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Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

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Das Abenteuer außergewöhnlicherBewusstseinserfahrungen.Begegnungen mit Göttern und Dämonen, Kontakt zum Jenseits, außerkörperlicheErfahrungen, verblüffende Erlebnisse mit Synchronizität, Hellsehen.

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Klappentext:

Sich vollkommen eins fühlen mit anderen, der Natur, dem ganzen Universum und sogar mit materiellen Dingen, Begegnungen mit Göttern und Dämonen, Kontakt zum Jenseits, außerkör­perliche Erfahrungen, verblüffende Erlebnisse mit Synchronizität, Hellsehen, Erinnerungen an frühere Leben und vieles mehr: Die Wissenschaft beäugt das alles ziemlich skeptisch.Doch Stanislav Grof, der international anerkannte Experte, Forscher und Mitbegründer der Transper­sonalen Psychologie, ist da ganz anderer Meinung und belegt, dass Erlebnisse dieser Art eine reale und konkrete Kraft entfalten.

In diesem Buch nimmt er uns mit in aufregende Gewässer. Wir tauchen ein in das Abenteuer außergewöhnlicher Bewusstseinserfahrungen, nach deren Lektüre wir uns fragen werden: »Aus welchem Stoff sind wir denn nun eigentlich gemacht?« In zahlreichen Geschichten berichtet Grof von Menschen, die solche ungewöhnlichen Erlebnisse hatten und wie sich ihr Leben dadurch positiv veränderte. Er erzählt auch von eigenen Erfahrungen, die ihm einen kurzen Einblick in kosmisches Bewusstsein gewährten, von LSD- Experimenten und außergewöhnlichen Zuständen beim Holotropen Atmen oder spontan mitten im Alltag. Diese ihn prägenden Ereignisse haben seine persönliche und wissenschaftliche Weltan­schauung nachhaltig verändert und machen ihn zu einem unkonventionellen Denker und Kenner anderer Dimensionen.

Impossible - Wenn Unglaubliches passiert kann für jeden, der auf der Suche ist, wichtige Antworten auf bisher ungelöste Fragen geben. Das Buch bietet die wunderbare Chance, über das gewöhnliche Bewusstsein hinauszureisen, und eröffnet eine neue Sicht auf die Reichweite menschlicher Existenz. Alles ist möglich!

Stanislav GrofDr. med., Dr. phil., ist Psychiater

mit mehr als 50-jähriger

Erfahrung auf dem Forschungs­

gebiet außergewöhnlicher

Bewusstseinszustände und gilt

international als der maßgebli­

che Experte für Transpersonale

Psychologie. Seine Forschungen

über die klinische Anwendung

von LSD und anderen psychedelischen Substanzen

begannen am Psychiatrischen Forschungsinstitut in

Prag und wurden nach der Übersiedelung in die USA

(1967) am Maryland Psychiatric Research Center, an der

Henry Phipps Clinic der Johns-Hopkins-Universität,

Baltimore sowie am Esalen-Institut in Kalifornien fort­

gesetzt. Mit seiner Frau Christina Grof entwickelte er

darüber hinaus das »Holotrope Atmen«, in dem eben­

falls die Erfahrung außergewöhnlicher Bewusstseins­

zustände möglich wird.

Stanislav Grof ist Gründer und Präsident der

International Transpersonal Association (ITA), die

Konferenzen in den USA, in Südamerika, Europa, Indien

und Australien veranstaltet; außerdem Professor für

Psychologie am California Institute of Integral Studies

(CIIS), San Francisco sowie an der Pacifica Craduate

School, Santa Barbara. Er hält weltweit Vorträge, leitet

Seminare für Holotropes Atmen und Transpersonale

Psychologie. Seine zahlreichen populärwissenschaftli­

chen Bücher und profunden Fachartikel wurden in

viele Sprachen übersetzt.

Er lebt in Mill Valley/ Kalifornien.

www.holotropic.com

Weitere Informationen zu diesem Buch und unserem

gesamten lieferbaren Programm finden Sie unter

www.koesel.de

Kösel-Verlag München

Page 3: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Stanislav Grof

impossible - Wenn Unglaubliches passiert

Das Abenteuer außergewöhnlicher Bewusstseinserfahrungen

Aus dem Amerikanischen von

Karin Petersen, Berlin

Scan & OCR von Shiva2012

Kösel

Page 4: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

»When The Impossible Happens. Adventures in Non-Ordinary

Realities«. Sounds True, Inc., Boulder

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100

Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifizierte Papier

EOS liefert Salzer, St. Pölten.

Copyright © 2006 by Stanislav Grof

Copyright © für die deutsche Ausgabe 2008 Kösel-Verlag,

München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlag: 2005 Werbung, München

Umschlagmotiv: Chris Johns / Getty Images

Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

ISBN 978-3-466-34516-8

www.koesel.de

Page 5: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Für Christina - meine Frau, Geliebte, beste Freundin,

Mitarbeiterin und Mitsuchende -, mit der ich viele der

Abenteuer in außergewöhnlichen Realitäten, die ich in

diesem Buch beschreibe, gemeinsam erlebte, und die

sah, wie das Unglaubliche geschah.

Page 6: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert
Page 7: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

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Inhalt

Vorwort

Prolog

Die Entdeckung kosmischen Bewusstseins:

Meine erste LSD-Sitzung

Teil 1

Das Mysterium der Synchronizität: Im Zwielicht

des Uhrwerk-Universums

Die Macht der Tierwelt: Eine Gottesanbeterin

in Manhattan

Die sterbende Königin: Wenn Voraussagen

im Traum sich hei Tag erfüllen

Die Regenbogenbrücke der Götter: lm Reich

der nordischen Sagen

Das Spiel des Bewusstseins: Swami Muktananda

und Siddha Yoga

Der Guru im Lehen seiner Anhängerinnen und

Anhänger: Ist der Siddha Yogi ein kosmischer

Marionettenspieler?

Der Tanz des weißen Schwans: Mit dem Geisterkanu

der Salish in die Unterwelt reisen

Die Entstehung des Films Brainstorm:

Unser Hollywood-Abenteuer

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8 Inhalt

Der Lauf des Wassers: Begegnungen mit

Präsident Vaclav Havel

Der Segen der Götter: Don Jose und die

Regenzeremonie der Huichol

Fine Lektion in Verzeihen: Peyote-Zeremonie

mit Potawatomi-Indianern

Teil 2

Geburt und pränatales Leben erinnern: »Nach uns

ziehend Wolkenglanz und Glorienschein«

Eine schwierige Entbindung in der Mittagspause:

Lenis Geschichte

Der Geruch von frischem Leder: Kurts Geschichte

Der Anblick der alten Eiche: Anne-Maries Geschichte

Pränataler Besuch des Jahrmarkts im Dorf:

Richards Geschichte

Das Spermarennen gewinnen: Erfahrungen mit

der zellulären Ebene des Bewusstseins

Teil 3

Wiederholungsbesuche in der Geschichte: Die

Reichweite des menschlichen Gedächtnisses

Ein Erlebnis aus dem russisch-finnischen Krieg:

Ingas Geschichte

Das kleine Mädchen mit der weißen Schürze:

Nadjas Geschichte

Erinnerungen der geraubten Generationen

zurückbringen: Mariannes Geschichte

Erinnerung an das Erlebnis eines Vorfahren oder

Erfahrung aus einem eigenen früheren Leben?

Renatas Geschichte

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Inhalt

Teil 4

Haben wir schon einmal gelebt? Reinkarnation

und die Akasha-Chronik

Die Belagerung von Dun an Oir: Karls Geschichte

Das karmische Dreiecksverhältnis: Eine Zeitreise

in das alte Ägypten

In den Katakomben der Pecherskaya Lavra: Ein

früheres Leben im zaristischen Russland

Wenn spirituelle Erfahrungen gefährlich werden: Wie-

derholungsbesuch bei der Hexenverfolgung in Salem

Teil 5

Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits:

Die Welt des Paranormalen erforschen

Ohne Augen sehen (Innere Sicht): Teds Geschichte

Botschaften aus dem Astralreich: Richards Geschichte

Ein Beweis für die Existenz des Jenseits? Walters Geschichte

Rosenschnitt in Tante Annes Garten: Kurts Geschichte

Luiz Gasparetto: Maler und Gemälde aus dem Jenseits

Eine Party für Exu: Interview mit den Orixäs

Das Tabu unserer eigenen Hellsichtigkeit:

Sitzungen mit Anne Armstrong

Ameisen der Großen Muttergöttin: Ein Besuch in Palenque

Uluru und Alcheringa: Ein Abenteuer in der Traumzeit

Versuchungen eines nicht lokalen Universums: Ein

fehIgeschlagenes Experiment mit astraler Projektion

Kanal sein für den Avatar: Meine Mutter, Sai Baba und

das Holotrope Atmen

Wenn alles eins ist, gibt es kein Problem: Meisterstücke

des koreanischen Schwertkünstlers

Ein seltsames Vermächtnis der alten Mayas:

Das Mysterium des KristalIschädels

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Page 10: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

10 Inhalt

Materie und Bewusstsein: Ketamin und die

Wiederverzauberung der Welt

Auf dem Inka-Pfad: Das Geheimnis der Trepanation

entdecken

Teil 6

Unorthodoxe Psychiatrie: Überraschende Alternativen

zu traditionellen Behandlungsmethoden

Der Schmerz, der drei Jahrhunderte überlebte:

Norberts Geschichte

Die Schweinegöttin von Malekula: Ottos Geschichte

Interview mit dem Teufel: Floras Geschichte

Den Archetyp der Daphne verkörpern: Marthas Geschichte

Heilung von Depressionen durch ein sephardisches Gebet:

Gladys’ Geschichte

Fruchtbare psychiatrische Ketzerei: Miladas Geschichte

Magisches Sandspiel: Ein Kätzchen als Therapeut

Teil 7

Transpersonale Psychologie und Mainstream-

Wissenschaft

Wenn Wissenschaft zu Pseudo-Wissenschaft wird:

Carl Sagan und seine von Dämonen verfolgte Welt

Die Morgenlandfahrt: LSD für die (ehemalige) Sowjetunion

Psyche und Kosmos: Was die Planeten uns über

Bewusstsein verraten können

Epilog

Dank

Bibliographie

Kontakt zum Autor

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Vorwort

or fast einem halben Jahrhundert veränderte eine tiefgreifende

Erfahrung, die nur wenige Zeitstunden dauerte, mein persön­

liches und berufliches Leben nachhaltig. Nur ein paar Monate nach

meinem Abschluss an der medizinischen Hochschule meldete ich

mich als junger Assistenzarzt in der Psychiatrie freiwillig für ein

Experiment mit LSD, einer Substanz mit bemerkenswerten psy-

choaktiven Eigenschaften, die der Schweizer Chemiker Albert Hof­

mann in den pharmazeutischen Labors der Firma Sandoz in Basel

entdeckt hatte.

Diese Sitzung, in der ich vor allem während der Kulminations­

phase eine überwältigende und unbeschreibliche Erfahrung mit

kosmischem Bewusstsein machte, weckte in mir ein intensives,

lebenslanges Interesse an außergewöhnlichen Bewusstseinszustän­

den. Seit der Zeit bestehen die meisten meiner klinischen Projekte

und Forschungsunternehmen in der systematischen Untersuchung

des therapeutischen, transformativen und evolutionären Potenzials

dieser Zustände. Die fünfzig Jahre, in denen ich Bewusstseinsfor­

schung betrieben habe, waren für mich ein höchst bemerkens­

wertes Abenteuer der Entdeckung und Selbstentdeckung.

Etwa die Hälfte dieser Zeit widmete ich der therapeutischen

Arbeit mit psychedelischen Substanzen, zunächst in der Tschecho­

slowakei am Psychiatrischen Forschungsinstitut in Prag und dann am

Maryland Psychiatric Research Center in Baltimore, USA, wo ich am

letzten psychedelischen Forschungsprogramm mitwirkte, das in

V

Page 12: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

12 Vorwort

Amerika damals noch existierte. Seit 1975 arbeiten meine Frau

Christina und ich mit dem Holotropen Atmen, einer tiefgreifenden

Methode für therapeutische Zwecke und für die Selbsterforschung,

die wir am Esalen-Institut in Big Sur, Kalifornien, gemeinsam entwi-

ckelt haben. Im Laufe der Jahre haben wir auch viele Menschen

unterstützt, bei denen außergewöhnliche Bewusstseinszustände

spontan auftraten - in psychospirituellen oder »spirituellen Kri-

sen«, wie Christina und ich das nennen.

Der gemeinsame Nenner der Erlebnisse mit psychedelischen

Substanzen besteht darin, dass sie außergewöhnliche Bewusstseins-

zustände enthalten oder, genauer gesagt, eine wichtige Unterkate-

gorie dieser Zustände, die ich »holotrop« nenne. Dieses zusam-

mengesetzte Wort bedeutet wörtlich »ausgerichtet auf Ganzheit«

oder »sich in Richtung Ganzheit bewegen« (vom gr. holos, ganz,

und trepein, sich auf etwas zu oder in Richtung von etwas bewe-

gen). Dieser Begriff verweist darauf, dass wir uns in unserem alltäg-

lichen Bewusstseinszustand nur mit einem kleinen Ausschnitt des-

sen identifizieren, wer wir wirklich sind. Am besten erklären lässt

sich der Begriff holotrop vor dem Hintergrund der hinduistischen

Unterscheidung zwischen Namarupa (Name und Gestalt, die wir in

unserer alltäglichen Existenz annehmen) und Atman-Brahman (un-

sere tiefste Identität, die vergleichbar ist mit dem kosmischen

schöpferischen Prinzip). In holotropen Bewusstseinszuständen

können wir die engen Grenzen unseres Körper-Ichs transzendieren

und unsere vollständige Identität zurückgewinnen. Wir machen

die Erfahrung, dass wir uns mit allem, was Teil der Schöpfung ist,

identifizieren können, sogar mit dem schöpferischen Prinzip selbst.

Holotrope Erfahrungen spielen eine wichtige Rolle bei scha-

manistischen Initiationskrisen, bei den Heilungszeremonien der

Eingeborenenkulturen, den Übergangsriten der australischen Ur-

einwohner und systematischen spirituellen Schulungswegen wie

verschiedenen Formen von Yoga, buddhistischer oder taoistischer

Meditation, Sufi Dhikrs (intensive Anbetung Allahs, Anm.d.Ü.),

Page 13: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Vorwort 13

kabbalistischen Übungen oder dem christlichen Jesusgebet (Hesy-

chasm). Beschreibungen dieser Erfahrungen finden wir auch in der

Literatur über die uralten Mysterien von Tod und Wiedergeburt,

die im Mittelmeerraum und in anderen Teilen der Welt praktiziert

wurden, im Namen von Inanna und Tammuz, Isis und Osiris, Dio-

nysos, Attis, Adonis, Mithra, Wotan und vielen anderen Gottheiten.

Im Alltagsleben kann es in Nahtodsituationen zu holotropen

Erfahrungen kommen oder auch spontan, ohne jeden offensicht-

lichen Anlass. Sie können auch ausgelöst werden durch tiefgrei-

fende Formen der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ent-

wickelten erlebnisorientierten Therapien.

In der psychedelischen Therapie werden holotrope Zustände

durch Verabreichung bewusstseinsverändernder Substanzen wie

LSD, Psilocybin, Meskalin und Typtamin- oder Amphetamin-Deri-

vate herbeigeführt. Beim Holotropen Atmen verändert sich das Be-

wusstsein durch eine Kombination von schnellerer Atmung, evo-

kativer Musik (z.B. intensives Trommeln, Chorgesang, kraftvolle

Orchestermusik, Anm.d.Ü.) und Körperarbeit, die energetische

Blockaden löst. In spirituellen Krisen kommt es spontan zu holo-

tropen Zuständen, mitten im Alltag, und die Ursache dafür ist

meistens nicht bekannt. Wenn wir holotrope Zustände richtig ver-

stehen und unterstützen, haben sie ein äußerst heilsames, transfor-

matives und sogar evolutionäres Potenzial.

Parallel zu diesen Forschungen habe ich mich mit vielen Diszi-

plinen beschäftigt, die mehr oder weniger direkt mit holotropen

Bewusstseinszuständen zusammenhängen. Ich habe viel Zeit damit

verbracht, mich mit Anthropologen auszutauschen, und an den

heiligen Zeremonien von Eingeborenenkulturen in vielen Teilen

der Welt mit und ohne Einnahme von psychedelischen Pflanzen

wie Peyote, Ayahuasca und magischen Pilzen teilgenommen. Da-

mit verbunden waren Kontakte mit zahlreichen nordamerika-

nischen, mexikanischen, südamerikanischen und afrikanischen

Schamanen und Heilern. Ich hatte auch intensive Begegnungen

Page 14: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

14 Vorwort

mit Vertreterinnen und Vertretern vieler spiritueIIer Disziplinen,

darunter Vipassana, Zen, Vajrayana Buddhismus, Siddha Yoga,

Tantra und der christliche Benediktinerorden.

Ein weiteres Gebiet, dem ich viel Aufmerksamkeit widmete,

war die Thanatologie und die noch junge Disziplin der Erforschung

von Nahtoderfahrungen sowie der psychologischen und spiritu-

ellen Aspekte von Tod und Sterben. Ende der 1960er- und zu

Beginn der 1970er-Jahre nahm ich an einem umfassenden For-

schungsprojekt teil, bei dem wir die Auswirkungen der psychede-

lischen Therapie auf Menschen untersuchten, die an Krebs im

Endstadium litten. Ich sollte hier auch erwähnen, dass ich das Pri-

vileg hatte, einige der größten Hellsichtigen und Parapsychologen

unserer Zeit, Pioniere der Bewusstseinsforschung im Labor, per-

sönlich kennenzulernen und bei ihrer Arbeit zu erleben sowie The-

rapeutinnen und Therapeuten, die tiefgreifende Formen von er-

lebnisorientierter Therapie entwickelt haben, welche holotrope

Bewusstseinszustände auslösen.

Meine erste Begegnung mit holotropen Zuständen war sehr schwie-

rig und sowohl intellektuell als auch emotional eine große Heraus-

forderung. In den ersten Jahren meiner Laboruntersuchungen und

klinischen Forschungen mit Psychedelika prasselten täglich Erfah-

rungen und Beobachtungen auf mich ein, auf die mich meine

medizinische und psychiatrische Ausbildung nicht vorbereitet hat-

te. Tatsächlich erlebte und sah ich hier Dinge, die im Kontext der

wissenschaftlichen Weltanschauung, mit der ich aufwuchs, als

unmöglich galten und die es eigentlich gar nicht geben sollte. Und

trotzdem erlebte ich diese scheinbar unmöglichen Dinge ständig.

Nachdem ich die anfängliche Erschütterung meines Denkens,

meine Ungläubigkeit in Bezug auf meine Beobachtungen und die

Zweifel an meinem Geisteszustand erst einmal überwunden hatte,

wurde mir allmählich klar, dass das Problem nicht in meiner Be-

obachtungsfähigkeit oder meinem kritischen Urteil lag, sondern

Page 15: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Vorwort 15

im engen Denken der zeitgenössischen psychologischen und psy-

chiatrischen Theorien und des monistischen, materialistischen

Paradigmas der westlichen Wissenschaft. Natürlich war mein Weg

zu dieser Erkenntnis nicht leicht, denn ich hatte mit der Ehrfurcht

und dem Respekt zu kämpfen, die ich als Medizinstudent und An-

fänger auf dem Gebiet der Psychiatrie dem akademischen Estab-

lishment, wissenschaftlichen Autoritäten und beeindruckenden

Referenzen und Titeln entgegenbrachte.

Mein anfänglicher Verdacht, dass die akademischen Theorien

über das menschliche Bewusstsein und die menschliche Psyche

völlig unzureichend waren, verwandelte sich allmählich in Gewiss-

heit, unterstützt und bestätigt durch Tausende von klinischen Be-

obachtungen. Schließlich kam ich an einen Punkt, wo ich keinerlei

Zweifel mehr daran hatte, dass die Daten aus der Forschung über

holotrope Zustände eine kritische gedankliche Herausforderung

für das wissenschaftliche Paradigma darstellen, das in Psychologie,

Psychiatrie und Psychotherapie im Augenblick vorherrschend ist,

und brachte diese Meinung in einer Reihe von Fachbüchern zum

Ausdruck. Ich gelangte zu dem Schluss, dass das Denken in diesen

Disziplinen eine radikale Revision erforderte, von Inhalt und Reich-

weite der begrifflichen Umwälzung vergleichbar, der sich die new-

tonschen Physiker in den ersten dreißig Jahren des 20. Jahrhun-

derts stellen mussten.

Die Beobachtungen, welche die Weltanschauung in Frage stell-

ten, die mir von meinen Hochschullehrern und meiner Kultur ver-

mittelt worden war, gingen auf viele verschiedene Gebiete und

Quellen zurück. Die meisten dieser Informationen beruhten auf

den außergewöhnlichen Erfahrungen, von denen meine Klien-

tinnen und Klienten in der psychedelischen Therapie, die Teilneh-

merinnen und Teilnehmer an unseren Workshops und Trainings

für Holotropes Atmen sowie Menschen in spirituellen Krisen

berichteten. Ein entscheidender Faktor bei der Transformation

meiner Sicht der Welt waren die holotropen Erfahrungen verschie­

Page 16: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

16 Vorwort

denster Art, die ich selbst erlebte, sowie die Erlebnisse, von denen

mir meine Frau Christina berichtete.

Das Beweismaterial, das diese grundlegende Veränderung mei-

ner Weltanschauung bewirkte, beruhte jedoch nicht nur unmittel-

bar auf besonderen Bewusstseinszuständen. Im Laufe der Jahre ge-

schahen auch in unserem Alltagsleben viele ungewöhnliche Dinge,

die zu dieser Transformation beigetragen haben. Dazu gehörten be-

merkenswerte Begegnungen und Erlebnisse mit Schamanen aus

unterschiedlichen Kulturen, bekannten spirituellen Lehrern und

Hellsichtigen sowie viele erstaunliche Zusammentreffen und Syn-

chronizitäten. Der gemeinsame Nenner all dieser Ereignisse war

die Tatsache, dass sie gar nicht hätten passieren dürfen, wenn das

Universum so beschaffen wäre, wie die traditionelle Wissenschaft

es darstellt - als streng deterministisches, materielles System, das

regiert wird von Ketten von Ursachen und Wirkungen. Vor diesem

Hintergrund entstand der Titel dieses Buches.

Impossible - Wenn Unglaubliches passiert. Das Abenteuer außerge-

wöhnlicher Bewusstseinserfahrungen ist eine Sammlung von Ge-

schichten über viele verschiedene Ereignisse in meinem beruflichen

und persönlichen Leben, die mich zwangen, meine skeptische und

materialistische wissenschaftliche Weltanschauung aufzugeben

und mir die östlichen spirituellen Philosophien und die mystischen

Lehren der Welt zu eigen zu machen. Durch all diese Erfahrungen

bekam ich auch großen Respekt vor dem rituellen und spirituellen

Leben und den Heilungstraditionen der Eingeborenenkulturen,

welche die westliche Wissenschaft als primitiven Aberglauben ab-

tut. Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass die Lebenserfahrungen,

die diese Geschichten beschreiben, über die Lektüre nicht ihre

ganze reale und konkrete Kraft entfalten können. Dennoch hoffe

ich, dass sie den Leserinnen und Lesern einen Geschmack von der

Wiederverzauberung des Universums vermitteln, die sie in meinem

eigenen Leben bewirkt haben.

Page 17: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Vorwort 17

Teil 1 des Buches besteht aus Geschichten über das Phänomen, das

C.G. Jung als Synchronizität beschrieb - das höchst unwahrschein-

liche Zusammentreffen von Ereignissen, die durch das Prinzip der

linearen Kausalität, das den Grundpfeiler westlichen wissenschaft-

lichen Denkens darstellt, nicht erklärbar sind. Indem Synchronizi-

täten uns zeigen, dass die materielle Welt mit der menschlichen

Psyche in einen spielerischen Austausch treten kann, erschüttern

sie allein dadurch, dass sie existieren, die Grundlagen des newto-

nisch-kartesianischen Paradigmas und der monistischen materia-

listischen Weltanschauung. Sie zerstören die von westlichen aka-

demischen Kreisen vertretenen grundlegenden metaphysischen

Annahmen, dass Bewusstsein und Materie zwei getrennte Bereiche

sind, dass Materie das Primäre und Bewusstsein ihre bloße Begleit-

erscheinung ist und die Ereignisse in der Welt ausschließlich von

Ketten von Ursachen und Wirkungen gesteuert werden.

Teil 2, 3 und 4 des Buches enthalten Geschichten, die das augen-

blicklich vorherrschende wissenschaftliche Bild von der Natur und

von der Reichweite des menschlichen Gedächtnisses in Frage stel-

len. Mainstream-Psychiater und -Neurophysiologen gehen davon

aus, dass das Gehirn des Neugeborenen noch nicht weit genug ent-

wickelt ist, um die Erinnerungen an die stundenlangen, anstren-

genden und schmerzlichen Erfahrungen zu verzeichnen, die es bei

seiner biologischen Geburt macht. Die Arbeit mit holotropen Be-

wusstseinszuständen zeigt jedoch immer wieder eindeutig, dass

jede und jeder von uns in der unbewussten Psyche nicht nur die

Erinnerungen an die eigene Entbindung und das damit verbun-

dene Trauma mit sich herumträgt, sondern auch Erinnerungen an

das pränatale Leben und die frühe Existenz als Embryo, an die ei-

gene Empfängnis und das Leben ihrer oder seiner menschlichen

und tierischen Vorfahren.

Es scheint nicht sehr plausibel zu sein, dass unsere gesamte

biologische Geschichte in einem Molekül - der DNA - gespeichert

Page 18: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

18 Vorwort

werden kann, und diese Aufzeichnungen unter bestimmten Um-

ständen in lebendige Erfahrungen umgesetzt werden können. Die

oben genannten Erinnerungen jedoch - an die Zeit als Embryo,

Vorfahren, Rasse und Phylogenese (Entstehung der Lebewesen in

der Vielfalt ihrer Arten im Laufe der Erdgeschichte, Anm.d.Ü.) -

finden zumindest unter Bedingungen statt, die ein materielles Sub-

strat, das diese Informationen befördern kann, vorstellbar machen.

Viele Erfahrungen in holotropen Zuständen stellen jedoch für das

begriffliche Denken ein noch viel größeres Problem dar, weil sie

auf Erinnerungen verweisen, für die keinerlei wie auch immer ge-

artetes materielles Substrat existiert.

Hierzu gehören zum Beispiel erlebnisbedingte Ausschnitte aus

der menschlichen Geschichte, die in den Archiven des kollektiven

Unbewussten gespeichert sind, wie C.G. Jung es verstand, sowie

Erinnerungen an vergangene Leben und die erlebnisbedingte Iden-

tifizierung mit Mitgliedern anderer Spezies. All diese Erfahrungen

reichen eindeutig weiter als die Erlebnisstränge, die Vorfahren,

Rasse und Biologie betreffen, und ein physisches Medium, das sie

verzeichnet, ist nicht vorstellbar. Sie lagern offensichtlich in Be-

reichen, die der Wissenschaft im Augenblick noch unbekannt sind,

oder sind in das Bewusstseinsfeld selbst eingebettet.

Teil 5 des Buches besteht aus Geschichten über Phänomene, die

das traditionelle Forschungsmaterial der Parapsychologen sind -

Telepathie und Hellsichtigkeit, Psychometrie, Erlebnisse mit As-

tralreichen, Kommunikation mit nicht inkarnierten Wesen und

Geistführern, Begegnungen mit archetypischen Gestalten, Chan-

neling; Phänomene, die das Einwirken von geistigen Kräften auf

Materie zeigen (Siddhis), und außerkörperliche Erfahrungen, bei

denen das körperlose Bewusstsein seine unmittelbare Umgebung

oder entfernte Gegenden präzise wahrnimmt. Das unvoreingenom-

mene Studium dieser ungewöhnlichen Erfahrungen und Ereignisse

legt die Schlussfolgerung nahe, dass die materialistische Wissen­

Page 19: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Vorwort 19

schaft diesen gesamten Bereich sowie die Forscherinnen und For-

scher, die ihn studieren, vorschnell lächerlich gemacht hat. Denn

diese Beobachtungen enthüllen die Existenz von »anormalen Phä-

nomenen« , die eine zukünftige radikale Revision der wissenschaft-

lichen Weltanschauung und ihrer grundlegenden metaphysischen

Annahmen zur Folge haben könnten.

Ein besonderer Abschnitt des Buches (Teil 6) ist der Beschreibung

von Beobachtungen gewidmet, welche an den Grundauffassungen

der Mainstream-Psychiater von psychotischen Schüben rütteln, die

augenblicklich als Manifestationen schwerer psychischer Erkran-

kungen gelten. In diesem Teil berichte ich auch von verblüffend

positiven Ergebnissen höchst unorthodoxer und kontroverser Be-

handlungsmethoden.

Ein Beispiel für eine derartige psychiatrische »Ketzerei« ist die

Auffassung, dass sich in außergewöhnlichen Bewusstseinszustän-

den eine spirituelle Öffnung (»spirituelle Krise«) manifestieren

kann, statt hier von psychotischen Schüben zu reden. Ein weiteres

Beispiel besteht darin, dass wir Symptome als Ausdruck der Selbst-

heilungsversuche der Psyche betrachten, mit denen wir therapeu-

tisch entsprechend arbeiten können. Bei den radikalsten und un-

gewöhnlichsten der in diesem Teil des Buches geschilderten Fälle

werden Psychedelika zur Aktivierung statt zur Unterdrückung psy-

chotischer Symptome eingesetzt; oder durch Anwendung einer

Methode, die mit Exorzismus vergleichbar ist, dramatische Verbes-

serungen bei einer Patientin erzielt; oder therapeutische Durchbrü-

che mit Hilfe von psychodynamischen Mechanismen bewirkt, die

für traditionelle Psychiaterinnen und Psychiater überhaupt keinen

Sinn ergeben würden.

In Teil 7 dieses Buches widme ich mich der Einstellung der traditi-

onellen Wissenschaft zu Beobachtungen aus der Bewusstseinsfor-

schung und der transpersonalen Psychologie, die ihr Paradigma

Page 20: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

2o Vorwort

sprengen. Hier geht es auch um die Erweiterung des traditionellen

Psychologiestudiums auf die Bereiche Spiritualität, Wechselbezie-

hung zwischen Körper und Geist sowie Transformation. Die erste

hier erzählte Geschichte ist ein extremes, aber typisches Beispiel

für den Widerstand gegen die neuen wissenschaftlichen Daten, auf

den wir bei vielen Mitgliedern der akademischen Gemeinschaft

stoßen. Dazu gehört der brillante, weltbekannte Wissenschaftler,

der seine intellektuellen Uberzeugungen derart borniert und ent-

schlossen verteidigt, dass seine Haltung der eines religiösen Fun-

damentalisten vergleichbar ist. Die zweite Geschichte schildert,

was passiert, wenn traditionell ausgebildete Fachleute mit einer

materialistischen Einstellung Gelegenheit bekommen, eigene Er-

fahrungen mit holotropen Bewusstseinszuständen zu machen. Die

dritte schildert, wie mein eigener entschiedener Widerstand gegen

die Astrologie - eine Disziplin, die von »ernsthaften« Wissenschaft-

lerinnen und Wissenschaftlern verspottet und lächerlich gemacht

wird - einer Fülle von überzeugenden Beobachtungen weichen

musste.

Dies ist ein sehr persönliches Buch, das viele intime Details aus

meinem privaten und beruflichen Leben enthüllt. Die meisten Kli-

niker und Forscher würden zögern, so viele persönliche Informati-

onen preiszugeben, weil sie befürchten, dies könne ihrem Ruf als

Wissenschaftler schaden. Ich teiIe die Irrungen und Wirrungen

meiner persönlichen Suche hier deswegen so offen mit, weil ich

mir wünsche, dass diese Informationen den Kampf und die Schwie-

rigkeiten von Menschen lindern, die sich ernsthaft auf den Weg

der Selbsterforschung begeben, und sie ihnen helfen mögen, die

Fehler und Fallgruben, die mit dem Aufbruch in neues, uner-

forschtes Gelände verbunden sind, zu vermeiden.

Ich hoffe, aufgeschlossene Leserinnen und Leser werden die

persönlichen Geschichten, die ich in diesen Memoiren mitteile, als

Zeugnisse meiner leidenschaftlichen, unkonventionellen Suche

Page 21: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Vorwort 21

nach dem Wissen und der Weisheit betrachten, die in den tiefsten

Winkeln der menschlichen Psyche verborgen sind. Wenn dieses

Buch auch nur einem Bruchteil von Tausenden von Menschen, die

holotrope Bewusstseinszustände erleben und außergewöhnliche

Realitäten erforschen, nützliche Informationen vermittelt und sie

auf ihrem Weg unterstützt, habe ich das Opfer meiner Privatsphäre

nicht umsonst gebracht.

Stanislav Grof, Dr med., Dr phil.

Mill Valley, California

August 2005

Page 22: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

22 Prolog

PrologDie Entdeckung kosmischen Bewusstseins

Meine erste LSD-Sitzung

ie Erfahrung, von der ich im Folgenden berichten werde, war

mit Sicherheit die wichtigste und einflussreichste meines Le­

bens. Auch wenn sie nur wenige Stunden - und der bedeutungs­

vollste Teil nur etwa zehn Minuten - dauerte, ließ sie mich beruf­

lich einen völlig anderen Weg einschlagen als den, für den ich

ausgebildet war und auf den ich mich vorbereitet hatte. Sie stellte

die Weichen für eine Laufbahn, die ich bis auf den heutigen Tag

mit großer Leidenschaft und Entschlossenheit verfolge. Sie leitete

auch den Prozess einer tiefen persönlichen, inneren Transformati­

on und eines spirituellen Erwachens ein. Heute, fast fünfzig Jahre

später, betrachte ich diese Erfahrung als eine Initiation, vergleich­

bar der, die den Einweihungskandidaten in uralten Mysterienspie­

len erwartet.

Diese Geschichte führt uns zurück in die Zeit, in der ich mein

Medizinstudium abgeschlossen hatte und meine Laufbahn als Psy­

chiater begann. Mitte der 1950er-Jahre betrieb man in der psychi­

atrischen Abteilung des medizinischen Fachbereichs an der Karls-

Universität in Prag, wo ich vom vierten Jahr meines Medizinstudiums

an als studentische Hilfskraft gearbeitet hatte, Forschungen mit

Melleril. Das war einer der ersten Tranquilizer, der in den pharma­

zeutischen Labors der Schweizer Firma Sandoz in Basel hergestellt

wurde. Mein Vorgesetzter hatte gute Arbeitsbeziehungen zu San­

doz und erhielt von Zeit zu Zeit Gratisproben der Produkte dieses

D

Page 23: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Prolog 23

Unternehmens. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit bekam er für

Testzwecke eine Lieferung von Lysergsäurediethylamid oder LSD-

25, einer damals noch neuen, experimentellen Substanz mit be-

merkenswerten psychoaktiven Figenschaften.

Die erstaunlichen Wirkungen dieses Präparats auf die mensch-

liche Psyche waren im April 1943 vom leitenden Chemiker bei

Sandoz, Dr. Albert Hofmann, entdeckt worden, der sich, als er die-

se Substanz in seinem Labor synthetisch herstellte, versehentlich

selbst in einen Rausch versetzte. Als das passierte, musste er seine

Arbeit im Labor mitten am Tag unterbrechen, weil er äußerst unru-

hig wurde und sich schwindelig fühlte. Diese körperlichen Befind-

lichkeiten entwickelten sich zu einem traumähnlichen Erleben,

verbunden mit einer Flut von phantastischen Bildern und kaleido-

skopischen Farbspielen, das etwa zwei Stunden anhielt.

Drei Tage später beschloss Dr. Hofmann, eine sorgfältig abge-

wogene Dosis LSD zu nehmen, um seinen Verdacht zu bestätigen,

dass sein abnormer Geisteszustand auf einem Rauschzustand be-

ruhte, der durch LSD-25 ausgelöst worden war. Obwohl das eine

vernünftige Vermutung war, konnte er sich nicht vorstellen, wie

die Droge in sein System gelangt war. Bei diesem geplanten Selbst-

experiment nahm er 250 Mikrogramm oder Gammas (1 Millions-

tel Gramm) LSD zu sich, was er, da er sich für einen »konservativen

Menschen« hielt, als »Minidosis« betrachtete. Diese Einschätzung

beruhte auf der Tatsache, dass Ergot-Alkaloide meistens in Milli-

gramm-Dosierungen eingenommen werden. Er konnte nicht wis-

sen, dass er eine Substanz zu sich nahm, die bislang nie da gewe-

sene Wirkungen zeigen würde. Es war die stärkste psychoaktive

Droge, die jemals entdeckt wurde. In der späteren klinischen Ar-

beit der 1950er- und 1960er-Jahre des letzten Jahrhunderts galt die

Dosis, die Albert Hofmann nahm, als ziemlich hoch, und entspre-

chende Sitzungen erforderten stundenlange Vorbereitungen,

Supervision durch zwei Begleitpersonen, Übernachtung im Be-

handlungszentrum und anschließende Auswertungsinterviews.

Page 24: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

24 Prolog

Weil es in vielen Geschichten dieses Buches um LSD geht, gebe ich

hier eine kurze Beschreibung dieses historischen Experiments.

Nachdem er 250 Mikrogramm LSD-25 eingenommen hatte, war

Albert Hofmann bereits nach einer Stunde nicht mehr imstande zu

arbeiten und bat seinen Assistenten, ihn nach Hause zu begleiten.

Weil die Benutzung von Autos aufgrund des Krieges strengen Re-

striktionen unterlag, stand kein Wagen zur Verfügung, und sie

mussten mit dem Fahrrad fahren. Hofmanns Bericht über diese

Fahrradfahrt durch die Straßen von Basel unter Einfluss einer ho-

hen Dosis LSD ist inzwischen zur Legende geworden. Nachdem er

zu Hause angekommen war, fühlte er sich wie besessen von dämo-

nischen Kräften, die sein Denken und seinen Körper völlig be-

herrschten, und er fürchtete, den Verstand zu verlieren. Seine

freundliche Nachbarin, die ihm ein Glas Milch brachte, erschien

ihm als gefährliche Hexe, die ihn verzaubern wollte. Er fühlte sich

körperlich so elend, dass er sicher war, sterben zu müssen, und bat

seinen Assistenten, einen Arzt zu rufen.

Als der Arzt eintraf, war der Höhepunkt der Krise bereits über-

schritten, und Hofmanns Zustand hatte sich radikal verändert. Er

lag nicht mehr im Sterben. Er hatte seine eigene Geburt erlebt und

fühlte sich wie neugeboren, wiederbelebt und verjüngt. Am Tag

nach dem LSD-Experiment war er in einer ausgezeichneten kör-

perlichen und geistigen Verfassung. Er schrieb einen Bericht über

seine außergewöhnlichen Erfahrungen und legte ihn seinem Chef

Dr. Arthur Stoll vor. Zufällig war Dr. Stolls Sohn, Werner A. Stoll,

praktizierender Psychiater in Zürich und zeigte großes Interesse

daran, die Wirkungen von LSD in einem klinischen Versuch zu

erforschen. Seinen bahnbrechenden Bericht über die Wirkung von

LSD-25 auf »normale freiwillige Versuchspersonen« und psychia-

trische Patienten veröffentlichte er I947, und dieser Artikel wurde

in der wissenschaftlichen Welt über Nacht zu einer Sensation.

Werner Stolls frühe LSD-Studien zeigen, dass winzige Dosie-

rungen dieser außergewöhnlichen Substanz - in der Größenord­

Page 25: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Prolog 25

nung von Millionstel eines Gramms - für die Dauer von sechs bis

zehn Stunden tiefgreifende Veränderungen im Bewusstsein seiner

Experimentteilnehmer zu bewirken vermochten. Vertreter der Fir-

ma Sandoz stellten jetzt Forschern und Therapeuten in der ganzen

Welt Proben von LSD zur Verfügung und erbaten Feedback zu sei-

ner Wirkung und seinem Potenzial. Sie wollten wissen, ob diese

Substanz in Psychologie und Psychiatrie legale Anwendung finden

konnte.

Dr. Stolls Pilotstudie zeigte einige interessante Ähnlichkeiten

zwischen der LSD-Erfahrung und der Symptomatologie natürlich

auftretender Psychosen auf. Deshalb ging man davon aus, dass die

Erforschung dieser »experimentellen Psychosen« interessante Ein-

sichten in die Ursachen von natürlich auftretenden psychotischen

Zuständen liefern konnte, vor allem die von Schizophrenie, der

rätselhaftesten unter den psychiatrischen Störungen.

Der Beipackzettel der Firma Sandoz zu den LSD-Proben ent-

hielt auch eine kleine Anmerkung, die mein persönliches und be-

rufliches Leben grundlegend veränderte. Hier wies man daraufhin,

dass Fachleute im psychischen Gesundheitswesen, die mit psycho-

tischen Patienten arbeiteten, diese Substanz möglicherweise als re-

volutionäres, unkonventionelles Hilfsmittel für ihre Ausbildung

benutzen konnten. Die Möglichkeit, die Erfahrung einer rever-

siblen »experimentellen Psychose« zu machen, schien für Psychia-

ter, Psychologen, Krankenschwestern, Sozialarbeiter und Studenten

der Psychiatrie eine einzigartige Gelegenheit zu sein, ein intimes,

persönliches Wissen über die innere Welt ihrer Patientinnen und

Patienten zu erwerben, um diese besser verstehen, wirkungsvoller

mit ihnen kommunizieren und sie folglich auch effektiver behan-

deln zu können.

Ich fand diese ungewöhnliche Ausbildungschance höchst auf-

regend und bat meinen Vorgesetzten Dr. George Roubicek um eine

LSD-Sitzung. Leider beschloss die Belegschaft der psychiatrischen

Klinik, dass Studenten aus verschiedenen Gründen nicht als frei­

Page 26: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

26 Prolog

willige Versuchsteilnehmer zu gelassen werden sollten. Dr. Roubi-

cek war jedoch zu beschäftigt, um stundenlang die LSD-Sitzungen

seiner Experimentteilnehmer zu begleiten und brauchte Hilfe. Es

gab keine Einwände dagegen, dass ich die psychedelischen

Sitzungen anderer Personen überwachte und Protokoll über ihre

Erfahrungen führte. Und so kam es, dass ich bei den LSD-Sitzungen

vieler tschechischer Psychiater und Psychologen, prominenter

Künstler und anderer interessanter Menschen anwesend war, bevor

ich selbst die für einen Versuchsteilnehmer erforderlichen Qualifi-

kationen erworben hatte. Als ich dann an der medizinischen Hoch-

schule meinen Abschluss machte und die Voraussetzungen für eine

Sitzung erfüllte, war mein Appetit darauf durch die phantastischen

Berichte der Menschen, die ich in ihren Sitzungen beobachtet hat-

te, wiederholt geweckt worden.

Im Herbst 1956 konnte ich nach meinem Abschluss an der

medizinischen Hochschule endlich selbst eine Sitzung nehmen. Dr.

Roubiceks spezielles Interesse galt der Erforschung der elektrischen

Aktivität des Gehirns. Eine Bedingung für die Teilnahme an der

LSD-Studie war die Einwilligung, vor, während und nach der Sit-

zung ein EEG machen zu lassen. Zu der Zeit, als meine Sitzung

stattfand, war er besonders fasziniert von dem Vorgang, den er als

»Antreiben« der Gehirnwellen oder »Einwirken« auf diese bezeich-

nete. Zu diesem Zweck wurden die Versuchsteilnehmer mit Hilfe

einer stroboskopischen Lichtquelle (schnell und kurz, grell auf-

leuchtendes Licht, Anm.d.Ü.) vielen verschiedenen Lichtfre-

quenzen ausgesetzt, um herauszufinden, inwieweit man auf die

Gehirnwellen im subokzipitalen (unterhalb des Hinterhauptsbeins,

Anm.d.Ü.) Bereich »einwirken«, das heißt, sie zwingen konnte, die

eintreffende Frequenz zu empfangen. Erpicht darauf, endlich selbst

Erfahrungen mit LSD zu machen, erklärte ich mich einverstanden,

mein EEG machen und meine Gehirnwellen »antreiben« zu lassen.

Mein Bruder Paul, zu der Zeit Medizinstudent und sehr interessiert

an Psychiatrie, war einverstanden, meine Sitzung zu begleiten.

Page 27: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Prolog 27

Die ersten Wirkungen des LSD spürte ich etwa eine Dreiviertel-

stunde nach der Einnahme. Zunächst empfand ich ein leichtes Un-

wohlsein, Benommenheit und Übelkeit. Dann verschwanden diese

Symptome, und stattdessen sah ich eine phantastische Show von

abstrakten und geometrischen Bildern in unglaublichen Farben,

die sich in raschen, kaleidoskopischen Sequenzen entfalteten. Ei-

nige ähnelten kunstvollen Bleiglasfenstern in gotischen Kathe-

dralen, andere den Arabesken in muslimischen Moscheen. Die Er-

lesenheit dieser Visionen erinnerte mich an Sheherazade und die

Welt von Tausendundeine Nacht und an die erstaunliche Schönheit

der Alhambra und von Xanadu. Das waren damals die einzigen As-

soziationen, die mir einfielen. Heute glaube ich, dass meine Psyche

auf irgendeine Weise die Fähigkeit entwickelte, eine Reihe von

wild wuchernden, bruchstückhaften Bildern zu produzieren, den

graphischen Darstellungen nicht linearer Gleichungen ähnlich, die

moderne Computer hervorbringen können.

Im weiteren Verlauf der Sitzung bewegte sich meine Erfahrung

von diesem Reich der köstlichen ästhetischen Genüsse weiter zur

Begegnung und Konfrontation mit meiner unbewussten Psyche. Es

ist schwer, Worte zu finden für die berauschende Fuge der Fmoti-

onen, Visionen und erhellenden Einsichten in mein Leben und die

Existenz überhaupt, die mir auf dieser Ebene meiner Psyche zu-

gänglich waren. Diese Erfahrung ging so tief und war so erschüt-

ternd, dass sie mein bisheriges Interesse an der freudschen Psycho-

analyse sofort verblassen ließ. Ich konnte kaum glauben, was ich

in diesen wenigen Stunden alles erfuhr und lernte. Das atemberau-

bende ästhetische Fest und die reiche Fülle meiner psychologischen

Einsichten hätten bereits für sich genommen gereicht, um aus mei-

ner ersten Begegnung mit LSD eine wirklich unvergessliche Erfah-

rung zu machen.

Es gab jedoch noch einen weiteren Aspekt meiner Sitzung, der

alles übertraf, was da passierte. Nach etwa drei Stunden erschien

Dr. Roubiceks Assistentin und verkündete, es sei Zeit für das EEG-

Page 28: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

28 Prolog

Experiment. Sie führte mich in eine kleine Kabine, brachte viele

Elektroden auf meiner Kopfhaut an und bat mich, mich hinzule-

gen und die Augen zu schließen. Dann brachte sie ein riesiges stro-

boskopisches Licht über meinem Kopf in Position und schaltete es

ein. Zu der Zeit war die Wirkung der Droge auf dem Höhepunkt,

was die Lichtblitze enorm verstärkte.

Der Anblick eines Lichts von unglaublicher Leuchtkraft und

übernatürlicher Schönheit warf mich fast um. Ich musste dabei an

die mystischen Erfahrungen denken, von denen ich in spirituellen

Büchern gelesen hatte, in denen man Visionen von göttlichem

Licht mit dem Glühen von »Millionen von Sonnen« verglich. Mir

kam auch kurz in den Sinn, dass es so im Epizentrum der Atom-

bombenexplosion von Hiroshima oder Nagasaki ausgesehen haben

musste. Heute würde ich dieses Licht eher mit dem Dharmakaya

oder dem ursprünglichen Klaren Licht vergleichen, dem unbe-

schreiblichen Leuchten, das laut Tibetischem Totenbuch (Bardo

Thödol) im Augenblick unseres Todes vor uns erscheint.

Ich hatte das Gefühl, dass ein göttlicher Blitzstrahl mein be-

wusstes Selbst aus meinem Körper katapultierte. Die Assistentin,

das Labor, die psychiatrische Klinik und Prag verschwanden aus

meinem Wahrnehmungsfeld und schließlich der ganze Planet.

Mein Bewusstsein dehnte sich mit unvorstellbarer Geschwindig-

keit aus bis in kosmische Dimensionen. Es gab zwischen mir und

dem Universum keinerlei Grenzen oder Unterschiede mehr. Die

Assistentin hielt sich sorgfältig an ihre Anweisungen. Sie drehte die

Frequenz des stroboskopischen Lichts allmählich von zwei auf 60

Hertz und wieder zurück, dann für kurze Zeit auf die Mitte des

Alphabands, des Thetabands und schließlich des Deltabands. Und

während das alles geschah, bewegte ich mich im Zentrum eines

kosmischen Dramas von unvorstellbaren Ausmaßen.

In der Literatur über Astronomie, die ich später entdeckte und

im Laufe der Jahre las, stieß ich auf Begriffe für einige der phantas-

tischen Erfahrungen, die ich in diesen bemerkenswerten zehn

Page 29: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Prolog 29

Zeitminuten machte - Urknall, Reise durch schwarze und weiße

Löcher, Identifikation mit explodierenden Supernova und zusam-

menstürzenden Sternen und andere seltsame Phänomene. Obwohl

ich keine angemessenen Worte für das hatte, was ich da erlebte,

hegte ich keinerlei Zweifel daran, dass es an die Erfahrungen, die

ich aus den großen mystischen Schriften der Welt kannte, sehr

nahe heranreichte. Und obwohl das LSD eine so tiefe Wirkung auf

meine Psyche hatte, konnte ich den Witz und die Paradoxie der

Situation sehen: Das Göttliche manifestierte sich und übernahm

die Regie in einem seriösen wissenschaftlichen Experiment mit

einer Substanz, die im Reagenzglas eines Chemikers aus dem 20.

Jahrhundert hergestellt worden war - und das in der psychiat-

rischen Klinik eines Landes, das von der (ehemaligen) Sowjetuni-

on beherrscht wurde und ein marxistisches Regime hatte.

Dieser Tag markierte den Beginn meiner radikalen Abkehr vom

traditionellen Denken der Psychiatrie und dem monistischen Ma-

terialismus der westlichen Wissenschaft. Ich ging aus dieser Erfah-

rung bis ins Innerste erschüttert hervor und war zutiefst beein-

druckt von ihrer durchdringenden Kraft. Da ich damals noch nicht

- wie heute - glaubte, dass das Potenzial für mystische Erfahrungen

ein natürliches Geburtsrecht aller menschlichen Wesen ist, führte

ich meine Erlebnisse ausschließlich auf die Wirkung des LSD zu-

rück. Ich hatte das starke Gefühl, dass das Studium außergewöhn-

licher Bewusstseinszustände im Allgemeinen und der durch psy-

chedelische Substanzen ausgelösten Zustände im Besonderen das

mit Abstand interessanteste Gebiet der Psychiatrie war, das ich mir

vorstellen konnte. Mir wurde klar, dass psychedelische Erfah-

rungen - in einem sehr viel größeren Maße als Träume, die in der

Psychoanalyse eine so entscheidende Rolle spielen - tatsächlich,

um Freuds Worte zu benutzen, »ein Königsweg zum Unbewuss-

ten« sind. Und ich beschloss auf der Stelle, mein Leben dem Studi-

um außergewöhnlicher Bewusstseinszustände zu widmen.

Page 30: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert
Page 31: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 1

Das Mysterium der Synchronizität

Im Zwielicht des

Uhrwerk-Universums

Page 32: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert
Page 33: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität 33

iele von uns kennen aus ihrem eigenen Leben Situationen, in

denen das scheinbar logische und voraussagbare Gewebe der

Alltagsrealität, das aus komplexen Ketten von Ursachen und Wir­

kungen besteht, zu zerreißen scheint und wir erstaunliche und

höchst unwahrscheinliche Zufälle erleben. In Phasen von holotro-

pen Bewusstseinszuständen - zur Erinnerung: holotrop bedeutet,

»sich auf die Ganzheit zubewegen« - kann es so häufig zu solchen

Brüchen in der linearen Kausalität kommen, dass uns an der Sicht

der Welt, mit der wir alle aufgewachsen sind, ernsthafte Zweifel

kommen. Da dieses außergewöhnliche Phänomen in vielen Ge­

schichten, die ich in diesem Buch erzähle, eine wichtige Rolle

spielt, will ich hier kurz erläutern, warum es für das Verständnis

des Wesens der Wirklichkeit, des Bewusstseins und der mensch­

lichen Psyche so wichtig ist.

