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Standortfaktor Bildungsintegration Report

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Standortfaktor Bildungsintegration

Report

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The Boston Consulting Group (BCG) ist eine internationale Managementberatung und weltweit führend auf dem Ge-biet der Unternehmensstrategie. BCG unterstützt Unter-nehmen aus allen Branchen und Regionen dabei, Wachs-tumschancen zu nutzen und ihr Geschäftsmodell an neue Gegebenheiten anzupassen. In partner schaftlicher Zu-sammenarbeit mit den Kunden entwickelt BCG individu-elle Lösun gen. Gemeinsames Ziel ist es, nachhaltige Wett-bewerbsvorteile zu schaffen, die Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu steigern und das Geschäftsergebnis dauer haft zu verbessern. BCG wurde 1963 von Bruce D. Henderson gegründet und ist heute an 66 Standorten in 38 Ländern vertreten. Das Unternehmen befindet sich im alleinigen Besitz seiner Geschäftsführer. Weitere Informa-tionen finden Sie auf unserer Internetseite www.bcg.de

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Standortfaktor Bildungsintegration

Bildungschancen von Schülern mit Migrationshintergrund entscheidend

für Standort Deutschland

bcg.com

Christian Veith

Martin Koehler

Monika Reiter

Juni 2009

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© 2009 The Boston Consulting Group GmbH. Alle Rechte vorbehalten

Für Nachbestellungen und Nachdruckgenehmigungen wenden Sie sich bitte an BCG unter folgender Adresse:

The Boston Consulting Group GmbHMarketing & Communications/RechteLudwigstraße 2180539 München

Fax: 089 2317-4718E-Mail: [email protected]

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Standortfaktor Bildungsintegration 3

Inhalt

Bessere Bildung für viele schafft Zukunft – für alle 4

Lernen ohne Zukunft: Immigration und Bildung 6Einwanderung nach Deutschland: Von der Ausnahme zum Normalfall 6Eintrittskarte Bildung: Berufliche Qualifikation schafft ökonomische Zukunft 8Hindernis Herkunft: Migranten als Verlierer im deutschen Bildungssystem 9

Sparen an der Zukunft: Bildungsdefizite als Standortnachteil 11Arbeitsmarkt 2035: Qualifizierte Arbeitskräfte fehlen auf allen Ebenen 11Was wäre, wenn …? Bildungsreform aus Arbeitgeberperspektive 14Viele Verlierer: Niedrige Bildungsniveaus verursachen hohe Kosten 16

Wege in die Zukunft: Bildungschancen für Migranten 20Unterschiede und ihre Ursachen: Was verhindert die Bildungsintegration? 20Veränderungen in der Praxis: Vielfalt fordert neue Lernkonzepte 33Gute Bildung kostet Geld – schlechte Bildung kostet noch viel mehr 41

Fazit: Drei Lücken, die es zu schließen gilt 47

Danksagung 49

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4 The Boston Consulting Group

Bessere Bildung für viele schafft Zukunft – für alle

In den kommenden Jahrzehnten wird sich die Struktur der deutschen Gesellschaft und damit die Situation auf dem Arbeitsmarkt dramatisch verändern. Wenn die geburtenstarken, hochqua-lifizierten „Babyboomer“-Jahrgänge zwischen

2020 und 2030 aus dem Berufsleben ausscheiden, rü-cken Generationen nach, die vor allem durch zwei Merk-male gekennzeichnet sind: Sie sind zahlenmäßig erheb-lich kleiner und sie weisen einen hohen Anteil von Migranten auf. Schon heute hat jeder Dritte der unter 5-Jährigen einen Migrationshintergrund.

Länder wie Kanada sehen Vielfalt als Chance – um ei-ner Überalterung der Bevölkerung entgegenzuwirken und von der Kreativität und Leistungsbereitschaft der Zuwanderer zu profitieren. Bildung ist hierbei der Schlüssel zum Erfolg für einen positiven Beitrag der Ein-wanderer. Jeder dritte in Deutschland geborene Migrant bleibt jedoch zurzeit ohne Berufsausbildung; nur 4 von 100 Gymnasiasten sind Ausländer – aber 20 von 100 Hauptschülern. In kaum einem anderen Land haben junge Migranten so schlechte Bildungs- und damit auch Zukunftsaussichten wie in Deutschland.

Wenn sich an dieser Situation nichts ändert, ist abseh-bar, dass sich auf dem Arbeitsmarkt ein massives Missverhältnis – mit Folgen für die wirtschaftliche Leis-tungsfähigkeit und die soziale Stabilität in Deutschland – entwickeln wird: Einem steigenden Bedarf an gut qua-lifizierten Mitarbeitern wird in den kommenden Gene-rationen eine rückläufige Zahl von Berufsanfängern gegenüberstehen, die zum Teil nur gering qualifiziert sind.

Eine doppelte Belastung zeichnet sich ab: Während im Segment der Hochqualifizierten händeringend nach

Fachkräften gesucht wird, steigen im Segment der Ge-ringqualifizierten die Arbeitslosenzahlen (und damit auch die erforderlichen Transferleistungen) dramatisch an – von der individuellen Tragödie der Perspektivlosig-keit großer Gruppen von Jugendlichen und dem damit verbundenen sozialen Sprengstoff ganz zu schweigen. An dieser langfristigen Entwicklung wird sich angesichts der aktuellen Krise wenig ändern. Der gegenwärtig zu beobachtende Anstieg der Arbeitslosenzahlen wird in den kommenden Jahren von der demografischen Ent-wicklung – und dem damit verbundenen Rückgang der Erwerbstätigenzahl – deutlich überlagert. Einige Exper-ten prophezeien sogar, dass die nächste Krise eine de-mografische Krise sein wird – zumindest in den westli-chen Entwicklungsländern.

Die vorliegende Studie „Standortfaktor Bildungsintegra-tion“ beschreibt die Situation, die volkswirtschaftlichen

Dr. Christian VeithSenior Partner and Managing DirectorThe Boston Consulting Group

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Standortfaktor Bildungsintegration 5

Folgen und mögliche Lösungswege speziell im Hinblick auf die Verbesserung der Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. So wenig Bildung als Wert allein auf einen ökonomischen Nutzen reduziert werden kann, so notwendig ist es, die Situation der Bildung in Deutschland auch aus ökonomischer Per-spektive zu beleuchten.

Wohlstand ist untrennbar mit Bildung verbunden. Die Attraktivität des Hochlohnlandes Deutschland gründet sich bis heute auf sein großes Angebot an gut ausgebil-deten, für die Anforderungen der Arbeitsmärkte quali-fizierten Menschen. Dies ist kein unveränderliches Merk-mal – wie in anderen Regionen „natürlicher Reichtum“ in Form von Öl oder Gas. Bildung der nachfolgenden Generationen ist die Quelle, die diesen Reichtum speist. In einer weltweit vernetzten Wirtschaft und in einem alternden Land, das auf den „Rohstoff“ Wissen mehr angewiesen ist als viele andere, muss die bestmögliche Förderung der Talente, Begabungen und Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen, unabhängig von ihrer Herkunftsgeschichte, höhere Priorität erhalten. Unsere Modellrechnungen zeigen auf, dass bessere Bildung nicht nur aus Gründen der Chancengerechtigkeit gebo-ten ist, sondern sich auch für die Volkswirtschaft ren-tiert. Bei einer herkunftsunabhängigen Ausbildung, die auch Jugendliche mit Migrationshintergrund als Gruppe so gut qualifiziert wie einheimische Berufsanfänger, wäre ein positiver Effekt für die deutsche Volkswirt-schaft in Form von Wertschöpfung und gesparten Trans-ferleistungen von durchschnittlich 27 Milliarden Euro pro Jahr zu erwarten. Dem stehen Kosten für zusätzliche Maßnahmen zur Förderung von Kindern und Jugendli-chen mit Migrationshintergrund von maximal 11 Milli-arden Euro pro Jahr gegenüber. Ein hoher (Investitions-)Betrag, der sich aber nicht nur im Blick auf die weit höheren positiven volkswirtschaftlichen Effekte relati-viert. In den vergangenen Monaten hat die beherzte po-litische Reaktion auf die Finanzkrise gezeigt, dass es durchaus gelingen kann, mit hohem Tempo und unter

Einsatz beträchtlicher finanzieller Mittel die volkswirt-schaftlichen Auswirkungen der Krise zu mildern. Die absehbare Entwicklung der Arbeitsmärkte wird für die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft schon in wenigen Jahren ähnlich gravierende Auswirkungen ha-ben. Entschlossenes gemeinsames Handeln – unter Ein-satz der erforderlichen finanziellen Mittel – könnte we-sentlich dazu beitragen, dieser langfristig drohenden Krise effektiv zu begegnen. Anders als im Fall der Fi-nanzkrise sind nicht nur erheblich weniger finanzielle Mittel erforderlich – gezielte Investitionen in die Bildung und damit in die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland werden mittel- und langfristig hoch „ver-zinst“ in die Staatskassen zurückfließen.

Zweifellos ist in den vergangenen Jahren vieles in den deutschen Bildungsinstitutionen in Bewegung geraten: an den Hochschulen – die„Eliteförderung“

–, im Sekundarbereich – das „G8“ –, im Grundschul- und Elementarbereich – darunter Ganztagsschulprogramme und Sprachstandserhebungen. An der Bildungslücke zwischen Migranten und Einheimischen hat sich jedoch wenig geändert. Während weltweit in vielen hochent-wickelten Ländern die Investitionen in Bildung Jahr für Jahr steigen und gezielt Anstrengungen unternommen werden, um qualifizierte Einwanderer zu gewinnen, be-gegnet man in Deutschland diesem Thema bislang eher zögerlich – mit dem Ergebnis, dass das gesellschaftliche und wirtschaftliche Potenzial von Migranten in Deutsch-land unausgeschöpft bleibt. In Frankreich und den USA wurden Einwandererkinder zu Präsidenten gewählt. In Deutschland beschränkt sich der Beitrag junger Migran-ten bislang vor allem auf Castingshows und die Fußball-nationalmannschaft. Es wird Zeit, dass wir die Fähigkei-ten, Talente und Kräfte dieser großen und wachsenden Bevölkerungsgruppe entwickeln und nutzen. Herkunfts-unabhängige Bildungschancen sind dafür die erste, not-wendige Voraussetzung.

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6 The Boston Consulting Group

Deutschland ist ein Land, in dem viele Ein-wanderer leben. Gemessen an der abso-luten Zahl der Immigranten rangierte Deutschland nach Daten der UN weltweit bereits 2005 an dritter Stelle hinter den

USA und Russland. Doch der Umgang mit dem Thema Einwanderung ist nach wie vor von einem Zwiespalt ge-prägt: Zwar versteht Deutschland sich bis heute nicht als „klassisches“ Einwanderungsland wie Kanada, die USA oder Australien; die Fakten sprechen jedoch eine klare Sprache: Knapp sieben Millionen Einwohner Deutsch-lands haben einen ausländischen Pass, jeder Fünfte hat einen Migrationshintergrund. Diese Menschen sind hier, um zu bleiben. Die Annahme, dass die „Gastarbeiter“ wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren würden, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als unzutref-fend erwiesen.

Die Themen Migration und Zuwanderung als Randphä-nomene zu behandeln verhindert einen aktiven und po-sitiven Umgang mit der Heterogenität der Menschen, die in Deutschland leben. Einwanderungsländer wie Kana-da, Australien oder Neuseeland arbeiten mit gezielten Programmen zur Steuerung von Einwandererströmen. Sie ziehen qualifizierte Arbeitskräfte an, integrieren ak-tiv und sehen – bei allen Anstrengungen und Problemen – Einwanderer als wirtschaftlichen und kulturellen Zu-gewinn.

Einwanderung nach Deutschland: Von der Ausnahme zum Normalfall

Anders in Deutschland. Erst seit wenigen Jahren hat sich Einwanderung von einem überwiegend negativ besetz-ten Randthema („Ausländerproblem“) zu einer gesell-schaftlichen Aufgabe entwickelt, die auf die Integration

von Immigranten abzielt und deren positive Beiträge ins Blickfeld rückt. So beschäftigen beispielsweise, nach ei-ner Studie des deutsch-türkischen Unternehmerverban-des ATIAD e. V., 72.000 türkische Unternehmen in Deutschland 350.000 Mitarbeiter. Die Anerkennung der veränderten Gegebenheiten – der Heterogenität der Her-kunft von in Deutschland lebenden Menschen und ihres Beitrags zur Wirtschaftskraft Deutschlands – ist eine wesentliche Voraussetzung, um dieser Zukunftsaufgabe gerecht zu werden.

Lernen ohne Zukunft: Immigration und Bildung

Quelle: United Nations

0

Anteil der Immigranten an der Bevölkerung

5 10 15 20 25 30 35 40

USA

Russland

Deutschland

Ukraine

Frankreich

Saudi-Arabien

Kanada

Indien

Großbritannien

Spanien

Australien

China

Pakistan

VAE

Hongkong (China)

Israel

Italien

Anzahl Einwanderer 2005

In Mio.

13,0 %

8,0 %

12,0 %

15,0 %

10,0 %

25,0 %

19,0 %

1,0 %

9,0 %

11,0 %

23,0 %

0,3 %

2,0 %

71,0 %

43,0 %

38,0 %

4,0 %

Abbildung 1. UN identifizieren Deutsch­land als drittgrößtes Einwanderungsland weltweit

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Standortfaktor Bildungsintegration 7

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 20061 Mit eigener Migrationserfahrung 2 Ohne eigene Migrationserfahrung 3 Mit jetziger oder früherer Staatsangehörigkeit

Tsd.

67,2

82,3

Deutsche

BevölkerungDeutschlands

1. Generation1

2. Generation2

Gesamt

Ausländer Gesamt

4,8/32 % 5,6/37 % 10,4/69 %

3,0/20 % 1,7/11 % 4,7/31 %

7,8/52 % 7,3/48 % 15,1/100 %15,1

82 %

18 %

Deutsche ohne

Migrations-hintergrund

Bevölkerung mit Migrations-

hintergrund

Die Bevölkerung Deutschlands 2006 Die größten Einzelnationen3

2.495942852761486376372363355292218

1.5941.2663.000

TürkeiRusslandPolenItalienSerbien/MontenegroKroatienGriechenlandRumänienKasachstanBosnien-HerzegowinaUkraineSonst. EUSonst. AsienDeutsche 2. Generation

In Mio.

Abbildung 2. Derzeit hat jeder fünfte Einwohner Deutschlands einen Migrationshinter­grund

Wer ist „Migrant“?

Als Menschen „mit Migrationshintergrund“ gelten „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Zu-gewanderten sowie alle in Deutschland geborenen Aus-länder und alle in Deutschland als Deutsche Geborene mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“. Mittlerweile sind es zwei Generationen, die unterschieden werden: Eine erste Generation, die selbst migriert ist und entweder später eingebürgert wurde oder als Spätaussiedler automatisch einen deutschen Pass erhalten hat. Zur zweiten Generati-on „Deutscher mit Migrationshintergrund“ zählen die in Deutschland geborenen Kinder mit deutschem Pass, de-ren Eltern (mindestens ein Elternteil) zugewandert sind

und eingebürgert wurden oder als Ausländer in Deutsch-land leben.

Seit dem Jahr 2000 erhalten in Deutschland geborene Kinder einen deutschen Pass, wenn ein Elternteil länger als acht Jahre in Deutschland lebt. Inzwischen lebt schon die dritte Generation, die Enkel der Zuwanderer, in Deutschland. Sie sind aber mehrheitlich noch so jung, dass sie mit ihren Eltern leben. Als „Ausländer“ der ers-ten Generation gelten im Ausland geborene Einwohner, die weiterhin einen ausländischen Pass besitzen; als Aus-länder der zweiten Generation gelten in Deutschland ge-borene Kinder mit ausländischem Pass.

Quelle: Statistisches Bundesamt

Die hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund lassen sich im Wesentlichen drei großen Einwande-rungsströmen zuordnen. Zur ersten Gruppe zählen Ein-wanderer aus Anwerbestaaten für Gastarbeiter und de-ren Nachkommen. Die zweite Gruppe sind Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien. Einwanderer aus Ost-europa und den Nachfolgestaaten der GUS, das heißt vorwiegend Aussiedler, bilden die dritte Gruppe.

In den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird sich aufgrund der Altersentwicklung sowie demografischer

Faktoren der Anteil von Migranten an der deutschen Be-völkerung noch weiter erhöhen. Schon heute liegt der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund unter den 0- bis 5-Jährigen bei 33 Prozent. Legt man auf der Basis der Zuwanderungszahlen vergangener Jahre – im Durch-schnitt etwa 150.000 Zuwanderer pro Jahr – eine jährli-che Nettozuwanderung von rund 100.000 Menschen zu-grunde, zeigt sich ein noch deutlicheres Bild: Die heutigen Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund wer-den keine „Randgruppe“ mehr sein, wenn sie Lehre oder Studium abschließen: Sie stellen dann 40 Prozent der Be-

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8 The Boston Consulting Group

rufseinsteiger – und damit fast die Hälfte der in Deutsch-land ins Arbeitsleben eintretenden Bevölkerung.

Betrachtet man die gegenwärtige Altersverteilung der deutschen Bevölkerung unter dem Aspekt Migration, so zeigt sich, dass Immigration einen „Verjüngungseffekt“ bewirkt. Migranten in Deutschland sind im Durchschnitt jünger als Einheimische; Zuwanderer, die neu nach Deutschland ziehen, kommen eher in jungen Jahren, und sie bekommen mehr Kinder.

Die Tatsache, dass Deutschland Zuwanderer und deren Familien aufgenommen hat und weiter aufnimmt, mil-dert die demografische Problematik deutlich ab und kann für die gesellschaftliche und ökonomische Zukunft Deutschlands entscheidende positive Effekte haben – vo-rausgesetzt, es gelingt, die Bildungs-, Berufs- und Le-

benschancen für die wachsende Gruppe von Migranten erheblich zu verbessern. Nur unter dieser Prämisse kön-nen sie einen aktiven Beitrag zur wirtschaftlichen Ge-staltung Deutschlands leisten.

Eintrittskarte Bildung: Berufliche Qualifikation schafft ökonomische Zukunft

Die Realität sieht derzeit anders aus: Es gibt deutliche Unterschiede bei den Berufschancen von Einheimischen und Zugezogenen. Jeder zweite Migrant ist Arbeiter, aber nur ein Prozent arbeiten als Beamte. Weil die in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshinter-grund schlechter ausgebildet sind, werden sie häufiger arbeitslos und haben ein deutlich erhöhtes Armuts-risiko.

0100200300400500600700800Tausend Personen

0 100 200 300 400 500 600 700 800

Frauen Anteil von Personen mitMigrationshintergrund

4 %

100

95

90

85

80

75

70

65

60

55

50

45

40

35

30

25

20

15

10

5

0

Alter in JahrenMänner

Tausend Personen

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2006; BCG-Analyse

Bedeutung der Migranten wächst

Ausländer Deutsche mit Migrationshintergrund Deutsche ohne Migrationshintergrund

7 %

9 %

14 %

16 %

18 %

26 %

24 %

24 %

27 %

29 %

33 %

Abbildung 3. Migration verjüngt eine Gesellschaft

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Standortfaktor Bildungsintegration 9

Dies gilt nicht nur für die erste Generation der Zuwan-derer, die nur teilweise das deutsche Schulsystem durch-laufen haben, sondern vor allem auch für die zweite Generation der hier Geborenen. Am Ende verlieren alle: Schlecht integrierte Zuwanderer zahlen weniger Steuern und Sozialabgaben als gut integrierte. Einer Studie der Bertelsmann Stiftung zufolge entgehen dem deutschen Staat dadurch jährlich bis zu 16 Milliarden Euro.

Solange die in Deutschland lebenden Menschen mit Mi-grationshintergrund schlechter qualifiziert bleiben als die einheimische Bevölkerung, werden die Chancen der

Zuwanderung nicht genutzt. Die Talente und Fähigkei-ten einer wachsenden Bevölkerungsgruppe gehen verlo-ren – und damit die Aussicht auf einen höheren Beitrag zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes.

Hindernis Herkunft: Migranten als Verlierer im deutschen Bildungssystem

Die schulische Qualifikation gilt als „Eintrittskarte“ in das Berufsleben. Sie bestimmt maßgeblich die Möglich-keiten zur Wahl eines Ausbildungsplatzes und einer Be-rufslaufbahn und damit auch den eigenen Beitrag zu Wohlstand und Wertschöpfung eines Landes.

