31
STAATSDOPING IN DER DDR. EINE EINFÜHRUNG DIE LANDESBEAUFTRAGTE FÜR MECKLENBURG-VORPOMMERN FÜR DIE UNTERLAGEN DES STAATSSICHERHEITSDIENSTES DER EHEMALIGEN DDR STAATSDOPING IN DER DDR. EINE EINFÜHRUNG

STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

  • Upload
    others

  • View
    3

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

STAATSDOPINGIN DER DDR.EINE EINFÜHRUNG

DIE LANDESBEAUFTRAGTE FÜR MECKLENBURG-VORPOMMERN FÜR DIE UNTERLAGEN DES STAATSSICHERHEITSDIENSTES DER EHEMALIGEN DDR

STAATSDOPINGIN DER DDR.EINE EINFÜHRUNG

Page 2: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen
Page 3: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

Die Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommernfür die Unterlagen des Staatssicherheits dienstes der ehemaligen DDR

Page 4: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen
Page 5: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

STAATSDOPINGIN DER DDR.EINE EINFÜHRUNG

Page 6: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

Herausgeberin:

Die Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDRBleicherufer 7, 19053 SchwerinTel.: 03 85/73 40 06Internet: www.landesbeauftragter.deE-Mail: [email protected]: Burkhard Bley

Titelbild: Oral-Turinabol 5 mg (anaboles Steroid aus dem VEB Jenapharm); Fotos: S. 14, 17, 23, 57 und Rückseite Ulrich Lars Houschka; alle anderen Fotos: Archiv André Keil

Satz: Janner & Schöne Medien GmbH, SchwerinDruck: Druckerei Weidner GmbH, Rostock

2. Auflage, März 2018

ISBN 978-3-933255-52-5

Page 7: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

Inhalt

Vorwort. Anne Drescher ..................................................................... 7

Einleitung. Ines Geipel .................................................................... 11

Staatsplanthema 14.25. Ines Geipel ............................................ 15

Nachgewiesene Dopingschäden. Ines Geipel ............................ 25In der Fachliteratur, in der Rechtsprechung und nach Betroffenen-angaben anerkannte Schädigungen als direkte und indirekte Folge nach Doping mit androgenen-anabolen Steroiden

Auszug aus der Geschädigtenliste des DOH ..................... 27

Gesundheitliche Langzeitfolgen des Dopings bei DDR-Athleten. Harald J. Freyberger / Jochen Buhrmann .......... 33

Aktueller Stand der Aufarbeitung der DDR-Doping - praxis in den drei Nordbezirken. André Keil ............................ 47

Betty M., eine Sportbiografie. Ines Geipel ................................. 55

Anhang ............................................................................. 61Dokument 1: Doping-Masterplan .................................................... 63Dokument 2: Zweites Dopingopfer-Hilfegesetz .............................. 75Dokument 3: Landtag MV, Drucksache 6/5104 ................................ 79Dokument 4: BSI-Fragebogen .......................................................... 83

Adressen ................................................................................ 85

Abkürzungsverzeichnis .......................................................... 90

Literaturverzeichnis............................................................... 91

Dokumentenverzeichnis ........................................................ 93

Filme zum Thema ................................................................. 94

Autorenangaben .................................................................... 95

Page 8: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen
Page 9: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

7

VorwortAnne Drescher

„Gen. Ewald stellte im Gespräch noch einmal klar heraus, daß nur die erreichten Leistungen entscheidend sind und dazu alle sich bietenden Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen. Er unterstrich gegenüber dem IMV, daß dazu auch die Sportmedizin ihren Beitrag leisten müs-se und eingehend auf einige Vorfälle gesundheitlicher Art bei Sport-lern stellte er fest: Kommunisten bringen keinen Menschen um.“ 1

Selten findet man in den archivierten Akten der untergegangenen DDR eine derart deutliche Sprache wie in den Stasi-Akten, in denen Doping und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne-ten Gespräche der Verantwortlichen spiegeln eine unfassbare Kälte und Gleichgültigkeit gegenüber den Kindern und Jugendlichen wider, die der Dopingpraxis des streng geheimen Doping-Staatsplans 14.25 ausgesetzt waren. Pläne zur weiteren Leistungssteigerung im Spitzensport werden aufgestellt, gesundheitliche Risiken zur Seite gewischt, Forderungen auf Medaillen erhoben – ohne Rücksicht auf die Gesundheit und das Leben der jungen Leistungssportler. Heranwachsende wurden rücksichtslos zu Ob-jekten eines SED-Parteiwillens degradiert, nur um sportliche Höchstleis-tungen zu organisieren.

Etwa 15.000 minderjährige Leistungssportler der DDR wurden in gro-ßem Umfang ohne Aufklärung und ohne Einverständnis der Eltern in das organisierte Doping einbezogen, an dem mindestens 400 Ärzte, Trainer und Funktionäre direkt beteiligt waren. Tiefgreifende körperliche, psychi-sche und soziale Schäden bei den ehemaligen jugendlichen Athleten sind die Folgen dieses sogenannten Staatsdopings. Die Schwere der Erkrankun-gen, die Komplexität der Schäden und das Leid der Geschädigten machen

1 BStU, ZA, MfS A 637/79, Teil II, Bd. 2, Bl. 126 f., IM „Technik“. Alle in dieser Publikation in Faksimile abgedruckten Zitate sind dem IM-Vorgang „Technik“ entnommen. Die Signaturen sind im Anhang angegeben.

Page 10: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

8

betroffen. Diese Menschen benötigen heute Beratung und Begleitung bei der Aufarbeitung ihres Schicksals und in den Rehabilitierungsverfahren. Hunderte von ihnen haben sich inzwischen beim Verein Dopingopfer-Hilfe e.V. in Berlin gemeldet, allein 180 geschädigte Athleten sind in Mecklen-burg-Vorpommern registriert.