Der Wissenschaftler, der das Phänomen des Zusammentreffens von

bedeutsamen Vorfällen, das sich einer rationalen Erklärung wider­

setzt, ins Blickfeld akademischer Kreise rückte, war der Schweizer

Psychologe Carl Gustav Jung. Da er sich der Tatsache bewusst war,

dass der unerschütterliche Glaube an einen rigiden Determinismus

den Grundpfeiler der westlichen wissenschaftlichen Weltanschau­

ung bildete, zögerte er mehr als zwanzig Jahre, bevor er seine Ent­

deckungen veröffentlichte. Weil er von seinen Kollegen heftige

Zweifel und scharfe Kritik erwartete, wollte er sicher sein, dass er

V

Page 34: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

34 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

seine ketzerischen Behauptungen mit Hunderten von Beispielen

belegen konnte. Schließlich beschrieb er seine bahnbrechenden

Beobachtungen in seinem berühmten Aufsatz mit dem Titel: »Syn-

chronizität als Prinzip akausaler Zusammenhänge« (Jung 1967/

1982).

Jung beginnt seinen Aufsatz mit Beispielen für das ungewöhn-

liche Zusammentreffen von Ereignissen, wie es manchmal im All-

tag passiert. Als einen der ersten Menschen, der an diesem Phäno-

men und seinen wissenschaftlichen Ausführungen Interesse zeigte,

erwähnt er anerkennend den österreichischen, lamarckistischen

Biologen Paul Kammerer, dessen tragisches Leben durch Arthur

Köstlers Buch Der Krötenküsser. Der Fall des Biologen Paul Kammerer

(Köstler 1974) bekannt geworden war. Bei einer der bemerkens-

werten Überschneidungen von Ereignissen, die Kammerer be-

schrieh, hatte sein Straßenbahnfahrschein die gleiche Nummer wie

die Theaterkarte, die er kurz darauf kaufte. Außerdem überreichte

man ihm die gleiche Zahlenfolge am selben Abend später noch ein-

mal als Telefonnummer, nach der er gefragt hatte.

Im selben Aufsatz gibt Jung aucb die amüsante Geschichte

zum Besten, die der berühmte französische Astronom Flammarion

über einen gewissen Monsieur Deschamps und einen speziellen

Pflaumenpudding erzählte. Als Deschamps noch ein Junge war,

gab ihm ein Monsieur de Fontgibu von diesem seltenen Pudding

zu kosten. In den folgenden zehn Jahren bekam er die Köstlichkeit

nicht wieder zu Gesicht, bis er den Pudding eines Tages auf der

Speisekarte eines Pariser Restaurants entdeckte. Als er ihn beim

Ober bestellen wollte, musste er erfahren, dass die letzte Portion

bereits von Monsieur de Fontgibu bestellt und verspeist worden

war, der zufällig gerade im selben Restaurant aß.

Viele Jahre später wurde Monsieur Deschamps auf ein Fest

eingeladen, wo man diesen Pudding als besondere Spezialität ser-

vierte. Während er ihn aß, machte er die Bemerkung, dass jetzt nur

noch Monsieur de Fontgibu fehle, durch den er diese Köstlichkeit

Page 35: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität 35

kennengelernt habe und der auch bei seiner zweiten Begegnung

mit dem Pudding anwesend gewesen sei. ln diesem Augenblick

klingelte es an der Haustür, und ein alter, völlig verwirrt wirkender

Mann kam herein. Es war Monsieur de Fontgibu, der versehentlich

hereinplatzte, weil man ihm für den Besuch, den er jemandem ab-

statten wollte, eine falsche Adresse angegeben hatte.

Diese bemerkenswerten Überschneidungen von Ereignissen lassen

sich mit dem Verständnis der materialistischen Wissenschaft vom

Universum nur schwer in Einklang bringen, denn hier wird die

Welt in Form von Ketten von Ursachen und Wirkungen beschrie-

ben. Und die Wahrscheinlichkeit, dass diese Ereignisse zufällig

passierten, ist so gering, dass wir sie als Erklärung nicht ernsthaft

in Betracht ziehen können. Naheliegender ist es, sich vorzustellen,

dass diese Vorkommnisse eine tiefere Bedeutung haben und spiele-

rische Schöpfungen einer kosmischen Intelligenz sind. Diese Er-

klärung ist vor allem dann plausibel, wenn diese Ereignisse einen

gewissen Humor beinhalten, was oft der Fall ist.

Obwohl solche Zusammentreffen bereits für sich genommen

höchst interessant sind, ergänzte C.G. Jung dieses provozierende,

anormale Phänomen noch um eine weitere faszinierende Dimensi-

on. Kammerer und Flammarion beschrieben höchst unwahrschein-

liche Zusammentreffen von Ereignissen, und die Geschichte über

den Pflaumenpudding entbehrt mit Sicherheit nicht eines gewis-

sen Humors. Beide schildern jedoch Ereignisse aus der materiellen

Welt. Jungs Beobachtungen hingegen eröffneten noch eine zusätz-

liche, erstaunliche Dimension dieses verblüffenden Phänomens. Er

gab zahlreiche Beispiele für das, was er »Synchronizität« nannte -

ein bemerkenswertes Zusammentreffen von Ereignissen in der

allgemein akzeptierten Realität, die in einem bedeutungsvollen

Zusammenhang standen mit inneren Erfahrungen wie Träumen

oder Visionen. Er definierte Synchronizität als »die Gleichzeitigkeit

eines gewissen psychischen Zustands mit einem oder mehreren äu­

Page 36: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

ßeren Ereignissen, welche als sinngemäße Parallelen zu dem mo-

mentanen subjektiven Zustand erscheinen«. Solche Situationen

zeigen, dass unsere Psyche mit einer scheinbar rein materiellen

Welt in einen spielerischen Austausch treten kann. Durch die Tat-

sache, dass das möglich ist, verwischen sich die Grenzen zwischen

subjektiver und objektiver Realität.

Während er sich mit diesem Phänomen auseinandersetzte, be-

kam Jung großes Interesse an den Entwicklungen der relativis-

tischen Quantenphysik und der radikal neuen Sicht der Welt, die

sie aufzeigte. Er stand in einem regen intellektuellen Austausch mit

Wolfgang Pauli, einem Mitbegründer der Quantenphysik, der

Jungs Klient und persönlicher Freund war. Unter Paulis Anleitung

lernte Jung die revolutionären neuen Vorstellungen der modernen

Physik kennen und damit auch die Herausforderungen, mit denen

diese Disziplin das deterministische Denken und die lineare Kau-

salität erstmals konfrontierte. Jung war durchaus klar, dass seine

Beobachtungen im Kontext des sich neu entfaltenden Bildes der

Wirklichkeit viel plausibler und akzeptabler waren.

Weitere Unterstützung für seine Ideen erfuhr Jung von nie-

mand Geringerem als Albert Einstein, der Jung bei einem persön-

lichen Besuch ermunterte, den Gedanken der Synchronizität wei-

terzuverfolgen, weil er mit den neuen Entdeckungen der Physik

völlig im Einklang stand (Jung 1972). Gegen Ende seines Lebens

war Jung von der wichtigen Rolle der Synchronizität in der natür-

lichen Ordnung der Dinge so überzeugt, dass er sie in seinem täg-

lichen Leben als leitendes Prinzip benutzte.

Die berühmteste der vielen Synchronizitäten in Jungs eigenem

Leben passierte in einer Therapiesitzung mit einer seiner Patien-

tinnen. Diese Frau hatte große Widerstände gegen die Psycho-

therapie, Jungs Interpretationen und die Vorstellung von transper-

sonalen Realitäten. Als die Therapie bei der Analyse eines ihrer

Träume, in dem es um einen goldenen Skarabäus ging, in eine

Sackgasse geriet, hörte Jung ein Geräusch, als ob etwas oderjemand

Page 37: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität 37

von außen leise ans Fenster klopfte. Als er nachschauen ging, fand

er auf der Fensterbank einen rosa schimmernden Rosenkäfer, der

versuchte, ins Zimmer zu gelangen. Es handelte sich um ein äu-

ßerst seltenes Exemplar - einem goldenen Skarabäus so ähnlich,

wie diese Breitengrade es aufzubringen vermochten. Nie zuvor hat-

te Jung so etwas erlebt. Er öffnete das Fenster, holte den Käfer

herein und zeigte ihn seiner Patientin. Diese ungewöhnliche Syn-

chronizität wurde zum wichtigen Wendepunkt in der Therapie

dieser Frau.

Die Beobachtung von Synchronizitäten hatte einen tiefen Ein-

fluss auf Jungs Denken und seine Arbeit, vor allem auf sein Ver-

ständnis der Archetypen, der ursprünglichen, lenkenden und or-

ganisierenden Prinzipien des kollektiven Unbewussten. Die

Entdeckung der Archetypen und ihrer Rolle in der menschlichen

Psyche ist Jungs wichtigster Beitrag zur Psychologie. Jung war in

seiner beruflichen Laufbahn stark beeinflusst von der kartesia-

nischen-kantschen Sicht, welche die westliche Wissenschaft mit

ihrer strikten Trennung zwischen subjektiv und objektiv, zwischen

innen und außen beherrschte. Unter ihrem Bann sah er in den

Archetypen anfangs transindividuelle, im Wesentlichen aber inner-

psychische Prinzipien, vergleichbar biologischen Instinkten. Er

nahm an, dass die grundlegende Matrix für diese Prinzipien im

Gehirn verankert war und von Generation zu Generation weiter-

vererbt wurde.

Die Existenz von sychronistischen Ereignissen führte Jung zu

der Erkenntnis, dass Archetypen sowohl die Psyche als auch die

materielle Welt transzendieren und autonome Bedeutungsmuster

sind, die sowohl der Psyche als auch der Materie Informationen

übermitteln. Er sah, dass sie eine Brücke schlagen zwischen innen

und außen und auf die Existenz einer Zwielichtzone zwischen Ma-

terie und Bewusstsein verweisen. Aus diesem Grund schrieb Jung

den Archetypen schließlich eine »psychoide« (psycheähnliche)

Qualität zu.

Page 38: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

38 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

Stephan A. Hoeller formuliert Jungs voll ausgereifte Auffassung der

Archetypen ebenso kurz und bündig wie poetisch mit den Worten:

»Manifestiert sich der Archetyp als synchronistisches Prinzip, ist

das wirklich Ehrfurcht gebietend, wenn nicht geradezu ein Wun-

der - ein unheimlicher Bewohner der Schwelle. Zugleich psychisch

und physisch, könnte man ihn mit dem doppelköpfigen Gott Janus

vergleichen: Beide Gesichter des Archetyps vereint zu einem ein-

zigen Kopf gemeinsamer Bedeutung« (Hoeller 1994). Nachdem

Jungs Aufsatz über Synchronizität erschienen war, hat dieser Ge-

danke in der Wissenschaft zunehmend an Bedeutung gewonnen

und ist zum Thema vieler Artikel und Bücher geworden (von Franz

1992, Aziz 1990, Mansfeld 1995).

In den fünfzig Jahren, die ich jetzt Bewusstseinsforschung be-

treibe, habe ich bei meinen Patientinnen und Patienten zahlreiche

ungewöhnliche Synchronizitäten beobachtet, viele Geschichten

von Forscher- und Therapeutenkollegen und -kolleginnen gehört

und selbst Hunderte von entsprechenden Erlebnissen gehabt. Für

dieses Kapitel habe ich eine kleine, repräsentative Auswahl der

interessantesten Geschichten aus meiner Sammlung zusammenge-

stellt. Die erste weist durchaus Parallelen zu Jungs Begegnung mit

dem goldenen Käfer auf, da auch hier an einem höchst unwahr-

scheinlichen Ort und zu einer höchst unwahrscheinlichen Zeit ein

Insekt auftaucht.

Page 39: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Macht der Tierwelt 39

Die Macht der TierweltEine Gottesanbeterin in Manhattan

n einem seiner vielen Workshops am Esalen-Institut in Big Sur,

Kalifornien, hielt unser Freund und Lehrer Joseph Campbell ei­

nen langen Vortrag über sein Lieblingsthema - die Arbeit von C.G.

Jung und dessen revolutionäre Beiträge zum Verständnis von My­

thologie und Psychologie. Bei seiner Rede erwähnte er auch flüch­

tig das Phänomen der Synchronizität. Eine der Teilnehmerinnen,

die diesen Begriff nicht kannte, unterbrach Joe und bat ihr zu er­

klären, was Synchronizität bedeute. Nachdem er eine kurze, allge­

meine Definition und Beschreibung des Gedankens der Synchroni­

zität gegeben hatte, beschloss Joe, seine Erklärungen anhand eines

konkreten Beispiels zu verdeutlichen. Statt Jungs Geschichte über

den Skarabäus zu erzählen, die man bei dieser Gelegenheit meis­

tens zu hören bekommt, beschloss Joe, seinen Zuhörerinnen und

Zuhörern eine bemerkenswerte Synchronizität aus seinem eigenen

Leben zu erzählen.

Bevor sie in ihren späteren Lebensjahren nach Hawaii zogen,

hatten Joe und seine Frau Jean Erdman in New York in Greenwich

Village gelebt. Ihre Wohnung lag im 14. Stock eines Hochhauses

am Waverley Place in der Sixth Avenue. Joes Arbeitszimmer hatte

zwei Doppelfenster - das eine bot eine Aussicht auf den Hudson

River, und das andere zeigte zur Sixth Avenue. Aus dem ersten

Fenster hatte man einen schönen Blick auf den Fluss, und bei

schönem Wetter standen immer beide Fensterflügel offen. Der

I

Page 40: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

40 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

Blick aus dem anderen Doppelfenster war uninteressant, und die

Campbells öffneten es selten. Laut Joe hatten sie dieses Fenster in

den ganzen vierzig Jahren, die sie dort wohnten, vielleicht zwei-,

dreimal geöffnet.

An diesem Tag zu Beginn der 1980er-Jahre saß Joe in seinem

Arbeitszimmer an seinem Opus magnum, The Way of the Animal

Powers, einer umfassenden Enzyklopädie der schamanistischen

Mythologien der Welt. Zu der Zeit schrieb er gerade das Kapitel

über die Mythologie der afrikanischen Buschmänner, eines Stam-

mes, der in der Kalahari-Wüste lebt. Eine der wichtigsten Gott-

heiten im Pantheon der Buschmänner ist die Gottesanbeterin, die

die Wesenszüge des Narren und des Schöpfergottes in sich vereint.

Joe war völlig vertieft in seine Arbeit und sein Schreibtisch übersät

mit Artikeln und Büchern zu diesem Thema. Besonders beein-

druckt war er von der Geschichte, die Laurens van der Post über

seine Kinderfrau Klara erzählte, die eine Halbblut-Buschfrau war

und ihn seit seiner Gehurt betreute. Van der Post erinnerte sich

lebhaft daran, dass Klara in seiner Kindheit hin und wieder mit

einer Gottesanbeterin (Mantis religiosa) kommunizierte. Wenn sie

mit einem Mitglied dieser Spezies redete und ihm konkrete Fragen

stellte, schien das Insekt sie mit Bewegungen seiner Beine und sei-

nes ganzen Körpers zu beantworten.

Mitten in seiner Arbeit verspürte Joe plötzlich den unwider-

stehlichen und völlig irrationalen Impuls, aufzustehen und einen

der Flügel jenes Doppelfensters zu öffnen, das zur Sixth Avenue

zeigte. Nachdem er es geöffnet hatte, schaute er, ohne zu wissen

warum, automatisch nach rechts. Die Begegnung mit einer Gottes-

anbeterin ist so ziemlich das Letzte, was man in Manhattan erwar-

tet. Doch da war sie, ein großes Exemplar ihrer Gattung, im 14.

Stock eines Hochhauses mitten in Manhattan, und kletterte lang-

sam weiter nach oben! Laut Joe wandte sie ihm den Kopf zu und

schenkte ihm einen bedeutungsvollen Blick. Obwohl die Begeg-

nung nur wenige Sekunden dauerte, hatte sie etwas Unheimliches

Page 41: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Macht der Tierwelt 41

und hinterließ bei Joe einen tiefen Eindruck. Er sagte, er könne

bestätigen, was er vor wenigen Minuten erst in Laurens van der

Posts Geschichte gelesen hatte: Das Gesicht der Gottesanbeterin

hatte etwas eigenartig Menschliches. Mit ihrem »herzförmigen

Kinn, den hohen Wangenknochen und der gelben Haut sah sie wie

ein Buschmann aus.«

Das Auftauchen einer Gottesanbeterin im 14. Stock eines

Hochhauses mitten in Manhattan ist, gelinde gesagt, bereits als sol-

ches ein ziemlich ungewöhnliches Ereignis. Aber wenn wir den

Zeitpunkt ihres Erscheinens berücksichtigen, der mit Joes inten-

siver Vertiefung in die Mythologie der Kalahari-Buschmänner

zusammenfiel, und seinen unerklärlichen Impuls, das Fenster zu

öffnen und die Begegnung aktiv zu suchen, ist die statistische

Unwahrscheinlichkeit dieser Verkettung von Ereignissen wirklich

astronomisch. Nur ein durch und durch materialistisch orientierter

Mensch, der seiner Weltanschauung mit quasi-religiösem Eifer

anhängt, würde glauben, dass so etwas reiner Zufall ist.

Die traditionelle Psychiatrie unterscheidet nicht zwischen tatsäch-

lichen Synchronizitäten und psychotischen Fehlinterpretationen

der Welt. Da die materialistische Weltsicht streng deterministisch

ist und die Möglichkeit »bedeutungsvoller Zusammentreffen« nicht

akzeptiert, würde sie die bloße Andeutung ungewöhnlicher

Synchronizitäten in den Berichten eines Patienten automatisch als

»Realitätsverwirrung« und damit als Symptom für eine ernsthafte

psychische Erkrankung interpretieren. Es kann jedoch kein Zwei-

fel daran bestehen, dass es echte Synchronizitäten gibt, bei denen

jeder, der Zugang zu den Fakten hat, zugeben muss, dass die hier

zusammentreffenden Ereignisse nicht mit statistischer Wahrschein-

lichkeit zu erklären sind. Auf Joes ungewöhnliche Begegnung mit

der Gottesanbeterin trifft das mit Sicherheit zu.

Page 42: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

42 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

Die sterbende KöniginWenn Voraussagen im Traum sich bei Tag erfüllen

m Jahre 1964 lud mich Joshua Bierer, eine britische Psychiaterin,

ein, am Kongress für Soziale Psychiatrie in London teilzuneh­

men. Joshua war die Organisatorin dieser Konferenz und koordi­

nierte das Programm. Mein Vortrag war Teil eines Symposiums

über LSD-Psychotherapie. So hatte ich Gelegenheit, mit mehreren

Pionierinnen und Pionieren auf dem Gebiet der psychedelischen

Therapie in Kontakt zu kommen, deren Arbeit ich bislang nur aus

ihren Schriften kannte. Ich lernte dort zwei bemerkenswerte Frauen

kennen: die britischen Therapeutinnen Joyce Martin und Pauline

McCririck. Beide hatten eine traditionelle Ausbildung in freudscher

Psychoanalyse, praktizierten aber jetzt in Joyces luxuriösem Haus

in der bekannten Welbeck Street LSD-Psychotherapie. Gemeinsam

hatten sie die »fusion therapy« (Verschmelzungstherapie oder

»anaklitische Therapie«, Anm.d.Ü.) entwickelt, wie sie das nann­

ten, eine psychedelische Behandlungsmethode, die selbst einigen

der aufgeschlossenen, mutigen Therapeutinnen und Therapeuten,

die ihren Patienten LSD gaben, zu revolutionär war.

Diese Methode, besonders geeignet für Patienten, die in ihrer

Kleinkindzeit von den Eltern allein gelassen und abgelehnt wurden

und keine emotionale Zuwendung erfuhren, war verbunden mit

engem Körperkontakt zwischen Therapeutin und Patientin wäh­

rend der LSD-Sitzung. In ihren Sitzungen verbrachten diese Pati­

enten mehrere Stunden in tiefer Regression und lagen auf einem

I

Page 43: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die sterbende Königin 43

Sofa unter einer Decke, während Joyce oder Pauline neben ihnen

lag und sie im Arm hielt, wie eine gute Mutter, die ihr Kind tröstet.

Ihre revolutionäre Methode spaltete die Gemeinde der LSD-Thera-

peutinnen und -Therapeuten. Manche von ihnen sahen darin eine

wirkungsvolle und konsequente Möglichkeit der Heilung von

»Traumata aufgrund von Unterlassung«, die auf mütterliche Ver-

säumnisse und negatives mütterliches Verhalten zurückgingen.

Andere wiederum reagierten entsetzt auf die radikale »anakli-

tische«* Therapie und warnten vor den irreversiblen Schäden, die

der enge Körperkontakt zwischen Therapeutin und Patientin in

einem außergewöhnlichen Bewusstseinszustand dieser Beziehung

zufügen würde.

Ich gehörte zu denen, die von Joyces und Paulines »Verschmel-

zungstherapie« fasziniert waren, denn für mich war klar, dass ein

»Trauma«, das auf »Unterlassung« beruhte, nicht durch eine Rede-

kur geheilt werden konnte. Ich stellte den beiden Frauen viele Fra-

gen nach ihrer unorthodoxen Methode, und als sie sahen, dass ich

aufrichtig interessiert war, luden sie mich in die Welbeck-Klinik

ein, damit ich ihre Patientinnen und Patienten kennenlernen und

selbst Erfahrungen mit ihrer Methode machen konnte. Ich war be-

eindruckt, als ich herausfand, wie sehr ihre Patientinnen und Pati-

enten von der körperlichen Zuwendung profitierten, die sie in ih-

ren psychedelischen Sitzungen bekamen. Mir wurde auch klar,

dass Joyce und Pauline viel weniger mit Übertragungsproblemen

* Säuglinge und Kleinkinder haben starke primitive Bedürfnisse nach instinktiver Befrie-

digung und Sicherheit, die Kinderärzte und Kinderpsychiater anaklitisch nennen (von

gr. anaklinein, was so viel wie klammern oder anlehnen bedeutet). Dazu gehört das Be-

dürfnis, dass die Bezugspersonen das Kind halten, streicheln, trösten und mit ihm spie-

len und es im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit seiner Betreuer steht. Werden diese Be-

dürfnisse nicht befriedigt, hat das für das betroffene Individuum in seinem späteren

Leben schwerwiegende Folgen.

Page 44: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

44 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

zu kämpfen hatten als der durchschnittliche freudsche Analytiker

mit seiner distanzierten »Neutralität«.

Bei der Internationalen Konferenz über LSD-Psychotherapie,

die im Mai 1965 in Amityville, Long Island, stattfand, zeigten

Joyce und Pauline ihren faszinierenden Film über die Anwendung

ihrer Methode in der psychedeIischen Therapie. Bei der anschlie-

ßenden hitzigen Diskussion kreisten die meisten Fragen um das

Thema Übertragung und Gegenübertragung. Pauline lieferte eine

sehr interessante und überzeugende Erklärung dafür, dass ihr An-

satz in dieser Hinsicht weniger Probleme mit sich brachte als die

orthodoxe freudsche Haltung. Die meisten Patientinnen und Pati-

enten, die in die Therapie kamen, so erläuterte sie, hätten als Säug-

linge und Kinder an mangelnder Zuwendung von Seiten ihrer El-

tern gelitten. Die kalte Haltung der freudschen Analytikerinnen

und Analytiker führe häufig zu einer Reaktivierung der aus den

kindlichen Entbehrungen entstandenen emotionalen Verletzungen

und löse bei den Patienten verzweifelte Versuche aus, die Aufmerk-

samkeit und Befriedigung zu bekommen, die man ihnen in ihrer

Kindheit vorenthalten hatte.

Im Gegensatz dazu korrigierte die anaklitische Therapie laut

Pauline die früheren Erfahrungen, indem sie die alten Sehnsüchte

nach Verschmelzung und Anlehnung befriedigte. Waren ihre emo-

tionalen Wunden geheilt, realisierten die Patienten, dass die Thera-

peutin kein angemessenes Sexualobjekt für sie war, und waren jetzt

imstande, außerhalb der therapeutischen Beziehung einen pas-

senden Partner zu finden. Pauline erklärte, hier zeige sich eine Par-

allele zur Entwicklung von frühen Objektbeziehungen. Menschen,

die in ihrer Säuglingszeit und Kindheit richtig bemuttert wurden,

sind in der Lage, sich emotional von ihren Müttern zu lösen und

zu reifen Beziehungen überzugehen. Wer hingegen emotional

vernachlässigt wurde, bleibt pathologisch gebunden und ist sein

Leben lang voll verzweifelter Sehnsucht auf der Suche nach der

Befriedigung seiner primitiven, infantilen Bedürfnisse.

Page 45: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die sterbende Königin 45

Nachdem ich von Joyces und Paulines LSD-Patientinnen und -Pa-

tienten in der Klinik in der Welbeck Street begeisterte Berichte ge-

hört hatte, bekam ich großes Interesse, die »anaklitische Methode«

in Eigenerfahrung kennenzulernen. Meine Sitzung mit Pauline war

ein wirklich bemerkenswertes Erlebnis. Obwohl wir beide voll be-

kleidet waren und zwischen uns eine Decke lag, regredierte ich bis

in die frühe Kindheit und identifizierte mich mit einem Säugling,

der an der Brust einer guten Mutter saugt und den Kontakt mit

ihrem nackten Körper spürt. Dann ging die Erfahrung noch tiefer,

und ich wurde zum Fötus in einem guten Schoß, selig im Frucht-

wasser schwebend. Mehr als drei Zeitstunden, die sich subjektiv

wie eine Ewigkeit anfühlten, erlebte ich beide Situationen - »gute

Brust« und »guter Schoß« - gleichzeitig oder abwechselnd. Ich

war mit meiner Mutter über Strome von zwei nährenden FIüssig-

keiten verbunden - Milch und Blut -, die sich manchmal anfühl-

ten wie heilige Elixiere. Höhepunkt der Sitzung war die Verschmel-

zung mit der Großen Mutter Göttin, die an die Stelle der

menschlichen Mutter trat. Ich muss wohl kaum erwähnen, dass

ich diese Sitzung als äußerst heilsam empfand.

1966 hatte ich anlässlich einer Konferenz über LSD-Psycho-

therapie in Amsterdam GeIegenheit, eine weitere, ähnlich hemer-

kenswerte Sitzung bei Pauline zu nehmen und zum zweiten Mal

persönliche Erfahrungen mit der »anaklitischen Therapie« zu ma-

chen. Pauline und ich wurden gute Freunde und sahen uns gele-

gentIich bei Fachtagungen oder meinen Besuchen in London. Als

Joyce Martin Ende der 1960er-Jahre starb, verlor Pauline den Men-

schen, der ihre eigenen psychedelischen Sitzungen bislang beglei-

tet hatte, und bat mich, Joyces Rolle zu übernehmen. Zu der Zeit

lebte ich jedoch nicht mehr in Europa. Ich hatte ein Stipendium

für die Johns-Hopkins-Universität bekommen und wohnte und

arbeitete jetzt in Baltimore. Dass Pauline für diese Sitzungen wie-

derholt über den Atlantik reiste und viel Geld, Zeit und Energie

investierte, zeigt, wie stark sie von dieser Arbeit überzeugt war. Im

Page 46: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 1: Das Mysterium der Synchr0nizität

Umfeld einer dieser Sitzungen erlebte ich eine bemerkenswerte

Synchronizität:

Am Tag von Paulines Sitzung erwachte ich zwischen vier und

fünf Uhr morgens aus einem sehr beunruhigenden Traum. Er

spielte in einem düsteren Schloss oder vielmehr einer Burg, irgend-

wann im Mittelalter. Die Atmosphäre war geprägt von Aufruhr und

Chaos, viele Menschen hasteten mit Fackeln in den Händen durch

dunkle Gänge. Ich hörte verzweifelte und erregte Stimmen, die

laut riefen: »Die Königin ... die Königin ... die Königin liegt im

Sterben!« Ich war eine der Personen, die in Panik durch das Schloss

rannten. Nach einer atemlosen Hetze durch das Labyrinth der

spärlich beleuchteten Gänge gelangte ich schließlich in ein Zim-

mer, in dem eine alte Frau - eindeutig die Königin - in einem

großen Bett mit vier geschnitzten hölzernen Säulen und reich ver-

ziertem Baldachin lag. Sie rang nach Luft, und ihr Gesicht war

qualvoll verzerrt, sie erlebte die letzten Momente ihres Lebens. Ich

starrte sie verzweifelt an, überwältigt von heftigen Emotionen,

denn ich wusste, die sterbende Frau war meine Mutter.

Als ich frühmorgens aus diesem Traum erwachte, war mir sehr

unbehaglich zumute, und ich war voller Befürchtungen. Ich hatte

das starke Gefühl, dass dieser Traum mit der Sitzung zusammen-

hing, die ich Pauline an diesem Tag geben würde, und verspürte

einen starken Widerwillen, sie stattfinden zu lassen. Das hatte ich

noch nie erlebt. Mein Unbehagen stand in scharfem Kontrast zu

der Begeisterung, in die mich die Aussicht auf eine psychedelische

Sitzung meistens versetzte. Ich lag im Bett, dachte über den Traum

nach und versuchte meine unheimlichen Gefühle zu verstehen. Als

der Tag anbrach und die Sonne in mein Schlafzimmer schien, ver-

schwand meine eigenartige Stimmung allmählich. Ich kam wieder

auf den Boden, und damit kehrte auch die Zuversicht zurück, die

ich in Bezug auf unsere bevorstehende Sitzung empfand.

In den ersten Stunden von Paulines Sitzung passierte nichts

Besonderes, das heißt, nichts, was ich nicht bereits schon einmal in

Page 47: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die sterbende Königin 47

solchen Sitzungen miterlebt hatte. Da Pauline eine hohe Dosis LSD

genommen hatte, gingen ihre Erfahrungen natürlich tief. Sie erin­

nerte sich an hochemotionale Ereignisse aus ihrer Kindheit und

Säuglingszeit, durchlebte noch einmal ihre schwierige Geburt und

machte Erfahrungen mit transpersonalen Elementen aus dem kol­

lektiven Unbewussten. Nach etwa fünf Stunden stieß Pauline auf

eine Erinnerung aus ihrer Kindheit, bei der es um eine königliche

Parade ging. Plötzlich begann sie, die britische Nationalhymne zu

singen: »God save our gracious Queen, long live our noble Queen,

god save the Queen ...«

Während sie das sang, war sie auf einmal alarmiert. »Mein

Gott, Stan, ich singe hier: ›God save the Queen.‹ Als ich Kind war,

hatten wir einen König, keine Königin; warum singe ich dann ›God

save the Queen‹?« Plötzlich verzerrten sich ihre Gesichtsmuskeln

zu einem Ausdruck von großer Qual, der geradezu unheimliche

Ähnlichkeit mit dem Gesichtsausdruck der sterbenden Königin

aus meinem Traum hatte, an die ich mich genau erinnern konnte.

»Stan, hier geht es gar nicht mehr um meine Kindheit«, fuhr sie

fort. Sie war ganz offensichtlich verzweifelt und in großer Panik

und rang heftig nach Luft. »Ich bin die Königin, und ich liege im

Sterben.«

Zu der Zeit hatte ich schon häufig beobachtet, wie Menschen

in psychedelischen Sitzungen ihren eigenen Tod erleben, sodass

ich Paulines körperlichen Zustand nicht besonders alarmierend

fand oder mir Sorgen um sie machte. Was mich jedoch erstaunte,

war, dass sie mir meinen Traum aus der letzten Nacht vor führte

und die sterbende Königin, die hier eine so zentrale Rolle gespielt

hatte, präzise verkörperte.

Paulines Sitzung nahm ein glückliches Ende. Auf ihr Todeser­

lebnis durch Identifikation mit der alten Königin folgten die Wie­

dergeburt und ein »psychedelisches Nachglühen«, das mehrere

Tage anhielt. Ihrer Meinung nach stammte ihre Erfahrung aus dem

kollektiven Unbewussten oder möglicherweise auch aus ihrer eige-

Page 48: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

48 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

nen karmischen Chronik. Sie sah darin einen Zusammenhang mit

ihrer lebenslangen Faszination vom Königtum und ihrer Vorliebe

für teure und extravagante Kleidung und Schmuck. Ich konnte mir

nicht erklären, warum ich den erstaunlichen Traum hatte, in dem

ich Paulines Erlebnisse in der Sitzung vorausahnte. Hin und wie-

der fällt mir diese bemerkenswerte Synchronizität ein, und ich fra-

ge mich, woher sie kam und was sie zu bedeuten hatte. Hing diese

seltsame Verbindung zwischen uns mit den psychedelischen Sit-

zungen zusammen, die ich selbst bei Pauline genommen hatte, und

in denen ich als Fötus in einem guten Schoß und als Säugling an

einer guten Brust symbiotisch mit ihr verschmolz?

Page 49: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Regenbogenbrücke der Götter 49

Die Regenbogenbrücke der GötterIm Reich der nordischen Sagen

edeutungsvolle und vielversprechende Synchronizitäten kön­

nen Anzeichen für den Beginn eines tiefen spirituellen Erwa­

chens sein und dieses begleiten. Doch manchmal werden sie auch

zur Fallgrube. Vielleicht schenken uns diese Erlebnisse das über­

zeugende Gefühl, nicht nur eingebettet zu sein in einen größeren

kosmischen Zusammenhang von Bedeutung und Sinn, sondern

auch der Fokus oder das Zentrum dieses größeren Ganzen zu sein.

Und doch kann das überwältigende Gefühl einer alles umfassenden

Verbundenheit, das diese Synchronizitäten oft begleitet, uns in die

Irre führen, und wir sollten nicht naiv darauf vertrauen und da­

nach handeln. Wie die folgende Geschichte uns zeigt, sind selbst

die wunderbarsten Synchronizitäten keine Garantie dafür, dass die

Situation, in der sie auftreten, ein gutes Ende nimmt.

Die Ereignisse, die ich im Folgenden beschreibe, fanden etwa

vier Jahre nach meiner Einreise in die Vereinigten Staaten statt. Zu

der Zeit hielt ich Ausschau nach einer Lebenspartnerin, wobei mir

wohlmeinende, besorgte Freunde unaufgefordert halfen. Ende

1971 erhielt ich einen Anruf von Leni und Bob Schwartz, die zu

meinem engsten Freundeskreis gehörten. Ihr Haus in Lower Man­

hattan, das Lenis exzellenten Geschmack verriet, war ein beliebter

Treffpunkt vieler kultureller Größen der damaligen Zeit, von Joseph

Campbell bis hin zu Betty Friedan. Leni und Bob, beide am Appa­

rat, waren ganz aufgeregt und erzählten mir abwechselnd von ihrer

B

Page 50: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

50 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

jüngsten Entdeckung. »Wir haben gerade einen ganz besonderen

Menschen kennengelernt. Sie lebt in Miami und heißt Joan Halifax.

Sie ist Anthropologin, eine schöne und kluge Frau. Sie hat Feldfor-

schung bei den Dogon in Afrika und in der südlichen Sahara ge-

macht und führt außerdem Untersuchungen über die Santeria und

andere karibische Religionen durch. Ihr beide habt so viel gemein-

sam! Du wirst sie ganz bestimmt ins Herz schließen.«

Ich schrieb mir Joans Namen und Telefonnummer auf und

dankte Bob und Leni für ihre Bemühungen. Aber nach einer gera-

de beendeten, stürmischen Beziehung (siehe Seite 191 ff.) war ich

nicht bereit, mich gleich in die nächste zu stürzen. Gelegentlich

wanderten jedoch meine Gedanken zu Joan, und ich stellte mir vor,

wie unsere Begegnung verlaufen würde, und spielte mit dem Ge-

danken, sie anzurufen. Nach mehreren Monaten beschloss ich

endlich, es zu wagen. Ich wollte die jährliche Konferenz der Ame-

rican-Psychiatric -Association in Dallas, Texas, besuchen, um dort

die Resultate unserer Forschungen über LSD-Psychotherapie mit

Krehspatienten im Endstadium vorzulegen. Die Konferenz endete

an einem Freitag, und ich konnte auf dem Weg zurück nach Balti-

more ohne weiteres einen Abstecher nach Miami machen und das

Wochenende dort verbringen.

Ich wählte Joans Nummer, und als sie den Hörer abnahm,

stellte ich mich vor und sagte: »Ich bin Stan Grof aus Baltimore.

Unsere gemeinsamen Freunde Bob und Leni Schwartz erzählen

mir ständig, dass wir beide uns kennenlernen sollten. Wären auch

Sie daran interessiert? Ich könnte nächstes Wochenende nach Mia-

mi kommen. Ist es möglich, dass wir uns treffen?«

»Tut mir leid«, lautete Joans Antwort. »Ich bin nächstes Wo-

chenende nicht hier, sondern in Dallas. lch fahre zum Treffen der

American-Psychiatric-Association, um von meiner Arbeit mit den

Santeria zu berichten.«

»Das ist ja höchst interessant«, sagte ich und staunte über

dieses Zusammentreffen. »Ich werde auch in Dallas sein und die­

Page 51: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Regenbogenbrücke der Götter 51

selbe Konferenz besuchen. Ich wollte auf dem Rückweg in Miami

Station machen. In welchem Hotel wohnen Sie?«

»Im Baker-Hotel« , lautete Joans Antwort.

Von sämtlichen Hotels in Dallas hatte auch ich mir genau das

ausgesucht! Wie sich herausstellte, hatte ich tatsächlich einen Stock

tiefer das Zimmer direkt unter dem von Joan gebucht. Da wir also

im selben Hotel wohnten, beschlossen wir, uns nach der Ankunft

telefonisch in Verbindung zu setzen. Als ich ankam, hatte die Kon-

ferenz bereits begonnen. Joan war nicht in ihrem Zimmer und hat-

te auch keine Nachricht hinterlassen. Ich beschloss, zur Konferenz

zu gehen und sie zu finden. Das Programm bestand aus vielen paral-

lelen Veranstaltungen - acht, wenn ich mich richtig erinnere -, die

in verschiedenen Hotels stattfanden. Ich studierte das Programm

und versuchte zu raten, welchen Vortrag Joan besuchen würde.

Dabei ging ich davon aus, dass sie Anthropologin war und wir, wie

Leni und Bob mir versicherten, ähnliche Interessen hatten. Nach

einigem Zögern entschloss ich mich für einen Film, der im großen

Vortragssaal eines der Konferenzhotels gezeigt wurde.

Als ich den Saal betrat, war das Licht bereits ausgeschaltet und

der Film lief. Ich schaute mich um und setzte mich auf einen freien

Sitz in meiner Nähe. Während ich mir den Film ansah, zog eine

Frau, die etwa drei Sitze links von mir in der Reihe vor mir saß,

immer wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. Nach einer Weile

sah ich um ihren Kopf herum tatsächlich so etwas wie eine Aura.

Schließlich drehte sie sich zu mir um, was ungewöhnlich war, denn

sie musste sich ziemlich den Hals verrenken, damit sich unsere

Blicke treffen konnten. Fine ganze Weile wanderten Blicke zwi-

schen uns hin und her, und als der Film endete, waren wir beide

uns unserer Sache so sicher, dass wir einfach aufeinander zugingen.

Unsere Vermutung bestätigte sich, als wir uns miteinander bekannt

machten. Wir waren also nicht nur beide zur selben Zeit in Dallas,

sondern auch unsere erste Begegnung beruhte auf dem ungewöhn-

lichen Zusammentreffen mehrerer Ereignisse.

Page 52: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

52 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

Unser Abendessen, das aus verschiedenen Gerichten der nord-

chinesischen Küche bestand und wahrscheinlich von durchschnitt-

licher Qualität war, kam uns als etwas ganz Besonderes vor. Wir

redeten ohne Pause über unsere vielen verschiedenen Interessen

und entdeckten, dass Leni und Bob Recht hatten: Wir hatten wirk-

lich viel gemeinsam. Nach dem Essen brachte uns der Kellner die

obligatorischen Glückskekse, denen wir ansonsten keine große Be-

achtung geschenkt hätten. Aber im Rahmen all der bemerkens-

werten Synchronizitäten, die wir bereits erlebt hatten, klangen die

Botschaften wie stimmige Orakelsprüche aus dem uralten chine-

sischen I Ging. In meinem Keks hieß es: »Dein Herz gehorte ihr

vom Augenblick eurer ersten Begegnung an.« Und ihr Spruch

sagte: »Nach langem Warten geht dein Traum endlich in Erfül-

lung.« Natürlich kehrten wir nach der Konferenz nicht getrennt

nach Hause zurück, sondern verbrachten das Wochenende zusam-

men in Dallas.

Nach diesem verheißungsvollen Anfang entwickelte sich unsere

Beziehung sehr schnell. Am Wochenende nach unserer Begegnung

in Dallas flog ich nach Miami, um mehrere Tage mit Joan zu ver-

bringen. Am darauffolgenden Wochenende besuchte Joan mich in

Baltimore, und wir hatten eine wunderbare Zeit miteinander. Durch

diese beiden Besuche vertiefte sich unsere Beziehung. Am Sonntag-

abend empfanden wir so viel Nähe zueinander, dass wir uns in

Zukunft so oft wie möglich sehen wollten, und der Gedanke an

Abschied war ziemlich schmerzlich. Mein Terminkalender für die

nächsten Wochen stellte uns in dieser Hinsicht jedoch vor ernst-

hafte Probleme. Denn ich hatte eine zehntägige Reise nach Island

geplant, wo ich die Erste Internationale Transpersonale Konferenz

besuchen wollte.

Zu meiner großen Überraschung und Freude beschloss Joan

plötzlich, sich Urlaub zu nehmen und mich zu begleiten. Wir tra-

fen uns auf dem Kennedy-Flughafen in New York und checkten

Page 53: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Regenbogenbrücke der Götter 53

bei Loftleidir, der isländischen Luftfahrtgesellschaft, für unseren

Flug nach Reykjavik ein. Zu der Zeit gab ich viele Workshops am

Esalen-Institut in Big Sur, Kalifornien, und anderen Teilen der Ver-

einigten Staaten. Ich musste also oft den »Express Rote Augen«

nehmen, wie ich die Nachtflüge zurück nach Baltimore nannte.

Ein Freund hatte mir für diese Gelegenheiten eine besondere Sü-

ßigkeit geschenkt, die er selbst herstellte. Sie erwies sich als per-

fekte Lösung für diese ungemütlichen, schlaflosen Flüge. Später

bekam ich von ihm das Rezept für dieses kulinarische Allheilmittel

bei Jetlag und anderen mit Langstreckenflügen verbundenen Unan-

nehmlichkeiten.

Die Leckerei meines Freundes sah aus wie ein arabisches Des-

sert aus Tausendundeine Nacht und schmeckte auch so. Sie bestand

aus gehackten Nüssen, Datteln, getrockneten Feigen und Rosinen,

zu kleinen Kugeln etwa in der Größe einer Walnuss gerollt. Die

wichtigste Zutat war »Bhang Ghee« (Hanf Ghee, Anm.d.Ü.), ge-

schmolzene Butter, die einen Extrakt aus Sinsemilla (Hanfsorte,

Anm.d.Ü.) und den getrockneten Blättern und Blüten der Hanf-

sorte enthielt, die in Big Sur heimisch war. Wenn ich lange Nacht-

flüge vor mir hatte, aß ich diese Süßigkeit, bevor ich an Bord des

Flugzeugs ging. Begann sie dann zu wirken, hatte ich einen äußerst

verfeinerten Geschmackssinn und mächtigen Appetit, sodass das

Abendessen im Flugzeug zu einer Feinschmeckerorgie für mich

wurde. Nach dem Essen legte ich meine Augenbinde an und hörte

Musik, bis ich einschlief. Nach einem guten Nachtschlaf wachte

ich entspannt und erfrischt auf, meistens genau zu der Zeit, wo das

Frühstück serviert wurde.

Um uns den Nachtflug nach Reykjavik zu versüßen, nahmen

Joan und ich beide zwei dieser magischen Kugeln. Bei der Landung

waren wir in einer euphorischen Stimmung, die (wie schon weiter

vorn erwähnt) unter Therapeuten als »psychedelisches Nachglü-

hen« bekannt ist. Auch an vielen weiteren Tagen unseres Aufent-

halts in Island waren wir in diesem besonderen Zustand. Wir mie­

Page 54: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

54 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

teten uns für die drei Tage vor Konferenzbeginn einen Landrover

und erkundeten die Insel. Die isländische Landschaft ist unglaub-

lich - majestätische, schneebedeckte Berge, Vulkankrater, funkeln-

de Gletscher, üppig grüne Wiesen und Weiden, kristallklare Bäche

und riesige Wasserfälle. Alles schien wie aus uralten Zeiten. Anfang

und Ende der Welt kamen hier zusammen.

Wir fanden einen idyllischen Ort in den Bergen, ein Ferienho-

tel mit mehreren Dachhütten, die, jede mit einem kleinen Privat-

Geysir und eigenem Pool, ziemlich weit voneinander und vom

Hotel entfernt in einer Märchenlandschaft lagen. Wir befanden uns

mehrere Autostunden entfernt im Norden von Reykjavik, weit hin-

ter dem Polarkreis. Fs war Ende Mai, und die Magie der weißen

Nächte, verzaubert durch unser »psychedelisches Nachglühen«,

wurde zur unvergesslichen Erfahrung. Wir kamen uns beide noch

näher und begannen mit dem Gedanken zu spielen, hier in dieser

wunderschönen isländischen Landschaft vor unserer Rückkehr

nach Hause zu heiraten.

Als der Aufenthalt in unserem kleinen Liebesnest zu Ende ging,

fuhren wir nach Bifrost, wo die Erste Internationale Transpersonale

Konferenz stattfinden sollte, um uns den anderen 70 Teilneh-

merinnen und Teilnehmern anzuschließen. Das Tagungszentrum

von Bifrost lag in einer erstaunlich schönen vulkanischen Land-

schaft. Es bestand aus einem Hauptgebäude, Unterkünften für die

Gäste und einer großen Sauna aus Holz. Für die Konferenz kamen

viele ganz besondere Menschen zusammen, darunter Joseph Camp-

bell und seine Frau Jean Erdman, der Philosoph und Reli-

gionsforscher Huston Smith, Walter Houston Clark, Professor für

Religionswissenschaften, und der isländische Mythenforscher Ei-

nar Palsson. Unter den Teilnehmenden befanden sich auch mein

Bruder Paul mit seiner Frau Eva und Joans und meine gemeinsame

Freundin Leni Schwartz, die uns zusammengebracht hatte.

Es ist bekannt, dass bei der Bevölkerung der Gebiete hinter

dem Polarkreis verblüffend häufig übersinnliche Phänomene auf­

Page 55: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Regenbogenbrücke der Götter 55

treten. Unser Aufenthalt in Island bestätigte das. Wir lernten viele

Menschen kennen, die präkognitive oder telepathische Fähigkeiten

besaßen, hellsichtig waren, einen Ruf als Heiler hatten, mit der

Wünschelrute umgehen konnten oder Elfen und Feen sahen. Auch

von den Teilnehmern unserer Konferenz in Bifrost hatten viele

außersinnliche Wahrnehmungen. Meine Erfahrungen in Island

halfen mir, ein Buch zu verstehen, das ich immer geliebt hatte:

Gösta Berling von Selma Lagerlöf - der ersten Frau, die den Nobel-

preis für Literatur erhielt. Die faszinierende Fähigkeit dieser Auto-

rin, Alltagsleben und mystische Reiche kunstvoll miteinander zu

verweben, hatte mich immer tief berührt.

Nach unserer Ankunft im Bifrost-Hotel tranken wir Tee mit

Leni Schwartz. Wir beschlossen, ihr zu erzählen, dass wir mit dem

Gedanken spielten, in Island zu heiraten. Aber wir hatten keine

Chance, ihr unsere interessanten Neuigkeiten mitzuteilen. »Ich

weiß, was ihr mir erzählen wollt: Ihr überlegt, hier zu heiraten«,

sagte sie und strahlte uns dabei an. Sie war so sicher, richtig gera-

ten zu haben, dass sie aufstand und wegging, ohne unsere Bestäti-

gung abzuwarten.

Später fanden wir heraus, dass sie diese Neuigkeit sofort in der

ganzen Gruppe verbreitete. Alle fanden die Aussicht auf ein Hoch-

zeitsritual aufregend, und schon kurz darauf begann die ganze

Gruppe mit den Vorbereitungen für die Zeremonie.

Einar Palsson, der isländische Mythologe, der seit zwanzig Jah-

ren nordische Mythologie studiert hatte, war vor allem zur Konfe-

renz gekommen, um Joseph Campbell, seinen Helden, kennenzu-

lernen. Die beiden führten viele tiefe Gespräche. Durch Joseph, der

ein unglaubliches, geradezu enzyklopädisches Wissen über Welt-

mythologie besaß, erfuhr Einar zum ersten Mal von der symbo-

lischen Bedeutung einiger Orte in Island und der magischen Sym-

bolik der mit ihnen verbundenen Zahlen. Als die beiden von der

geplanten Hochzeit hörten, beschlossen sie, für eine solide mytho-

logische Grundlage unserer Eheschließung zu sorgen.

Page 56: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

56 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

Sie rekonstruierten ein uraltes Hochzeitsritual der Wikinger, das

seit der Ankunft der Christen in IsIand nicht mehr praktiziert wor-

den war. Die Verbindung von Bräutigam und Braut spiegelte hieros-

gamos wider, die Heilige Vereinigung von Vater Himmel und Mut-

ter Erde, und das Symbol für diese Vereinigung war der Regenbogen.

Obwohl Joan und ich - außer natürlich uns gegenseitig - keiner

Menschenseele verraten hatten, dass wir heiraten wollten, waren

die Vorbereitungen für unsere Hochzeit in vollem Gange.

Ein isländisches Paar, Geir und Ingrid Vilhjamsson, hatte die

Konferenz organisiert. Ingrids Vater war Bürgermeister von Reykja-

vik, und ihre Mutter besaß noch ein altes isländisches Kostüm. Die

beiden brachten das Gewand als Hochzeitskleid für Joan aus Reyk-

javik mit, es passte ihr wie angegossen. Für mich wählten wir eine

wunderschöne handgestrickte isländische Jacke. In der konferenz-

freien Zeit waren alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer damit be-

schäftigt, Kostüme und Masken für das Hochzeitsritual anzufer-

tigen und das Menü für das Bankett zu planen. Joe Campbells Frau

Jean, eine begabte Tänzerin und Broadway-Choreographin, ent-

warf die Hochzeitszeremonie und probte sie mit der Gruppe.

Unsere Hochzeit begann nachmittags mit einer Reinigungsze-

remonie in der Sauna, die der isländischen Tradition entsprechend

für Braut und Bräutigam getrennt stattfand. Dann kämmten die

Frauen der Gruppe Joan das Haar und kleideten sie an, wobei sie

Lieder sangen und die Braut auf die Hochzeitsnacht vorbereiteten.

Angeleitet von Ingrid, versuchten sie, ihr modernes Denken abzu-

streifen und das Gespräch so zu führen, wie es in alten Zeiten bei

einem Anlass wie diesem stattgefunden haben mochte. Ich traf

mich mit den Männern aus der Gruppe, um Abschied von meinem

Junggesellendasein zu feiern. Wir tranken Met, sangen Lieder mit

entsprechenden Texten, und meine Freunde boten mir Unterstüt-

zung und Zuspruch an für das, was vor mir lag.

Nach der Sauna versammelten wir uns alle miteinander im

Speisesaal für das Festmahl. Das köstliche Menü bestand aus vielen

Page 57: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Regenbogenbrücke der Götter 57

Gaben der Erde und einer Auswahl an Süßwasserfisch und Meeres-

früchten. Die Farben, der Geschmack und der Anblick des Essens,

der gute Wein und das seltsame Licht der weißen Nacht verschwo-

ren sich zu einer magischen Atmosphäre. Als wir nach dem Essen

tanzten, schaute jemand aus dem Fenster und sah, dass es angefan-

gen hatte zu nieseln und gleichzeitig ein riesiger doppelter Regen-

bogen in unglaublich leuchtenden Farben den Himmel schmückte.

Alle liefen hinaus in den Regen und tanzten auf dem nassen Rasen

weiter.

Während wir im Haus ausgelassen und dionysisch getanzt hat-

ten, wurde der Rhythmus unserer Bewegungen hier draußen nun

entspannter und fließender und verlangsamte sich wie auf Anwei-

sung eines unsichtbaren Taktmeisters. Die Menschen bewegten

sich wie im Tai Chi - manche für sich allein, andere in Paaren oder

kleinen Gruppen. Dann legte jemand im Speisesaal eine entspre-

chende Musik auf, die meditativ und zeitlos klang und völlig im

Einklang war mit dem Rhythmus unseres Tanzens. Vor dem Hin-

tergrund des doppelten Regenbogens und beleuchtet vom ma-

gischen Licht der weißen Nacht, wirkte die Szene, als sei sie nicht

aus dieser Welt - surreal, wie in einem Film von Fellini.

Zu unserem Erstaunen erschien und verschwand der doppelte

Regenbogen dreimal. In unserer Stimmung lag es nahe, in diesem

zauberhaften Schauspiel ein äußerst verheißungsvolles Zeichen zu

sehen. Dieses unglaubliche himmlische Schauspiel hätte bereits

ausgereicht, um der Hochzeit den Nimbus des Göttliches zu verlei-

hen. Aber es gab noch weitere bemerkenswerte Synchronizitäten.