2 %7 %

32 %

23 %20 %17 %

< 500 500 – 900 900 – 1.300 1.300 – 2.600

2.600 –4.500

Selb-ständige

Beamte/-innen

Angestellte Arbeiter/-innen

MithelfendeFamilien-

angehörige

> 4.500

Erwerbstätige Erwerbslose Nicht-Erwerbs-personen

1 %3 %

26 %20 %23 %26 %

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2006

Personen ohne MigrationshintergrundPersonen mit Migrationshintergrund

Monatliches persönliches Nettoeinkommen in €

1 %

25 %

56 %

7 %11 %

1 %

47 %42 %

1 %10 %

Stellung im Beruf

49 %

5 %

47 %52 %

8 %

40 %

Beteiligung am Erwerbsleben in % der Gesamtbevölkerung

Abbildung 4. Höhere Arbeitslosigkeit und geringeres Einkommen bei Menschen mit Migrationshintergrund

4 %

8 %

14 %

19 %

16 %

0 %

10 %

20 %

30 %

40 %

50 %

60 %

Bewerber mit MigrationshintergrundBewerber ohne Migrationshintergrund

Quelle: Berufsbildungsbericht 2008; Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2006; BCG-Analyse 1 Integrierte Gesamtschule

Förder-schule

9,6 % Anteil ausländischer Schüler an Gesamtschüler-schaft

Haupt-schule

Hauptschul-abschluss

MittlererAbschluss

(Sehr) guteMathematik-

note

Abitur

IGS1 Real-schule

Gymna-sium

Anteil ausländischer Schüler an allgemeinbildenden Schulen

Übergang in Ausbildung von Schülern mit und ohne Migrationshintergrund

Firmen nehmen eher Azubis ohne Migrationshintergrund

Abbildung 5. Herkunft entscheidet über Bildungserfolg

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10 The Boston Consulting Group

Die Lebenschancen, die sich aus schulischem Erfolg und beruflicher Qualifikation ergeben, sind für Kinder mit und ohne Migrationshintergrund in Deutschland sehr unterschiedlich verteilt. Ausländische Kinder stellen 9,6 Prozent der Gesamtschülerschaft; aber beim Übergang an weiterführende Schulen zeigen sich deutliche Unter-schiede: Nur 4 von 100 Gymnasiasten sind Ausländer und 8 von 100 Realschülern haben eine nicht-deutsche Nationalität. Sind ausländische Schüler damit an jenen Schulformen unterrepräsentiert, die gute bis sehr gute Aussichten auf einen Ausbildungs- oder Studienplatz er-möglichen, so ist ihr Anteil an jenen Schulen besonders hoch, die erheblich weniger Chancen eröffnen: An Hauptschulen ist jeder fünfte Schüler Ausländer, an För-derschulen sind es 16 Prozent.

Auch bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen sind Mig-rantenkinder im Vergleich zu anderen Bewerbern syste-matisch im Nachteil. Ihre Chancen, mit einem mittleren Schulabschluss oder Abitur im Wettbewerb um einen Ausbildungsplatz zum Zuge zu kommen, sind deutlich

niedriger als die Chancen von Bewerbern ohne Migrati-onshintergrund. Lediglich bei Bewerbern mit niedriger Qualifikation liegen Jugendliche mit und ohne Migrati-onshintergrund gleichauf im Wettbewerb um die weni-gen Ausbildungsplätze.

Es verwundert wenig, dass Deutschland sich hinsichtlich der gerechten Verteilung von Bildungschancen zwischen Kindern unterschiedlicher Herkunft international am Ende der Rangliste befindet. Nach den Kriterien der PISA-Studie der OECD gelten in Deutschland mehr als 40 Prozent der Schüler mit Migrationshintergrund als „Risikoschüler“, das heißt, sie erreichen lediglich die un-terste Qualifikationsstufe in den Kompetenzen, welche die PISA-Studie misst und vergleicht. Von den Einheimi-schen zählen in Deutschland nur 12 Prozent zu dieser Gruppe. Im Vergleich dazu sind in Kanada nur etwa 9 Prozent der Schüler mit Migrationshintergrund Risiko-schüler – genauso viele wie bei den Einheimischen.

Um weiterführende Bildungsangebote wie etwa eine Lehre zu nutzen, ist aber mindestens das Erreichen der Kompetenzstufe 2 erforderlich. Dieses Niveau erzielen 81 Prozent aller Schüler in den OECD-Ländern, aber nur gut die Hälfte der Schüler mit Migrationshintergrund in Deutschland. Mit anderen Worten: Fast jedem zweiten Jugendlichen mit Migrationshintergrund fehlen elemen-tare Grundkenntnisse, um im späteren Arbeits- und Be-rufsleben bestehen zu können. Unter diesen Vorausset-zungen kann es nicht erstaunen, dass heute jeder dritte in Deutschland geborene Migrant ohne Berufsabschluss bleibt. Jährlich werden somit etwa 80.000 junge Men-schen in die absehbare Perspektivlosigkeit entlassen – mit Folgen für die gesamte Volkswirtschaft.

Solange sich an den realen Bildungschancen nichts än-dert, werden sich die existierenden ökonomischen Un-terschiede zwischen Einheimischen und Zuwanderern auch in der kommenden Generation fortschreiben. Men-schen mit Migrationshintergrund stellen eine wachsen-de Bevölkerungsgruppe und spielen auf dem Arbeits-markt der Zukunft aufgrund demografischer Faktoren eine immer größere Rolle. Hochqualifizierte, gut ausge-bildete Mitarbeiter sind eine entscheidende Komponen-te des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Wenn dieser langfristig entscheidende Standortvorteil erhalten blei-ben soll, dann ist es zwingend erforderlich, die nachfol-genden Generationen junger Migranten besser zu quali-fizieren, als dies bisher der Fall war.

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2006; BCG-AnalyseAnmerkung: 1. Generation: mit eigener Migrationserfahrung; 2. Generation: ohne eigene Migrationserfahrung1 Tertiäre Ausbildung laut OECD-Definition: Handwerksmeister bis Universitätsab-schluss 2 Lehre oder äquivalenter Abschluss

30 %

54 %

16 %

41 %40 %

19 %

12 %

62 %

26 %

Ohne Migrationshintergrund Mit Migrationshintergrund – 1. Generation Mit Migrationshintergrund – 2. Generation

Hoch-qualifiziert1

% der Bevölkerung zwischen 25 und 65 Jahren

Mit Berufsausbildung2

OhneBerufsausbildung

Höchste Berufsausbildung

Abbildung 6. Geringere Bildungschancen führen zu benachteiligter ökonomischer Stellung

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Standortfaktor Bildungsintegration 11

Die Kluft, die sich heute in Deutschland zwischen den Bildungschancen junger Menschen mit und ohne Migrationshin-tergrund zeigt, wird sich in den kommen-den Jahren und Jahrzehnten zu einer

wachsenden Belastung entwickeln. Dies gilt sowohl für die soziale wie vor allem auch für die gesamtwirtschaft-liche Entwicklung in Deutschland. Wenn das erreichte Qualifikationsniveau weiterhin stark an die Herkunft und den familiären Hintergrund gebunden ist, wird das ein erhebliches Missverhältnis zwischen Nachfrage und Angebot an qualifizierten Arbeitskräften zur Folge ha-ben – mit Risiken für den Standort Deutschland und die hier investierenden Unternehmen.

Arbeitsmarkt 2035: Qualifizierte Arbeitskräfte fehlen auf allen Ebenen

Diese Diskrepanz ist auf vier verschiedene Faktoren zu-rückzuführen:

1. Die demografische EntwicklungAb dem Jahr 2015 kann der Ersatzbedarf an Arbeitskräf-ten in Deutschland nicht mehr durch die nachwachsen-de Generation gedeckt werden. Wenn im Jahrzehnt zwi-schen 2020 und 2030 die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Arbeitsleben ausscheiden, übersteigt die Anzahl der 60-Jährigen in Deutschland die der 25-Jährigen um

rund 60 Prozent. Die Renteneinsteiger der Dekade von 2020 bis 2030 sind die zwischen 1960 und 1970 gebore-nen, sehr gut ausgebildeten Jahrgänge.

Absehbar ist, dass auf allen Qualifikationsstufen Ar-beitskräfte in Deutschland fehlen, die ausscheidende Jahrgänge ersetzen und als Nachwuchskräfte in Unter-nehmen gebraucht werden.

2. (Wachsender) Anteil an Berufseinsteigern mit Migrationshintergrund Die Gesamtsituation am Arbeitsmarkt wird in der kom-menden Generation zu einem wesentlichen Teil von den Qualifikationen der Berufseinsteiger mit Migrationshin-

Sparen an der Zukunft: Bildungsdefizite als Standort-

nachteil

Anmerkung: Diese Zahlen basieren auf der (optimistischen) An-nahme, dass im Durchschnitt 100.000 Menschen jährlich nach Deutschland einwandern. Zwar errechnet sich für die vergangenen 50 Jahre ein jährlicher Nettozuzug von rund 150.000 Menschen; in jüngster Zeit hat sich diese Zahl – unter anderem aufgrund eines starken Anstiegs der Abwanderung aus Deutschland und weniger Zuzüge aus den klassischen Zuwandererländern – massiv verrin-gert. Im Jahr 2006 betrug die Differenz zwischen Zu- und Abwan-derung nur noch 23.000 Personen.

25-Jährige

Anzahl in Tausend

60-Jährige

Quelle: Statistisches Bundesamt; BCG-Analyse

2010 2020 2030 2040 2050Jahr

1.000

1.200

1.400

600

800

Abbildung 7. Ab 2015 kann Ersatz bedarf an Arbeitskräften nicht mehr durch Berufseinsteiger gedeckt werden

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12 The Boston Consulting Group

tergrund abhängen: Ihr Anteil wird von heute 24 Pro-zent auf rund 30 Prozent im Jahr 2020 und voraussicht-lich 40 Prozent im Jahr 2032 steigen. Damit bestimmt

das Qualifikationsniveau junger Migranten künftig ent-scheidend das Qualifikationsniveau der zukünftigen Be-rufseinsteiger.

3. Geringe Qualifikation von Berufseinstei­gern mit MigrationshintergrundHeute bleibt fast jeder dritte in Deutschland geborene Jugendliche mit Migrationshintergrund ohne Berufsaus-bildung – bei den einheimischen Jugendlichen sind es nur 12 Prozent. Lediglich 16 Prozent der Migranten schließen ein Hochschulstudium oder eine Meisterschu-le ab (im Vergleich zu 26 Prozent der einheimischen Ju-gendlichen). Wenn sich an dieser Situation nichts ändert, wird durch den wachsenden Anteil von Migranten an den kommenden Generationen der Berufseinsteiger das Qualifikationsniveau dieser Jahrgänge negativ beein-flusst.

Aufgrund der Kombination der demografischen Ent-wicklung mit der wachsenden Bedeutung und der vor-herrschenden Ausbildungssituation bei Migranten lässt sich prognostizieren, dass schon sehr bald der Ersatzbe-darf im Segment der Hochqualifizierten nicht mehr ge-deckt werden kann. In den Jahren 2020 bis 2030 werden pro Jahr voraussichtlich 40 Prozent weniger Nachwuchs-kräfte zur Verfügung stehen, als Renteneinsteiger den Arbeitsmarkt verlassen. Bei den Arbeitsplätzen, die eine

Quelle: Statistisches Bundesamt; BCG-Analyse

Ohne Migrationshintergrund Mit Migrationshintergrund

Anteil der Migranten an der Gruppe der Berufsanfänger

2032: 40 % der Berufsanfänger mit Migrationshintergrund

76 % 73 %67 %

60 %

24 % 27 %33 %

40 %

2005 2015 2025 2032

Abbildung 8. Anteil der Migranten und Bedeutung für den Arbeitsmarkt steigen

0

100

200

300Anzahl in Tsd.

0

100

200

300Anzahl in Tsd.

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2006; BCG-Analyse

Hochqualifizierte Ohne Berufsabschluss

2010 2020 2025 20302010

Jg.1950

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-13 %

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-40 % -43 %

-40 %

2020 2025 2030

Abbildung 9. Der Bedarf an Hochqualifizierten lässt sich nicht decken, während mehr Kräfte ohne Abschluss in den Markt drängen

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Standortfaktor Bildungsintegration 13

niedrige Qualifizierung verlangen, kompensieren der demografische und der Bildungseffekt einander: Es ste-hen zwar insgesamt weniger Nachwuchskräfte zur Ver-fügung; ein steigender Anteil von diesen wird aber nur eine niedrige Qualifikation erreichen.

4. Der Bedarf an hochqualifizierten Arbeits­kräften steigtNeben dem durch die demografische Entwicklung ge-triebenen Ersatzbedarf auf dem Arbeitsmarkt wächst die Nachfrage der Unternehmen nach Hochqualifizier-ten. Es wird in Zukunft nicht nur darauf ankommen, dass jede Ingenieurstelle wiederbesetzt wird, wenn der Stelleninhaber in Rente geht. Der Hochlohnstandort Deutschland braucht in den nächsten Jahrzehnten ei-nen höheren Prozentsatz sehr gut ausgebildeter Arbeit-nehmer – Ingenieure, IT-Spezialisten und Forscher. Andere Länder haben schon vor Jahren begonnen, die-sem Trend Rechnung zu tragen. In Kanada zum Bei-spiel besitzen etwa 55 Prozent aller 25- bis 34-Jährigen eine hohe berufliche Qualifikation; in Japan hat sich die Rate der Hochqualifizierten in den letzten 30 Jah-ren mehr als verdoppelt. Nur Deutschland bildet kon-sequent seinen Nachwuchs schlechter aus als die Gene-ration der 55- bis 64-Jährigen (siehe „Deutschland braucht in Zukunft mehr und im Durchschnitt besser qua-lifizierte Berufseinsteiger“, S. 18)

Selbst konservative Studien gehen von einer Steigerung des Arbeitskräftebedarfs im Segment der Hochqualifi-zierten von etwa 5 Prozent bis 2020 aus. Im Segment mittlerer Qualifikation ist eine Stagnation absehbar, im Segment niedrigerer Qualifikation ein Rückgang zu er-warten. Integriert man diesen Trend in die Entwicklung von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt und nimmt man an, dass sich am bisherigen Ausbildungsni-veau, gerade unter Migranten, nichts ändert, dann wird der Arbeitsmarkt im Jahr 2035 durch Fachkräftemangel bei Hochqualifizierten und Massenarbeitslosigkeit bei Arbeitnehmern ohne Berufsabschluss gekennzeichnet sein.

Das Ungleichgewicht zwischen der steigenden Nachfra-ge nach qualifizierten Mitarbeitern und einer wachsen-den Zahl junger Menschen – darunter viele Migranten –, die nur über niedrige Abschlüsse verfügen, verursacht individuelle, wirtschaftliche und soziale Kosten – von Perspektivlosigkeit bis hin zu umfangreichen Unterstüt-zungsmaßnahmen.

Der Bedarf an Arbeitskräften für die kommenden Jah-re lässt sich auf Basis der Entwicklung in den vergan-genen Jahren sowie sich abzeichnender Trends prog-nostizieren. Im Sinne einer konservativen Rechnung haben wir die Entwicklung ab dem Jahr 2020 als kons-tant angenommen. Diesem Bedarf an Arbeitskräften stellen wir das Angebot an Arbeitskräften gegenüber, das heißt die Anzahl der Erwerbspersonen (in den un-terschiedlichen Qualifikationsniveaus) in den jeweili-gen Jahren. Jedes Jahr verlässt eine bestimmte Anzahl von Erwerbspersonen den Arbeitsmarkt und geht in Rente, während ein neuer Jahrgang von Erwerbsperso-nen sein Berufsleben beginnt und in den Markt ein-tritt.

Auf Basis verfügbarer Daten des Statistischen Bun-desamtes (Bevölkerungspyramide und Mikrozensus) lässt sich berechnen, wie groß die künftigen Rentner-jahrgänge zum Zeitpunkt ihres Renteneintritts sein werden und wie gut diese Jahrgänge qualifiziert sind. Die Bevölkerungspyramide zeigt auch, wie groß die Jahrgänge der nachwachsenden Generation zum Zeit-punkt des Berufseinstiegs sein werden. Als Annahme legen wir dem Modell zugrunde, dass die Rentenein-steiger mit 60 Jahren den Arbeitsmarkt verlassen und von der Generation der 25-Jährigen ersetzt werden.

Zusätzlich zu diesem demografischen Effekt modellie-ren wir das Bildungsniveau der nachrückenden Be-rufseinsteiger:

Im ersten Fall als Fortschreibung der gegenwärtigen Situation, das heißt, die Bildungsqualifikation bleibt wie in der Vergangenheit herkunftsabhängig und die Qualifikationsunterschiede zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund bleiben bestehen.

Im zweiten Fall nehmen wir an, dass die Qualifikatio-nen herkunftsunabhängig sind, das heißt, dass Ju-gendliche mit Migrationshintergrund als Gruppe so gut qualifiziert sind wie einheimische Jugendliche.

Diese Annahme zum Bildungseffekt führt zu einer deutlich veränderten Situation am Arbeitsmarkt: Die Generation von Berufseinsteigern, welche die aus-scheidende Generation ersetzt, ist zwar genauso klein, aber deutlich besser qualifiziert.

Qualifizierungslücke durch demo­ grafischen Wandel

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14 The Boston Consulting Group

In Deutschland tätigen Unternehmen stellt sich mittel-fristig die Frage, in welchen Regionen sie das dringend benötigte Plus an Fachkräften finden. Gerade für die deutschen Kern- und Wachstumsbranchen in der Inge-nieurtechnik und Hochtechnologie wird das Fachkräfte-angebot maßgeblich darüber entscheiden, ob Investitio-nen am deutschen Standort oder eine Abwanderung ökonomisch sinnvoller sind. Jede Abwanderung ist mit

dem Verlust weiterer mittel- und niedrigqualifizierter Arbeitsplätze verbunden.

Unternehmen, für die eine Abwanderung keine Option ist, werden mit erheblich höheren Kosten belastet: für die Suche nach geeigneten Mitarbeitern, für steigende Gehälter im Wettbewerb um gefragte Fachkräfte sowie für höhere Investitionen in betriebliche Bildung bei der Einstellung unterqualifizierter Mitarbeiter.

Während das Überangebot Geringqualifizierter ent-sprechenden Druck auf die Löhne ausübt, wird eine wachsende Nachfrage nach Fachkräften auch steigende Einkommen im Segment der Hochqualifizierten nach sich ziehen. Bei einer anhaltend ungleichen Verteilung von Bildungschancen zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zeichnet sich eine Polari-sierung der Gesellschaft ab, in der hochqualifizierte Einheimische mit steigenden Einkommen einer wach-senden Gruppe von geringqualifizierten, zu Niedriglöh-nen beschäftigten oder arbeitslosen Migranten gegen-überstehen.

Für den Sozialstaat Deutschland bedeutet dies, dass in Zeiten stark zunehmender Rentenausgaben die Kassen durch Arbeitslosigkeit und sinkende Steuereinnahmen weiter belastet werden.

Was wäre, wenn …? Bildungsreform aus Arbeitgeberperspektive

Drei der vier genannten Faktoren (Demografie, wach-sender Anteil von Migranten, wachsender Bedarf an hochqualifizierten Erwerbspersonen) sind in ihrer Ent-wicklung heute schon festgeschrieben und für den kri-tischen Zeitraum nicht mehr beeinflussbar. Um die beschriebene Entwicklung zumindest abzumildern, bleibt ein einziger Hebel: die Verbesserung der Bil-dungssituation des wachsenden Anteils von Berufsein-steigern mit Migrationshintergrund. Konkret geht es um die Generation der Kindergartenkinder und Grund-schüler, deren Eltern oder Großeltern beispielsweise aus der Türkei zugewandert sind: Wie gut es dem Bil-dungssystem gelingt, sie zu integrieren und auszubil-den, entscheidet mit über die Zukunft des Wirtschafts-standorts Deutschland.

Wie stark sich der Faktor „Bessere Bildungschancen für Kinder und Jugendliche mit Migrationshinter-

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2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035

3,5 Mio.offene Stellen

2,3 Mio. Arbeitslose

Quelle: Institut zur Zukunft der Arbeit; Institut der deutschen Wirtschaft; Agentur für Arbeit; Statistisches Bundesamt; BCG-Analyse

ArbeitsnachfrageErwerbspersonen

Ohne Berufsausbildung

Hochqualifiziert

Mit Berufsausbildung

Tausend

Tausend

Tausend

Abbildung 10. Ergebnis ist Fachkräfte­mangel bei Hoch­ und Massenarbeits­losigkeit bei Geringqualifizierten

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Standortfaktor Bildungsintegration 15

grund“ für den Arbeitsmarkt der Zukunft auswirken wird, lässt sich mit Hilfe der gleichen Modellrechnung prognostizieren, die den Bedarf an Arbeitskräften im Jahr 2035 – in unterschiedlichen Qualifikationsniveaus – der Anzahl der Erwerbspersonen nach Qualifikati-onsniveaus gegenüberstellt. Allerdings mit einem ent-scheidenden Unterschied: Hier wird die Annahme zu-grunde gelegt, dass die Bildungsqualifikation der künftigen Berufseinsteiger nicht von ihrer Herkunft abhängig ist. Was wäre, wenn alle Berufseinsteiger – ob mit oder ohne Migrationshintergrund – gleich gut ausgebildet wären?

Schon die Höherqualifizierung einer einzigen Bevölke-rungsgruppe – der Migranten – hätte einen enormen Effekt für den Arbeitsmarkt und den Wirtschaftsstand-ort Deutschland:

Im Segment der Erwerbspersonen ohne Berufsausbil-◊ dung wird die Arbeitslosigkeit von prognostizierten 2 Millionen im Jahr 2035 – wenn sich an der Bildungs-

situation nichts ändert – um 1,5 Millionen zurückge-hen, wenn die Bildungschancen von Menschen mit Migrationshintergrund denjenigen von Einheimi-schen annähernd angeglichen werden.

Da in diesem Zukunftsszenario immer weniger Men-◊ schen ohne Berufsausbildung bleiben, wird das Seg-ment der Arbeitskräfte mit mittlerer Qualifizierung

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2006; BCG-Analyse1 Tertiäre Ausbildung laut OECD-Definition: Handwerksmeister bis Universitäts-abschluss 2 Lehre oder äquivalenter Abschluss

30 %

54 %

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19 %

12 %

62 %

26 %

Ohne Migrationshintergrund Mit Migrationshintergrund – 1. Generation Mit Migrationshintergrund – 2. Generation

Hoch-qualifiziert1

In % des Jahrgangs der 25-jährigen Berufseinsteiger

Mit Berufsausbildung2

OhneBerufsausbildung

Abbildung 11. Szenario: Ausbildungs­erfolg der Migranten steigt auf Niveau der einheimischen Bevölkerung

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2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035

2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035

2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035

600 Tsd. mehr Stellen besetzt!

Voll-beschäftigung

1,5 Mio. wenigerArbeitslose

Quelle: Institut zur Zukunft der Arbeit; Institut der deutschen Wirtschaft; Agentur für Arbeit; Statistisches Bundesamt; BCG-AnalyseAnmerkung: Annahme der Szenariorechnung: Jugendliche mit Migrationshinter-grund erreichen Ausbildungniveau wie Jugendliche ohne Migrationshintergrund1 Annahme: Vollbeschäftigung bei Arbeitslosenquote von 4 %

Base-Case

Tausend

Tausend

Tausend

Verbesserte AusbildungVollbeschäftigung1

Ohne Berufsausbildung

Hochqualifiziert

Mit Berufsausbildung

Abbildung 12. Verbesserte Ausbildung junger Migranten hätte positive Effekte für den Arbeitsmarkt

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16 The Boston Consulting Group

(mit Berufsausbildung) wachsen. Zwar könnte die Zahl der Arbeitslosen noch kurzfristig ansteigen. Langfristig haben diese Erwerbspersonen aber eine bessere Qualifizierung und damit auch bessere Job-chancen. Durch die demografische Entwicklung wird der „Überschuss“ an Berufseinsteigern mit mittlerer Qualifizierung ab 2020 abgebaut; diese Entwicklung resultiert in einer Situation der Vollbe-schäftigung bis 2035.

