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Einzelhändler überzeugt Das Prinzip funktioniert nur mit Licht. Cohen zitiert den Einzelhänd- ler Nick Raviotti, einen Fan der Bürste: Er leuchte mit einer Schreib- tischlampe in seinen Mund. Der seltsam säuerliche Nachgeschmack seiner Lieblingssalsa sei seither ver- schwunden. Möglicherweise liegt das aber eher an verbesserten Lebensmittelkontrollen, denn mit einer normalen Glühbirne funktio- niert das Prinzip definitiv nicht: Die Bandlücke von Anatas, der für die Photokatalyse am besten geeigneten Modifikation des Titandioxids, be- trägt etwa 3,2 Elektronenvolt, was einer Wellenlänge von 390 Nanome- tern entspricht. Raviotti sollte also besser eine UV-Lampe verwenden – was bei drei Mal täglich Zähneput- zen sicherlich auch seinem Teint zu- gute käme – oder im Sonnenlicht putzen, wie der Hersteller empfiehlt. Den Chemiker Donald C. Selmar- ten vom amerikanischen National Renewable Energy Laboratory zitiert Die erste photokatalytische Zahn- bürste der Weltgeschichte präsen- tiert die japanische Shiken Corpora- tion. Das Funktionsprinzip ist so revolutionär, dass ihm sowohl die New York Times als auch Die Zeit je- weils einen Dreispalter widmeten. 1,2) Das Prinzip basiert auf der photo- katalytischen Aktivität des Halblei- ters Titandioxid, die man bereits in Fassadenanstrichen und Fenster- beschichtungen nutzt, um organi- sche Ablagerungen zu beseitigen. Oxidation durch Elektronen Auch das innovative Zahnpfle- geprodukt aus Japan, das ganz ohne Zahnpasta auskommen soll, bedient sich dieses Prinzips: „Licht, das auf den Titandioxid-Stab im Griff scheint, erzeugt dort negativ gelade- ne Elektronen“, schreibt die New York Times. Die gelangen dann irgendwie, möglicherweise über die nach Angaben des Herstellers „faser- optischen“ Borsten, in den Mund, wo sie, in den Worten von Times-Au- torin Joyce Cohen, „positiv geladene Ionen des Zahnbelags stehlen und so Oxidation verursachen“. Einer Grafik entnehmen wir, dass es sich bei den eingefangenen Ionen um H + handeln soll; der so erhöhte pH-Wert dürfte zwar für den Zähne- putzer Unannehmlichkeiten mit sich bringen, aber auch garantiert allen kariesverursachenden Bakterien den Garaus machen. Damit ist die Furcht des Zeit-Autors Burkhard Strassmann vor Mundgeruch bei zahnpastalosem Putzen unbegründet. Wegen der Wasserstoffentwicklung sollte man allerdings einigen Abstand zu Zünd- quellen wahren. Unter UV-Licht ist Titandioxid katalytisch aktiv. Dieser Effekt soll Konsumenten jetzt bei der Zahnpflege nutzen, allerdings ohne dass der Katalysator das Substrat berührt. Spukhafte Fernwirkung April, April die Times mit der Aussage, das Funktionsprinzip der Zahnbürste klinge „vernünftig“. Überzeugt hat ihn vielleicht die im Text allerdings nicht erwähnte Möglichkeit, mit dem durch den Arm in den Griff der Bürste zurückfließenden Strom elek- trische Geräte anzutreiben. Der Stromkreis muss schließlich ge- schlossen werden, sollen dem Zäh- neputzer nicht durch statische Auf- ladung die Haare zu Berge stehen. Bedenklich stimmt allerdings der Preis: 30 Dollar soll das Produkt im Handel kosten. Und das, obwohl han- delsübliche Zahnpasta bereits oft mit Titandioxid versetzt ist. Wem die geringen Mengen darin nicht ausrei- chen, dem sei empfohlen, einfach Sonnenmilch mit hohem Lichtschutz- faktor zu verwenden, die Titandioxid in großen Mengen enthält. Genauso sinnvoll wie die photokatalytische Zahnbürste ist das allemal. Lars Fischer, Frankfurt 1) New York Times, 13.11.2007. 2) Die Zeit, 21.02.2008. Auf der Homepage ist unter dem Bild zu lesen: „Soladey ... zeigt ein Titan (Metall) ionischen Durchführung Stan- ge, die durch die zu ersetzende Borsten Kopf und in den Griff. (Bild: www. soladey.com/de) Nachrichten aus der Chemie | 56 | April 2008 | www.gdch.de/nachrichten 445