Wir fanden heraus, dass der Name des Ortes - Bifrost - in der alten

isländischen Sprache »Regenbogenbrücke der Götter« bedeutete,

und in dem uralten Hochzeitsritual der Wikinger, nach dem Joan

und ich heirateten, war der Regenbogen ein Symbol für die Verei-

nigung von Vater Himmel und Mutter Erde. Da drängte es sich

praktisch auf, in diesem Ereignis einen tieferen kosmischen Sinn

zu sehen.

Page 58: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

58 Teil 1: Das Mysteriurn der Synchr0nizität

Außerdem hatte der Regenbogen für mich eine tiefe persönliche

Bedeutung, die mit einer weiteren interessanten Synchronizität

zusammenhing. Im ersten Jahr meines Aufenthalts in den Vereinig-

ten Staaten lud ich meine Eltern ein. Wir reisten zwei Monate durch

das Land und verbanden Besuche bei berühmten Vertretern der

psychedelischen Forschung und der Bewusstseinsforschung mit

Besichtigungen und Camping in den Nationalparks und in ande-

ren landschaftlich schönen Gegenden. Erpicht darauf, möglichst

viel zu sehen, legten wir in den acht Wochen über 17.000 Meilen

zurück.

Natürlich durfte bei unserem ehrgeizigen Reiseprojekt auch

der spektakuläre Südwesten der USA nicht fehlen. Während dieser

Reise durchquerten wir am späten Nachmittag eines sehr heißen

Tages auf dem Weg nach Santa Fe gerade die Wüste von New

Mexiko, als es zu regnen begann. Nach stundenlanger, sengender

Hitze war dies eine sehr willkommene Abwechslung für uns. Hinter

uns ging die Sonne unter und schmückte den Himmel mit einem

prächtigen Schauspiel wunderschöner Farben. Plötzlich erschien

vor uns am Himmel ein zauberhafter Regenbogen. Die Straße ver-

lief schnurgerade, wie ein Pfeil schoss sie vor unserem Wagen auf

den Horizont zu und kreuzte ihn genau am unteren rechten Ende

des Regenbogens. Instinktiv trat ich aufs Gaspedal, denn ich wollte

möglichst dicht an den Regenbogen heranfahren, bevor er wieder

verschwand.

Doch der Regenbogen blieb am Himmel stehen und wurde,

während wir näherkamen, immer größer und leuchtender. In die-

sem Augenblick war es, als würden wir ein Tor durchschreiten und

eine andere Wirklichkeit betreten. Wir befanden uns plötzlich in

einem Reich von unbeschreiblicher Schönheit, wo hauchzarte

Schleier aus Regenbogenfarben wirbelnd um uns herumtanzten

und zu Myriaden kleiner Diamanten explodierten. Ich hielt an,

und wir drei saßen staunend da und bewunderten dieses unglaub-

liche Schauspiel. Für mich war dieses Ereignis die intensivste

Page 59: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Regenbogenbrücke der Götter 59

ekstatische Erfahrung, die ich in meinem Lehen ohne Einnahme

einer bewusstseinsverändernden Substanz oder andere Methoden

jemals machte. Sie hielt den ganzen Abend an, und selbst am nächs-

ten Morgen konnte ich noch spüren, wie sie in mir nachglühte.

Nachdem wir gut und fest geschlafen hatten, beschlossen wir

am nächsten Tag, das Museum für die Kunst der Navajo in Santa

Fe zu besuchen. Die Haupthalle besteht aus einem großen Raum,

der einer Kiva ähnelt, der unterirdischen Kammer für Zeremonien

der amerikanischen Pueblo-Indianer. Das auffallendste Ausstel-

lungsstück war hier eine dünne, stilisierte weibliche Figur, deren

Körper aus parallel verlaufenden Längsstreifen bestand. In U-Form

verlief sie um die ganze Halle mit Ausnahme des Eingangs, der auf

der einen Seite von ihrem Kopf und auf der anderen von ihrem

kurzen Rock und ihren Beinen flankiert wurde. Der Navajo-Führer

erklärte uns, dies sei das Regenbogenmädchen, eine bekannte und

beliebte Gottheit seines Volkes. Sie spiele in der Mythologie der

Navajo eine bedeutende Rolle, da Regen in dieser trockenen Ge-

gend so wichtig sei. Die Navajo glaubten, so erzählte er weiter, das

Regenbogenmädchen würde die Menschen, die es liebe, einhüllen,

umarmen und küssen. So schenkte es ihnen eine ekstatische Freu-

de, an die sie sich ihr Leben lang erinnerten. Im Grunde beschrieb

dieser Mann mit seinen Worten unser Erlebnis auf dem Weg nach

Santa Fe. Bis heute ist diese verheißungsvolle Erfahrung in meiner

Erinnerung lebendig.

Ort und Rahmen für unsere Hochzeitszeremonie in Bifrost hätten

nicht zauberhafter sein können. Um drei Uhr morgens, als die Son-

ne, die nur eine Stunde unterging, wieder am Horizont auftauchte,

wurden wir in einem alten Vulkankrater getraut. Joseph Campbell

spielte Joans Ersatzvater und führte sie zu einem improvisierten

Altar. Huston Smith leitete den Gottesdienst und traute uns. Als

Segensspruch verlas Walter Houston Clark Sarahs Schwur aus dem

Alten Testament: »Ich werde dahin gehen, wo du hingehst, und

Page 60: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

60 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

deine Leute werden meine Leute sein.« Nach dem Austausch von

Ringen nach Wikingerentwurf und Besiegelung unserer Vereini-

gung mit einem Kuss schritten wir durch das Spalier unserer

Freunde, die grün belaubte Zweige hielten und aussahen wie Mac-

duffs Armee aus Macbeth, die den Wald von Birnam zum Schloss

von König Duncan trägt.

Wir bekamen nur etwa eine Stunde Schlaf. Die Gruppe musste

am nächsten Tag früh aufbrechen, denn wir wollten eine lange

Wanderung zu einem von Islands spektakulärsten Gletschern ma-

chen. Nachdem ich eine Stunde gedöst hatte, wachte ich auf, bereit

zum Aufbruch. Sowie ich die Augen öffnete, spürte ich, dass irgend-

etwas nicht stimmte. Die Erregung und Ekstase des gestrigen Tages

waren völlig verllogen. Ich fühlte mich ernüchtert und bedrückt.

Die ganze Welle von Aufregung, die in den letzten Tagen über uns

hinweggeschwappt war, kam mir plötzlich illusorisch und trüge-

risch vor. Und, was noch schlimmer war, die Heirat mit Joan schien

mir plötzlich ein schwerer Fehler zu sein.

Unser Ziel an jenem Tag war eine primitive Unterkunft auf

einem von Islands größten Gletschern, die aus einem Gruppen-

schlafsaal und einem Finzelzimmer bestand. Die Gruppe beschloss

einhellig, dass diese kostbare Unterkunft Joan und mir als Hoch-

zeitszimmer für die nächste Nacht dienen solle. Fs gelang mir,

meine Zweifel für mich zu behalten, und nach außen hin wirkte

alles weiterhin wunderbar. In der Gruppe hallten noch immer die

Gefühle nach, die das Wikinger-Hochzeitsritual hei allen ausgelöst

hatte, und die höchst faszinierende isländische Landschaft trug zu

dieser Stimmung entsprechend bei. Nach einem großartigen Tag in

den Bergen und einer Übernachtung in der Hütte auf dem Glet-

scher kehrten wir nach Bifrost zurück, um dort die Konferenz mit

einer Zeremonie abzuschließen.

Das Treffen in Island, das erste einer ganzen Reihe von wei-

teren internationalen, transpersonalen Konferenzen, war für alle

Beteiligten ein unvergessliches Erlebnis, und unsere Hochzeit bil­

Page 61: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Regenbogenbrücke der Götter 61

dete mit Sicherheit dessen Höhepunkt. Als wir in die Vereinigten

Staaten zurückkehrten, begannen sich meine düsteren Vorah-

nungen jedoch zu bestätigen. Joan und ich waren kurz nach un-

serer Rückkehr mit zahlreichen verschiedenen Problemen konfron-

tiert, die unsere Beziehung belasteten.

Auf dem Weg zurück von Island unterbrachen wir unsere Reise

in Miami, wo Joan mich ihren Eltern, John und Eunice, vorstellte.

Bevor Joan sie aus Island anrief, um ihnen die Neuigkeiten über

unsere Hochzeit zu erzählen, wussten die beiden gar nicht, dass

ihre Tochter Heiratspläne hatte. Bei unserem Besuch wurde deut-

lich, dass ich den Ansprüchen der neureichen Welt, die ihr Haus in

Miami verriet, nicht entsprach. Sie akzeptierten mich zwar wider-

strebend, wahrscheinlich aber nur, weil sie Joans rebellischen Geist

kannten und auf Schlimmeres gefasst gewesen waren. Die ersten

drei Fragen, die Joans Vater stellte, nachdem Joan ihm von unserer

Heirat erzählt hatte, lauteten: »Ist er ein Schwarzer? Ist er Kommu-

nist? Trägt er einen Bart?« Er war erleichtert, als sie alle drei Fragen

mit Nein beantwortete.

Joan kündigte ihre Arbeit am anthropologischen Fachbereich

der Universität von Miami und zog zu mir nach Baltimore. Sie

machte mehrere vergebliche Versuche, eine Lehr- oder Forschungs-

stelle an der Johns-Hopkins-Universität oder an der Universität

von Maryland zu bekommen. Der Verlust ihrer Identität als akade-

mische Forscherin machte ihr emotional offensichtlich sehr zu

schaffen. Ich bot ihr an, sich an unserem Projekt der psychede-

lischen Therapie mit Krebskranken im Endstadium zu beteiligen.

Es machte ihr Freude, bei den LSD- und DPT(DipropyItryptamin)-

Sitzungen als Co-Therapeutin anwesend zu sein, aber sie bekam

dafür kein Geld, denn das Maryland-Psychiatric-Research -Center

hatte keine bezahlte Stelle zur Verfügung. Eine Reise nach Japan,

als Flitterwochen gedacht, verstärkte die Spannungen zwischen uns.

Glücklicherweise bot mir der Verlag Viking-Press ein Vor-

schusshonorar für zwei Bücher über LSD an. Bei einer Party in Leni

Page 62: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

62 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

und Bob Schwartz’s Haus in New York City trafen wir zufällig einen

alten Freund von mir, Michael Murphy, Mitbegründer des Esalen-

Instituts. Nach einem kurzen Gespräch lud Michael uns ein, als

Esalens Gäste nach Big Sur zu ziehen, und bot mir die Position

eines dort ansässigen Dozenten an. Ein Urlaub in Osterreich und

Italien sowie der Umzug nach Esalen entlasteten unsere Beziehung

vorübergehend, und für eine Weile atmeten wir auf. Es dauerte je-

doch nicht lange, und die Unterschiede zwischen uns traten so

deutlich hervor, dass sich unsere Beziehung rapide verschlechterte.

Eine Zeitlang gaben wir uns alle Mühe, an unserer Ehe festzu-

halten - vor allem, weil wir unsere Freunde von der Tagung in

Bifrost und besonders Joe Campbell nicht enttäuschen wollten, da

sie doch unsere wunderschöne Zeremonie gestaltet und mit uns

Hochzeit gefeiert hatten. Joe merkte in seinen Vorträgen oft kri-

tisch an, modernen Ehen fehle eine solide mythologische Grundla-

ge und schilderte bei diesem Anlass unsere Hochzeit in leuchten-

den Farben als Beispiel für eine mythologisch verankerte Ehe, die

ewig halten würde. Als unsere Ehe schließlich zerbrach und klar

wurde, dass eine Scheidung unvermeidlich war, gehörte der Um-

gang mit Joes Enttäuschung zu den schwierigsten Aspekten dieses

Prozesses.

Das isländische Abenteuer war eine faszinierende Erfahrung

mit archetypischen Energien, die in unseren Alltag einbrechen und

erstaunliche Synchronizitäten bewirken können. Sie brachte mir

jedoch eine wichtige Lektion bei: Ich lernte, der verführerischen

Macht solcher Erfahrungen, die das Ego verzaubern und erhöhen,

nicht bedingungslos zu vertrauen. Die ekstatischen Gefühle, die

das Auftauchen archetypischer Kräfte begleiten, sind keine Garan-

tie dafür, dass die Dinge sich zum Positiven entwickeln. Grundle-

gend ist, dass wir uns unter dem Bann dieser Kräfte nicht zu vor-

eiligen Handlungen verleiten lassen und keine wichtigen

Entscheidungen treffen, bevor wir nicht wieder mit beiden Beinen

auf dem Boden stehen.

Page 63: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das Spiel des Bewusstseins 63

Das Spiel des BewusstseinsSwami Muktananda und Siddha Yoga

eine Frau Christina und ich haben im Laufe der Jahre bei

unserer Arbeit viele bemerkenswerte Synchronizitäten

beobachtet und auch persönlich erlebt. Manchmal traten sie als

einzelne Ereignisse auf, zu anderen Zeiten gehäuft und regelrecht

in Serie. In einem bestimmten Zeitraum unseres Lebens, der sich

über acht Jahre erstreckte, hatten wir jedoch massenhaft Gelegen­

heit, Synchronizitäten zu erleben und zu beobachten. Damals stan­

den wir in enger Verbindung mit Swami Muktananda, einem in­

dischen spirituellen Lehrer und Oberhaupt der uralten Linie des

Siddha Yoga. Als Christina und ich uns 1975 in Big Sur, Kalifor­

nien, kennenlernten und schon bald darauf zusammenlebten und

-arbeiteten, war sie Schülerin und glühende Anhängerin von Swa­

mi Muktananda. Sie war ihm begegnet, als er auf seiner ersten Tour

um die Welt in Honolulu Halt machte, begleitet von Ram Dass,

dem bekannten Psychologieprofessor und psychedelischen For­

scher an der Harvard-Universität, der den Weg eines spirituellen

Suchers und Lehrers einschlug.

Christina erlebte zu jener Zeit ein heftiges Erwachen ihrer

Kundalini, das bei der Geburt ihres ersten Kindes, Nathaniel, be­

gonnen hatte und sich durch die Geburt ihrer Tochter Sarah zwei

Jahre später intensivierte und vertiefte. Laut yogischer Tradition ist

die Kundalini, auch Schlangenkraft genannt, die schöpferische

kosmische, ihrer Natur nach weibliche Energie, die verantwortlich

M

Page 64: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

64 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

ist für die Erschaffung des Universums. Ihr entspricht auch der

feinstoffliche Körper oder Energiekörper, ein Energiefeld, das den

menschlichen physischen Körper sowohl erfüllt und durchdringt

als auch umgibt. In latenter Form existiert sie am unteren Ende der

Wirbelsäule im Bereich des Kreuzbeins. Kundalini bedeutet wört-

lich »die Zusammengerollte«, und die Kundalini-Energie wird

meistens dargestellt als Schlange, die sich dreieinhalb Mal um den

Lingam wickelt, das Symbol der männlichen Schöpferkraft. Diese

schIafende Energie kann durch Meditation, bestimmte Übungen,

Vermittlung eines erfahrenen spirituellen Lehrers (Guru) oder Ur-

sachen unbekannter Art aktiviert werden.

Die aktivierte Kundalini, Shakti genannt, steigt durch Nadis -

Kanäle oder Röhren - im feinstofflichen Körper aufwärts. Auf

ihrem Weg nach oben klärt sie alte traumatische Prägungen und

öffnet die Zentren für psychische und spirituelle Energien, die Cha-

kren genannt werden. Das Erwachen der Kundalini fördert also die

Heilung, die spirituelle Öffnung und die positive Transformation

der Persönlichkeit. Dieser Prozess, in der yogischen Tradition

hochgeschätzt und äußerst positiv dargestellt, ist jedoch nicht un-

gefährlich und erfordert die erfahrene Anleitung durch einen Guru,

dessen Kundalini voll erwacht ist und sich stabilisiert hat. Am dra-

matischsten manifestiert sich das Erwachen der Kundalini in Form

der physischen und psychischen Anzeichen, die Kriyas heißen.

Kriyas sind intensive Empfindungen von Energie und Hitze, die an

der Wirbelsäule im Körper nach oben strömen und begleitet sein

können von heftigem Zittern sowie zuckenden und spastischen

Bewegungen.

Mächtige Wogen von scheinbar unmotivierten Emotionen wie

Angst, Wut, Traurigkeit oder Freude und Ekstase können dabei

hochkommen und die Psyche vorübergehend völlig beherrschen.

Oft gehen diese Gefühle auch einher mit intensiven Lichterschei-

nungen oder dem Auftauchen archetypischer Wesen und der inne-

ren Wahrnehmung verschiedener Töne und Klänge. Manche Men­

Page 65: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das Spiel des Bewusstseins 65

schen machen bei diesem Prozess eindringliche Erfahrungen, die

offensichtlich Erinnerungen aus vergangenen Leben sind. Unwill-

kürliches und oft unkontrollierbares Verhalten unterschiedlichster

Art vervollständigt das Bild: Die Betroffenen reden in verschiedenen

»Zungen« , singen ihnen unbekannte Lieder oder heilige Anrufungen

(Mantras), nehmen Yoga-Haltungen (Asanas) ein, machen be-

stimmte Gesten (Mudras), äußern sich in Tierstimmen und bewe-

gen sich entsprechend.

Swami Muktananda stand in dem Ruf, ein vollkommen er-

wachter Meister und vollendeter Kundalini-Yogi zu sein, der in sei-

nen Schülerinnen und Schülern spirituelle Energie aktivieren

konnte. Christina erfuhr durch Freundinnen von seinem Besuch

auf Hawaii und beschloss daraufhin, an einem »Intensive« teilzu-

nehmen, wie Muktananda seine Wochenendworkshops nannte. In

einer der Meditationen bei diesem Retreat empfing Christina von

ihm Shaktipat: Das ist der Sanskritname für die Ubertragung spiri-

tueller Energie durch den Guru, die durch eine Berührung, einen

Blick oder reine Gedankenkraft übermittelt wird. Bei Christina ge-

schah diese machtvolle Energieübertragung, als Muktananda sie

anschaute und ihre Augen sich begegneten. In diesem Moment traf

sie aus den Augen des Gurus ein Blitzstrahl zwischen die eigenen

Augen, und zwar dort, wo sich laut östlichen spirituellen Traditi-

onen das »Dritte Auge« befindet. Dieser Blick löste bei ihr inten-

sive Kriyas aus, Wellen von überwältigenden Emotionen und ein

Zittern am ganzen Körper.

Dieses Erlebnis mit Muktananda verstärkte bei Christina das

Erwachen der Kundalini, das bereits vor ihrer Begegnung mit ihm

eingesetzt hatte. Es war der Beginn ihrer wichtigen Beziehung mit

diesem bemerkenswerten Siddha-Yogi, die bis 1982 dauerte, als er

im Alter von 74 Jahren starb. Nach dem Wochenend-Retreat stellte

Christina Muktanandas Schülerinnen und Schülern ihre kleine

Wohnung in Honolulu zur Verfügung, wo sie seit der Scheidung

mit ihren Kindern Than und Sarah lebte. Muktananda nahm ihr

Page 66: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

66 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

Angebot an, besuchte ihre Räume und segnete sie als Siddha-Yoga-

Meditationszentrum. Nachdem sie aus Hawaii weggegangen war,

versuchte Christina jede Gelegenheit zu nutzen, ihrem Lehrer wie-

der zu begegnen.

Kurz nachdem Christina und ich unser gemeinsames Leben in

Esalen aufgenommen hatten, kam Swami Muktananda in die Bay

Area, um sich für einige Monate in seinem Ashram in Oakland, in

der Nähe von San Francisco, aufzuhalten. Oakland liegt nur etwa

drei Stunden Autofahrt entfernt von Big Sur, wo wir lebten, und

Christina ergriff die Gelegenheit, um für uns beide eine persön-

liche Audienz (einen Darshan) mit ihrem spirituellen Lehrer zu

organisieren. Wie ich später erfuhr, war Sie unsicher, ob Swami

Muktananda unsere Beziehung gutheißen würde, und wollte he-

rausfinden, wie er dazu stand. Ich konnte ihre Bedenken natürlich

gut verstehen. Als »transzendentaler Hedonist«, wie ich mich selbst

oft witzelnd nannte, entsprach ich nicht unbedingt den konventio-

nellen indischen Kriterien für einen ernsthaften spirituellen Sucher.

Ich war kein Vegetarier, hatte Freude an Sex und war bekannt für

meine Arbeit mit LSD und anderen psychedelischen Substanzen.

Ich hatte schon von Swami Muktananda gehört, bevor ich

Christina kennenlernte, und Gelegenheit gehabt, einen flüchtigen

Blick in das Manuskript seiner Autobiographie zu werfen, das den

Titel Guru trug und später als Paramahansa. Spiel des Bewusstseins.

Eine spirituelle Biographie erschien (Siddha Yoga Verlag, Telgte 2001,

Anm.d.Ü.). Ich war nicht besonders erpicht darauf, nach Oakland

zu fahren und ihn kennenzulernen, denn er löste bei mir gemischte

Gefühle aus. Zwei meiner Freunde waren zu Siddha Yoga überge-

treten und verehrten Muktananda auf ziemlich unkritische Weise,

wie mir schien. Sie waren mit Sicherheit nicht die beste Werbung

für Muktananda und seinen Einfluss auf Menschen, die sich als

seine Anhänger verstanden. Das Verhalten meiner Freunde hatte

sich nach dem Besuch eines Intensivwochenendes mit Muktanan-

da drastisch verändert und in Esalen viel Wirbel verursacht. Statt

Page 67: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das Spiel des Bewusstseins 67

einen Workshop zu dem Thema zu machen, das sie im Prospekt

von Esalen angekündigt hatten, brachten sie beispielsweise kleine

Trommeln und Zimbeln mit in ihr Seminar und wollten mit den

Teilnehmern »Shree Guru Gita«, »Om Namah Shivaya« und ande-

re hinduistische Anbetungen singen.

Bhakti Yoga aIs eine Form von hingebungsvoller Anbetung ist

nie meine spirituelle Lieblingspraxis gewesen. Laut uralter indi-

scher Tradition brauchen und suchen Menschen aufgrund ihrer

unterschiedlichen Persönlichkeiten auch verschiedene Formen von

Yoga. Während Christinas Vorliebe ganz klar Bhakti Yoga galt, wo

die Betonung auf der Hingabe an den Guru liegt, fühlte ich mich

sehr hingezogen zum Jnana Yoga, bei dem der Intellekt durch spi-

rituelle Übungen so weit an seine Grenzen gebracht wird, dass er

aufgeben muss. Ich war auch sehr einverstanden mit Raja Yoga, wo

es vor allem um psychologische Experimente und direkte Erfah-

rungen mit dem Göttlichen geht. Und ich konnte auch Karma Yoga

ohne weiteres akzeptieren, bei dem der Schwerpunkt darauf liegt,

durch Dienen karmische Verdienste zu erwerben. Bhakti Yoga

jedoch rangierte auf meiner Werteskala ziemlich weit unten.

Da ich aber von Natur aus ziemlich neugierig bin, hielten mich

meine Vorbehalte in Bezug auf die Praxis der Hingabe nicht davon

ab, einen Siddha-Yoga-Guru mit dem Ruf Muktanandas kennenzu-

lernen. Und ich wusste, dass dieser Darshan für Christina Sehr

wichtig war. Während wir in Richtung Bay Area fuhren, erzählte

mir Christina ein paar bemerkenswerte Geschichten über ihren

spirituellen Lehrer, um mich auf unsere Begegnung vorzubereiten.

Vorzeitig angekommen, warteten wir im Auto auf den Darshan

und setzten dabei unser Gespräch über Swami Muktananda fort.

An einem Punkt erwähnte Christina, dass er Shaivite war, ein An-

hänger Shivas. Da horchte ich auf, und meine Neugier auf unsere

Begegnung wuchs. Ich wusste, dass die Shaivites, um sich in au-

ßergewöhnliche Bewusstseinszustände zu versetzen, unter ande-

rem auch Bhang und Daturasamen einnahmen. Und Shiva ist mein

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68 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

wichtigster persönlicher Archetyp, denn die beiden tiefsten und

bedeutsamsten Erfahrungen, die ich in meinen psychedelischen

Sitzungen jemals machte, hingen mit dieser indischen Gottheit zu-

sammen. Ich gab Christina damals im Auto eine ziemlich ausführ-

liche Beschreibung dieser beiden Erlebnisse.

Meine erste Begegnung mit Shiva hatte ich in einer meiner

ersten LSD-Sitzungen, als ich noch in Prag lebte. Die ersten vier

Stunden dieser Sitzung verbrachte ich im Geburtskanal und durch-

lebte noch einmal das Trauma meiner Geburt. Als ich aus dem

Geburtskanal hervorkam, bedeckt mit Blut und den Geschmack

von vaginalen Sekreten auf der Zunge, hatte ich eine erschreckende

Vision von der hinduistischen Göttin Kali und erlebte die vollstän-

dige und bedingungslose Hingabe an die Macht des weiblichen

Prinzips im Universum. In jenem Augenblick sah ich eine riesige

Gestalt von Bhairava - Shiva in seinem zerstörerischen Aspekt -,

die sich vor mir auftürmte. Ich hatte das Gefühl, dass mich sein

Fuß zermalmte und wie ein Stück Exkrement im tiefsten Abgrund

des Universums verschmierte. Es war eine vollständige Auslö-

schung dessen, was ich bislang als meine Identität betrachtet hatte,

ein vernichtender Tod meines Körpers und meines Egos. Doch

kaum war ich zu nichts geworden, wurde ich zu allem. Es war, als

löste ich mich auf in eine Lichtquelle von unbeschreiblicher Inten-

sität und erlesener Schönheit. Da begriff ich, dass ich die in alten

indischen Schriften geschilderte Vereinigung von Atman und Brah-

man erlebte.

Meine zweite Begegnung mit Shiva fand viele Jahre später bei

einer Visionssuche in der Ventana-Wildnis in Big Sur statt. In einer

LSD-Sitzung, die die ganze Nacht über dauerte und in einem klei-

nen Tal der Redwood-Wälder neben einem Wasserfall stattfand,

hatte ich eine Vision von einem riesigen archetypischen Fluss, der

die Zeit und die Vergänglichkeit aller Schöpfung darstellte. Fr floss

zurück in das, was offensichtlich die Quelle aller Existenz war -

eine enorme Kugel aus leuchtender Energie, die bewusst und un­

Page 69: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das Spiel des Bewusstseins 69

endlich intelligent, kreativ und destruktiv zugleich war. Ich hörte

verlockende Klänge und wusste sofort: Es war Dambaru, die Trom-

mel von Shiva Bhairava, dem Zerstörer, der der gesamten Schöp-

fung befahl, dorthin zurückzukehren, woher sie kam.

Vor meinen Augen entfaltete sich die gesamte Geschichte des

Universums und der Erde. Wie in einem Film, der sich unglaub-

lich schnell abspult, sah ich die Geburt, Entwicklung und den Tod

von Galaxien und Sternen. Ich war Zeuge des Anfangs, der Evolu-

tion und Auslöschung ganzer Spezies und sah, wie Kulturen und

Dynastien ihren Anfang nahmen, aufblühten und sich ihrer Zerstö-

rung stellen mussten. Am deutlichsten erinnere ich aus dieser Sit-

zung eine Prozession von Dinosauriern in allen möglichen Gestal-

ten und Größen, die, nachdem sie Millionen von Jahren existiert

hatten, den Fluss der Zeit betraten und darin verschwanden. Und

wie ein prächtiges, kosmisches Hologramm schimmerte durch die-

se erstaunliche Szene die riesige Gestalt eines Shiva Nataraj, Gott

des kosmischen Tanzes, der seinen Tanz vom Universum aufführte.

Als sich meine Aufmerksamkeit nach Sonnenaufgang allmählich

von meiner Innenwelt löste und ich die unglaubliche Schönheit

der Natur um mich herum wahrnahm, klang in meinen Ohren

noch stundenlang der unwiderstehlich verführerische Gesang »Om

hare Om, hare Om, Shri Om« nach, den ich bei dieser unvergess-

lichen Erfahrung wie ein Leitmotiv des Flusses der Zeit fortwäh-

rend hörte.

lch hatte Christina diese beiden Erfahrungen, die mein Leben ver-

änderten, gerade zu Ende erzählt, da wurde es Zeit für unseren

Darshan. Als wir den Raum betraten und ich Swami Muktananda

sah, war ich tief beeindruckt von seiner ungewöhnlichen Erschei-

nung. Er trug eine dicke rote Pudelmütze, eine große dunkle Brille

und den Lunghi, eine orangefarbene Robe. In seiner rechten Hand

hielt er einen Stab aus Pfauenfedern, die - wie ich später heraus-

fand - mit duftender Sandelholz-Essenz getränkt waren. Dieser

Page 70: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

7o Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

Stab war Swami Muktanandas wichtigstes Werkzeug, um Shaktipat

zu übertragen, indem er dem Einweihungskandidaten damit auf

den Kopf schlug.

Baba, wie seine Anhängerinnen und Anhänger ihn Iiebevoll

nannten, lud mich ein, neben ihm Platz zu nehmen, und wandte

sich mir zu. Er nahm seine dunkle Brille ab, was er sehr selten tat,

und inspizierte mein Gesicht mit einem langen, unverwandten

Blick aus nächster Nähe. Wie in einer Nahaufnahme sah ich seine

stark erweiterten Pupillen, die auf den Augäpfeln zu schwimmen

schienen. Das kannte ich bereits von Klienten, die eine hohe Dosis

LSD genommen hatten. Er konzentrierte sich auf meine Augen und

untersuchte sie mit der Gründlichkeit eines Augenarztes. Wie um

seine Untersuchungsergebnisse zusammenzufassen, sagte er plötz-

lich einen Satz, der mir einen Schauer über den Rücken jagte: »Ich

kann wohl sehen, dass du ein Mann hist, der Shiva begegnet ist.«

Ich war verblüfft über diese außergewöhnliche Synchronizität.

Muktananda sagte diese Worte nur wenige Minuten, nachdem ich

Christina von den Erlebnissen mit Shiva erzählte hatte, die so

wichtig für mein Leben waren. Es war absolut unmöglich, dass er

diese Dinge durch die üblichen Informationskanäle erfahren hatte.

Schwer vorstellbar war auch, dass es sich hier lediglich um einen

bedeutungslosen Zufall handelte. Die Wahrscheinlichkeit, dass

eine so spezielle Situation wie diese sich rein zufällig ergeben hatte,

war so gering, dass man sie praktisch ausschließen konnte. Es gab

nur zwei mögliche Erklärungen: Swami Muktananda hatte auf pa-

ranormalen Wegen Zugang zu den Ereignissen in seiner Umgebung

oder war selbst Teil eines Energiefelds, in dem bedeutungsvolle

Synchronizitäten im jungschen Sinne verstärkt auftraten.

Nach diesen ersten Ereignissen wuchs meine Neugier auf

Munktananda beträchtlich und auch mein Interesse, noch mehr

Zeit mit ihm zu verbringen. Im Vergleich zu dieser dramatischen

Eröffnung war das nachfolgende Gespräch zwischen uns zunächst

etwas enttäuschend, obwohl unser Thema vom beruflichen Stand­

Page 71: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das Spiel des Bewusstseins 71

punkt aus ziemlich interessant für mich war. Muktananda, der

wusste, dass ich mit LSD gearbeitet hatte, äußerte sich über die

Anwendung psychoaktiver Substanzen in der spirituelIen Praxis.

Er war überzeugt, dass die Erfahrungen, die sie auslösten, den Er-

lebnissen, die Menschen im Siddha Yoga suchten, ziemlich ähnlich

waren.

»Ich weiß, dass Sie mit LSD gearbeitet haben«, teilte er mir

durch seine Ubersetzerin mit. Sie hieß Malti und war eine junge

indische Frau, die er viele Jahre später unter dem Namen Swami

Chitvilasananda zu seiner Nachfolgerin bestimmte. »Wir machen

hier etwas ganz Ähnliches. Aber im Siddha Yoga zeigen wir Men-

schen nicht nur, wie sie high werden, sondern auch, wie sie es

bleiben können«, sagte er selbstbewusst. »Mit LSD können Sie

großartige Erfahrungen machen, aber die verpuffen wieder. Es gibt

in Indien viele ernsthaft Suchende, Brahmanen und Yogis, die für

ihre spirituelle Praxis heilige Pflanzen benutzen«, fuhr Swami

Muktananda fort, »aber die wissen, wie man das richtig macht.«

Dann erläuterte er mir, wie wichtig es sei, heim Anbau, Präpa-

rieren und Rauchen oder Einnehmen von indischem Hanf (Canna-

bis indica) in Form von Bhang, Ganja oder Charas respektvoll vor-

zugehen, und kritisierte den nachlässigen und wenig ehrerbietigen

Umgang der jungen Generation im Westen mit Marihuana und Ha-

schisch. »Die Yogis kultivieren und ernten die Pflanze sehr bewusst

und mit großer Achtung«, sagte er. »Zuerst wird sie zwei Wochen

in Wasser eingeweicht, um sie von allen giftigen Bestandteilen zu

reinigen, und dann getrocknet. Dann kommt sie in eine Chilam

(eine spezielle Pfeife) und wird geraucht. Und dann wälzen sich

die Yogis in Ekstase nackt im Schnee und Eis des Himalaja.« Er

begleitete seine Schilderung, wie man die Chilam raucht und in

welche Ekstase die Yogis dadurch geraten, mit lebhaften Gesten

und Grimassen, als berichtete er von eigenen Erinnerungen.

Im Verlauf unseres Gesprächs fragte ich Baba auch nach Soma,

dem heiligen Trank aus dem alten Indien, der in der Rig Veda über

Page 72: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

72 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

tausend Mal erwähnt wird und in der vedischen Religion eine ganz

wesentliche Rolle spielt. Man stellte dieses Sakrament aus der

gleichnamigen Pflanze her, deren Identität im Laufe der Jahrhun-

derte in Vergessenheit geriet. Ich fand die Berichte über Soma fas-

zinierend und hoffte, Swami Muktananda könne mir mit Hinwei-

sen helfen, diese Pflanze botanisch zu bestimmen und ihren aktiven

Wirkstoff herauszufinden. Zu der Zeit hatten viele von uns, die

sich mit psychedelischer Forschung befassten, den Traum, das Ge-

heimnis von Soma zu entdecken.

Muktananda verwarf die Theorie des Mykologen Gordon Was-

son, der behauptete, diese Pflanze sei Amanita muscaria, Fliegen-

pilz. Er versicherte mir, Soma sei kein Pilz, sondern ein »Kriechge-

wächs«. Das überraschte mich nicht besonders, sondern schien

Sinn zu machen, denn ein weiteres wichtiges Präparat auf der psy-

chedelischen Arzneimittelliste, das berühmte heilige Ololiuqui aus

Mittelamerika, enthielt die Samen der Purpurwinde (Ipomoea viola-

cea), die ebenfalls den Kriechgewächsen zugeordnet wird, weil sie

mit Hilfe von Ranken wächst.

Doch was dann kam, war für mich eine große Überraschung.

Baba wusste nicht nur, waS Soma war, sondern versicherte mir,

dass es in Indien bis auf den heutigen Tag angewendet wird. Tat-

sächlich stand er in regelmäßigem Kontakt mit vedischen Priestern,

die diese Substanz bei ihren Ritualen einsetzten. Und laut Baba

kamen einige dieser Priester tatsächlich jedes Jahr aus den Bergen

hinunter nach Ganeshpuri, einer kleinen Stadt südlich von Bom-

bay, wo Sein Ashram stand, um seinen Geburtstag mit ihm zu fei-

ern. Zu diesem Anlass hielten sie regelmäßig Zeremonien mit Soma

ab. Am Ende unseres Gesprächs lud Baba auch Christina und mich

ein, seinen Ashram zur Zeit seines Geburtstags zu besuchen und

versprach, dafür zu sorgen, dass wir an diesem uralten Ritual teil-

nehmen konnten.

Bislang war dieser Darshan offensichtlich überwiegend so

etwas wie ein Fachgespräch gewesen, bei dem wir Informationen

Page 73: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das Spiel des Bewusstseins 73

über die »Technologien des Heiligen« austauschten. Doch dann

nahm er plötzlich eine überraschende Wende. Ohne jede Vorherei-

tung oder Vorwarnung griff Muktananda brüsk nach einer rosa

Dose mit Mandelriegeln, die neben ihm auf einem Tischchen stand.

Im Ashram standen überall Süßigkeiten herum, weil Baba verbrei-

tet hatte, Shakti, die göttliche weibliche Energie, habe eine große

Vorliebe für Süßes. Im Amrit, der Cafeteria, servierte man dem-

zufolge eine große Auswahl an phantastischen Süßspeisen. Mukta-

nanda fischte jetzt aus der Dose zwei süße Riegel, wickelte sie ge-

schickt aus und stopfte sie mir in den Mund, während er mich

gleichzeitig ziemlich heftig auf beide Wangen und dann auf die

Stirn schlug und mich vor die Schienbeine trat.

Dann stand er auf und gab uns zu verstehen, dass der Darshan

beendet war. Als wir schon an der Tür waren, schaute er Christina

und mich an und sagte: »Nun, wir veranstalten zwei Intensivwo-

chenenden zu Kaschmir Shivaismus. Ich lade euch beide als meine

Gäste ein.« Bevor ich aus dem Zimmer ging, warf er mir einen be-

deutungsvollen Blick zu und sagte: »Das wird für dich sehr interes-

sant.« Zu der Zeit wusste ich gar nichts über Kaschmir Shivaismus.

Ich konnte dem Namen lediglich entnehmen, dass das irgendetwas

mit Shiva und Kaschmir zu tun haben musste. Wir bedankten uns

bei Muktananda, verabschiedeten uns und traten aus dem Dar-

shan-Raum in die weitläufige Meditationshalle des Ashrams.

Draußen vor der Tür hatten sich eine Menge Leute versammelt, die

auf uns warteten. Bei den meisten von ihnen handelte es sich of-

fensichtlich um Menschen, die aufgrund ihrer Drogenerfahrungen

zum Siddha Yoga gekommen waren. Sie vermuteten, dass mein

Gespräch mit Muktananda auch um psychedelische Substanzen

gekreist habe, und wollten wissen, ob er irgendetwas Wichtiges zu

diesem Thema gesagt hatte. Ich musste durch ein ganzes Spalier

von Leuten laufen, die mich mit Fragen überhäuften wie: »Worü-

ber habt ihr geredet? Hat Baba irgendwas über Acid (LSD, Anm.

d.Ü.) gesagt? Findet Baba Drogen okay?«

Page 74: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

74 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

Ich verspürte nicht die geringste Neigung, mit diesen Leuten in

Kontakt zu treten. Ich fühlte mich körperlich irgendwie merkwür-

dig, und mein Kopf drehte sich. Ich machte mich von der Menge

frei, entschuldigte mich und verzog mich in die hinterste Ecke der

Meditationshalle. Dort saß ich mit gekreuzten Beinen, den Rücken

an die Wand gedrückt und die Augen geschlossen. Ich hatte das

Gefühl, mir so am besten klar machen zu können, was da gerade

mit mir passierte.

Siddha Yogis haben den Ruf, durch Shaktipat die außersinn-

lichen Kräfte von Menschen aktivieren zu können, und mir war

klar, dass Muktananda entsprechend mit mir gearbeitet hatte. Ich

glaubte jedoch, nicht besonders empfänglich für diese Dinge zu

sein, und hatte nicht erwartet, dass bemerkenswerte Reaktionen

bei mir auftraten. Damals ging ich davon aus, dass nur wirkungs-

volle psychoaktive Drogen mein Bewusstsein nachhaltig verändern

konnten. Und obwohl ich aus der Literatur und von Christina

wusste, dass Shaktipat Kriyas auslösen kann - also intensive Emo-

tionen, unwillkürliche Töne und heftige körperliche Reflexe

kamen meine eigenen Reaktionen für mich völlig überraschend.

Kaum hatte ich die Augen geschlossen, befand ich mich in

einem Zustand vollkommenen Nichts und vollkommener Leere,

einer Leere von kosmischen Dimensionen. Das fühlte sich in etwa

an, als habe man mich irgendwo mitten im interstellaren Raum

zwischen Planet Erde und Alpha Centauri ausgesetzt. Das istjedoch

nur eine ziemlich oberflächliche Beschreibung dieser Erfahrung,

die das Gefühl tiefen Friedens und tiefer Ruhe ausließ und auch

die ungewöhnlichen metaphysischen Einsichten, die damit ver-

bunden waren. Ich befand mich in einem Zustand, der alle Polari-

täten transzendierte und in dem ich die gesamte Existenz total ver-

stand. Auf irgendeine Weise enthielt dieses kosmische Vakuum das

Geheimnis des ganzen Seins und aller Schöpfung. Als ich die Au-

gen wieder öffnete, stellte ich fest, dass seit dem Ende des Dar-

shans mehr als eine Stunde vergangen war.

Page 75: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das Spiel des Bewusstseins 75

Wir freuten uns über Babas Einladung zu den Intensivwochenen-

den über Kaschmir Shivaismus und nahmen sie gern an; Christina,

weil sie diesen Guru verehrte, und ich, weil ich aufgrund der eigen-

artigen Synchronizitäten und dieser ungewöhnlichen Erlebnisse

neugierig geworden war. Der erste Intensivworkshop erwies sich

als weitere Überraschung und war hochinteressant. Er begann mit

einem Einführungsvortrag über Kaschmir Shivaismus, den Swami

Tejo hielt, ein Mitglied des engeren Kreises um Muktananda. Wäh-

rend der Swami seine Rede hielt, wuchs meine Verblüffung, und

ich bekam leichte Anwandlungen von Paranoia. Er schien Passa-

gen aus einem Artikel wiederzu geben, den ich vor mehreren Jah-

ren für eine der letzten Ausgaben eines kurzlebigen, obskuren, re-

gelmäßig erscheinenden Magazins, das Journal for the Study of

Consciousness, geschrieben hatte. Die Parallelen waren erstaunlich

und betrafen sogar ganz bestimmte Bilder und Vergleiche, die ich

herangezogen hatte.

Gegen Ende der 1960er-Jahre, als ich noch am Maryland-Psy-

chiatric-Research-Center arbeitete, hatte ich beschlossen, einen

Text zu verfassen, in dem ich die ontologischen und kosmolo-

gischen Einsichten beschreiben wollte, zu denen Menschen in

außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen Zugang bekommen

können. Der Artikel beruhte auf Beobachtungen in über 5000 psy-

chedelischen Sitzungen, die meine Kollegen und ich in Prag und

Baltimore durchgeführt hatten. Ich konzentrierte mich auf die Ab-

schnitte in den Berichten unserer Patientinnen und Patienten, in

denen sie grundlegende Fragen der Existenz aufgriffen und Ant-

worten darauf fanden - das Wesen der Realität, das Mysterium des

schöpferischen Prinzips im Kosmos, die Erschaffung des Univer-

sums, die Beziehung zwischen Mensch und Göttlichkeit, die Rolle

des Bösen im universalen Gewebe, Reinkarnation und Karma, das

Rätsel von Zeit und Raum und Ähnliches mehr.

Zu meiner Überraschung fand ich heraus, dass sich die indivi-

duellen metaphysischen Einsichten meiner Patienten verblüffend

Page 76: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

76 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

ähnelten und verschiedene Teilaspekte einer einzigen, umfas-

senden kosmischen Sicht darstellten. Die ungewöhnliche Wahr-

nehmung des Kosmos und der menschlichen Existenz, die sich aus

dieser Analyse ergab, unterschied sich radikal von der, welche die

newtonsche-kartesianische materialistische Wissenschaft formu-

lierte. Sie hatte jedoch erstaunliche Ähnlichkeit mit den spiritu-

ellen Systemen, die Aldous Huxley als »ewige Philosophie« be-

zeichnete (siehe auch S. 343, 413).

Beeindruckend war auch, dass viele Aspekte dieser Sichtweise

in Einklang mit der Weltanschauung der relativistischen Quanten-

physik und anderen revolutionären Fortschritten in den modernen

Wissenschaften standen, die meistens als das »neue« oder »neu

auftauchende« Paradigma bezeichnet werden. Der Artikel, in dem

ich diese Ergebnisse unter dem Titel »LSD and the Cosmic Game:

Outline of Psychedelic Cosmology and Ontology« (LSD und das

kosmische Spiel: Entwurf einer psychedelischen Kosmologie und

Ontologie, Anm.d.Ü.) erläuterte, war 1972 erschienen, also drei

Jahre vor unserem Intensivwochenende in Oakland. 26 Jahre spä-

ter wurde er zur Grundlage für mein Buch Kosmos und Psyche. An

den Grenzen menschlichen Bewusstseins (1998).

Und in seinem Einführungsvortrag für das Oakland Intensiv-

wochenende schien Swami Tejo meine Ideen schamlos zu plagiie-

ren. Ich brauchte eine Weile, bevor mir klar wurde, dass er in

Wirklichkeit den Kaschmir Shivaismus erläuterte und nicht Passa-

gen aus meinem Text vortrug. Das war wirklich erstaunlich, denn

zwischen den Ursprüngen dieser spirituellen Philosophie und den

Einsichten meiner Patienten lagen mehr als ein Jahrtausend und

Tausende von Meilen Abstand. Die Anfänge des Kaschmir Shivais-

mus können bis ins 8. Jahrhundert nach Christi Geburt zurückver-

folgt werden, als ein kaschmirischer Weiser eine Vision hatte, in

der er Anweisung enthielt, einen bestimmten Ort außerhalb von

Shrinagar, der Landeshauptstadt, aufzusuchen. Dort fand er in Stein

gemeißelte, heilige Inschriften, die später zu den Shiva Sutras wur­

Page 77: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das Spiel des Bewusstseins 77

den, der Heiligen Schrift des Kaschmir Shivaismus. Niemand

wusste, wer sie verfasst hatte oder wie lange sie dort vor ihrer Ent-

deckung bereits existiert hatten.

Es war schwer zu glauben, dass die Erfahrungen von Men-

schen aus dem 20. Jahrhundert, Zentraleuropäern slawischer oder

jüdischer Herkunft, kaukasischen Amerikanern und Afroamerika-

nern, die LSD-25 genommen hatten, so grundlegende Ahnlich-

keiten mit Passagen aus den uralten kaschmirischen Texten auf-

wiesen. Welche Beziehung bestand zwischen den Wirkungen einer

halbsynthetischen, psychoaktiven Substanz, die ein Schweizer

Chemiker durch einen merkwürdigen glücklichen Zufall entdeckt

hatte, und den philosophischen Einsichten, die in den Schriften

einer uralten spirituellen Disziplin beschrieben wurden? Und wel-

che Erklärung gab es für die Tatsache, dass es sich hier nicht um

verschwommene Phantastereien aus der individuellen Psyche von

Menschen handelte, sondern diese Einsichten sich zu einer ein-

heitlichen, konsistenten, vollständigen und umfassenden Sicht des

Kosmos zusammenfügten?

Ich brauchte eine Weile, um die Lösung dieses Rätsels heraus-

zufinden, aber als ich sie erst einmal hatte, schien die Antwort

ziemlich offensichtlich: LSD war kein pharmakologischer Wirk-

stoff, der durch Interaktion mit den neurophysiologischen Prozes-

sen im Gehirn exotische Erfahrungen auslöste. Diese bemerkens-

werte Substanz war ganz klar ein unspezifischer Katalysator der

Dynamiken, die sich tief in der menschlichen Psyche abspielen.

Die Erfahrungen, die diese Substanz aktivierte, waren nicht neuro-

chemisch bedingte, künstliche Phänomene und damit Symptome

einer toxischen Psychose, wie die Mainstream-Psychiater das nann-

ten, sondern echte Manifestationen der menschlichen Psyche selbst.

Eolglich konnten diese Erfahrungen auch auf natürliche Weise und

durch viele andere Methoden ausgelost werden, und dazu gehörten

auch die »Technologien des Heiligen«, die östliche spirituelle Dis-

ziplinen entwickelt hatten.

Page 78: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

78 Teil 1: Das Mysterium der Synchr0nizität

Unsere Ereundschaft mit Swami Muktananda dauerte bis zu sei-

nem Tod sieben Jahre später und wurde zu einem wichtigen Teil

unseres Lebens. Christina und ich hatten viele weitere persönliche

Darshans mit ihm und nahmen an vielen Siddha-Yoga-Meditati-

onen und Intensivwochenenden in verschiedenen Teilen der Welt

teil. In diesen Jahren hatte ich reichlich Gelegenheit, die spontanen

Erfahrungen von Menschen, die Shaktipat empfingen, mit den Er-

lebnissen zu vergleichen, die durch psychedelische Substanzen

ausgelöst werden, und konnte die bemerkenswerten Ähnlichkeiten

zwischen beiden bestätigen.

Kurz nach meiner ersten Begegnung mit Baba entwickelten

Christina und ich das Holotrope Atmen, eine äußerst wirkungsvolle

nichtpharmakologische Methode der Selbsterforschung und The-

rapie. Hier werden mit Hilfe simpler und natürlicher Mittel wie

schneller Atmung, evokativer Musik und Aullösung von Energie-

blockaden durch eine bestimmte Form von Körperarbeit außerge-

wöhnliche Bewusstseinszustände ausgelöst. Die durch diese Me-

thode aktivierten Erfahrungen können sehr tief gehen und ähneln

sowohl den Zuständen, die durch Psychedelika ausgelöst werden,

als auch denen, die wir im Kaschmir Shivaismus beschrieben fin-

den. Die so in Gang gesetzten inneren Erlebnisse sind ein weiterer

Beweis dafür, dass die durch LSD und ähnliche Substanzen hervor-

gerufenen Phänomene keine chemisch bedingten, künstlichen Pro-

dukte sind, sondern ein authentischer Ausdruck der menschlichen

Psyche.

In seinen letzten Lebensjahren vertiefte und intensivierte sich

unsere Beziehung zu Swami Muktananda. Bei einem Darshan im

Anschluss an die Konferenz der »International Transpersonal Asso-

ciation« (ITA) in Danvers, Massachusetts, schlug er vor, dass wir

zukünftige Treffen der ITA in Indien abhalten sollten, und bot uns

dafür sowohl seine persönliche Unterstützung als auch Hilfe aus

dem Kreis seiner Anhänger im Ganeshpuri Ashram an. Die Konfe-

renz fand dann im Februar 1982 im Oberoi-Hotel in Bombay statt,

Page 79: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das Spiel des Bewusstseins 79

einige Monate vor Babas Tod. Sie stand unter dem Motto »Uraltes

Wissen und moderne Wissenschaft« und war ein Forum für den

Austausch zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern

des neuen Paradigmas und spirituellen Lehrerinnen und Lehrern.

Das Programm hatte eine Starbesetzung. Mitwirkende waren

der Gehirnforscher Karl Pribram, der Physiker Fritjof Capra, der

Biologe Rupert Sheldrake, die Familientherapeutin Virginia Satir,

die Neurophysiologen Elmer und AIyce Green, der Experte für

kindliche Entwicklung Joseph Chilton Pearce und viele andere

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die spirituelle Welt war

vertreten durch Swami Muktananda, Mutter Teresa, den parsischen

Hohenpriester Dastoor Minocheer Homji, den türkischen Sufi-

Scheich Muzaffer Ozak Al-Jerrahi, den taoistischen Meister Chun-

gliang Al Huang, den Aurobindo-Gelehrten Karan Singh, den

Benediktinermönch Pater Bede Griffith und die Rabbis Zalman

Schachter-Shalomi und Shlomo Carlebach.

Zu den Höhepunkten des Kulturprogramms gehorten ein

Abend mit chassidischen Tänzen, ein Sufi-Zikr der Halveti Jerrahi

Derwische, der Musiker Paul Horn und Alarmel Valli, der damals

aufsteigende Star des indischen klassischen Tanzes. Das Treffen war

ein riesiger Erfolg, trotz Abwesenheit des Dalai Lama, der seine

Eröffnungsansprache nicht halten konnte, weil er auf dem Weg

nach Bombay erkrankte, und des Karmapa, der wenige Monate vor

der Konferenz gestorben war und sie nicht, wie versprochen, mit

der Zeremonie der Schwarzen Krone beschließen konnte.

Am Tag nach der Konferenz lud Baba alle 700 Teilnehmende

nach Ganeshpuri in seinen Ashram zu Bandara ein, einem traditio-

nellen indischen Fest. Babas Vortrag bei der Konferenz der lTA in

Bombay war, wie sich herausstellen sollte, sein letzter öffentlicher

Auftritt. Als das Treffen beendet war, zog er sich in seine Gemächer

im Ganeshpuri-Ashram zurück, wo er die meiste Zeit in Stille ver-

brachte und die Ubertragung der Siddha-Linie und sein eigenes

Ableben systematisch vorbereitete. Christina und ich machten eine

Page 80: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

8o Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

zweiwöchige Pilgerreise zu verschiedenen heiligen Stätten in In-

dien und kehrten dann nach Ganeshpuri zurück, um dort unsere

letzten beiden Wochen in Indien mit Baba zu verbringen. Zweimal

täglich erschien er im marmorgepflasterten Innenhof und saß dort

in Stille, während die Bewohner und Besucher des Ashrams ihm

ihren Respekt erwiesen und ihm Geschenke überbrachten.