Dank einer Bildungsoffensive unter Migranten könn-◊ ten bis 2035 etwa 600.000 mehr offene Stellen im Segment der dringend benötigten Hochqualifizier-ten besetzt werden, wenn die Berufseinsteiger mit Migrationshintergrund in Zukunft genauso gut qua-lifiziert wären wie ihre einheimischen Kollegen. Al-lerdings reichen diese Bildungsanstrengungen allein nicht aus, um die Unterversorgung mit Arbeitskräf-ten aufgrund der demografischen Entwicklung zu kompensieren. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, müssen ergänzend weitere Hebel in Be-wegung gesetzt werden (siehe „Deutschland braucht in Zukunft mehr und im Durchschnitt besser qualifizier-te Berufseinsteiger“, S. 18).

Bildungsanstrengungen, die auf eine Bevölkerungs-gruppe – junge Migranten – bezogen sind, haben für Deutschlands Zukunft eine wesentliche Bedeutung. Die deutsche Gesellschaft und Volkswirtschaft kann darauf verzichten und eine massive Misallokation auf dem zukünftigen Arbeitsmarkt in Kauf nehmen – oder aber zumindest in zwei von drei Teilbereichen das Angebot mit dem Bedarf in Einklang bringen.

Viele Verlierer: Niedrige Bildungsniveaus verursachen hohe Kosten

Ausgehend von dieser modellierten Vergleichsrechnung lässt sich der volkswirtschaftliche Wert ermessen, der sich aus verbesserten Bildungschancen für Migranten-kinder ergibt. Pro unbesetzte hochqualifizierte Stelle schätzen konservative Studien primäre Kosten von rund 88.000 Euro im Jahr an entgangener Wertschöpfung. Hinzu kommen Transferleistungen und entgangene Steuereinnahmen sowie Sozialversicherungsbeiträge der jugendlichen Arbeitslosen. Die Kosten für ALG-II-Empfänger werden mit rund 18.300 Euro pro Person und Jahr beziffert.

Quelle: Institut zur Zukunft der Arbeit; Bundesagentur für Arbeit; Institut der deutschen Wirtschaft; Statistisches Bundesamt; BCG-Analyse1 Jahrgangszahlen inkl. zukünftiger Zu-/Abwanderung basierend auf Wanderungssaldo von 100.000 p. a. (für Gesamtbevölkerung)

Kumulierte Wertschaffung

Jahr

Prognostizierte Wertschaffung verbesserter BildungBewertung

Wert jeder besetzten Stelle für Hochqualifizierte:€ 88.000 p. a. (erzieltes BIP)

Wert jeder verhinderten Arbeitslosigkeit:€ 18.300 p. a. (erzielte Steuereinnahmen und Sozialbeiträge, verhinderte Transferleistungen)

Kumulierte potenzielle Wertschaffung bis 2032: € 684 Mrd.

Anzahl der 1983 – 2007 geborenen Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund1: 6,9 Mio.

Wertschaffung pro Kind/Jugendlichen mit Migrationshinter-grund: € 98.942

Durchschnittliche Wertschaffung p. a. bis 2032: € 27 Mrd. 0

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Jährliche Wertschaffung in % des BIP 2007

0,6 %

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1,6 %

2,1 %

2032

2,7 %80

Mrd. € p. a.

Abbildung 13. Bildungsinvestitionen schaffen durchschnittlich € 27 Mrd. Wert p. a.

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Standortfaktor Bildungsintegration 17

Quelle: Statistisches Bundesamt; BCG-Analyse1 Inkl. noch Einwandernde bei Nettomigrationsrate von 100.000 Personen p. a. bezogen auf Gesamtbevölkerung

Prognostizierter Ausbildungsstand bei herkunftsunabhängiger Bildungsbeteiligung

Prognostizierter Ausbildungsstand bei herkunftsabhängiger Bildungsbeteiligung

Hoch-qualifiziert

Anzahl Kinder/Jugendliche mit Migrationshintergrund Jahrgänge 1983 – 2007 in Mio.1

Mit Berufsausbildung

OhneBerufsausbildung

0,8

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1,5 Mio. 0,6 Mio.

4,3

3,4

1,2

1,8

Abbildung 14. Ziel ist Höherqualifizierung jedes dritten Jugendlichen mit Migrationshintergrund

Bewertet man in dieser Weise jede verhinderte Arbeits-losigkeit und jede durch verbesserte Bildung besetzba-re Stelle, so summieren sich die positiven Effekte – hochgerechnet auf die Jahre bis 2032 – auf 684 Milliarden Euro oder 98.942 Euro pro Kind/Jugendli-chen. Anders formuliert: Selbst wenn jedes Kind und jeder Jugendliche mit Migrationshintergrund mit zu-sätzlichen Bildungsinvestitionen von rund 100.000 Euro gefördert würde, entspräche diese Summe nur dem Wert, der sich daraus für die Volkswirtschaft ergibt.

Wenn das Ziel darin besteht, eine Generation künftiger Berufseinsteiger auszubilden, die nicht mehr das ge-genwärtige Bildungsgefälle (abhängig vom Status mit/ohne Migrationshintergrund) aufweist, so ergibt sich daraus eine sehr ambitionierte Aufgabe für die kom-menden Jahrzehnte: Jedes dritte Kind, jeder dritte Ju-gendliche mit Migrationshintergrund müsste eine hö-here schulische und berufliche Qualifikation erreichen können, als dies in Deutschland heute der Fall ist.

Ein solches Ziel – „mehr Breite in die Spitze“ – zu set-zen und in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu realisieren erfordert erhebliche Anstrengungen und Investitionen auf unterschiedlichen institutionellen Ebenen in Deutschland. Für konkrete Maßnahmen ist es allerhöchste Zeit: Die demografische Entwicklung wirkt sich schon ab 2020 gravierend auf die Situation von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt aus – und die Berufseinsteiger von 2020 sind heute bereits um die 13 Jahre alt.

Auf diese Anstrengungen zu verzichten und stattdes-sen die ungleichen Bildungschancen von Migranten und Einheimischen hinzunehmen und fortzuschreiben würde die Probleme vervielfachen, die in ökonomi-scher wie sozialer Hinsicht daraus resultieren.

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18 The Boston Consulting Group

Um das Defizit im Bereich der Hochqualifizierten zu ver-mindern, kommt es darauf an, die zukünftigen Generatio-nen insgesamt deutlich höher zu qualifizieren. Die Bil-dungschancen und Qualifikationsniveaus von Kindern mit Migrationshintergrund zu verbessern ist ein wesentli-cher Faktor, für sich genommen vermag er jedoch nicht die sich abzeichnenden Probleme des Arbeitsmarktes in Deutschland zu lösen. Es kommt vielmehr darauf an, die künftigen Generationen insgesamt deutlich höher zu qua-lifizieren.

Andere Länder haben bereits vor Jahren begonnen, die-sen Weg aktiv zu verfolgen. Auch wenn in vielen Ländern Berufsgruppen zum hochqualifizierten Bereich gezählt werden, die in Deutschland mit einer Lehre zu erreichen sind, so ist doch Deutschland das einzige Land, das sei-nen Nachwuchs schlechter qualifiziert als die Generation der 55- bis 64-Jährigen.

Selbst in einem optimalen Szenario, in dem der Anteil der hoch- und mittelqualifizierten Berufseinsteiger durch intensive bildungspolitische Anstrengungen massiv er-höht würde, fehlten in Deutschland bis zum Jahr 2035 aus demografischen Ursachen rund 1 Million Erwerbsperso-nen. Diesem Missverhältnis kann durch verschiedene He-bel begegnet werden. Dazu zählen Maßnahmen, die auf eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote zielen, beispiels-weise durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit, ebenso wie Änderungen, die das gesetzli-che Renteneintrittsalter betreffen. Zu den zentralen He-beln gehört vor allem auch eine aktive Einwanderungspo-litik, die Deutschlands Attraktivität für hochqualifizierte Migranten erhöht, indem sie die Anerkennung von im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikationen verbes-sert sowie deutlich bessere Bildungschancen und höhere Qualifikation von in Deutschland lebenden Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund anstrebt.

Deutschland braucht in Zukunft mehr und im Durchschnitt besser qualifizierte Berufseinsteiger

Base-CaseVerbesserte AusbildungOptimale Ausbildung

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2006; Institut zur Zukunft der Arbeit; Institut der deutschen Wirtschaft; Agentur für Arbeit; Statistisches Bundesamt; BCG-Analyse

30 %

54 %

16 %

38 %

56 %

7 %

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40 %

19 % 12 %

62 %

26 %

Ohne Migrationshintergrund Mit Migrationshintergrund – 1. Generation Mit Migrationshintergrund – 2. Generation

Hoch-qualifiziert2

In % des Jahrgangs der 25-jährigen Berufeinsteiger Tausend Tausend

Mit Berufsausbildung3

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Berufsausbildung2010 2020

Offene Stellen

Arbeitslose

2030

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Offene Stellen

Arbeitslose

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Optimale Qualifikationsraten Ohne Berufsausbildung Hochqualifiziert

Abbildung 15. Ein optimaler Arbeitsmarktmatch bräuchte eine deutlich höhere Rate an hochqualifizierten Berufseinsteigern

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Quelle: OECD, Education at a Glance 2008

25- bis 34-Jährige55- bis 64-Jährige

Anteil an Hochqualifizierten in % der jeweiligen Altersgruppe 2005

Andere Länder bilden deutlich mehr hochqualifizierten Nachwuchs aus

Standortnachteil Deutschland: Unternehmen können Bedarf an hochqualifizierten Mitarbeitern in anderen Ländern decken

ITADEUNDLGBRFINSPASWEAUSUSAFRADENIRLNORNZLKORJAPCAN

Fokus der Studie

Schulische Bildung

Berufliche Bildung

Wirtschaft

MissverhältnisArbeitsangebotund -nachfrage

Berufseinsteiger

Erwerbspersonen-potenzial (EPP)

Höhere AnzahlBerufseinsteiger

Geburtenrate

Zuwanderung

Schulische Bildung

Berufliche Qualifizierung

Renten-eintrittsalter

Frauen-erwerbsquote

Zuwanderung

BeruflicheQualifizierung

Effekt erst ab 2034

Aktive Einwanderungspolitik

AktiveEinwanderungspolitik

Berufliche Bildung

BessereAusbildung

Aktivierung EPP

Höhere Anzahl EPP

Bessere Ausbildung der

Erwerbspersonen

Politik

Abbildung 16. Deutschland schläft

Abbildung 17. Missverhältnis am Arbeitsmarkt nur durch eine Vielzahl von Hebeln aufzuheben

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20 The Boston Consulting Group

Auf der Suche nach erfolgversprechenden Wegen, wie sich die Kluft zwischen den Bildungschancen von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund in Deutsch-land verringern lässt, richtet sich der Blick

zunächst auf die Ursachen: Warum gelingt es ausgerech-net in Deutschland so schlecht, die Kinder und Nach-kommen von Zuwanderern im Bildungssystem zu inte-grieren und damit die Basis für ihre individuelle, soziale und ökonomische Integration bereitzustellen?

Unterschiede und ihre Ursachen: Was verhindert die Bildungsintegration?

Es gibt drei „Hürden“, die junge Migranten in einem Bil-dungssystem überwinden müssen. Diese Hürden gelten für alle Gruppen von Migranten in allen Einwande-rungsländern. Sie können jedoch höher oder niedriger ausfallen. Ein Teil dieser Hürden lässt sich abbauen – dafür gibt es Ansatzpunkte im Bildungssystem. Der an-dere Teil ist durch die besondere Struktur der Migran-tengruppe in Deutschland vorgegeben.

(1) Sozioökonomischer Status: Familien mit geringem Einkommen haben oft nicht die zeitlichen und finanzi-ellen Ressourcen, um ihre Kinder so zu unterstützen, wie dies Eltern aus dem Bildungsbürgertum möglich ist. Diese Hürde ist in Deutschland extrem hoch. Hier kom-men viele Jugendliche mit Migrationshintergrund aus bildungsfernen Familien. Zum einen stammt ein großer Teil der in Deutschland lebenden Migranten aus ehema-ligen Gastarbeiterländern. Viele Familien, die seit den 50er und bis in die 70er Jahre hinein nach Deutschland kamen, um in Industrie und Gewerbe tätig zu werden, sind sowohl in ihren Heimat- wie ihren Gastländern eher bildungsfernen Milieus zuzurechnen. Während in der

ersten Generation noch die Annahme weit verbreitet war, dass der Aufenthalt in Deutschland nicht von unbe-grenzter Dauer sei und eine spätere Rückkehr in die Hei-matländer erfolgen würde, sind heute vor allem die Nachkommen dieser Zuwanderer vor die Anforderung gestellt, die familiären, teils wenig integrierten Her-kunftskulturen mit der Integration in Deutschland zu verbinden.

„‚Deutschland ist kein Einwanderungsland.‘ Das war bis weit in die 80er Jahre hinein Grundkonsens. Dem-entsprechend hatte die Bildungspolitik für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund als erstes Ziel, deren ‚Rückkehrfähigkeit‘ zu erhalten. Reine Auslän-derklassen waren in einigen Bundesländern die Regel und nicht die Ausnahme. Nur langsam setzte sich die Erkenntnis durch, dass diese Bevölkerungsgruppen dauerhaft in Deutschland bleiben. Dementsprechend spät wurde in der Bildungspolitik umgesteuert. Da-mit ist Deutschland gegenüber anderen europäischen Ländern wie den Niederlanden oder Skandinavien im Nachteil, die ihr Bildungssystem schon früh reformiert haben.“

Prof. em. Dr. Klaus KlemmBildungsforscher, Universität Duisburg-Essen

Erschwerend kommt hinzu, dass die Einstellung einiger Migrantengruppen in den vergangenen Jahren deutlich konservativer geworden ist, womit eine noch stärkere Abschottung ihrer Kinder – insbesondere der Mädchen – einhergeht.

So geben beispielsweise in einer bundesweiten Be-fragung des Essener Zentrums für Türkeistudien im

Wege in die Zukunft: Bildungschancen für Migranten

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Standortfaktor Bildungsintegration 21

Jahr 2005 knapp die Hälfte – 47 Prozent – der befrag-ten türkischen Immigranten an, dass muslimische Frauen in der Öffentlichkeit ein Kopftuch tragen soll-ten. Im Jahr 2000 lag diese Zahl noch bei 27 Prozent. Knapp ein Drittel der Befragten – 30 Prozent – bekun-deten, dass sie einer gemeinsamen Teilnahme von Jun-gen und Mädchen am Sportunterricht sowie an Klas-senfahrten ablehnend gegenüberstehen. Im Jahr 2000 waren es nur 19 Prozent. Das deutsche Schulsystem steht damit vor den Herausforderungen, kulturelle Un-terschiede aufzufangen und die Jugendlichen trotz teil-weiser Abschottungsbemühungen zu integrieren sowie auch familiär bedingte Bildungsferne zu kompensie-ren.

(2) Konzentration in Ballungsräumen: Viele Migran-ten leben – teils als Folge ihrer sozioökonomischen Lage – innerhalb Deutschlands in Ballungsräumen. Dort sind es wiederum einzelne Stadtteile, in denen ein besonders hoher Anteil von Migranten zu verzeich-nen ist. Dies spiegelt sich an den Schulen wider, die jedoch nur in Einzelfällen – und in vergleichsweise ge-ringem Umfang – in ihren gesamten Lehr- und Lern-konzepten der Diversität ihrer Schülerschaft gerecht werden können. Das Lernen in Bildungseinrichtungen

mit einer hohen Dichte von sozialen Herausforderun-gen und nicht-deutscher Herkunftssprache beeinträch-tigt den Spracherwerb, verstärkt die sozialen Probleme und erschwert eine Integration erheblich.

(3) Mangelnde Sprachkenntnisse: Viele Migranten sprechen Deutsch als Zweitsprache mit teils erheblich geringeren Sprachkenntnissen und -fertigkeiten im Ver-gleich zu ihren muttersprachlichen Altersgenossen. Die-se Differenzen werden in Deutschland kaum durch vor-schulische Bildung oder gezielte Sprachförderung verringert und bewirken dadurch einen geringeren Schulerfolg.

Diese drei ineinander verschränkten Faktoren bieten in unterschiedlichem Umfang – und mit unterschiedlichem zeitlichen Horizont – Ansatzpunkte für sozial- und bil-dungspolitische Maßnahmen. Zu berücksichtigen ist, dass die Gruppe der Menschen mit Migrationshinter-grund in Deutschland in ihren kulturellen und sozioöko-nomischen Merkmalen sehr heterogen ist. Zu dieser Gruppe zählen definitionsgemäß gleichermaßen die Kinder hochqualifizierter Führungskräfte in internatio-nalen Konzernen, die in zweisprachigen Schulen mit bester Förderung aufwachsen, wie die Kinder arbeitslo-

Effekt Bedingt durch BildungssystemBedingt durch Struktur der

Migrantengruppe

Sozioökonomi­scher Status

Konzentration von Migranten

Sprache

Sozioökonomischer Status der Eltern ◊ hat entscheidenden Einfluss auf Bildungserfolg

Migrantenanteil von über 40 % pro ◊ Schule erschwert Bildungserfolg

Kompetenz in Landes- und Her-◊ kunftssprache Basis für Bildungs-erfolg in allen Bereichen

Deutschland hat von allen Vergleichs-◊ ländern die größte soziale Diskre-panz zwischen Einheimischen und MigrantenGeringer sozioökonomischer Status ◊ heißt oft Bildungsferne und geringe Unterstützungsmöglichkeiten der Eltern

Gettoisierung in einigen Großstädten, ◊ dadurch mangelnde sprachliche Integration im Vorschulbereich

47 % der Einwandererfamilien spre-◊ chen zu Hause ihre Landessprache

Bildungssystem polarisiert diese ◊ Diskrepanz weiter

Schullaufbahnempfehlung sozial –diskriminierendUnterricht auf homogene Grup- –pen ausgerichtet

Hauptschule als Sammelschule für ◊ Migranten

Uneinheitliche Sprachförderung ◊ ohne Lehrplan und mit unzureichen-der AbdeckungMangelnde Lehrerausbildung für ◊ Deutsch als Zweitsprache

Abbildung 18. Warum gelingt die Integration von jungen Migranten in das deutsche Bildungssystem nicht?

Nicht änderbar Änderbar

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22 The Boston Consulting Group

ser Migranten, die in sogenannten „Brennpunktschulen“ kaum eine Chance haben, die sprachlichen und schuli-schen Mindestvoraussetzungen für eine Berufslaufbahn zu erwerben. Während im ersten Fall „nur“ die Hürde „Sprache“ erfolgreich überwunden werden muss, sind es im zweiten Fall alle drei Hindernisse, die zu bewältigen sind – und in den seltensten Fällen gemeistert werden können.

Im Folgenden wird die Wirkung der drei Hürden im De-tail dargestellt. Auf Basis dieser Erkenntnisse lassen sich Maßnahmen zur Verbesserung der Bildungssituation ableiten und notwendige finanzielle Investitionen für eine Bildungsreform kalkulieren.

(1) Sozioökonomischer StatusAnders als klassische Einwanderungsländer hat Deutsch-land in den letzten 50 Jahren nie gezielt um gut qualifi-zierte Immigranten geworben. Die Zuwanderer waren deshalb schwerpunktmäßig Arbeitsmigranten, die auch in ihren Herkunftsländern oft zu den bildungsfernen Schichten zählten. Im internationalen Vergleich ist da-her die Diskrepanz zwischen einheimischen Schülern und Migrantenkindern der ersten und zweiten Genera-

tion in Deutschland besonders groß. In Ländern wie Ka-nada, Australien und Neuseeland gelingt es, Zuwande-rer zu gewinnen, die teils einen höheren sozialen Status aufweisen als die einheimische Bevölkerung.

In Deutschland sind die sozialen Unterschiede zwischen Migranten und Einheimischen sehr hoch. Ein Großteil der Probleme, die junge Migranten im deutschen Bil-dungssystem haben, ist weniger durch den Migrations-hintergrund an sich bedingt, sondern durch den niedri-gen sozioökonomischen Status und die damit oft einhergehende Bildungsferne der Familie.

Zugleich kann das deutsche Schulsystem diese Diskre-panz nicht kompensieren. Der internationale Vergleich zeigt, dass es in anderen Ländern besser gelingt, den Schulerfolg von der familiären Herkunft zu entkoppeln. Konkret geht es hier um Chancengleichheit, um sicher-zustellen, dass die Kinder von Akademikern und Arbei-tern sowie Zuwanderern nicht nur nominell gleiche Bil-dungschancen haben.