Mit der vorliegenden Publikation möchten wir auf das Schicksal die-ser Betroffenengruppe aufmerksam machen. Als „Eine Einführung“ über-schreiben wir dieses Projekt, weil wir der Öffentlichkeit, aber auch den betroffenen Sportlerinnen und Sportlern erstmalig einen „Leitfaden“ zum Umgang mit dem Thema in die Hand geben möchten. Gibt es eine Kausali-tät zwischen heutiger Erkrankung und der Einnahme von sogenannten un-terstützenden Mitteln? Was waren das für Tabletten, die den Jugendlichen ohne weitere Erklärung in die Hand gegeben wurden? Wo finde ich heute Akten, die eine damalige Dopingpraxis belegen könnten? Auf diese und andere Fragen möchten wir mit dieser Veröffentlichung Antworten geben. Neben Betroffenen und an dem Thema Interessierten richten wir uns aber auch an die Fachleute, die möglicherweise als behandelnde Ärzte, Thera-peuten oder Gutachter mit der Leidensgeschichte der Dopinggeschädigten konfrontiert sind.

Unsere Ziele sind: 1. die Öffentlichkeit auf dieses Thema aufmerksam zu machen, Informa-

tionen zu geben und die Gesellschaft für das Leid der geschädigten Sportler zu sensibilisieren

2. den betroffenen Athleten Hilfe und Orientierung anzubieten und 3. die Notwendigkeit weiterer therapeutischer und finanzieller Unter-

stützung für die Betroffenen zu bekräftigen.

Ines Geipel macht als Vorsitzende des Vereins Dopingopfer-Hilfe e.V. (DOH) seit vielen Jahren auf das schwere Schicksal der Geschädigten auf-merksam und fordert Aufklärung der staatlich organisierten Dopingpraxis. Vor allem ihr und ihren Mitstreitern vom Verein Dopingopfer-Hilfe e.V. ist es zu verdanken, dass dieses Thema zunehmend in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird und Forderungen nach einer finanziellen Entschä­digung auch von der Politik gehört wurden. In der vorliegenden Publi-kation erläutert sie in einem kurzen historischen Abriss die Entwicklung und Hintergründe um das Staatsplanthema 14.25 und beschreibt mögliche

Page 11: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

9

physische und psychische Schädigungen nach jahrelanger Dopingpraxis bei den ehemaligen Athleten. Verstörend liest sich die lange Auflistung der erkrankten Sportler. Stellvertretend für diese vielen Geschädigten doku-mentiert sie eine Biografie aus der Beratungsarbeit des Dopingopfer­Hilfe­vereins.

Die Überlegungen zum Staatsplan 14.25 waren nie für die DDR-Öf-fentlichkeit bestimmt. Politiker, Ärzte und Trainer setzten in unver-antwortlicher Weise ihre Pläne mit dem Ziel um, gesteigerte sportliche Leistungen und damit mehr Medaillen zu erreichen – auf Kosten der Ge-sundheit der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Dass den ver-antwortlichen Akteuren das Unverantwortliche ihres Tuns bewusst war, zeigen die Berichte des IM „Technik“ deutlich. Sie sind deshalb hier in Auszügen veröffentlicht.

Wo bleiben die Konsequenzen für die Verantwortlichen? Den Stand der Aufarbeitung der DDR-Dopingpraxis in den drei Nordbezirken und die juristischen Konsequenzen beschreibt André Keil eindrucksvoll in seinem Aufsatz. Seit vielen Jahren geht der NDR-Journalist diesem Thema nach. Mehrere Filme sind dazu entstanden, auf die wir im Anhang verweisen.

Um eine Anerkennung nach dem Dopingopfer-Hilfegesetz (DOHG) und damit eine Entschädigung zu bekommen, müssen die Sportler nach-weisen, dass ihre heutigen Erkrankungen auf die damalige Einnahme von „unterstützenden Mitteln“ zurückzuführen sind. Kaum einem Arzt ist das Ausmaß der Menschenexperimente vorstellbar, das mit dem Staats-planthema 14.25 so flächendeckend gegen Tausende Kinder und Jugend-liche im DDR-Leistungssport skrupellos zum Einsatz kam. Die Suche nach Akten, die die Einnahme von Medikamenten als unterstützende Mittel be-legen, gestaltet sich sehr schwierig. Auch davon wird in dieser Publikation die Rede sein. Wir veröffentlichen im Anhang Adressen von Archiven, in denen nach entsprechenden Unterlagen gesucht werden kann, sowie von Einrichtungen, in denen den Betroffenen Hilfestellung bei dieser Suche gegeben wird.

Für die geschädigten Sportler ist es doppelt schwer, mit den eigenen gesundheitlichen Problemen zu leben und Ärzte und Gutachter zu finden, die sich in diesem Thema auskennen und sie mit Therapien und Gutach-ten unterstützen können. Wir sind sehr froh, mit Prof. Dr. Harald Freyber-ger, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Greifswald und Dr. Jochen Buhrmann, Chefarzt der Klinik für Psycho-

Page 12: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

10

somatische Medizin und Psychotherapie, Helios Kliniken Schwerin in un-serem Bundesland zwei Experten an unserer Seite zu wissen, die sich seit einigen Jahren mit diesem Thema befassen und als Ansprechpartner auch für betroffene ehemalige Sportler zur Verfügung stehen. In ihrem Aufsatz stellen sie den Zusammenhang zwischen der Einnahme „unterstützender Mittel“ und den möglichen Schädigungen her. Prof. Dr. Harald Freyberger und Dr. Jochen Buhrmann arbeiten in Kooperation mit dem DOH an einer Langzeitstudie zu physischen und psychischen Spätschäden des Dopings bei ehemaligen Sportlern in der DDR, die im Herbst 2017 vorgestellt wer-den soll.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern ist in den vergangenen Jahren in Sachen Aufarbeitung des DDR-Sports aktiv geworden. So gab es im Herbst 2015 eine Anhörung und 2015 und 2016 weitere Debatten im Schweri-ner Landtag, in denen die Notwendigkeit der Aufarbeitung der DDR-Do-pingpraxis in den drei ehemaligen Nordbezirken bekräftigt wurde. Zudem stellte der Landtag Mecklenburg-Vorpommern Geld für die Forschung und Aufarbeitung zur Verfügung. 2016 beauftragte der Landtag Mecklen-burg-Vorpommern die Landesbeauftragte, die vom Staatsdoping der DDR betroffenen Sportlerinnen und Sportler zu beraten und zu begleiten. Der Bedarf ist enorm und zeigt die Notwendigkeit, eine zusätzliche, eventuell zeitlich befristete Beraterstelle einzurichten, um den Geschädigten ange-messene Hilfe und Unterstützung anbieten zu können.