Es sah so aus, als ob wir keine weitere Gelegenheit bekommen

würden, ihm persönlich zu begegnen oder mit ihm zu sprechen.

Zwei Tage vor unserer Abreise änderte sich das überraschend. Noni,

Babas persönlicher Diener, überbrachte uns die Botschaft, dass

Baba uns sehen wolle. Wir sollten um fünf Uhr morgens in die Me-

ditationshalle kommen, wo er unsere Meditation »anheizen« wür-

de. Die Meditationshalle war das spirituelle Herz des Ashrams, sie

war an dem Platz errichtet worden, wo Muktanandas eigener Guru

und mächtiger Siddha Yogi Nityananda in einer Hütte gelebt hatte.

Dort lag auch ein großes Tigerfell, denn der Tiger war Shiva ge-

weiht. Eine der Türen führte zu Babas Schlafzimmer, eine andere

zu einer Treppe, auf der man in die unterirdische Tigerhöhle stieg,

ein weiterer beliebter Platz für Meditationen.

Christina und ich trafen zur vereinbarten Zeit in der dunklen

Meditationshalle ein und setzten uns auf ein großes Eell. Wir hat-

ten etwa fünf Minuten meditiert, als sich die Tür zu Babas privaten

Räumen lautlos öffnete und er hereinkam. Ohne ein Wort zu sagen,

ging er auf Christina zu und presste etwa zwanzig Sekunden seine

Daumen auf ihre Augäpfel. Dann kam er zu mir und tat das Glei-

che. Seine Daumen drückten so fest zu, dass ich das Gefühl hatte,

er würde meine Netzhäute durchbohren. Ich empfand einen uner-

träglichen Schmerz und Druck im Kopf und musste mich zusam-

menreißen, um Muktananda nicht abzuwehren. Niemand, nicht

einmal ein Siddha Guru, dachte ich empört, darf meine Augen so

behandeln wie Muktananda. Doch meine Neugier überwog, und

so redete ich mir gut zu: »Hier passiert etwas sehr Interessantes,

halte durch!« Und das tat ich.

Page 81: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das Spiel des Bewusstseins 81

Der Druck steigerte sich zu einer unerträglichen Intensität. Dann

explodierte mein Kopf zu einem strahlenden Licht, das sich nach

und nach in den Anblick eines mit Sternen übersäten Himmels

verwandelte. Ein seliges Entzücken kosmischen Ausmaßes erfasste

mich und endete in einem Zustand seliger Leere, vergleichbar dem,

den ich erlebte, nachdem ich von Muktananda zum ersten Mal

Shaktipat empfangen hatte. Christina machte ähnlich tiefe Erfah-

rungen, doch hei ihr gingen sie die ganze Nacht weiter. Erinne-

rungen an Missbrauchserlebnisse mit verschiedenen Männern in

ihrem Leben kamen hoch. Sie empfand diesen Prozess als wichtige

emotionale Verarbeitung, durch die alte Traumata heilten.

Am nächsten Tag überbrachte Noni uns die Botschaft, dass

Baba uns um die gleiche Zeit in der Meditationshalle sehen wolle,

für die »zweite Runde«, wie er das nannte. Wieder presste er beide

Daumen auf unsere Augäpfel, ging aber diesmal noch einen Schritt

weiter. Er drückte seine Stirn, geschmückt mit mehreren Quer-

streifen aus Asche - dem Zeichen Shivas -, auf unsere und blies

heftig Luft in unsere Nasenlöcher. Dieses Mal löste das bei uns bei-

den positive Erlebnisse aus. Am Morgen unseres letzten Tages im

Ashram, kurz vor unserer Abreise, lud uns Baba überraschend zu

einem Darshan in seine privaten Räume ein. Rückblickend wurde

uns klar, dass er endgültig Abschied von uns nehmen wollte.

Zu Beginn unseres Treffens schenkte er jedem von uns einen

Meditationsschal und einen wunderschönen, dunklen Amethyst.

Dann brach er sein Schweigen und sagte, wir sollten den Amethyst

in Gold fassen lassen und als Ring tragen. Es sei sehr wichtig, he-

tonte er noch einmal, dass wir diese Ringe ständig tragen. Als wir

schließlich aufbrachen, überraschte Baba uns mit den rätselhaften

Worten: »Geht zurück und arbeitet weiter mit Menschen! Ich wer-

de euch helfen. Ihr verrichtet meine Arbeit.« Dann wies er uns an

zu gehen. Es war unsere letzte Begegnung mit Baba - geblieben

sind uns nur die Erinnerungen an dieses bemerkenswerte mensch-

liche Wesen und das Spiel des Bewusstseins, das es verkörperte.

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82 Teil i: Das Mysterium der Synchronizität

Anhänger eines Gurus erklären Skandale, die im Umfeld ihres Meis­

ters passieren, oft damit, dass ein großes Licht auch große Schatten

wirft, und führen sie zurück auf die dunklen Mächte, die gegen

Erleuchtung ankämpfen. Swami Muktanandas Licht muss sehr hell

geschienen haben, denn seine Schatten waren beträchtlich und

dunkel. Seine letzten Lebensmonate wurden geprägt durch häss­

liche Gerüchte, die besagten, er habe junge Mädchen sexuell miss­

braucht. Einige seiner Anhängerinnen und Anhänger waren ent­

setzt. Für sie erwies sich Muktananda damit als Scheinheiliger, und

aufgrund dieser unverzeihlichen Fehler ihres Gurus verließen sie

seinen Kreis. Andere schenkten diesen Gerüchten keinen Glauben

oder versuchten sein Verhalten zu entschuldigen mit dem Hinweis

auf fortgeschrittene tantrische Praktiken, die im Rahmen der in­

dischen Kultur akzeptabel waren, von westlichen Menschen jedoch

missverstanden wurden.

Nach Muktanandas Tod spitzte sich die Lage noch weiter zu,

als es zwischen Chitvilasananda und Nityananda, den beiden Ge­

schwistern, denen er die Siddha-Yoga-Linie übertragen hatte, zu

heftigen Meinungsverschiedenheiten kam. Die damit verbundenen

hässlichen Intrigen wurden von der indischen und amerikanischen

Presse weidlich ausgeschlachtet, und die bereits existierende Kluft

im inneren Kreis des Siddha Yoga und in der noch größeren Grup­

pe seiner Anhänger aus aller Welt, die sich laut Schätzungen auf

über Hunderttausend beliefen, vertiefte sich dadurch noch.

Christina und ich besuchten den Ashram in Ganeshpuri noch

zweimal, aber der alte Zauber war verflogen. Wir haben uns von

der Bewegung und ihrer Politik gelöst, sind jedoch der Siddha-

Bewegung auf einer anderen Ebene verbunden geblieben. Baba er­

scheint uns weiterhin in unseren Träumen und verschiedenen an­

deren außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen. Wir haben auch

wiederholt an Siddha-Ritualen teilgenommen, in denen starke

Kräfte wirkten und wir eine tiefe Verbindung zu der Energie ge­

spürt haben, die wir »Shiva-Energie« nennen.

Page 83: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Guru im Leben seiner Anhängerinnen und Anhänger 83

Der Guru im Leben seiner Anhängerinnen und Anhänger

Ist der Siddha Yogi ein kosmischer

Marionettenspieler?

iner der ungewöhnlichsten Aspekte bei unseren Erfahrungen

mit Swami Muktananda (Baba) und Siddha-Yoga war das er­

staunliche Auftreten von Synchronizitäten im Leben von Mukta­

nandas Schülerinnen und Schülern. Wir hörten davon regelmäßig

von Freunden und Bekannten, die der Siddha-Yoga-Bewegung ver­

bunden waren. Bei den Intensivwochenenden, die in den verschie­

denen Ashrams regelmäßig angeboten wurden, traten immer wie­

der Rednerinnen und Redner auf, die bemerkenswerte Geschichten

über ihre Begegnungen mit Baba erzählten. Sie alle beschrieben in

ihren Berichten phantastische Zusammentreffen von Ereignissen,

ähnlich wie die, die ich bei meiner Einführung in die Welt des Sid­

dha Yoga erlebt hatte.

Ein Beispiel stammte von einem Mann, der eine Zeitlang in

einer australischen Geisterstadt gelebt hatte, wo er in verlassenen

Minen nach restlichen Edelsteinen suchte. Zu jener Zeit wohnte er

allein in einer baufälligen Hütte. An den langen Abenden versuchte

er, beim Licht einer Kerze zu lesen. Einer der früheren Bewohner

hatte an der Wand der Hütte das Bild eines merkwürdig ausse­

henden, dunkelhäutigen Mannes hängen lassen, der eine rote Pu-

E

Page 84: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

84 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

delmütze trug und einen Stab aus Pfauenfedern in der Hand hielt.

Zufällig handelte es sich dabei um eine Porträtaufnahme von Swa-

mi Muktananda, auch wenn sein Name nicht auf dem Foto stand.

Als der Diamantenjäger an einem seiner einsamen Abende ein-

mal den Kopf von seinem Buch hob, wurde sein Blick vom Gesicht

des Mannes auf dem Foto gefesselt. Während er ihm eine Weile in

die Augen schaute, schien aus den Pupillen dieses Mannes plötz-

lich ein Blitz hervorzuschießen, der ihn zwischen seine Augen traf.

Das löste ganze Wellen von heftigen Emotionen und körperlichen

Reaktionen in ihm aus, die sich in den nächsten Tagen fortsetzten.

Eine Reihe von weiteren Ereignissen dieser Art brachte diesen

Mann schließlich in Babas Ashram in Melbourne. Er beschloss, an

einem Intensivwochenende teilzunehmen, wo er von Shaktipat

(Übertragung spiritueller Energie durch den Guru, Anm.d.Ü.) hörte

und erfuhr, in wie vielen unterschiedlichen Formen es sich äußern

kann. In den folgenden Jahren blieb er ein glühender Anhänger

von Baba.

Eine von Muktanandas älteren Swamis, eine Freundin von uns,

erzählte uns aus den Anfangsjahren ihrer Anhängerschaft die fol-

gende Geschichte: Zu Muktanandas Lieblingsspielen gehörte es,

Menschen aus dem Westen spirituelle indische Namen zu geben -

Yamuna, Sadashiva, Durghananda, Shivananda, Lakshmi und so

weiter. Seine Schülerinnen und Anhänger bekamen ihren neuen

Namen meistens, wenn sie beim Darshan in der Schlange zu ihrem

Guru anstanden, wo er kurz Kontakt zu ihnen aufnahm, ein paar

Worte zu ihnen sprach und ihnen eine Gabe oder Prasad über-

reichte. Unsere Freundin, zu der Zeit eifrige Schülerin von Mukta-

nanda und Novizenanwärterin, stand mit einem Freund in solch

einer Warteschlange, um von Swami Muktananda ihren spiritu-

ellen Namen zu empfangen. Sie war etwas nervös und machte sich

über ihre ängstlichen Erwartungen selbst ein wenig lustig. »Ich

glaube, ich weiß, welche Namen Baba uns geben wird«, sagte sie

grinsend. »Er wird uns Creepa und Creepie (Kriecherin und Krie-

Page 85: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Guru im Leben seiner Anhängerinnen und Anhänger 85

cher, Anm.d.Ü.) nennen.« Zu ihrer Überraschung lautete der Name,

den sie nur wenige Minuten später bekam, und unter dem sie seit-

dem bekannt ist, »Kripananda« oder »Glückseligkeit der Gnade«.

Unter den Hunderten von Geschichten, die wir an den Inten-

sivwochenenden zu hören bekamen, verdient eine besondere Be-

achtung. Sie betrifft einen Tierarzt aus Malibu, den man rief, damit

er einen von Babas Hunden behandelte. Wenn Swami Muktananda

um die Welt reiste, machte sich eine Gruppe von Menschen aus

seinem inneren Kreis immer vor ihm auf die Reise, um vor Ort ein

Quartier für ihn zu finden. Oft wählten sie für diesen Zweck he-

runtergekommene Gebäude in ärmlichen Gegenden und reno-

vierten sie, um einen provisorischen Ashram daraus zu machen,

den Baba für die Dauer seines Besuchs bewohnte. Gebäude in

einem besseren Zustand zu hinterlassen, als man sie vorgefunden

hatte, galt als Karma Yoga.

Baba ging, wo immer er sich gerade aufhielt, gern spazieren

und machte sich furchtlos auf den Weg, ohne sich um den Ruf sei-

ner jeweiligen Umgebung zu kümmern. Obwohl er selbst keine

Angst hatte, bereitete er seinen Anhängern damit große Sorge. Ei-

ner von ihnen schenkte Baba zwei große Hunde, die ihn bei seinen

Streifzügen beschützen sollten. Während Babas Aufenthalt in Mali-

hu wurde einer dieser Hunde sehr krank. Eine Erau aus Babas in-

nerem Kreis suchte deshalb aus dem ortlichen Telefonbuch die

Nummer eines Tierarztes heraus.

Der Tierarzt fuhr zum Ashram und untersuchte den Hund,

ohne Baba zu begegnen oder mit ihm in Kontakt zu kommen. Auf

dem Heimweg hatte er Kriyas - Wellen von intensiven Emotionen,

hei denen sein ganzer Körper zuckte. Das Ergebnis dieses Erleb-

nisses und weiterer zufälliger Zusammentreffen war, dass er bereits

wenige Tage später in der Meditationshalle saß und »Om Namah

Shivaya« sang. Auch er wurde schließlich ein eifriger Anhänger

von Baba. Swami Muktananda verglich die Shakti-Energie, die bei

Shaktipat aktiviert wird und sich in den Kriyas äußert, oft witzelnd

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86 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

mit einer ganz ordinären Erkältung, die enorm ansteckend sei und

die man sich leicht »einfangen« könne.

Statt hier weitere Erfahrungen von Anhängern Babas wiederzuge-

ben, von denen wir hörten, möchte ich gern einige Beispiele aus

unserem eigenen Leben erzählen. Bei der ersten Geschichte geht es

um eine ganze Reihe von Synchronizitäten, die zu Beginn der

1980er-Jahre passierten. Es begann damit, dass Christina und ich

in unserem Haus in Big Sur, Kalifornien, einen Anruf von Gabriel

bekamen, einem Arzt, der zu Swami Muktanandas innerem Kreis

gehörte. Er erzählte uns, er sei in Big Sur auf der Durchreise und

fragte, ob er bei uns vorbeischauen könne, um etwas Wichtiges mit

uns zu besprechen.

Der Grund für seinen Besuch war, dass die Medienleute aus

dem Ashram unzufrieden waren mit einem Interview, das Baba

zum Thema Tod gegeben hatte. Der Reporter hatte von diesem

Thema nicht viel Ahnung und stellte Baba keine besonders interes-

santen Tragen. Gabriel wusste, dass ich psychedelische Therapie

mit Krebspatienten im Endstadium gemacht hatte und sehr inte-

ressiert war an den psychologischen, philosophischen und spiritu-

ellen Aspekten von Tod und Sterben. Er holte sein Notizbuch her-

vor und bat mich, ihm zu erzählen, welche wirklich interessanten

Eragen zum Thema Tod ein westlicher Psychiater und Bewusst-

seinsforscher einem Yogi gern stellen würde.

Nachdem wir uns drei Stunden unterhalten hatten, wurde Ga-

briel klar, dass das Ganze nicht viel Sinn machte. Statt Fragen für

eine andere Person zu formulieren, sollte ich sie Baba lieber selbst

stellen. Ich sollte in den Ashram von Miami fahren, wo sich Baba

gerade aufhielt, und dort ein Interview mit ihm machen. Es gab

jedoch ein Problem: Der Ashram würde nicht für unsere Reisekos-

ten aufkommen, und wir hatten zu jener Zeit nicht viel Geld. Au-

ßerdem waren wir gerade im Begriff, in die andere Hälfte der Welt

nach Australien zu reisen, dort Workshops zu halten und dann

Page 87: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

weiter nach Indien zu fliegen, um an den Vorbereitungen für die

Internationale Transpersonale Konferenz mitzuwirken, die 1982

dort stattfinden sollte.

Nach einer langen Diskussion beschlossen wir schließlich,

dennoch nach Miami zu fahren. Begegnungen mit Baba waren im­

mer interessant, und die Aussicht, zu hören, was er über den Tod

dachte, war für mich besonders verlockend. Unmittelbar vor un­

serer Abreise nach Miami veranstalteten wir einen Workshop in

Esalen. Das Programm dort bestand meist aus vier parallel lau­

fenden Veranstaltungen, und für alle war die Teilnehmerzahl be­

grenzt. Kurz nach unserer Entscheidung, doch nach Miami zu flie­

gen, häuften sich die Anmeldungen für unseren Workshop. Einer

der parallel geplanten Workshops musste mangels Interesse ganz

ausfallen, und die beiden anderen wurden nicht voll. Deshalb

erhöhte Esalen die Teilnehmerzahl für unseren Workshop. Und

schließlich meldeten sich so viele Menschen an, dass wir für die

Atemarbeit, die auf dem Boden stattfand, nicht mehr genug Platz

haben würden, wenn wir allen zusagten. Unsere Warteliste wuchs,

und wir mussten Leuten absagen.

Ein dermaßen großes, plötzliches Interesse an einem unserer

Workshops hatte es bislang nie gegeben. Fritz Perls (Begründer der

Gestalttherapie, Anm.d.Ü.) hatte eingeführt, dass Esalen allen Mit­

gliedern seiner Belegschaft und den Teilnehmern der hier stattfin­

denden Seminare bei Bedarf Einzelsitzungen in Gestalttherapie an-

bot. Mehrere Personen arbeiteten dann tatsächlich an ihrer

Enttäuschung und ihrem Ärger darüber, dass sie nicht an unserem

Workshop teilnehmen konnten. Als wir die Abrechnung für den

Workshop bekamen, entdeckten wir, dass sich die Differenz zwi­

schen unserem üblichen Honorar und diesem überbelegten Semi­

nar tatsächlich auf die Summe belief, die zwei Rückflugtickets von

Monterey nach Miami kosteten. Es lag nahe, darin eine »Gnade des

Gurus« oder Guru Kripa zu sehen, wie die Anhänger von Mukta-

nanda solche Ereignisse zu nennen pflegten.

Der Guru im Leben seiner Anhängerinnen und Anhänger 87

Page 88: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil i: Das Mysterium der Synchronizität

Als wir an einem Donnerstag im Ashram von Miami ankamen, er­

fuhren wir, dass Baba das Interview, das am nächsten Tag stattfin­

den sollte, abgesagt hatte. Er fühlte sich nicht wohl und brauchte

vor dem Intensivwochenende seine Ruhe. Statt Baba zu befragen,

machte ich nun ein Interview mit den Medienleuten des Ashrams

zum Thema Transpersonale Psychologie. Und wenn wir schon in

Miami waren, wollten wir auch gern an dem Wochenende teilneh­

men, doch unser Flugzeug nach Melbourne ging bereits am späten

Samstagabend. Wir baten Baba deshalb um Erlaubnis, nur das hal­

be Intensivwochenende mitzumachen - ein höchst ungewöhn­

liches, nahezu ungebührliches Anliegen. Zu unserer freudigen

Überraschung bekamen wir eine Zusage, doch jetzt stellte sich die

Frage, ob wir das Intensivwochenende ganz oder nur halb bezah­

len mussten. Baba machte auch hier eine Ausnahme und erlaubte

uns, nur die Hälfte vom Gesamtpreis zu zahlen - 150 Dollar.

Eine weitere große Überraschung erwartete uns, als wir die

Meditationshalle betraten. Die junge Frau am Eingang schenkte

uns ein herzliches Lächeln und überreichte uns drei brandneue

Fünfzig-Dollar-Scheine, die aussahen wie frisch aus der Drucker­

presse. »Hier ist euer Geld zurück«, sagte sie. »Baba will nicht,

dass ihr bezahlt. Ihr seid seine Gäste.« Alles schien darauf hinzu­

weisen, dass der Guru uns eine Sonderbehandlung zuteil werden

ließ. Dieses Gefühl verflog jedoch rasch, als wir uns ihm am Ende

des ersten Tages in der Warteschlange mit einer Dankesgabe näher­

ten. Er setzte sein Gespräch mit dem Mann fort, der vor uns in der

Schlange stand, und fertigte uns mit einer herablassenden Geste

ab, ohne auch nur ein einziges Wort an uns zu richten.

Mit diesem »Wechselbad«, das Liebesbekundungen und Be­

günstigungen mit völligem Desinteresse und kalter Distanz oder

sogar persönlich abwertenden Kommentaren verband, wollte Baba

seinen Anhängern offensichtlich das Gefühl der eigenen Wichtig­

keit und Besonderheit nehmen und ihnen einen Dämpfer verset­

zen. Wir bestiegen ein Taxi und fuhren zum Flughafen, vor uns

Page 89: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

den langen Flug nach Melbourne. Das Flugzeug war voll, und in

der Touristenklasse saß man ziemlich beengt, vor allem, wenn man

wie wir lange Beine hatte. Müde von einem langen Tag, klemmten

wir uns in unsere unbequemen Sitze und ergaben uns etwas nie­

dergeschlagen unserem Schicksal.

»Staaan, Christiiina!« Der laute Ruf eines Stewards riss uns aus

unserer melancholischen Stimmung. »Welche Überraschung!

Wenn ich gewusst hätte, dass ihr mit dieser Maschine fliegt, hätte

ich euch in die erste Klasse gesetzt. Aber ich habe für euch zwei

Sitze in der Business Class.« Es stellte sich heraus, dass dieser Ste­

ward vor einigen Jahren einen unserer Workshops besucht hatte

und in den holotropen Atemsitzungen eine sehr positive Erfahrung

machte, die sein ganzes Leben veränderte. Auf den nun bequemen

Sitzen untergebracht, fragten wir uns, ob dies ein höchst unwahr­

scheinlicher Zufall war oder ein weiterer Wellengipfel im Ozean

der Gnade unseres Gurus.

Als wir schließlich in Melbourne ankamen, holten uns unsere

guten Freunde und Gastgeber Muriel und Al Foote vom Flughafen

ab. Bei der Fahrt in die Stadt erzählten sie, sie hätten uns für den

ersten Tag und die erste Nacht im Haus ihrer engen Freunde, dem

berühmten australischen Opernsänger Greg Dempsey und seiner

Frau Annie, einquartieren können. Als wir bei den Dempseys ein­

trafen, entdeckten wir zu unserer Überraschung, dass Greg und

Annie beide enge Anhänger von Swami Muktananda waren. Über­

all im Haus hingen Fotos von Baba, sogar im Badezimmer.

Beim gemeinsamen Frühstück sah Muriel plötzlich ganz klein­

mütig aus und erzählte uns, sie habe eine junge Frau eingeladen,

mit uns zu frühstücken. »Tut mir wirklich leid. Ich weiß, ihr bei­

den müsst hundemüde sein«, sagte sie entschuldigend. »Viele Leu­

te haben mich angerufen, weil sie euch treffen möchten, während

ihr in Melbourne seid. Ich konnte sie alle abwimmeln, bis auf diese

Frau. Irgendwie hatte sie etwas Besonderes. Sie hat Sterbebeglei­

tung gemacht wie ihr, und sie klang so nett!«

Der Guru im Leben seiner Anhängerinnen und Anhänger 89

Page 90: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

90 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

Wie sich herausstellte, war diese Frau, ohne dass Muriel es wusste,

aus dem Siddha-Yoga-Ashram von Melbourne. Sie erzählte uns,

dass das Telefon geklingelt habe, als sie gerade aus der Tür gehen

wollte, und sie sei dann noch drangegangen. Es war Baba, der die

Ashram-Leute davon unterrichtete, dass wir nach Melbourne ka­

men, und sie anwies, uns zu unterstützen, weil wir »seine Arbeit

taten«. Beim Frühstück hörten wir viele Geschichten über Baba

und die wachsende Siddha-Yoga-Bewegung in Australien und ge­

wöhnten uns dabei an den australischen Akzent.

Wir verbrachten die Nacht in Greg und Annies Haus, und am

nächsten Tag fuhren die Footes uns zum nahe gelegenen Black­

wood, wo ihr Haus und ihr Seminarzentrum standen. Am Abend

desselben Tages begann unser Workshop für Holotropes Atmen.

Die Siddha-Magie schien weiter zu wirken. Von den 25 Menschen

in der Gruppe hatten acht Erfahrungen mit dem Blauen Licht, der

Blauen Perle und der Blauen Person gemacht, die im Siddha Yoga als

äußerst verheißungsvolle und wichtige Schritte auf dem spiritu­

ellen Weg gelten. Eine Teilnehmerin begann spontan »Om Namah

Shivaya« zu tönen, ohne eine Ahnung zu haben, was sie da eigent­

lich sang. Keiner der Teilnehmenden wusste von unserer Verbin­

dung zu Swami Muktananda.

Ein weiteres interessantes Ereignis geschah zwei Jahre später. Ich

habe bereits erwähnt (Seite 81), dass Baba bei unserem allerletzten

Treffen jedem von uns einen wunderschönen, dunklen Amethyst

schenkte und sagte, wir sollten uns Ringe daraus machen lassen

und diese immer tragen. Wie wir später herausfanden, schenkte er

uns wahrscheinlich nicht zufällig gerade diese Steine. Der Amethyst

steht von alters her in dem Ruf, seinen Besitzer vor Vergiftungen zu

schützen, wie sein griechischer Name besagt: »Methystos« bedeutet

»vergiftet«, und der Buchstabe a steht für alpha privativum, eine

Verneinung. Da ich mit psychedelischen Substanzen arbeitete und

Christina Alkoholprobleme hatte, schien das Sinn zu machen.

Page 91: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Kurz nach unserer Rückkehr aus Indien verwüsteten eine Reihe

von Naturkatastrophen die Küste von Big Sur. Ein verheerendes

Feuer, das 65.000 Hektar der Ventana-Wilderness erfasste, ver­

nichtete auf einer Strecke von etwa zwanzig Meilen die gesamte

Vegetation der Gebirgszüge an der Küste, von der Hermitage des

»Immaculate Heart« (Karmeliterkloster, Anm.d.Ü.) bis zum Venta-

na Inn. Die nachfolgenden sintflutartigen Regenfälle führten auf

den unbefestigten Berghängen zu massiven Erdrutschen. Der High­

way 1, die landschaftlich atemberaubend schöne Strecke zwischen

dem Esalen-Institut und Monterey mit seinem Flughafen, war

wochenlang gesperrt. Sämtliche Workshops in Esalen mussten ab­

gesagt werden, auch unsere.

Das bedeutete schwere finanzielle Einbußen für Esalen und

besonders für uns. Wir waren zu jener Zeit knapp bei Kasse und

konnten den Einkommensverlust der Honorare für mehrere Work­

shops nur schwer verkraften. Es war nicht gerade der günstigste

Zeitpunkt, Babas Rat zu befolgen und unsere Amethyst-Steine in

Gold zu fassen und Ringe daraus machen zu lassen. Ich, als ratio­

nalere Hälfte unseres Ehebundes, hätte das Projekt verschoben,

aber Christina hatte das starke Gefühl, dass wir Babas Vorschlag

sofort in die Tat umsetzen sollten. Bei unserer nächsten Einkaufs­

fahrt nach Carmel, die wegen der durch die Erdrutsche bedingten

Umleitungen jetzt sieben statt die üblichen zwei Stunden dauerte,

machten wir also Halt beim Juwelier und bestellten unsere Ringe.

Als wir zwei Wochen später nach Frankreich aufbrachen, un­

serem ersten Stopp einer Workshop-Tournee durch ganz Europa,

holten wir unsere Ringe auf dem Weg zum Flughafen ab. Unser

Start-Workshop in Paris war ein Wochenende für Holotropes At­

men, an dem etwa dreißig Menschen teilnahmen. In der anfäng­

lichen Vorstellungsrunde sagte Simone, eine unserer Teilneh­

merinnen, sie leide vor allem unter chronischen Bauchschmerzen,

die sie in ihrem Alltag ziemlich beeinträchtigten. Wiederholte Un­

tersuchungen hätten keinerlei medizinische Ursachen erbracht,

Der Guru im Leben seiner Anhängerinnen und Anhänger 91

Page 92: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

92 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

und sie hoffe, der Sache mit Hilfe der Atemarbeit auf den Grund zu

kommen.

Erpicht darauf, mit ihrer Forschungsreise zu beginnen, fragte

sie ihre Atempartnerin, ob sie a.s Erste atmen könne. Ihre Sitzung

war sehr intensiv und verbunden mit viel Weinen und körperlichen

Kämpfen. Nach etwa einer Stunde begann sie laut zu schreien und

bat mich, zu ihr zu kommen. Sie erzählte mir, ihre Bauchschmerzen

seien noch stärker geworden, und fragte mich, ob ich nicht etwas

dagegen unternehmen könne. In solchen Situationen verstärken

wir den Schmerz meist durch äußeren Druck und ermutigen die

Betreffenden, ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Ich bat Si­

mone, ihren Bauch anzuspannen, und drückte mit der rechten

Hand, an der ich den Ring trug, mitten in die schmerzhafte Stelle.

Dann ermunterte ich sie, ihre emotionalen Reaktionen auf diese

Berührung mit Hilfe von Stimme und Körper ganz herauszulassen.

Simone presste ihren angespannten Bauch gegen meine Hand,

und ihr Gesicht verzerrte sich vor Schmerz immer mehr. Dann

hielt sie den Atem an und lief purpurrot an. Plötzlich stieß sie einen

so grauenhaften Schrei aus, wie ich ihn in meinem ganzen Leben

noch nicht gehört hatte. Dann atmete sie normal weiter, fiel in eine

tiefe Entspannung, und auf ihrem Gesicht zeigte sich ein seliges

Lächeln. Etwas später erzählte sie mir, sie fühle sich zum ersten

Mal seit Jahren schmerzfrei. Als die Gruppe abends zusammensaß,

um sich auszutauschen, erzählte Simone uns, was passiert war.

Zu Beginn ihrer Atemsitzung durchlebte sie noch einmal meh­

rere Ereignisse aus der Zeit nach ihrer Geburt, die mit Bauch­

schmerzen verbunden gewesen waren, darunter auch wiederholte

sexuelle Missbrauchserfahrungen mit einem Verwandten. Dann

ging die Erfahrung noch tiefer, und Simone erinnerte ihre biolo­

gische Geburt. Während sie noch einmal die schwierige Passage

durch den Geburtskanal erlebte, entdeckte sie, dass ein Teil ihrer

Unterleibsschmerzen mit den Qualen des Fötus zusammenhing,

der darum kämpfte, geboren zu werden. Im weiteren Verlauf ihrer

Page 93: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Sitzung sah Simone Szenen aus der Menschheitsgeschichte, bei de­

nen es um Gewalt und Missbrauch ging. An dem Punkt beschloss

sie, mich zu rufen, weil ihre Schmerzen weiter Zunahmen.

»Unglaublich, was passierte, als Sie Ihre Hand in meinen Bauch

drückten«, erzählte sie beim Austausch in der Gruppe. »Der

Schmerz nahm ständig zu und wurde absolut unerträglich. Aber

ich wollte nicht aufgeben und war entschlossen, mich ihm zu stel­

len. Und dann auf einmal war es nicht mehr nur mein Schmerz -

es war der Schmerz aller Menschen! Im nächsten Augenblick ex­

plodierte alles zu einem tief blauen Licht, das unbeschreiblich

schön war. Und in dem Licht erschien das Bild dieses indischen

Gurus, den man hier in Paris überall auf Plakaten sieht. Er trug

eine dunkle Brille und eine Wollmütze und hielt einen Strauß

Pfauenfedern in der Hand.«

Ein paar Wochen vor unserem Eintreffen in Paris hatte Swami

Muktanandas Nachfolger, der junge Nityananda, die Stadt besucht

und ein Intensivwochenende veranstaltet. Die Poster, die noch

überall in der Stadt an Säulen und Wänden zu sehen waren, zeigten

ihn mit seinem Lehrer. Christina griff in ihre Brieftasche, holte ein

Bild von Swami Muktananda hervor, das sie zufällig bei sich trug,

und zeigte es Simone mit fragendem Blick. »Ja, das ist er. Ein ko­

mischer Kerl!«, bestätigte sie und fügte dann hinzu: »Aber sein

Auftauchen hing auch mit Ihrem Amethystring zusammen. Das

blaue Licht schien direkt aus diesem Ring zu kommen.«

Es war interessant, dass Simone ihre Heilungserfahrung nicht

nur mit dem Amethystring und Swami Muktananda verband, son­

dern auch mit der Farbe Blau. Wie ich bereits erwähnte, spielen

Visionen von Blauem Licht und der Blauen Person im Siddha Yoga

eine wichtige Rolle und gelten als äußerst verheißungsvoll. Simone

sprach mich mehrere Jahre später in einem französischen Work­

shop erneut an und erzählte mir, wie es damals für sie weiterge­

gangen war: Nach unserem Pariser Workshop waren ihre Schmer­

zen nicht mehr zurückgekehrt.

Der Guru im Leben seiner Anhängerinnen und Anhänger 93

Page 94: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Es war wirklich erstaunlich, wie viele Synchronizitäten wir als Ba­

bas Anhänger selbst erlebten und in seinem Umfeld beobachteten.

Er erschien seinen Anhängerinnen und Anhängern im Traum, in

der Meditation und in psychedelischen Sitzungen. Und diese Visi­

onen von seinen Besuchen standen offensichtlich immer in einem

engen Zusammenhang mit den konkreten Lebensumständen der

betreffenden Personen. Viele seiner Anhänger schlossen aus diesen

erstaunlichen Parallelen, dass Baba immer wusste, was in ihrem

Leben gerade geschah, und tatsächlich aktiv entsprechende Situa­

tionen schuf, um ihr spirituelles Wachstum zu fördern. Das verlieh

ihm die übermenschliche Statur eines kosmischen Puppenspielers,

der das Leben seiner mehreren zehntausend Anhänger und Schüle­

rinnen überwachte und hinter der Bühne der materiellen Realität

die Fäden lenkte.

Dieses Phänomen faszinierte mich, und so bat ich einmal Swa­

mi Ama, die seit mehr als fünfundzwanzig Jahren Babas Schülerin

war, herauszufinden, wie Baba selbst dazu stand. Sie war einver­

standen und erzählte mir dann, Baba habe über die großartige

Phantasie seiner Anhänger gelacht. Er erklärte ihr, während seiner

über vierzig Jahre langen Pilgerreise durch Indien und seiner rigo­

rosen spirituellen Suche habe er viele Erfahrungen mit höheren

Dimensionen der Existenz gemacht, die normalerweise im Verbor­

genen blieben. Auf diesem Weg sei er Teil dieser Reiche geworden

und damit auch der Mechanismen, mit denen sie die alltägliche

Realität beeinflussen.

Er erzählte Ama auch, er könne sich bei Bedarf in der Medita­

tion innerlich auf die unterschiedlichsten Dimensionen konzen­

trieren, um notwendige Informationen einzuholen, was viele über­

sinnlich begabte Menschen können. Doch seine harte spirituelle

Suche habe ihn vor allem eins gelehrt: sich an erster Stelle auf das

Hier und Jetzt zu konzentrieren und die einfachen Dinge im Leben

zu schätzen. So koche er zum Beispiel liebend gern, erzählte er

Ama. Und während er sein Bewusstsein ganz gezielt auf Farbe,

94 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

Page 95: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Form, Geruch und Geschmack der Zutaten für sein Essen ausrich­

tete, erlebten Tausende seiner Anhängerinnen und Anhänger ihn

als bewussten und aktiven Gestalter ihres Lebens. Er amüsierte

sich köstlich über die Vorstellung, dass er das Leben von Tausen­

den seiner ergebenen Schülerinnen und Schüler überwache und

erstaunliche Synchronizitäten und spirituell bedeutsame Ereignisse

für sie inszeniere, die genau auf sie zugeschnitten waren. »Das wäre

mir zu viel Arbeit. Ich mache es mir im Leben gern leicht«, sagte er

mit einem schelmischen Lächeln.

Der Guru im Leben seiner Anhängerinnen und Anhänger 95

Page 96: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

g6 Teil v. Das Mysterium der Synchronizität

Der Tanz des weißen SchwansMit dem Geisterkanu der Salish

in die Unterwelt reisen

ereinzelte Synchronizitäten kommen im Leben von Menschen,

die spontane oder induzierte holotrope Bewusstseinszustände

erleben, extrem häufig vor. Nicht selten treten diese Erlebnisse je­

doch auch in beeindruckenden Serien oder gehäuft auf. Wir haben

diese vermehrten Synchronizitäten in der psychedelischen Thera­

pie, beim Holotropen Atmen und in psychospirituellen Krisen im

Laufe der Jahre oft beobachtet und persönlich erlebt. Die Ereig­

nisse, von denen ich in der folgenden Geschichte erzähle, spielten

sich in einem unserer einmonatigen Seminare in Esalen ab, zu einer

Zeit, als Christina ihre spirituelle Krise durchmachte.

Christinas spontane Erfahrungen waren immer sehr reich und

enthielten zahlreiche Elemente aus verschiedenen Schichten des

persönlichen und kollektiven Unbewussten. Manchmal regredierte

sie dabei zum Kind und Kleinkind und machte die schmerzlichen

Erfahrungen aus dieser Zeit noch einmal durch; dann wieder er­

lebte sie das Trauma ihrer eigenen biologischen Geburt. Zu diesen

Erlebnissen gehörten auch eindringliche Erfahrungen, bei denen

es sich offensichtlich um Ausschnitte aus Erinnerungen an ver­

gangene Leben in Russland, Deutschland und im Nordamerika des

17. Jahrhunderts handelte. Gelegentlich hatte sie auch Visionen

von archetypischen Gestalten und Tieren. Von besonderer persön­

licher Wichtigkeit waren für sie Pfauen und weiße Schwäne - die

V

Page 97: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Tanz des weißen Schwans 97

Vögel, die eng mit Siddha Yoga und Christinas spirituellem Lehrer,

Swami Muktananda, verbunden waren. In dem bereits erwähnten,

einmonatigen Seminar hatte Christina eines Tages eine besonders

intensive und bedeutungsvolle Vision von einem weißen Schwan.

Unser Gastreferent für den folgenden Tag war Michael Harner,

ein bekannter Anthropologe und guter Freund. Michael gehörte zu

einer Gruppe von Forschern, die als »visionäre Anthropologen«

bekannt waren. Im Gegensatz zu traditionell ausgerichteten Main-

stream-Anthropologen betrieben Michael und seine Kollegen wie

Barbara Meyerhoff, Peter Fürst, Dick Katz, Christian Raetsch und

Carlos Castaneda ihre anthropologische Feldforschung nicht mit

der Haltung eines distanzierten akademischen Beobachters. Viel­

mehr nahmen sie an den Zeremonien der Kulturen, die sie studier­

ten, aktiv teil, ganz gleich, ob es dabei um die Einnahme von be­

wusstseinsverändernden Substanzen wie Peyote, magische Pilze,

Ayahuasca und Datura ging, um Trancetänze, die eine ganze Nacht

dauerten, oder um andere nichtpharmakologische »Technologien

des Heiligen«.

Michaels Entdeckungen über den Weg der Schamanen und

ihre unglaubliche innere Welt begannen 1960, als das »American

Museum of Natural History« ihn einlud, eine einjährige Expediti­

on zum peruanischen Amazonas zu unternehmen, um die Kultur

der Conibo-Indianer im Flussgebiet des Ucayali zu studieren. Sei­

ne Informanten sagten ihm, wenn er wirklich etwas über diese

Menschen erfahren wolle, müsse er den heiligen Trunk des Scha­

manen probieren. Ihren Ratschlag befolgend, nahm er Ayahuasca,

ein Gebräu aus dem Absud der Dschungel-Liane Banisteriopsis caa-

pi und der Kawa-Pflanze, von den Indianern »Seelenwein« oder

»kleiner Tod« genannt. Er machte eine unbeschreibliche visionäre

Reise durch gewöhnlich unsichtbare Dimensionen der Existenz,

bei der er seinen eigenen Tod erlebte, außergewöhnliche Offenba­

rungen über die Natur der Wirklichkeit hatte und entsprechende

Einsichten gewann.

Page 98: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

98 Teil l: Das Mysterium der Synchronizität

Als er später feststellte, dass einem Ältesten der Conibo, einem

Meisterschamanen, die Erlebnisse gut bekannt waren, die er bei

dieser visionären Reise hatte, und seine Erfahrungen mit Ayahuas­

ca außerdem Parallelen zu bestimmten Passagen aus dem Buch der

Offenbarung aufwiesen, gelangte Michael zu der Überzeugung,

dass es tatsächlich eine verborgene Welt gab, die erforscht werden

musste. Er beschloss, so viel wie möglich über Schamanismus in

Erfahrung zu bringen.

Drei Jahre später kehrte Michael nach Südamerika zurück, um

Feldforschung bei den Jivaro zu betreiben, einem Stamm aus Ecua­

dor, bei dem er 1956 und 1957 gelebt und geforscht hatte. Hier

machte er eine weitere wichtige Initiationserfahrung, die für seine

Entdeckungen über den Weg des Schamanen von grundlegender

Bedeutung war. Akachu, ein berühmter Schamane der Jivaro, und

sein Schwiegersohn führten ihn zu einem heiligen Wasserfall tief

im Dschungel des Amazonas und gaben ihm einen Trank aus Mai-

kua, dem Saft einer Brugmanisa-Spezies von Datura, einer Pflanze

mit äußerst wirkungsvollen psychoaktiven Eigenschaften.

Diese und andere Erfahrungen machten aus Michael - einem

Anthropologen mit gutem akademischem Ruf - einen fähigen Prak­

tikanten und Lehrer des Schamanismus. Er gründete mit seiner

Frau Sandra zusammen die »Foundation for Shamanic Studies«

(Gesellschaft für schamanistische Studien, Anm.d.Ü.), die sich der

Lehre schamanistischer Methoden für interessierte Studentinnen

und Studenten widmete und schamanistische Workshops für die

Öffentlichkeit anbot. Michael hatte ein Buch mit dem Titel Der Weg

des Schamanen (Genf: Ariston Verlag 1981, Anm.d.Ü.) geschrieben,

eine Sammlung von zahlreichen schamanistischen Methoden aus

aller Welt, die er zusammengestellt hatte, um in Workshops damit

zu experimentieren und sie westlichen Menschen beizubringen.

Bei unserem einmonatigen Workshop leitete Michael uns mit

Hilfe der Methode des »Geisterkanus«, die der Indianerstamm der

Salish im Nordwesten Amerikas praktiziert, zu einer Heilungsreise

Page 99: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Tanz des weißen Schwans 99

an. Er begann diese Zeremonie, indem er seine Trommel schlug

und die Teilnehmenden aufforderte, sich zu bewegen und zu tan­

zen, bis sie das Gefühl hatten, sich mit einem bestimmten Tier zu

identifizieren. Es dauerte nicht lange, und die Leute krochen und

krabbelten auf allen vieren, sprangen durch die Gegend und

ahmten alle möglichen kletternden, grabenden, klammernden,

schwimmenden und fliegenden Bewegungen nach. Der Haupt­

raum von Esalen war erfüllt von vielen verschiedenen erkennbaren

und nicht erkennbaren Tier- und Vogelstimmen. Als jeder Kontakt

mit einem bestimmten Tier aufgenommen hatte, bat Michael die

Gruppenteilnehmer, sich in einer Art Spindelform auf den Boden

zu setzen und sich vorzustellen, dass sie ein Geisterkanu bildeten.

Dann fragte er, ob jemand in der Runde Heilung brauche, und

Christina meldete sich. Mit seiner Trommel im Arm bestieg Micha­

el »das Boot«, winkte Christina, ihm zu folgen, und bat sie, sich

hinzulegen.

Nachdem jetzt alle Vorbereitungen für die Heilungsreise ge­

troffen waren, sollten wir uns vorstellen, als Bootsmannschaft aus

lauter Tieren in die Unterwelt zu fahren, um Christinas Seelentier

wiederzufinden. Als Ziel für diese spezielle Phantasiereise wählte

Michael die unterirdischen, miteinander verbundenen Höhlen, die

sich unter weiten Teilen Kaliforniens erstrecken sollen, und in de­

nen heißes Wasser steht. Der Eingang war leicht zu finden, denn

die heißen Quellen in Esalen werden von dem Wasser aus diesen

Höhlen gespeist. Als Kapitän des Geisterbootes, so Michael, würde

er mit seiner Trommel das Tempo unserer Ruderschläge vorgeben

und nach Seelentieren Ausschau halten. Würde ein bestimmtes

Krafttier dreimal auftauchen, war das ein Zeichen dafür, dass er das

gesuchte Tier gefunden hatte. Er würde es dann packen und

der Mannschaft des Bootes durch schnelles Trommeln das Signal

geben, dass es Zeit war, eilig zurückzurudern.

Wir hatten mit Michael schon mehrmals das Geisterkanu der

Salish bestiegen. Das erste Mal hatten wir uns nicht besonders viel

Page 100: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

aoo Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

davon versprochen. Das Ganze klang nach einem unschuldigen

Vergnügen - einer tollen Idee für ein Kinderspiel, aber für reife

Erwachsene vielleicht etwas albern. Doch gleich das erste Erlebnis

mit dem Geisterkanu bewirkte bei uns allen einen Sinneswandel.

An jener Gruppe nahm eine junge Frau teil, die durch ihr Verhal­

ten alle gegen sich aufbrachte. Sie war darüber sehr unglücklich,

denn das Gleiche war ihr in ihrem Leben bislang in fast jeder Grup­

pe passiert, mit der sie zu tun hatte. Sie meldete sich freiwillig für

eine Heilungsreise.

Als das Phantasieboot durch die »Unterwelt« fuhr, hatte sie

genau in dem Augenblick, wo Michael ihr Seelentier erkannte und

packte, sehr heftig reagiert. Während Michael mit schnellen Trom­

melschlägen das Signal für die Rückkehr gab, setzte die junge Frau

sich plötzlich auf und musste sich unter stoßartigen Krämpfen

mehrmals übergeben. Sie hob ihren Rock, um das Erbrochene

darin aufzufangen, und schon bald war der Rock voll. Dieses

Ereignis, das kaum eine halbe Stunde dauerte, hatte tiefe Auswir­

kungen auf ihre Persönlichkeit. Ihr Verhalten änderte sich so

gründlich, dass sie noch vor Ende des Monats eine der beliebtesten

Personen in der Gruppe war. Durch dieses Erlebnis, auf das später

ähnliche folgten, hatten wir vor dieser Methode wirklich Respekt

bekommen.

Michael begann nun zu trommeln, und wir starteten zu unserer

Reise in die Unterwelt. Wir alle paddelten und stießen die Laute

der Tiere aus, mit denen wir uns identifizierten. Christina wurde

am ganzen Körper von heftigen Zuckungen erfasst. Das war als

solches nicht ungewöhnlich, denn sie befand sich mitten im Pro­

zess ihres Kundalini-Erwachens, bei dem körperliche Phänomene

wie dieses häufig auftreten. Nach etwa zehn Minuten trommelte

Michael deutlich schneller, um uns wissen zu lassen, dass er Chris­

tmas Seelentier gefunden hatte. Wir anderen paddelten mit aller

Kraft und stellten uns vor, eilig nach Mittelerde zurückzukehren.

Page 101: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Tanz des weißen Schwans 101

Michael hörte auf zu trommeln und gab uns damit das Zeichen,

dass die Reise zu Ende war. Er stellte seine Trommel ab, presste

seine Lippen auf Christinas Kreuzbein und blies mit aller Kraft

dagegen, was ein lautes Geräusch erzeugte. Dann flüsterte er ihr

ins Ohr: »Dein Seelentier ist ein weißer Schwan.« Er bat sie, in

einem Tanz vor der Gruppe ihre Schwanenenergie zum Ausdruck

zu bringen. Wichtig ist hier zu erwähnen, dass Michael zu diesem

Zeitpunkt nichts von Christinas innerem Prozess wusste und auch

keine Ahnung davon hatte, dass der Schwan in ihrem Leben wie­

derholt eine große Rolle gespielt hatte und für sie ein sehr wich­

tiges persönliches Symbol war.

Die Geschichte hatte am nächsten Morgen, als Christina und

ich zu unserem Briefkasten am Highway liefen, um unsere Post zu

holen, noch eine Fortsetzung. Christina bekam einen Brief von

einer Frau, die vor einigen Monaten an einem unserer Workshops

teilgenommen hatte. In dem Umschlag befand sich ein Foto von

Christinas spirituellem Lehrer Swami Muktananda. Die Briefe­

schreiberin wollte Christina damit eine Freude machen. Auf dem

Foto saß Muktananda mit schelmischem Gesichtsausdruck in einer

Hollywoodschaukel, und neben ihm stand ein großer Blumentopf

in Form eines Schwans. Muktanandas linker Zeigefinger wies auf

den Schwan, Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand schlos­

sen sich zu einem Kreis, dem üblichen Signal dafür, dass etwas

genau den Punkt traf.

Auch wenn es zwischen Christinas inneren Erfahrungen, der

Tatsache, dass Michael den Schwan als ihr Krafttier wählte, und

dem Foto von Muktananda keine kausalen Zusammenhänge gab,

bildet all das zusammen zweifellos ein bedeutsames psychisches

Muster, das die Kriterien für Synchronizität oder das »Prinzip

akausaler Zusammenhänge«, wie C.G. Jung es definiert hat, klar

erfüllte.

Page 102: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

102 Teil i: Das Mysterium der Synchronizität

Die Entstehung des Films BrainstormUnser Hollywood-Abenteuer

oug Trumbull, ein Zauberer von Spezialeffekten, nahm im

Jahr 1981 zu Christina und mir Kontakt auf. Doug hatte für

den Film 2001: Odyssee im Weltraum mit Stanley Kubrick zusam­

mengearbeitet und die Spezialeffekte für die Filme Andromeda,

Lautlos im Weltraum, Blade Runner und Unheimliche Begegnung der

dritten Art gemacht. Er traf gerade Vorbereitungen, um bei einem

Science-Fiction-Film, den Metro-Goldwyn-Mayer unter dem Titel

Brainstorm herausbringen wollte, Regie zu führen. Bei dem faszi­

nierenden Plot des Films ging es um ein Wissenschaftler-Duo, das

Computer-Genie Michael Brace und die hochintelligente Forsche­

rin Lillian Reynolds, die zusammen einen Helm entwickelten, der

menschliche Erfahrungen aufzeichnen und wiedergeben konnte.

Mit diesem Helm konnte man sich an die Psyche anderer Men­

schen anschließen, um aufzunehmen, was sie sahen, fühlten und

dachten, und es später abspielen. Während Michael Brace mit Hil­

fe dieser Erfindung die Beziehung zu seiner Frau Karen kitten

wollte, von der er sich entfremdet hatte, planten andere Mitglieder

des Forscherteams die Erfindung für fragwürdigere Zwecke einzu­

setzen und sich ihr sexuelles, kommerzielles und militärisches Po­

tenzial zunutze zu machen. Die Handlung nahm eine interessante

Wende, als die schwer schuftende, kettenrauchende und koffein­

süchtige Lillian einen Herzanfall bekommt, während sie spät nachts

noch im Labor arbeitet. Bis zuletzt neugierige Wissenschaftlerin,

D

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Die Entstehung des Films Brainstorm 103

beschließt sie, ihr Sterben aufzuzeichnen, und es gelingt ihr, den

Helm aufzusetzen und die Maschine kurz vor ihrem Tod zu

starten.

Die weitere Handlung des Films dreht sich um diese Aufzeich­

nungen von ihrem eigenen Tod. Doug wollte dieses Erlebnis nicht

nur mit den besten Spezialeffekten darstellen, die zu der Zeit ver­

fügbar waren, sondern sich dafür auch die wissenschaftlichen In­

formationen der modernen Bewusstseinsforschung über Tod und

Sterben zunutze machen. Er hatte gehört, dass Christina und ich

unter dem Titel The Inner Journey eine Dia-Show über ein Erlebnis

mit Tod und Wiedergeburt zusammengestellt hatten, die auf Beo­

bachtungen aus der klinischen Forschung über psychedelische

Therapie basierte. Er setzte sich mit uns in Verbindung und fragte

uns, ob wir als Spezialberater für die visionären Erlebnisse in die­

sem Film in seinem Team mitwirken würden. Wir fanden diese

Aussicht sehr aufregend, denn Brainstorm handelte von einem

faszinierenden Thema und hatte eine Starbesetzung. Zu den Dar­

stellern gehörten unter anderem Natalie Wood, Christopher Wal­

ken, Louise Fletcher und Cliff Robertson. Der Produzent war John

Foreman, bekannt für Filme wie Der große Eisenbahnraub und Butch

Cassidy und Sundance Kid. Die Einladung bot uns die Chance zu

einem längeren Aufenthalt in Hollywood, wo wir die Entstehung

eines Films miterleben würden.