Deutschland befindet sich in einer doppelt problemati-schen Situation: Bei nur mittelmäßigen Bildungserfolgen

20

0

40

60

80

0,0

0,5

1,0

1,5

2,0

2,5

Schulabschluss der Personen mit Migrationshintergrund nach derzeitiger bzw. früherer Staatsangehörigkeit

Anzahl Personen in DeutschlandOhne SchulabschlussFachhochschulreife/Abitur p. a.

% der Bevölkerung nicht in Ausbildung Anzahl Personen in Deutschland in Mio.

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 20061 Anzahl Personen ohne Polen, Griechenland, Italien; Anzahl EU 25 insgesamt 3,6 Mio.

USA Ukraine Rumänien Polen Afrika Durch-schnittEU 251

Russische Föderation

Griechen-land

Kasach-stan

Kroatien Italien Serbien und

Montenegro

Bosnien-Herzego-

wina

Türkei

Abbildung 19. Qualifikation der Einwanderer stark herkunftslandgetrieben

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Standortfaktor Bildungsintegration 23

ist die Chancenungleichheit hierzulande extrem hoch – nirgendwo sonst hat die familiäre Herkunft einen stär-keren Einfluss auf die Bildungslaufbahn von Kindern als in Deutschland. Das deutsche Schulsystem baut Unter-schiede der sozialen Herkunft nicht ab, sondern wirkt in die Gegenrichtung: Es verstärkt die Vor- und Nachteile unterschiedlicher familiärer Voraussetzungen.

Insgesamt zeigt sich, dass diejenigen Schulsysteme, die im PISA-Test besonders gut abschneiden, zugleich dieje-nigen sind, denen es gelingt, gut mit Heterogenität um-zugehen und Chancengleichheit zu erreichen. So hat

Kanada zwar im Vergleich zu Deutschland deutlich bes-ser qualifizierte Einwanderer; zugleich leistet das natio-nale Schulsystem aber auch eine Kompensation beste-hender sozialer Unterschiede. Anders in Deutschland: Die Migrationsbevölkerung ist hier geringer qualifiziert und die Fähigkeit, die Unterschiede im Schulsystem zu kompensieren, extrem gering.

Diese enge Koppelung von sozioökonomischem Hinter-grund und Bildungserfolg in Deutschland lässt sich – zum Teil – auf die historische Entwicklung der deut-schen Bildungsinstitutionen und ihrer Strukturen zurückführen. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern beginnt die Schulpflicht in Deutschland erst mit 6 Jah-ren, während für die davor liegenden – für das Lernen wichtigen – Jahre zwischen 3 und 6 ein freiwilliges und weitestgehend kostenpflichtiges (Teilzeit-)Kindergarten-angebot besteht. Eine Frühförderung im Kindergarten erhalten in Deutschland tendenziell jene Kinder, die we-der aus sprachlicher noch sozioökonomischer Sicht einen besonderen Bedarf haben. Umgekehrt sind es überwie-gend Kinder mit Migrationshintergrund sowie Kinder aus bildungsferneren Milieus, die keinen oder nur für kurze Zeit einen Kindergarten besuchen – sei es aus Kos-ten- oder kulturellen Gründen oder aufgrund der Mög-lichkeit und des Wunsches, Kinder so lange wie möglich einzig in der Familie zu erziehen.

„Der Vorschulbereich ist für eine frühe Sprachförde-rung entscheidend, aber in Deutschland ist er nicht bildungsrelevant. Viele Migrantenkinder nehmen die-ses Angebot erst im letzten Kindergartenjahr wahr. Dadurch verbringen sie mehr Zeit in einem Umfeld, in dem kein Deutsch und damit keine schulrelevante Sprache gesprochen wird.“

Prof. em. Dr. Klaus KlemmBildungsforscher, Universität Duisburg-Essen

Damit einher gehen sehr unterschiedliche Ausgangsla-gen der Kinder beim Eintritt in die 1. Klasse: Während ein Teil der Erstklässler durch eine gute Vorschulerzie-hung bereits Basisfähigkeiten für Lesen, Schreiben und Rechnen sowie motorisches Geschick und soziale Kom-petenzen erworben hat, beginnen andere Kinder mit einer „doppelten Halbsprachigkeit“, da sie weder in ih-rer Herkunftssprache noch im Deutschen über vergleich-bare Kompetenz verfügen wie ihre Altersgenossen.

0,18

0,10

0,06

0,12

0,15

0,08

0,10

0,03

0,02

0,03

0

-0,91

-0,80

-0,81

-0,76

-0,52

-0,49

-0,46

-0,39

-0,39

-0,20

-0,07

-0,90

-0,58

-0,58

-0,66

-0,68

-0,62

-0,55

-0,57

0,10

0,04

0,15

-1,0 -0,5 0,0 0,5

Deutschland

Niederlande

Dänemark

Frankreich

Schweiz

Kanada

Australien

Neuseeland

Norwegen

USA

Schweden

Quelle: OECD, PISA 20031 ESCS: Index of Economic, Social and Cultural Status – Index mit Hauptkompo-nentenanalyse aus Variablen zum elterlichen Bildungsabschluss, Einkommen und kulturellen Besitztümern

Schüler mit Migrationshintergrund 2. Generation (Einwanderungszeitraum der Familie vor 1988)

Einheimische Schüler

Standard innerhalb des Landes

Schüler mit Migrationshintergrund 1. Generation (Einwanderungszeitraum von 1988 bis 2003)

Verteilung von ökonomischem, sozialem und kulturellem Status (ESCS1) nach Migrationshintergrund

Abbildung 20. Sozioökonomische und kulturelle Differenz zwischen Einheimi­schen und Migranten in Deutschland am größten

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24 The Boston Consulting Group

400

425

450

475

500

525

550

5 10 15 20 25

CZE

NDL

BEL

FRA

DEU

HUNLUX

PRT

SVK

TUR

POL

ITA

JAP

KOR

SWE

CAN

FIN

NOR

CHENZLDEN

IRLAUT

GBR

SPA

GRC

USA

ISL

AUS

Mathematische Kompetenz

MEX

Varianzaufklärung durch den ESCS-Index1 in %2

Quelle: OECD, PISA 20061 ESCS: Index of Economic, Social and Cultural Status – Index mit Hauptkomponentenanalyse aus Variablen zum elterlichen Bildungsabschluss, Einkommen und kulturellen Besitztümern 2 Gibt den Prozentsatz an, in Höhe dessen die soziale Herkunft das Kompetenzniveau bestimmt (Bsp. DEU: Zu 19,5 % hängt das erreichte Niveau vom sozioökonomischen Hintergrund des Schülers ab)

Hohe Kompetenz bei niedriger sozialer Koppelung

Geringe Kompetenzbei niedriger sozialerKoppelung

Hohe Kompetenz bei hoher sozialerKoppelung

Geringe Kompetenzbei hoher sozialerKoppelung

Quelle: Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, Kultusministerkonferenz

19 %

16 %

28 %

25 %

14 %16 %

19 %

2. GenerationOhne Migrations-hintergrund

1. Generation Ohne Schul-abschluss

Abitur Realschul-abschluss

Hauptschul-abschluss

Nach Schulbildung der Eltern (in %)

Keine Inanspruchnahme des Kindergartens im Alter von 3 Jahren

Nach Migrationshintergrund (in %)

Abbildung 21. Deutsches Bildungssystem koppelt soziale Herkunft und Bildung weit stärker als andere OECD­Länder

Abbildung 22. Die Kinder, die Frühförderung bräuchten, erhalten sie nicht

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Standortfaktor Bildungsintegration 25

In den wenigen Jahren bis zum Ende der Grundschule und zur Entscheidung über die weitere Schullaufbahn ist es ihnen so gut wie nie möglich, diese Defizite ihrer ers-ten sechs Lebensjahre auszugleichen und die Anforde-rungen in ihren ersten Schuljahren mit vergleichbarem Erfolg zu bewältigen.

Die Effekte einer (vergleichsweise) späten Einschulung werden in Deutschland verstärkt durch eine (vergleichs-weise) frühe Differenzierung nach unterschiedlichen Schultypen. In vielen Bundesländern wird für Kinder bereits im Alter von 10 Jahren, nach der 4. Klasse, die folgenreiche Entscheidung getroffen, welche weiterfüh-rende Schule – Hauptschule, Realschule, Gymnasium (in einigen Ländern auch Gesamtschule) – sie besuchen werden. Ergebnisse der IGLU-Studie, die die Leseleis-tung von Viertklässlern untersucht, zeigen, dass zwi-schen Schulempfehlung, sozioökonomischem Status und

Schülerleistung eine – unter dem Aspekt der Chancen-gerechtigkeit und Talentförderung sehr bedenkliche – Korrelation besteht: Je niedriger der sozioökonomische Hintergrund der Familie, desto höher muss die Leistung des Kindes sein, um eine Gymnasialempfehlung zu er-halten – im Extremfall beträgt die Differenz zwei Kom-petenzstufen. Mit anderen Worten: Für Kinder aus bil-dungsbewussten Familien genügt es schon, in einem Text „relevante Einzelheiten zu finden und miteinander in Beziehung zu setzen“, während gleichaltrige Kinder mit einem weniger vorteilhaften familiären Hintergrund bereits „abstrahieren, verallgemeinern und Präferenzen begründen“ müssen, um vom Lehrer für eine Gymnasi-allaufbahn vorgeschlagen zu werden.

Auch die Entscheidung der Eltern verstärkt die Unter-schiede zwischen den Bildungschancen: Kinder aus bil-dungsbewussten Familien erfahren die Wertschätzung

Mein Vater kam 1993 als Spät-aussiedler mit meiner russi-schen Mutter nach Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt war ich fünf Jahre alt. Unsere erste Un-terkunft, ein Aussiedlerheim in einem der besseren Stadtteile Hamburgs, stellte sich für mich als Glücksfall heraus. Denn hier konnte ich einen Kindergarten

besuchen, der viel Wert auf Frühförderung legte. Die en-gagierten Erzieherinnen brachten mir Deutsch bei. Dies war auch wichtig, da es keine organisierte, institutionelle Sprachförderung für ausländische Kinder gab. Und zu dieser Sprache gab es auch keine Alternative: Kein ande-res Kind sprach mit mir Russisch. Ich wurde erst mit sie-ben Jahren eingeschult, damit mein Deutsch „Schulquali-tät“ bekam. Da ich Lesen, Schreiben und Rechnen schon im kasachischen Kindergarten erlernt hatte, gelang es mir, die zweite Schulklasse zu überspringen.

Unser Umzug innerhalb Hamburgs brachte große Verän-derungen mit sich: Meine neue Grundschule lag in einem Stadtteil mit hohem Migrantenanteil. Obwohl ich in der Schule keine Sprachförderung bekam, war mein Deutsch inzwischen sehr gut. Trotzdem erreichte ich nur mit Müh und Not eine Gymnasialempfehlung. Aus unserem Jahr-gang gelang dies insgesamt nur sieben von 80 Schülern. Im Rückblick bin ich mir sicher, dass deutlich mehr mei-

ner Freunde das Potenzial für eine Gymnasialausbildung gehabt hätten. Mittlerweile haben einige von ihnen die späte Erkenntnis gewonnen, dass auch sie die Möglichkei-ten zu Studium und perspektivvollem Berufsleben hätten nutzen sollen.

Meine Eltern haben beide studiert und Bildung ist ihnen sehr wichtig. Dies hat auch mich wesentlich in meiner Einstellung zur Relevanz und Bedeutung von Bildung ge-prägt. Gemeinsam haben meine Eltern und ich entschie-den, dass ich auf ein bilinguales englisch-deutsches Gym-nasium wechseln sollte. Hier besuchten im Schnitt nur 15 Schüler eine Klasse, die Lehrer waren sehr engagiert und es gab ein breit gefächertes Austauschprogramm. Dafür habe ich auch einen Schulweg von 40 Minuten in Kauf genommen, zählte aber zu den wenigen Migranten an diesem Gymnasium.

Bereits mit 17 habe ich nach elf Schuljahren mein Abitur absolviert und startete danach ein Work-and-Travel-Pro-gramm durch Australien. Heute studiere ich Betriebswirt-schaftslehre mit Schwerpunkt Finance und Strategy an der WHU Koblenz. Nach einem universitären Kurs in Bangalore/Indien und einem Praktikum in Madrid nach dem 2. Semester möchte ich nächsten Sommer gerne die Möglichkeit nutzen, mein Russisch auch beruflich anwen-den zu können, und das nächste Praktikum in Moskau absolvieren.

Roman Kirsch, 20 Jahre

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26 The Boston Consulting Group

Quelle: IGLU 20061 Dazu zählen höhere akademische Berufe, Ingenieure, leitende Verwaltungsberufe, Manager und Großunternehmer 2 Dazu zählen gehobene Verwaltungs- und Managementberufe, höhere technische Berufe, Lehrer 3 Darunter fallen nicht-manuelle Berufe mit Routinetätigkeiten (z. B. Büro-, Verkaufsberufe) 4 Relevante Einzelheiten und Informationen im Text auffinden und miteinander in Beziehung setzen 5 Abstrahieren, verallgemeinern und Präferenzen begründen

Grenzwert in Punkten für eine Gymnasialempfehlung

580

Grenzwert in Punkten für eine Gymnasialempfehlung

580

Kompetenzstufe III4 Kompetenzstufe V5

Obere Dienstklasse1

Untere Dienstklasse2

Routine-Dienstleistungen3

Selbständige

Facharbeiter, Angestellte

Arbeiter, Landarbeiter

Elternentscheidung für Gymnasium

Leseleistung der Viertklässler und Gymnasialempfehlung

Lehrerempfehlung für GymnasiumBeruf des Vaters

537

569

582

580

592

614

498

559

578

556

583

606

Abbildung 23. Die Laufbahnempfehlung diskriminiert auf Basis sozioökonomischer Kriterien

Meine Eltern stammen aus In-donesien. Während mein Vater in Russland Ingenieurwesen stu-dierte, gab es in Indonesien ei-nen Regierungswechsel und er durfte nicht mehr in sein Land zurückkehren. So kam er schließ-lich vor über 20 Jahren als Staa-

tenloser nach Deutsch land. Meine Mutter hatte er über einen Briefwechsel kennengelernt und holte sie zu sich nach Münster.

Zu Hause haben meine Eltern mit meiner Schwester und mir eine Mischung aus Indonesisch und Javanisch gespro-chen. Im Kindergarten lernte ich aber dann so gut Deutsch, dass ich von da an meinen Eltern ausschließlich auf Deutsch geantwortet habe. In unserem Stadtteil leb-ten sehr viele Migranten, dementsprechend gab es viele

ausländische Kinder in meinem Kindergarten – vor allem aus türkischen Familien. Deutsch war unsere gemeinsa-me Sprache und unsere Sprachkenntnisse wurden von sehr engagierten Erzieherinnen gefördert.

Bei meiner Einschulung trafen meine Eltern die bewusste Entscheidung, mich nicht auf die Grundschule unseres Stadtteils, sondern in eine weiter entfernt gelegene Schu-le mit sehr geringem Ausländeranteil und hohen schuli-schen Standards zu schicken. Dort war ich als eine der wenigen Ausländerinnen vollständig integriert und schaff-te den Übertritt auf das Gymnasium. Dieser Schritt blieb – bis auf absolute Ausnahmetalente – den meisten Kin-dern aus meinem Stadtteil verwehrt. Heute weiß ich, dass die Grundschulentscheidung meiner Eltern für meinen Erfolg im deutschen Bildungswesen sicher entscheidend war. Heute studiere ich an der Jacobs University Bremen.

Shinta Harsana, 20 Jahre

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Standortfaktor Bildungsintegration 27

30,3

32,0

1,6

2,2

16,1

2,6

0,1

0,4

Quelle: Bildung in Deutschland 2006Anmerkung: Zusätzlich sind in Westdeutschland 14,1 % der Schulwechsel nicht eindeutig Ab- oder Aufstiegen zuzuordnen (z. B. SMBG – IGS)1 Für die Jahrgangsstufen 7 bis 9 des Schuljahres 2004/05 2 Schularten mit mehreren Bildungsgängen: bieten Hauptschulabschluss und mittlere Reife

Aufstiege in % aller Schulwechsel

Westdeutschland Anzahl Schüler Klassen 7 – 9: 2.252.750

Schulartenwechsel: 62.676

Wechselquote gesamt: 2,8 %

In Westdeutschland 66 Prozent Abstiege und nur 19 Prozent Aufstiege

Abstiege in % aller Schulwechsel1

RS → HS

GY→ RS

GY → SMBG2

GY → HS

HS → RS

RS → GY

SMBG → GY

HS → GY

Abbildung 24. Deutsches Schulsystem undurchlässig

von Bildung anders als Kinder, deren Eltern nicht selbst eine lange Bildungslaufbahn erfahren haben oder deren Eltern schon aus Kostengründen eine lange Ausbildung deutlich skeptischer sehen. Hinzu kommt, dass Eltern aus bildungsfernen Familien sich eher von – auch nicht-verpflichtenden – Empfehlungen der Lehrer leiten lassen und sich selten diesen entgegenstellen. Dass auf Seiten der Lehrer in die Empfehlung für eine Schulform die Einschätzung einfließt, in welchem Umfang das Kind in seiner späteren Schullaufbahn mit familiärer Unterstüt-zung rechnen kann oder nicht, ist nachvollziehbar.

Die Auswirkungen der Laufbahnempfehlungen sind be-sonders im deutschen Schulsystem gravierend. Zwar wird als Gegenargument angeführt, dass das deutsche Schulsystem „durchlässig“ sei und den Übergang zwi-schen Schulformen jederzeit erlaube; in der Praxis aller-dings ist die „Durchlässigkeit“ weitgehend in eine Rich-tung gegeben – von oben nach unten.

Bei einer (geringen) Gesamtwechselquote von 2,8 Pro-zent erfolgen fast drei Viertel aller Schulwechsel als „Ab-stiege“ – von einer anspruchsvolleren Schulform zu

einer mit geringeren Anforderungen; ein Wechsel von der Real-, Haupt- oder Gesamtschule auf ein Gymnasi-um gelingt lediglich in 3 von 100 Schulwechseln.

„Die Durchlässigkeit des deutschen Schulsystems nach oben ist ein Märchen. In NRW kamen im letzten Jahr von etwa 200.000 Schülern auf rund 500 Aufsteiger etwa 6.500 Absteiger – das ist eine Quote von 1 : 14. Seit der Einführung des G8 ist der Aufstieg in das Gymnasium faktisch unmöglich geworden.“

Prof. Dr. Wilfried Bos Universitätsprofessor für Bildungsforschung und Qualitäts-sicherung an der Technischen Universität Dortmund im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Soziologie, Direktor des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS), Dortmund, Mitglied im Expertengremium des Aktionsrats Bildung

Aus einer veröffentlichten Untersuchung, die auf der PISA-Studie 2000 basiert, lassen sich die Ursachen für diese fehlende Durchlässigkeit erkennen: Unterschiedli-

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28 The Boston Consulting Group

che Lernumgebungen haben maßgeblichen Einfluss auf die Lernentwicklung. Wenn Siebtklässler bei gleichen Leistungen in Mathematik, gleicher Familienumgebung und gleichen kognitiven Grundfähigkeiten eine Haupt-schule besuchen, entspricht ihr Lernfortschritt zwischen

Klasse 7 und Klasse 10 einer Steigerung von 100 auf 141 Punkte. In der Gesamtschule erreichen diese Kinder ei-nen Lernfortschritt von 156, in der Realschule von 171 Punkten – und im Gymnasium haben sie (bei identischer Ausgangssituation) ihre Fähigkeiten von 100 auf 191 Punkte gesteigert. Die Differenzen der Lernumgebungen

vergrößern mit jedem Jahr den Abstand, der eine Ein-gliederung in eine andere Schulform massiv erschwert.

Im Ergebnis zeigt sich, dass das deutsche Bildungssys-tem in seiner gegenwärtigen Form Integration erschwert und indirekt soziale Selektivität zur Folge hat. Bildungs-chancen (und Bildungskapital) werden in Deutschland weitgehend „vererbt“. Jeder zweite Migrant ist ein einfa-cher Arbeiter, und im Bevölkerungsdurchschnitt neh-men nur 18 von 100 Arbeiterkindern ein Studium auf. Der sozioökonomische Status erscheint zementiert.

Der im deutschen Schulsystem verankerte „Bildungs-trichter“ verhindert, dass die Talente und Fähigkeiten vieler Jugendlicher – ob mit Migrationshintergrund oder aus sozial benachteiligten Familien – entwickelt werden. Der Wirtschafts-, Forschungs- und Zukunftsstandort Deutschland ist jedoch in Zukunft mehr denn je auf qua-lifizierte, kompetente und leistungsbereite junge Men-schen aus genau dieser Gruppe angewiesen. Integration, Bildungschancen und eine starke wirtschaftliche Basis gehen Hand in Hand.

Durchschnitt Deutschland1

100

53

77

42

37

21

Eintritt in Sekundarstufe II3

Eintritt in Sekundarstufe I2

ErwerbStudienberechtigung

Studienaufnahme

Hochschulabschluss

Kinder von Akademikern

100

88

83

Kinder vonNicht-Akademikern

100

46

23

Kinder vonArbeitern

100

36

18

Quelle: 18. Sozialerhebung Deutsches Studentenwerk1 Zahlen 2004 2 Gezählt werden Eintritte in Gymnasium und Realschule 3 Ab Klasse 11

Bildungstrichter 2005:Bildungsbeteiligung von Kindern nach akademischem/beruflichem Abschluss des Vaters (in %)

Abbildung 25. Deutsches Bildungssystem erhält tradierte soziale Struktur

„Wer als Migrantenkind nur aufgrund schlechter Start-voraussetzungen nach der vierten Klasse nicht gleich den Wechsel zum Gymnasium schafft, verbringt die nächsten sechs Jahre in einem Lernmilieu, das nicht die gleichen Lernerfolge hervorbringen kann und wird.“

Prof. em. Dr. Klaus KlemmBildungsforscher, Universität Duisburg-Essen

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Standortfaktor Bildungsintegration 29

(2) Konzentration in BallungsräumenErschwerend für die Bildungsintegration wirkt sich – als zweiter gewichtiger Faktor – die räumliche Wohnsitua-tion aus: In Deutschland leben die meisten Migranten in Ballungsräumen und dort in Stadtteilen, die durch einen hohen Anteil an Bewohnern mit ähnlichem – niedrige-ren – sozioökonomischen Status und oft gleicher Her-kunftssprache gekennzeichnet sind. Dies führt dazu, dass die Integration im Vorschul- und Schulbereich er-schwert wird, da etwa in den Kindertagesstätten und Grundschulen viele Kinder mit ihren Freunden weiter-hin in ihrer Herkunftssprache sprechen, aber nicht aus-reichend in die deutsche Sprachumgebung eintauchen können.

