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GoingPublic 6/11 82 Standpunkt Gerade das Erstellen des Ausblicks (Guidance) stellt viele Unternehmen beim Verfassen der Quartalsberichte vor die größte Herausforderung. Die Finanzabteilung ist bemüht, einen möglichst moderaten Ausblick zu geben, um auf der sicheren Seite zu sein. Die IR-Verantwortlichen hingegen wollen das Unternehmen deutlich bullisher präsentieren, um nicht verhaltener zu wirken als die Kon- kurrenz. Nicht selten mündet dies in einem Kompromiss, nach dem Motto: „Das Unternehmen erwartet einen Umsatz in der Größenordnung des Vorjahres mit einer Schwankungsbreite von +/- 20%.“ Es bedarf jedoch keiner großen Investmenterfahrung um zu erkennen, dass ein solcher Ausblick wohl kaum Exper- tise erfordert. Dabei stellt gerade der Ausblick ein aus- gezeichnetes IR-Tool dar, um dem Finanzmarkt zu signa- lisieren, wie gut man Betrieb und Marktumfeld kennt. In diesem Zusammenhang ist das englische Wort Guidance besonders treffend, da „to guide“ (lenken/steuern) den Sinn und Zweck der Sektion verdeutlicht. Nämlich, das Unternehmen gemeinsam mit den Stakeholdern sicher und unaufgeregt in eine unbekannte, aber einschätzbare Zukunft zu steuern. Niemand erwartet in einem extrem volatilen Marktumfeld ernst zu nehmende Vorhersagen für die nächsten 12 oder gar 24 Monate. Daher setzen sich gerade solche Unterneh- men wohltuend von der Kaffeesatz lesenden Konkurrenz ab, die erläutern, warum die Visibilität für seriöse Progno- sen derzeit nicht ausreicht. Eine Guidance sollte nur so weit reichen, wie die Visibilität es zulässt – im Zweifelsfall nur bis zum Folgequartal. Des Weiteren sollte der geplante Ausblick eng mit der Finanzabteilung abgesprochen werden. Die Werthaltigkeit vergangener Ausblicke sollte ebenfalls überprüft und Abweichungen gegenüber den ursprünglichen Planungen offen gelegt werden. Natürlich ist auch dann noch keine Punktlandung ge- währleistet. Ein möglichst nachvollziehbares und immer wiederkehrendes Vokabularium kann hier Abhilfe schaf- fen. Anhand der vergangenen zehn Prognosen sollte eine Liste des bis dato eingesetzten „Annäherungsvokabu- lariums“ erstellt werden. An dieser Stelle kommt das Maß an Kreativität beim Verfassen der Quartalsberichte zum Vorschein: Von „bis zu“, „um die“, „ca.“, „im Bereich von“, „knapp unter“ bis hin zu „etwa“ wird alles Mögliche vertreten sein. Als Test dient der Vergleich des Ausblicks mit den später tatsächlich gemeldeten Zahlen. Das „Annäherungsvokabularium“ sollte nun auf ein paar Begriffe reduziert und in Zusammenhang gebracht wer- den mit prozentuellen Abweichungen. Gemeint ist eine Art internes Wörterbuch mit Einträgen wie: Annäherungsbegriff Deutsch Englisch Beispielhafte zulässige maximale Bandbreite im Bereich von around +/- 5% bis zu up to - 10% deutlich über/unter clearly exceeding/under +/- 7% knapp über/unter just over/under +/- 3% Ob die geeigneten Wörterbucheinträge mit den passen- den Prozentbereichen gefunden wurden, kann leicht überprüft werden. Man nehme einfach eine historische Meldung und formuliere sie mit dem neuen Vokabular um. Wenn es für die vergangenen Ausblicke gut gepasst hätte, wird es auch für zukünftige Guidances anwendbar sein. Finanzmarktteilnehmer sind erstaunlich lernfähig. Sie werden ihr neues Vokabularium schnell zu interpre- tieren wissen. Mit derart offenen und klaren Ansagen können Unternehmen ihre Glaubwürdigkeit langfristig erhalten und so das Vertrauen gegenüber dem Kapital- markt deutlich stärken. Standpunkt Wie Sie mit dem Ausblick Investoren Einblicke gewähren Von Michael Diegelmann, Vorstand, und Stefan Bulfon, Consultant, cometis AG Michael Diegelmann Stefan Bulfon

Standpunkt: Wie Sie mit dem Ausblick Investoren Einblick gewähren

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cometis AG ist eine Beratung und Agentur für die Bereiche: Finanzkommunikation, Investor Relations, Unternehmenskommunikation (Corporate Communications), M&A Beratung, IPO Kommunikation, Public Relations und Medientraining.