Schauspieler und Crew besuchten eine von mir zusammenge­

stellte, mit Dias bebilderte Sondervorstellung über die neue Karto­

graphie der Psyche, die sich bei meinen Studien über außerge­

wöhnliche Bewusstseinszustände abgezeichnet hatte. Die meisten

Bilder zeigten Erfahrungen aus der psychedelischen Therapie, aber

einige stammten auch aus den Sitzungen der Teilnehmerinnen und

Teilnehmer an unseren Trainings und Workshops für Holotropes

Atmen. Als Doug Trumbull und John Foreman hörten, dass wir

eine Technik entwickelt hatten, um ohne Drogen außergewöhn­

liche Bewusstseinszustände auszulösen, fragten sie uns, ob wir

Page 104: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

ihrem Team diese Erfahrung vermitteln könnten. Da Brainstorm

um einen außergewöhnlichen Bewusstseinszustand kreiste, bot

dies allen an der Produktion des Films Beteiligten die einmalige

Chance, besser zu verstehen, um was es hier ging.

Fünfzehn Mitglieder der Filmcrew nahmen an unserem fünf­

tägigen Workshop in Esalen teil, auch an den Sitzungen für Holo-

tropes Atmen. Für Natalie war es interessant, Esalen persönlich

kennenzulernen, denn vor einigen Jahren hatte sie als Hauptdar­

stellerin an dem Film Bob & Carol & Ted & Alice mitgewirkt - einer

Parodie auf Esalen und ähnliche Zentren für die Entwicklung des

menschlichen Potenzials. Ihr Aufenthalt in Esalen erfüllte bestimmt

die bei diesem Filmprojekt geweckten Erwartungen. Als sie bei ei­

ner Atemsitzung Begleitperson war, zog sich der mexikanische

Gastgelehrte (ein Mitarbeiter von Esalen, der im Institut arbeitete

und im Austausch dafür an Workshops teilnahm), der neben ihr

atmete, splitternackt aus und blieb die restliche Sitzung so. In

Esalen, wo das Nacktbaden in den berühmten heißen Quellen und

dem offenen Swimmingpool einfach dazugehörte, fiel das gar nicht

weiter auf, aber für unsere Hollywood-Freunde war es doch etwas

ungewöhnlich.

Als ich eines Tages mit Natalie beim Mittagessen zusammen­

saß, erfuhr ich, dass sie, was außergewöhnliche Bewusstseinszu­

stände betraf, durchaus keine Anfängerin war. Mitten in unserem

Gespräch fragte sie mich plötzlich: »Stan, kennst du eine Droge

namens Ketalar?« Ketalar oder Ketamin ist ein starkes Anästheti-

kum, das ziemlich anders wirkt als die üblichen Betäubungsmittel.

Man bezeichnet Ketamin auch als »dissoziatives Anästhetikum«,

denn Patienten, denen man es verabreicht, verlieren nicht das Be­

wusstsein, sondern ihr Bewusstsein löst sich so weit vom Körper,

dass sie nicht spüren, was mit ihm passiert. Während sie operiert

werden, erleben sie phantastische Abenteuer in anderen Wirklich­

keiten. Sie verwandeln sich in andere Personen, andere Lebens­

formen und sogar in nicht organische Gegenstände, begegnen ver­

104 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

Page 105: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Entstehung des Films Brainstorm 105

schiedenen archetypischen Gestalten und nicht inkarnierten

Wesen, erleben Erinnerungen an frühere Leben, besuchen andere

Universen und machen tiefe mystische Erfahrungen.

Es stellte sich heraus, dass Natalie bei der Geburt einer ihrer

Töchter, die mit Kaiserschnitt zur Welt gebracht werden musste,

intravenös eine starke Dosis Ketamin verabreicht bekommen hatte.

Wie damals unter Chirurgen üblich, gab man ihr dieses Medika­

ment ohne irgendwelche psychologische Erklärungen, Vorberei­

tungen oder Vorwarnungen. In vielen Ländern haben Chirurgen

Ketamin inzwischen generell abgesetzt. Grund dafür ist das Phäno­

men, das sie als »emergence syndrome« bezeichnen - nämlich die

Tatsache, dass ihre Patientinnen und Patienten nach dem Erwachen

aus der Narkose von seltsamen Visionen berichteten. Manche Ärzte

verabreichen dieses Mittel nur noch Kindern und älteren Men­

schen, mit denen sie in dieser Hinsicht weniger Schwierigkeiten

erleben. Auch viele Tierärzte benutzen Ketamin weiter.

Natalie machte damals eine tiefe Erfahrung. Unter anderem

hatte sie das sichere Gefühl, das Sonnensystem zu verlassen und

außerirdische Welten und Zivilisation zu besuchen. Sie empfand

dieses sonderbare Bewusstseinsabenteuer als erschreckend und

verwirrend und war davon völlig überfordert. Es beruhigte sie, von

mir zu hören, dass diese phantastischen Erfahrungen eine absolut

normale Reaktion auf Ketamin darstellten, denn sie hatte sich gele­

gentlich gefragt, ob ihre seltsamen Erlebnisse nach Verabreichung

dieser Substanz nicht ein Indiz für eine latente Geisteskrankheit

gewesen sein konnten.

Glücklich über die hier gemachten Erfahrungen, reiste die

Hollywood-Crew aus Esalen ab und startete mit großer Begeiste­

rung die Dreharbeiten für Brainstorm. Wir hatten Gelegenheit,

mehrere Tage bei den Außenaufnahmen in Raleigh, North Caroli­

na, dabei zu sein, wo sie ein Gebäude gefunden hatten, das sich

gut als futuristisches Forschungsinstitut für Brainstorm eignete und

wo auch das ideale Wohnhaus für Michael Brace und seine Frau

Page 106: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

io6 Teil i: Das Mysterium der Synchronizität

stand, die von Chris Walken und Natalie Wood gespielt wurden.

Während unseres Aufenthalts in Raleigh gaben wir Chris Walken,

der nicht mit der restlichen Crew nach Esalen hatte kommen kön­

nen, eine Atemsitzung.

Ursprünglich hatte Natalie Chris’ Sitzung begleiten wollen.

Das hätte gut zur letzten Szene von Brainstorm gepasst, wo sie an­

wesend ist, als die Person, die Chris spielte, sich den letzten Teil

der Aufzeichnungen von Lillians Todeserfahrung anhört. Kurz

nach Beginn der Sitzung jedoch beschloss Natalie, sich Chris anzu­

schließen und selbst eine Sitzung zu nehmen. Als die restliche

Crew in Esalen Erfahrungen mit der Atemarbeit machte, hatte

Natalie nicht selbst geatmet, sondern war als Betreuerin und

Beobachterin anwesend. In Anbetracht ihrer Bekanntheit und der

Öffentlichkeit der Ereignisse war diese Entscheidung verständlich.

Jetzt bedauerte sie jedoch, diese Gelegenheit verpasst zu haben,

und wollte die Erfahrung nachholen. Sie fand die Sitzung sehr hilf­

reich. Es ging dabei vor allem um den Tod ihres Vaters, und Natalie

hatte das Gefühl, sich mit diesem äußerst schmerzlichen Ereignis

in ihrem Leben endlich versöhnt zu haben.

Als die Dreharbeiten an die Westküste verlegt wurden, begleiteten

wir die Crew in die Hollywood-Studios und waren bei den Probe­

aufnahmen für viele Szenen, den eigentlichen Dreharbeiten und

der Sichtung des täglich gedrehten Filmmaterials dabei. In der Zeit

hatten wir auch Gelegenheit, Natalie in ihrem Wohnwagen zu be­

suchen, wo sie sich zwischen den Dreharbeiten ausruhte. Sie stell­

te uns auch ihren Ehemann Robert Wagner vor, der zufällig gerade

vorbeikam. Viele unserer Gespräche bei diesem Besuch kreisten

um ein Thema, das uns in Anbetracht der kurz darauf folgenden,

tragischen Ereignisse rückblickend unheimlich und wie ein böses

Omen vorkam: Christina bemerkte an einer Wand des Wohnwa­

gens das Bild einer wunderschönen Yacht, die Natalie und Robert

gehörte. Beide liebten dieses Boot und gingen damit häufig auf

Page 107: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Entstehung des Films Brainstorm 107

Tour. Segeln hatte auch in Christinas Kindheit eine wichtige Rolle

gespielt, denn ihr Stiefvater besaß ein großes Segelboot, und die

Familie umsegelte häufig die Inselgruppe von Hawaii. Auch Nata­

lie und Robert, so stellte sich heraus, machten gern Urlaub auf Ha­

waii und kannten viele Menschen, mit denen Christinas Stiefvater

befreundet war und die für sie als Kind ebenfalls wichtig gewesen

waren. Die beiden erzählten uns viel über die 250.000 Dollar teure

Yacht, ihre luxuriöse Innenausstattung, ihre Entsalzungsanlage und

die vielen Kreuzfahrten, die sie mit diesem Schiff unternommen

hatten.

Leider mussten wir Hollywood verlassen und konnten nicht bis

zum letzten Tag der Dreharbeiten bleiben. Später erzählten uns

Mitglieder der Brainstorm-Crew das dramatische Finale, das sie am

Tag vor Thanksgiving erlebten. Sie verbrachten den ganzen Tag mit

den Probeaufnahmen und Dreharbeiten für eine eindrucksvolle

Szene, in der Lillian Reynolds, von Louise Fletcher gespielt, einen

Herzanfall hat und in ihrem Labor stirbt. Louise spielte ihre Rolle

hervorragend, und ihre Darstellung machte auf die restliche Crew

einen tiefen Eindruck. Während sie stundenlang zuschauten, wie

sich Louise in Todesqualen wand, wurden sie unweigerlich an ihre

eigene Sterblichkeit erinnert. Am Ende dieses Tages waren alle in

einer ernsten, düsteren Stimmung.

Als die Szene über Lillians Tod schließlich zur Zufriedenheit

aller Beteiligten gedreht worden war, stand eine wichtige Entschei­

dung an. Zu dem Zeitpunkt waren die wichtigsten Aufnahmen mit

den Hauptdarstellern bis auf drei Szenen abgeschlossen. Die Crew

stand vor zwei Alternativen: Sie konnte erstens das verlängerte

Thanksgiving-Wochenende nutzen, um die restlichen Dreharbei­

ten mit den Hauptdarstellern zu Ende zu bringen. Die Filmpro­

duktion hätte dann anschließend das bereits existierende Filmma­

terial sichten und sich den Spezialeffekten zuwenden können und

damit dem Part, an dem wir am meisten beteiligt waren und der

uns entsprechend interessierte. Die zweite Möglichkeit war, die

Page 108: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

io8 Teil i: Oas Mysterium der Synchronizität

Dreharbeiten zu unterbrechen, das Wochenende freizumachen

und in der folgenden Woche die restlichen Szenen zu drehen. Die

Meinungen waren geteilt, und der Belegschaft fiel es sehr schwer,

sich zu einigen. Sie beschlossen abzustimmen. Die Befürworter

eines freien Wochenendes gewannen mit einer Stimme Mehrheit.

Das sollte sich für den Film und für Natalie persönlich als eine fa­

tale Entscheidung erweisen.

Natalie und Robert planten, das Wochenende auf ihrer Yacht

in der Nähe der Santa-Catalina-Insel zu verbringen, und Natalie

lud auch Chris Walken ein, an dieser Kreuzfahrt teilzunehmen.

Was danach passierte, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Unwi­

dersprochen gebliebenen Medienberichten zufolge kam es im Vor­

feld zu heftigem Alkoholkonsum. Was man weiß, ist, dass Natalie

irgendwann die anderen allein ließ und versuchte, die Santa-

Catalina-Insel zu erreichen, um dort die Nacht zu verbringen. Sie

sollte das Ufer nie erreichen. Beim Versuch, das Beiboot zu bestei­

gen, fiel sie vermutlich ins Wasser und ertrank. Es ist bekannt, dass

Alkohol den Gleichgewichtssinn beeinträchtigt. Am nächsten Mor­

gen fand man ihren toten Körper auf dem Ozean treibend. Die Zei­

tungen veröffentlichten ein Foto, das einen Mann zeigt, der Nata­

lies Körper aus dem Wasser trägt. Das Bild hatte große Ähnlichkeit

mit einer Szene aus Natalies Film Die Augen der Laura Mars.

Natalies Tod war für ihre Familie, ihre Freunde, Bekannten

und Fans ein Schock. Ihr tragisches Ableben hatte auch negative

Folgen für Brainstorm. Drei der wichtigsten Szenen mit Natalie als

Flauptdarstellerin konnten nicht mehr gedreht werden, und maß­

gebliche Leute bei MGM betrachteten das als sicheres Todesurteil

für den Film. Doug Trumbull war verzweifelt und versuchte Brain­

storm mit allen Mitteln zu retten. Nach fast zweijährigem Produkti­

onsstopp konnten die Dreharbeiten wieder aufgenommen werden,

und der Film wurde fertig, wies aber schwere Mängel auf. Doug

konnte die Lücken, die durch die fehlenden Szenen entstanden

waren, nicht wirklich füllen; ihm gelangen keine fließenden Über­

Page 109: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Entstehung des Films Brainstorm 109

gänge. Aufmerksame Zuschauer entdeckten die logischen Fehler

im Film sofort. Aber am negativsten wirkte sich die Krise, die durch

Natalies tragischen Tod heraufbeschworen wurde, auf die Spezial­

effekte aus, die visionären Sequenzen, an denen wir mitarbeiteten.

Es fehlten die Gelder, um Dougs und unsere Lieblingspläne zu ver­

wirklichen.

Das Brainstorm-Projekt war ein aufregender Versuch, mit Hilfe

der besten derzeitig möglichen Spezialeffekte die Todeserfahrung

so darzustellen, dass unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse über

dieses Ereignis dabei umgesetzt wurden. Leider endete dieses Vor­

haben tragisch, als der Tod keine symbolische, künstlerische Dar­

stellung blieb, sondern tatsächlich zuschlug und das Projekt zu­

nichte machte. Doch die Dreharbeiten zu Brainstorm waren ein

bemerkenswertes Erlebnis, das bei uns den starken Wunsch hin­

terließ, die Darstellung visionärer Zustände auf der Leinwand noch

einmal zu versuchen und diesmal mit Erfolg.

Die phantastischen Fortschritte auf dem Gebiet der Spezialef­

fekte durch die digitale Technologie eröffneten in dieser Hinsicht

neue Wege, von denen wir damals nicht einmal träumten. Würden

wir die heutigen, großartigen Bildtechniken mit dem Wissen ver­

binden, das die Transpersonale Psychologie und die Bewusstseins­

forschung zusammengetragen haben, könnten wir - da bin ich mir

sicher - spirituelle Erfahrungen nicht nur darstellen, sondern beim

Publikum auch auslösen.

Page 110: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

iio Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

Der Lauf des WassersBegegnungen mit Präsident Vaclav Havel

u den bemerkenswerten Aspekten der erlebnisorientierten Tie­

fentherapie mit anderen Bewusstseinszuständen gehören die

Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir uns im Leben bewe­

gen und mit Herausforderungen und Projekten umgehen. Als vor­

bildliches Vorgehen in technologischen Gesellschaften gilt hier, zu­

nächst einmal zu definieren, was wir erreichen wollen, um es dann

zielgerichtet und fest entschlossen zu verfolgen. Das heißt auch,

Hindernisse auf dem Weg - wie potenzielle Feinde - zu erkennen

und zu bekämpfen. Das Leben eines Menschen, der dieses Rezept

befolgt, gleicht einem ständigen Ring- oder Boxkampf.

Ich habe im Laufe der Jahre mit vielen Menschen gearbeitet,

die die psychischen Kräfte, die dieser Strategie zugrunde liegen,

verstanden haben und transzendieren konnten. In dieser Lebens­

haltung, so haben sie entdeckt, spiegelt sich wider, dass wir die

Prägungen, die das Trauma unserer Geburt in unserer Psyche hin­

terlassen hat, nicht verarbeitet haben. Deshalb sind wir von der

spirituellen Welt wie abgeschnitten und fühlen uns ihr entfremdet.

Unser Streben nach äußeren Errungenschaften ist eine Projektion

des tieferen und grundlegenderen Antriebs, unseren Geburtspro­

zess psychisch abzuschließen und uns spirituell wieder verbunden

zu fühlen. Unser Hunger nach äußeren Eroberungen wird nie ge­

stillt, denn wir gieren nach Dingen, die wir eigentlich gar nicht

wollen und brauchen.

Z

Page 111: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Lauf des Wassers 111

Für Menschen, die zu dieser Einsicht gelangt sind, ist ein Leben,

das beherrscht wird vom Streben nach materiellen Zielen, eine ein­

zige »Tretmühle« oder »Hetzjagd«, die keine wirkliche Erfüllung

bringt und bringen kann. Aus dieser neuen Perspektive betrachtet,

bringt uns diese Strategie selbst dann keine Zufriedenheit, wenn

wir die angestrebten Ziele tatsächlich erreichen. Die systematische

und verantwortungsbewusste Selbsterforschung kann uns helfen,

mit dem Trauma der Geburt ins Reine zu kommen und uns spiri-

tuell wieder verbunden zu fühlen. Wir bewegen uns auf das zu,

was taoistische Lehrer Wu Wei oder »kreative Stille« nennen. Dabei

geht es nicht um ehrgeiziges und entschlossenes Bemühen, son­

dern um Tun durch Sein. Manche sprechen hier auch vom Lauf des

Wassers, denn dieser Weg entspricht dem Verlauf des Wassers in

der Natur.

Statt uns auf ein bestimmtes, festgelegtes Ziel zu konzentrie­

ren, versuchen wir uns einzufühlen in den Lauf der Dinge und

herauszufinden, wie wir uns hier am besten einfügen können. So

gehen wir auch in den Kampfkünsten und beim Surfen vor. Statt

auf ein Ziel oder Ergebnis konzentrieren wir uns auf den Prozess.

Wenn wir dem Leben so begegnen, erreichen wir letzten Endes mit

weniger Anstrengung mehr. Unser Handeln ist dann nicht egozen­

trisch und konkurrenzorientiert wie beim Verfolgen persönlicher

Ziele, sondern bezieht andere mit ein und verknüpft die Dinge

miteinander. Das Ergebnis befriedigt nicht nur uns, sondern dient

auch den umfassenderen Zwecken der gesamten Gemeinschaft.

Wenn wir uns in diesem taoistischen Bezugsrahmen bewegen -

so habe ich wiederholt beobachtet und erlebt -, kommt es oft zu

höchst fruchtbaren Zusammentreffen und Synchronizitäten, die

unser Projekt unterstützen und uns bei unserer Arbeit weiterhel­

fen. »Zufällig« stoßen wir genau auf die notwendigen Informati­

onen, die richtigen Menschen tauchen zur richtigen Zeit auf, und

die erforderlichen finanziellen Mittel fließen uns unerwartet zu.

Solche günstigen und außergewöhnlichen Synchronizitäten passie­

Page 112: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

112 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

ren dann so häufig, dass Christina und ich gelernt haben, sie als

eine Art Kompass für unsere Projekte zu nutzen, als wichtiges

Kriterium dafür, dass wir »auf der richtigen Spur« sind.

Ich möchte das gern anhand eines Beispiels aus unserem Leben

verdeutlichen, das unsere Arbeit in der internationalen transperso­

nalen Bewegung betrifft. 1977 gründete ich die »International

Transpersonal Association« (ITA), eine Organisation zu dem Zweck,

die Kluft zwischen moderner Wissenschaft und einer spirituellen

Sicht der Welt, zwischen westlichem Pragmatismus und uralter

Weisheit zu überbrücken. Die ITA sollte ernsthafte Bemühungen,

ein umfassendes und ausbalanciertes Verständnis des Kosmos und

der menschlichen Natur formulieren, anregen und fördern.

Da das umfassende Ziel aller Aktivitäten der ITA darin bestand,

ein globales Netzwerk für das gegenseitige Verständnis und die Zu­

sammenarbeit zu schaffen, vermissten wir bei unseren internatio­

nalen Konferenzen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Län­

dern hinter dem sogenannten Eisernen Vorhang, die zu jener Zeit

nicht ins Ausland reisen durften, und denen die finanziellen Mittel

fehlten, sich uns anzuschließen. Doch dann änderte sich die Situa­

tion in der damaligen Sowjetunion. Michail Gorbatschow rief das

Zeitalter von »Glasnost« und der »Perestroika« aus, und es schien

plötzlich durchaus möglich, das nächste Treffen der ITA in Russ­

land abzuhalten. Als Christina und ich vom sowjetischen Gesund­

heitsministerium offiziell nach Moskau eingeladen wurden, nutzten

wir unseren Besuch, um zu prüfen, ob eine solche Konferenz in

Russland möglich war. Wir bemühten uns wirklich sehr, doch

ohne Erfolg. Die Situation war offensichtlich noch zu instabil und

schwankend, um eine Konferenz in diesem Land zu riskieren.

Im November gab ich außerhalb von Kalifornien ein Seminar

für Holotropes Atmen. Da bekam ich einen Anruf von Christina,

die mich fragte, ob ich wisse, was gerade in meinem Heimatland

passiere. Unser Training war sehr intensiv, und wir absolvierten

Page 113: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Lauf des Wassers 113

täglich drei Sitzungen. Wir waren tief in die innere Arbeit einge­

taucht, und niemand von uns hatte Zeit oder Interesse, den Fern­

seher anzuschalten oder die Nachrichten zu lesen. Christina teilte

mir nun mit, dass die »Velvet Revolution« im Anrücken war und

das kommunistische Regime in der Tschechoslowakei wahrschein­

lich zu Fall kommen würde. »Wäre es nicht großartig«, sagte sie,

»wenn wir die nächste ITA-Konferenz in Prag abhalten könnten?«

Wenige Wochen später war die Tschechoslowakei ein freies Land,

und der ITA-Vorstand beschloss, dass unser nächstes Treffen dort

stattfinden solle.

Da ich in Prag geboren bin, schien es naheliegend, mich als

Abgesandten zu schicken, um einen geeigneten Platz für diese Kon­

ferenz zu finden und vor Ort entsprechende Vorbereitungen zu

treffen. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Jahre, die ich in

meinem Geburtsland gelebt hatte, mir viel weniger Vorteile brach­

ten, als wir erwartet hatten. Ich hatte die Tschechoslowakei zur

Zeit der Hauptbefreiungsbewegung verlassen, die »einen Sozialis­

mus mit menschlichem Antlitz« schaffen wollte. 1968, als der

Prager Frühling durch den Einmarsch der Sowjetarmee brutal un­

terdrückt wurde, befand ich mich als Stipendiat an der Johns-Hop-

kins-Universität in Baltimore. Nach dieser Invasion wurde ich von

den tschechischen Autoritäten aufgefordert, sofort ins Land zu­

rückzukehren, aber ich beschloss, dieser Anordnung keine Folge

zu leisten und in den Vereinigten Staaten zu bleiben.

Die Folge war, dass ich mein Geburtsland mehr als zwanzig

Jahre nicht besuchen durfte. In der Zeit konnte ich auch keinen

offenen Kontakt mit Freunden und Kollegen dort pflegen. Durch

Briefe oder Telefonate mit mir hätten sie sich in Gefahr gebracht,

denn mein Aufenthalt in den Vereinigten Staaten galt als illegal.

Aufgrund meiner langen Abwesenheit verlor ich - außer zu engen

Verwandten - sämtliche Verbindungen. Die neue Situation war mir

fremd, und ich hatte keine Ahnung, wo ich überhaupt anfangen

sollte.

Page 114: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

114 Teil i: Das Mysterium der Synchronizität

Meine Mutter holte mich am Prager Flughafen ab, und wir nahmen

ein Taxi zu ihrer Wohnung. Nachdem wir eine Weile zusammenge­

sessen und uns gegenseitig über unser Leben auf den neuesten

Stand gebracht hatten, verließ sie das Haus, um eine Nachbarin zu

besuchen und ein paar Besorgungen zu machen. Allein in der

Wohnung, setzte ich mich in einen Sessel, trank eine Tasse Tee und

dachte über meine Mission nach. Plötzlich unterbrach ein lautes

Klingeln an der Wohnungstür mein Sinnieren. Ich öffnete die Tür

und erkannte Tomás Dostál, einen jüngeren Psychiater-Kollegen,

mit dem ich in alten Zeiten eng befreundet gewesen war. Vor mei­

ner Abreise in die Vereinigten Staaten hatten wir eine Zeitlang ge­

meinsam außergewöhnliche Bewusstseinszustände erforscht und

uns in unseren psychedelischen Sitzungen gegenseitig »Modell«

gesessen. Tomás hatte durch einen Bekannten von meinem Besuch

in Prag erfahren und stand vor der Tür, um mich willkommen zu

heißen.

Zu meinem Erstaunen erfuhr ich, dass bei Tomás zu Hause

genau in dem Augenblick, als er seine Wohnung verlassen wollte,

das Telefon klingelte. Am Apparat war Ivan Havel, ein prominenter

Forscher auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz und Bruder

des (damaligen) tschechischen Präsidenten Václav Havel. Er war

auch Vorsitzender einer Gruppe von progressiven Wissenschaft­

lern, die in der kommunistischen Ära heimliche Treffen im Unter­

grund abgehalten hatten, um neue Wege der westlichen Wissen­

schaft zu erforschen. Ihr besonderes Interesse galt dem Denken

des neuen Paradigmas, der Bewusstseinsforschung und der trans­

personalen Psychologie. Ivan Havel und Tomás waren auf dem

Gymnasium Klassenkameraden und waren enge Freunde geblie­

ben. Tomäs war häufig zu Gast bei Familie Havel gewesen und

kannte auch Ivans Bruder Václav persönlich.

Ivan Havels Gruppe hatte durch einen Vortrag eines meiner

Freunde, des Sowjetdissidenten Vassily Nalimov, von meiner Arbeit

erfahren. Vassily war ein brillanter russischer Wissenschaftler, der

Page 115: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Lauf des Wassers 115

achtzehn Jahre in einem sibirischen Arbeitslager interniert war.

Christina und ich hatten Vassily und seine Frau Zhanna zur ITA-

Konferenz in Santa Rosa als unsere Gäste nach Kalifornien eingela­

den und uns mit den beiden angefreundet. Der Titel eines der

Bücher von Vassily Realms oj the Unconscious (Reiche des Unbe­

wussten, Anm.d.Ü.), war dem Titel meines ersten Buches, Realms

of the Human Unconscious (deutsch: Topographie des Unbewussten,

Anm.d.Ü.), sehr verwandt. Vassilys Buch enthielt auch einen aus­

führlichen Bericht über meine psychedelische Forschungsarbeit,

und in seinem Vortrag für die Prager Gruppe hatte er meine Arbeit

ausführlich erläutert.

Durch Vassilys Referat auf mich aufmerksam geworden, bekam

die Prager Gruppe nun Interesse, mich als Gastredner einzuladen.

Ivan Havel wusste, dass Tomäs und ich alte Freunde waren, und

rief ihn an, um herauszufinden, ob er meine Adresse oder Telefon­

nummer hatte und den Kontakt zwischen der Prager Gruppe und

mir herstellen konnte. Zu seiner Überraschung teilte Tomäs ihm

mit, ich sei zufällig gerade zu Besuch in Prag und er wiederum sei

im Begriff, seine Wohnung zu verlassen, um mich aufzusuchen.

Eine solch unglaubliche Überschneidung verschiedener Ereignisse

bot mehr als genug Anzeichen dafür, dass wir eher »mit dem

Strom« als »gegen ihn schwammen«. Durch diesen wunderbaren

Verlauf der Dinge ermutigt, beschlossen Christina und ich, unser

Projekt weiterzuverfolgen.

Wie sich herausstellte, kam mir die spektakuläre Konstellation

von Ereignissen in meiner Rolle als Abgesandter für die ITA-Konfe-

renz sehr zugute. Denn unter für mich fremden Umständen hatte

ich nicht mehr als zehn Minuten gebraucht, um für unser zukünf­

tiges Treffen die idealen Kontakte und damit auch die optimale Un­

terstützung zu finden - nämlich eine Gruppe von hochkompe­

tenten Akademikern, die mit dem Hochschulbetrieb verbunden

waren und lebhaftes Interesse am Thema der geplanten Konferenz

zeigten.

Page 116: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

n6 Teil i: Das Mysterium der Synchronizität

Auf demselben Weg bekam ich auch Kontakt zum damaligen

Staatsoberhaupt, das zufällig auch noch ein aufgeklärter und tief

spiritueller Politiker und für die transpersonale Sicht offenwar. Die

Konferenz fand 1993 unter der Schirmherrschaft von Präsident

Václav Havel in der Prager Smetana Konzerthalle und im städ­

tischen Gemeindehaus statt.

Präsident Havel war der ideale Ehrengast für eine ITA-Konferenz.

Er war kein gewöhnlicher Politiker, sondern wurde häufig als

»Staatsmann« bezeichnet - ein Staatsoberhaupt mit einer umfas­

senden, spirituell begründeten globalen Sicht. Václav war ein be­

kannter Stückeschreiber gewesen, und seine Präsidentschaft war

kein Resultat eines jahrelangen Kampfes um politische Macht. Viel­

mehr nahm er seine Ernennung nur sehr zögernd an, um der drin­

genden Bitte des Volkes nachzukommen. Er wanderte praktisch

direkt aus dem kommunistischen Gefängnis ins Prager Schloss. Ei­

ner seiner ersten Schritte nach Amtseinweihung bestand darin,

Seine Heiligkeit, den Dalai Lama, als Oberhaupt der Tibeter anzu­

erkennen und zu einem Besuch einzuladen. Er bemühte sich auch

ernsthaft darum, die gesamte Waffenproduktion in der Tschecho­

slowakei zu stoppen. Wo immer er auftrat, beeindruckte er sein

Publikum durch seinen eindringlichen Ruf nach einer spirituell be­

gründeten Demokratie und globaler Solidarität.

Leider fiel der Beginn der ITA-Konferenz zusammen mit einer

schweren Krise, welche die Zukunft der Tschechoslowakei be­

drohte. Der östliche Teil des Landes, die Slowakei, hatte beschlos­

sen, sich von den beiden westlichen Teilen, Böhmen und Mähren,

abzuspalten. An dem Tag, als die Konferenz begann, hielt die tsche­

choslowakische Regierung eine Krisensitzung ab, die bis drei Uhr

morgens dauerte. Präsident Havel, der die Konferenz eröffnen und

die Gäste willkommen heißen sollte, konnte nicht zu uns kommen

und musste statt dessen einen Vertreter schicken, der seine persön­

liche Botschaft überbrachte. Trotz dieser Komplikationen war die

Page 117: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Lauf des Wassers 117

Konferenz, an der erstmals auch Kolleginnen und Kollegen aus

Osteuropa teilnahmen, sehr erfolgreich. Sie sollte sich als DAS Er­

eignis in der Geschichte der ITA erweisen, über das am meisten

gesprochen wurde.

Unsere Enttäuschung darüber, dass Präsident Havel die ITA-

Konferenz nicht besuchen konnte, wurde dadurch gemildert, dass

wir später Gelegenheit zu einem privaten Gespräch mit ihm beka­

men. Bei unserem nächsten Besuch in Prag lud er uns zu einer

persönlichen Audienz ins Prager Schloss ein. Er äußerte großes In­

teresse an der transpersonalen Psychologie, ihrer Geschichte und

ihren wichtigsten Vertreterinnen und Vertretern. Die Idee der Syn­

these von moderner wissenschaftlicher Weltanschauung und einer

spirituellen Sicht der Welt faszinierte ihn ganz offensichtlich. Be­

sonders am Herzen lag ihm die Frage, welche Implikationen das

transpersonale Denken für Politik und Wirtschaft haben könnte.

Für Christina und mich sind die zweieinhalb Stunden, die wir mit

ihm verbringen durften, ein unvergessliches Erlebnis.*

* Anmerkung des Kösel-Verlags: Im Oktober 2007 wurde Stanislav Grof im Rahmen der

Dagmar-und-Václav-Havel-Foundation von Václav Havel mit dem Vision Award 2007 aus­

gezeichnet.

Page 118: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

«8 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

Der Segen der GötterDon Jose und die Regenzeremonie der Huichol

ährend unserer Anfangsjahre in Big Sur, Kalifornien, nahmen

wir Kontakt auf zu Prem Das, einem jungen Amerikaner aus

San Jose, der in Esalen Halt machte, um hier Kunstwerke der Hui-

chol-Indianer aus Nordzentralmexiko zu verkaufen. Die Bilder und

Objekte waren inspiriert von den psychedelischen Visionen, wel­

che die Huichol bei ihren Peyote-Zeremonien hatten, darunter

wunderschöne Garnbilder, die mythologische Motive zeigten, Au­

gen Gottes und Gebetspfeile. Er verkaufte auch reich bestickte

Hemden, Hosen, Kleider, Gürtel und Armbänder. Zu der Zeit, als

Prem Das regelmäßig nach Esalen kam, lebte er in Mexiko, in

einem Huichol-Dorf in der Nähe von Tepic, der Hauptstadt des

Bundesstaates Nayarit, und ging in die Lehre von Don Jose Matsu-

wa, einem außergewöhnlichen, einhundertjährigen Schamanen.

Wie wir erfuhren, hatte Prem Das eine sehr interessante spiri­

tuelle Lebensgeschichte: Im Alter von 11 Jahren nahm er an einer

Untersuchung teil, die von Ernest R. Hilgard im Labor der Hypno­

seforschung an der Stanford-Universität durchgeführt wurde. Auch

wenn es Hilgard lediglich darum ging zu erforschen, wie Kinder

auf Hypnose reagieren, machte Prem Das in einer der Sitzungen

eine eindringliche mystische Erfahrung, die in ihm ein tiefes Inte­

resse an der spirituellen Suche weckte. Gegen Ende seiner Teen­

agerzeit reiste er nach Indien und studierte Yoga bei Haridas Baba,

einem berühmten Guru, der vor allem durch sein Schweigegelübde

W

Page 119: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Segen der Götter 119

bekannt wurde. Haridas Baba war es auch, der ihm den Namen

Prem Das gab.

Nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten reiste Prem

Das nach Mexiko und sah bei einem Besuch in Tepic ein Garnbild

der Huichol, das die Reise des Schamanen oder mara‘akame ins

Sonnenreich zeigte. Der Pfad des Schamanen war dargestellt durch

sieben Blüten, was Prem Das stark an das Chakrasystem der Yogis

erinnerte. Fasziniert von diesem Bild, beschloss er herauszufinden,

von wem es stammte, denn er war sicher, dass der Künstler einem

Glaubenssystem anhing, das dem Kundalini-Yoga ähnlich war.

Seine Suche brachte ihn in ein Huichol-Dorf, wo er Don Jose

kennenlernte, der ihn als Lehrling annahm. Das wichtigste spiritu­

elle Medium der Huichol, das auch Don Jose als grundlegendes

Unterrichtsmittel benutzte, war Peyote, ein psychedelischer Kaktus

mit dem botanischen Namen Lophophora williamsii oder Anhaloni-

um lewinii.

Prem Das schilderte uns die tragische Situation der Huichol-

Indianer. Diese Menschen, Abkömmlinge der Azteken, lebten in

kleinen Gemeinschaften, die zerstreut in den Canyons und Tälern

der zerklüfteten Bergwelt der Sierra Madre in den Bundesstaaten

Jalisco und Nayarit lagen. Sie lebten von dem Land, auf dem sie

wohnten, und bauten an den steilen Berghängen Mais, Bohnen und

Chili an. Die Huichol waren Vertreter und Hüter einer alten Tradi­

tion aus ihrer weit entfernten Vergangenheit noch vor der Zeit der

spanischen Eroberer. Sie nannten sich Wixalika oder Heiler und

glaubten, dass das Abhalten spezieller Zeremonien für die Heilung

der Erde und die Erhaltung eines natürlichen Gleichgewichts von

wesentlicher Bedeutung war. Die Huichol hatten sich der Invasion

der spanischen Eroberer erfolgreich widersetzt und bemühten sich

jetzt, ihre Kultur trotz der wachsenden Übergriffe ihrer mexika­

nischen Nachbarn lebendig zu halten.

In den 1970er-Jahren richtete die mexikanische Regierung,

entschlossen, alle Ureinwohner in die Mainstream-Gesellschaft zu

Page 120: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

120 Teil i: Das Mysterium der Synchronizität

integrieren, Schulen, Kliniken und landwirtschaftliche Stützpunkte

ein, um den Huichol den neuen Lebensstil beizubringen. Seit der

Zeit landeten noch in den entferntesten Gegenden der Sierra auf

provisorischen Landebahnen kleine Flugzeuge mit Touristen und

Regierungsbeamten. Die Rancher, auf der Suche nach Weideland

für ihre ständig wachsenden Viehherden, waren scharf auf die

hohen, grasbewachsenen Bergplateaus und versuchten, sich diese

Gebiete anzueignen. Christliche Missionare und religiöse Fanatiker

bemühten sich, die »Heiden« zu bekehren. Die junge Generation

der Huichol war den Verlockungen der Konsumgesellschaft mit ih­

ren Fernsehern, Transistor-Radios, Motorrädern und alkoholischen

Getränken ausgesetzt.

Die Modernisierung der mexikanischen Gesellschaft bedrohte

auch das entscheidende Element im rituellen Leben der Huichol.

Bislang war es bei den Huichol Tradition gewesen, ihr wichtigstes

Heiligtum - Peyote - bei einer jährlichen Pilgerreise nach Wirikuta

oder ins Land der Blumen, ihrer spirituellen Heimat am westlichen

Rand des Catorce-Gebirges, zu sammeln. Sie unternahmen diese

300 Meilen lange Reise zu Fuß, und wer zum ersten Mal mitwan-

derte, musste mit verbundenen Augen gehen. In einer tausend Jah­

re alten Geschichte heißt es, Wirikuta sei das Land, in dem die

Huichol erschaffen wurden und wo ihre Ahnen vom Cerro Quema-

do aus, dem verbrannten Hügel, die Geburt der Sonne beobachte­

ten. An diesem Ort hatte auch ihre erste Jagd auf Hirsche stattge­

funden.

Die Huichol glaubten, dass Peyote in den Fußspuren des

Hirschgeistes Kauyumare wächst, und sammelten den heiligen

Kaktus, indem sie eine Jagd auf Rehe imitierten. Während der Pil­

gerfahrt nach Wirikuta nahmen sie rituell Peyote und sammelten

Vorräte für ein ganzes Jahr. Da das Land teilweise in Privatbesitz

übergegangen und eingezäunt worden war, verlor dieses Ereignis

seinen heiligen Charakter, denn die Huichol waren jetzt gezwun­

gen, mit Lastwagen zu reisen und das Straßennetz zu benutzen.

Page 121: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Segen der Götter 121

Der jüngste Angriff der industriellen Zivilisation hatte dem Dorf, in

dem Prem Das lebte, großen Schaden zugefügt. Seit undenklichen

Zeiten hatten die Huichol Mais und Bohnen angebaut - eine Kom­

bination, die für eine perfekt ausgewogene Ernährung sorgt. Um

die Produktion von Mais zu steigern, führte die mexikanische Re­

gierung Pestizide ein, nach deren Einsatz nur noch Mais auf dem

Land wuchs, sodass die Huichol gezwungen waren, Bohnen auf

dem Markt zu kaufen. Als sich der Preis für Bohnen plötzlich

verdreifachte, konnten sie sich dieses Gemüse nicht mehr leisten.

Die unterernährten Huichol-Kinder litten jetzt an zahlreichen

gesundheitlichen Problemen, die auf diese Mangelernährung zu­

rückgingen.

Als wir das hörten, beschlossen wir, den Huichol zu helfen, damit

sie überleben und ihre Kultur und ihr spirituelles Leben erhalten

konnten. Mit Prem Das’ Hilfe nahmen wir Kontakt zu Huichol-

Schamanen und -Künstlern auf, was sich für beide Seiten als pro­

duktiv erweisen sollte. Prem Das brachte aus Mexiko regelmäßig

seinen Lehrer Don Jose und andere Schamanen mit, die als Gast­

dozenten an unseren einmonatigen Workshops mitwirkten. Sie

hatten immer große Mengen an erstaunlichen Huichol-Kunstwer-

ken dabei, die bei der Esalen-Gemeinschaft, bei Workshop-Teil­

nehmern und Besuchern sehr beliebt waren. Dieser Austausch war

für unser Programm eine enorme Bereicherung und brachte genug

Geld ein, um die Versorgung des Huichol-Dorfes mit den nötigen

Bohnenvorräten zu sichern.

Der größte Vorteil dieses Unternehmens war für uns jedoch,

dass wir Don Jose kennenlernten, einen von seinem Volk hochge­

schätzten Schamanen oder Mara’akame, und Zeit mit ihm verbrin­

gen konnten. Während seiner Besuche in Big Sur war Don Jose

regelmäßig Gast in unserem Haus. Er gehörte zu den außerge­

wöhnlichsten spirituellen Lehrern und menschlichen Wesen, die

uns jemals begegnet sind. Als wir ihn zum ersten Mal trafen, war

Page 122: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

122 Teil i: Das Mysterium der Synchronizität

Don Jose über 100 Jahre alt. Er hatte nur einen Arm, den anderen

hatte er als kleiner Junge bei einem Fischereiunfall verloren. Die

Verletzung durch eine Machete hatte ihn zwei Finger an der ver­

bliebenen Hand gekostet. Und trotzdem erntete er jährlich fünf

Tonnen Mais, denn für ihn war tägliches Schwitzen die beste Ga­

rantie für eine gute Gesundheit und ein langes Leben. Seine Vitali­

tät war erstaunlich. Er lief die Berge so schnell hoch und wieder

herunter, dass Prem Das, ein junger sportlicher Mann Ende zwan­

zig, kaum Schritt mit ihm halten konnte. Trotz seines Alters war er

aktiv an Sex interessiert und machte den Frauen in unseren Grup­

pen regelmäßig Avancen.

Die nächtlichen Zeremonien mit Don Jose, die bis zum Mor­

gen dauerten, waren ein unvergessliches Erlebnis. Er trug dabei

einen großen Hut und seine Huichol-Tracht, beides reich bestickt

und geschmückt mit verschiedensten geometrischen Mustern und

den heiligen Symbolen seines Stammes: dem Hirschgeist Kauyu-

mari; Urgroßvater Feuer Tatewari; Peyote-Kaktus Hikuri; dem

doppelköpfigen Adler, Symbol für den Schamanen, der in alle

Richtungen sehen kann; und viele andere. Don nahm vor der Zere­

monie immer den Kopf (oder Knopf) eines großen Peyote-Kaktus

zu sich, was ihm half, die Grenzen der gewöhnlichen sinnlichen

Wahrnehmung zu überschreiten und »mit dem inneren Auge und

dem Herzen des Großen Geistes die gegenseitige Verbundenheit

aller Dinge, sichtbarer wie unsichtbarer, zu sehen«.

Trotz der erstaunlichen Menge an Peyote, die Don Jose zu sich

nahm, führte er die rituellen Handlungen und Heilungen einwand­

frei und präzise durch, wobei er den mit Adler- und Truthahnfe­

dern geschmückten Gebetspfeil in seinen drei restlichen Fingern

hielt und einen stundenlangen, eindringlichen Gesang anstimmte,

der uns allen zu Herzen ging. Prem Das begleitete sein Lied mit

einladenden rhythmischen Trommelschlägen oder auf einem selbst

gebauten hölzernen Saiteninstrument. Die Gruppe schloss sich den

beiden mit den kraftvoll klingenden Huichol-Rasseln an, die aus

Page 123: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Segen der Götter 123

Kürbis und trockenen Bohnen hergestellt wurden. Don Jose hatte

die einzigartige Gabe, das Heilige und das Irdische in Balance zu

bringen. Beim Trommeln und Singen war er sehr ernst und schuf

eine feierliche, heilige Atmosphäre im Raum, aber in den Pausen

gewann der Schelm in ihm die Oberhand. Er lachte laut und er­

zählte sich mit Prem Das höchst amüsante und oft ziemlich schmut­

zige Witze.

Die ungewöhnlichste und beeindruckendste Zeremonie, die wir

mit Don Jose erlebten, fand gegen Ende der 1970er-Jahre im Big

House von Esalen statt, mitten in einer katastrophalen Dürreperio­

de in Kalifornien, die mehrere Jahre anhielt. Die ganze Zeit über

war die Wasserknappheit im Land an einem kritischen Punkt. Die

kalifornische Landwirtschaft war ernsthaft in Gefahr, und Men­

schen, die in luxuriösen Häusern lebten, konnten weder ihre Toi­

lettenspülung benutzen noch abwaschen. Zu Beginn der Zeremo­

nie schlug eine der Teilnehmerinnen scherzend vor: »Don Jose, wir

haben in Kalifornien eine schreckliche Trockenheit. Vielleicht

sollten wir eine Regenzeremonie abhalten.« Alle in der Gruppe

hielten das für einen Witz, außer Don Jose. Nachdem er kurz über­

legt hatte, stimmte er dem Vorschlag zur Überraschung aller Anwe­

senden zu.

Wer Don Joses Gesänge in der Sprache der Huichol nicht ver­

stand, für den schien sich diese Zeremonie nicht von all den ande­

ren zu unterscheiden, die wir zusammen abgehalten hatten. Bis auf

wenige Pausen wurde die ganze Nacht hindurch kontinuierlich

getrommelt und gesungen. Als die zweite Hälfte der Zeremonie

begann, leitete Prem Das die Gruppe zum Hirschtanz an, und wir

alle bewegten uns durch den Raum, indem wir Vorwärtsschritte

mit vertikalen Kreisbewegungen um die eigene Körperachse kom­

binierten. In der Morgendämmerung holte Don Jose aus seinem

Medizinbeutel eine große Abalone-Muschel und einen Kaninchen­

schwanz und lud uns ein, ihn hinunter ans Meer zu begleiten, um

Page 124: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

124/ Teil i: Das Mysterium der Synchronizität

limpieza, eine Reinigung, zu empfangen und dem Meer Dankes­

gaben für den guten Verlauf der Zeremonie darzubringen.

Wir verließen das Big House und gingen zu den mit Zypressen

bewachsenen Kliffs der atemberaubend schönen Küste von Big Sur,

während die Zeremonie in uns noch »nachhallte«. Der Blick auf

den Pazifischen Ozean, der im Morgenlicht vor uns lag, war um­

werfend. Als die ganze Gruppe regungslos dastand und das spekta­

kuläre Panorama betrachtete, bemerkte jemand, dass es angefan­

gen hatte zu nieseln. »Unfassbar... nicht zu glauben... phantastisch«,

lauteten die Kommentare der Leute zu diesem Phänomen, das uns

mitten in der verheerenden Trockenheit wie ein Wunder vorkam.

Aber Don Jose blieb ganz ruhig. »Das ist kupuri, der Segen der Göt­

ter«, sagte er. »Das passiert immer. Es zeigt einfach, dass wir eine

gute Zeremonie gemacht haben.«

Als wir die Steinstufen zum Meer hinunterstiegen, verwandelte

sich das Nieseln rasch in einen Regenschauer. Don Jose kletterte

unten am Strand auf einen flachen Felsen, der etwa drei Meter über

dem Wasserspiegel lag. Er legte seine Gaben neben seine Füße auf

den Stein und begann zu singen. Der Ozean war an diesem Tag

ganz ruhig, doch nachdem Don Jose ein paar Minuten singend

gebetet hatte, sahen wir alle staunend, wie sich auf der Oberfläche

des Wassers eine einzige riesige Welle bildete und schnell auf den

Felsen zurollte, auf dem er stand. Der schwere Wellenkörper prallte

mit enormer Kraft gegen den Stein, bildete aber an seiner Spitze

einen spiralförmigen Kamm, der die Gaben vom Stein spülte, ohne

dass Don Joses Füße nass wurden. Keiner von uns hatte auch nur

den geringsten Zweifel daran, dass sich dieser bemerkenswerte

Mara’akame mit dem Ozean ausgetauscht hatte wie mit einem

lebendigen Wesen, und dass das Wasser ihm antwortete, indem es

seine Gaben annahm.

Don Jose füllte seine Abalone-Muschel mit Meerwasser, tunkte

den Kaninchenschwanz hinein und segnete und reinigte nach und

nach alle Gruppenteilnehmer, die in einer Reihe vor ihm standen.

Page 125: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Segen der Götter 125

Inzwischen schüttete es regelrecht. Wir waren nass bis auf die

Haut, auch das war eine Art Reinigung. Wieder oben auf dem

Hügel angekommen, tanzten wir um den wunderschönen Euka­

lyptusbaum auf dem Rasen vor dem Big House, manche ganz ohne

Kleider. Das mag manchem etwas exotisch Vorkommen, doch in

Esalen mit seinem Kult von Körperarbeit und dazugehörigen

Bädern war das ganz natürlich. Wir staunten immer noch über das

gerade Erlebte, und die Gruppe war in ekstatischer Stimmung.

Als wir Joseph Campbell später von diesem Erlebnis berichte­

ten, erzählte er uns eine ähnliche Geschichte aus seinem eigenen

Leben. Er hatte vor einigen Jahren eine Einladung bekommen, im

Navajo-Reservat in New Mexiko einer Regenzeremonie als Gast

beizuwohnen. Wie unsere Zeremonie fand auch sie während einer

heftigen Dürrephase statt. Als Joseph am Ritualplatz eintraf und

die Zeremonie begann, war der Himmel blau und keine einzige

Wolke in Sicht. Joseph gab zu, dass ihn das vergebliche Bemühen

des Navajo-Schamanen, der mit großer Entschlossenheit scheinbar

dumme und unsinnige Dinge tat, sehr amüsiert hatte. Ohne sich

von den vielen Widrigkeiten beeindrucken zu lassen, fuhr der

Schamane jedoch vor den Augen aller Zuschauer fort, zu singen

und zu trommeln. Doch dann ballten sich dunkle Wölken am Ho­

rizont zusammen und zogen rasch in ihre Richtung. Und noch vor

Abschluss der Zeremonie waren alle klitschnass.

Als ich mir später Gedanken über den Glauben der Ureinwoh­

ner an diese Form von zeremonieller Magie machte, kam ich zu

dem Schluss, dass die positiven Auswirkungen dieser Regenzere­

monien uns eigentlich nicht überraschen dürfen. Die Ureinwohner

mit ihren überlieferten Kulturen haben vielleicht keinen tech­

nischen Fortschritt vorzuweisen, aber sie sind nicht dumm. Es

wäre unsinnig, wenn sie fortwährend Schamanen ausbilden und

diese eine Zeremonie nach der anderen abhalten würden, ohne da­

mit etwas zu bewirken. Die Tradition der Regenzeremonie kann

nur erhalten bleiben, wenn diese Zeremonienmeister Erfolge vor­

Page 126: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

126 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

weisen. Die Beziehung zwischen Schamane und Regen bei diesen

Ritualen muss allerdings nicht zwangsläufig eine kausale sein, in

dem Sinne, dass der Schamane tatsächlich Regen macht. Auch an­

dere Geschichten in diesem Buch haben uns gezeigt, welch bedeu­

tungsvolle Rolle das Prinzip der Synchronizität gelegentlich in der

universellen Ordnung der Dinge spielt.

Page 127: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Eine Lektion in Verzeihen 127

Eine Lektion in VerzeihenPeyote-Zeremonie mit Potawatomi-Indianern

a ich als Psychiater täglich mit den emotionalen Problemen

konfrontiert bin, die Menschen in ihrem Leben quälen, sind

mir die zahlreichen destruktiven und selbstzerstörerischen Verhal­

tensmuster, die im Verlauf der menschlichen Geschichte wie ein

Fluch von einer Generation an die andere weitergegeben werden,

eindringlich bewusst geworden. Die Traumata, die Eltern in ihrer

eigenen Ursprungsfamilie erleiden, fügen ihnen so schwere emo­

tionale Verletzungen zu, dass sie später ihre Rolle als Ehemann,

Ehefrau, Vater und Mutter nicht angemessen wahrnehmen können.

Die Folge davon ist, dass sie wiederum ihre eigenen Kinder emo­

tional verletzen. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist eine der

größten Herausforderungen der modernen Psychologie und Psy­

chiatrie.

Ein ähnliches Muster ist auf einer höheren Ebene im kollek­

tiven Leben wirksam und vergiftet die Beziehungen ganzer Länder

und Nationen. Hemmungslose Gewalt und unersättliche Gier

haben als gefährliche Schwächen der menschlichen Natur immer

wieder zu unzähligen blutigen Kriegen und Revolutionen geführt,

die immenses Leid schufen. Die Erinnerungen an den Schmerz

und die Ungerechtigkeit, die Menschen durch verschiedene histo­

rische Feinde erlitten haben, überleben im kollektiven Unbewuss­

ten der Nationen jahrhundertelang und prägen die gegenwärtigen

Einstellungen und Beziehungen zueinander. So bleiben unverar­

D

Page 128: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

128 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

beitete und nicht verziehene Angriffe und Verletzungen Brutstätten

für neue Gewalt.

Die Rolle, die Nationen in der Entfaltung der menschlichen

Geschichte spielen, und ihre Beziehungen untereinander unter­

liegen immer wieder ziemlich unberechenbaren Veränderungen.

An der Oberfläche wechseln sich Bündnisse und vernichtende Aus­

einandersetzungen ab, doch die Erinnerungen an tiefe Wunden

und die daraus entstehenden Vorurteile bleiben bestehen. Wäh­

rend des Zweiten Weltkrieges waren Deutschland, Japan und Ita­

lien als »Achsenmächte« Feinde der Vereinigten Staaten, während

die Sowjetunion ein wichtiger Verbündeter war. Nach dem Krieg

veränderte sich das politische Klima dramatisch. Japan und Italien

wurden zu befreundeten Ländern und die Sowjetunion zum Erz­

feind der USA. Die Situation mit Deutschland war komplizierter:

Westdeutschland war jetzt ein Bündnispartner und die DDR ein

Mitglied des feindlichen Lagers.