Gemeinsam mit dem Verein Dopingopferhilfe e.V. und dem Jour-nalisten André Keil konnten wir in den vergangenen Jahren in Mecklen-burg-Vorpommern Informationsveranstaltungen und Beratungstage zum Thema durchführen. Die Gespräche mit den geschädigten ehemaligen Sportlern zeigen, wie schwierig ihr Weg heute bei der Aufarbeitung, Aner-kennung und Entschädigung ist. Mit dieser Publikation wollen wir uns der persönlichen und gesellschaftlichen Dimension des Themas annehmen, die eng miteinander verbunden sind. Wir hoffen, damit ein wenig zur Hei-lung beitragen zu können.

Anne Drescher

Schwerin, Juli 2017

Page 13: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

11

Einleitung Ines Geipel

Die Sicht auf den DDR-Sport hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert: Wurde er einst als großes Wunder gefeiert, dessen Dauererfol-ge die Welt in Staunen versetzte, kam kurz nach dem Mauerfall nach und nach seine aktenfeste Wahrheit ans Licht. Die lautete: flächendeckendes Zwangsdoping von 15.000 Kaderathleten ab 1974 und zwar großteils von Kindern und Jugendlichen. Tatsachen, die irgendwann nicht mehr zu leug-nen waren und die offenbar machten, dass der DDR-Sport eines der größ-ten pharmakologischen Experimente der Geschichte gewesen ist. Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene – die sportliche Elite eines Landes, die in dem Sinne Besten, waren chemisch ausgeforscht, virilisiert, das heißt ver-männlicht und ihre Körper und Seelen enteignet worden.

Die historische Umbewertung des DDR-Sports betraf denn auch die Athleten. Galten sie noch viele Jahre nach 1989 als Profiteure des ostdeut-schen Regimes, als folgsame, sieghungrige Zivilsoldaten, ist dieser Blick zusammen mit den falschen Jubelbildern des ostdeutschen Sports mittler-weile aus der Öffentlichkeit verschwunden. Heute liegt der mediale Fokus auf der immer größer werdenden, späten Wunde des kriminellen DDR­Sports und damit auf den Berichten seiner vielen Opfer. Denn nach und nach tritt zutage, welch harte Realität sich hinter all dem Glanz verbergen ließ, wie viel Zwang, Druck und Gewalt ostdeutsche Sportler ausgesetzt waren.

Obwohl viele Haupttäter ihre Untaten nach 1989 lange Zeit abstritten, bagatellisierten und öffentlich Falsches behaupteten, fanden nach umfas-senden Ermittlungen der Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) zwischen 1998 und 2000 Strafprozesse statt, die zu zahlreichen Urteilen wegen Körperverletzung, Freiheitsstrafen auf Bewährung und zum Teil hohen Geldstrafen führten.

Der Uneinsichtigkeit des ehemaligen DDR-Sportchefs Manfred Ewald sowie des Dynamo-Dopingarztes Dr. Bernd Pansold – noch heute als Me-diziner bei RedBull in Österreich tätig – ist es zu verdanken, dass sich auf-grund ihrer Revisionen auch das Bundesverfassungsgericht zum pharma-kologischen Missbrauch im Sport äußern musste. Es tat das grundsätzlich.

Page 14: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

12

In seiner Entscheidung vom 9.2.2000 verwarf der 5. Strafsenat die Revision von Dr. Pansold und hielt ausdrücklich fest: „Das festgestellte Ausmaß or-ganisierter gesundheitlicher Gefährdung bis hin zu konkreter Schädigung verbietet es zu erwägen, die hier in Frage stehenden Fälle einer Fallgrup-pe minderer Kriminalität zuzurechnen.“ Nach der Bewertung des Bundes­gerichtshofes handelte es sich im Falle des DDR-Staatsdopings demnach um erhöht kriminelles Handeln.Die Prozesse zwischen 1998 und 2000 zeitigten schließlich auch ein paar wichtige Ergebnisse:

1. Das DDR-Staatsdoping wurde durch Hunderte von Dokumenten, Stasi-Berichten, Anklageschriften, Strafurteilen und Schadensge-schichten zu einem historischen Tatbestand.

2. Es gab eine Neufassung des Arzneimittelgesetzes der Bundes-republik Deutschland vom 1.9.1998, in der nicht nur ausdrückliche Bestimmungen zum „Verbot von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport“ (§ 6a) aufgenommen wurden, sondern auch die Strafvor-schriften des § 95 deutlich erhöhte Strafen bis hin zu zehn Jahren Freiheitsentzug vorsahen.

3. Der Bundestag beschloss nach einem Offenen Brief von Opfern und einer langen Debatte am 14. Juni 2002 das erste Doping-Opfer-Hilfe gesetz (DOHG) mit einem Hilfsfonds über 2 Millionen Euro, der 194 Opfer entschädigte.