Die örtliche Bindung wird erst in der Sekundarstufe auf-gehoben, dort jedoch – wie die Ergebnisse der IGLU-Studie belegen – durch eine soziale Separation ersetzt. Aus der Verteilung von Kindern mit und ohne Migrati-onshintergrund auf die unterschiedlichen Schulformen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Hauptschu-le zu einer Art „Sammelschule“ entwickelt. In den Hauptschulen treffen verschiedene Aspekte der Benach-teiligung zusammen und verstärken sich gegenseitig. Die hohe Konzentration von Schülern, die über unzurei-chende Deutschkenntnisse verfügen, oft ein geringes

Leistungsprofil aufweisen oder in problematischen fami-liären Verhältnissen leben, führt zu großen Integrations-problemen. Am Ende der Schullaufbahn stehen diese Hauptschüler im Wettbewerb um Lehrstellen und Be-rufsmöglichkeiten oft chancenlos da. Jeder zweite Ju-gendliche mit maximal Hauptschulabschluss hat ein Jahr nach Schulende immer noch keinen Ausbildungs-platz gefunden. Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass bereits ab einem Anteil von 20 Prozent an Ju-gendlichen mit Migrationshintergrund die Integrations- und Fördermaßnahmen der Schulen schwierig, ab einem Anteil von 40 Prozent nahezu unmöglich werden.

„Es ist nicht klar, ob sich die Probleme von Schulen mit hohem Migrantenanteil überwiegend durch den Aus-länderanteil oder vor allem durch sozioökonomische Faktoren erklären lassen. Diese Aspekte der Benachtei-ligung sind so eng miteinander verwoben, dass sie sich empirisch kaum trennen lassen.“

Univ.-Prof. Petra Stanat, Ph.D.Empirische Bildungsforschung, Freie Universität Berlin, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BaMF), Mitglied im Deutschen PISA-Konsortium (PISA 2009)

Meine Mutter kam im Alter von zwölf Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland. Damals gab es noch keine Sprachförderkur-se und sie besuchte vom ersten Tag an eine deutsche Haupt-schule. Am Ende erreichte sie den Hauptschulabschluss, hätte

aber gern mehr gelernt und erreicht. Diese Erfahrung hat meine Mutter geprägt: Für ihre Töchter wollte sie eine bessere Zukunft. Im Kindergarten sollte ich deshalb Deutsch lernen – unmöglich bei einem so hohen Auslän-deranteil: In meiner Kindergartengruppe in Düren hatte jedes zweite Kind einen türkischen oder russischen Mig-rationshintergrund. Dadurch ging die Rechnung meiner Eltern nicht auf – ich lernte kaum Deutsch. Kurz ent-schlossen stellte meine Mutter in Eigenregie ein „Förder-programm Deutsch“ auf: Sie meldete mich in Vereinen an, stellte sicher, dass ich regelmäßig mit deutschen

Freunden spielte, und engagierte eine Lehrerin als Haus-aufgabenhilfe. Diesem Programm verdanke ich letztend-lich meine Deutschkenntnisse. Als meine jüngere Schwes-ter eingeschult wurde, hatten meine Eltern dazugelernt und schickten sie auf eine Grundschule mit geringerem Migrantenanteil.

Am Ende meiner Grundschulzeit sprach meine Klassen-lehrerin Empfehlungen für die weitere Schullaufbahn aus: Ihr Urteil für mich lautete „Gesamtschule“, während deut-sche Kinder mit gleichem Notendurchschnitt von ihr eine Gymnasialempfehlung erhielten. Zum Glück akzeptierten meine Eltern dieses Votum nicht. Sie überzeugten den Direktor des Gymnasiums, so dass ich einen Probeunter-richt absolvieren konnte. Fortan war ich Gymnasiastin und konnte später wegen guter Leistungen sogar die zehnte Klasse überspringen. Heute studiere ich Wirt-schaft an der EBS Schloss Reichartshausen und freue mich auf eine internationale Karriere.

Gülsah Keles, 21 Jahre

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30 The Boston Consulting Group

21 %31 %

19 %27 % 32 % 33 %

Ab 40 % ist die Integration besonders schwierig

23 %

34 %

36 %

37 %36 % 35 %

26 %

23 %35 %

26 % 23 % 23 %31 %

12 % 11 % 10 % 9 % 10 %

118.000

NRW

431.568

WestdeutschlandHessen

80

60

40

26.000

Berlin

> 75 % 50 – 75 % 25 – 50 % 0 – 25 %

78.000

Bayern

Anteil nicht deutschsprechender Kinder:

16.016

Hamburg

49.000

0

20

100

Quelle: Bildung in Deutschland 2008

Konzentration nicht deutschsprechender Kinder in Kitas 2006

% der Kinder mit nicht-deutscher Familiensprache

Quelle: Konsortium Bildungsberichterstattung; PISA 2003; PISA 2000, vertiefende Analysen

73,9 %

32,0 %

21,8 %

3,9 % 0,4 %

41,0 %

19,9 %

7,1 %

Zu hohe Konzentration von Migranten führt zu schlechteren Leistungen

Leseleistungen liegen niedriger, insbesondere wenn in Familien nicht Deutsch gesprochen wird (Anteil von 40 % ≙ 25 Kompetenzpunkte bei Standard 500)

Hauptschulen, die mit "großem Engagement" arbeiten, sind bei Migrantenanteil von über 75 % in der Minderheit

Besonders starke Probleme bei Schulklima und Disziplin in sozial schwachen Gebieten

An den Schulen mit hohem Migrantenanteil sammeln sich Jugendliche, die zu Hause kein Deutsch sprechen

% der Schüler der 9. Klasse besuchen Schule mit Migrantenanteil von

EthnischeSegregation

Ohne Migrations-hintergrund

Mit Migrations-hintergrund

> 75 % 50 – 75 % 25 – 50 % 0 – 25 %

Abbildung 26. Jedes dritte fremdsprachige Kind wird in der Kita nicht optimal sprachlich gefördert

Abbildung 27. Jeder vierte Jugendliche mit Migrationshintergrund besucht Schule, in der Integration unmöglich ist

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Standortfaktor Bildungsintegration 31

Dies wird in Zukunft die Schulen vor besondere Heraus-forderungen stellen. Der Anteil der Kinder mit Migrati-onshintergrund liegt bei den unter 5-Jährigen heute schon bei 33 Prozent. Das bedeutet, dass es in den Groß-städten bald kaum noch Schulen geben wird, die den Integrationsgrenzwert von 40 Prozent unterschreiten.

(3) Mangelnde SprachkenntnisseAls dritter maßgeblicher Faktor für die Bildungsdiffe-renzen zwischen Kindern mit und ohne Migrationshin-tergrund erweist sich die Sprachkompetenz. Das Beherr-schen der Landessprache ist eine elementare Voraussetzung für den Bildungserfolg in allen Berei-chen. Im deutschen Schulsystem ist es – vor dem Hinter-grund einer fehlenden verpflichtenden Vorschulbildung und einer frühen Entscheidung über die Schullaufbahn – sehr schwer, sprachliche Defizite rechtzeitig auszuglei-chen.

In fast der Hälfte (47 Prozent) aller Migrantenfamilien wird innerhalb der Familie die Landessprache des Her-

kunftslandes gesprochen – das heißt, jeder zweite Jugendliche mit Migrationshintergrund wächst in Deutschland zweisprachig auf: Zu Hause wird die Her-kunftssprache gesprochen, in der Schule Deutsch. Zu den am häufigsten gesprochenen Herkunftssprachen in Deutschland zählen Türkisch, Russisch und Polnisch.

Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass Deutsch-land in diesem Migrationsaspekt einen Mittelwert be-legt. In vielen anderen Ländern – darunter die Schweiz, USA, Kanada, Australien – ist der Anteil von jungen Mi-granten, die zu Hause ihre Herkunftssprache sprechen, deutlich höher. Allerdings wirkt sich dies im deutschen Schulsystem sehr viel nachteiliger aus als anderswo: Die mangelnde Sprachfähigkeit kann in Deutschland beson-ders schlecht kompensiert werden. Im Vergleich zu anderen Einwanderungsländern sind nach den Ergeb-nissen der PISA-Studie nirgendwo die Kompetenzunter-schiede zwischen Jugendlichen, die zu Hause ihre Her-kunftssprache sprechen, und Jugendlichen, die dort die Landessprache sprechen, so groß wie hierzulande.

Meine Eltern kamen 1990 aus Rumänien nach Deutschland. Damals war ich zwei Jahre alt. Wir landeten in der schwäbi-schen Kleinstadt Balingen, wo mein Vater eine Weiterbildung zur CNC-Fachkraft absolvierte. Als Spätaussiedler sprach er noch den alten Dialekt der Do-

nauschwaben, dadurch fiel ihm das Deutschlernen etwas leichter. Meine Mutter fing dagegen ganz von vorne an. Trotzdem sprach sie mit ihren neun Kindern konsequent Deutsch. Es war ihr wichtig, dass wir uns schnell integrie-ren konnten.

Nach dem Kindergarten besuchte ich die lokale Grund-schule. Leider gab es vor Ort keine Sprachförderung und ich hatte mit dem Fach Deutsch zu kämpfen. Gerade das Aufsatzschreiben fiel mir sehr schwer. Meine Mutter half mir, so gut sie konnte, aber mit ihren Sprachkenntnissen stieß sie an Grenzen. Trotzdem hat sie immer meine Hausaufgaben kontrolliert und mich zum Lesen gedrängt. In der vierten Klasse erhielt ich eine Empfehlung für die Realschule. Es dauerte aber bis zur 7. Klasse, bis mein deutsches Sprachgefühl sich so weit entwickelt hatte, dass ich mich differenziert genug ausdrücken konnte.

Damit hatte ich aber trotzdem einen besseren Start als drei meiner Schwestern, die schon älter waren, als wir nach Deutschland kamen. Alle drei erhielten sie aufgrund ihrer fehlenden Sprachkenntnisse nur eine Hauptschul-empfehlung. Nach fünf Jahren Langeweile machten sie schließlich den Realschulabschluss bzw. das Abitur nach.

Ich selbst ging nach meinem Realschulabschluss auf ein technisches Gymnasium und absolvierte dort das Abitur. Der Wendepunkt in meiner Bildungslaufbahn kam, als ich in der 9. Klasse ein Stipendium der Robert-Bosch-Stif-tung „Talent im Land“ erhielt. Ich konnte dank der Förde-rung Veranstaltungen und Sommerakademien besuchen und mich mit anderen austauschen. Zum ersten Mal wur-den meine Interessen entwickelt, ich wurde gefördert – mein Ehrgeiz war geweckt. Das Stipendium hatte ich ei-ner Empfehlung meiner Lehrer zu verdanken. Als langjähriger Klassen- und Schulsprecher war ich ihnen aufgefallen und wurde entsprechend vorgeschlagen. Wie erhalten aber weniger extrovertierte Schüler eine solche Förderung?

Nach dem Abitur studiere ich jetzt an der Jacobs Univer-sity Bremen Chemie und bin damit der erste Akademiker in meiner Familie.

Helmuth Haas, 20 Jahre

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Quelle: OECD, PISA 2006, Bildung in Deutschland; Statistisches Bundesamt, Mikrozensus; BCG-Analyse

… und ihr Anteil an der Gruppe mit Migrationshintergrund

Jugendliche, die zu Hause ihre Herkunftssprache sprechen …

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FRANDLCANSWEAUTCHE

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DEU DEUBEL AUT BEL SWECHE FRA NDL CAN

Jugendliche, die zu Hause die Landessprache sprechen Unterschied in Kompetenzpunkten zwischen Jugendlichen, die zu Hause die Landessprache sprechen, und solchen, die zu Hause ihre Herkunftssprache sprechen

Jugendliche, die zu Hause ihre Herkunftssprache sprechenJugendliche ohne Migrationshintergrund

PISA-Kompetenzpunkte PISA-Kompetenzpunkte

Quelle: OECD, PISA 2006; BCG-Analyse 1 Die Analyse bezieht sich auf Jugendliche, von denen beide Elternteile nicht im Testland geboren wurden

Mathekompetenz1Lesekompetenz1

Abbildung 28. Die Hälfte der Jugendlichen mit Migrationshintergrund spricht zu Hause nicht Deutsch

Abbildung 29. Sprachliche Defizite führen in Deutschland zu den höchsten PISA­Kompetenzunterschieden

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Standortfaktor Bildungsintegration 33

Viele der in Deutschland geborenen Kinder aus Migran-tenfamilien wachsen mit einer „doppelten Halbspra-chigkeit“ auf. Häufig zählen ihre Eltern bereits zur zwei-ten Einwanderergeneration bzw. leben seit langem in Deutschland. Dies ist aber in vielen Fällen nicht nur mit schlechten Deutschkenntnissen, sondern auch einer ge-ringeren Kenntnis der Herkunftssprache verbunden. Wie zahlreiche Untersuchungen bestätigen, beeinflusst die sprachliche Kompetenz der Eltern – zusammen mit anderen Faktoren – maßgeblich die sprachlichen Fähig-keiten ihrer Kinder. Der „doppelten Halbsprachigkeit“ kann daher nur mit Maßnahmen begegnet werden, die Kinder wie Eltern ansprechen und die neben der Lan-dessprache auch die Herkunftssprache adressieren: Selbst wenn Migranten ihrem Kind „nur“ ihre Her-kunftssprache vermittelten, wären die Grundlagen zum Erlernen einer neuen (Landes-)Sprache besser als ohne die muttersprachlichen Kompetenzen (ausgebildete Grammatik, großer Wortschatz). Nur frühe, intensive und individuelle Sprachförderung kann die Vorausset-zungen dafür schaffen, dass die Sprachdefizite zu Be-ginn der Schullaufbahn den Bildungserfolg nicht verhin-dern oder stark beeinträchtigen. Hier stellen die in Deutschland vorherrschenden Halbtagskindergärten und -schulen eine große Hürde dar: So verbringt die Mehrheit der Kinder nur einen kleinen Teil ihrer Zeit in einer für die Sprachförderung optimalen Umgebung.

Veränderungen in der Praxis: Vielfalt fordert neue Lernkonzepte

Seit den PISA-Studien sind die Defizite des deutschen Bildungssystems in der Diskussion und die deutsche Schullandschaft ist massiv in Bewegung geraten. Trotz zahlreicher Maßnahmen und erster Schritte in die rich-tige Richtung hat sich die Chancengleichheit seither je-doch nicht wesentlich erhöht.

Die Ursachen des deutlich geringeren Schulerfolgs von Migrantenkindern in Deutschland sind – spätestens seit PISA – bekannt. Daraus lässt sich eine ganze Reihe von Maßnahmen ableiten, die geeignet sind, die Situation zu verbessern. Außer Frage steht: Diese Maßnahmen kos-ten Geld, viel Geld. Doch volkswirtschaftlich betrachtet ist der „Gewinn“ von Investitionen in Bildungschancen bei weitem höher als der finanzielle Aufwand.

Wenn die erkannten Defizite bewältigt und bessere Bil-dungschancen für Kinder geschaffen werden sollen, die

aufgrund ihrer (Migrations-)Geschichte oder familiären Situation stark benachteiligt sind, dann sind auf allen Handlungsebenen des deutschen Bildungssystems ge-zielte Anstrengungen erforderlich. Dabei liegt der Fokus auf einer schnellen Umsetzbarkeit der Reformen. Die Kinder, die in den kritischen Jahren von 2020 bis 2030 die gut ausgebildeten Jahrgänge der Babyboomer erset-zen sollen, sind heute schon zwischen 3 und 13 Jahren alt, und durchlaufen also gerade das deutsche Bildungs-system. Daher werden im Folgenden pragmatische Lö-sungsansätze aufgezeigt und keine tiefgreifenden struk-turellen Reformen zur Diskussion gestellt, die für diese Gruppe zu spät kämen.

„In meiner Wahrnehmung ist im deutschen Schulsys-tem in den letzten fünf bis sechs Jahren mehr und mit höherer Geschwindigkeit passiert als in den Jahrzehn-ten davor. Leider sind – außer der Sprachförderung – kaum Ansätze zur Verbesserung der Chancengleichheit erkennbar.“

Prof. em. Dr. Klaus KlemmBildungsforscher, Universität Duisburg-Essen

In der Elementarstufe, im Kindergarten- und Vorschul-bereich gilt es, eine intensive Förderung – speziell des Spracherwerbs – für Kinder von Zuwanderern sicherzu-stellen. Erstes Ziel muss es sein, dass alle Kinder mit Mi-grationshintergrund den Kindergarten – idealerweise ab einem Alter von 3 Jahren – besuchen. Um dies zu errei-chen, ist ein kostenfreier Kindergartenbesuch (zumindest für bedürftige Kinder) eine wesentliche Forderung.

Eine verpflichtende Vorschulphase (ab 4 Jahren) sowie Sprachstandserhebungen mit einheitlichen Standards und einer curriculumbasierten Sprachförderung von Deutsch als Zweitsprache müssen frühzeitig – vor dem Beginn der Schullaufbahn – erfolgen, wenn die entschei-dende Elementarphase ihrem Bildungsanspruch gerecht werden soll.

Im Vorschulbereich gibt es seit kurzer Zeit Sprach stands er-he bungen für 5-Jährige, die aber in Inhalt und Er rei-chungsgrad in den verschiedenen Bundesländern variie-ren. Das Angebot in den Ländern ist stark fragmentiert und uneinheitlich in der Qualität. So existieren in Deutsch-land keine einheitlichen Programme zur Sprachstands-erhebung für Kinder mit Migrationshintergrund.

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„In den Schulen, die mit dem Rü-cken zur Wand stehen, bewegt sich am meisten“, sagt Karin Babbe, Rek-torin der Erika-Mann-Schule Berlin. Sie weiß, wovon sie spricht. In ihrer Grundschule im Berliner Wedding haben 83 Prozent der Kinder Migra-tionshintergrund. Vier von fünf Schü-lern kommen aus Familien, die un-terhalb der Armutsgrenze leben. Kapitulieren oder die Vielfalt als Chance begreifen? Das Kollegium hat sich für Letzteres entschieden – mit Erfolg. Dank einer konsequenten Förderung wechseln bis zu 80 Prozent der Grundschüler der Erika-Mann-Schule nach der sechsten Klasse auf die Realschule oder auf das Gym-nasium. Zum Zeitpunkt der Einschulung pflegt die Statis-tik noch düster auszusehen: In Sachen Sprachvermögen belegen Erstklässler der Erika-Mann-Grundschule nur Platz 27 unter den 35 Grundschulen des Berliner Bezirks. In der vierten Klasse sind sie dann mit ihrer Lese- und Rechenkompetenz bereits 15 bis 20 Prozent besser als der Durchschnitt des gesamten Landes Berlin.

Wie das gelingt? Eigentlich sei alles ganz einfach, sagt Ka-rin Babbe. Sie hat gerade wieder die Erstklässler bei der Einschulung erlebt: lernmotiviert, wissbegierig, selbstbe-wusst. „Diese Lernmotivation gilt es zu erhalten und zu entwickeln“, sagt Babbe. Zentrale Elemente im Erfolgsre-zept der gemeinwesenorientierten Grundschule sind die offene Ganztagsbetreuung sowie eine Sprachdidaktik, die auf ein durchgängiges Sprachcurriculum setzt. Eine kon-sequente Binnendifferenzierung im Unterricht ermög-licht es, starke und schwache Schüler gleichermaßen zu fördern und auch behinderten und hochbegabten Kin-dern gerecht zu werden. In den ersten beiden Klassenstu-fen wird die Heterogenität sogar künstlich erhöht: Die Lehrer unterrichten Erst- und Zweitklässler jahrgangsge-mischt in einem Klassenraum.

In einem Umfeld, in dem 600 Schüler aus 23 Nationen vertreten sind, hat die Erika-Mann-Grundschule eine uni-verselle Sprache gefunden: das Theater. Neben Mathe und Deutsch gibt es in jeder Klassenstufe zwei Wochen-stunden Theaterunterricht. Alle Klassen schreiben und inszenieren eigene Theaterstücke. Die besten kommen alljährlich bei einem Festival zur Aufführung. Die Thea-teraktivitäten helfen, das Sprachvermögen der Schüler zu entwickeln. Entscheidend ist aber der Schub an Selbstbe-wusstsein: Karin Babbe spricht vom „Wind unter den Flü-geln“, der es ihren Schülern ermögliche, auch schwierige

Situationen zu meistern, und der ih-nen „das Vertrauen gibt, das eigene Nichtkönnen in Angriff zu nehmen“.

