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1 Spracharbeit Klasse 3 / 4 1. Lassen Sie für ein bekanntes Märchen einen neuen Schluss finden. Wie geht es nach dem Märchen weiter? z.B. Was wird aus den Bremer Stadtmusikanten? Werden es berühmte Popstars? Was wird aus Schneewittchen nach ihrer Heirat mit dem Prinzen? 2. Lassen Sie zwei Märchen miteinander verknüpfen, z.B. Rotkäppchen und der Wolf und die sieben Geißlein. 3. Verfremden Sie mit den Kindern ein Märchen, indem Sie die Eigenschaften der Figuren ändern. z.B.: Das böse Rotkäppchen und der gute Wolf (im Anhang). Die fiesen Kinder Hänsel und Gretel und die gute Hexe . 4. Erarbeiten Sie den Aufbau eines Märchens, besonders wichtig dabei ist die Rolle der Zahlen. Besonders häufig tauchen die Zahlen 3, 7 und 12 auf. Die Zahl 3 taucht auf: - Schneewittchen ( 3 Tötungsversuche der Mutter) - Rumpelstilzchen ( 3 Rateversuche der Namen / 3 Nächte, in denen die Müllerstochter spinnen muss) - Der Wolf und die sieben Geißlein ( 3 Versuche des Wolfes bei den Geißlein einzudringen) Lassen Sie die Märchen entsprechend auf die anderen Zahlen hin untersuchen. In welchen Wörtern stecken Zahlen? z.B.: ZWEIge, ACHTung, 5. Lassen Sie Märchentexte mit verteilten Rollen lesen. Im Anhang finden Sie als Beispiele „Rotkäppchen und der Wolf“ und „Kalif Storch“ als Textvorlagen mit verteilten Rollen. Im Musikunterricht könnte die Geschichte mit Hilfe von Musikinstrumenten vertont werden, indem Geräusche und Melodien eingefügt werden. Nehmen Sie das entstandene Hörspiel auf Kassette auf. 6. Märchen wurden in der Regel nur mündlich tradiert. Das folgende Spiel kann das besonders verdeutlichen: Suchen Sie einen kurzen Märchentext aus, den die Schüler möglichst nicht kennen (siehe auch Vorlesetexte). 4-5 Kinder werden vor die Tür geschickt. Dem Rest der Klasse wird der Text vorgelesen. Das erste Kind wird herein gerufen. Diesem Kind wird von einem Kind der Klasse die Geschichte mündlich erzählt. Das erste Kind soll nun dem zweiten Kind, welches gerufen wird, die Geschichte erzählen, usw. Am Ende werden die ursprüngliche Geschichte und die letzte, nacherzählte Fassung der Kinder verglichen. Wie hat sich das Märchen beim Weitererzählen verändert? Auch hier kann mit dem Kassettenrecorder gearbeitet werden.

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Spracharbeit Klasse 3 / 4

1. Lassen Sie für ein bekanntes Märchen einen neuen Schluss finden. Wie geht es nach dem Märchen weiter? z.B. Was wird aus den Bremer Stadtmusikanten? Werden es berühmte Popstars? Was wird aus Schneewittchen nach ihrer Heirat mit dem Prinzen?

2. Lassen Sie zwei Märchen miteinander verknüpfen, z.B. Rotkäppchen und der Wolf und die sieben Geißlein. 3. Verfremden Sie mit den Kindern ein Märchen, indem Sie die Eigenschaften der

Figuren ändern. z.B.: Das böse Rotkäppchen und der gute Wolf (im Anhang). Die fiesen Kinder Hänsel und Gretel und die gute Hexe .

4. Erarbeiten Sie den Aufbau eines Märchens, besonders wichtig dabei ist die Rolle der

Zahlen. Besonders häufig tauchen die Zahlen 3, 7 und 12 auf. Die Zahl 3 taucht auf: - Schneewittchen ( 3 Tötungsversuche der Mutter) - Rumpelstilzchen ( 3 Rateversuche der Namen / 3 Nächte, in denen die

Müllerstochter spinnen muss) - Der Wolf und die sieben Geißlein ( 3 Versuche des Wolfes bei den Geißlein

einzudringen) Lassen Sie die Märchen entsprechend auf die anderen Zahlen hin untersuchen.