Aber die Schäden des DDR­Sports erwiesen sich als bleibend, ja, sie wuch-sen an. Von daher bestand die Doping-Opfer-Hilfe (DOH) auf einer zwei-ten Gesetzesinitiative und konnte bei der Bundesregierung im Jahr 2015 ein zweites DOHG durchsetzen. Am 2. Juli 2016 trat es in Kraft. Der neue Fonds über 10,5 Millionen Euro ist nunmehr für 1.000 Geschädigte einge-richtet und läuft bis zum 31.12.2018. Der DOH fordert eine Anpassung des Gesetzes, damit die Schäden in der zweiten Generation und damit die vie-len betroffenen Kinder auch entschädigt werden können.

Warum es so lange gebraucht hat und noch immer braucht, die Hypo-theken des DDR­Sports aufzuklären, hat insbesondere mit den sehr schwe-ren Schicksalen und gebrochenen Identitäten der Geschädigten zu tun. Viele haben die eigene Krankheit zunächst nicht dem Sport zugeordnet. Viele schämen sich. Sie schämen sich, vom eigenen kaputten Körper und Leben zu berichten. Scham zu überwinden, das braucht Zeit. Und sie hat

Page 15: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

13

Vertrauen nötig, damit neben die Scham Informationen treten können, die einen offeneren Blick auf das erfahrende Leid ermöglichen.Dieses Heft versteht sich als Orientierung, als ein kleiner Kompass, um der professionellen Community Informationen anzubieten, aber zualler-erst, um den Geschädigten auf dem Weg zur eigenen Geschichte Hilfe zu ermöglichen.

Page 16: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

14

STS 646 Tabletten und Kapseln, nicht zugelassenes für den DDR-Sport entwickeltes Präparat (STS = Steroidsubstanz, gehört zur Gruppe der Anabolika)

Page 17: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

15

Staatsplanthema 14.25Ines Geipel

755 Olympiamedaillen, 768 Weltmeister- und 747 Europameistertitel. Die Erfolgsbilanz der DDR in vierzig Jahren Sportgeschichte brachte dem klei-nen Land viel Ruhm, Jubelbilder und Identitätsgeschichte ein. Doch so viel Sportwunderwerk verlangte auch nach Erklärung. Der Welt wie der ostdeut-schen Bevölkerung wurde angesichts der erstaunlichen Dauersiege Glauben gemacht, dass es das herausragende Fördersystem des Landes, seine ein-zigartigen Trainingskonzepte, die unübertroffene Betreuung der Athleten, aber auch die besondere Aufmerksamkeit des Staates, mithin die Überzeu-gung des Sozialismus seien, die das Sportwunder erst möglich machten. Märchen sind das eine, die Sportrealität der DDR war etwas anderes.

Wie Dokumente der Staatssicherheit belegen, beschloss die DDR-Re-gierung 1974 den geheimen Staatsplan 14.25, der nichts anderes als flä-chendeckendes Zwangsdoping von annähernd 15.000 Kaderathleten be-deutete.2 Verantwortlich für den „Staatsplan Sieg“ war die Hauptabteilung XX/3 der Staatssicherheit. Zu ihren Aufgaben gehörten die strenge Geheim-haltung sowie in weiten Teilen auch die Organisation des staatlichen Do-pingprogramms, die Observation und „Zersetzung“ systemkritischer Ath-leten, die Überwachung illegaler Dopingforschung, die Verhinderung der Flucht prominenter Athleten bzw. sogenannter Geheimnisträger, die ab-solute Kontrolle bei internationalen Sportmeetings sowie auch internatio-nale Sport-Spionage. Im Stasi-System der Totalüberwachung der DDR-Ge-sellschaft hatte der Sportbereich seine besondere Eigenheit. Medaillen bedeuteten Systemimage, viele Medaillen entsprechend viel Systemimage. Insofern wurden ab 1974 geschäftige Geheimdienstaktivitäten vor allem um den illegalen Maschinenraum 14.25 herum aufgebaut. Nichts wur-de dabei dem Zufall überlassen. So, wie das Dopingsystem mit den Jahren harsch entglitt, explodierte parallel dazu – wie zwei Seiten einer Medaille

2 Siehe Dokument 1 im Anhang, S. 63 ff. Aufgrund der in den Stasi-Akten des IM „Technik“ überlieferten Vorlage vom 24.6.1974 an die Leistungssportkommission der DDR wurde am 23.10.1974 die „planmäßige Anwendung und Untersuchung unterstüt-zender Mittel im Leistungssport“ beschlossen. Die Umsetzung erfolgte als „Komplex 08-Plan Nr. Zf. 14.25“ im Staatsplan Wissenschaft und Technik und war damit Bestandteil des Volkswirtschaftsplans der DDR – siehe Spitzer (1998), S. 252, S. 408.

Page 18: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

16

– die Zahl der Stasi-Spitzel im Sport. Arbeiteten 1972 etwa zehn Prozent der DDR-Olympioniken dem Geheimdienst zu, waren es 1976 in Montreal 14 Prozent, 1980 in Lake Placid 20 Prozent und 1984 in Sarajevo bereits 25 Prozent. Das Spitzelsystem im DDR­Hochleistungssport zählte in den acht-ziger Jahren annähernd 3.000 Stasizuträger.

Aber auch in Sachen Doping ging es ab 1974 allein um Maximierung. Für diesen rabiaten Kurs setzte Stasichef Erich Mielke keinen anderen als den Chef des eng mit dem Geheimdienst verflochtenen Finanzimperiums „Kom-merzielle Koordinierung“ (KoKo) Alexander Schalck-Golodkowski ein und betraute ihn mit der Restrukturierung des ostdeutschen Spitzensports. Die-ser legte Mielke Mitte der achtziger Jahre ein Konzept zur Umstruk turierung des Sportmedizinischen Dienstes – zunächst des SC Dynamo Berlin – vor, das binnen kurzem zur Generallinie für die kommende sportliche Hochleistung im Land wurde. In ihm wurde das Modell eines Athleten als einer „echten sozialistischen Gemeinschaftsarbeit“ entworfen, die in der „Einheit zwischen Sportfunktionär, Wissenschaft und Produktion“ fabriziert werden sollte. „Die Zersplitterung der wissenschaftlich­praktischen Kapazitäten ohne einheitli-che und koordinierende Leitung“, schrieb Schalck-Golod kowski, „führt zu er-heblichen Effektivitätsverlusten. Das wirkt sich in der Industrie – nur so will ich das vergleichen – im gleichen Sinn negativ aus.“3

