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Public Health Forum 22 Heft 83 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef
St€arkung von Qualit€at im Gesundheitswesen –Erfahrungen aus der Praxis einer Gesundheitsministerin
Ulla Schmidt und Patricia Ex
Die Forderung von Qualitat im Ge-
sundheitswesen ist ein haufig gefor-
dertes und mehrfach angekundigtes
Vorhaben. Die Beantwortung der Fra-
ge, was ,,Qualitat‘‘ im Zusammen-
hang mit unserer Gesundheitsversor-
gung eigentlich ist, bringt viel Diskus-
sionsbedarf. Meinem Verstandnis
nach ist die bestmogliche Qualitat
der Anspruch eines solidarischen
und universalistischen Gesundheits-
systems, in dem jede Patientin und
jeder Patient dauerhaft die medizini-
sche Leistung auf der technischen
Hohe der Zeit erhalt, die sie oder er
benotigt und wunscht.
Fur Reformen ist Qualitat allerdings
konkreter zu fassen. Zwischen 2001
und 2009 verbesserten wir die Qua-
litat im Gesundheitswesen insbeson-
dere an drei Stellschrauben: durch
integrierte Versorgungsstrukturen,
Transparenz und ein gerechtes Ver-
sicherungssystem mit solidarischer
Finanzierung.
Bei meiner Ubernahme des Minis-
teriums im Jahr 2001 war kurz zuvor
das Gutachten des Sachverstandigen-
rats im Gesundheitswesen erschienen.
Darin wurde ausfuhrlich dargelegt,
wie unser System von Uber-, Unter-
und Fehlversorgung gepragt war.
Organisierte Ablaufe zwischen ambu-
lanter und stationarer Versorgung wa-
ren vielerorts rudimentar. Auch bei
schweren Erkrankungen war es nicht
selbstverstandlich, dass die beteiligten
Institutionen und Berufsgruppen mit-
einander sprachen.
Seit Jahrzehnten wurde auf viele Wei-
se versucht, diesen tradierten Ab-
schottungen mit integrativen Losun-
gen zu begegnen. Meiner Vorgangerin
Andrea Fischer war es schließlich ge-
lungen, die Regelversorgung gesetz-
lich mit Integrationsversorgung zu
erganzen. Doch von den Akteuren
angenommen wurde es nicht. Daher
haben wir Integrierte Versorgungs-
strukturen in vielen Reformen ge-
starkt, allen voran im Gesundheits-
Modernisierungsgesetz von 2004.
Wir weiteten Selektivvertrage aus
und implementierten eine Anschub-
finanzierung aus dem kollektivvert-
raglichen Budgets. Innerhalb von
wenigen Jahren wurden Tausende
Selektivvertrage als Erganzung zu
Versorgungsschwachstellen geschlos-
sen.
Als weitere Maßnahme mit diesem
Ziel entwickelten wir Disease Ma-
nagement Programme fur chronische
Patienten (DMPs). Diese strukturier-
ten Behandlungsprogramme ermogli-
chen eine hohe Qualitat der Versor-
gung auf der Hohe des medizinischen
Fortschritts und schaffen Transparenz
durch eine klare Organisation der ein-
zelnen Ablaufe. Endlich stand bei der
Versorgung der Patient im Mittel-
punkt, nicht die einzelnen Sektoren.
Dazu kam die Grundung des Gemein-
samen Bundesausschusses (G-BA) als
sektorenubergreifende Einrichtung
und des Instituts fur Qualitat undWirt-
schaftlichkeit im Gesundheitswesen
(IQWiG). Neben Patientenvertretern
erhielt damit auch die Evidenz-basier-
te Medizin Eintritt in die Gemeinsame
Selbstverwaltung.
Integrierte Versorgung kann nur funk-
tionieren, wenn Transparenz in den
Versorgungsablaufen besteht. Das
gilt insbesondere in einem so komple-
xen System wie dem Gesundheitswe-
sen. Als ich anfing, erhielt ich Be-
schreibungen von Patientinnen, nach
denen Frauen schon beim Verdacht
auf ein Mammakarzinom gleich die
Silikonkissen fur ihre Brustimplantate
angepasst wurden – noch ehe das Ge-
sprach mit dem Arzt oder der Arztin
uber die endgultige Diagnose stattge-
funden hatte. Das zu andern ging nur
durchmehr Kooperation zwischen den
einzelnen Berufsgruppen und Sekto-
ren. Richtige Diagnosen und Behand-
lungsablaufe kann man nur sicherstel-
len, wenn man weiß, was an anderer
Stelle passiert. Hierzu kann etwa auch
zahlen, dass man sich eine Zweitmei-
nung einholt oder Kooperationen zwi-
schen Hausarzt und betreffenden
Facharzten und anderen nicht-arztli-
chen Gesundheitsberufen anregt.