Spukhafte Fernwirkung

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Einzelhändler überzeugt

� Das Prinzip funktioniert nur mit Licht. Cohen zitiert den Einzelhänd-ler Nick Raviotti, einen Fan der Bürste: Er leuchte mit einer Schreib-tischlampe in seinen Mund. Der seltsam säuerliche Nachgeschmack seiner Lieblingssalsa sei seither ver-schwunden. Möglicherweise liegt das aber eher an verbesserten Lebensmittelkontrollen, denn mit einer normalen Glühbirne funktio-niert das Prinzip definitiv nicht: Die Bandlücke von Anatas, der für die Photokatalyse am besten geeigneten Modifikation des Titandioxids, be-trägt etwa 3,2 Elektronenvolt, was einer Wellenlänge von 390 Nanome-tern entspricht. Raviotti sollte also besser eine UV-Lampe verwenden – was bei drei Mal täglich Zähneput-zen sicherlich auch seinem Teint zu-gute käme – oder im Sonnenlicht putzen, wie der Hersteller empfiehlt.

Den Chemiker Donald C. Selmar-ten vom amerikanischen National Renewable Energy Laboratory zitiert

� Die erste photokatalytische Zahn-bürste der Weltgeschichte präsen-tiert die japanische Shiken Corpora-tion. Das Funktionsprinzip ist so revolutionär, dass ihm sowohl die New York Times als auch Die Zeit je-weils einen Dreispalter widmeten.1,2) Das Prinzip basiert auf der photo -katalytischen Aktivität des Halblei-ters Titandioxid, die man bereits in Fassadenanstrichen und Fenster-beschichtungen nutzt, um organi-sche Ablagerungen zu beseitigen.

Oxidation durch Elektronen

� Auch das innovative Zahnpfle-geprodukt aus Japan, das ganz ohne Zahnpasta auskommen soll, bedient sich dieses Prinzips: „Licht, das auf den Titandioxid-Stab im Griff scheint, erzeugt dort negativ gelade-ne Elektronen“, schreibt die New York Times. Die gelangen dann irgendwie, möglicherweise über die nach Angaben des Herstellers „faser-optischen“ Borsten, in den Mund, wo sie, in den Worten von Times-Au-torin Joyce Cohen, „positiv geladene Ionen des Zahnbelags stehlen und so Oxidation verursachen“.

Einer Grafik entnehmen wir, dass es sich bei den eingefangenen Ionen um H+ handeln soll; der so erhöhte pH-Wert dürfte zwar für den Zähne-putzer Unannehmlichkeiten mit sich bringen, aber auch garantiert allen kariesverursachenden Bakterien den Garaus machen. Damit ist die Furcht des Zeit-Autors Burkhard Strassmann vor Mundgeruch bei zahnpastalosem Putzen unbegründet. Wegen der Wasserstoffentwicklung sollte man allerdings einigen Abstand zu Zünd-quellen wahren.

Unter UV-Licht ist Titandioxid katalytisch aktiv. Dieser Effekt soll Konsumenten jetzt bei

der Zahnpflege nutzen, allerdings ohne dass der Katalysator das Substrat berührt.

Spukhafte Fernwirkung

�April, April�

die Times mit der Aussage, das Funktionsprinzip der Zahnbürste klinge „vernünftig“. Überzeugt hat ihn vielleicht die im Text allerdings nicht erwähnte Möglichkeit, mit dem durch den Arm in den Griff der Bürste zurückfließenden Strom elek-trische Geräte anzutreiben. Der Stromkreis muss schließlich ge-schlossen werden, sollen dem Zäh-neputzer nicht durch statische Auf-ladung die Haare zu Berge stehen.

Bedenklich stimmt allerdings der Preis: 30 Dollar soll das Produkt im Handel kosten. Und das, obwohl han-delsübliche Zahnpasta bereits oft mit Titandioxid versetzt ist. Wem die geringen Mengen darin nicht ausrei-chen, dem sei empfohlen, einfach Sonnenmilch mit hohem Lichtschutz-faktor zu verwenden, die Titandioxid

in großen Mengen enthält. Genauso sinnvoll wie die photokatalytische Zahnbürste ist das allemal.

Lars Fischer, Frankfurt

1) New York Times, 13.11.2007.

2) Die Zeit, 21.02.2008.

Auf der Homepage

ist unter dem Bild

zu lesen: „Soladey

... zeigt ein Titan

(Metall) ionischen

Durchführung Stan-

ge, die durch die zu

ersetzende Borsten

Kopf und in den

Griff. (Bild: www.

soladey.com/de)

Nachrichten aus der Chemie | 56 | April 2008 | www.gdch.de/nachrichten

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