Der effiziente DDR­Maschinenathlet als Ideal für den zukünftigen Drogensport. In diesem Sinne wurde für das Olympiajahr 1984, in dem die DDR mit dem ersten Platz der Länderwertung in Los Angeles liebäugelte, eine neue „Überbrückungsmaßnahme“ für Sporthöhepunkte durchgesetzt. Das geheime Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS) in Leip-zig hatte mittels Computer exakte Zeitpläne für Athleten erstellt, um die mittlerweile international eingeführten Steroid-Kontrollen durch „genau errechnete und erprobte Dosen von Testosteron und Epitestosteron, in-tramuskulär gespritzt, zu überbrücken“. Das heißt: zu umgehen. Schalck schlug vor, die notwendigen Geräte sofort im Westen anzukaufen, um auf diesem Weg die „wissenschaftlich-feindliche Haltung, speziell der Leis-tungsmediziner“ auszubremsen. Auch aus diesem Grund erhöhte sich der Valutabedarf für den DDR-Sport in den achtziger Jahren rapide: zwischen 1985 und 1987 von 6,8 auf 12,2 Millionen. Viel Geld für ein marodes Land.

3 Alle Zitate im Text aus: Höppner, Manfred (IM „Technik“): BStU, ZA, MfS A 637/79;Schalck-Golodkowski,Alexander:SAPMO,DL2/KoKo1096.

Page 19: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

17

Doch im inneren Zirkel der Sportmacht ging es längst um Explosi-veres. Der „Ruf nach der Wunderwaffe“ war laut geworden. Das meinte nicht mehr Steroide allein, sondern Wachstumshormon, Gendoping, EPO, Blutdoping, Psychopharmaka und speziell für den einzelnen Athleten entwickelte und genau abgestimmte Substanzkombinationen. Bereits am 1.12.1983 hatte IM „Technik“ alias Dr. Manfred Höppner, Chefinitiator des DDR­Staatsdopings, seinem Führungsoffizier über eine völlig neue Subs-tanz berichtet. Sie hieß Somatropin. „Ausgehend von Veröffentlichungen in der Westpresse erklärte der IM, dass es sich bei diesem Präparat um ein sogenanntes Wachstumshormon handelt. Das Präparat findet schon meh-rere Jahrzehnte Anwendung in der Medizin bei kleinwüchsigen Menschen, um deren Wachstumsprozess zu beeinflussen. Bei nicht richtiger Anwen-dung bzw. überhöhten Dosierungen kann es dabei zu Missbildungen be-stimmter Körperteile kommen.“ Knapp vier Wochen später war das Präpa-rat im Land, und Höppner erklärte lapidar: „Das Präparat Somatropin wird gegenwärtig geprüft.“ Wo? In Kreischa, dem Zentralinstitut des Sportmedi-zinischen Dienstes und gleichzeitig zentralem DDR-Doping-Kontroll-La-bor. Aus Somatropin wurde das DDR­Präparat Sotropin H. entwickelt, das Wintersportlern ins lädierte Knie gespritzt wurde oder minderjährigen Turnerinnen und Schwimmerinnen in die Wirbelsäulenmuskulatur. Diese Substanzen waren kreuzgefährlich, weil aus den Hirnanhangsdrüsen von

Präparate, die in „Medikamenten-cocktails“ der DDR-Doping-Praxis Verwendung fanden

Page 20: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

18

Leichen gewonnen. Die Ärzte in Kreischa stattdessen zeigten sich erfreut über den Behandlungserfolg.

Doch auch Somatropin oder Sotropin H reichten nicht aus. Am 2.5.1985 schrieb Führungsoffizier „Erich“ nach einem Bericht von Dr. Man-fred Höppner: „Der IM informierte über das Forschungsprogramm und den dazu einbezogenen Personenkreis. Darüber hinaus sind noch ca. 100 Aktive im Rahmen der angewandten Untersuchung einbezogen, jedoch sind diese nicht darüber informiert, dass es sich um Forschungsprobleme handelt bzw. davon, was sie tatsächlich bekommen. Ihnen wurde lediglich gesagt, dass die Untersuchungen dem Zwecke der Erarbeitung einer wis-senschaftlichen Arbeit dienen und deshalb wöchentlich darüber berichtet werden muss, welche Erscheinungen und Empfindungen bei ihnen aufge-treten sind.“

Unklar bleibt, welche Mittel bei der hochkarätigen Suche nach „Er-scheinungen und Empfindungen“ beim Athleten zum Einsatz kamen. Doch seit Mitte der achtziger Jahre existieren in Höppners IM-Akten immer wieder auch Berichte zu Forschungen außerhalb des „Staatsplans 14.25“. Am 5.8.1986 teilte er mit: „Am 25.6.1986 fand im Sporthotel eine inter-ne Beratung über Probleme der Verbesserung der Sauerstoffversorgung bei Leistungssportlern statt. [...] Es muss davon ausgegangen werden, dass zu-mindest ab dem Zeitpunkt dieser Beratung der angeführte Personenkreis Kenntnis darüber erhielt, dass man sich im Leistungssport der DDR mit dem Gedanken der Bluttransfusion (Blutdoping) ernsthaft beschäftigt. Be-achtet werden muss in diesem Zusammenhang, dass seit April 1986 das Blutdoping auf der Verbotsliste der Medizinischen Kommission des IOC, in Auswertung der Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles steht. Die gegen-wärtigen Untersuchungen auf diesem Gebiet laufen außerhalb des Staats-planthemas 14.25.“