In welchen Wörtern stecken Zahlen? z.B.: ZWEIge, ACHTung,

5. Lassen Sie Märchentexte mit verteilten Rollen lesen. Im Anhang finden Sie als Beispiele „Rotkäppchen und der Wolf“ und „Kalif Storch“ als Textvorlagen mit verteilten Rollen. Im Musikunterricht könnte die Geschichte mit Hilfe von Musikinstrumenten vertont werden, indem Geräusche und Melodien eingefügt werden. Nehmen Sie das entstandene Hörspiel auf Kassette auf.

6. Märchen wurden in der Regel nur mündlich tradiert. Das folgende Spiel kann das

besonders verdeutlichen: Suchen Sie einen kurzen Märchentext aus, den die Schüler möglichst nicht kennen (siehe auch Vorlesetexte). 4-5 Kinder werden vor die Tür geschickt. Dem Rest der Klasse wird der Text vorgelesen. Das erste Kind wird herein gerufen. Diesem Kind wird von einem Kind der Klasse die Geschichte mündlich erzählt. Das erste Kind soll nun dem zweiten Kind, welches gerufen wird, die Geschichte erzählen, usw. Am Ende werden die ursprüngliche Geschichte und die letzte, nacherzählte Fassung der Kinder verglichen. Wie hat sich das Märchen beim Weitererzählen verändert? Auch hier kann mit dem Kassettenrecorder gearbeitet werden.

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Das freche Rotkäppchen und der gute Wolf Es war einmal ein hübsches kleines Mädchen. Das hieß Rotkäppchen. Es war ein freches und faules Kind. Rotkäppchen war oft ungezogen und ärgerte gerne die Tiere. Der Mutter gab es freche Antworten. Eines Tages sagte die Mutter: „Rotkäppchen, nimm diesen Korb und bringe der kranken Großmutter einige leckere Sachen!“ „Ach, immer ich“, maulte das faule Käppchen. Die Mutter bat es noch einmal. Schließlich machte sich das Kind auf den Weg, aber widerwillig. Es trödelte durch den Wald und traf den Wolf. Das böse Rotkäppchen zog das gutmütige Tier am Schwanz und sprach: „ Was willst du denn hier? Hau ab!“ Es trat ihm auf die Pfoten, so dass das arme Tier vor Schmerz jammerte. Rotkäppchen freute sich darüber und bewarf den Wolf auch noch mit Steinen. Dann sprach es : „Komm, wir gehen zur Großmutter und ärgern sie! Du kannst sie erschrecken und beißen!“ Dem Wolf gefiel das alles nicht. Er schnappte Rotkäppchen am Bein und hielt es fest, bis der Jäger kam. Rotkäppchen jammerte: „Hilfe, Hilfe! Der Wolf hat mich angefallen! Er will mich fressen!“ Doch der Jäger kannte das böse Kind und glaubte ihm nicht. Rotkäppchen heulte vor Wut und zerriss sein schönes, rotes Käppchen. Den Korb schleuderte es in den Wald. Der Jäger sprach: „ Lass das Kind los, lieber Wolf!“ Sofort rannte Rotkäppchen davon, doch nicht zur Großmutter. Da sammelte der Wolf die leckeren Sachen ein und trug den Korb zur Großmutter. Er pflegte sie und nach einiger Zeit war die Großmutter wieder gesund. Sie behielt den Wolf bei sich und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Ende.

Rotkäppchen und der Wolf Märchen nach den Gebrüdern Grimm Hörspielfassung ERZÄHLER: Es war einmal ein kleines, süßes Mädchen, das jedermann lieb hatte.

Großmutter, die es am allerliebsten hatte, schenkte ihm einmal ein Käppchen aus rotem Samt und weil ihm das so gut stand und es nichts anderes mehr tragen wollte, hieß es nur das Rotkäppchen. Eines Tages sprach seine Mutter zu ihm:

MUTTER: Komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche

Wein, bring das der Großmutter, sie ist krank und schwach und wird sich darüber freuen. Mach dich auf, geh hübsch sittsam und lauf nicht vom Weg ab, sonst fällst du und zerbrichst das Glas.

ROTKÄPPCHEN: Ja, Mutter, ich will schon alles gut machen, ich gebe dir die Hand

darauf.

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ERZÄHLER: Die Großmutter wohnte draußen im Wald und Rotkäppchen hatte eine gute halbe Stunde zu gehen. Unterwegs begegnete ihm der Wolf. das kleine Mädchen wusste nicht, was für ein böses Tier das war und fürchtete sich nicht vor ihm.