Alle diese Aktivitäten finanziert die Grundschule nicht etwa über private Gönner oder Firmenspenden. Karin Babbe schöpft nur konsequent alle staatlichen Mittel aus, beantragt För-derstunden, geht Kooperationen mit

dem Deutschen Kinderschutzbund ein und arbeitet mit ehrenamtlichen „Lesepaten“. So verfügt die Erika-Mann-Grundschule über eine personelle Ausstattung, bei der die Anwesenheit von zwei pädagogischen Kräften im Klassenzimmer die Regel und nicht die Ausnahme ist. Auf diese Weise können die Schüler gezielt gefördert werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Sprachdidaktik, die sich an den Bedürfnissen dieser speziellen Schülergruppe orien-tiert. „In vielen Familien der zweiten Einwanderergenera-tion gibt es eine ‚doppelte Halbsprachigkeit‘“, erklärt Babbe. Die Eltern sprechen nicht ausreichend Deutsch, können ihren Kindern aber auch die eigene Mutterspra-che nicht mehr richtig vermitteln.

Der Ganztagsbetreuung kommt hier eine wichtige Rolle zu. Sie fördert das Sprachvermögen, setzt aber auch wich-tige Bildungsimpulse, die in bildungsfernen Elternhäu-sern zu oft der Fernseher übernimmt. Die Erika-Mann-Schule entkoppelt mit der Ganztagsbetreuung den Bildungserfolg von den Fähigkeiten und dem Unterstüt-zungspotenzial des Elternhauses. Trotzdem werden die Mütter und Väter konsequent in den Bildungsprozess ein-bezogen. Jedes Schulhalbjahr gibt es verbindliche Eltern-Schüler-Lehrer-Gespräche, in denen gemeinsame Ziele festgelegt werden, deren Umsetzung anschließend be-sprochen wird. Mit diesem Angebot erreicht die Schule 95 Prozent der Elternhäuser in diesem bildungsfernen Be-zirk. „Unsere Mütter und Väter sind bildungsbeflissener geworden“, weiß Babbe aus einer aktuellen Umfrage.

Ein innovatives Konzept, konsequentes Datenmonitoring der Bildungserfolge, ein Umbau des Schulgebäudes mit Stiftungsgeldern zum Selbstkostenpreis – kein Wunder, dass die Erika-Mann-Grundschule zu den Aspiranten auf den Deutschen Schulpreis 2008 gehörte. Der Erfolg hat sich in Berlin bereits herumgesprochen. Gerade waren drei Elternpaare aus dem Bezirk Prenzlauer Berg bei Ka-rin Babbe. Die „doppeldeutschen“ Eltern, wie die Schul-leiterin humorvoll anmerkt, überlegen, ob sie ihre Kinder in der Erika-Mann-Grundschule anmelden.

Erika­Mann­Grundschule Berlin­Wedding

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Standortfaktor Bildungsintegration 35

Zudem fehlt eine Fortführung der Sprachtests, die Fort-schritte und weiteren Förderbedarf dokumentiert. Ein „Best-Practice“-Beispiel zeigt Kanada: Dort werden stan-dardisierte Tests, die für alle Kinder mit Migrationshin-tergrund verpflichtend sind und deren Sprachstand samt -fortschritten dokumentieren, von Erziehern oder Leh-rern durchgeführt.

„Wenn Kinder mit fehlenden Deutschkenntnissen durch eine frühe Sprachstandsfeststellung schon im Vorschulalter identifiziert werden und entsprechende Sprachförderung erhalten, dann kann das ihre Start-chancen in der Grundschule nachhaltig verbessern.“

Prof. em. Dr. Klaus Klemm

Bildungsforscher, Universität Duisburg-Essen

Der Ausbau von Ganztagsangeboten sowie eine Erwei-terung der Ausbildungs- und Anforderungsprofile für Erzieherinnen und Erzieher schaffen für die verbesserte Sprachförderung im Elementarbereich die Basis. Es be-steht kein Zweifel, dass in vielen Vorzeigeeinrichtungen heute auch in Deutschland exzellente Arbeit geleistet

wird – doch welcher Zeitraum benötigt wird, um hier neue, bessere Standards zu etablieren, ist offen. Wenn der Elementarbereich in Deutschland bildungsrelevant werden soll, dann müssen Erzieherinnen und Erzieher deutlich besser aus- und weitergebildet werden. Höhere Bezahlung, Attraktivität des Berufs und gesellschaftli-ches Ansehen gehen mit einer Aufwertung der Bildung im Elementarbereich einher.

In der Primarstufe, das heißt im Grundschulbereich, zei-gen die Erfahrungen an einzelnen Schulen, dass mit differenzierten Förderangeboten, Co-Teaching und päd-agogischer Unterstützung an sogenannten „Brennpunkt-schulen“ nachweislich gute Erfolge erzielt werden kön-nen. Das Ziel, faire Bedingungen für den Übertritt in weiterführende Schulen für diejenigen Kinder zu schaf-fen, die aus sozialen Ursachen über eine geringere fami-liäre Unterstützung verfügen, kann nur dann erreicht werden, wenn für diese Defizite innerhalb der (Grund- und weiterführenden) Schule ausgleichende Angebote in ausreichenden Umfang bereitstehen.

Die Entwicklung differenzierter Unterrichtskonzepte – das heißt der Abschied vom „Normkind“ der 50er Jahre

Niveauangepasstes MaterialPersonelle Unterstützung im Klassenraum (manchmal oder immer)Förderunterricht/Hilfe durch Spezialisten (manchmal oder immer)

Quelle: IGLU 2006; Forumschule1 Prof. Dr. Jürgen Baumert, Direktor Max-Planck-Institut für Bildungsforschung

Einsatz niveauangepassten Materials und Verfügbarkeit personeller Ressourcen für 10-Jährige nach Angabe

der Lehrkräfte

Fragend-entwickelnder Unterrichtsstil unpassend bei Heterogenität

Weniger als 1 % aller Lehrkräfte haben Migrationshintergrund

„In der Verbesserung des Umgangs mit Differenz liegt vermutlich die eigentliche Herausforderung [...]“1

„Wir haben bei uns im Sekundarbereich, international gesehen, die homogensten Lerngruppen und gleichzeitig die größten Klagen über Heterogenität.“

„Die Lehrkraft versucht im Gespräch das angelegte Wissen systematisch zu entfalten [...] Aber man kann in diesem Unterricht sehr schlecht mit weiterführenden Antworten und noch schlechter mit Fehlern umgehen. Beides ist ein Kennzeichen von Heterogenität und beides stört im Grunde den konvergenten Verlauf des Unterrichts.“

Prof. Dr. Jürgen Baumert, Forumschule, 10. Januar 2002

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Abbildung 30. Deutsches Schulsystem nicht auf Heterogenität ausgelegt

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zugunsten einer akzeptierten und aktiv adressierten He-terogenität der Schülerschaft (hinsichtlich Herkunftsge-schichte, Sprachkompetenz und Familiensituation) – hat, anders als in anderen Ländern, in Deutschland erst vor wenigen Jahren begonnen. Ob es sich um den Ein-satz niveauangepassten Materials handelt oder um zu-sätzliche personelle Unterstützung im Klassenraum: in vielen anderen Ländern sind hier bereits Anpassungen erfolgt, welche die Unterrichtsmodelle und -standards auf die Heterogenität der Kinder abstimmen.

„Entgegen landläufiger Meinung spielt die Klassen-größe für die Leistung der Schüler keine wesentliche Rolle. Anstatt Geld für kleinere Klassen auszugeben, sollte man in Co-Teaching und in Spezialisten für die Schulen investieren. Wichtig ist die Binnendifferenzie-rung innerhalb der Klassenräume. Das wäre auch im Interesse der leistungsstarken Kinder, die dadurch weit besser gefördert werden könnten.“

Prof. Dr. Wilfried Bos Universitätsprofessor für Bildungsforschung und Qualitäts-sicherung an der Technischen Universität Dortmund im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Soziologie, Direktor des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS), Dortmund, Mitglied im Expertengremium des Aktionsrats Bildung

Erst zusätzliche Lehrkräfte, Sozialarbeiter und Psycho-logen können gerade an diesen Schulen die nötige Ent-lastung schaffen, um Förderangebote und differenzier-ten Unterricht, der die unterschiedlichen Begabungen und Lerngeschwindigkeiten von Schülern berücksichtigt, zu leisten. Eine stärkere Differenzierung und Entstan-dardisierung innerhalb des Unterrichts hat dabei den doppelten Effekt, dass die Vorteile nicht nur förderbe-dürftigen, sondern auch besonders begabten oder leis-tungsstarken Kindern zugute kommen. Nur ein gezielter Ausbau mit massiver Steigerung der Attraktivität (durch differenzierten Unterricht, Nachmittagsangebote und Infrastruktur) kann die Entscheidung bildungsnaher El-tern zugunsten einer Schule beeinflussen. Eine verpflich-tende Verteilung der Schüler auf bestimmte Schulen – wie in den USA – hat sich nicht als erfolgversprechend erwiesen.

Die zusätzlichen personellen Kapazitäten, die eine Ent-lastung von Brennpunktschulen und eine Differenzie-rung im Unterricht erfordern, verlangen eine deutliche Steigerung bei der Neueinstellung von Lehrkräften. Als Alternative – falls der Bedarf auf dem Arbeitsmarkt nicht zu decken ist – gibt es erste, vielversprechende Pro-jekte mit pädagogischen Assistenten, die eine ausgebil-dete pädagogische Kraft unterstützen – wie es auch in angelsächsischen Ländern üblich ist.

Ich wurde 1989 in Frankfurt am Main geboren. Mein Vater kam als afghanischer Kriegsflüchtling nach Deutschland. Bei seinem Studium in Indien lernte er mei-ne Mutter, eine indische Ärztin, kennen und beide gingen später zurück nach Deutschland. Zu Hause sprachen meine Eltern

Englisch mit mir. Mit vier Jahren kam ich in einen evange-lischen Kindergarten. Da ich das einzige Englisch spre-chende Kind war, lernte ich die deutsche Sprache sehr schnell.

Als ich fünf Jahre alt war, trennten sich meine Eltern und ich blieb bei meiner Mutter. Die nächsten Jahre waren schwierig, denn wir lebten von der Sozialhilfe, weil das Medizinstudium meiner Mutter in Deutschland nicht an-erkannt wurde. Erst am Ende meiner Grundschulzeit fand sie Arbeit als Krankenschwester. Trotz der schwierigen Le-

bensumstände wollte meine Mutter die bestmögliche Ausbildung für mich. Sie entschied sich gegen die lokale Grundschule unseres Stadtteils mit sehr hohem Auslän-deranteil und schickte mich auf eine weiter entfernte Schule, die an bis zu zwei Tagen in der Woche Ganztags-betreuung anbot. Ich konnte mich schnell integrieren und beherrschte ab der 3. Klasse Deutsch wie meine Mutter-sprache. Am Ende der 4. Klasse erhielt ich eine Empfeh-lung für das Gymnasium.

Das START-Stipendium der Hertie-Stiftung, das ich ab der 11. Klassenstufe erhielt, war ein entscheidender Wende-punkt in meinem Leben. Es geht an begabte und sozial engagierte Schüler mit Migrationshintergrund und gab mir die Chance, meine Persönlichkeit, meine Interessen und Talente weiterzuentwickeln – durch Seminare, aber auch durch interessante Praktika und die Unterstützung eines Mentors. Heute studiere ich mit einem Stipendium der Vodafone Stiftung Wirtschaftsrecht an einer privaten Hochschule, der EBS Schloss Reichartshausen.

Safar Sarif, 19 Jahre

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„In Frankreich hat man mit positiver Diskriminierung gute Erfahrungen gesammelt. So werden Stadtteile mit hohem Ausländeranteil bei der finanziellen und personellen Ausstattung von Bildungseinrichtungen bevorzugt. So gelingt es zumindest teilweise, Nachtei-le auszugleichen, die in der Struktur des Stadtviertels begründet sind.“

Prof. em. Dr. Klaus KlemmBildungsforscher, Universität Duisburg-Essen

Die Sprachförderung, die zu den wichtigsten Maßnah-men für Kinder mit Migrationshintergrund zählt, ist in deutschen Schulen erst in Ansätzen und mit von Bun-desland zu Bundesland unterschiedlichen Programmen etabliert. So stehen in der Grundschule ein bis zwei Stunden pro Woche für Fördermaßnahmen Deutsch zur Verfügung – ein Tropfen auf den heißen Stein für Kin-der, die mit geringen oder ohne Deutschkenntnisse in die Schule kommen und im regulären Deutschunterricht völlig überfordert sind. Anders sieht die Sprachförde-rung beispielsweise in Kanada aus: Dort erhalten Grund-schulkinder sechs Wochenstunden Unterricht in „Eng-

lish as second language“; mit dem Ergebnis, dass sie schnell in den regulären Unterricht eingegliedert wer-den können.

Die Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache für Kin-der erfordert andere Voraussetzungen als Deutschunter-richt für Muttersprachler oder Deutsch als Zweitsprache für Erwachsene. Bezeichnenderweise steckt die Lehrer-ausbildung für Deutsch als Zweitsprache noch in den Kinderschuhen. Erst seit dem Wintersemester 2007/08 ist an der Freien Universität Berlin Deutsch als Zweit-sprache (DaZ) Teil der Lehramtsausbildung; seit Sep-tember 2008 bietet die FU Berlin ein Weiterbildungsmo-dul „Sprachförderung/DaZ“ für Lehrer an. Mit beidem hat sie eine Vorreiterrolle in Deutschland. Damit hinkt Deutschland anderen europäischen Ländern hinterher. Beispiel Schweden: Dort wird Schwedisch als Zweitspra-che als eigenes Schulfach, mit eigenem Curriculum (pa-rallel zu Schwedisch) unterrichtet, das genauso zum Eintritt in die Universität berechtigt. Eine spezielle Qua-lifikation für Lehrer ist notwendig. Neumigranten wer-den in intensiven, sechs- bis zwölfmonatigen Kursen fit gemacht.

Ich wurde 1977 in Tel Aviv gebo-ren. Meine Familie war vor dem Holocaust nach Israel geflohen, in den 70er Jahren kehrten mein Großvater und später meine El-tern mit meiner Schwester und mir nach Europa zurück. Zu Hau-se wurde nur Hebräisch gespro-chen, deshalb kam ich mit zwölf

Jahren ohne Deutschkenntnisse nach Freiburg. Meine El-tern selbst haben nicht studiert, mein Vater ist Vertreter für Kosmetikprodukte, meine Mutter Krankenschwester. Trotzdem legten sie großen Wert auf Bildung und ent-schieden, dass wir Kinder auf ein deutsches Privatgymna-sium in Freiburg gehen sollten. Die Herausforderung war enorm: Ich musste auf die Schnelle zwei Sprachen lernen – Deutsch und Englisch als erste Fremdsprache. Wenn ich mir die deutschen Vokabeln eingeprägt hatte, ging ich die Wörterliste erneut durch und paukte dann die englischen Begriffe.

Das Gymnasium war ein Glücksfall, denn an einer staatli-chen Schule wäre ich wohl untergegangen: Engagierte

junge Lehrer haben dort kleine Klassen mit maximal 24 Schülern unterrichtet, in denen ich als Migrant die abso-lute Ausnahme war und individuell gefördert wurde. Auch das Notensystem hat meine Herkunft berücksichtigt, so dass ein Aufsatz, den ich mit Mühe und Not zusammen-geschustert hatte, gut benotet wurde. Als mein Vater uns verließ und nach Israel zurückging, konnte meine Mutter das Schulgeld nicht mehr aufbringen. Dem Engagement der Schulleiterin und des Fördervereins verdanke ich es, dass ich trotzdem auf dem Privatgymnasium bleiben und weiterhin von der positiven Lernatmosphäre profitieren konnte. Es waren auch meine Lehrer, die mich ermutigt haben zu studieren. Meine Mutter hat mein Studium von Anfang an unterstützt und mir während des Studiums von ihrem geringen Einkommen noch einen Mietzuschuss überwiesen.

Das Stipendium der Studienstiftung des deutschen Vol-kes hat mir sowohl finanziell als auch akademisch die Tü-ren geöffnet. Ich konnte die Sommerakademie der Stif-tung besuchen und absolvierte Sprachkurse. Heute arbeite ich als Unternehmensberater für die Boston Con-sulting Group in Berlin.

Dr. Tal Pery, 31 Jahre

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„Meine Forschung zeigt, dass viele Kinder mit Migra-tionshintergrund das Gymnasium frühzeitig verlassen müssen. Diese Schüler haben zwar das notwendige Potenzial, können aber von ihren Eltern nicht entspre-chend gefördert und begleitet werden. Deshalb benö-tigen wir gerade in Ballungsgebieten Ganztagsgymna-sien für Schüler aus bildungsfernen Elternhäusern.“

Prof. Dr. Wilfried Bos Universitätsprofessor für Bildungsforschung und Qualitäts-sicherung an der Technischen Universität Dortmund im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Soziologie, Direktor des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS), Dortmund, Mitglied im Expertengremium des Aktionsrats Bildung

An den Schulen der Sekundarstufe I und II – Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien – sind Ganztagsangebote,

Tutoren- oder Mentorensysteme ein Weg, um die Bega-bungen und Kompetenzen von Kindern zu fördern. Gro-ße Bedeutung kommt einem vermehrten Ganztagsange-bot an Gymnasien zu, da in dieser Bildungsstufe die Unterstützung der Eltern besonders wichtig und bei bil-dungsfernen Familien zugleich unmöglich ist. Bildungs-forscher wie Professor Wilfried Bos fordern daher rhyth-misierte Ganztagsgymnasien, die eine fehlende elterliche Unterstützung kompensieren können:

An den Haupt- und Realschulen, die vom weit überwie-genden Teil der Kinder mit Migrationshintergrund be-sucht werden, ist eine Entlastung erforderlich, um durch unterstützende Lehrkräfte und Sozialarbeiter auch er-zieherische Funktionen besser wahrnehmen zu können, die zum Teil von den Eltern nicht erbracht werden (kön-nen). Dies betrifft sowohl Angebote wie Frühstück, war-me Mahlzeiten, Gesundheitsvorsorge und Gewaltprä-

„Wer seine Kinder bei uns einschult, der sollte Vielfalt als Plus sehen und mittragen“, sagt K.-W. Jammers, Direktor der Helmholtzschule in Düsseldorf. Er hält nichts davon, gegenüber Eltern den Ausländeranteil seiner Schule her-unterzuspielen. „Wir geben dann lieber einen höheren Prozentsatz an.“ Die Helmholtzschule liegt zwischen dem Bahnhof und einem Düsseldorfer „Szeneviertel“ mit vie-len Altbauwohnungen – hier treffen also Kinder mit sehr unterschiedlichem Familienhintergrund aufeinander. Mit einem Ausländeranteil von 65 Prozent ist die Schule nicht automatisch die erste Wahl für Eltern – gerade aus ande-ren Stadtteilen. Trotzdem trifft K.-W. Jammers bei der Ein-schulung vermehrt auf Erstklässler, deren Eltern weite Schulwege auf sich nehmen. Das innovative Bildungskon-zept und der Umgang mit Vielfalt haben sie überzeugt und berufstätige Mütter und Väter schätzen besonders das Ganztagsbetreuungsangebot. Damit ist die Helm-holtzschule ein gutes Beispiel, wie vermeintliche Brenn-punktschulen durch überzeugende Konzepte die Zusam-mensetzung der Schülerschaft steuern und über ihr Einzugsgebiet hinaus attraktiv sein können.

Für Jammers sind die Ganztagsbetreuung und ein diffe-renzierter Unterricht die Schlüssel zum Erfolg von Kin-dern aus Migrantenfamilien. Das lässt sich an der Schul-statistik ablesen. Vergab die Schule 2006 noch überproportional viele Gymnasialempfehlungen an deut-sche Schüler, haben die Migranten mittlerweile aufgeholt. Beide Schülergruppen haben an der Helmholtzschule jetzt eine gleich große Chance, die begehrte Übertritts-

empfehlung für das Gymnasium erhalten. Wenn K.-W. Jammers von Ganztagsangeboten spricht, dann spricht er nicht von Betreuung, sondern von gezielter Förderung. An der Helmholtzschule gibt es nicht nur einen Lehrplan für die Unterrichtsstunden vor dem Mittagessen. Was in der Hausaufgaben-Einheit am Nachmittag abläuft, ist genau mit den Fachlehrern abgestimmt, die differenzierte För-dervorgaben und -aufgaben erarbeiten. „Ganztagsange-bote müssen Hand in Hand arbeiten. Leider ist dies noch nicht an allen Schulen Standard“, sagt K.-W. Jammers. „Es darf nicht vorkommen, dass die Hausaufgabenbetreuerin ahnungslos ist, was am Vormittag in Mathe oder Deutsch durchgenommen wurde.“ Neben der Förderung am Nach-mittag versuchen die Lehrer der Helmholtzschule, im nor-malen Unterricht individuell auf die Bedürfnisse der Schüler einzugehen. „Team-Teaching“, das heißt die Prä-senz von zwei Pädagogen im Klassenzimmer bzw. die Auf-teilung auf mehrere Lerngruppen, ist in der Hälfte der Unterrichtsstunden Standard. So sind auch Gruppenstär-ken von drei bis fünf Schülern denkbar, die gemeinsam mit einer Lehrkraft an Aufgaben arbeiten. „Wir können so schwächere, aber auch sehr begabte Schüler gezielter an-sprechen und fördern“, sagt K.-W. Jammers. „Das über-zeugt bildungsferne und bildungsaffine Eltern gleicher-maßen.“

Gemeinschaftsgrundschule an der Helmholtzstraße, Düsseldorf

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vention als auch die Kooperation mit Sozialbehörden, Jugendämtern und Unternehmen, die Lehrstellen und Ausbildungsplätze anbieten können. In Mentoren-, Tu-toren- und Einzelprojekten sind hier vor allem auch An-gebote von Wirtschafts- und Unternehmensseite ge-fragt, die in Partnerschaften mit Schulen Mittel zur Verfügung stellen und Perspektiven auch für Jugendli-che mit unterschiedlichen schulischen Qualifikationen eröffnen können.