Tatsache ist, dass das perfektionierte Staats-Dopingsystem der DDR über die achtziger Jahren hinweg einerseits erodierte: Bis zu 20 Prozent der Sportärzte, insbesondere Frauen, gaben ihr Berufsfeld auf. Auch der Widerstand unter den Athleten gegen die zwangsverordneten Substanz-einnahmen wuchs. Andererseits verweisen die Unterlagen des Geheim-dienstes für den genannten Zeitraum auf einen Sprung in eine neue Doping-Ära: illegale Versuche am Menschen, ungeprüfte Kombinatio-nen verschiedenster Substanzen, Blutdoping, Amphetamine, weiterhin Oral-Turinabol und das nie auf der Medikamentenliste der DDR und nur

Page 21: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

19

Beipackzettel des VEB Arzneimittelwerk Desden für das aus Hirnanhangsdrüsen Verstorbener hergestellte Wachstumshormon Somatotropin

Page 22: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

20

für den DDR-Sport produzierte STS 646, reines Testosteron, Weckamine, Diuretika, Betablocker, psychotrope Substanzen, Nasensprays mit Andros-tendion, Opiate, Wachstumshormon: Die Liste war endlos. Der chemische Cocktail, der den Athleten ohne jede Information verabreicht wurde, war in den Folgen einmal mehr unabsehbar. Von den ursprünglich zentralistisch gesteuerten Doping-Konzeptionen im DDR-Leistungssport war nur wenig übriggeblieben. Über das Land hatten sich längst Drogenringe gebildet, finanziert von der Staatssicherheit, von besonders agilen SED­Bezirkslei-tungen, von notorisch sieghungrigen Sportclubs, von prämienabhängigen Trainern, mitunter auch von erfolgreichen Athleten, die vermeintlich wei-cheres Doping aus dem Westen mitbrachten, um es in Valuta umzurubeln.

Forschungen in russischen Archiven könnten klarstellen, mit welchen sowjetischen Präparaten das verdreckte DDR­Sportsystem in den achtzi-ger Jahren herumhantierte. Dasselbe gilt für notwendige Forschung in ru-mänischen oder bulgarischen Archiven. Schon wegen Höppners eigener IM-Akte – 1986 der letzte Bericht, der vierte, verschwundene Band im Mai 1987 angelegt, die gesamte Akte erst 1989 verplombt – muss seine Aussa-ge im „Stern“ aus dem Jahr 1991 ernst genommen werden: „Nach dem Fall der Mauer wurde die Parole ausgegeben, sämtliche belastenden Papiere zu vernichten. Der nur mündlich weitergegebene Befehl kam von ganz oben. Zwischen November 1989 und April 1990 wanderten fast alle Dokumente in den Reißwolf.“

Dass dem nicht so war, belegen zahllose Dokumente in der Stasi-Unterlagenbehörde, die das ostdeutsche Zwangsdoping-System eindeutig machen. Dessen ungeachtet fehlen Belege, insbesondere aus den letzten Jahren der DDR. Auch sind bislang erst etwa 50 Prozent der Stasi-Unter-lagen zum DDR-Sport ausgewertet worden. Mit dem Öffnen der Archive nach 1989 fiel das vermeintliche Sportwunder DDR wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Und es warf schwere Schatten, denn es hatte vor al-lem viele Opfer produziert. Nach DDR­internen Schätzungen waren im Hinblick auf den Staatsplan 14.25 bereits bei 20 Prozent der Sportlerin-nen und Sportler irreversible Schäden angenommen worden. Die kriminel-le Praxis wurde trotz dieses Wissens jedoch nicht eingeschränkt, sondern im Gegenteil radikalisiert, gerade weil in ihr vorsätzliche Körperverletzung sowie geheime Forschung am Menschen zum staatlichen Auftrag erklärt worden waren. So berichten Geschädigte heute u. a., dass sie in speziellen Forschungsklassen, in den Sportclubs, aber auch am illegalen Forschungs-

Page 23: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

21

Treffbericht IM „Technik“, 5.11.1974

Treffbericht IM „Technik“, 1.8.1974

Treffbericht IM „Technik“, 9.8.1973

Page 24: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

22

institut FKS Leipzig vor allem in den achtziger Jahren für zahllose Men-schenversuche herhalten mussten. Und sie berichten endlich auch, was sich unterhalb der vermeintlichen Legitimationsdecke Staatsplan 14.25 im DDR-Sport darüber hinaus ereignet hat: körperliche Gewalt, Sadismus, sexueller Missbrauch und alle erdenklichen Formen von psychischer Ver-einnahmung. Physische, psychische und soziale Schäden, die äußerst mul-tipel und aufgrund des nach wie vor gültigen Schweigens im organisierten Sport erst heute als späte Wunden in ihrem ganzen Umfang sichtbar wer-den.

Dynvital – Medikamente wer-den häufig mit dem unverfäng-lichen Vitaminpulver Dynvital aufgelöst.

Page 25: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

23

Treffbericht IM „Technik“, 4.8.1976

Das West-Medikament Thioctacid wurde vor allem Schwimmern und Ruderern als Tablette, Kapsel oder Spritze verab reicht, um der Übersäuerung der Muskeln vorzubeugen (siehe Dokument unten).

Page 26: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

24

Mit dem UV-Blutbestrahlungsgerät FMR10 des VEB Präcitronic Dresden wurde das Blut von Sportlern mit Ultraviolettstrahlung behandelt und zusammen mit einem Vitamincocktail wieder zurück injiziert.