WOLF: Guten Tag, Rotkäppchen! ROTKÄPPCHEN: Guten Tag, lieber Wolf! WOLF: Wo hinaus so früh, Rotkäppchen? ROTKÄPPCHEN: Zur Großmutter. WOLF: Was trägst du in dem Korb? ROTKÄPPCHEN: Kuchen und Wein. Gestern haben wir gebacken und Großmutter soll

auch davon haben. WOLF: Rotkäppchen, wo wohnt deine Großmutter? ROTKÄPPCHEN: Noch eine gute Viertelstunde weit im Walde, unter den drei großen

Eichenbäumen, die wirst du ja kennen, da steht ihr Haus, umgeben von Nusshecken.

ERZÄHLER: Der Wolf ging ein Weilchen neben Rotkäppchen her und überlegte sich,

wie er es wohl zuwege bringen könnte, noch vor Rotkäppchen das Haus der Großmutter zu erreichen.

WOLF: Ich muss es schlau anfangen und das dumme Ding irgendwie aufhalten.

Rotkäppchen, sieh einmal die schönen Blumen, die ringsumher stehen. Willst du nicht für deine Großmutter welche pflücken?

ERZÄHLER: Rotkäppchen schlug die Augen auf und als es sah, wie die

Sonnenstrahlen durch die Bäume hin und her tanzten und alles voll schöner Blumen stand, sagte es sich:

ROTKÄPPCHEN: Der Wolf hat recht! Wenn ich der Großmutter einen frischen Strauß

mitbringe, wird sie sich freuen. ERZÄHLER: Rotkäppchen ging vom Wege ab den Blumen nach und wenn es eine

fand, dachte es, weiterhin stände eine schönere und so kam es immer tiefer in den Wald hinein. Der Wolf aber lief derweil geradeaus zu dem Haus der Großmutter und klopfte an die Tür.

GROSSMUTTER: Wer ist da? WOLF: Rotkäppchen! Ich bringe dir Kuchen und Wein. Mach auf! GROSSMUTTER: Drück nur auf die Klinke, dann geht die Türe auf.

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ERZÄHLER: Ah ... kleines Rotkäppchen, wenn du ahntest, was da mit deiner lieben

Großmutter geschehen ist ... Rotkäppchen aber pflückte eine Blume nach der anderen und als es so viel zusammen hatte, dass es keine mehr tragen konnte, fiel ihm die Großmutter wieder ein und es machte sich auf den Weg zu ihr.

ROTKÄPPCHEN: Es ist doch wunderlich ... die Tür steht ja offen. Ei, wie ängstlich wird

es mir zumute und ich bin doch sonst so gern bei der Großmutter. Guten Morgen! ... Großmutter! ...

ERZÄHLER: Es bekam aber keine Antwort. Darauf ging es zum Bett und zog die

Vorhänge zurück. War das die Großmutter, was da im Bett lag? Sie trug doch nie die Haube so tief im Gesicht und sah auch sonst noch nie so merkwürdig aus.

ROTKÄPPCHEN: Großmutter, was hast du für große Ohren? WOLF: Dass ich dich besser hören kann. ROTKÄPPCHEN: Großmutter, was hast du für große Augen? WOLF: Dass ich dich besser sehen kann. ROTKÄPPCHEN: Großmutter, was hast du für große Hände? WOLF: Dass ich dich besser packen kann. ROTKÄPPCHEN: Großmutter, was hast du für einen entsetzlich großen Mund? WOLF: Dass ich dich besser fressen kann!! ERZÄHLER: Kaum hatte der Wolf das gesagt, denn er war es, der im Bette der

Großmutter lag, tat er einen Satz und verschlang das arme Rotkäppchen. Dann legte er sich wieder ins Bett, schlief ein und fing an laut zu schnarchen. Ein wenig später ging der Jäger an dem haus vorbei und dachte:

JÄGER: Wie die alte Frau schnarcht, ich will mal sehen, ob ihr was fehlt. ERZÄHLER: Dann trat er in die Stube und wie er vor das Bett kam, sah er, dass der

Wolf darin lag. JÄGER: Hier finde ich dich also, dich habe ich schon lange gesucht. ERZÄHLER: Nun wollte er seine Büchse anlegen, aber da fiel ihm ein, der Wolf

könnte die Großmutter gefressen haben und sie wäre vielleicht noch zu retten. So schoss er nicht, sondern nahm eine Schere und fing an dem schlafenden Wolf den Bauch aufzuschneiden. Wie er ein paar Schnitte