Im 20. Jahrhundert stellte Deutschland für Großbritannien

und Frankreich die größte Herausforderung dar, doch die gegen­

seitigen Beziehungen blieben einigermaßen im Lot. Noch vor

wenigen Jahrhunderten jedoch waren diese Länder Todfeinde. An

einem Punkt der Geschichte war Spanien für England und Frank­

reich für Russland die größte Herausforderung: Spanien führte

Krieg mit Holland, Russlands Erzfeind war Schweden und so wei­

ter. Da ich als Kind und Jugendlicher die Schrecken der deutschen

Besetzung der Tschechoslowakei und später das skrupellose stali-

nistische Regime erlebte, das uns von der Sowjetunion aufgezwun­

gen wurde, bin ich von diesen politischen Konstellationen persön­

lich besonders stark betroffen.

Von früher Kindheit an habe ich Grenzen und alles, was damit

zusammenhängt, gehasst - Wachtürme mit Maschinengewehren,

Stacheldrahtzäune, Minenfelder und patrouillierende Soldaten mit

Hunden. Diese Aversion übertrug sich sogar auf die zivilisierter ge­

stalteten Grenzen der freien Welt und ihre Zollbeamten, Visa und

Page 129: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Eine Lektion in Verzeihen 129

Zollbestimmungen. Ich habe oft von einem künftigen vereinten

Europa geträumt, in dem alle europäischen Nationen in friedlicher

Koexistenz Zusammenleben. Später in meinem Leben erweiterte

ich diese Vision auf den gesamten Planeten. Ich stelle mir gern eine

Zukunft vor, in der die Menschheit alle rassischen, geschlecht­

lichen, nationalen, kulturellen, politischen und ökonomischen

Spaltungen überwunden hat und eine globale Gemeinschaft bildet.

Mir ist jedoch klar, dass die Verwirklichung dieses Wunsches mit

so komplexen Problemen verbunden ist, dass er sich auf unserem

Planeten kaum verwirklichen lässt.

Nach dieser eher pessimistischen Einleitung möchte ich eine Epi­

sode aus meinem Leben erzählen, die mich trotz der schwierigen

Gesamtsituation auf eine bessere Zukunft für uns alle hoffen ließ.

Es geht hier um die tiefe Heilung und Wandlung innerhalb einer

Gruppe von Menschen, mit denen ich vor vielen Jahren einen au­

ßergewöhnlichen Bewusstseinszustand erlebte. Obwohl seitdem

mehr als dreißig Jahre vergangen sind, treibt mir dieses Ereignis,

wenn ich daran denke und darüber spreche, noch immer Tränen in

die Augen. Es zeigte mir, wie tief die Probleme gehen, mit denen

wir in unserer Welt konfrontiert sind, wo der Hass zwischen Men­

schen jahrhundertelang von einer Generation an die nächste wei­

tergegeben wird. Dieses Erlebnis machte mir jedoch auch Hoff­

nung, dass wir diesen Fluch aufheben und die Grenzen auflösen

können, die uns voneinander trennen.

Ende der 1960er- bis zu Beginn der 1970er-Jahre wirkte ich

im Maryland-Psychiatric-Research-Center in Baltimore an einem

staatlich geförderten Untersuchungsprojekt mit, in dem wir das

Potenzial der psychedelischen Therapie erforschten. Eines unserer

Teilprojekte im Forschungszentrum war eine Ausbildung für Ange­

stellte im psychischen Gesundheitswesen. Sie bot Psychiatern, Psy­

chologinnen, Sozialarbeiterinnen und Priestern, die seelsorgerisch

tätig waren, die Möglichkeit, für Ausbildungszwecke bis zu drei

Page 130: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

130 Teil 1: Das Mysterium der Synchronizität

Sitzungen mit hochdosiertem LSD zu nehmen. Einer der Teilneh­

mer an diesem Projekt war Kenneth Godfrey, ein Psychiater aus

dem Vicar-Apostolic-Hospital in Topeka, Kansas. Ken war eben­

falls ein Pionier auf dem Gebiet der psychedelischen Forschung

und führte mit seinen Patientinnen und Patienten entsprechende

Sitzungen durch, doch in seinem Projekt war nicht vorgesehen,

dass er selbst Sitzungen nahm. Ich war bei drei psychedelischen

Sitzungen in unserem Institut sein Begleiter, und auf diese Weise

wurden wir enge Freunde. Ken und seine Frau waren beide ameri­

kanische Ureinwohner und der spirituellen Tradition ihres Volkes

sowie den Ältesten ihres Stammes tief verbunden.

Als ich noch in der (damaligen) Tschechoslowakei lebte, hatte

ich von der Kirche der amerikanischen Ureinwohner gelesen, einer

synkretistischen Religion, die indianische und christliche Elemente

miteinander verbindet und deren Sakrament der mexikanische,

psychedelische Peyote-Kaktus ist. Damals bekam ich großes Inte­

resse, selbst an einer Peyote-Zeremonie teilzunehmen, um den the­

rapeutischen Nutzen psychedelischer Substanzen mit ihrer An­

wendung in einem rituellen Rahmen vergleichen zu können. Nach

meinem Eintreffen in den Vereinigten Staaten hatte ich nach einer

solchen Möglichkeit gesucht, bislang aber ohne Erfolg.

Bei unserem Abschlussgespräch nach Kens dritter LSD-Sitzung

fiel mir ein, er könne Kontakte zur Native-American-Church ha­

ben und mir helfen, eine Gruppe zu finden, die mir erlaubte, an

ihrer Peyote-Zeremonie teilzunehmen. Ken versprach, bei John

Mitchell nachzuforschen, einem bekannten Potawatomi »Road

Chief« bzw. Leiter heiliger Zeremonien, mit dem er eng befreundet

war. Einige Tage später rief Ken mich an, um mir gute Neuigkeiten

mitzuteilen : John Mitchell lud nicht nur mich als Gast zu seiner

Peyote-Zeremonie ein, sondern bot mir auch an, ich könne noch

weitere Personen aus unserem Team mitbringen.

Am folgenden Wochenende flogen wir zu fünft von Baltimore

nach Topeka. Die Gruppe bestand aus unserer Musiktherapeutin

Page 131: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Eine Lektion in Verzeihen 131

Helen Bonny, ihrer Schwester, dem psychedelischen Therapeuten

Bob Leihy, Walter Houston Clark, Professor für Religionswissen­

schaften, und mir. In Topeka mieteten wir uns am Flughafen einen

Wagen und fuhren in die tiefste Prärie von Kansas. Dort standen

mitten im Niemandsland mehrere Tipis (kegelförmiges Indianer­

zelt, Anm.d.Ü.) und bildeten den Platz für das Ritual. Die Sonne

ging gerade unter, und das Ritual sollte bald beginnen. Doch bevor

wir uns der Zeremonie anschließen konnten, mussten die anderen

Teilnehmer, alles amerikanische Ureinwohner, uns erst einmal

akzeptieren. Wir mussten uns einer schwierigen Prüfung unterzie­

hen, die einer dramatischen Encountergruppe glich.

Von heftigen Emotionen begleitet, konfrontierten uns die Ur­

einwohner mit der schmerzlichen Geschichte der Besetzung und

Eroberung von Nordamerika durch weiße Eindringlinge - dem

Massenmord an den amerikanischen Indianern und der Vergewal­

tigung ihrer Frauen, der Ausbeutung ihres Landes, dem sinnlosen

Abschlachten des Büffels und vielen weiteren Gräueltaten. Nach

diesem dramatischen Austausch, der ein paar Stunden dauerte,

legte sich der emotionale Aufruhr, und die Indianer bekundeten

einer nach dem anderen ihr Einverständnis mit unserer Teilnahme

an ihrer Zeremonie. Schließlich gab es nur noch eine Person, die

vehement gegen unsere Anwesenheit protestierte. Der Hass dieses

großen, dunklen und mürrischen Mannes auf Weiße war enorm.

Es brauchte einige Zeit und sehr viel Überredungskunst von

seinen Stammesfreunden, die über diese weitere Verzögerung der

Zeremonie nicht besonders glücklich waren, bevor er sich schließ­

lich widerstrebend einverstanden erklärte, dass wir uns der Grup­

pe anschlossen. Nachdem endlich alles geregelt war, zumindest an

der Oberfläche, versammelte sich die gesamte Gruppe in einem

großen Tipi. Das Feuer wurde entzündet, und das heilige Ritual

begann. Wir nahmen die Peyoteköpfe zu uns und reichten den

Redestab und die Trommel herum. Wer den Stab in den Händen

hielt - so die Sitte der amerikanischen Ureinwohner konnte ein

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132 Teil l: Das Mysterium der Synchronizität

Lied singen oder sich persönlich äußern; man konnte ihn aber

auch einfach weitergeben.

Der Mann, der uns nur widerstrebend aufgenommen hatte,

saß mir beleidigt gegenüber und lehnte an der Tipistange. Er strahl­

te Wut und Feindseligkeit aus, und es war für die Anwesenden

sichtbar, dass er noch immer grollte. Während alle anderen sich

auf die Zeremonie einließen, blieb er unbeteiligt und distanziert.

Jedes Mal, wenn Stab und Trommel, die im Kreis herumgingen, bei

ihm landeten, reichte er sie ärgerlich weiter. Die Wirkung des

Peyote hatte meine Wahrnehmung der ganzen Situation enorm

geschärft. Dieser Mann wurde zum wunden Punkt in meiner Welt,

und es war für mich geradezu schmerzlich, ihn auch nur anzuse­

hen. Der Hass schoss aus seinen Augen wie ein Laserstrahl, der

mich ganz umhüllte und das Tipi erfüllte. Und es schien ihm nicht

weiter schwer zu fallen, während der gesamten Zeremonie an die­

ser aufsässigen Haltung festzuhalten.

Der Morgen kam, und kurz vor Sonnenaufgang reichten wir

Stab und Trommel ein letztes Mal im Kreis herum. Dabei hatte jede

und jeder Gelegenheit, ein paar abschließende Worte über ihre

oder seine Erfahrungen und Eindrücke zu sagen. Walter Houstons

Rede war ungewöhnlich lang und sehr emotional. Er brachte seine

tiefe Wertschätzung für die Großzügigkeit unserer amerikanischen

Ureinwohnerfreunde zum Ausdruck, die uns erlaubt hatten, an

ihrer wunderschönen Zeremonie teilzunehmen. Walter betonte vor

allem die Tatsache, dass sie uns trotz all der Gräuel akzeptierten,

die wir ihnen angetan hatten - ihr Land besetzt und gestohlen, ihre

Leute umgebracht, ihre Frauen vergewaltigt, den Büffel abge­

schlachtet. An einem Punkt seiner Rede - ich weiß nicht mehr

genau, in welchem Zusammenhang - nahm er auf mich Bezug und

sprach von »Stan, der so weit weg ist von zu Hause und seinem

Geburtsland, der Tschechoslowakei.«

Sowie Walter das Wort »Tschechoslowakei« aussprach, ver­

hielt sich der Mann, der aus seinem Ärger über unsere Anwesen­

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Eine Lektion in Verzeihen 133

heit die ganze Nacht lang keinen Hehl gemacht hatte, plötzlich

höchst merkwürdig. Er sprang auf, raste quer durch das Tipi und

warf sich vor mir auf den Boden. Er drückte seinen Kopf in meinen

Schoß, wobei er laut weinte und schluchzte. Nach etwa zwanzig

Minuten beruhigte er sich, kehrte an seinen Platz zurück und war

imstande zu reden. Er erklärte, er habe am Abend zuvor in uns

allen nur »Bleichgesichter« und damit automatisch Feinde der

amerikanischen Ureinwohner gesehen. Als er Walters Bemerkung

hörte, wurde ihm klar, dass ich, da ich aus der ehemaligen Tsche­

choslowakei stammte, mit der Tragödie seines Volkes nichts zu tun

hatte. Die Tschechen waren mit Sicherheit nicht bekannt als Aus­

beuter des Wilden Westens. Sein Hass auf mich während der heili­

gen Zeremonie war also völlig ungerechtfertigt gewesen.

Der Mann wirkte so verzweifelt, als hätten ihm diese Ereig­

nisse das Herz gebrochen. Nach seinen ersten Erklärungen trat

eine lange Stille ein, in der er innerlich heftig mit sich zu ringen

schien. Es war klar, dass er mit seinen anfänglichen Worten noch

nicht alles gesagt hatte. Schließlich war es ihm möglich, uns den

Rest der Geschichte zu erzählen: Im Zweiten Weltkrieg war er zur

amerikanischen Luftwaffe eingezogen worden und hatte sich nur

wenige Tage vor Ende des Krieges an einem ziemlich hinterhältigen

und sinnlosen Luftangriff der Amerikaner auf die tschechische

Stadt Pilsen beteiligt, die bekannt war für ihr weltberühmtes Bier

und die Skoda-Automobilfabrik. Sein Hass auf mich war also nicht

nur ungerechtfertigt, sondern die Rollen zwischen uns waren ge­

nau umgekehrt verteilt: Er war der Angreifer und ich das Opfer. Er

war in mein Land eingedrungen und hatte Menschen meines

Volkes getötet. Das war für ihn unerträglich. Er kam noch einmal

zu mir, umarmte mich mehrmals und bat mich um Verzeihung.

Nachdem ich ihm versichert hatte, dass ich keinerlei feindse­

lige Gefühle gegen ihn hege, passierte etwas höchst Ungewöhn­

liches. Er ging zu meinen Freunden aus Baltimore, die alle Ameri­

kaner waren, entschuldigte sich für sein Verhalten vor und während

Page 134: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

134 Teil l: Das Mysterium der Synchronizität

der Zeremonie, umarmte sie und bat um Verzeihung. Er sagte,

dieses Ereignis habe ihm gezeigt, dass es für die Welt keine Hoff­

nung gäbe, wenn wir weiter an dem Hass festhielten, den die Taten

unserer Vorfahren in uns ausgelöst hatten. Und ihm war klar ge­

worden, dass es falsch war, über Rassen, Nationen und Kulturen

Pauschalurteile zu fällen. Wir sollten Menschen nach ihrem Sein

beurteilen und nicht nach ihrer Zugehörigkeit.

Seine Rede war eine würdige Fortsetzung des berühmten

Briefes von Häuptling Seattle an die europäischen Kolonisten. Er

schloss mit den Worten: »Ihr seid nicht meine Feinde. Ihr seid

meine Brüder und Schwestern. Ihr habt mir oder meinem Volk

nichts angetan. All das geschah vor langer Zeit im Leben unserer

Vorfahren. Und es kann tatsächlich sein, dass ich zu der Zeit auf

der anderen Seite stand. Wir alle sind Kinder des Großen Geistes;

wir alle gehören zu Mutter Erde. Unser Planet ist in großen Schwie­

rigkeiten, und wenn wir an altem Groll festhalten und nicht Zu­

sammenarbeiten, werden wir alle sterben.«

Inzwischen standen den meisten Anwesenden Tränen in den

Augen. Wir alle fühlten uns miteinander und mit der großen

menschlichen Familie tief verbunden. Während am Himmel lang­

sam die Sonne aufging, nahmen wir ein zeremonielles Frühstück

zu uns. Es bestand aus den Lebensmitteln, die die ganze Nacht

lang in der Mitte des Zeltes gelegen hatten und durch das Ritual

geweiht worden waren. Dann verabschiedeten wir uns mit langen

Umarmungen widerstrebend voneinander und machten uns auf

den Weg nach Hause.

Mit uns nahmen wir diese unschätzbare Lektion in internatio­

naler Konfliktlösung zwischen verschiedenen Rassen, die uns

sicherlich unser Leben lang in eindringlicher Erinnerung bleiben

wird. Diese bemerkenswerte Synchronizität, die wir in einem

außergewöhnlichen Bewusstseinszustand erlebten, nährt meine

Hoffnung, dass irgendwann auf einer größeren Skala eine ähnliche

Heilung in der ganzen Welt möglich sein wird.

Page 135: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 2

Geburt und pränatales Leben erinnern

»Nach uns ziehend Wolkenglanz

und Glorienschein«*

* Eine Zeile aus einem Gedicht von William Wordsworth, Anm.d. Ü.

Page 136: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert
Page 137: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 2: Geburt und pränatales Leben erinnern 137

u den häufigsten Erfahrungen in holotropen Bewusstseinszu­

ständen verschiedenen Ursprungs gehört die psychische

Regression auf Geburtserlebnisse, wobei Menschen mit bemer­

kenswerter Intensität noch einmal sämtliche Emotionen, körper­

liche Empfindungen, Körperhaltungen und andere Aspekte dieses

Prozesses durchleben. Die Tatsache, dass die Geburt in unserer un­

bewussten Psyche einen so starken Eindruck hinterlässt, ist für

konventionelle Psychologen, Psychiater und Neurophysiologen

überraschend, denn es stellt ihre tief verwurzelten Annahmen über

die Grenzen des menschlichen Erinnerungsvermögens in Frage.

Bei näherer Untersuchung zeigt sich jedoch, dass diese Annahmen

auf unbegründeten Überzeugungen beruhen, die in scharfem Wi­

derspruch zu den wissenschaftlichen Tatsachen stehen.

Aus traditioneller psychiatrischer Sicht können nur wirklich

schwierige Geburten, die irreversible Schäden in den Gehirnzellen

hinterlassen, psychische und psychopathologische Folgen haben.

Es ist allgemein bekannt, dass längere Phasen von Sauerstoffman­

gel bei schwierigen und langen Entbindungen psychiatrische Pro­

bleme wie geistige Behinderungen oder Hyperaktivität nach sich

ziehen können. Bestimmte Untersuchungen haben außerdem

nachgewiesen, dass lange, schwierige und komplizierte Geburten,

bei denen es zu häufigen Erstickungszuständen kam, die Tendenz

zu wiederholtem kriminellem Verhalten zur Folge haben können.

Z

Page 138: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

138 Teil 2: Geburt und pränatales Leben erinnern

Virusinfektionen der Mutter während der Schwangerschaft und

eine komplizierte Entbindung mit langen Wehen und Sauerstoff­

mangel gehören auch zu den wenigen Risikofaktoren für Schizo­

phrenie, die konsistent angeführt werden. Doch erstaunlicherweise

interpretieren die meisten akademisch ausgebildeten Psychiater

diese Zusammenhänge ausschließlich mit Verweis auf physische

Gehirnschäden, ohne die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass

prä- und perinatale Verletzungen, ganz gleich, ob mit oder ohne

Beschädigung von Gehirnzellen, ebenfalls starke psychotrauma-

tische Auswirkungen auf das Kind haben können.

Der Gehirnkortex des Neugeborenen ist noch nicht ganz mye-

linisiert, das heißt, seine Neuronen sind noch nicht vollständig

umhüllt von schützenden und fetthaltigen Schichten der Substanz

namens Myelin. Das gilt allgemein als einleuchtender Grund dafür,

dass die Geburt psychologisch irrelevant ist, und das Gedächtnis

diese Erfahrung nicht verzeichnen kann. Die Überzeugung der

Mainstream-Psychiater, dass dem Kind diese extrem schmerzliche

und anstrengende Prüfung nicht bewusst ist und der Geburtspro­

zess keine Spuren in seinem Gehirn hinterlässt, widerspricht

jedoch nicht nur klinischen Beobachtungen, sondern auch dem

gesunden Menschenverstand und einer grundlegenden Logik.

Diese Überzeugung lässt sich sicherlich nicht ohne weiteres

mit der Tatsache in Einklang bringen, dass allgemein anerkannte

psychologische und physiologische Theorien dem frühen Aus­

tausch zwischen Mutter und Kind große Bedeutung beimessen.

Dazu gehören Faktoren wie der Blickkontakt zwischen Mutter und

Säugling unmittelbar nach der Geburt (»Bonding«), liebevoller

Körperkontakt und die Qualität des Stillens. Es ist hinreichend be­

kannt, dass die »Prägung« durch diese frühen Erfahrungen einen

entscheidenden Einfluss auf die künftige Beziehung zwischen Mut­

ter und Kind hat und das emotionale Befinden des Kindes sein

ganzes Leben bestimmt. Das Bild vom Neugeborenen als unbe­

wusstem, empfindungslosen Organismus steht auch in scharfem

Page 139: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 2: Geburt und pränatales Leben erinnern 139

Widerspruch zu der ständig wachsenden Literatur, in der schon

die bemerkenswerte Sensibilität des Fötus in der pränatalen Phase

beschrieben wird.

Die Verleugnung der Tatsache, dass Menschen ihre Geburt

erinnern, mit dem Argument, der Gehirnkortex des Neugeborenen

sei noch nicht vollständig ausgebildet, macht noch weniger Sinn,

wenn wir bedenken, dass viele weitaus weniger differenzierte Le­

bensformen, die überhaupt keinen Gehirnkortex aufweisen, sich

erinnern können.

Geradezu absurd und lächerlich wird die Behauptung, die Er­

innerung an die Geburt erfordere einen myelinisierten Neokortex,

wenn wir die Untersuchungen berücksichtigen, für die der schwe­

dische Physiologe Eric Kandel im Jahr 2000 den Nobelpreis für

Medizin bekam. Kandel erforschte den Erinnerungsmechanismus

der Meeresschnecke Aplysia, eines Organismus, der nur eine

geringe Anzahl von Nervenzellen besitzt und auf den Entwick­

lungsstufen der Evolution viel niedriger anzusiedeln ist als ein neu­

geborenes Kind. Außerdem ist aus der Biologie allgemein bekannt,

dass selbst einzellige Organismen bestimmte primitive Formen

eines protoplasmischen Gedächtnisses aufweisen.

Diese offenkundigen logischen Widersprüche sind im Kontext

eines wissenschaftlichen Denkens, das so stolz auf seine logische

Stringenz ist, sicherlich überraschend. Für die oben beschriebenen

Diskrepanzen lässt sich nur schwerlich eine andere Erklärung fin­

den als die tiefe emotionale Unterdrückung der Erinnerungen an

die eigene Geburt. Die emotionalen und körperlichen Schmerzen

und der Stress, die mit der Geburt eines Kindes einhergehen, sind

mit Sicherheit größer als bei jedem postnatalen Trauma in der

Kleinkindzeit und Kindheit, das die psychodynamische Literatur

erläutert - mit Ausnahme extremer Formen von körperlichem

Missbrauch. Das macht verständlich, warum Menschen diese Erin­

nerungen psychisch so stark unterdrücken und verleugnen.

Page 140: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

140 Teil 2: Geburt und pränatales Leben erinnern

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben psychedelische

Forscher und Kliniker viele verschiedene Formen von erlebnisori­

entierter Psychotherapie erforscht und auf diesem Weg überzeu­

gendes Beweismaterial dafür gesammelt, dass die biologische Ge­

burt das tiefste Trauma in unserem Leben und ein Ereignis von

überragender, psychospiritueller Bedeutung ist. Selbst kleinste De­

tails dieses Erlebnisses werden in unserem Gedächtnis bis hinunter

zur zellulären Ebene verzeichnet und haben weitreichende Auswir­

kungen auf unsere psychische Entwicklung. Haben wir die psy­

chischen Widerstände, uns diesem schmerzlichen und erschre­

ckenden Aspekt unserer persönlichen Lebensgeschichte zu stellen,

erst einmal überwunden, scheint es nicht nur möglich, sondern

auch höchst logisch, dass unsere unbewusste Psyche ein Ereignis

dieser Größenordnung aufgezeichnet hat, und wir die Erinne­

rungen daran ins Bewusstsein bringen und noch einmal durch­

leben können.

Wenn die Regression in holotropen Zuständen noch tiefer

reicht, nämlich bis in frühe Stadien des embryonalen Lebens und

sogar bis zum Augenblick der Empfängnis selbst, nehmen die ge­

danklichen Herausforderungen, vor die wir gestellt sind, enorm zu.

Je näher wir dem Anfang des Lebens kommen, desto unreifer und

primitiver ist das menschliche Nervensystem, bis es schließlich gar

nicht mehr existiert. Und trotzdem gibt es reichlich empirisches

Beweismaterial für Erinnerungen an die Morgendämmerung un­

serer individuellen Existenz. Als einziger Kandidat, der als materi­

eller Informationsträger in Frage kommt, bleibt uns dann nur noch

das Zellgedächtnis.

Auf den nächsten Seiten gebe ich aus der psychedelischen

Therapie und aus holotropen Atemsitzungen einige Beispiele dafür,

wie Menschen ihre Geburt, intrauterine Erfahrungen und ihre

Empfängnis noch einmal durchleben.

Page 141: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Eine schwierige Entbindung in der Mittagspause 141

Eine schwierige Entbindung in der Mittagspause

Lenis Geschichte

Um die Privatsphäre meiner Klientinnen und Klienten zu schüt­

zen, ändere ich, wie in der psychiatrischen Literatur üblich,

ihre Namen. Bei dieser Geschichte jedoch mache ich eine Ausnah­

me, denn ihre Protagonistin, die inzwischen verstorbene Leni

Schwartz, hat sie bereits in ihrem Buch Mit Liebe erwartet. Wir und

unser Baby vor der Geburt (München: Kösel-Verlag 1985, Anm.d.Ü.)

erzählt. Ich lernte Leni und ihren Mann Bob, die später enge und

liebe Freunde von mir wurden, 1971 bei einem meiner Vorträge in

Miami, Florida, kennen. Zu der Zeit, als ich Leni bei ihren LSD-

Sitzungen begleitete, war sie fünfzig Jahre alt und eine hochbegabte

Innenarchitektin. Aufgrund ihrer Erfahrungen in diesen Sitzungen,

die ich gleich beschreiben werde, begann sie mit einem Psycholo­

giestudium und machte ihren Doktor in diesem Fach. Ihre Disser­

tation mit dem Titel Bonding Before Birth beruhte auf einer langfris­

tig angelegten Untersuchung über Paare, deren Entwicklung Leni

in wöchentlichen Gruppensitzungen vom Zeitpunkt der Empfäng­

nis ihres Kindes an bis zur Entbindung und der ersten Zeit nach

der Geburt verfolgte.

Eine ihrer Sitzungen mit hochdosiertem LSD versetzte Leni bis

in die Erinnerung an ihre biologische Geburt zurück. Über zwei

Stunden erlebte sie, was ich die zweite perinatale Grundmatrix

nenne, die Einleitungsphase der Entbindung, in der der Uterus

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142 Teil 2: Geburt und pränatales Leben erinnern

kontrahiert, der Gebärmutterhals aber noch nicht geöffnet ist (sie­

he auch S. 382). Sie gehört zu den schwierigsten Erfahrungen, die

Menschen in einem holotropen Bewusstseinszustand machen kön­

nen, und ist mit extremen Herausforderungen verbunden. Im ty­

pischen Fall erlebt die betreffende Person große emotionale und

körperliche Qualen und hat das Gefühl, dass es aus dieser nicht

endenwollenden Situation keinen Ausweg gibt. Bei den extremsten

Erlebnissen mit dieser Matrix können Menschen das Gefühl haben,

sich in der Hölle zu befinden, und haben Visionen von Teufeln

und höllischen Unterwelten.

Im späteren Verlauf der Sitzung verlagerten sich Lenis Erfah­

rungen zu dem, was ich die dritte perinatale Grundmatrix nenne.

Hier geht es um die nächste Phase der Entbindung, den Kampf des

Fötus im Geburtskanal, nachdem sich der Gebärmutterhals gewei­

tet hat. Typisch dafür sind unter anderem gewaltige, aufeinander

prallende Kräfte, Bilder von gewalttätigen, destruktiven und selbst­

zerstörerischen Szenen und eigenartige Formen von sexueller Erre­

gung, die sich als reiches Spektrum an perversen erotischen Bil­

dern manifestieren. Ist diese Phase erfolgreich abgeschlossen,

kulminiert sie in der Erfahrung von psychospirituellem Tod und

Wiedergeburt.

In Lenis Sitzung passierte das jedoch nicht. Nachdem sie lange

darum gekämpft hatte, geboren zu werden, fühlte sie sich plötzlich

umgeben von einer ominösen Dunkelheit, die sie verschluckt hatte

und gefangen hielt. Ihre Hoffnung, sich aus der Umklammerung

des Geburtskanals zu befreien, schwand, und sie befand sich wie­

der in einer Situation, aus der sie keinen Ausweg sah. Die Wirkung

der Droge nahm allmählich ab, und Leni hatte zu keiner Lösung

ihrer prekären Lage gefunden. Nach der Sitzung war sie entmutigt

und sah ihr Leben ziemlich düster.

Wir beschlossen, eine Woche zu warten und dann eine weitere

Sitzung zu machen, damit Lenis frustrierende Erfahrung zu einem

klärenden Abschluss fand. Es dauert etwa eine Woche, bis nach der

Page 143: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Eine schwierige Entbindung in der Mittagspause 143

Einnahme von LSD die dadurch bewirkte pharmakologische Tole­

ranz gegen eine weitere Dosis der gleichen Substanz abgebaut wor­

den ist. Lenis nächste LSD-Sitzung begann erneut mit einer

intensiven Erfahrung der zweiten perinatalen Grundmatrix, ver­

bunden mit Gefühlen von Hoffnungslosigkeit und Ausweglosig­

keit. Dieses Mal jedoch dauerte diese Phase nicht lange, und wie

von Zauberhand verschwanden Lenis Qualen. Ein goldenes Licht

von ungewöhnlicher, fast göttlicher Leuchtkraft überflutete sie,

begleitet von einem überwältigenden Gefühl der Befreiung und

psychospirituellen Wiedergeburt. Bei dieser Sitzung traten die

Elemente der dritten perinatalen Grundmatrix gar nicht auf. Leni

erlebte einen raschen Übergang von tiefster Verzweiflung und Dun­

kelheit zum ekstatischen Entzücken der Wiedergeburt.

Dieser merkwürdige Verlauf der Ereignisse stellte Leni vor ein

Rätsel, und sie beschloss, ihre Mutter anzurufen und über ihre

Geburt zu befragen, um zu verstehen, was da geschehen war. Sie

tat das nur zögerlich, denn ihre Mutter war ziemlich konservativ,

und Leni wusste, dass solche Gespräche nicht einfach für sie wa­

ren. Sie hatte zum Beispiel mit Leni vor deren Heirat nie über Se­

xualität gesprochen. Und natürlich hatte sie nie ein Wort über ihre

Schwangerschaft mit Leni und deren Geburt fallen lassen. Leni

wagte nicht, ihrer Mutter zu sagen, dass sie eine LSD-Sitzung

genommen hatte; stattdessen sprach sie von einer »hypnotischen

Rückführung«, bei der sie mit einer Erinnerung in Kontakt gekom­

men sei, die sich wie ihre Geburt angefühlt habe. Wie wir vorher

vereinbart hatten, teilte sie ihrer Mutter jedoch keine spezifischen

Einzelheiten über den Inhalt ihrer Sitzung mit.

Die Äußerungen ihrer Mutter rückten Lenis Erfahrung in ein

erstaunliches Licht. Sie teilte ihrer Tochter mit, sie sei, da es um

ihre erste Schwangerschaft und Geburt ging, völlig unerfahren

gewesen und habe nicht gewusst, was da auf sie zukomme. Über­

rascht und erstaunt nahm sie wahr, wie intensiv dieses Erlebnis

war, aber alles schien gut zu gehen. Und dann geschah etwas Uner­

Page 144: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

144 Teil 2: Geburt und pränatales Leben erinnern

wartetes. Der Gynäkologe und die Krankenschwester, die ihre Ent­

bindung begleiteten, verkündeten plötzlich, es sei Mittagszeit und

sie würden eine Pause machen, um schnell »einen Happen zu

essen«. Der Gynäkologe bat sie, die Beine zu schließen und in die­

ser Haltung zu warten, bis sie zurückkamen.

Als gehorsame Patientin protestierte Lenis Mutter nicht gegen

diese Anweisung. Gegen intensive Wehen ankämpfend, presste sie

fest ihre Beine zusammen und wartete auf die Rückkehr ihrer

Betreuer. Als der Arzt und die Schwester von ihrer Mittagspause

zurückkehrten, mussten sie ihr lediglich erlauben, die Beine zu

öffnen. Sowie sie das tat, schoss Leni buchstäblich aus dem Ge­

burtskanal ans Tageslicht. Nach dem Telefonat mit ihrer Mutter

berichtete mir Leni von dieser überraschenden Erklärung für den

ungewöhnlichen Verlauf ihrer Sitzungen und bereicherte damit

meine lange Liste von Erinnerungen an die eigene Geburt, die von

unabhängiger Seite bestätigt wurden, um eine weitere.

Page 145: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Geruch von frischem Leder 145

Der Geruch von frischem LederKurts Geschichte

as zweite Beispiel stammt aus der holotropen Atemsitzung

von Kurt, einem Psychologen, der an unserem europäischen

Training teilnahm. In der zweiten Hälfte seiner Sitzung regredierte

Kurt bis zu seiner Geburt, die er so intensiv durchlebte, dass fünf

Personen ihn am Boden festhalten mussten, weil er mit seinen

heftigen Bewegungen in den Raum der Leute eindrang, die um ihn

herumlagen. Immer wieder nahm er mit dem Kopf Anlauf und

drehte sich mit spiralförmigen Bewegungen des ganzen Körpers

von der Rücken- in die Bauchlage und wieder zurück. Nach diesen

intensiven Kämpfen endete die Sitzung schließlich mit einem

bemerkenswerten Durchbruch. Kurt fühlte sich wie neugeboren

und emotional befreit.

Beim Gruppengespräch rekonstruierten wir, was in der Sitzung

passiert war. Kurt berichtete, er habe sich zu Beginn der Sitzung

gefühlt wie ein schuppiges, wurmartiges Geschöpf, das gleitende

Bewegungen machte. Plötzlich habe er an seinen Füßen und dem

restlichen Körper etwas wahrgenommen, was er als störend und

beengend empfand. Er wehrte sich dagegen, zunächst nur vorsich­

tig, dann aber mit zunehmender Kraft, weil er das sichere Gefühl

hatte, um sein Leben kämpfen zu müssen. Er war fest entschlos­

sen, auf keinen Fall aufzugeben, selbst wenn die ganze Welt gegen

ihn war. Mit lautem Gebrüll und heftigen, listigen Bewegungen

kämpfte er verzweifelt gegen seine mächtigen Widersacher an.

D

Page 146: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

146 Teil 2: Geburt und pränatales Leben erinnern

Während wir ihn am Boden festhielten, konnte er innere und

äußere Erlebnisse nicht mehr auseinanderhalten, obwohl ich ihm

mehrmals sagte, wir seien nicht seine Feinde, sondern wollten ihm

da durchhelfen. Er brauchte eine Weile, bevor er begriff, was da

passierte, und erkannte, dass er mit diesem Kampf noch einmal

seine Geburt durchlebte. Das Gefühl der Hilflosigkeit löste heftigen

und entschlossenen Widerstand bei ihm aus, an keinem Punkt

jedoch Resignation. Er erzählte uns, dass er sich im täglichen Leben

oft ähnlich verhalte. Nach langen Kämpfen erreichten Kurts hek­

tische Bewegungen und sein Gebrüll schließlich einen Höhepunkt

und hörten dann abrupt auf. Er kämpfte jetzt nicht mehr, sondern

ging über in eine Phase tiefer Entspannung.

An diesem Punkt beschloss er, sich hinzusetzen, die Augen zu

öffnen und sich umzuschauen. Ich sagte ihm, es sei dafür noch zu

früh und bat ihn, sich hinzulegen und wieder auf seine inneren

Erfahrungen zu konzentrieren. Plötzlich fiel ihm ein, dass er, wie er

aus Erzählungen wusste, eine Frühgeburt war. Auf diesem Hinter­

grund ergab meine Bemerkung, es sei noch zu früh, für ihn einen

Sinn. Er legte sich wieder hin und deckte sich mit einer Decke zu.

Zusammengerollt wie ein Fötus, hatte er das Gefühl, entschädigt

zu werden für die Zeit, die ihm im Mutterleib verlorengegangen

war. Er fand diese Haltung befriedigend und schön und war zufrie­

den und glücklich. Plötzlich nahm er zu seiner großen Überra­

schung den intensiven und deutlichen Geruch von frischem Leder

wahr. Wieder und wieder stieg ihm dieser Duft in die Nase, was

Kurt äußerst angenehm fand.

Am Ende der Sitzung war Kurt völlig entspannt. Das kannte er

aus seinem sonstigen Leben nicht. Normalerweise fühlte er sich

immer sehr getrieben und genoss es, schwierigen Herausforde­

rungen zu begegnen und Krisen zu meistern. Er erzählte der Grup­

pe, bislang sei er immer unglücklich gewesen, wenn er in seinem

Leben keine Probleme lösen und keine Widersacher bekämpfen

musste.

Page 147: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Geruch von frischem Leder 147

Dann kam er auf den starken und intensiven Geruch von Leder zu

sprechen, der in der Sitzung so wichtig gewesen war. Nach seinem

Gefühl hing dieser Geruch mit dem Zustand angenehmer Entspan­

nung zusammen, der für ihn, wie er immer wieder betonte, der

verblüffendste und bemerkenswerteste Aspekt seiner Sitzung war.

Er hatte keine Ahnung, warum es an diesem Punkt nach Leder ge­

rochen hatte, und fand die Geschichte äußerst rätselhaft.

Beim Austausch in der Gruppe fragte er mich, ob ich ihm sa­

gen könne, warum der Geruch von frischem Leder bei seiner Ge­

burt offensichtlich eine so wichtige Rolle gespielt hatte. Ich versi­

cherte ihm, frisches Leder oder der entsprechende Geruch sei keine

typische Begleiterscheinung der Geburt, und dieses Phänomen sei

für mich neu. Meine Vermutung war, dass es irgendwie mit den

konkreten Umständen seiner Geburt zusammenhing. Wir kamen

mit diesem Thema jedoch nicht weiter. Da Kurt diese Ungewissheit

nicht ertragen konnte, rief er später am Abend noch seine Mutter

an, um mit ihr über seine Geburt zu sprechen.

Wie sich herausstellte, hatte seine Mutter während ihrer

Schwangerschaft in einem Ledergeschäft gearbeitet. Am Tag seiner

Geburt war sie bis zum späten Abend dort beschäftigt und nähte

Tiroler Lederhosen, die auf ihrem Schoß lagen. Auch sie war hin­

sichtlich der Geburt gänzlich unerfahren, denn Kurt war ihr erstes

Kind. Der Geburtstermin war noch nicht herangerückt, und als sie

einen Blasensprung hatte, glaubte sie, sie sei an der Blase erkrankt.

Als ihr klar wurde, was da passierte, war Kurt bereits unterwegs.

Die Entbindung passierte ziemlich schnell, und Kurt kam auf

dem Fußboden neben der unfertigen Lederhose zur Welt, einge­

hüllt in den Geruch von frischem Leder, der die Werkstatt erfüllte.

Auch die erste Zeit nach seiner Geburt war eng mit diesem Geruch

verbunden, denn seine Mutter nahm ihre Arbeit an den Lederho­

sen kurz nach Kurts Entbindung zu Hause wieder auf. Dieses wich­

tige Detail überzeugte sowohl Kurt als auch die Gruppe davon,

dass sein Geburtserlebnis eine authentische Erinnerung war.

Page 148: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

148 Teil 2: Geburt und pränatales Leben erinnern

Der Anblick der alten EicheAnne-Maries Geschichte

er dritte Bericht über eine Geburtserfahrung ist sogar noch

ungewöhnlicher als die ersten beiden, denn er verweist auf

die Möglichkeit, dass visuelle Wahrnehmungen der Mutter an den

Fötus weitervermittelt werden können. Er handelt von Anne-Marie,

einer dreißigjährigen Anthropologin, die in einer LSD-Sitzung mit

hoher Dosierung ihre Geburt noch einmal erlebte. Auch wenn wir

generell empfehlen, in den Sitzungen zu liegen, verspürte sie den

unwiderstehlichen Drang, aufzustehen und schnell im Zimmer hin

und her zu laufen. Eine Weile lachte sie auch übermütig und un­

kontrolliert, ohne zu wissen warum. Als sie sich dann schließlich

hinlegen konnte, steuerte ihre Erfahrung sehr schnell auf einen

Höhepunkt zu, und Anne-Marie erlebte den Augenblick ihrer

Geburt. Beim Hervorkommen aus dem Geburtskanal sah sie eine

wunderschöne, riesige Eiche.

Das alles ergab nicht viel Sinn, und wie viele andere, die beim

Wiedererleben ihrer Geburt auf spezifische Details stießen, be­

schloss auch Anne-Marie, ihre Mutter anzurufen, um herauszufin­

den, wie ihre Entbindung verlaufen war. Anne-Marie stammte aus

einer sehr konservativen Familie. Ihre Mutter war äußerst purita­

nisch eingestellt und hatte Gespräche über Sexualität immer ver­

mieden. Es war das erste Mal, dass sie über Anne-Maries Geburt

sprachen. Obwohl ihre Mutter zögerte, zu sehr ins Detail zu gehen,

warf ihr Bericht ein interessantes Licht auf Anne-Maries LSD-Sit-

D

Page 149: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Anblick der alten Eiche 149

zung. Die Mutter erzählte, dass sie im Kreißsaal sehr ängstlich und

nervös gewesen sei und den Drang verspürte habe, ständig hin und

her zu laufen, um ihre Anspannung zu bewältigen. Sie bestätigte

auch, dass der Arzt ihr eine hohe Dosis Stickoxydul gegeben hatte,

das auch als »Lachgas« bekannt ist, weil es unkontrolliertes Ge­

lächter auslöst.

Die Entbindung ging nur schleppend voran, und die Mutter

hörte das Gespräch von zwei Praktikanten mit an, von denen der

eine sagte: »Diese Mutter kann nicht pressen. Besser, sie lernt das

möglichst schnell, sonst verliert sie ihr Kind noch.« Da geriet sie in

Panik und beschloss, mit aller Kraft zu pressen. An dem Punkt

kam ihr plötzlich eine lebhafte Erinnerung aus ihrer Kindheit in

den Sinn. Als kleines Mädchen hatte sie viel Zeit bei einer wunder­

schönen Eiche verbracht, die in unmittelbarer Nähe ihres Eltern­

hauses stand. Oft lag sie unter dem Baum und stemmte ihre Beine

gegen den Stamm. Während sie in ihrer letzten Wehenphase

presste, stellte sie sich vor, es mit ihren Beinen genauso zu machen,

wie sie es als Kind schon immer bei der Eiche getan hatte.

Diese Mutter hatte sich also genau in dem Augenblick, als

Anne-Marie geboren wurde, eine Eiche vorgestellt; und das gleiche

Bild tauchte auf, als Anne-Marie ihre Geburt noch einmal durch­

lebte. Wenn wir uns große Mühe geben, fallen uns vielleicht mate­

rialistische Erklärungen dafür ein, dass Anne-Marie bei diesem Er­

lebnis unkontrolliert lachen und hin und her rennen musste. Die

Übertragung des inneren Bildes der Eiche von der Mutter auf die

Tochter legt jedoch die Vermutung nahe, dass wir für Geburtserin­

nerungen nach einem völlig anderen Mechanismus Ausschau hal­

ten müssen - einem, der kein materielles Substrat erfordert.

Page 150: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

150 Teil 2: Geburt und pränatales Leben erinnern

Pränataler Besuch des Jahrmarkts im Dorf

Richards Geschichte

ie nächste Geschichte führt uns zeitlich noch weiter zurück bis

zu einer fortgeschrittenen Schwangerschaft in der Phase un­

mittelbar vor der Entbindung. Sie handelt von Richard, einem

klugen und attraktiven jungen Mann, der auf die offene Station des

psychiatrischen Forschungsinstituts in Prag überwiesen wurde,

weil er an schweren, chronischen Depressionen litt. Er hatte meh­

rere Selbstmordversuche unternommen und versucht, sich mit

hohen Dosen von Östrogen selbst zu kastrieren, um seine starken

homosexuellen Impulse zu bekämpfen. Nach einer erfolglosen

Therapie mit konventionellen psychiatrischen Methoden bewarb

er sich freiwillig um eine Behandlung in unserem psychedelischen

Therapieprogramm.

In einer seiner Sitzungen machte Richard ganz offensichtlich

eine authentische intrauterine Erfahrung. Sein körperliches Er­

scheinungsbild veränderte sich dabei völlig. Er wurde zum Fötus

und sah ganz anders aus als der erwachsene junge Mann. Er fühlte

sich sehr klein und empfand seinen Kopf im Vergleich zu seinem

Körper und seinen Extremitäten als unverhältnismäßig groß. Er

hatte das Gefühl, im Fruchtwasser zu schwimmen und mit seiner

Mutter über Plazenta und Nabelschnur verbunden zu sein. Er

nahm wahr, wie das Blut zwischen ihnen zirkulierte und Nahrung

in seinen Körper beförderte, die ihn am Leben erhielt. Diese Vor­

D

Page 151: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Pränataler Besuch des Jahrmarkts im Dorf 151

gänge waren verbunden mit dem seligen Gefühl der symbiotischen

Verschmelzung mit seiner Mutter. Das Blut, das zwischen ihnen

floss, empfand er als mysteriöse und magische Flüssigkeit, die ein

heiliges Band zwischen ihnen schuf.

Während all dieser Erlebnisse vernahm er deutlich zwei ver­

schiedene Herzschläge mit unterschiedlichen Frequenzen, die zu

einem einzigen wellenförmigen, akustischen Muster verschmolzen

und von merkwürdigen Geräuschen begleitet waren. Nach einiger

Überlegung erkannte er, dass letztere durch das Blut verursacht

wurden, das durch die Beckenarterien seiner Mutter schoss. Gele­

gentlich hörte er auch hohle und röhrende Geräusche, die offen­

sichtlich auf die Bewegung der Gase und Flüssigkeiten in den

Gedärmen direkt neben dem Uterus zurückgingen. Aufgrund die­

ser und anderer differenzierter Erlebnisse kam er mit Hilfe seiner

erwachsenen Urteilskraft zu der Schlussfolgerung, dass er ein reifer

Fötus im fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft kurz vor

der Entbindung war.

Plötzlich wurde er in seinem friedlichen, seligen Zustand durch

merkwürdige Geräusche aus der Außenwelt gestört. Sie hatten

einen seltsam hallenden Klang, als würden sie in einem weitläu­

figen hohen Raum ertönen oder durch eine Schicht von Wasser zu

ihm dringen, und erinnerten ihn an spezielle Klangeffekte, wie die

moderne Tontechnik sie für bestimmte Aufnahmen mit elektro­

nischen Mitteln erzeugt. Schließlich gelangte er zu dem Schluss,

dass die Bauch- und Uteruswand und das Fruchtwasser, in dem

der Fötus trieb, alle Geräusche von außen derartig verfremdeten.

Eine Zeitlang bemühte er sich herauszufinden, woher die Ge­

räusche stammten und wer oder was sie erzeugte. Nach einer Wei­

le konnte er zwei getrennte Geräusche ausmachen, die sich ver­

mischten. Bei dem einem handelte es sich eindeutig um menschliche

Stimmen, die sich zuriefen und lachten. In regelmäßigen Abstän­

den mischten sich weitere Klänge darunter, die offensichtlich von

Trompeten stammten. Plötzlich kam ihm ein Gedanke: Das muss­

Page 152: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

152 Teil 2: Geburt und pränatales Leben erinnern

ten die Geräusche des Jahrmarkts sein, der zwei Tage vor seinem

Geburtstag in seinem Heimatdorf immer stattfand. Als er all diese

verschiedenen Puzzlestücke erst einmal zusammengesetzt hatte,

wurde ihm klar, dass seine Mutter diesen Jahrmarkt im fortge­

schrittenen Stadium der Schwangerschaft besucht haben musste.

Als ich Richards Mutter nach den Umständen seiner Geburt

befragte, ohne ihr von seiner LSD-Erfahrung zu erzählen, berichte­

te sie mir unter anderem ganz unaufgefordert folgende Geschichte:

Im relativ eintönigen Alltag ihres Heimatdorfes war der Jahrmarkt

eins der wenigen aufregenden Ereignisse. Obwohl sie hochschwan­

ger war, wollte sie sich ihn um nichts in der Welt entgehen lassen.

Trotz der eindringlichen Einwände und Warnungen ihrer Mutter

verließ sie das Haus, um an den Festlichkeiten teilzunehmen. Laut

Bericht ihrer Verwandten waren der Lärm und Tumult des Jahr­

markts dafür verantwortlich, dass die Wehen bei ihr verfrüht ein­

setzten. Richard sagte, er habe von dieser Geschichte noch nie

gehört, und seine Mutter konnte sich nicht erinnern, sie ihm jemals

erzählt zu haben.

Page 153: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das Spermarennen gewinnen 153

Das Spermarennen gewinnenErfahrungen mit der zellulären Ebene

des Bewusstseins

Wenn wir zeitlich noch weiter zurückgehen, werden die Be­

richte über pränatale Erfahrungen in holotropen Bewusst­

seinszuständen immer phantastischer und unglaublicher. Und

doch vermitteln sie uns manchmal neue Informationen, die später

verifiziert werden können. Ich weiß noch, wie ich einmal bei einer

Konferenz der »Association of Pre- and Perinatal Psychology« (Ver­

ein für Prä- und Perinatale Psychologie, Anm.d.Ü.) in San Diego,

Kalifornien, einen faszinierenden Bildvortrag des australischen

Therapeuten Graham Farrant besuchte. Er zeigte unter anderem

Videoaufnahmen von seiner Sitzung in Primärtherapie, bei der er

seine Empfängnis wiedererlebte.

Zu seiner Überraschung machte Graham in seiner Sitzung die

Erfahrung, dass er als Spermium nicht, wie es die Medizin in jener

Zeit lehrte, die passive Eizelle attackierte und in sie eindrang, son­

dern dass das Ovum an der Vereinigung aktiv mitwirkte, indem es

eine Verlängerung seines Zytoplasmas aussandte und ihn ver­

schlang. Das Videotape über seine Sitzung zeigte auf einer geteilten

Leinwand die ersten Filmaufnahmen, die von einer menschlichen

Empfängnis jemals gemacht wurden. Aufgenommen hatte sie vier

Jahre nach seinen Erlebnissen Lennart Nilsson mit Hilfe eines Elek­

tronenmikroskops im Karolinska-Institut in Stockholm. Während

Graham mit Hilfe des Videotapes seine Erfahrungen beschrieb,

Page 154: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

154 Teil 2: Geburt und pränatales Leben erinnern

konnten wir gleichzeitig sehen, wie Nilssons Film seine erlebnisbe­

dingten Einsichten bestätigte.

Im folgenden gebe ich einen Auszug aus dem Protokoll einer

Sitzung mit hochdosiertem LSD wieder, die ein junger Psychiater

machte, der überzeugend beschreibt, wie er sich auf der zellulären

Ebene des Bewusstseins mit Ei und Spermium identifiziert. Nach

der Erfahrung des Spermarennens und der Vereinigung der beiden

Keimzellen bei der Empfängnis erlebte er noch einmal die Zell­

teilungen des befruchteten Eis und die vollständige Entwicklung

des Embryos zum reifen Fötus:

»Mein Bewusstsein wurde immer undifferenzierter, und das Bild

meines Körpers veränderte sich radikal. Offensichtlich wurde ich

zu einem primitiven Organismus, vergleichbar einer Amöbe. Ich

verspürte eine merkwürdige Aufregung, die mit nichts vergleichbar

war, was ich in meinem Leben jemals empfunden hatte. Mir wurde

klar, dass ich an einem hektischen Superrennen teilnahm und da­

bei irgendwelchen chemischen Botschaften folgte, die unwider­

stehlich verlockend waren. Ein Teil von mir, der etwa dort angesie­

delt war, wo sich sonst meine Wirbelsäule befand, erzeugte

rhythmische Pulsschläge, die mich durch Raum und Zeit einem

unbekannten Ziel entgegenschleuderten. Ich hatte nur vage Vor­

stellungen von meinem Bestimmungsort, aber die Mission war of­

fensichtlich von höchster Wichtigkeit. Nach einiger Zeit wurde mir

überraschend klar, dass ich ein Spermatozoid geworden war und

die mysteriösen, regelmäßigen Pulsschläge auf dessen Schrittma­

cher zurückgingen. Sie stimulierten eine lange Geißel, die sich

wellenförmig bewegte und mich vorwärtsschleuderte.