Schließlich sollten in den späteren Jahren der schuli-schen und beginnenden Bildungslaufbahn (Sekundar-stufe II, „Duales System“) weitaus mehr Möglichkeiten eröffnet werden, nachträglich Qualifikationen auszu-bauen und Abschlüsse auf dem zweiten Bildungsweg zu erreichen. Einen der Wege, wie Bildungsqualifikationen verbessert und auf anderen Pfaden erworben werden können, zeigen die Erfolge beruflicher Gymnasien in Baden-Württemberg: Dort wird laut Professor Wilfried

Jens Großpietsch, Rektor der Heinrich-von-Stephan-Oberschule in Berlin, hat mehr Anmeldungen als Plätze. Das sagt viel über den Erfolg der integrier-ten Haupt- und Realschule im Berliner Problemkiez Moabit, die Ende der 80er Jahre als „Restschule“ kurz vor der Schließung stand. Die Attraktivität des Schulkonzepts hat sich herumgespro-chen und ermöglicht Großpietsch, die Zusammensetzung seiner Schüler-schaft zu steuern. Sein Ziel sind zu gleichen Teilen Haupt- und Realschüler, Mädchen und Jungen mit und ohne Mi-grationshintergrund. An der Struktur seines Stadtteils und den sozialen Problemen kann Großpietsch wenig än-dern und deshalb sind seine Kollegen nicht nur Lehrer, sondern oft auch Sozialarbeiter. Gerade eben hat eine Klassenlehrerin dafür gesorgt, dass eine Schülerin mit Verdacht auf Lungenentzündung endlich einen Arzt auf-suchen wird. „Lehrer, die eine Minute nach Schulschluss das Gebäude verlassen, sind hier falsch“, sagt Groß-pietsch, der für eine generelle Präsenzpflicht der Pädago-gen plädiert. „Wir müssen für die Schüler ansprechbar sein.“ So reagieren seine Kollegen auf schlechte Leistun-gen nicht nur mit schlechten Noten, sondern fragen nach: Und dann stellt sich heraus, dass die „Sechs“ in Mathe wenig mit dem Einmaleins und viel mit Hartz IV zu tun hat.

Wenn Großpietsch sein Schulprogramm schildert, dann ist das nur auf den ersten Blick eine Aneinanderreihung von Selbstverständlichkeiten: Respekt voreinander, Bitte und Danke, Unterricht, der ohne Schulgong pünktlich be-ginnt, null Toleranz für Handys, Mützen und Kaugummis. In einem Lebensumfeld, in dem Armut und Ausweglosig-keit dominieren, ist ein solcher Schulalltag nicht selbst-verständlich, sondern hart erkämpfte Normalität. Eine Normalität, in die die Eltern konsequent eingebunden werden. Jede Woche erreicht sie eine Nachricht: War der Schüler pünktlich? Wo gab es Lernfortschritte? Von den Eltern unterschrieben, geht die Information wieder an die

Schule zurück. Bleibt eine Reaktion des Elternhauses trotz mehrfacher Kontakt-versuche aus, bindet die Heinrich-von-Stephan-Oberschule das Jugendamt ein. Pro Klasse und Schuljahr sind ein bis zwei Elternhäuser so überfordert, dass die Behörden eingreifen müssen.

Erfolge erzielt die Schule durch eine konsequente Messung des Lernfort-schritts – und dieser wird im Klassen-

zimmer dokumentiert. Eine „Vier“ im Diktat mag keine Glanzleistung sein, aber Balkendiagramme zeigen, wenn der „Vierer“-Schüler statt einer zwei- jetzt zum ersten Mal eine einstellige Fehlerzahl erreicht. Aufmerksamkeit be-kommen so die Fortschritte und nicht die Defizite der Schüler. Statistiken und Kurven sind nicht das einzig Un-gewöhnliche im Klassenzimmer. Auch die Präsenz von zwei Lehrern in den Hauptfächern ist an der Heinrich-von-Stephan-Oberschule Alltag. So werden Haupt- und Realschüler in einem Klassenraum unterrichtet und ar-beiten entsprechend ihren Fähigkeiten an unterschiedli-chen Aufgaben. Im Mittelpunkt stehen die Grundfähigkei-ten, die im ersten Satz des Schulprogramms definiert werden: „Sich verständlich und differenziert auszudrü-cken, lesen, schreiben und rechnen zu können, sich de-mokratisch zu verhalten und eine realistische Arbeitsper-spektive zu entwickeln.“ Der gemeinsame Unterricht gibt begabten Schülern, die nur mit einer Hauptschulempfeh-lung gekommen sind, genug Zeit, ihre Lücken aufzuholen und dann mit einem Realschulabschluss abzuschließen.

Mit diesem Reformprogramm gelang der Schule ein „Turn around“, der mit vielen Schulpreisen belohnt wurde. Eine der Erfolgszahlen: Ein Drittel der Schulabgänger fin-det direkt Anschluss an den ersten Arbeitsmarkt. Ist das eher bescheiden? „Nein“, sagt Großpietsch, „wir sind sehr stolz, dass 95 Prozent unserer Jugendlichen in der einen oder anderen Form unterkommen. Das bestärkt uns dar-in, genau jene Grundfähigkeiten zu vermitteln, die in der Wirtschaft gefordert sind.“

Heinrich­von­Stephan­Oberschule, Berlin

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Bos mittlerweile jedes dritte Abitur an einem berufli-chen Gymnasium abgelegt, das gute Haupt- und Real-schüler nach ihrem Abschluss besuchen können.

In diesem Zusammenhang fällt Unternehmen der Wirt-schaft eine wichtige Rolle zu. Ein Teil der jungen Migranten in Deutschland ist schon zu alt, um von den schulischen Maßnahmen voll zu profitieren, ein anderer Teil wird auch weiterhin durch das Raster fallen. Neben einem besseren Angebot an Ausbildungsplätzen und Einstiegschancen – gerade für Jugendliche mit Migrati-onshintergrund – müssen vor allem auch Weiterbil-dungsangebote für Niedrig- und Mittelqualifizierte, die schon im Berufsleben stehen, ausgebaut werden. Die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung fällt umso ge-ringer aus, je niedriger die berufliche Qualifikation ist: Nur 7 Prozent aller Erwerbspersonen ohne Berufsausbil-dung nahmen 2003 an einer beruflichen Weiterbildung teil – im Gegensatz zu 39 Prozent aller Hochschulabsol-venten. Das heißt, die berufliche Weiterbildung erreicht nicht jene, die am meisten von ihr profitieren würden. Dabei kann eine nachträgliche Qualifizierung im Beruf Potenziale heben, die durch eine erfolglose Schulkarri-ere schon verschüttet schienen.

Über die verschiedenen Stufen des Bildungssystems hin-weg lässt sich beobachten, dass sich Veränderungen – von Angeboten, Inhalten, Methoden und Lehrformen – nur langsam etablieren. Das deutsche Bildungssystem hat erst in Ansätzen auf die Veränderungen der vergan-genen Jahrzehnte – eine heterogene Schülerschaft, hete-rogene Familienstrukturen, vielfältige Herkunfts- und Sprachbiografien – reagiert.

Viele Maßnahmen, die bessere Bildungschancen für benachteiligte Kinder eröffnen und den Anspruch erfül-len, allen in Deutschland lebenden Kindern eine ihren Begabungen entsprechende Ausbildung zu ermöglichen, sind bekannt. Sie werden an einzelnen Schulen von hoch engagierten Schulleitern, Lehrerinnen und Leh-rern, Sozialpädagogen, Erziehern und Eltern erfolgreich – im Rahmen des Möglichen – angewandt.

„In den Schulen, die mit dem Rücken zur Wand stehen, bewegt sich am meisten.“

Karin Babbe Rektorin Erika-Mann-Grundschule, Berlin-Wedding

Elementarstufe3 – 6 Jahre

Primarstufe6 – 10 Jahre

Sekundarstufe I10 – 15 Jahre

Sekundarstufe II Duales System

15 – 18 Jahre

Tertiäres SystemBerufl. Weiterb.

18+ Jahre

Erreichungsgrad bei Migrantenfamilien in niedriger sozialer Schicht steigern

Faire Übertrittsbedin-gungen auch für sozial schwache Kinder

◊ Stärkere Unterstützung der Lehrkräfte durch Spezialisten und Hilfslehrkräfte

◊ Weiterbildung zur Differenzierung des Unterrichtsstils

◊ Stärkere Rekrutierung von Lehrern mit Migrationshintergrund

Schulerfolg unabhängiger von elterlicher Unterstüt-zung und Bildungsehrgeiz machen

◊ Spracherwerb in Kitas mit hohem Migranten-anteil sichern

◊ Attraktivität der Einrichtungen steigern

◊ Verpflichtende Sprachstandserhebungen◊ Intensive, einheitliche, curriculumbasierte Sprachförderung in Form von Deutsch als Zweitsprache als gleichberechtigtes

Unterrichtsfach◊ Ausweitung und Professionalisierung der Lehrerausbildung für Deutsch als Zweitsprache

Schnellstmöglicher Spracherwerb bei maximalem Erreichungsgrad

◊ Entlastung von Brennpunktschulen

◊ Attraktivität steigern

Zweite Chance: Nachträgliche schulische Qualifikati-onsmöglichkeiten ausbauen

Faire Ausbildungschan-cen für Jugendliche mit Migrationshintergrund

Weiterbildungsangebote für niedrig ausgebildeteArbeitnehmer

Bildungs-beteiligung ermöglichen

Mit Heterogenitätarbeiten

EthnischeSegregationausgleichen

Spracherwerbsichern

2. Generation

1. Generation

Abbildung 31. Auf unterschiedlichen Handlungsebenen kann Chancengleichheit aktiv gefördert werden

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Standortfaktor Bildungsintegration 41

Vielerorts scheitern Initiativen und Maßnahmen, deren Wirksamkeit unstrittig ist, an den finanziellen Mitteln, die dafür seitens der Kostenträger – der Länder und Kom-munen sowie an nachgeordneter Stelle auch des Bundes – zu erbringen wären. Ob Ganztagsangebote, Mittages-sen, Personalschlüssel oder differenziertes Unterrichts-material: kaum eine Verbesserung ist ohne entsprechen-den Kostenaufwand umzusetzen. Mit „Einzelkämpfern“ und „Modellschulen“ allein wird jedoch die Zukunft nicht zu gewinnen sein. Entscheidende Verbesserungen sind erst zu erwarten, wenn aus Einzelfällen, vielen erfolgrei-chen Ansätzen und Vorbildschulen neue „deutsche Stan-dards“ gewonnen – und vor allem: in großer Zahl reali-siert – werden, die zeigen, dass Zuwanderung nicht ein vorübergehendes Phänomen (oder „Problem“) darstellt, sondern ein wesentliches, positives Merkmal der deut-schen Gesellschaft in einer globalen Welt.

„In Deutschland fehlen systematische Erkenntnisse darüber, welche Ansätze der Förderung besonders wirk-sam und nachhaltig sind. So wäre es im Bereich der Sprachförderung sinnvoll, gut kontrollierte Interventi-onsstudien durchzuführen, die belastbare Daten zur Wirksamkeit von verschiedenen Maßnahmen liefern. Derzeit wird viel ausprobiert, aber kaum etwas syste-matisch evaluiert, was es schwierig macht, wirksame Programme zu identifizieren und auf breiterer Ebene umzusetzen.“

Univ.-Prof. Petra Stanat, Ph.D.Empirische Bildungsforschung, Freie Universität Berlin, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BaMF), Mitglied im Deutschen PISA-Konsortium (PISA 2009)

Gute Bildung kostet Geld – schlechte Bildung kostet noch viel mehr

In welchem Zeitraum und in welchem Umfang es Deutschland gelingt, die zukünftige Generation der Be-rufseinsteiger in dem Maße zu qualifizieren, wie der Arbeitsmarkt es verlangt, hängt entscheidend von den dafür bereitgestellten finanziellen Mitteln ab.

Der Blick auf Zahlen und Investitionen im deutschen Bildungssystem liefert – gemessen an der Dauer und In-tensität der Bildungsdebatte, an der Dringlichkeit und

den erkannten Defiziten – ein eher ernüchterndes Bild. Zwar ist das Bildungsbudget in absoluten Zahlen gestie-gen (im Jahrzehnt von 1995 bis 2006 um 17 Milliarden von 126 auf 143 Milliarden Euro); vergleicht man diese Zahlen jedoch mit dem Wirtschaftswachstum, gemessen am BIP, so kehrt sich der Trend um: Betrug der Anteil der Bildungsausgaben (nach nationaler Abgrenzung) im Jahr 1995 noch 6,8 Prozent des BIP, so waren es 2006 nur mehr 6,2 Prozent. Anders formuliert: Würde Deutschland heute relativ zum BIP so viel Geld für

126

1995

143157

2006

- € 14 Mrd.

6,8 %6,2 %

6,8 %

xx

∆ OECD - € 16 Mrd.

in % des BIP

5,05,15,5

6,06,06,06,16,47,1

USA SWE CHE FRA DEU NDL

Ø 5,8OECD

BEL FIN AUT

Quelle: Bildung in Deutschland 2008 (Bildungsbericht); OECD, Education at a Glance; Statistisches Bundesamt1 Nationale Abgrenzung 2 Internationale Abgrenzung: nur Ausgaben Primar-, Sekundar- und Tertiärstufe

… gemessen am BIP über Zeit und international zwischen € 14 und 16 Mrd. Puffer

Bildungsausgaben1 p. a. in Mrd. €

Bildungsausgaben2 2005 in % des BIP

Abbildung 32. Die Bildungsausgaben in Deutschland halten nicht Schritt …

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42 The Boston Consulting Group

Bildung ausgeben wie 1995, stünden jährlich 14 Milliar-den Euro mehr zur Verfügung.

Auch der Vergleich mit anderen westlichen Industrie-nationen fällt für Deutschland wenig schmeichelhaft aus. Mit einem Anteil von 5,1 Prozent am BIP (nach internationaler Abgrenzung), die jährlich in Bildungs-investitionen f ließen, liegt Deutschland unter dem OECD-Durchschnitt von 5,8 Prozent sowie deutlich hin-ter anderen Ländern wie den USA (7,1 Prozent), Schwe-den (6,4) und der Schweiz (6,1).

Auch eine Aufschlüsselung der Bildungsausgaben nach ihrer Verteilung auf die einzelnen Stufen innerhalb des deutschen Bildungssystems zeigt ein problematisches Bild. Deutschland gibt überproportional viel im Sekun-darbereich II aus. Deutlich geringer – und weit unter OECD-Durchschnitt – fallen in Deutschland die Ausga-ben im Elementar- und Primarbereich aus – jenen Säu-len des Bildungssystems, in denen die Grundlagen für die individuelle Bildungslaufbahn vermittelt und ge-schaffen werden.

Damit wird in Deutschland gerade jener Bereich des gesamten Bildungswesens vernachlässigt, in dem am

ehesten die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Her-kunft aufgefangen werden können und der Weg für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn geebnet werden kann.

100 %€ 143 Mrd.

13 %

< 1 %6 %11 %

7 %12 %

5 %1 %22 %

14 %

8 %

1 %

Quelle: Statistisches Bundesamt, Budget für Bildung, Forschung und Wissenschaft; OECD, Education at a Glance; BCG-Analyse Anmerkung: Die prozentuale Aufteilung bezieht sich auf private und öffentliche Bildungsausgaben 2005 in internationaler und nationaler Abgrenzung 1 Ausgaben der Unternehmen für betriebliche Weiterbildung, ohne die Zuschüsse der Bundesagentur für Arbeit

Krippen Elemen-tarbereich

Primar-stufe

Sekundar-stufe

Jugend-arbeit

Betriebl. Ausbildung im dualen

System1

Tertiär-bereichF & E

Berufl. Bildungs-

gänge

Tertiär-bereichLehre

Betriebl.Weiter-bildung1

Lehrer-fort-

bildung

Sonstige Bildungs-ausgaben

gesamt

Der größte Anteil fließt in die Sekundarstufe

% der Gesamtausgaben 2006

Abbildung 33. Die Bildungsausgaben betragen in Deutschland ca. € 140 Mrd.

„Deutschland investiert in Bildung – aber an der fal-schen Stelle. Während erfolgreiche Länder ihre Bil-dungsausgaben besonders in die unteren Klassenstu-fen lenken, ist es in Deutschland genau umgekehrt: Geringe Investitionen in Kindergarten und Grundstufe, dagegen ist der Hochschulsektor vergleichsweise gut ausgestattet. Wir wissen aber, dass Investitionen gera-de in jungen Jahren viel verändern können. Mit quali-fizierten Pädagogen und gut ausgestatteten Bildungs-einrichtungen legen wir die Grundlage für den späteren Schulerfolg dieser Kinder und Jugendlichen.“

Prof. Dr. Wilfried Bos Universitätsprofessor für Bildungsforschung und Qualitäts-sicherung an der Technischen Universität Dortmund im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Soziologie, Direktor des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS), Dortmund, Mitglied im Expertengremium des Aktionsrats Bildung

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Standortfaktor Bildungsintegration 43

Der Graben zwischen (erkannten) Defiziten und ihrer (konkreten) Bewältigung im Sinne einer besseren Bil-dungsbeteiligung von Kindern mit Migrationshinter-grund oder einer Herkunft aus bildungsferneren Famili-en ist derzeit besonders tief. Dabei sind für alle Ebenen des Bildungssystems eine ganze Reihe von Maßnahmen bekannt, deren Wirksamkeit vielversprechend ist (dar-unter Sprachförderstunden, Ganztagsangebote, zusätz-liche Personalstellen für Schulen mit hohem Migranten-anteil und Weiterqualif izierungsmaßnahmen für Jugendliche mit niedrigen Schulabschlüssen). Unbestrit-ten ist, dass diejenigen Maßnahmen die größte Hebel-wirkung entfalten, die möglichst früh in der Kindheit ansetzen. Zugleich wird die demografische Lücke bereits in wenigen Jahren – ab 2015, spätestens 2020 – ihre pro-blematische Wirkung für den Arbeitsmarkt entfalten. Die Berufseinsteiger dieser Jahre sind heute bereits Teenager. Das heißt, für einen Teil der Schüler wird die verbesserte Frühförderung nicht mehr greifen. Investiti-onen in nachträgliche Höherqualifizierung oder berufli-che Weiterbildung sind daher ebenso zwingend erfor-derlich wie frühzeitig in der Bildungslaufbahn wirksame Maßnahmen.

Gemessen an den derzeitigen Ausgaben für solche Maß-nahmen ist Deutschland noch weit davon entfernt, seine

Talente ausreichend zu fördern und ihnen Bildungs-chancen unabhängig von ihrer Herkunftsgeschichte zu gewähren: Rund 0,7 Milliarden Euro werden derzeit jährlich für Maßnahmen ausgegeben, die Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund fördern – das ist ein Siebtel dessen, was mindestens nötig, und sogar nur ein Fünfzehntel dessen, was ideal wäre – zugunsten ei-ner Bildungszukunft, die der heterogenen Zusammen-setzung der nachwachsenden Generationen in Deutsch-land entspricht.

Eine Hochrechnung für die erforderlichen Investitionen in bessere Bildungschancen, die von den Kosten für Maßnahmenpakete auf unterschiedlichen Stufen des Bildungssystems ausgeht, ergibt einen jährlichen Inves-titionsbedarf von 5 Milliarden Euro, die notwendig wä-ren, um einen Mindestanspruch an gezielter Förderung umzusetzen, und eine Summe von 11 Milliarden Euro, die eine optimale Förderung ermöglichen würde.

Die Milliardenausgaben für ein Schließen der „Bildungs-schere“ in Deutschland wirken im Verhältnis zu den der-zeit investierten Summen geradezu tollkühn und uto-pisch. Im Vergleich mit den Kosten, die eine Beibehaltung der gegenwärtigen Verteilung von Bildungschancen nach sich ziehen würde, verkehrt sich dieses Bild aber

5.0145.365

5.5575.9926.266

7.532

9.156

USA SWE NDL AUS FIN FRA DEU

ØOECD6.252

6.200

7.8817.9308.091

8.1668.875

9.899

USA FIN NDL SWE AUS FRA DEU

ØOECD7.437 6.441

7.225

8.292

9.223

10.969

USA

10.331

FRA

10.2821

DEU AUS SWE NDL FIN

ØOECD8.366

7.7727.5827.673

8.281

21.588

8.719

NDLAUSUSA

10.199

SWE FINFRA

ØOECD8.102

DEU

Quelle: OECD, Education at a Glance 20081 Getrieben durch hohe Kosten des dualen Systems: Sekundar II allgemein: USD 6.300, Sekundar II beruflich: USD 13.000 2 Ohne Forschung und Entwicklung

Primar

USD p. a. pro Schüler 2005

Sekundar I Sekundar II Tertiär2

Abbildung 34. Insbesondere in den wichtigen frühen Jahren investiert Deutschland deutlich zu wenig in Bildung

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44 The Boston Consulting Group

ins Gegenteil: Heute gezielt in die Förderung von Kin-dern mit Migrationshintergrund zu investieren kostet im Basisszenario lediglich ein Fünftel dessen, was sich bei einem Anstieg des Bildungsniveaus als finanzielles „Plus“ ergeben würde – durch Einsparungen bei Trans-ferleistungen für Arbeitslose sowie eine höhere Wert-schöpfung. Unsere Szenarienrechnung zeigt, dass sich die Investitionen für ein optimales Förderungspaket doppelt auszahlen würden. Auch im historischen Ver-gleich (gemessen am BIP-Anteil der Bildungsausgaben Mitte der 90er Jahre) sowie im internationalen Maßstab (Steigerung der Bildungsinvestitionen auf das Niveau des OECD-Durchschnitts) relativieren sich die Kosten erheblich – in beiden Perspektiven bleiben die Maßnah-menpakete unterhalb der Vergleichswerte.