Ein Gesundheitssystem ist immer nur
so gut wie die Versicherung der Pa-
tienten. Fur die Versicherten haben
wir im GKV-Wettbewerbsstarkungs-
gesetz von 2006 sehr wichtige Ande-
rungen in Richtung Qualitat vorge-
nommen – mit zielgenauen Verbesse-
rungen im Leistungsbereich, freieren
Wahl- und Fusionsmoglichkeiten von
Kassen, der Einfuhrung eines be-
grenzten Wettbewerbs bei der PKV
und dem – mir besonders wichtigen
– Versicherungsschutz fur alle Burger.
Das Herzstuck war die gerechtere und
solidarischere Finanzierung: die Ein-
fuhrung des Gesundheitsfonds. Alle
Mitglieder zahlen nach ihrer Leis-
tungsfahigkeit den gleichen gerechten
Beitragssatz von ihrem Einkommen
ein und Krankenkassen erhalten fairer
und versorgungsgerechter Mittel zu-
gewiesen als fruher. Das Geld sollte
dorthin fließen, wo die Kranken sind.
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Public Health Forum 22 Heft 83 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef
Der Gesundheitsfonds war strukturell
notwendig, um Nachteile zwischen
den Kassen auszugleichen. Endlich
ging es im Wettbewerb der Kranken-
kassen untereinander um die Qualitat
ihrer Versorgung.
Zwischen dem Gesundheitswesen des
Jahres 2001 und dem heutigen liegt
ein Quantensprung. Heute ist unser
Land in vielen Belangen wieder Welt-
klasse. Geschimpft wird zwar gleich-
viel, aber man muss nicht mehr nach
Boston jetten, um eine exzellente me-
dizinische Versorgung zu erhalten, es
reicht der ICE nach Essen, Bonn, Ber-
lin oder Leipzig. Auch meine Aus-
zeichnung mit dem ,,Qualitatspreis
Gesundheit‘‘ im Jahr 2013 zeigt mir
als nachtragliche Anerkennung, dass
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die Qualitat des Gesundheitswesens
durch unsere Initiativen der neun Jah-
re auch nachhaltig fur die Menschen
gestiegen ist.
In meiner politischen Karriere habe
ich sehr gut gelernt, dass Reformen
selten von Jubel begleitet werden –
und dass sollte man auch nicht erwar-
ten. Denn bei jeder Reform wachst bei
den Menschen zunachst einmal die
Angst, dass man ihnen etwas weg-
nimmt. Diesen Widerstanden muss
man sich im Zweifelsfall jedoch wi-
dersetzen. Wichtig sind die Uberzeu-
gung und der Wille, die gesellschaft-
lichen Verhaltnisse zu verbessern.
Man konnte auch einen bequemeren
Pfad als Minister wahlen – nicht die
steinige Straße bergauf. Aber das ist
sicher nicht der, uber den Qualitat und
Integrierte Versorgung vorangebracht
werden. Das Gesundheitssystem ist
bezahlbar – dazu tragen immer neue
Reformen zu bei. Was wir uns aber
auf Dauer nicht leisten konnen, ist
schlechte Qualitat.
Die korrespondierende Autorin erklart, dasskein Interessenkonflikt vorliegt.
http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2014.03.008
Ulla Schmidt, MdBVizeprasidentin des DeutschenBundestagesDeutscher BundestagPlatz der Republik 111011 [email protected]
Public Health Forum 22 Heft 83 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef
Einleitung
Die Forderung vonQualitat im Gesundheitswesen ist ein haufig gefordertes und haufig angekundigtes Vorhaben. Kurz vor
meiner Ubernahme desMinisteriums 2001 hatte der Sachverstandigenrat im Gesundheitswesen ausfuhrlich dargelegt, wie
unser System von Uber-, Unter- und Fehlversorgung gepragt ist. Organisierte Ablaufe zwischen ambulanter und
stationarer Versorgung waren vielerorts rudimentar. Zwischen 2001 und 2009 haben wir insbesondere durch drei
Stellschrauben die Qualitat im Gesundheitswesen verbessert: durch integrierte Versorgungsstrukturen, durch Transpa-
renz und durch ein gerechtes Versicherungssystem mit solidarischer Finanzierung.
Summary
The promotion of quality in the health care system is a frequently requested and announced intention. Just before I assumed
the Ministry of Health in 2001 the German Council of Health Experts had exposed that the German health care system is
shaped by a poor coordination of procedures between in-patient and out-patient care resulting in overuse, underuse, and
misuse of health services. Between 2001 and 2009, we fostered quality in health care particularly by focusing on three
determining fields: integrated care structures, operational transparency and a more equitable insurance system with
solidarity-based funding.
Schlusselworter:
Qualitat im Gesundheitswesen = Quality in Health Care, Integrierte Versorgung = Integrated Care, Evidenz-basierte
Medizin = Evidence-BasedMedicine, Gesundheitsreform = Health Care Reform, Strukturierte Behandlungsprogramme =
Disease-Management-Programmes
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