Page 27: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

25

Nachgewiesene DopingschädenInes Geipel

In der Fachliteratur, in der Rechtsprechung und nach Betroffenen-angaben anerkannte Schädigungen als direkte und indirekte Folge nach Doping mit androgenen-anabolen Steroiden

Beide Geschlechter – Organstörungen vor allem bei Herz, Leber, Lunge, Bauchspeicheldrüse,

Niere, Magen, Darm – pathologische Herzvergrößerungen (Hypertrophie) bis zu einer Art des

„plötzlichen“ Herztodes, Herzinfarkte, Herzinsuffizienz, Herzrhyth-musstörungen, Leberfunktionsstörungen, Cholestase, z. T. persistie-rend, Cholestatische Hepatitis, Hämangiome (verschiedene Subtypen), Peliosis hepatitis (Aussackungen des Blutsystems der Leber)

– Tumore (androgen-induzierte Hepatome), vor allem bei Leber, Brust, Gebärmutter, Hoden, Blut

– Herz­, Stoffwechsel­ und Blutkreislaufschäden – Kardiomyopathien, Thromben, Venenverschlüsse, gestörte Lymph-

systeme, Bluthochdruck – Haut-Steroidakne, Talgdrüsen-Zysten, Follikel-Entzündungen – psychische Schädigungen: erhöhte Aggressivität, aggressiver Zerstö-

rungswahn („roid rage“), Angststörungen, dissoziative Störungen, Panikattacken, Suchterkrankungen (häufig Bulimien, Alkoholismus, Drogen, Tablettenabhängigkeit), Depressionen, Borderline­Störungen, Bipolarität, Psychosen, chronifizierte Suizidalität

– Asthma, Autoimmunerkrankungen – schwere Schäden an allen großen Gelenken, vor allem Hüftarthrosen,

Kniearthrosen, Arm- und Handgelenkarthrosen und künstliche Hand- und Armgelenke, Schäden an der Wirbelsäule und den Halswirbeln

– Schmerzhafte Muskelspannung („Hartspann“), Krämpfe, Zerrungen und Muskelrisse

– geschädigtes Blutbildungssystem, Polyzythämie (benigner Tumor)

Page 28: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

26

– Polyneuropathien – chronisches Erschöpfungssyndrom, Reboundphänomene

Mädchen und Frauen – veränderte Geschlechtsorgane, polyzystisches Ovarsyndrom, Uterus­

atrophie, Menstruationsstörungen bis zur Amenorrhoe, Klitoris-Hyper-trophie, Reduktion der Brüste, Promotion eines Typs von Mammakarzi-nom, exzessive Libidosteigerung

– Haut­Hirsutismus (männliche Körperbehaarung), Alopezie (männlicher Typ des Haarausfalls), Stimmvertiefung (z. T. irreversibel)

– Fehlgeburten und Kinderlosigkeit

Jungen und Männer – veränderte Geschlechtsorgane, Hodenatrophie (Rückbildung des Ho-

den), Förderung und Entstehung von Prostatakarzinomen, Reduktion oder Einstellung der Spermienproduktion, Gynäkomastie (Entwicklung einer vergrößerten, weiblich erscheinenden Brust)

Schäden in der 2. Generation – vor allem Deformationen der Organe, Hände und Füße, Skelettschäden,

Klumpfüße, Wasserköpfe – schwere psychische Schädigungen, chronifizierte Suizidalität

Page 29: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

27

Auszug aus der Geschädigtenliste des DOH, 50 von aktuell 1350 Geschädigten, Stand Juli 2017

Rennkanute, geb. 1942, Olympiateilnehmer, Einnahme von Steroi-den über zwei Olympiazyklen, fünf Herzinfarkte, Herzschrittmacher. Leichtathlet, geb. 1943, aktiv 1957 – 1964, Olympiakader, Einnahme von Steroiden über sechs Jahre, demenzkrank.Ringer, geb. 1950, aktiv 1970 – 1985, staatlich verordnetes Dopingpro-gramm, DDR-Vize-Meister, Herzerkrankung, manisch-depressiv. Gewichtheber, geb. 1951, aktiv 1965 – 1980, staatlich verordnetes Do-pingprogramm 1974 – 1980, Weltmeister im Stoßen, Herzinfarkt, Diabetes, 3 x Dialyse in der Woche, schwere Organschäden. Tod 2014. Leichtathletin, geb. 1956, aktiv 1969 – 1980, staatlich verordnetes Do-pingprogramm 1972 – 1980, 4. Platz bei Hallen-Europameisterschaften, Depressionen, Arthrose in allen großen Gelenken und in der Wirbelsäule, chronische Schmerzerkrankung. Leichtathletin, geb. 1957, aktiv 1970 – 1979, staatlich verordnetes Do-pingprogramm 1974 – 1979, 4. Platz bei Junioren-Europameisterschaften, schwere Depressionen, Arthrose, Suizid des Sohnes aufgrund starker De-pressionen. Biathlet, geb. 1957, aktiv 1972 – 1980, staatlich verordnetes Dopingpro-gramm 1972 – 1977, Junioren-Weltmeister, gestörtes Lymphsystem, Krebs.Schwimmer, geb. 1957, aktiv 1963 – 1972, staatlich verordnetes Doping-programm, DDR-Jugendmeister, Tod 1973, laut Autopsie: starke Wandver-dickung der linken und rechten Herzkammer, akute Entzündung der Milz, entzündlich-toxischer Leberschaden. Leichtathlet, geb. 1957, aktiv 1971 – 1985, staatlich verordnetes Do-pingprogramm 1974 – 1985, Olympiafünfter, Leberzirrhose, Versagen der Bauchspeicheldrüse, Tod 1993. Ruderer, geb. 1958, aktiv 1973 – 1980, staatlich verordnetes Dopingpro-gramm, zweifacher Junioren-Weltmeister, zwei Hüftoperationen, Diabetes, Lendenwirbelversteifung, Bluthochdruck. Leichtathletin, geb. 1958, aktiv 1972 – 1977, staatlich verordnetes Do-pingprogramm 1974 – 1977, Junioren-Europameisterin, Brustkrebs, eine Fehlgeburt, Depressionen.