Mit Hilfe meines erwachsenen Verstandes kam ich zu dem

Schluss, dass das Ziel, das ich so eifrig verfolgte, darin bestand,

zum Ei zu gelangen und es zu befruchten. Trotz der Tatsache, dass

dieses Szenario meinem wissenschaftlichen Denken absurd und

lächerlich vorkam, konnte ich der Verlockung nicht widerstehen,

Page 155: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das Spermarennen gewinnen 155

mich auf dieses Rennen mit großer Ernsthaftigkeit und unter Ein­

satz all meiner Kräfte einzulassen. Während ich mich als Sperma-

zoid im Wettrennen um das Ei erlebte, war ich mir der Komplexität

aller beteiligten Faktoren bewusst. Was da geschah, trug sämtliche

grundlegenden Züge des physiologischen Prozesses der mensch­

lichen Befruchtung, wie er an den medizinischen Hochschulen ge­

lehrt wird. Es enthielt jedoch noch viele zusätzliche Dimensionen,

die mein intellektuelles Wissen über diese Vorgänge bei weitem

übertrafen und auch über das hinausgingen, was ich mir mit Hilfe

meiner Phantasie in meinem gewöhnlichen Bewusstseinszustand

dazu hätte ausmalen können.

Die Spermazelle, zu der ich geworden war, stellte offensicht­

lich einen komplizierten Mikrokosmos dar, ein ganzes Universum

für sich. Ich spürte die biochemischen Prozesse im Zellkernplasma

und stellte mir die Chromosomen und selbst die molekulare Struk­

tur der DNA vor. Die ursprüngliche archetypische Struktur der

DNA-Moleküle war durchsetzt von holographischen Bildern der

verschiedensten Lebensformen. Die physiochemischen Konfigura­

tionen schienen eng verbunden zu sein mit ursprünglichen phylo­

genetischen Prägungen, Erinnerungen an Vorfahren, Mythen und

archetypische Bilder, die alle zusammen in ein und derselben un­

endlich komplexen Matrix existierten. Biochemie, Genetik, Natur­

geschichte und Mythologie schienen untrennbar miteinander ver­

knüpft zu sein und waren lediglich verschiedene Aspekte ein und

desselben vielschichtigen kosmischen Gewebes.

Das Spermarennen schien auch von äußeren Kräften gesteuert

zu werden, die sein Ergebnis bestimmten. Ich spürte, dass sie mit

der Geschichte und mit den Sternen zusammenhingen, und schloss

daraus, dass es sich dabei um mysteriöse karmische und astrolo­

gische Einflüsse handelte.

An einem Punkt dieses Rennens identifizierte ich mich auch

mit der Eizelle. Mein Bewusstsein oszillierte und wechselte zwi­

schen dem eines Spermiums, das auf sein Bestimmungsziel zueilte,

Page 156: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

156 Teil 2: Geburt und pränatales Leben erinnern

und dem eines Eis in der vagen, aber starken Erwartung eines Er­

eignisses, das höchst wünschenswert und wichtig war. Die Aufre­

gung über dieses Rennen wuchs mit jeder Sekunde, und sein hek­

tisches Tempo steigerte sich dermaßen, dass es dem Flug eines

Raumschiffs glich, das sich in Lichtgeschwindigkeit seinem Ziel

näherte. Dann kam der Höhepunkt in Form einer triumphalen Im­

plosion und der ekstatischen Verschmelzung des Spermiums mit

dem Ei. An diesem Punkt kamen die beiden gespaltenen Einheiten

des Bewusstseins zusammen, und ich war beide Keimzellen auf

einmal.

Merkwürdigerweise schien sowohl das Spermium als auch die

Eizelle ein und dasselbe Ereignis als individuellen Erfolg und ge­

meinsamen Triumph zugleich zu erleben. Beide hatten ihre Missi­

on erfüllt - das Spermium hatte das Ovum erreicht und war darin

eingedrungen, und das Ovum hatte das Spermium empfangen und

sich einverleibt. Ein einziger Akt, an dem zwei beteiligt waren,

führte zum Sieg und zur totalen Befriedigung beider. Ich empfand

diese Situation, in der beide nur gewinnen konnten, als ideales

Modell - nicht nur für das Zusammenwirken des Männlichen und

des Weiblichen in der Sexualität von erwachsenen Menschen, son­

dern auch für zwischenmenschliche Beziehungen generell. Die

Aufgabe bestand offenbar darin, die Umstände so zu gestalten, dass

alle beteiligten Parteien am Ende zufrieden waren und das positive

Erlebnis als persönlichen Erfolg erlebten.

Nach der Verschmelzung der Keimzellen ging meine Erfah­

rung im raschen Tempo des Spermarennens weiter. In verdichteter

und äußerst beschleunigter Form durchlebte ich die vollständige

Embryogenese, die auf die Empfängnis folgt, vom befruchteten Ei

über die ersten Zellteilungen, Morula, Blastula und weiter bis zum

voll entwickelten Fötus. Ich war mir des damit verbundenen bio­

chemischen Prozesses, der Zellteilungen und des Gewebewachs­

tums voll bewusst. Es gab zahlreiche Aufgaben zu bewältigen, He­

rausforderungen zu bestehen und kritische Phasen zu überwinden.

Page 157: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das Spermarennen gewinnen 157

Ich beobachtete und erlebte die Differenzierung von Gewebe und

die Herausbildung neuer Organe. Ich wurde zu den Kiemenbögen,

dem pulsierenden Herzen des Embryos, den Säulen der Leberzel­

len, den Schleimhäuten der Gedärme und vielen anderen Teilen

des sich entwickelnden Organismus. Das explosionsartige Wachs­

tum des Embryos setzte enorme Kräfte frei und ein intensives gol­

denes Licht. Ich hatte das Gefühl, die biochemische Energie zu er­

leben, die das rasche Wachstum von Zellen und Gewebe bewirkt.

An einem bestimmten Punkt wusste ich sicher, dass ich meine

fötale Entwicklung abgeschlossen hatte. Auch das erlebte ich als

eine große Errungenschaft - als individuellen Erfolg, der zugleich

ein Triumph der schöpferischen Kraft der Natur war.

Als ich in meinen gewöhnlichen Bewusstseinszustand zurück­

kehrte, war ich überzeugt, dass diese Erfahrung nachhaltige und

dauerhafte Auswirkungen auf meine Selbstachtung haben würde.

Ganz gleich, wie mein Leben weiter verlaufen würde, zwei außer­

ordentliche Meisterstücke hatte ich bereits geschaffen, einfach da­

durch, dass ich meine Inkarnation vollbrachte: Ich hatte ein Ren­

nen gewonnen, an dem sich Hunderte Millionen von Konkurrenten

beteiligten, und die schwierige Aufgabe der Embryogenese erfolg­

reich abgeschlossen. Auch wenn der Wissenschaftler in mir sich

über diese einfältigen Gedanken amüsierte und herablassend darü­

ber lächeln mochte, die damit verbundenen Emotionen waren

stark und überzeugend.«

Page 158: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert
Page 159: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Wiederholungs­besuche in der Geschichte

Die Reichweite des mensch­

lichen Gedächtnisses

Teil 3

Page 160: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert
Page 161: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil'3: Wiederholungsbesuche in der Geschichte 161

obald ich mir klar gemacht hatte, dass wir in holotropen Be­

wusstseinszuständen tatsächlich Zugang zu Erinnerungen an

unsere biologische Geburt und unser Leben als Embryo bekom­

men, stand ich vor einer noch grundlegenderen gedanklichen

Herausforderung. Viele meiner Klientinnen und Klienten berichte­

ten, sie hätten in psychedelischen Sitzungen Ausschnitte aus dem

Leben ihrer Vorfahren erlebt, die noch weiter zurückreichten als

der Zeitpunkt ihrer eigenen Empfängnis. Manche erlebten auch

Ereignisse, die sich in anderen historischen Zeiten und fremden

Gegenden abspielten, ohne das Gefühl zu haben, dass es zwischen

ihnen und den Protagonisten dieser Szenen eine biologische Ver­

bindung gab. Bei ihren Erlebnissen identifizierten sie sich oft mit

Menschen, die anderen Rassen und Nationen angehörten.

Diese Erinnerungen an Vorfahren, Rasse und Kollektiv ent­

hielten oft präzise historische und kulturelle Informationen, die

über das konkrete intellektuelle Wissen der Menschen, die sie

erlebten, weit hinausgingen. Die Betreffenden lieferten korrekte

Beschreibungen mit vielen spezifischen Details von Kostümen,

Waffen, Architektur, Ritualen und anderen Aspekten der histo­

rischen Etappen und Länder, in denen sie sich aufhielten. All das

schien darauf hinzuweisen, dass diese Erfahrungen keine Phanta­

sieprodukte oder eine symbolische Verarbeitung aktueller Pro­

bleme waren, wie Mainstream-Psychiater meistens annehmen,

S

Page 162: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

i62 Teil 3: Wiederholungsbesuche in der Geschichte

sondern einzigartige und faszinierende Phänomene sui generis, also

besonderer Art. Diese Beobachtungen waren starkes Beweismateri­

al für die Existenz eines kollektiven Unbewussten, wie C.G. Jung

es beschrieben hat.

Zur Einschätzung dieser Erfahrungen und für den Nachweis

ihrer Authentizität war eine Bestätigung des so vermittelten Wis­

sens erforderlich. Wir mussten aufzeigen können, dass meine Kli­

entinnen und Klienten es nicht auf dem üblichen Informationsweg

erworben hatten. Das war natürlich keine leichte Aufgabe. Viele

der geschilderten Ereignisse hatten vor langer Zeit und in fremden

Ländern stattgefunden. Manchmal waren die Informationen, die

diese Schilderungen enthielten, nicht konkret oder präzise genug.

Andere waren sehr genau und detailliert, doch gab es kein Archiv­

material oder andere Quellen, die uns helfen konnten, sie zu über­

prüfen. Doch ab und zu kam es vor, dass eine dieser Erfahrungen

sämtliche Kriterien für ihre Verifizierung erfüllte - klare, eindeu­

tige Informationen, angemessene Quellen für die Überprüfung

ihrer Richtigkeit von unabhängiger Seite und die Garantie, dass das

Individuum zu den entsprechenden Informationen nicht auf

üblichem Wege gelangt war. Im Folgenden schildere ich ein paar

Beispiele für einige bemerkenswerte Fälle dieser Art, die mir im

Laufe der Jahre begegnet sind.

Page 163: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Ein Erlebnis aus dem russisch-finnischen Krieg 163

Ein Erlebnis aus dem russisch­finnischen Krieg

Ingas Geschichte

Die erste dieser Geschichten handelt von Inga, einer jungen

Frau aus Finnland, die in Stockholm einen unserer Work­

shops besuchte. Ihre holotrope Atemsitzung ging sehr tief und

kreiste um ihre biologische Geburt. Als sie den Kampf im Geburts­

kanal noch einmal durchlebte, die Entbindungsphase, die ich (wie

schon erwähnt) als dritte perinatale Grundmatrix bezeichne, er­

weiterte sich ihre Erfahrung, und Inga sah Szenen, in denen es um

Aggression und um das Töten in verschiedenen Formen von Krieg

ging. Dieses parallele Auftauchen von perinatalen Erfahrungen und

Bildern der Gewalt aus dem kollektiven Unbewussten ist typisch

und kommt häufig vor. Eine der Szenen in Ingas Sitzung war je­

doch ungewöhnlich und unterschied sich deutlich von den anderen.

Inga erlebte sich als jungen Soldaten, der an einer Schlacht des

Krieges zwischen Russland und Finnland teilnahm, der zu Beginn

des Zweiten Weltkriegs stattfand, vierzehn Jahre vor ihrer Emp­

fängnis. Zu ihrer großen Überraschung wurde ihr plötzlich klar,

dass sie tatsächlich ihr eigener Vater war und diese Schlacht aus

seiner Sicht erlebte. Sie war völlig mit ihm identifiziert und spürte

seinen Körper, seine Emotionen und seine Gedanken. Sie konnte

auch ganz deutlich wahrnehmen, was in ihrer unmittelbaren Um­

gebung passierte. Als sie/er sich einmal im Wald hinter einer Birke

versteckte, streifte eine Kugel ihre/seine Wange und ihr/sein Ohr.

Page 164: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Diese Erfahrung war extrem lebendig, authentisch und faszinie­

rend. Inga wusste nicht, woher sie stammte und was sie damit an­

fangen sollte. Rational war ihr klar, dass ihr Vater am russisch­

finnischen Krieg teilgenommen hatte, war aber sicher, dass er über

dieses spezielle Erlebnis nie gesprochen hatte. Nachdem sie sich

mit der Gruppe über ihre Erfahrungen ausgetauscht hatte, gelangte

sie zu dem Schluss, dass es sich hier um ein tatsächliches Ereignis

aus dem Leben ihres Vaters handeln musste, und beschloss, telefo­

nisch mehr darüber herauszufinden.

Als Inga nach dem Telefonat mit ihrem Vater in die Gruppe

zurückkehrte, war sie sehr aufgeregt und fast ehrfürchtig. Ihr Vater

war total erstaunt, als sie ihm am Telefon von ihrer Erfahrung er­

zählte. Alles, was sie erlebt hatte, war ihm im Krieg tatsächlich pas­

siert, und ihre Beschreibungen dieser Szene und der Umgebung

einschließlich der Birke trafen absolut zu. Er bestätigte auch, dass

er über dieses Ereignis nie mit ihr oder anderen Familienmitglie­

dern gesprochen hatte, weil er nicht so schwer verletzt worden war,

dass er dieses Erlebnis besonders erwähnenswert fand.

164 Teil 3: Wiederholungsbesuche in der Geschichte

Page 165: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das kleine Mädchen mit der weißen Schürze 165

Das kleine Mädchen mit der weißen Schürze

Nadjas Geschichte

Das zweite Beispiel handelt von der Erinnerung einer Vorfahrin

aus einer Zeit, die noch weiter zurückliegt als Ingas Erlebnis

mit ihrem Vater. Nadja, eine fünfzigjährige Psychologin, erlebte in

ihrer LSD-Sitzung eine sehr realistische Szene aus der frühen Kind­

heit ihrer Mutter. Zu ihrem großen Erstaunen wurde sie plötzlich

zu ihrer Mutter als kleines Mädchen im Alter von 3 oder 4 Jahren,

das ein steifes Sonntagskleid trug und sich unter einer Treppe ver­

steckte. Die Kleine hielt sich mit der Hand den Mund zu und war

ängstlich und einsam wie ein verschrecktes Tier. Sie hatte gerade

etwas gesagt, das aus der Sicht der Erwachsenen eine Frechheit

war, und sie hatten das Kind streng ermahnt. An Einzelheiten

konnte sie sich nicht erinnern, aber ihr war schmerzlich bewusst,

dass gerade etwas sehr Unangenehmes und Beängstigendes pas­

siert war.

Aus ihrem Versteck überblickte sie eine Szene mit vielen Ver­

wandten - Tanten und Onkeln -, die in altmodischen Kleidern,

wie sie für die damalige Zeit (zu Beginn des 20. Jahrhunderts) ty­

pisch waren, auf der Veranda eines Fachwerkhauses saßen. Offen­

sichtlich waren alle ins Gespräch vertieft, und niemand beachtete

sie. Sie hatte das Gefühl, alles falsch gemacht zu haben, und fühlte

sich von den übertriebenen Ansprüchen der Erwachsenen völlig

überfordert. Sie sollte ein gutes Mädchen sein, sich benehmen, das

Page 166: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

i66 Teil 3: Wiederholungsbesuche in der Geschichte

Richtige sagen und sich nicht schmutzig machen. Es schien ihr un­

möglich, die Erwachsenen jemals zufriedenzustellen. Sie fühlte

sich ausgeschlossen und geächtet und schämte sich sehr.

Neugierig geworden auf das, was da passiert war, wandte sich

Nadja nach der Sitzung an ihre Mutter, um entsprechende Einzel­

heiten aus deren Kindheit zu erfahren, ein Thema, über das die

beiden bislang nie gesprochen hatten. Nadja wollte ihrer konserva­

tiven Mutter, die das bestimmt missbilligt hätte, nicht sagen, dass

sie eine LSD-Sitzung genommen hatte. Stattdessen erzählte sie ihr,

sie habe von der Kindheit der Mutter geträumt und wolle wissen,

ob wirklich passiert sei, was sie da im Traum gesehen habe. Kaum

hatte sie mit ihren Beschreibungen angefangen, unterbrach ihre

Mutter sie und erzählte weiter. Ihr Bericht stimmte völlig überein

mit Nadjas inneren Erlebnissen. Die Mutter fügte noch viele Ein­

zelheiten aus ihrer Kindheit hinzu, die Nadjas Erfahrungen in der

LSD-Sitzung logisch ergänzten.

Sie vertraute Nadja an, wie autoritär und streng ihre eigene

Mutter (Nadjas Großmutter) gewesen sei, und schilderte die über­

triebenen Forderungen ihrer Mutter an sie in Bezug auf Sauberkeit

und anständiges Verhalten. Diese Ansprüche waren gebündelt ent­

halten im Lieblingsspruch ihrer Mutter: »Kleine Kinder sollten zu

sehen, aber nicht zu hören sein.« Nadjas Mutter betonte, wie ein­

sam sie sich in ihrer Kindheit immer gefühlt habe, da sie neben

zwei viel älteren Brüdern das einzige Mädchen war, und wie sehr

sie sich nach Spielgefährtinnen gesehnt habe. Wie ihre Mutter er­

zählte, lud Nadjas Großmutter sonntags oft die Verwandtschaft zu

einem Familientreffen ein und kochte für alle. Sie beschrieb das

Haus genau so, wie Nadja es in ihrer LSD-Sitzung vor sich gesehen

hatte, und erwähnte auch die große Veranda und die Treppe, die

zu ihr führte. Auch die Kleider mit den steifen weißen Schürzen,

die für ihre Kindheit so typisch waren, beschrieb die Mutter. Es gab

von dieser Szene keine Familienfotos, und das Haus war lange

vor Nadjas Geburt abgerissen worden.

Page 167: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Erinnerungen der geraubten Generationen zurückbringen 167

Erinnerungen der geraubten Generationen zurückbringen

Mariannes Geschichte

Beim dritten Beispiel für persönliche Erfahrungen mit Erinne­

rungen aus dem Leben der Vorfahren geht es um eine Famili­

engeschichte, die mehrere Generationen zurückreicht. Erforscht

hat sie Marianne Wobcke, eine australische Hebamme, die unser

Training für Holotropes Atmen und Transpersonale Psychologie

mit Abschluss absolvierte und diese Arbeit schließlich selbst prak­

tizierte. Ich nenne hier ihren tatsächlichen Namen, denn Marianne

hat ihre Geschichte im Juni 2004 bei der 16. Internationalen Trans­

personalen Konferenz in Palm Springs, die ich zusammen mit

Christina organisierte, bereits selbst öffentlich vorgetragen.

Mariannes erstaunliche Ahnenforschung begann an ihrem 13.

Geburtstag. An diesem Tag erfuhr sie von ihren Eltern, dass sie ein

Adoptivkind war. Als sie dieses Geheimnis in der Schule preisgab,

verspotteten die anderen Kinder sie, und Marianne beschloss, es

nie wieder zu erwähnen. Später grübelte sie auch darüber nach,

warum so viele ihrer Träume und Alpträume sowie ihre Erlebnisse

mit magischen Pilzen und LSD, die sie als Jugendliche und als

Zwanzigjährige hatte, von australischen Aborigines handelten.

Ernsthaft nachzudenken begann sie über die Tatsache, dass sie ein

Adoptivkind war, jedoch erst, als sie bei ihrer Arbeit als Hebamme

eine Erfahrung machte, die mit sehr intensiven Gefühlen verbun­

den war.

Page 168: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

168 Teil 3: Wiederholungsbesuche in der Geschichte

Im April 1991 begann Marianne im Toowoobma-Base-Hospital

ihre Ausbildung zur Hebamme. Bei ihrer ersten Entbindung be­

treute sie eine Vollblut-Aboriginefrau aus dem australischen Wes­

ten, die nach einer Vergewaltigung schwanger geworden war. Ma­

rianne war als Hebammenschülerin begeistert bei der Sache und

stürzte sich so eifrig darauf, diese Frau zu unterstützen, dass sie

immer wieder deren Grenzen verletzte. Nicht vertraut mit der Tra­

dition der australischen Aborigines, versuchte sie unter anderem

Blickkontakt mit ihr aufzunehmen, was für Vollblut-Aborigines ein

Tabu ist.

Um sich zu schützen, drehte die Frau Marianne den ge­

krümmten Rücken zu und bedeckte Nase und Gesicht mit den

Händen. Sie reagierte auch negativ auf Mariannes Geruch. Für sie

stank Marianne so sehr nach Seife und Parfüm, dass ihr davon übel

wurde. Schließlich erfasste Marianne die Situation intuitiv. Sie

hockte sich in respektvollem Abstand zu der entbindenden Frau

hin und gewährte ihr das Privileg, ihr Kind in Ruhe und ohne Ein­

mischung von außen zu gebären.

Die Entbindung dieser australischen Aboriginefrau, die ihr

Baby schließlich im Stich ließ, wühlte Marianne sehr auf. Das Baby

blieb drei Wochen auf der Säuglingsstation, während der Familien­

dienst nach der Mutter suchte, die sich tatsächlich aus dem Staub

gemacht hatte. Marianne reagierte darauf tief betroffen und war

ganz vernarrt in das Kind. Ihre Vernunft sagte ihr, dass die Anwe­

senheit bei der Geburt dieses Kindes Mutterinstinkte bei ihr ausge­

löst hatte, trotzdem war sie über die Heftigkeit ihrer Emotionen

erschrocken. Als drei Älteste, alle Großmütter, auf die Station ka­

men, um ihr Anrecht auf den Säugling anzumelden, hatte Marian­

ne zufällig gerade Dienst und überließ ihnen das Baby Anschlie­

ßend verfiel sie in einen heftigen Kummer, der den Beginn ihrer

eigenen Reise zum Erbe ihrer Ahnen markierte.

Diese Erfahrung als Hebamme in der Ausbildung weckte in

Marianne eine heftige Neugier bezüglich der Tatsache, dass sie

Page 169: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Erinnerungen der geraubten Generationen zurückbringen 169

selbst ein Adoptivkind war. Da ihre Eltern auf dieses Thema nie

wieder zu sprechen gekommen waren, zögerte Marianne, sich mit

ihren Fragen an sie zu wenden. Schließlich schrieb sie an den Fa­

miliendienst. Nach einer Weile kam per Post ein Päckchen, in dem

sich ein kurzes Schreiben mit Daten zu ihrem Adoptivstatus be­

fand, das den Namen ihrer leiblichen Mutter und deren Alter zum

Zeitpunkt von Mariannes Geburt enthielt sowie ein Buch mit dem

Titel Keine Geheimnisse mehr. In den folgenden zehn Jahren kam

Marianne bei ihrer Odyssee immer wieder an einen Punkt, wo sie

aufgeben wollte, das Mysterium ihrer Vergangenheit zu entwirren.

Sie erlebte auf diesem Weg viele Enttäuschungen und landete oft in

der Sackgasse.

Neuen Antrieb bekam ihre Suche, als sie Mary Madden ken­

nenlernte, eine Therapeutin, die in den Vereinigten Staaten bei uns

eine Ausbildung mit Abschluss gemacht hatte, was sie befugte,

selbst holotrope Atemsitzungen zu geben. Mary wurde Mariannes

Begleiterin beim Holotropen Atmen und schließlich eine enge

Freundin. Mit Marys Hilfe brach Marianne zur abenteuerlichen

Reise ihrer Selbsterforschung auf, auf der sie viele schwierige Er­

fahrungen machen sollte, manche in holotropen Sitzungen, andere

in ihren Träumen und in ihrem realen Alltagsleben.

Dazu gehörten auch Erinnerungen an wiederholten sexuellen

Missbrauch als Kind und die Vergewaltigung durch einen Mann,

der Italienisch statt Englisch sprach. Marianne war verblüfft über

diese Erfahrungen, denn sie wusste ziemlich sicher, dass sie nicht

aus ihrem jetzigen Leben stammten. Sie bekam migräneartige

Kopfschmerzen, die offensichtlich mit ihrer schwierigen Geburt

zusammenhingen, die eine Zangengeburt gewesen war. Als sie die­

sen Teil ihrer Geschichte noch einmal durchlebte, bildeten sich auf

ihrer Stirn und an anderen Körperteilen spontan Blutergüsse. Sie

versuchte verzweifelt, sich zu erinnern, ob diese Dinge ihr tatsäch­

lich passiert waren und sie sie möglicherweise aus ihrem Bewusst­

sein verbannt hatte.

Page 170: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

In dieser schwierigen Phase ihrer Selbstfindung zog sich Marianne

von ihrem Partner, Familie und Freunden völlig zurück. Sie war

verwirrt und desorientiert, verlor gelegentlich den Boden unter

den Füßen und hatte keinen Lebenswillen mehr. Rückblickend be­

richtete sie, sie habe diese Krise nur mit Hilfe der liebevollen Un­

terstützung überlebt, die sie in der Gemeinschaft der Menschen

erfuhr, die wie sie Atemarbeit machten. Sie war überzeugt, dass sie

sich in dieser schwierigen Zeit ohne diese Zuwendung ihrer Beglei­

terinnen und Leidensgenossen das Leben genommen hätte.

Auch wenn sie bis zu diesem Punkt nur sehr wenige Kontakte

zur Gemeinschaft der Aborigines hatte, spielten diese Menschen in

vielen ihrer inneren Erfahrungen eine wichtige Rolle, sei es in den

Atemsitzungen, in Träumen oder spontan in ihrem Alltag. Erstaun­

lich eindringlich und deutlich stellte Marianne sich vor, dass Ältes­

te der Aborigines sie aufsuchten und ihr ganz konkret zeigten, wie

sie ihre Arbeit als Hebamme verbessern konnte. Das inspirierte sie,

in Zusammenarbeit mit anderen Gruppen »Blue Care« ins Leben

zu rufen - Queenslands erstes, staatlich gefördertes, unabhängiges

Ausbildungsprogramm für Hebammen.

Mit der Suche nach ihrer leiblichen Mutter hatte sie in dieser

Zeit kein Glück. Aber sie schrieb ihre Erlebnisse sorgfältig in ihr

Tagebuch und zeichnete fleißig Bilder der Szenen, die sie innerlich

verfolgten. So entstand schließlich eine Reihe von bemerkenswer­

ten Darstellungen, die ihren dramatischen inneren Prozess doku­

mentierten und illustrierten.

1995 hatte Marianne ihren ersten entscheidenden Erfolg: Der

Suchdienst der Heilsarmee entdeckte ihre Großmutter und mehre­

re Onkel, die in Sydney wohnten, und über diese Menschen fand

sie auch ihre leibliche Mutter, die in Neuseeland lebte. Ihre Ver­

wandten wollten jedoch nichts mit ihr zu tun haben, und Marian­

ne war durch diese Abfuhr völlig am Boden zerstört.

Ein halbes Jahr später schließlich erhielt sie einen distanzierten

Brief von ihrer leiblichen Mutter. Die spärlichen Angaben in die­

170 Teil 3: Wiederholungsbesuche in der Geschichte

Page 171: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Erinnerungen der geraubten Generationen zurückbringen 171

sem Schreiben waren eine überraschende Bestätigung von Ma­

riannes Erfahrungen. Ihre Mutter schrieb, dass sie mit Marianne

schwanger geworden war, nachdem ein Italiener, der kein Englisch

sprach, sie vergewaltigt hatte. Zu der Zeit war Mariannes Mutter

ein Teenager und lebte in einer kleinen Stadt im äußersten Norden

von Queensland. Neben der brutalen Traumatisierung durch die

Vergewaltigung musste sie auch noch Anschuldigungen und Vor­

würfe seitens ihrer Eltern ertragen. Nach vergeblichen Versuchen,

eine Abtreibung zu organisieren, steckte man sie in ein Heim für

ledige junge Frauen.

Nach Mariannes Entbindung, einer traumatischen Zangenge­

burt, berührte und sah die Mutter ihr Kind nie wieder. Die Familie

setzte die junge Frau in ein Schiff nach Neuseeland, wo sie sich

bemühte, ihre Vergangenheit zu vergessen, um neu anfangen zu

können. In ihrem Brief wünschte sie Marianne alles Gute, und ob­

wohl diese sich wiederholt bemühte, den Kontakt fortzusetzen,

meldete ihre Mutter sich nicht wieder bei ihr.

Mariannes Suche war damit jedoch noch nicht zu Ende. Nach die­

ser unerwarteten Bestätigung der Umstände ihrer Empfängnis und

Geburt gingen ihre Erfahrungen in der holotropen Atemarbeit mit

neuer Intensität weiter.

In einer ihrer Sitzungen erlebte sie sich als Vollblut-Aborigine-

frau, die von zwei uniformierten Männern zu Pferde gefesselt, ver­

gewaltigt und geschlagen wurde. Man nahm ihr ihre beiden Kinder

weg, tauchte ihre Beine in Petroleum und zündete sie an, was zu

schweren Verbrennungen führte. Marianne fuhr fort, diese Erleb­

nisse zu zeichnen und zu dokumentieren, um nicht verrückt zu

werden. Eines Tages, nach einer Therapiesitzung, in der es wieder

einmal um australische Ureinwohner ging, rief Marianne auf Mary

Maddens Vorschlag hin die Vermittlung an und meldete ein Fern­

gespräch nach Neuseeland an. Diesmal hatte sie Erfolg: Ihre Mutter

kam ans Telefon.

Page 172: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

172 Teil 3: Wiederholungsbesuche in der Geschichte

Bei diesem Gespräch erzählte Mariannes Mutter, ihre Urgroßmut­

ter sei eine Vollblut-Aboriginefrau gewesen, und beschrieb den se­

xuellen, emotionalen, körperlichen und spirituellen Missbrauch,

der das Leben dieser Frau gezeichnet hatte. Das Mysterium schien

sich endlich aufzuklären, und Marianne fasste wieder Hoffnung.

Nach diesem Gespräch zog sich ihre leibliche Mutter jedoch erneut

zurück und verweigerte jeden weiteren Kontakt. Verzweifelt wand­

te Marianne sich an »Link Up«, eine Organisation der Aborigines,

und bat um Unterstützung für die Bestätigung ihres Status als Ur­

einwohnerin. Ohne die Erlaubnis ihrer leiblichen Mutter konnte

man ihr hier jedoch nicht weiterhelfen. Auf diese Weise kam sie

nicht voran, und Mariannes Frustration wuchs.

Mariannes Adoptiveltern hatten sie während all dieser Ereig­

nisse kontinuierlich unterstützt, und eines Tages gab ihr Vater ihr

eine Telefonnummer, auf die er zufällig gestoßen war. So kam Ma­

rianne in Kontakt mit »Community and Personal Histories«, einer

Organisation, in der man bereit war, Nachforschungen für sie an­

zustellen. Ein paar Monate später erhielt Marianne per Post eine

Dokumentation über die Jahre 1895 bis 1918, welche bis ins Detail

die Geschichte ihrer Urgroßmutter enthielt, die die illegale Tochter

eines älteren Junggesellen und Landbesitzers im äußersten Norden

von Queensland gewesen war. Dieser hatte eine Freistellung vom

Protektionsgesetz für Aborigines beantragt, damit er das Misch­

lingskind zu sich nehmen und es bei ihm aufwachsen konnte.

Dieser Mann bekannte, sich eine Vollblut-Aboriginefrau zur

Geliebten genommen zu haben, und aus dieser Verbindung waren

zwei Mischlingskinder hervorgegangen. Es gab auch einen Polizei­

bericht über zwei Offiziere, die um das Jahr 1900 herum zu Pferde

ausrückten, um »die Eingeborene und ihre Kinder« festzunehmen,

die man ins »Nigger Camp« brachte, wo sie für andere arbeiten

mussten. Marianne fand auch bestätigt, dass die Füße ihrer Ur­

großmutter bei diesem Ereignis schwere Verbrennungen erlitten,

genauso, wie sie es in ihrer Atemsitzung erlebt hatte.

Page 173: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Erinnerungen der geraubten Generationen zurückbringen 173

Man vermittelte Marianne an einen Berater der Organisation »Sto­

len Generations« (Geraubte Generationen, Anm.d.Ü.). Die Zusam­

menarbeit mit ihm erwies sich als außerordentlich hilfreich und

brachte eine nachhaltige Wende der Ereignisse.

Im Juni 2003 begleitete ein Vertreter der Organisation »Link Up«

sie nach Sidney, wo sie drei Tage Wiedervereinigung mit ihrer

Großmutter und ihrem Onkel Robbie feierte. Die Gefühle, die Ma­

rianne empfand, als sie das Haus ihrer Großmutter betrat, lassen

sich mit Worten kaum beschreiben. Ihre Großmutter nahm sie in

die Arme, weinte und sagte zu ihrem Sohn: »Endlich ist unsere

Kleine nach Hause gekommen.« Marianne fand heraus, dass ihre

Großmutter, unmittelbar nachdem sich die Heilsarmee vor Jahren

an sie wendete, einen Schlaganfall erlitten hatte. Als sie sich wieder

erholt hatte, erinnerte sie sich nicht mehr an dieses Ereignis und

wusste nicht, wo Marianne war und wie sie Kontakt zu ihr aufneh­

men konnte. Als tief spiritueller Mensch hatte sie täglich darum

gebetet, dass Marianne zu ihnen zurückfinden möge.

Mariannes leibliche Mutter hat nur begrenzten Kontakt zu

ihrer Familie und weigert sich weiterhin, ihre Tochter anzuerken­

nen. Aber die Akzeptanz und Liebe ihrer Großmutter und ihres

Onkels lassen Mariannes Schmerz über diese Ablehnung allmäh­

lich verheilen. Ihr Onkel Robbie schrieb kürzlich in einem Brief:

»Ich habe mich immer wieder gefragt, warum unser Leben so

anders geworden ist, seitdem du bei uns warst. Dann kam mir

plötzlich der Gedanke, dass du, als du durch Großmutters Tür he­

reinkamst, unsere Familie vollständig gemacht hast. Als habe der

Kreis sich endlich geschlossen. Wir haben dich von Herzen lieb.«

Marianne fand schließlich doch noch nach Hause - und damit ist

ihre Heldinnenreise zu Ende.

Page 174: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

174 Teil 3: Wiederholungsbesuche in der Geschichte

Erinnerung an das Erlebnis eines Vorfahren oder Erfahrung aus einem eigenen früheren Leben?

Renatas Geschichte

Die im vierten Beispiel geschilderte Situation reicht in der Ge­

schichte weit zurück und bringt uns an den Anfang des 17.

Jahrhunderts. An diesem Fall wird deutlich, wie groß die gedank­

lichen Herausforderungen sind, vor die uns die Verifizierung der

hier enthaltenen Informationen stellt. Die Hauptfigur dieser Ge­

schichte ist Renata, eine frühere Klientin von mir, die in Behand­

lung kam, weil sie an einer Krebsphobie litt, die sie sehr belastete.

In ihrer LSD-Therapie durchlebte sie noch einmal verschiedene

traumatische Erfahrungen aus ihrer Kindheit und setzte sich wie­

derholt mit der Erinnerung an ihre Geburt auseinander. Im fortge­

schrittenen Stadium ihrer Selbsterforschung veränderten sich ihre

Sitzungen plötzlich dramatisch, und sie machte hier höchst unge­

wöhnliche, beispiellose Erfahrungen.

In vier LSD-Sitzungen kam bei ihr fast ausschließlich Material

aus einer bestimmten historischen Epoche hoch. Viele dieser Er­

lebnisse fanden im Prag des 17. Jahrhunderts statt, einer Zeit, die

für die tschechische Geschichte von entscheidender Bedeutung

war. Nach der verheerenden Schlacht am Weißen Berg im Jahr

1620, die den Verlauf des Dreißigjährigen Krieges in Europa mar­

kierte, verlor das Land seinen Status als unabhängiges Königreich

Page 175: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

und geriet unter die Hegemonie der Dynastie der Habsburger. Um

den Nationalstolz zu brechen und die Kräfte des Widerstands zu

zerschlagen, schickten die Habsburger Söldnertruppen aus, die die

mächtigsten Adeligen im Land gefangen nehmen sollten. 27 be­

rühmte Aristokraten wurden in den Kerker geworfen und in einer

öffentlichen Hinrichtung auf einem Schafott im Altstadtviertel von

Prag geköpft.

Diese historischen Sitzungen vermittelten Renata bemerkens­

wert viele Bilder und Einsichten in Bezug auf die Architektur, ty­

pische Kleidungsstücke und Kostüme sowie Waffen und zahlreiche

alltägliche Gebrauchsgegenstände der erlebten Zeitepoche. Sie

konnte auch einige der für diese Zeit typischen komplizierten Be­

ziehungen zwischen der königlichen Familie und den Vasallen be­

schreiben. Renata hatte diese Epoche der tschechischen Geschichte

nie studiert und bislang auch kein Interesse daran gehabt. Ich

musste in der Bücherei Geschichtsforschung betreiben, um bestäti­

gen zu können, dass ihre Informationen richtig waren.

Viele von Renatas Erfahrungen stammten aus den verschie­

denen Lebensabschnitten eines jungen Edelmanns, der zu den ge­

nannten Aristokraten gehörte, welche die Habsburger köpfen lie­

ßen. In einer dramatischen Sequenz durchlebte sie schließlich mit

heftigen Emotionen und bis in alle Einzelheiten die tatsächlichen

Ereignisse, die mit der Hinrichtung verbunden waren, auch die

Todesangst und das qualvolle Sterben des Adeligen. Renata identi­

fizierte sich in vielen Situation vollständig mit dieser Person. Sie

konnte nicht herausfinden, in welchem Zusammenhang diese Sze­

nen zu ihrem jetzigen Leben standen, warum sie in ihrer Therapie

hochkamen und was sie ihr sagen sollten. Nach gründlichen Über­

legungen gelangte sie zu dem Schluss, dass sie hier Ereignisse aus

dem Leben eines ihrer Vorfahren durchlebte. Das alles geschah in

der Anfangszeit meiner psychedelischen Forschungen, und ich

musste zugeben, dass ich für eine Interpretation dieser Art von

inneren Erlebnissen gedanklich noch nicht gerüstet war.

Erinnerung an das Erlebnis eines Vorfahren 175

Page 176: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

176 Teil 3: Wiederholungsbesuche in der Geschichte

Da ich zumindest annähernd verstehen wollte, was sich da ab­

spielte, versuchte ich zweierlei: Zum einen investierte ich viel Zeit

und Mühe, um die in diesen Erfahrungen auftauchenden histo­

rischen Details zu verifizieren, und war zunehmend davon beein­

druckt, wie richtig sie sich erwiesen. Zweitens versuchte ich mit

Hilfe der freudschen Methode des freien Assoziierens Renatas Ge­

schichten mit ihr zusammen so zu bearbeiten, als handle es sich

um Träume. Vielleicht, so hoffte ich, konnten wir sie als symbo­

lische Verkleidungen von Kindheitserlebnissen oder von aktuellen

Problemen in ihrem Leben entschlüsseln. Doch trotz dieser Bemü­

hungen ergaben diese Erfahrungen in Renatas Sitzungen aus psy­

choanalytischer Sicht nicht viel Sinn. Als in Renatas LSD-Sitzungen

dann neue Inhalte auftauchten, gab ich diese Versuche schließlich

auf. Ich dachte über die merkwürdigen Vorkommnisse nicht weiter

nach und konzentrierte mich stattdessen auf aktuelle gedankliche

Herausforderungen.

Zwei Jahre später, als ich bereits in den Vereinigten Staaten lebte,

bekam ich von Renata einen langen Brief mit der folgenden, unge­

wöhnlichen Einleitung: »Lieber Dr. Grof, wenn ich Ihnen im Fol­

genden die Ergebnisse meiner jüngsten persönlichen Nachfor­

schungen mitteile, halten Sie mich wahrscheinlich für völlig

verrückt.« Dann beschrieb Renata, wie sie zufällig ihrem Vater wie-

derbegegnete, den sie seit ihrem 3. Lebensjahr, als ihre Eltern sich

scheiden ließen, nicht mehr gesehen hatte. Nach einem kurzen Ge­

spräch lud ihr Vater sie zu einem Essen mit seiner Frau und den

gemeinsamen Kindern ein. Nach dem Essen verkündete er, er wol­

le ihr etwas erzählen, das sie interessieren könne.

Im Zweiten Weltkrieg gaben die Nazis einen Befehl aus, der

sämtliche Familien in den besetzten Gebieten anwies, den deut­

schen Autoritäten ihren Stammbaum vorzulegen, um nachzuwei-

sen, dass es in den letzten fünf Generationen keine Person jüdischer

Abstammung in der Familie gegeben hatte. Das war eine ernste

Page 177: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Erinnerung an das Erlebnis eines Vorfahren 177

Angelegenheit, denn konnte eine Familie ihre »Reinheit« nicht be­

weisen, hatte das katastrophale Folgen für ihre Mitglieder. Als er

sich mit dieser obligatorischen Ahnenforschung beschäftigte, fand

Renatas Vater sie immer faszinierender. Nachdem er den verlangten

Stammbaum für fünf Generation fertiggestellt hatte, setzte er seine

Nachforschungen aus persönlichem Interesse weiter fort.

Dank der akribisch geführten Archive der europäischen Ge­

meindehäuser, welche die Geburtsdaten sämtlicher Personen, die

in ihrer Gemeinde geboren waren, seit unzähligen Generationen

aufbewahrten, konnte er die Geschichte seiner Familie mehr als

drei Jahrhunderte zurückverfolgen. Und so war er jetzt imstande,

Renata die Früchte seiner jahrelangen Forschungen zu zeigen -

einen sorgfältig erstellten, komplexen Stammbaum ihrer Familie,

der zeigte, dass sie Abkömmlinge eines der Adeligen waren, die

nach der Schlacht am Weißen Berg in der Altstadt von Prag hinge­

richtet worden waren.

Renata war erstaunt, dass die Informationen, zu denen sie in

ihren LSD-Sitzungen Zugang bekam, auf so unerwartete Weise

Bestätigung fanden. Nachdem sie mir in ihrem Brief von diesem

ungewöhnlichen Ereignis berichtet hatte, schrieb sie, sie sei fest

davon überzeugt, dass »sich emotional stark besetzte Erinnerungen

den genetischen Code einprägen und über Jahrhunderte hinweg

an zukünftige Generationen weitervermittelt werden können«.

Renatas Brief endete mit dem Triumphruf: »Ich habe es Ihnen doch

gesagt!« Für sie bekräftigten diese neuen, überraschenden Infor­

mationen von ihrem Vater, was sie aufgrund ihrer intensiven Erfah­

rungen bereits die ganze Zeit über vermutet hatte - sie war auf au­

thentische Erinnerungen an ein Erlebnis eines ihrer Vorfahren

gestoßen. Wie bereits erwähnt, hatte ich selbst dieser Schlussfolge­

rung damals skeptisch gegenübergestanden.

Nach meinem anfänglichen Staunen über dieses höchst unge­

wöhnliche Zusammentreffen von Ereignissen entdeckte ich in Re­

natas Bericht eine Reihe von schwerwiegenden Widersprüchen.

Page 178: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

178 Teil 3: Wiederholungsbesuche in der Geschichte

Eine der Erfahrungen mit den historischen Ereignissen, die sie in

ihren LSD-Sitzungen machte, betraf die Hinrichtung des jungen

Adligen und sämtliche damit verbundenen Emotionen. Im 17.

Jahrhundert jedoch, einer Zeit lange vor den revolutionären Durch­

brüchen der modernen Medizin (z.B. durch Stammzellenforschung,

Spermienkonservierung, Anm.d.Ü.), gab es keine Möglichkeit, die

Fortpflanzung einer Person über ihren Tod hinaus zu ermöglichen.

Der Tod zerstörte sämtliche materiellen Kanäle, durch die Informa­

tionen über das Leben des Verstorbenen der Nachwelt hätten über­

mittelt werden können.

Durch diese Erkenntnis wurde die Situation sogar noch kom­

plizierter - »die Handlung wurde verwickelter«. Einerseits hatte

Renatas Erfahrung durch die Ahnenforschung ihres Vaters eine

eindeutige Bestätigung von unabhängiger Seite erfahren. Anderer­

seits gab es kein materielles Substrat für die Speicherung, Über­

mittlung und das Wiederauffinden der entsprechenden Informati­

onen. Bevor wir jedoch die Informationen verwerfen, die in Renatas

Geschichte die Authentizität der Erinnerungen an Erlebnisse eines

Vorfahren beweisen, müssen wir einige weitere Fakten ernsthaft

berücksichtigen.

Keine und keiner der übrigen tschechischen Patientinnen und

Patienten, die insgesamt über 2000 Sitzungen machten, hat diese

historische Epoche jemals erwähnt. In Renatas Fall ging es in vier

aufeinander folgenden LSD-Sitzungen fast ausschließlich um his­

torische Ereignisse aus dieser Zeit. Und die Wahrscheinlichkeit,

dass die Überschneidung von Renatas innerer Suche mit der Ah­

nenforschung ihres Vaters ein bedeutungsloser Zufall war, ist so

gering, dass man diese Alternative kaum ernsthaft in Erwägung

ziehen kann. Wir stehen vor einer ungewöhnlichen Beobachtung,

für die das augenblickliche materialistische Paradigma keine Erklä­

rung hat. Sie ist ein Beispiel für Beobachtungen aus der modernen

Bewusstseinsforschung, die man erst kürzlich als »anormale Phä­

nomene« betitelt hat.

Page 179: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert
Page 180: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Haben wir schon einmal gelebt?

Reinkarnation und die

Akasha-Chronik

Page 181: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt? 181

Zu den interessantesten Phänomenen, denen ich bei meinen

Forschungen über holotrope Bewusstseinszustände begegnet

bin, gehören mit Sicherheit Erfahrungen aus früheren Leben. Sie

kommen extrem häufig vor und zwar sowohl in den psychede­

lischen Sitzungen meiner Klienten als auch in Sitzungen mit holo-

troper Atemarbeit und im Verlauf spontan auftretender psychospi-

ritueller Krisen (»spiritueller Krisen«) von Menschen, mit denen

wir therapeutisch gearbeitet haben. Und das trotz der Tatsache,

dass ich anfangs die Idee von Reinkarnation und Karma nicht be­

sonders ernst genommen habe, sondern darin lediglich Produkte

der Wunschphantasien von Menschen sah, welche die düstere

Realität von Vergänglichkeit und Tod nicht annehmen können.

Außerdem widersprachen diese Erfahrungen dem Glaubenssystem,

mit dem ich aufgewachsen bin, denn sowohl die Mainstream-

Wissenschaft als auch die Theologen der bei uns vorherrschenden

Religionen lehnen den Gedanken der Reinkarnation ab. Er gehört

zu den seltenen Themen, über die materialistische Wissenschaft

und Christentum sich einig sind.

Viele Menschen machen ihre ersten Erfahrungen mit früheren

Leben, wenn sie ihre Geburt wiedererleben. Bei anderen treten sie

unabhängig davon auf. Im typischen Fall versetzen sie das betref­

fende Individuum in hochemotionale Situationen zurück, die in

verschiedenen Ländern der Welt und unterschiedlichen histo­

Page 182: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

i82 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

rischen Epochen sowohl in der jüngsten als auch in ferner Vergan­

genheit angesiedelt sind. Der Inhalt dieser Erfahrungen ist meist

völlig überraschend, und trotzdem gehen sie einher mit einem

merkwürdigen Gefühl von déjà vu oder déjà vecu: »Das passiert mir

nicht zum ersten Mal. Hier war ich schon einmal. Ich habe das in

einem meiner früheren Leben erlebt.« Oft bestand auch ein enger

Zusammenhang zwischen den wichtigsten Personen und Ereignis­

sen in diesen Situationen und den augenblicklichen Erfahrungen

des Betreffenden.

Schon bald wurde mir bewusst, dass diese Erfahrungen aus

früheren Leben so viele typische Eigenschaften aufweisen, dass wir

sie schwerlich als kindliche Phantasien abtun können. Sie traten

auf einer kontinuierlichen Entwicklungslinie mit präzisen Erinne­

rungen aus Jugendzeit, Kindheit, Kleinkindzeit, Geburt und die

intrauterine Existenz auf und konnten oft zuverlässig nachgeprüft

werden. Häufig hingen sie eng zusammen mit den emotionalen

und psychosomatischen Symptomen des Betreffenden sowie mit

wichtigen Themen und Umständen seines jetzigen Lebens. Wur­

den diese karmischen Ereignisse der jeweiligen Person voll bewusst,

vermittelten sie ihr oft tiefe Einsichten in verschiedenste, bislang

unverständliche und rätselhafte Aspekte ihres Alltagslebens.

Dazu gehörten zahlreiche verschiedene psychische Probleme

und zwischenmenschliche Themen, für welche die traditionellen

psychotherapeutischen Schulen uns keine angemessenen Erklä­

rungen liefern können. Ich habe auch wiederholt beobachtet, dass

Erfahrungen aus früheren Leben dem oder der Betreffenden nicht

nur ein intellektuelles Verstehen vermittelten, sondern verschie­

dene, komplizierte emotionale und psychosomatische Symptome

abklingen oder ganz verschwinden ließen und zwischenmensch­

liche Beziehungskonflikte lösten.

Außerdem vermittelten diese Erfahrungen, wie auch die be­

reits erwähnten Erinnerungen an Leben von Vorfahren, Rasse und

Kollektiv, oft präzise Einsichten in die Zeit und Kultur, in der sie

Page 183: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

angesiedelt waren. In vielen Fällen machten die Qualität und das

Wesen dieser Informationen es unwahrscheinlich, dass die betref­

fenden Menschen sie durch die üblichen Kanäle empfangen hatten.

Im Folgenden schildere ich mehrere Beispiele für diese faszi­

nierenden Erfahrungen, die entweder ganz bestimmte Informati­

onen enthalten, welche später von unabhängiger Seite bestätigt

werden konnten, oder mit bemerkenswerten Synchronizitäten ver­

bunden waren. Mit Ausnahme von Karls Geschichte geht es hier

um Erfahrungen und Ereignisse im Zusammenhang mit Karma

und Reinkarnation, die Christina und mich betreffen. Ich habe im

Laufe der Zeit schätzen gelernt und begriffen, wie machtvoll und

überzeugend diese erlebnisbedingten Phänomene sind.

Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt? 183

Page 184: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

184 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

Die Belagerung von Dún an ÒirKarls Geschichte

So beeindruckend und überzeugend Erlebnisse aus früheren

Leben auch sein mögen, der Traum jedes Forschers ist es, auf

Fälle zu stoßen, bei denen wichtige Aspekte dieser Erfahrungen

durch unabhängige historische Untersuchungen bestätigt werden

können. Für mich erfüllte sich dieser Traum, als Christina und ich

Karl kennenlernten und ihn bei seiner tiefen Selbsterforschung

und Heilung begleiten durften. Karl meldete sich für eines unserer

einmonatigen Seminare in Esalen an, nachdem er bereits in Kanada

in einer der abtrünnigen Primärtherapiegruppen an sich gearbeitet

hatte. Das waren die Gruppen, die das Primärinstitut in Los Angeles

nach heftigen ungeklärten Meinungsverschiedenheiten mit Arthur

Janov (dem Begründer der Primärtherapie, Anm.d.Ü.) verlassen

hatten.

In der Primärtherapie machten diese Menschen immer wieder ver­

schiedene transpersonale Erfahrungen: Sie hatten archetypische

Visionen, identifizierten sich mit verschiedenen Tieren und erin­

nerten sich an frühere Leben. Janov, der jedoch kein Verständnis

für die transpersonalen Ebenen des Unbewussten hatte, war ent­

schieden gegen alles, was mit Spiritualität zu tun hatte, und inter­

pretierte diese Erfahrungen als eine »Abkoppelung vom Ur­

schmerz«. Viele Menschen, die die Primärtherapie als Methode

schätzten, Janovs eingleisiges Vorurteilsdenken aber ablehnten,

verließen sein Institut und gründeten ihre eigenen Gruppen.

Page 185: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Belagerung von Dün an Öir 185

Karl hatte mit seiner Selbsterfahrung in einer solchen Gruppe

angefangen. Nach einer Weile berührte sein innerer Prozess auch

die perinatale Ebene. Als er verschiedene Aspekte seiner biolo­

gischen Geburt wiedererlebte, stellten sich begleitend dramatische

Szenen ein, die sich offensichtlich in einem anderen Jahrhundert

und in einem fremden Land abspielten. Sie waren mit heftigen

Emotionen und Körperempfindungen verbunden und standen of­

fensichtlich in einem tiefen und engen Zusammenhang mit Karls

Leben, auch wenn sich keine dieser Szenen vor dem Hintergrund

seiner jetzigen Biographie sinnvoll entschlüsseln ließ. Vor seinem

inneren Auge sah er Tunnel, unterirdische Lagerräume, Militärba­

racken, dicke Mauern und Festungswälle, welche offensichtlich

alle zu einer Burg gehörten, die auf einem Felsen hoch über einem

Meeresstrand stand. Dazwischen sah er immer wieder Bilder von

Soldaten in den unterschiedlichsten Situationen. Es verwirrte ihn,

dass diese Soldaten offensichtlich Spanier waren, obwohl die Land­

schaft eher nach Schottland oder Irland aussah.

Genau zu der Zeit besuchte Karl unseren Workshop in Esalen

und wechselte von der Primärtherapie zum Holotropen Atmen.