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getan hatte, da sah er das rote Häubchen leuchten und noch ein paar Schnitte, da sprang das ganze Rotkäppchen heraus und rief:

ROTKÄPPCHEN: Ach, wie war ich erschrocken, wie war es so dunkel im Bauch des

Wolfs. ERZÄHLER: Und da ... ihr werdet es kaum glauben, holte der Jäger auch die alte

Großmutter noch lebendig heraus. JÄGER: Rotkäppchen, bring geschwind große Steine, dass wir dem Wolf damit

seinen Bauch füllen. ERZÄHLER: Wie der Wolf aufwachte, wollte er fort springen, aber mit den schweren

Steinen konnte er das und fiel so arg hin ... dass er tot liegen blieb. JÄGER: Großmutter, da habt ihr aber Glück gehabt. ROTKÄPPCHEN: Lieber Jäger, wir danken dir. JÄGER: Ich ziehe dem Wolf noch den Pelz ab, den nehme ich mir mit. GROSSMUTTER: Und nun wollen wir den schönen Kuchen essen, den Rotkäppchen

gebracht hat und den guten Wein trinken, damit wir uns von dem Schreck erholen.

ROTKÄPPCHEN: Und ich will mein Lebtag nicht wieder allein vom Weg ab in den Wald

laufen, wenn es mir die Mutter verboten hat ...

≈≈≈≈

KALIF STORCH Märchen aus 1001 Nacht Hörspielfassung ERZÄHLER: Eines Tages, als der Kalif von Bagdad Langeweile hatte, da fiel ihm

ein, dass er vor nicht allzu langer Zeit im Hofe seines Palastes von einem Krämer eine zierliche Schatulle aus Elfenbein gekauft hatte. Er ließ sie öffnen und fand darin eine kleine Dose mit schwärzlichem Pulver und dazu ein Papier mit sonderbarer Schrift, die er nicht lesen konnte.

KALIF: Großwesir, ist dir jemand bekannt, der diese Schrift entziffern könnte?

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GROSSWESIR: Gnädiger Herr und Gebieter, an der großen Moschee wohnt ein Gelehrter, er heißt Selim; man sagt von ihm, er versteht alle Sprachen.

KALIF: Lass ihn kommen, Großwesir, vielleicht kennt er diese geheimnisvollen

Züge. GROSSWESIR: Gnädiger Herr, dieser Mann hier, der die Ehre hat, vor dir zu knien, ist

Selim der Gelehrte. KALIF: Selim, sieh´ dir mal diese Schrift an. Kannst du sie lesen, so bekommst

du ein neues Festkleid von mir. Kannst du es nicht, so bekommst du zwölf Backenstreiche und fünfundzwanzig Hiebe auf die Fußsohlen, weil man dich dann umsonst Selim den Gelehrten nennt.

SELIM: Dein Wille geschehe, oh Herr! Das ist Lateinisch. KALIF: Nun, so sage mir, was die Schrift bedeutet. SELIM: Wie du es befiehlst, oh Herr. „Wer von dem Pulver aus der Dose

schnupft und dabei spricht: „Mutabor“, der kann sich in alle Tiere verwandeln und versteht auch die Sprache. Will er wieder in seine menschliche Gestalt zurückkehren, so neige er sich dreimal gen Osten und spreche wieder das Zauberwort Mutabor. Aber hüte er sich, während der Verwandlung zu lachen, sonst entschwindet es seinem Gedächtnis und er bleibt ein Tier.“

KALIF: Selim, schwöre mir, dieses Geheimnis niemandem zu verraten, wenn

dir dein Leben lieb ist. Großwesir, lasse diesen gelehrten Mann zu meinem Hofschneider führen, damit man ihm das Festkleid anfertige, das ich ihm versprochen habe. Großwesir, morgen früh gehen wir miteinander hinaus auf die Felder. Dort schnupfen wir aus der Wunderdose und belauschen dann, was in der Luft und im Wasser, im Walde und auf dem Felde gesprochen wird. Wie freue ich mich darauf, Großwesir!

ERZÄHLER: Am anderen Morgen konnte der Kalif vor Neugierde kaum abwarten bis

die Morgenzeremonie seines Hofstaates vorüber war. Eilig zog er sich mit seinem Großwesir zurück, steckte die Dose mit dem Zauberpulver in den Gürtel und durch einen unterirdischen Geheimgang verließen die beiden unbemerkt den Palast.