Page 30: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

28

Leichtathletin, geb. 1960, aktiv 1972 – 1982, staatlich verordnetes Do-pingprogramm 1976 – 1982, DDR-Meisterin, 1. Kind mit zusammenge-wachsenen Zehen, 2. Kind mit Downsyndrom. Kanute, geb. 1960, aktiv 1973 – 1981, staatlich verordnetes Dopingpro-gramm, DDR­Vizemeister, Lähmungen und Schmerzen bei Arthrosen, mul-tiple Gelenkveränderungen, Testosteronmangel, Diabetes, Fettstoffwech-sel-Störung.Biathlet, geb. 1960, aktiv 1968 – 1980, staatlich verordnetes Doping-programm 1975 – 1979, zweifacher Junioren-Weltmeister, somatoforme Schmerzstörung, degenerative Veränderung der Wirbelsäule. Leichtathletin, geb. 1960, staatlich verordnetes Dopingprogramm, Herz-muskelentzündung, Autoimmunerkrankung, Entfernung der Eierstöcke, chronische Nierenentzündungen. Skilangläuferin, geb. 1960, aktiv 1972 – 1982, staatlich verordnetes Do-pingprogramm 1977 – 1982, Olympiasiegerin, akute Menstruationsstö-rungen, Bulimie, Schwangerschaftsabbruch wegen Schädigung des Kindes, Tod des Kindes nach Geburt. Leichtathletin, geb. 1961, aktiv 1975 – 1984, staatlich verordnetes Doping-programm 1976 – 1984, Depressionen, multiples Organversagen, Tod 2010.Kanutin, geb. 1961, aktiv 1975 – 1982, staatlich verordnetes Dopingpro-gramm 1978 – 1982, DDR-Jungendmeisterin, Herzmuskelentzündung, Asth ma, Magenkrebs, Tod 2004. Eiskunstläuferin, geb. 1961, aktiv 1975 – 1989, staatlich verordnetes Dopingprogramm 1982 – 1988, DDR-Vize-Meisterin, Herzvergrößerung, Depressionen, Arthrose in Knien und Schultern, starke Zystenbildung in Brust und Gebärmutter. Schwimmer, geb. 1961, Erstvergabe von Oral-Turinabol mit 8 Jahren, staat-lich verordnetes Dopingprogramm, Herzmuskelentzündung, schwere COPD.Schwimmerin, geb. 1962, aktiv 1972 – 1981, staatlich verordnetes Doping-programm 1975 – 1980, Bronze bei Olympischen Spielen, Brustkrebs, Wir-belsäulenschäden, Verlust des linken Eierstocks, Bandscheibenvorfall.Eiskunstläuferin, geb. 1963, aktiv 1967 – 1978, staatlich verordnetes Do-pingprogramm 1976 – 1977, Teilnahme an DDR-Meisterschaften, Verlust beider Eierstöcke, Tumor, Depression, Bulimie. Schwimmerin, geb. 1963, aktiv 1972 – 1979, staatlich verordnetes Do-pingprogramm 1974 – 1979, Weltrekordlerin, Stimmvertiefung, Hormon-störungen.

Page 31: STAATSDOPING IN DER DDR DER DDR. - no-doping.org · und „unterstützende Mittel“ (u. M.) thematisiert sind. Die aufgezeichne- Die aufgezeichne- ten Gespräche der Verantwortlichen

29

Leichtathletin, geb. 1964, aktiv 1978 – 1984, staatlich verordnetes Do-pingprogramm, Hallen-Europameisterin, Depressionen, Angststörung, posttraumatische Belastungsstörung. Ruderin, geb. 1964, aktiv 1976 – 1982, staatlich verordnetes Dopingpro-gramm, DDR-Meisterin, starke Körperbehaarung, Bartwuchs, Depressio-nen, Migräne, Wirbelsäulenschäden, akute Schmerzerkrankung. Gewichtheber, geb. 1964, aktiv 1976 – 1985, staatlich verordnetes Do-pingprogramm 1976 – 1985, Bronze bei Junioren-Europameisterschaften, Tumor, Psychosen. Handballerin, geb. 1965, aktiv 1979 – 1985, staatlich verordnetes Doping-programm, DDR­Meisterin, Immunschwäche, Depressionen, schwere Ar-throsen im Bewegungsapparat, Lähmung im Schulterbereich. Schwimmer, geb. 1965, aktiv 1975 – 1980, staatlich verordnetes Doping-programm, Teilnahme an DDR­Meisterschaften, Zeugungsunfähigkeit. Turner, geb. 1965, aktiv 1974 – 1982, staatlich verordnetes Dopingpro-gramm, DDR­Meister, multiple Organstörungen, Schäden im Knochen­ und Körperaufbau, chronische Bauchspeicheldrüsen-Entzündung, Diabe-tes.Leichtathlet, geb. 1965, aktiv 1979 – 1991, staatlich verordnetes Doping-programm, Europameister, schwere Rückenschäden, Kalkablagerungen in Oberschenkelknochen, Transsexualität. Leichtathletin, geb. 1965, staatlich verordnetes Dopingprogramm, tiefe Stimme, Bartwuchs, Rückenschäden, eine behinderte Tochter mit Wasser-kopf und Diabetes. Turnerin, geb. 1965, aktiv 1975 – 1982, staatlich verordnetes Doping-programm, Bronze bei Weltmeisterschaften, Depressionen, Bulimie, eine Fehlgeburt, Suizidversuch. Volleyballerin, geb. 1966, aktiv 1979 – 1986, staatlich verordnetes Do-pingprogramm, Mitglied der DDR-Nationalmannschaft, Dystonie, zahlrei-che Operationen, Schlaganfall. Skilangläufer, geb. 1966, staatlich verordnetes Dopingprogramm, verfügt über keinen eigenen Herzschlag mehr, dritter Herzschrittmacher, Gefäß-schäden, Impotenz. Leichtathletin, geb. 1966, aktiv 1978 – 1983, staatlich verordnetes Do-pingprogramm 1980 – 1983, DDR­Juniorenmeisterin, Wirbelsäulen­Schä-den, Hirntumor. Schwimmer, geb. 1967, aktiv 1977 – 1986, staatlich verordnetes Doping-