Gute Bildung und bessere Bildungschancen sind zweifel-los nicht mit Geld allein zu bewirken. Eine genügende Anzahl motivierter, qualifizierter und angemessen ho-norierter Lehrkräfte und Erzieher sowie eine entspre-chende Infrastruktur bilden aber den erforderlichen

Rahmen, um Bildungschancen und Bildungsqualität in Deutschland zu verbessern. Es gibt bereits heute viele vorbildliche Modelleinrichtungen, die Erfolge erzielen – dies jedoch vor allem dank eines weit überdurch-schnittlichen Engagements, pädagogisch-organisatori-scher Kreativität und Unterstützung von Seiten der El-tern oder privater Sponsoren.

Maßnahmen, die speziell auf Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund abzielen – die in absehbarer Zeit rund 40 Prozent der Berufsanfänger stellen werden –, sind in ihrer Wirkung keineswegs auf diese Gruppe beschränkt. Im Gegenteil: Wie länderübergreifende Stu-dien zu Bildungserfolg und Herkunft zeigen, gehen bes-sere Leistungen eines Bildungssystems mit einer stärke-ren Entkoppelung von Herkunft und Bildungserfolg einher. Eine stärkere Differenzierung innerhalb des Un-terrichts, die sich an den individuellen Stärken, Schwä-chen und Lernvoraussetzungen orientiert, kommt ein-heimischen Schülern ebenso zugute wie Schülern mit Migrationsgeschichte. Je mehr es gelingt, Kinder unab-

Kinder-garten-plätze

Szenario optimales Angebot Szenario Basisanforderungen Ist-Zustand

Sprach-vorkurse

Unterrichts-begleitendeSprachför-

derung

Ganztags-angebote

Zusätzl.Lehrer-stellen

Sozial-arbeiter

ZweiteChance

Berufl. Weiter-bildung

Fortbildung für

Lehrer

11,4

0

12

3

6

9

Mrd. € p. a.

5,1

0,7

Quelle: Bildung in Deutschland 2006, 2008; Statistisches Bundesamt; OECD; Bildungsbericht 2008; Schulstatistik 2006/07; Auskünfte der Kultusministerien der Länder; BMBF; BCG-Analyse

Abbildung 35. Für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund werden € 0,7 Mrd. investiert – ideal wären € 11,4 Mrd.

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Standortfaktor Bildungsintegration 45

Verpflichtende Teilnahme an Vorkursen für Neuankömmlinge (Teilnehmerquote von 100 %)Erhöhung der Lehrer-WS3

Quelle: Bildung in Deutschland 2006, 2008; Statistisches Bundesamt; OECD; Bildungsbericht 2008; Schulstatistik 2006/07; Auskünfte der Kultusministerien der Länder; BMBF; BCG-AnalyseAnmerkung: Basis der Berechnung sind Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund unter 25 Jahren im Jahr 2006/071 Annahme: Alle Neuankömmlinge haben Sprachschwierigkeiten und kommen somit für Fördermaßnahmen in Frage 2 Vorschulkinder: 2 h, Primarstufen-Vorkurse: 15 h, Sekundarstufe 1: 20 h, Azubis: 2 h 3 Vorschulkinder, Primarstufen-Vorkurse: 15 h, Sekundarstufe I, II, Azubis: 20 h; 1 Lehrer-WS kostet € 32; 10 % Kostenaufschlag für Administration etc. 4 Basis der Berechnung: Kinder, die zu Hause ihre Herkunftssprache sprechen5 Schulen können mehr Lehrerstunden anfordern, es gibt aber keinen automatischen Schlüssel 6 Annahme: Schüler mit Migrationshintergrund zählen bei der Lehrerstellenzuweisung doppelt7 Annahme: 1 weiterer Sozialarbeiter auf 100 Schüler 8 Annahme: 1 weiterer Sozialarbeiter für 200 Schüler bei Schulen mit Migrantenanteil von 25 – 50 %9 Ohne HS → HS, HS → RS, RS → GY 10 Hochrechnung anhand der Bildungsausgaben pro Kopf und Jahr: HS (€ 5.600), RS (€ 4.500), GY (€ 5.400) 11 Ausgaben der Unternehmen, ohne Zuschüsse der Bundesagentur für Arbeit

Ist-Zustand Szenario Basisanforderungen Szenario optimales Angebot

€ 0 € 0,9 Mrd. € 1,0 Mrd.

Kindergarten-plätze

Kindergarten kostenpflichtig Kostenlose Kita-Plätze für Kinder mit Migrationshintergrund bei Steigerung der Besuchsquote von 80 % auf 90 %

Kostenlose Kita-Plätze für Kinder mit Migrationshintergrund bei Erhöhung der Besuchsquote auf 100 %

< € 10 Mio. < € 0,1 Mrd. € 0,3 Mrd.

Sprachvorkurse für Neuankömmlinge1 (Kursdauer: ø 1 Jahr;8 Teilnehmer/Kurs)

Nur 5 % der Neuankömmlinge nutzen das vorhandene Angebot bei teils geringer Anzahl an Lehrer-WS2

Erhöhung der Teilnehmerquote auf 50 % bei gegebener Anzahl an Lehrer-WS

Erhöhung der Teilnehmerquote auf 80 % in allen Bereichen Erhöhung der Lehrer-WS: EB, PB auf 10 und Sek. I auf 5

Sprachförderstunden4 (8 Teilnehmer/Kurs)

Z. T. geringe Teilnehmerquoten (EB: 27 %, PB: 65 %, Sek. I: 12 %)Geringe Anzahl an Lehrer- WS (EB: 7; PB + Sek. I: 1,5)

Erhöhung der Teilnehmerquote auf 80 % im PB, auf 50 % in EB und Sek. I bei gegebener Anzahl an Lehrer-WS

€ 0,2 Mrd. € 0,5 Mrd. € 1,8 Mrd.

Erhöhung der Teilnehmerquote auf 75 %2h/Tag/Gruppe Betreuung durch Lehrkraft (zusätzlich zu Erzieher)

Ganztagsangebote an Gymnasien, Grund- und Hauptschulen

Ganztagsangebote an 30 % der GS, 28 % der HS und 30 % der Gymnasien Teilnehmerquoten um 50 % bei Ganztagsangebot

Ganztagsangebote an 40 % der GS, HS und Gymnasien 1 h/Tag/Gruppe Betreuung durch Lehrkraft (zusätzlich zu Erzieher)

€ 0,4 Mrd. € 0,9 Mrd. € 1,7 Mrd.

Zusätzliches Betreuungspersonal/ Lehrerstellen für Kindergärten und Schulen mit einem Migrantenanteil von über 25 %6

Zusätzliches Betreuungspersonal/Lehrerstellen

Schüler mit Migrationshintergrund werden bei der Lehrerstellenzuweisung nicht gesondert berücksichtigt5

Zusätzliches Betreuungspersonal/ Lehrerstellen für Kindergärten und Schulen mit einem Migrantenanteil von über 50 %6

€ 0 € 2,1 Mrd. € 5,3 Mrd.

Höherqualifizierung von 20 % der Schulabgänger mit Migrations-hintergrund10

Zweite Chance – Höherqualifizierung von Jugendlichen mit niedrigen Abschlüssen

Keine spezielle Förderung von Jugendlichen mit Migrations-hintergrund9

Höherqualifizierung von 10 % der Schulabgänger mit Migrations-hintergrund10

€ 0 € 0,2 Mrd. € 0,4 Mrd.

Erhöhung der Teilnahmequote auf 50 %Betriebliche Weiterbil-dung für junge Erwerbstätige mit Migrationshintergrund

Geringe Teilnehmerquote an WeiterbildungsangebotenOhne Berufsabschluss: 7 %Mit Lehre/Berufsfachschule: 18 %

Erhöhung der Teilnahmequote auf 35 %

€ 0,1 Mrd.11 € 0,3 Mrd. € 0,4 Mrd.

Erhöhung auf drei TageFortbildungsmaß-nahmen für Lehrer an Grund-, Haupt-, Gesamt- und Realschulen

Keine speziellen Fortbildungsmaß-nahmen zum Umgang mit Heterogenität

2-Tages-Seminar für ein Viertel der Lehrer pro Jahr

€ 0 < € 0,1 Mrd. € 0,1 Mrd.

Sozialarbeiterstellen für Schulen mit einem Migrantenanteil von > 25 %8

Sozialarbeiter Keine spezielle Zuweisung von Sozialarbeiterstellen für Schulen mit hohem Migrantenanteil

Sozialarbeiterstellen für Schulen mit einem Migrantenanteil von > 50 %7

€ 0 € 0,2 Mrd. € 0,4 Mrd.

Maßnahmenpakete

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46 The Boston Consulting Group

hängig von ihrer Herkunft zu fördern, desto besser ist die Gesamtleistung des Bildungssystems mit Blick auf eine umfassende Qualifizierung der Bevölkerung.

Gerade das „Wirtschaftswunderland“ Deutschland muss stärkere Anstrengungen unternehmen, um wich-tige Talente – unabhängig von ihrer Herkunft – zu ent-decken und zu fördern. Eine bessere Qualifizierung

von Kindern mit Migrationshintergrund wird nicht der einzige Weg sein, um die absehbaren, aus demografi-schen wie technisch-ökonomischen Ursachen resultie-renden Ungleichgewichte des künftigen Arbeitsmarktes zu beheben. Eine bessere Bildungsintegration ist je-doch eine entscheidende Voraussetzung zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland und seiner Zu-kunftsfähigkeit.

27

1816

14

11

5

... im Vergleich zur Wertschaffung p. a., wenn die Bildung

herkunftsunab-hängig wäre2

... wenn ZielBildungsgipfel

für 2015 schon er-reicht wäre1

... wenn sie auf demNiveau des OECD-

Durchschnitts wären

... wenn sie auf dem Niveau von 1995 geblieben wären

Maßnahmenpaketoptimales Angebot

MaßnahmenpaketBasisanforderungen

Mrd. € Mrd. €

Quelle: Bildungsbericht; OECD; Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Institut zur Zukunft der Arbeit; Presse; BCG-Analyse 1 Bildungsausgaben sollen bis 2015 auf 7 % des BIP steigen; Basis 20062 Unter Berücksichtigung Bedarf Arbeitsmarkt und unter Annahme Ausbildungsniveau aller Jugendlichen wie Jugendliche ohne Migrationshintergrund

Kosten der Maßnahmenpakete p. a. … … im Vergleich zu zusätzlichen Bildungsausgaben p. a. …

Abbildung 39. Die Kosten der Maßnahmenpakete sind gering im Vergleich zur erwarteten Wertschaffung

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Standortfaktor Bildungsintegration 47

Die Attraktivität, Leistungs- und Wettbe-werbsfähigkeit des Hochlohnlandes Deutschland ist eng verknüpft mit der Verfügbarkeit von vielen und sehr gut qualifizierten Arbeitskräften. Sie sind es,

die auf der Grundlage sozialer Stabilität den Wohlstand in Deutschland begründet haben – und auch in Zukunft erhalten und schaffen werden. Wenn das Bildungssys-tem einer wachsenden Gruppe junger Migranten nicht genügend Einstiegs- und Aufstiegsmöglichkeiten bietet, löst Deutschland das Versprechen der sozialen Markt-wirtschaft auf „Wohlstand für alle“ nicht mehr ein. Die mangelhafte Bildungsintegration gefährdet aber auch in einem größeren Kontext den „Wohlstand für alle“, weil sie – bereits heute – die ökonomischen Grundlagen ge-fährdet und damit die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland in Frage stellt.

Bildung schafft die Voraussetzungen für eine berufliche Qualifikation und Integration und hat damit unmittel-bare Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt. Der Anspruch, sich als innovatives Hochlohnland im globalen Wettbewerb zu positionieren und erfolgreich zu behaupten, ist nicht vereinbar mit einer Arbeits-marktsituation, in der zu wenig hochqualifizierte Men-schen einer wachsenden Zahl Geringqualifizierter ge-genüberstehen. Diese erste Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit gilt es in den nächsten Jahren zu schlie-ßen.

Wenn man das deutsche Schulsystem daran misst, in-wieweit es die individuellen Talente und Fähigkeiten von Kindern unabhängig von deren familiärer Herkunft fördert, dann fällt die Bildungsbilanz negativ aus. In der deutschen Bildungslandschaft haben es Kinder und Ju-gendliche mit Migrationshintergrund sehr schwer. Ihnen

stehen nur wenige Jahre zur Verfügung, um jene Grund-fähigkeiten zu erwerben, die ihre spätere Bildungs- und Berufslaufbahn begründen können. In dieser kurzen Zeit gelingt es Kindern nur in seltenen Ausnahmefällen, die unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen ihrer kulturellen, sprachlichen und familiären Herkunft zu kompensieren. Ohne gezielte Unterstützung und Förde-rung verwehrt das deutsche Schulsystem ihnen die Chance, in dem Land, in das ihre Großeltern, Eltern oder sie selbst eingewandert sind, ihre Begabungen zu nutzen, um ihren Platz in der Gesellschaft, ihre ökono-mische und individuelle Zukunft optimal zu gestalten.

Während Themen wie die Verkürzung der Gymnasial-zeit die Bildungsdiskussion bestimmen, wird die Bil-dungssituation von Migranten eher als „soziales Rand-problem“ betrachtet. Die Diskrepanz zwischen einem (vergleichsweise) geringen Problembewusstsein und ei-nem realen Handlungsdruck führt zu einer zweiten Lü-cke. Der Gruppe von Kindern und Jugendlichen mit ge-ringem Schulerfolg, Migrationshintergrund und problematischen Familiensituationen, die als „Bildungs-verlierer“ bezeichnet werden, stehen nur vordergründig „Bildungsgewinner“ gegenüber. In einem Land, das Vielfalt nicht als Chance begreift und nutzt, wachsen die Verluste: an brachliegenden Talenten, an Zuversicht, an Leistungsbeiträgen. Diese Verluste werden in Zukunft noch weit höher ausfallen – und zwar für alle.

Wie die Finanzkrise 2008 gezeigt hat, ist die Fähigkeit zu raschem, entschlossenem Handeln und Investitionen vorhanden. Der Anspruch (und Appell), bessere Bil-dungschancen zu schaffen und mit hoher Priorität Re-formen umzusetzen, richtet sich daher keineswegs nur an die „zuständigen“ Bildungspolitiker in Bund und Ländern. Es bedarf ebenso erheblicher Anstrengungen

Fazit: Drei Lücken, die es zu schließen gilt

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von Unternehmensseite, um schulische, berufliche und betriebliche Anforderungen in Zukunft besser aufeinan-der abzustimmen, in Ausbildung und Einstellungspro-zessen die Vielfalt von Lebenswegen anzuerkennen und Verantwortung für die Bildungssituation der so raren Nachwuchskräfte zu übernehmen.

Beim Thema Klimawandel herrscht mittlerweile Kon-sens, dass die Kosten des Nichthandelns deutlich höher ausfallen würden als Investitionen in umweltfreundli-che Technologien und CO2-Reduktionen. Diese Erkennt-nis muss sich beim Blick auf die Bildungsschere in Deutschland noch durchsetzen: Die Aufwendungen, die notwendig wären, um im deutschen Bildungssystem Verbesserungen zu erzielen, liegen weit unter den Kos-ten, die eine Fortschreibung des Status quo verursachen würde – sowohl in Hinsicht auf den Arbeitsmarkt als auch die gesellschaftliche Stabilität. Wie die Folgen der Klimaveränderung absehbar sind, ist auch der demogra-fische Wandel bereits vorgezeichnet – die Kinder, die die geburtenstarken Jahrgänge auf dem Arbeitsmarkt erset-zen werden, sind heute schon geboren. Die demografi-sche Lücke lässt sich nur durch weitere Zuwanderer ver-ringern. Diese Generation so gut wie möglich auszubilden bleibt damit der entscheidende Hebel, um die Folgen der Entwicklung zu bewältigen.

Wenn es gelingt, diese beiden Lücken zu schließen – zwischen den Anforderungen künftiger Arbeitsmärkte und der Leistungsfähigkeit des deutschen Bildungssys-tems sowie zwischen Erkenntnis und entschlossenem Handeln –, schließt sich auch die dritte Lücke: die zwi-

schen Auftrag und Alltag im deutschen Bildungssystem. An Vorschlägen, an Praxiserfahrungen (aus Deutsch-land und anderen Ländern), an Ideen und Initiativen mangelt es nicht. Es fehlt, jedenfalls bislang, an der Be-reitschaft, die Chancengerechtigkeit und Leistungsfähig-keit des deutschen Bildungssystems mit der nötigen Dringlichkeit, Geschwindigkeit, Kraft und politischen Priorisierung (und vor allem: der Bereitstellung entspre-chender finanzieller und personeller Mittel) entschieden voranzutreiben.

Junge Menschen, die in Deutschland leben, müssen – unabhängig von ihrer Herkunfts- und Familiensi-tuation – die Chance bekommen, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen und ihren Platz im Beruf

und im Leben zu finden. Gesellschaft und Volkswirt-schaft sind auf die Kreativität und das Engagement aller zukünftigen Berufseinsteiger angewiesen. Sie können auf niemanden verzichten, der auf den Arbeitsmärkten der Zukunft nicht bestehen kann, weil ihm die erforder-lichen Bildungs- und Berufsqualifikationen fehlen. Ohne geeignete Arbeitskräfte schwindet die Attraktivität des Standorts Deutschland, insbesondere für Zukunftsindus-trien, während die Probleme für die Gesellschaft durch ein nicht vermittelbares Angebot Geringqualifizierter wachsen. Es liegt daher im Interesse aller, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland die Chance erhalten, ihre Talente und Begabungen zu entwickeln und einen wirtschaftlichen und gesellschaft-lichen Beitrag zu leisten.

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Danksagung

Wir danken den Schulen, Wissen-schaftlern und Einzelpersonen, die uns bei der Erstellung der Studie unterstützt haben.

Wissenschaftler Verschiedene Bildungsforscher haben sich die Zeit genommen, unsere Thesen zu prüfen und uns Einblick in ihre Reformvorstellungen zu geben: Prof. Dr. Wilfried Bos, Universitätsprofessor für Bildungs-forschung und Qualitätssicherung der Technischen Universität Dort-mund; Prof. em. Dr. Klaus Klemm, Bildungsforscher der Universität Duisburg-Essen, und Univ.-Prof. Petra Stanat, Ph.D., Freie Universität Berlin.

SchulenViele Schulen leisten unter den aktuellen schwierigen Rahmenbe-dingungen bewundernswerte Arbeit. Wir danken Karin Babbe, Rektorin der Erika-Mann-Schule Berlin; Jens Großpietsch, Rektor der Heinrich-von-Stephan-Oberschule Berlin; und K.-W. Jammers, Direktor der Helm-holtzschule in Düsseldorf, für die Möglichkeit, Einblick in das Schul-konzept zu bekommen.Die Fotos der Schulen stammen von: www.erika-mann-grundschule.com, www.hvstephan.de, www.ggs-helmholtz.de

Stipendiaten der Vodafone und der Robert Bosch StiftungVier namhafte deutsche Stiftungen haben es sich zum Ziel gesetzt, Ausbildung und Studium von jungen Zuwanderern zu fördern: die Robert Bosch Stiftung „Talent im Land“ (http://www.bosch-stiftung.de/content/language1/html/1016.asp), die Hertie-Stiftung mit START-Sti-pendien (http://www.start-stiftung.de), die Vodafone Stiftung (www.vodafone-chancen.de) und die Fulbright-Kommission (www.fulbright.de/diversity.html).

Über den Stipendiatenkreis konnten wir Kontakt zu jungen Migrantinnen und Migranten herstellen, die mit ihren Leistungen und ihrem Engage-ment Vorbild sind – für Schüler mit und ohne Migrationshintergrund. Sie haben uns für diese Studie Einblick in ihren Bildungsweg gegeben. Wir danken Helmuth Haas, Shinta Harsana, Gülsah Keles, Roman Kirsch, Dr. Tal Pery und Safar Sarif für ihre Offenheit und wünschen ihnen weiterhin viel Erfolg.

Besonderer Dank geht anStaatssekretär a. D. Dr. Elmar Schulz-Vanheyden und Dr. Kerstin Zwernemann, die uns bei der Studienerstellung beraten haben, Anne Aufhaus und Dr. Saskia de Groot für die Unterstützung bei Analysen und Interviews und Karin Beiküfner, die für das Thema die richtigen Worte fand.

Engagement von BCG: JoblingeJeder zweite Hauptschüler hat auch zwölf Monate nach Verlassen der Schule keinen Arbeitsplatz gefunden. Betroffen sind überproportional viele Migranten. Das Projekt „Joblin-ge“, initiiert von BCG sowie der Eberhard von Kuenheim Stiftung der BMW AG, bietet innovative Lösun-gen für das Problem Jugendarbeitslo-sigkeit. Gemeinsam mit zahlreichen Partnern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und gemeinnützigen Organisationen bringt die Initiative bundesweit Bewegung in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt.

„Joblinge“ setzt bei jedem einzelnen Jugendlichen, seinen Stärken und Schwächen an. Die Betroffenen werden von ehrenamtlichen Mento-ren betreut, individuell qualifiziert und in die Praxis vermittelt. In den Unternehmen können sie ihre Motivation und ihr Können jenseits von Schulnoten unter Beweis stellen, während die Partnerfirmen gleich-zeitig tatkräftige Unterstützung erhalten – eine Win-win-Situation für beide Seiten. Ziel ist es, den Jugendlichen nach dem Praxiseinsatz Perspektiven zu eröffnen, die einen Anschluss in Ausbildung oder Arbeit bieten. www.joblinge.de

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Eine vollständige Liste von BCG-Publikationen und Hinweise zur Anforderung von Broschüren finden Sie auf unserer Internetseitewww.bcg.com/publications

Um BCG-Publikationen in elektronischer Form zu erhalten, finden Sie nähere Hinweise zur Bestellung auf unserer Internetseitewww.bcg.com/subscribe

06/2009

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