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Standpunkt

Gerade das Erstellen des Ausblicks (Guidance) stellt

viele Unternehmen beim Verfassen der Quartalsberichte

vor die größte Herausforderung. Die Finanzabteilung ist

bemüht, einen möglichst moderaten Ausblick zu geben,

um auf der sicheren Seite zu sein. Die IR-Verantwortlichen

hingegen wollen das Unternehmen deutlich bullisher

präsentieren, um nicht verhaltener zu wirken als die Kon-

kurrenz. Nicht selten mündet dies in einem Kompromiss,

nach dem Motto: „Das Unternehmen erwartet einen

Umsatz in der Größenordnung des Vorjahres mit einer

Schwankungsbreite von +/- 20%.“

Es bedarf jedoch keiner großen Investmenterfahrung um

zu erkennen, dass ein solcher Ausblick wohl kaum Exper-

tise erfordert. Dabei stellt gerade der Ausblick ein aus -

gezeichnetes IR-Tool dar, um dem Finanzmarkt zu signa -

lisieren, wie gut man Betrieb und Marktumfeld kennt. In

diesem Zusammenhang ist das englische Wort Guidance

besonders treffend, da „to guide“ (lenken/steuern) den

Sinn und Zweck der Sektion verdeutlicht. Nämlich, das

Unternehmen gemeinsam mit den Stakeholdern sicher

und unaufgeregt in eine unbekannte, aber einschätzbare

Zukunft zu steuern.

Niemand erwartet in einem extrem volatilen Marktumfeld

ernst zu nehmende Vorhersagen für die nächsten 12 oder

gar 24 Monate. Daher setzen sich gerade solche Unterneh-

men wohltuend von der Kaffeesatz lesenden Konkurrenz

ab, die erläutern, warum die Visibilität für seriöse Progno-

sen derzeit nicht ausreicht. Eine Guidance sollte nur so

weit reichen, wie die Visibilität es zulässt – im Zweifelsfall

nur bis zum Folgequartal. Des Weiteren sollte der geplante

Ausblick eng mit der Finanzabteilung abgesprochen

werden. Die Werthaltigkeit vergangener Ausblicke sollte

ebenfalls überprüft und Abweichungen gegenüber den

ursprünglichen Planungen offen gelegt werden.

Natürlich ist auch dann noch keine Punktlandung ge-

währleistet. Ein möglichst nachvollziehbares und immer

wiederkehrendes Vokabularium kann hier Abhilfe schaf-

fen. Anhand der vergangenen zehn Prognosen sollte eine

Liste des bis dato eingesetzten „Annäherungsvokabu -

lariums“ erstellt werden. An dieser Stelle kommt das

Maß an Kreativität beim Verfassen der Quartalsberichte

zum Vorschein: Von „bis zu“, „um die“, „ca.“, „im Bereich

von“, „knapp unter“ bis hin zu „etwa“ wird alles Mögliche

vertreten sein. Als Test dient der Vergleich des Ausblicks

mit den später tatsächlich gemeldeten Zahlen.

Das „Annäherungsvokabularium“ sollte nun auf ein paar

Begriffe reduziert und in Zusammenhang gebracht wer-

den mit prozentuellen Abweichungen. Gemeint ist eine

Art internes Wörterbuch mit Einträgen wie:

Annäherungsbegriff

Deutsch Englisch Beispielhafte zulässige

maximale Bandbreite

im Bereich von around +/- 5%

bis zu up to - 10%

deutlich über/unter clearly exceeding/under +/- 7%

knapp über/unter just over/under +/- 3%

Ob die geeigneten Wörterbucheinträge mit den passen-

den Prozentbereichen gefunden wurden, kann leicht

überprüft werden. Man nehme einfach eine historische

Meldung und formuliere sie mit dem neuen Vokabular

um. Wenn es für die vergangenen Ausblicke gut gepasst

hätte, wird es auch für zukünftige Guidances anwendbar

sein. Finanzmarktteilnehmer sind erstaunlich lernfähig.

Sie werden ihr neues Vokabularium schnell zu interpre-

tieren wissen. Mit derart offenen und klaren Ansagen

können Unternehmen ihre Glaubwürdigkeit langfristig

erhalten und so das Vertrauen gegenüber dem Kapital-

markt deutlich stärken.

Standpunkt

Wie Sie mit dem Ausblick Investoren Einblicke gewähren

Von Michael Diegelmann, Vorstand, und Stefan Bulfon, Consultant, cometis AG

Michael Diegelmann Stefan Bulfon