und nach dem Philosophieren werden sich die Diskutanten im Armdrücken messen. Es
geht ja um Sport.
COPYRIGHT: ZEIT ONLINEADRESSE: http://www.zeit.de/sport/2013-09/sport-paedagogik-vorbild-gebauer