GROSSWESIR: Würde es Euch vielleicht Vergnügen machen, oh Herr, mit mir zu

einem Teich zu gehen, wo ich oft schon viele Störche gesehen habe. Ihr lustiges Geklapper erregte stets meine Aufmerksamkeit. Wie wäre es, wenn wir Störche würden?

KALIF: Wohlgesprochen, es kann doch höchst vergnüglich sein zu hören, was

für Gespräche diese Langfüßler miteinander führen. Da ist die Dose, Großwesir, nimm du auch eine Prise, wir wollen schnupfen. Aber nur um des Himmels Willen nicht gelacht, sonst sind wir verloren! Und jetzt, Großwesir, rufen wir das Zauberwort:

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KALIF UND GROSSWESIR: Mu----ta---bor! ERZÄHLER: Da schrumpften ihre Beine und wurden dünn und rot, die Arme wurden

zu Flügeln, der Hals fuhr aus den Achseln und ward eine Elle lang und den Körper bedeckten weiche Federn.

KALIF: Ihr habt einen hübschen Schnabel, Herr Großwesir, beim Barte des

Propheten, so etwas habe ich im Leben noch nicht gesehen. GROSSWESIR: Danke untertänigst, aber wenn ich es wagen darf, möchte ich

behaupten, Eure Hoheit sehen als Storch beinahe noch hübscher aus denn als Kalif.....Ha, ha, ha! .Oh Herr! Uns ist ja verboten, während der Verwandlung zu lachen.

KALIF: Ha, ha, ha ! Potz Mekka und Medina! Das wäre ein schlechter Spaß,

wenn ich ein Storch bleiben müsste. Wie hieß doch der Zauberspruch? Besinne dich sofort auf das dumme Wort, ich weiß es nicht mehr.

GROSSWESIR: Mein Gebieter, wir müssen uns dreimal gen Osten neigen und dazu

sprechen: „M---Mu--- Mu--“. Ihr könnt mich köpfen lassen, beim Barte des Propheten, ich weiß es auch nicht.

KALIF: Oh, Jammer! Aus unserer Storchenhaut können wir nicht mehr heraus... GROSSWESIR: Als Störche können wir auch nicht mehr in die Stadt zurück, denn wer

würde einem Storch glauben, dass er der Kalif von Bagdad sei. KALIF: Und die Einwohner von Bagdad würden auch keinen Storch zum

Kalifen haben wollen...Was soll da geschehen, Großwesir? GROSSWESIR: Ich denke, oh Herr, wir wollen zum Grabe des Propheten; vielleicht,

dass an heiliger Stätte der Zauber gelöst wird. ERZÄHLER: Da erhoben sich die beiden Störche und flogen der Gegend von Medina

zu. Mit dem Fliegen wollte es aber nicht gut gehen, denn die beiden Störche hatten noch keine Übung.

GROSSWESIR: Herr...ich halte es mit Eurer Erlaubnis nicht mehr lange aus, Ihr fliegt

gar zu schnell! Auch ist es schon Abend und wir täten wohl, ein Unterkommen für die Nacht zu suchen!

ERZÄHLER: Der Kalif gab der Bitte seines Dieners Gehör und da sie unten im Tal

eine Ruine erblickten, die ein Obdach zu gewähren schien, flogen sie dahin.

KALIF: Hier wollen wir uns ein warmes Plätzchen suchen... GROSSWESIR: Herr und Gebieter! Mir ist ganz unheimlich zumut, denn hier nebenan

hat es ganz vernehmlich geseufzt und gestöhnt.

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KALIF: Ja.... ich höre es deutlich...als wenn jemand weinen würde...Lasst uns

nachsehen, Großwesir, woher die Klagelaute kommen! ERZÄHLER: Voll Erwartung gingen sie dem Laut nach und kamen bald zu einer Tür,

die nur angelehnt war. Sie stießen sie mit dem Schnabel auf und blieben überrascht auf der Schwelle stehen. In dem verfallenen Gemach, das nur durch ein kleines Gitterfenster spärlich beleuchtet war, sahen sie eine große Nachteule am Boden sitzen.

NACHTEULE: Willkommen, ihr Störche, ihr seid mir ein gutes Zeichen meiner

Errettung; denn mir ist einst prophezeit worden, durch Störche werde mir ein großes Glück kommen.

ERZÄHLER: Als sich die beiden Störche von ihrem Erstaunen erholt hatten,

verneigten sie sich vor der Eule. KALIF: Nachteule! Wenn ich deine Worte richtig verstanden habe, so sehe ich

in dir eine Leidensgefährtin. NACHTEULE: Wie du es sagst, oh Herr. Ihr sollt wissen, mein Vater ist der König von

Indien und ich bin seine einzige Tochter. Ein böser Zauberer, dessen Sohn mich vergeblich zur Frau begehrte, hat mich ins Unglück gestürzt. Seitdem lebe ich als Einsiedlerin in diesem Gemäuer, verabscheut von der Welt.

KALIF: Wo finde ich die Lösung zu diesem Rätsel? NACHTEULE: Ich wüsste vielleicht, oh Herr, wie Ihr sie finden könntet. GROSSWESIR: So sprich, teuerste Prinzessin. NACHTEULE: Nehmt es nicht ungütig, aber nur unter einer Bedingung kann ich euren

Wunsch erfüllen. KALIF: Sprich sie aus! NACHTEULE: Auch ich möchte von meinem Unglück erlöst werden; die kann aber nur

geschehen, wenn einer von euch mir seine hand reicht. KALIF: Ich bin entschlossen, Prinzessin, Eure Bedingung zu erfüllen! NACHTEULE: So hört zu! Alle Monate einmal versammeln sich die Zauberer des

Landes in dieser Ruine, um zu schmausen und im ihre schändlichen Werke einander zu erzählen. Ihr könntet sie dabei belauschen; vielleicht hört ihr dann das Zauberwort, das ihr vergessen habt. Ihr hättet zu keiner besseren Zeit kommen können, denn sie versammeln sich in dieser Nacht.

KALIF: Oh, teuerste Prinzessin, zeige uns den Ort....

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ERZÄHLER: Die Eule verließ mit den Störchen das Gemach und führte sie durch lange, finstere Gänge zu jenem Saal, wo sich die Zauberer in dieser Nacht versammeln sollten. Endlich strahlte ihnen aus einer halbverfallenen Mauer ein heller Schein entgegen. Durch eine Öffnung konnten sie einen großen Saal übersehen. In der Mitte des Saales stand ein runder Tisch, um den die Zauberer saßen. Die Störche hörten gerade, wie ein Zauberer den anderen fragte:

1:ZAUBERER: Was für ein Wort hast du ihnen denn aufgegeben? 2. ZAUBERER: Ein recht schweres lateinisches, es heißt: „Mutabor“. ERZÄHLER: Die Störche gerieten außer sich vor Freude. Sie liefen auf ihren langen

Füßen so schnell dem Tor der Ruine zu, dass die Eule kaum folgen konnte. Dort sprach der Kalif gerührt zur Eule:

KALIF: Retterin meines Lebens und des Lebens meines Freundes, nimm mich

zum ewigen Dank für das, was du uns getan hast, zum Gemahl an. ERZÄHLER: Dann aber wandten sich die Störche nach Osten und neigten ihre langen

Hälse dreimal der Sonne entgegen, die soeben hinter dem Gebirge heraufstieg und riefen aus vollem Halse:

KALIF UND GROSSWESIR: Mu--ta-- bor! ERZÄHLER: Im Nu waren sie verwandelt und in der hohen Freude des

neugeschenkten Lebens lagen Herr und Diener lachend und weinend einander in den Armen. Wer beschreibt aber ihr Erstaunen, als sie sich umsahen. Eine schöne Prinzessin, herrlich geschmückt, stand vor ihnen. Lächelnd gab sie dem Kalifen die Hand.

PRINZESSIN: Erkennt Ihr Eure Nachteule nicht mehr? KALIF: Es ist mein größtes Glück, dass ich Storch gewesen bin. ERZÄHLER: Die drei zogen nun miteinander auf Bagdad zu. Dort hatte man

inzwischen den Kalifen und seinen Großwesir für tot ausgegeben und das Volk war daher hoch erfreut, als es seinen geliebten Herrscher in bester Gesundheit wieder sah. Lange und vergnügt lebte der Kalif mit seiner Frau, der Prinzessin, und immer wieder mussten sie ihren zahlreichen Kindern die Geschichte erzählen, wie er als Storch seine wunderschöne Gemahlin in Gestalt einer Nachteule gefunden hatte.

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