Die Szenen, die er in den Sitzungen innerlich erlebte, wurden im­

mer dramatischer und verwickelter. Häufig ging es um heftige

Kämpfe und blutige Metzeleien. Obwohl er von Soldaten umgeben

war, erlebte Karl sich selbst als Priester und sah sich unter anderem

in einer sehr bewegenden Szene mit Bibel und Kreuz in den Hän­

den. Dabei entdeckte er an seinem Finger einen Siegelring und

konnte die eingravierten Initialen deutlich sehen.

Da er künstlerisches Talent hatte, beschloss er, diese merkwür­

digen Vorgänge darzustellen, auch wenn er sie zu jener Zeit noch

nicht verstand. Er fertigte eine Reihe von Zeichnungen und sehr

kraftvollen und impulsiven Bildern mit Fingerfarben an. Einige

zeigten Teile der Festung, andere Schlachtenszenen, und wieder

andere stellten Karls eigene Erlebnisse dar, darunter, wie er - vom

Schwert eines britischen Soldaten durchbohrt - über die Festungs­

Page 186: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

186 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

mauern geworfen wurde und am Strand starb. Unter diesen Bil­

dern befand sich auch eine Zeichnung seiner Hand mit dem Siegel­

ring, in den die Namensinitialen dieses Priesters eingraviert waren.

Während er weitere Puzzlestücke dieser Geschichte sammelte,

erschlossen sich für Karl immer mehr Zusammenhänge zwischen

verschiedenen Aspekten dieser Szenen und seinem gegenwärtigen

Leben. Er vermutete, das Drama des spanischen Priesters in ferner

Vergangenheit könne die Quelle für viele seiner heutigen emotio­

nalen und psychosomatischen Symptome sowie seiner zwischen­

menschlichen Probleme sein. Als Karl dann, einem plötzlichen Im­

puls folgend, beschloss, Urlaub in Irland zu machen, kam es zu

einer entscheidenden Wende: Nach seiner Rückkehr schaute er

sich die Dias an, die er an Irlands Westküste aufgenommen hatte,

und ihm fiel auf, dass er von ein und derselben Landschaft elf Auf­

nahmen gemacht hatte. Das überraschte ihn, denn er konnte sich

nicht daran erinnern, diese Aussicht fotografiert zu haben, sie

schien ihm auch nicht besonders interessant zu sein.

Da er ein pragmatischer Mann war, ging er diese seltsame An­

gelegenheit rational und analytisch an. Er betrachtete die Landkar­

te und rekonstruierte, wo er zum Zeitpunkt der Aufnahmen ge­

standen und in welche Richtung er fotografiert hatte. So entdeckte

er, dass sich an dem Ort, der seine Aufmerksamkeit gefesselt hatte,

die Ruinen einer alten Festung namens Dún an Òir oder Forte de

Oro (Goldene Festung) befanden. Aus der Entfernung, aus der er

die Aufnahmen machte, waren sie mit bloßem Auge kaum zu

erkennen, und er musste genau hinschauen, um sie auf dem Dia

entdecken zu können. Da er vermutete, dass zwischen diesen selt­

samen Fotos und seinen Erlebnissen in der Primärtherapie und

den holotropen Atemsitzungen ein Zusammenhang bestand,

beschloss Karl, auf der Suche nach weiteren Anhaltspunkten die

Geschichte von Dün an Öir zu studieren.

Zu seiner großen Überraschung fand er heraus, dass 1580 eine

kleine Besatzungstruppe spanischer Soldaten im nahe gelegenen

Page 187: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Belagerung von Dun an Öir 187

Hafen von Smerwick gelandet war, um die Iren bei ihrem Aufstand

gegen Desmond zu unterstützen. Nachdem sich ihnen einige

irische Soldaten angeschlossen hatten, waren sie etwa 600 Mann.

Es gelang ihnen, sich hinter den Festungswällen von Dün an Öir

zu verschanzen, bevor sie von einer größeren englischen Truppe,

angeführt von Lord Grey, umzingelt und belagert wurden. Ein Wal­

ter Raleigh, der Lord Grey begleitete, spielte in diesem Konflikt die

Rolle des Vermittlers und führte die Verhandlungen mit den Spani­

ern. Er versprach ihnen freien Abzug aus der Festung, wenn sie

das Tor öffneten und sich ergaben, aber die Briten hielten sich nicht

an ihr Versprechen. Als sie erst einmal in die Festung eingedrun­

gen waren, brachten sie sämtliche Spanier gnadenlos um und war­

fen ihre Leichen über die Festungswälle ins Meer und an den

Strand.

Trotz dieser absolut erstaunlichen äußeren Bestätigung der

Geschichte, die er bei seinen inneren Forschungen so mühsam zu

rekonstruieren versuchte, war Karl noch nicht zufrieden. Er setzte

seine Studien in der Bücherei fort, bis er ein spezielles Dokument

über die Schlacht von Dún an Òir fand. Darin hieß es, ein Priester

habe die spanischen Soldaten begleitet und sei mit ihnen zusam­

men umgebracht worden. Die Namensinitialen dieses Mannes wa­

ren identisch mit denen, die Karl vor seinem inneren Auge auf dem

Siegelring gesehen und in einem seiner Bilder gezeichnet hatte.

Page 188: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

i88 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

Das karmische DreiecksverhältnisEine Zeitreise in das alte Ägypten

ls ich 1967 in die Vereinigten Staaten auswanderte, hatte ich

damit zu kämpfen, dass mich wiederholt Klientinnen und Kli­

enten mit Erinnerungen an frühere Inkarnationen konfrontierten.

Ich hatte derartige Erfahrungen bei ihnen öfter beobachtet und war

verblüfft über Umfang und Qualität der Informationen, die ans

Licht kamen, wenn Menschen sich diese Erlebnisse bewusst mach­

ten. Dazu gehörten Details der sozialen Strukturen, des rituellen

und spirituellen Lebens sowie von Kostümen, Waffen und militä­

rischen Strategien der Kulturen und historischen Epochen, die den

Kontext für die Erfahrungen bildeten. Das Wissen, zu dem uns die­

se karmischen Ereignisse Zugang verschafften, ging weit über das

intellektuelle Niveau und die Ausbildung meiner Klienten hinaus.

Tief beeindruckt war ich auch von den Zusammenhängen

zwischen ganz bestimmten wichtigen Aspekten dieser karmischen

Erfahrungen und dem täglichen Leben meiner Klienten - ihren

emotionalen und psychosomatischen Problemen, Schwierigkeiten

in zwischenmenschlichen Beziehungen, merkwürdigen und uner­

klärlichen Idiosynkrasien (spezifische Überempfindlichkeiten eines

Individuums gegen bestimmte Stoffe und Personen, Anm.d.Ü.)

oder Anziehungen und Reaktionen auf bestimmte Menschen und

Situationen. Noch bemerkenswerter war die therapeutische Wir­

kung, die solche karmischen Erfahrungen hatten, wenn der Klient

sie noch einmal ganz durchlebte und verarbeitete.

A

Page 189: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das karmische Dreiecksverhältnis 189

Trotz dieses beeindruckenden Beweismaterials konnte ich einfach

nicht akzeptieren, dass wir es hier mit einem authentischen Phäno­

men zu tun hatten. Die begriffliche Barriere, auf die ich hier stieß,

war qualitativ eine völlig andere als die, die uns zögern lässt zu

akzeptieren, dass das Gehirn des Neugeborenen imstande ist, die

schwere Prüfung der Geburt zu verzeichnen. Ob nun schon voll­

ständig ausgebildet oder nicht - das Gehirn des Neugeborenen ist

schließlich ein höchst komplexes materielles System. Aber dass es

möglich sein sollte, ganze Szenen aus Zeiten zurückzuverfolgen,

die oft Jahrhunderte vor der Empfängnis der betreffenden Person

lagen, schien einfach zu grotesk.

Wenn wir von der materialistischen Weltanschauung der west­

lichen Wissenschaft ausgehen, müssten die Erinnerungen an

Erlebnisse aus der Zeit unserer Vorfahren und anderer Rassen

durch Spermium und Eizelle übermittelt werden, der einzigen ma­

teriellen Verbindung, die uns zu Ereignissen, die vor unserer Emp­

fängnis stattfanden, zur Verfügung steht. Träger dieser Informati­

onen müssten die Chromosomen oder, genauer, die DNA sein.

Doch bei Erinnerungen an frühere Leben fehlt sogar diese schwache

materielle Brücke zur Vergangenheit, weil sie nicht nur die Verbin­

dungslinie zu den Ahnen, sondern auch zu rassischen Zugehörig­

keiten und erblichen Verwandtschaften überschreiten. Es kommt

zum Beispiel durchaus vor, dass sich Kaukasier an Erlebnisse aus

einem früheren Leben als Schwarze in Afrika, als amerikanische

Ureinwohner oder Asiaten erinnern - oder umgekehrt.

Ich musste erst selbst tiefe Erfahrungen mit vergangenen Leben

machen, bevor ich meine Einstellung dazu ändern konnte. Den

Weg dorthin bahnten mir die Erlebnisse in einer LSD-Sitzung, die

ich kurz nach meiner Ankunft in den Vereinigten Staaten nahm.

Die Ereignisse in dieser Sitzung und in deren Umfeld überzeugten

mich davon, dass Erfahrungen aus früheren Leben authentische

Phänomene sind und nicht aus dem Geschehen unseres Alltags­

lebens abgeleitet werden können. Diese bemerkenswerten Erfah­

Page 190: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

190 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

rungen waren darüber hinaus mit erstaunlichen Synchronizitäten

verbunden, die Menschen betrafen, welche in meiner Sitzung nicht

anwesend waren und folglich auch nichts davon wissen konnten.

Meine Einwanderung in die Vereinigten Staaten im März 1967 be­

deutete eine radikale Veränderung meiner persönlichen, beruf­

lichen, politischen und kulturellen Umgebung. Als ich in Balti­

more eintraf, hatte ich lediglich zwanzig Kilo persönliches Gepäck

bei mir. Die Hälfte davon bestand aus Dokumenten über meine

psychedelischen Forschungen in Prag, der Rest aus Kleidung und

einigen persönlichen Gegenständen. Mehr war von meinem alten

Leben in Europa nicht übriggeblieben. Ein großes Kapitel meines

Lebens war zu Ende gegangen, und das neue begann auf vielen

verschiedenen Ebenen gleichzeitig. Während ich mein engagiertes

und begeistertes Kollegenteam in Spring Grove kennenlernte, die

traumhafte Meinungsfreiheit und all die neuen Dinge, die ich in

meiner Umgebung entdeckte, total genoss, gelang es mir privat

nicht besonders gut, mein Leben befriedigend zu gestalten.

Alle Frauen in meiner Umgebung, die das richtige Alter für

mich hatten und meine Interessen teilten, waren verheiratet oder

in anderer Form gebunden. Das war für mich sehr frustrierend,

denn ich befand mich in einer Lebensphase, in der ich das starke

Bedürfnis nach einer Partnerschaft hatte und auch bereit war, mich

auf eine Frau einzulassen. Meinen Freunden und Kollegen in

Spring Grove schien das noch mehr Sorge zu bereiten als mir, und

sie bemühten sich sehr, mir weiterzuhelfen. Sie hielten nach po­

tenziellen Partnerinnen für mich Ausschau und luden mich stän­

dig zu entsprechenden Anlässen ein. Das fruchtete nicht wirklich,

sondern bescherte mir eher einige frustrierende und peinliche Si­

tuationen. Doch dann nahmen die Dinge plötzlich eine überra­

schende und sehr radikale Wende.

Die schwierige Beziehung meines Therapeutenkollegen Sey-

mour endete abrupt, und meine Freunde luden seine Ex-Freundin

Page 191: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das karmische Dreiecksverhältnis 191

Monica und mich zum Abendessen ein. Als Monica und ich uns

schließlich gegenüberstanden, fühlte ich mich sofort zu ihr hinge­

zogen und tief mit ihr verbunden. Es dauerte nicht lange, und ich

war rettungslos in sie verliebt. Sie war wie ich in Europa geboren,

alleinstehend, schön und intelligent. Ihr ungewöhnlicher Charme,

ihr Witz und ihre Wortgewandtheit ließen sie auf jeder Party zum

Mittelpunkt der Aufmerksamkeit werden. Ich fühlte mich wie

hineingesogen in diese Beziehung und konnte sie nicht objektiv

und realistisch betrachten.

Ich sah kein Problem darin, dass Monica beträchtlich jünger

war als ich. Auch die Tatsache, dass sie eine extrem traumatische

Kindheit hatte und ihre bisherigen Partnerschaften dramatisch ver­

laufen waren, beschloss ich zu ignorieren, obwohl ich sie norma­

lerweise als warnendes Zeichen genommen hätte. Irgendwie konn­

te ich mir einreden, das seien unbedeutende Einzelheiten, nichts,

was wir nicht gemeinsam bewältigen und überwinden konnten.

Hätte ich die Situation objektiver und analytischer zu sehen ver­

mocht, wäre mir aufgefallen, dass ich mit Monica einer Frau be­

gegnet war, die C.G. Jung als »Animagestalt« bezeichnet. Monica

und ich fingen eine leidenschaftliche und ungewöhnlich stür­

mische Beziehung an.

Ihre Stimmungen und ihr Verhalten wechselten von einem Tag

zum anderen oder sogar von Stunde zu Stunde. Intensive, spon­

tane Zuneigungsbekundungen wechselten mit Kälte, Ausweichma­

növern und Rückzug. Zwei ungewöhnliche äußere Umstände

erschwerten die Situation offensichtlich noch: Seit meiner Ankunft

in Baltimore wohnte ich in einem kleinen Einzimmer-Apartment,

das ich von Monicas Ex-Freund übernommen hatte. Beim Einzie­

hen hatte ich Seymour seine alten Möbel und den Fernseher abge­

kauft. Als Monica und er noch ein Paar waren, hatte sie ihn in

diesem Apartment immer besucht. Jetzt traf sie sich in derselben

Umgebung mit einem anderen Mann. Außerdem hasste mich

Monicas Bruder Wolfgang vom ersten Augenblick an. Er und

Page 192: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

192 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

Monica hatten eine ungewöhnlich innige Beziehung mit eindeutig

inzestuösen Zügen. Wolfgang war demzufolge heftig gegen meine

Beziehung mit Monica und behandelte mich wie einen Rivalen.

Ich hatte mich sehr tief auf Monica eingelassen und war ent­

schlossen, unserer Beziehung eine Chance zu geben, doch offen­

sichtlich war unsere Achterbahnfahrt, die uns beide verrückt

machte, durch nichts aufzuhalten. Ich fühlte mich wie in einem

Wechselbad und fand unser Hin und Her sehr frustrierend, doch

gleichzeitig übte Monica eine seltsam magnetische Anziehung auf

mich aus, und ich war unfähig, diese verwirrende und unbefriedi­

gende Beziehung zu beenden.

Verzweifelt versuchte ich mir Klarheit zu verschaffen über die

verblüffende Dynamik, in der ich gefangen war. Wie ich bereits an

früherer Stelle erwähnte, bot das Psychiatrische Forschungszen­

trum von Maryland, wo ich zu jener Zeit arbeitete, ein Programm

an für Menschen, die im psychischen Gesundheitswesen tätig

waren; und dies enthielt auch die Möglichkeit, für Ausbildungs­

zwecke bis zu drei hochdosierte psychedelische Sitzungen zu neh­

men. Dieses Angebot galt auch für die Mitglieder unseres thera­

peutischen Teams. Als sich die Schwierigkeiten in meiner Beziehung

zu Monica zuspitzten, beschloss ich, mich für eine LSD-Sitzung

anzumelden, um Klarheit für diese verwirrende Situation zu ge­

winnen.

Etwa in der Mitte dieser Sitzung sah ich plötzlich einen dunklen

Felsen von unregelmäßiger Form, der aussah wie ein riesiger, ural­

ter Meteorit. Der Himmel öffnete sich, und ein Blitzstrahl von enor­

mer Intensität schlug auf der Oberfläche dieses Felsens ein und

brannte mysteriöse, geheimnisvolle Symbole in den Stein. Diese in

den Felsen geritzten merkwürdigen Hieroglyphen brannten weiter

und gaben ein gleißend weißes Licht von sich. Obwohl ich sie

nicht entziffern und lesen konnte, spürte ich, dass diese Hierogly­

phen heilig waren, und verstand die Botschaft, die sie vermittelten.

Page 193: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das karmische Dreiecksverhältnis 193

Sie lautete, dass ich vor diesem Leben bereits eine lange Reihe von

weiteren Leben gelebt hatte und laut karmischem Gesetz verant­

wortlich für mein Verhalten in diesen Leben war, auch wenn ich

mich nicht an sie erinnern konnte.

Zuerst versuchte ich die Verantwortung für Dinge, an die ich

keinerlei Erinnerung hatte, von mir zu weisen, konnte aber dem

gewaltigen psychischen Druck nicht standhalten, sodass ich

schließlich nachgeben und mich fügen musste. Ich musste akzep­

tieren, was offensichtlich ein uraltes universelles Gesetz war, vor

dem es kein Entkommen gab. Im selben Augenblick, wo ich mei­

nen Widerstand aufgab, hielt ich auf einmal Monica in den Armen,

so wie ich sie am letzten Wochenende tatsächlich gehalten hatte.

Wir schwebten in einem riesigen archetypischen Abgrund und

stiegen in einer weitläufigen Spirale langsam nach unten. Ich wuss­

te instinktiv, dass dies der Abgrund der Zeitalter war und wir in der

Zeit zurückreisten.

Dieser Abstieg dauerte eine Ewigkeit und schien kein Ende zu

nehmen. Schließlich landeten wir auf dem Boden der Grube.

Monica verschwand aus meinen Armen, und ich wanderte in einem

reich geschmückten Gewand durch die Halle eines alten ägyp­

tischen Palastes. Die Wände, die mich umgaben, waren geschmückt

mit wunderschönen Flachreliefs, in die auch Hieroglyphen gemei­

ßelt waren. Ihre Bedeutung war mir so klar wie die Worte auf dem

Werbeplakat einer Litfasssäule in Baltimore. Vom anderen Ende

der großen Halle sah ich langsam eine Gestalt auf mich zukommen.

Ich wusste intuitiv, dass ich der Sohn einer aristokratischen ägyp­

tischen Familie war, und der Mann, der auf mich zukam, war in

jenem Leben mein Bruder.

Beim Näherkommen der Gestalt erkannte ich, dass es Wolf­

gang war. Knapp drei Meter vor mir blieb er stehen und sah mich

hasserfüllt an. In dieser ägyptischen Inkarnation, so wurde mir

klar, waren Wolfgang, Monica und ich Geschwister. Ich war der

Erstgeborene. Als solcher hatte ich Monica geheiratet und besaß

Page 194: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

194 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

viele weitere Privilegien, die mein Status mit sich brachte. Wolf­

gang fühlte sich betrogen und empfand qualvolle Eifersucht und

heftigen Hass auf mich. Ich konnte deutlich sehen, dass diese

Gefühle die Grundlage eines destruktiven karmischen Musters wa­

ren, das sich im Verlauf vieler Zeitalter in zahlreichen Variationen

wiederholte.

Ich stand in der Halle vor Wolfgang und spürte, wie sehr er

mich hasste. Um die schmerzliche Situation aufzulösen, schickte

ich ihm telepathisch die Botschaft: »Ich weiß nicht, in welcher

Gestalt ich hier bin oder hierher gekommen bin. Ich bin ein Zeit­

reisender aus dem 20. Jahrhundert, wo ich eine hochwirksame,

bewusstseinsverändernde Droge genommen habe. Ich bin sehr un­

glücklich über die Spannungen zwischen uns und möchte sie gern

auflösen.« Ich breitete meine Arme aus und teilte ihm auf dem

gleichen Weg mit: »Hier bin ich, das ist alles, was ich zu geben

habe! Bitte tue, was immer du tun musst, um uns beide aus dieser

Gefangenschaft zu befreien.«

Wölfgang reagierte sehr aufgeregt auf mein Angebot und nahm

es an. Sein Hass hatte jetzt die Form von zwei intensiven, kraft­

vollen Lichtbahnen - Laserstrahlen vergleichbar, die meinen Kör­

per verbrannten und mir extreme Schmerzen zufügten. Nach die­

ser qualvollen Folter, die mir äußerst lange zu dauern schien,

verloren die Strahlen allmählich an Kraft und verloschen schließ­

lich ganz. Wolfgang und die Halle verschwanden, und ich hielt

wieder Monica in den Armen und spürte, dass mir eine große Last

von den Schultern genommen war.

Wir schwebten durch denselben Abgrund der Zeitalter nach

oben und bewegten uns diesmal vorwärts in der Zeit. Die Wände

dieser archetypischen Grube öffneten sich und gaben den Blick frei

auf Szenen aus verschiedenen historischen Epochen, die Monica,

Wolfgang und mich in vielen früheren Leben zeigten. In allen ging

es um schwierige und destruktive Dreiecksverhältnisse, in denen

wir uns gegenseitig schwer verletzten. Es schien, ein starker Wind,

Page 195: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das karmische Dreiecksverhältnis 195

ein »karmischer Hurrikan«, blies durch die Jahrhunderte, löste das

Leid auf, mit dem diese Situationen verbunden waren, und befreite

uns drei aus dieser fatalen, schmerzlichen Abhängigkeit.

Als diese Sequenz endete, und ich wieder in die Gegenwart

zurückkehrte, empfand ich eine unbeschreibliche Seligkeit und ein

geradezu ekstatisches Entzücken. Ich hatte das Gefühl, dass mein

Leben, selbst wenn ich für den Rest meiner Tage nichts weiter

erreichen würde, produktiv und gelungen war. In diesem Zustand

empfand ich die Auflösung und Befreiung von einem einzigen kar­

mischen Muster als eine Errungenschaft, die für ein Leben voll­

kommen ausreichte!

Monica war dabei so intensiv präsent gewesen, dass ich sicher war,

sie spürte die Auswirkungen meiner Erlebnisse ebenfalls. Als wir

uns in der folgenden Woche wiedersahen, beschloss ich herauszu­

finden, was sie am Nachmittag meiner Sitzung erlebt hatte.

Zunächst erzählte ich ihr bewusst nichts von meinen Erfahrungen,

weil ich sichergehen wollte, dass ich sie nicht beeinflusste. Ich

fragte sie einfach, was sie an dem Tag, an dem ich in meiner LSD-

Sitzung die karmische Sequenz aus Ägypten erlebte, zwischen 16

Uhr und 16.30 Uhr getan habe.

»Merkwürdig, dass du mich danach fragst«, antwortete sie.

»Das war wahrscheinlich die schlimmste Zeit meines Lebens!«

Dann beschrieb sie mir eine dramatische Auseinandersetzung mit

ihrem Boss, die damit endete, dass sie aus dem Büro stürzte. Sie

war sicher, dass sie ihren Job los war. In ihrer Verzweiflung landete

sie schließlich in der Bar nebenan, wo sie sich betrank. Irgend­

wann ging die Tür auf, und ein Mann kam herein. Monica erkann­

te Robert, mit dem sie zur Zeit unseres Kennenlernens eine sexuel­

le Beziehung gehabt hatte. Robert war sehr reich und hatte ihr viele

teure Geschenke gemacht, darunter einen neuen Wagen und ein

Pferd. Auch als wir beide uns näherkamen, hatte Monica die Bezie­

hung zu Robert ohne mein Wissen fortgesetzt, da sie sich zwischen

Page 196: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

196 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

uns nicht entscheiden konnte. Als sie jetzt Robert hereinkommen

sah, ging sie auf ihn zu, um ihn zu umarmen und zu küssen. Er

wich ihr aus und gab ihr lediglich die Hand. Monica sah, dass er in

Begleitung einer eleganten Frau war. Robert, dem die Situation

sichtlich peinlich war, stellte sie Monica als seine Frau vor. Für

Monica war das ein Schock, denn Robert hatte die ganze Zeit be­

hauptet, er sei nicht liiert.

An diesem Punkt hatte Monica das Gefühl, den Boden unter

den Füßen zu verlieren. Sie rannte aus der Bar und setzte sich in

ihren Mustang, den Wagen, den Robert ihr geschenkt hatte. Bei

heftigem Regen raste sie mit einer Geschwindigkeit von über 100

Stundenkilometern betrunken die Straße entlang. Es reichte ihr

einfach, und ihr war alles egal. Sie war entschlossen, dem allem ein

Ende zu setzen. Genau in dem Augenblick, wo sich in meiner LSD-

Sitzung das karmische Muster auflöste, sah Monica mich plötzlich

innerlich vor sich. Sie nahm das als Anlass, über mich und unsere

Beziehung nachzudenken. Als ihr klar wurde, dass es in ihrem Le­

ben immer noch einen Menschen gab, auf den sie sich verlassen

konnte, beruhigte sie sich. Sie drosselte das Tempo ihres Wagens

und parkte am Straßenrand. Als sie so weit zu sich gekommen war,

dass sie wieder einigermaßen sicher fahren konnte, kehrte sie nach

Hause zurück und legte sich ins Bett.

Am Tag nach diesem Gespräch mit Monica bekam ich einen

Anruf von Wolfgang, der mich um ein Treffen bat. Das war eine

absolut unerwartete und überraschende Wende der Dinge, denn

Wolfgang hatte mich bislang nie angerufen, geschweige denn sich

mit mir verabreden wollen. Als wir zusammensaßen, erzählte er

mir, er wolle gern eine sehr intime und peinliche Angelegenheit

mit mir besprechen. Die Psychoanalyse bezeichnet das Problem,

das ihn bedrückte, als Huren-Madonnen-Komplex. Er hatte in sei­

nem Leben eine ganze Reihe von flüchtigen und oberflächlichen

sexuellen Beziehungen gehabt, darunter auch viele für eine Nacht,

und nie Schwierigkeiten erlebt, eine Erektion zu bekommen und

Page 197: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das karmische Dreiecksverhältnis 197

zu halten. Jetzt glaubte er, die Frau seiner Träume gefunden zu

haben, und war zum ersten Mal in seinem Leben verliebt. Er konn­

te jedoch nicht mit ihr schlafen und hatte sich im Bett mehrmals

schmerzlich als Versager erlebt.

Wolfgang war verzweifelt und hatte Angst, diese Frau zu ver­

lieren, wenn er seine Impotenz nicht behandelte. Die Sache sei ihm

so peinlich, sagte er, dass er nicht mit einem fremden Menschen

darüber reden könne. Als ich ihm einfiel, hatte er den Gedanken,

mit mir über dieses Thema zu sprechen, zunächst verworfen, weil

ich so starke negative Gefühle in ihm auslöste. Aber dann hatte

sich seine Einstellung zu mir plötzlich radikal verändert. Wie durch

Zauberhand habe sich sein Hass auf mich aufgelöst, und er be­

schloss, mich anzurufen und um Hilfe zu bitten. Als ich ihn fragte,

wann das gewesen sei, fand ich heraus, dass er diesen Wechsel ge­

nau zu der Zeit erlebte, als ich unsere ägyptische Begegnung ab­

schloss.

Wenige Wochen später fand ich auch das noch fehlende Puzz­

lestück der ägyptischen Geschichte. Ich machte eine Hypnose-Sit­

zung bei meiner Freundin Pauline McCirick, einer Psychoanalyti­

kerin aus London. Sobald ich in Trance war, sah ich mich unter

einer sengenden Sonne im Wüstensand liegen. Ich hatte qualvolle

Schmerzen im Bauch, und mein ganzer Körper wand sich in

Krämpfen. Ich wusste, man hatte mich vergiftet, und ich würde

sterben. Mir war aus den Zusammenhängen klar, dass nur meine

Schwester und ihr Liebhaber mich vergiftet haben konnten. Laut

ägyptischem Gesetz hatte sie mich als ihren ältesten Bruder heira­

ten müssen, aber ihre Zuneigung gehörte einem anderen Mann.

Ihr Geliebter war ein sehr attraktiver, sportlicher Mann, der im

königlichen Palast die wilden Tiere versorgte. Er gehörte also einer

anderen sozialen Klasse an, und seine Beziehung zu meiner Schwes­

ter war nach altem ägyptischen Gesetz illegal. Ich hatte ihre Bezie­

hung entdeckt und versucht, sie zu unterbinden. Das ließ ihnen

keine andere Wahl, als mich umzubringen. An einem Punkt sah

Page 198: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

198 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

ich den ägyptischen Liebhaber meiner Schwester vor mir und

erkannte, dass es Seymour war, im jetzigen Leben Monicas Ex-

Geliebter. Das machte Sinn, denn Seymour war extrem sportlich

und trainierte mehrere Stunden am Tag Gewichtheben und Liege­

stütze. Mit seinen enormen Muskelpaketen sah er eher wie ein pro­

fessioneller Bodybuilder aus, und nicht wie ein Psychologe.

Während ich dort lag und unter heftigen Schmerzen starb, er­

füllte mich die Erkenntnis, dass man mich betrogen und vergiftet

hatte, mit einer blinden, verzehrenden Wut. Ich starb allein in der

Wüste, mein ganzes Wesen war hasserfüllt. Doch durch das Wie­

dererleben dieser Situation gewann ich eine hochinteressante Ein­

sicht. Ich erinnerte mich daran, dass ich in meinem ägyptischen

Leben die Mysterien von Isis und Osiris praktiziert und ihre Ge­

heimnisse gekannt hatte. Das Gift und der Hass auf meine Schwes­

ter und ihren Geliebten, das wusste ich, vergifteten auch mein

Denken und umgaben mich mit einer Dunkelheit, in der mein

esoterisches Wissen verlorenging. Deshalb konnte ich mir diese ge­

heimen Lehren zum Zeitpunkt meines Todes nicht zunutze ma­

chen. Meine Kanäle zu diesem Geheimwissen waren brutal zerstört

worden.

Plötzlich sah ich, dass ich in meinem jetzigen Leben der kom­

promisslosen Suche nach diesen verlorengegangenen Lehren viel

Energie gewidmet hatte. Jedesmal, wenn ich auf Informationen

stieß, die direkt oder indirekt mit diesem Thema zusammenhingen

- ob es nun die ägyptische Kultur und Geschichte, uralte Mysteri­

en oder andere Hinweise auf mystische Erfahrungen und esote­

risches Wissen betraf wurde ich ganz aufgeregt. Meine Suche

gipfelte darin, dass ich LSD entdeckte und erste Erfahrungen mit

kosmischem Bewusstsein machte. Im Licht dieser Einsicht betrach­

tet, war meine Arbeit mit psychedelischen Substanzen, die um psy-

chospirituellen Tod und Wiedergeburt kreiste, offensichtlich eine

Wiederentdeckung und Neuformulierung der Abläufe, um die

auch die uralten Mysterien kreisten.

Page 199: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das karmische Dreiecksverhältnis 199

In einer anschließenden Meditation strömten überraschend viele

Bilder auf mich ein, die Höhepunkte meiner Erfahrungen mit

Monica und Wolfgang zeigten - einige aus dem realen Leben, an­

dere aus meinen Sitzungen. Intensität und Geschwindigkeit dieser

Rückblende steigerten sich rasch, bis sie einen explosiven Höhe­

punkt erreichte. Ich fühlte mich, als sei eine riesige Blase geplatzt,

und ich war plötzlich völlig klar im Kopf. Übergangslos empfand

ich ein tiefes Gefühl von Befreiung und Frieden. Ich wusste, das

karmische Muster war jetzt vollständig aufgelöst.

Monica und ich blieben während meines restlichen Aufent­

halts in Baltimore Freunde. Anspannung und Chaos verschwanden

aus unserem Zusammensein, und keiner von uns verspürte den

Drang, unsere Liebesbeziehung fortzusetzen. Wir hatten beide

begriffen, dass es für uns im jetzigen Leben nicht darum ging, eine

Paarbeziehung einzugehen.

Page 200: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

200 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

In den Katakomben der Pecherskaya Lavra

Ein früheres Leben im zaristischen Russland

Von früher Kindheit an, soweit ich zurückdenken kann, war ich

fasziniert von fremden Ländern, ihrer Geographie, ihren Men­

schen und ihrer Kultur. Die tiefe Sehnsucht, andere Länder zu

bereisen und die Welt zu erforschen, ist immer ein wesentlicher

Teil meiner Persönlichkeit gewesen. Aber in meinen jungen J ahren

schien es, als sei ich, was diese Leidenschaft betraf, zur falschen

Zeit am falschen Ort geboren. Die deutsche Besetzung der Tsche­

choslowakei von 1939 bis 1945 und der Schrecken der Naziherr­

schaft, die sie mit sich brachte, versetzten meinen Kindheitsträu­

men von Reisen in die weite Welt einen schweren Schlag. Nach der

Niederlage Deutschlands durch die Alliierten erlebten unser Land

und seine Einwohner eine kurze erfreuliche Phase der Reisefreiheit.

Im Sommer 1947 konnten mein Bruder und ich in dem kleinen

Fischerdorf Trpanj auf der Halbinsel Peljesac in Jugoslawien fünf

Wochen Ferien machen.

Die Schönheit der Adria und der angrenzenden Gebirgszüge

machte einen tiefen Eindruck auf mich und weckte meine Lust auf

weitere, ausgedehntere Reisen. Meine Begeisterung und Hoffnung

währten jedoch nur kurze Zeit. Nach der Machtübernahme durch

die Kommunisten im Februar 1948, welche die Tschechoslowakei

der Vorherrschaft der Sowjetunion unterstellte, schlossen sich die

Grenzen unseres Landes erneut. Im folgenden Jahrzehnt wurden

Page 201: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

In den Katakomben der Pecherskaya Lavra 201

die osteuropäischen Satellitenstaaten der (damaligen) Sowjetunion

nach und nach für Reisende geöffnet, die Sowjetunion selbst jedoch

blieb viele Jahre für tschechische Touristen geschlossen.

1959 hatte ich Gelegenheit, meine Sommerferien in Rumänien

zu verbringen, und hielt mich in der Zeit überwiegend in Mamaia

auf. Dieser internationale Ferienort, der größte am Schwarzen

Meer, war berühmt für seine breiten, kilometerlangen Strände aus

feinstem Sand, für geringe Niederschläge, einen wolkenlosen Him­

mel und angenehme Wassertemperaturen. Diese idealen Bedin­

gungen genießend, verbrachte ich täglich viele Stunden am Strand.

Hier lernte ich einen russischen Epidemiologen kennen, der Dozent

an der Universität von Kiew war und mit seiner Familie ebenfalls

in Mamaia Urlaub machte. Sie hatten die Strecke von Kiew nach

Mamaia in ihrem neuen Moskvitch zurückgelegt, der Belohnung

für viele Jahre Wartezeit und weitere Jahre, in denen sie einen spar­

tanischen Lebensstil pflegten, um so viel Geld wie möglich für den

Wagen zu sparen.

Bei unseren Gesprächen zeigte es sich schnell, dass meine neu­

en Freunde die Sowjetunion genauso hassten wie ich. Unser täg­

licher Kontakt war für mich eine willkommene Gelegenheit, mein

Russisch zu üben und Insidergeschichten über das Leben in der

Sowjetunion zu erfahren. Wir sprachen über viele Themen, doch

eines machte besonders tiefen Eindruck auf mich. Denn als es um

Kiews historische Stätten ging, erwähnten meine russischen

Freunde die »Pecherskaya Lavra«, ein russisch-orthodoxes Kloster,

das im Inneren eines großen Berges lag. Dieses Kloster bestand aus

einem verschlungenen System von Katakomben und Grotten, die

das Innere des Berges in ein komplexes unterirdisches Labyrinth

verwandelten, das einem riesigen Schweizer Käse glich. An den

Wänden der Flure reihten sich offene Särge mit den Leichnamen

sämtlicher Mönche, die dort im Laufe der Jahrhunderte gelebt hat­

ten. Ein ständiger Luftzug und günstige klimatische Bedingungen

mumifizierten die Leichen, sodass sie der Nachwelt erhalten blieben.

Page 202: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

202 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

Die Pecherskaya Lavra war ursprünglich Teil eines großen religi­

ösen Gebäudekomplexes, zu dem auch »Uspensky Sobor«, ein

prächtiger russisch-orthodoxer Tempel, eine Kerzenfabrik, ein

Unternehmen für die Großproduktion von Ikonen und andere

Einrichtungen gehörten. Mein Freund erzählte mir, die russischen

Bolschewiken hätten bei ihrem entschlossenen Kreuzzug gegen die

Religion, in der die Marxisten »Opium fürs Volk« sahen, sehr wohl

gewusst, welche Bedeutung dieses spirituelle Zentrum für das

ukrainische Volk hatte. Sie verzichteten jedenfalls auf brutale Über­

griffe auf die dort lebenden Mönche und Nonnen und verhielten

sich, wenn auch widerstrebend, einigermaßen tolerant, weil sie

Volksaufstände befürchteten.

Die Beziehung zwischen dem ukrainischen Volk und der

Sowjetregierung war von Anfang an extrem angespannt. Seit 1922,

als die Sowjetunion die Ukraine annektierte, heizten sowjetische

Gräueltaten die Rebellion gegen die russische Vorherrschaft, die

noch aus zaristischen Zeiten stammte, immer weiter an. Dazu

gehörten auch zwei durch menschliches Verhalten verursachte

Hungersnöte, von denen die zweite von Josef Stalin und seinem

Gefolgsmann Lazar Kaganovich angezettelt wurde. Diese künst­

lichen Hungersnöte, in deren Folge Millionen von Menschen star­

ben, sollten vor allem den Geist der ukrainischen Bauern brechen

und sie zur Kollektivierung der Landwirtschaft zwingen sowie eine

Renaissance der ukrainischen Kultur verhindern.

Die Geschichten über die Pecherskaya Lavra faszinierten mich.

Während ich meine Freunde über das Kloster sprechen hörte, lie­

fen mir kalte Schauer über den Rücken, und mein Herz begann

schneller zu schlagen. Diese Reaktionen erstaunten und verblüff­

ten mich, denn sie waren sehr ungewöhnlich und untypisch für

mich. Mir war klar, dass es einen tiefen unbewussten Grund für

diese intensiven Emotionen geben musste, und ich verspürte den

starken Wunsch, die Pecherskaya Lavra zu besuchen und heraus­

zufinden, was dahinter steckte.

Page 203: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

In den Katakomben der Pecherskaya Lavra 203

Zwei Jahre später, als die Sowjetunion ihre Grenzen für tsche­

chische Besucher öffnete, nahm ich an einer der ersten Rundreisen

für Touristen teil, zu der auch Besuche in Kiew, Leningrad und

Moskau gehörten. An sämtlichen Orten, die wir bereisten, über­

wachten uns offizielle sowjetische Touristenführer, die uns strenge

Anweisungen gaben und uns nicht erlaubten, uns von der Gruppe

zu entfernen. Individuelle Besichtigungen auf eigene Faust waren

streng verboten, und der Verstoß gegen diese Regeln hätte schwere

politische Konsequenzen gehabt.

Ich nahm an dieser Reise vor allem deswegen teil, weil ich

Kiew besuchen und die Pecherskaya Lavra sehen wollte. Als ich

feststellen musste, dass diese wichtige historische Stätte nicht zu

den Sehenswürdigkeiten gehörte, die wir auf unserer Reise in die

Sowjetunion besuchen würden, war ich sehr enttäuscht. Auf meine

Nachfrage bekam ich von offizieller Seite zur Antwort, Uspensky

Sobor sei im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen zerstört wor­

den und es gäbe dort nichts Interessantes zu sehen. Meine rus­

sischen Freunde in Mamaia hatten mir jedoch etwas anderes

erzählt. Sie behaupteten, bevor sich die Sowjets aus Kiew zurück­

zogen, hätten sie den Uspensky-Tempel mit Sprengstoff gefüllt und

ihn in die Luft gejagt, nachdem die Deutschen Kiew eingenommen

hatten. So schlugen die Sowjets zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie

zerstörten das spirituelle Symbol der Ukraine und lenkten die Wut

der Ukrainer auf die Deutschen um.

Aber für mich und meine persönliche Suche war nicht so

wichtig, was mit Uspensky Sobor geschehen war. Mein primäres

Interesse galt der Pecherskaya Lavra und ihren Katakomben. Und

soweit ich wusste, existierte die Pecherskaya Lavra noch; sie hatte

sowohl die Sowjetherrschaft als auch die deutsche Besetzung un­

beschadet überstanden.

Kaum war unser Zug in Kiew angekommen, ergriff mich eine

große Ruhelosigkeit. Mein leidenschaftlicher Wunsch, diesen mys­

teriösen unterirdischen Friedhof zu besuchen, wurde zu einer ge-

Page 204: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

204 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

radezu zwanghaften Besessenheit. Auch das war für mich höchst

ungewöhnlich und überhaupt nicht typisch. Ich galt als ein ratio­

naler Mensch, der sein Leben relativ ausgeglichen und ohne größe­

re emotionale Aufregungen lebte.

Obwohl das politisch sehr riskant war, beschloss ich schließ­

lich, mich selbständig zu machen und die Pecherskaya Lavra auf

eigene Faust zu besuchen. Da ich zu der Zeit fließend Russisch

sprach, konnte ich mir ein Taxi organisieren und den Fahrer zum

Kloster dirigieren.

Ich betrat es und wanderte durch das Labyrinth der Katakom­

ben, an deren Wänden sich die Mumien sämtlicher Mönche reih­

ten, die in all den Jahrhunderten, in denen das Kloster existierte,

hier gelebt hatten und gestorben waren. Ihre knochigen Hände mit

der braunen, pergamentenen Haut waren gefaltet wie zu einem

letzten Gebet. Manchmal öffneten sich die Flure zu kleinen Höh­

len, die geschmückt waren mit kerzenbeleuchteten Ikonen, die

eine starke Ausstrahlung hatten. Durch dichte Wolken von

duftendem Räucherwerk konnte ich Gruppen von Mönchen mit

langen Bärten sehen, vertieft in einen monotonen Gesang. Sie

schienen sich alle in tiefer Trance zu befinden, und ihr betörender

Gesang klang wie nicht von dieser Welt.

Mir wurde klar, dass ich mich selbst in einem seltsamen Be­

wusstseinszustand befand. Ich wusste auf einmal, dass ich diesen

Ort kannte. Während ich durch die völlig dunklen Katakomben

wanderte, wusste ich, wie der Weg vor mir verlaufen würde. Das

Gefühl, all das schon einmal gesehen und schon einmal hier gewe­

sen zu sein, war überwältigend. Einmal sah ich eine Mumie, deren

Hände eine seltsame Haltung einnahmen und nicht zum Gebet

gefaltet waren. Eine Welle von Emotionen stieg in mir auf, die aus

dem tiefsten Inneren meines Wesens zu kommen schien. Nie zuvor

hatte ich so etwas auch nur im Entferntesten erlebt.

Ich beendete meinen Ausflug und verließ den Ort eilig, inner­

lich sehr aufgewühlt. Ich hatte keinerlei Zweifel daran, dass ich

Page 205: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

In den Katakomben der Pecherskaya Lavra 205

floh, um nicht noch tiefere Reaktionen zu riskieren und völlig in

Verwirrung zu geraten. Mir war klar, dass mein illegaler Besuch in

der Pecherskaya Lavra und die widrigen Umstände nicht gerade

ideale Bedingungen für die tiefenpsychologische Verarbeitung mei­

ner Erfahrungen boten.

Seltsam unzufrieden kehrte ich in mein Hotel zurück und

spürte deutlich, dass mein Besuch nicht abgeschlossen war. Ande­

rerseits war ich angenehm überrascht, als ich feststellte, dass die

Touristenführer meine Abwesenheit nicht bemerkt hatten, was

bereits als solches ein kleines Wunder war. Ich verbrachte Silvester

in Moskau und hatte Freude an den Kulturschätzen dieser Stadt.

Gemäß dem alten Rat, »wenn du in Rom bist, tue es den Römern

gleich«, trank ich beeindruckende Mengen von Starka, dem ausge­

zeichneten Wodka, der nach einem alten Rezept aus der Zarenzeit

hergestellt wird. Mein bemerkenswertestes Bewusstseinsabenteuer

während meines restlichen Aufenthalts in Moskau war der Besuch

der berühmtesten Attraktion der Stadt - einer Schwimmbad-Anla-

ge mit mehreren Becken unter freiem Himmel, wo man in heißem

Wasser baden konnte und in das man von Sprungtürmen hechtete,

auf denen man von der Eiseskälte eingehüllt wurde, die bis zu

minus 30 Grad Celsius erreichte.

Nach meiner Rückkehr aus Russland spielte ich das Erlebnis

in Kiew innerlich immer wieder durch und versuchte, die selt­

samen Emotionen zu verstehen, die es bei mir ausgelöst hatte. Lan­

ge beschäftigte ich mich jedoch nicht mit diesem seltsamen Inter­

mezzo in meinem Leben. Mit großem Engagement wandte ich

mich am Psychiatrischen Forschungsinstitut in Prag der LSD-For-

schung zu. Ich leitete täglich zwei psychedelische Sitzungen und

versuchte herauszufinden, welchen Sinn die hier gemachten Beo­

bachtungen ergaben. Diese Erfahrungen stellten mich täglich vor

so viele Herausforderungen und verstießen so beispiellos gegen

das alte Paradigma, dass mein russisches Abenteuer darüber schnell

in Vergessenheit geriet.

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206 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

Viele Jahre später fand diese Geschichte jedoch eine überraschende

Fortsetzung. Zu der Zeit hatte ich die Tschechoslowakei bereits

verlassen und arbeitete am Maryland-Psychiatric-Research-Center

in Baltimore.

Der Direktor des Zentrums, Dr. Albert Kurland, lud Joan Grant

und Dennys Kelsey ein, ein Paar aus Europa, das bekannt war für

seine interessante Anwendung der Hypnosetherapie und uns vier

Wochen besuchen kam. Joan war Französin und besaß die außer­

gewöhnliche Fähigkeit, sich selbst zu hypnotisieren und in eine

Trance zu versetzen, in der sie Erfahrungen aus anderen Zeiten und

Ländern wiedererlebte, die die Qualität von Erinnerungen an

frühere Leben hatten. Sie hatte mehrere Bücher veröffentlicht, die

auf der Rekonstruktion vollständiger früherer Leben basierten,

unter anderem Die Tochter des Pharao, Life As Carola und So Moses

Was Born.

Dennys war ein britischer Psychiater, ausgebildet in Hypnose.

In den gemeinsam mit Joan geleiteten Sitzungen bat Dennys hyp­

notisierte Klienten, so weit zurückzugehen, wie es notwendig war,

um die Quelle der Probleme, die sie in die Therapie gebracht hat­

ten, ausfindig zu machen. Joan besaß die bemerkenswerte Fähig­

keit, sich auf die Erfahrungen der Klienten einzustimmen und

ihnen bei der Lösung ihrer Schwierigkeiten zu helfen. Eine Quelle

der emotionalen und psychosomatischen Symptome der Klienten

waren offensichtlich häufig Ereignisse aus vergangenen Leben. Des­

halb gaben die Kelseys ihrem gemeinsam geschriebenen Buch, das

von ihrer Arbeit handelte, den Titel Many Lifetimes (Grant und Kel­

sey 1967) (deutsch: Wiedergeburt und Heilung, Ed. Sven Bergh, Ber­

lin 1987, Anm.d.Ü.).

Während des Aufenthalts der Kelseys im Zentrum hatten alle

Mitglieder unseres Teams Gelegenheit, in Einzelsitzungen selbst

Erfahrungen mit ihrer Methode zu machen. Ich wollte hier den

Konflikt zwischen Sinnlichkeit und Spiritualität bearbeiten, der

mir zu jener Zeit gerade zu schaffen machte. Meistens fand ich das

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in den Katakomben der Pecherskaya Lavra 207

Leben aufregend und konnte die vielen angenehmen Seiten des

menschlichen Daseins begeistert genießen. Gelegentlich jedoch

verspürte ich den starken Impuls, mich aus dem Leben zurückzu­

ziehen und mir einen einsam gelegenen Ashram zu suchen, um

dort mein Leben ganz der spirituellen Praxis zu widmen. Dennys

hypnotisierte mich und bat mich, mich zeitlich zurückzuversetzen,

um herauszufinden, wo dieses Problem begonnen hatte.

Sobald ich mich in hypnotischer Trance befand, erlebte ich

mich als kleinen Russenjungen, der in einem großen Garten vor

einem hochherrschaftlichen Haus stand. Ich wusste, ich war in

Russland und Sohn einer aristokratischen Familie. Ich hörte Joans

Stimme wie aus großer Entfernung zu mir sprechen. In einem

sanften, doch energischen Tonfall wiederholte sie immer wieder

den Satz: »Schau zum Balkon!« Ich tat, worum sie mich bat, ohne

mich zu fragen, woher sie wusste, dass ich ein Haus betrachtete,

das einen Balkon besaß. Ich schaute mir den Balkon näher an und

bemerkte dort eine alte Frau mit verkrüppelten, gekrümmten Fin­

gern, die in einem Schaukelstuhl saß. Instinktiv wusste ich, sie war

meine Großmutter, und eine Woge von Liebe und Mitgefühl stieg

in mir hoch.

Dann veränderte sich meine Umgebung, und ich sah mich in

einem nahegelegenen Dorf eine Straße entlangwandern. Die ein­

fache, aber bunte bäuerliche Welt der Muzhiks (russische Landbe­

völkerung, Anm.d.Ü.) war für mich eine aufregende Möglichkeit,

dem strengen, langweiligen Leben meiner Familie zu entkommen.

Die Straßen im Dorf waren schlammig und voller Pfützen, und der

Geruch von Dung hing in der Luft. Die Häuser hatten strohbedeckte

Dächer, und die Menschen trugen schmutzige Lumpen, doch der

Ort pulsierte vor Leben.

Ich betrat die dunkle, primitive Werkstatt eines Schmiedes. Er

stand vor einem glühenden Schmelzofen - ein riesiger, muskulöser

Mann, halb nackt und mit dunkler, lockiger Körperbehaarung.

Durch kraftvolle Schläge mit einem schweren Hammer formte er

Page 208: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

208 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

ein rot glühendes Stück Eisen, das auf dem Amboss lag. Ich erin­

nerte mich plötzlich an eine Szene aus dem ersten Akt von Wag­

ners Siegfried, in der Siegfried Nothung schmiedet, das zerbrochene

Schwert, das Wotan Siegfrieds Vater Sigmund gab. Diese Szene und

die mächtige Musik, in der Wagner meisterhaft sämtliche Klänge

ertönen lässt, die beim Schmieden entstehen, hatten mich immer

stark berührt. Dabei begann mein rechtes Auge regelmäßig zu

brennen, unkontrolliert zu zucken und zu tränen. Und jetzt pas­

sierte mir plötzlich in der Sitzung genau das Gleiche, nur unver­

gleichlich heftiger. Ich verspürte einen brennenden Schmerz in

meinem rechten Auge, meine rechte Gesichtshälfte zuckte, und

Tränen strömten mir über die Wangen.

Doch anders als in früheren Situationen wusste ich diesmal,

warum ich so reagierte. Während ich den Schmied völlig fasziniert

und wie gebannt anstarrte, flog mir ein Stück glühendes Eisen ins

Auge und verursachte schwere Verbrennungen. Weitere emotional

äußerst schmerzhafte Szenen folgten. Ich erlebte noch einmal das

Entsetzen meiner Mutter, als sie mein bis zur Unkenntlichkeit ver­

branntes Gesicht sah und sich daraufhin von mir zurückzog und

mich mied. Ich machte noch einmal die Qualen des gespenstisch

entstellten, pubertierenden Jugendlichen durch, gefoltert von

unerfülltem sexuellem Verlangen und verletzt durch wiederholte

Zurückweisungen. Nachdem ich begriffen hatte, dass mir das welt­

liche Leben keinen Platz mehr bot, flüchtete ich mich völlig ver­

zweifelt und entmutigt ins Klosterleben. Die Scham und Demüti­

gung, die das erzwungene Zölibat in mir auslösten, verbarg ich

hinter dem falschen Stolz der Entsagung, und ließ mich in der

Pecherskaya Lavra zum Mönch weihen.

Als ich mich bewusst auf die Erinnerung an mein Leben in

diesem Kloster einließ, verkrampften sich meine Hände. In den

Jahrzehnten, die ich in der Dunkelheit der Katakomben verbrachte,

so wurde mir klar, hatten meine Finger an beiden Händen starke

Verwachsungen erlitten. War das Arthritis, verursacht durch die

Page 209: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

In den Katakomben der Pecherskaya Lavra 209

ungesunden Lebensbedingungen, oder die hysterische Reaktion

eines Neurotikers, in der seine tiefe Unzufriedenheit mit dem

Leben zum Ausdruck kam? Ist es möglich, dass ich mir für dieses

psychosomatische Symptom die organische Krankheit zum Vorbild

nahm, die auch die Hände meiner geliebten Großmutter verkrüp­

pelt hatte?

Die letzte Szene meiner hypnotischen Rückführung zeigte

meinen Tod. Er beendete ein Leben voller Leid, und ich hätte ihn

als Befreiung aus dem Gefängnis eines für immer entstellten Kör­

pers erleben können. Doch ein unerwartetes Hindernis nahm mir

diese Möglichkeit, in meinen letzten Stunden Frieden und Versöh­

nung zu finden. In der Pecherskaya Lavra war es Sitte, die Körper

der Verstorbenen in offene Särge zu legen, die sich an den Wänden

der Katakomben reihten, und ihre Hände zum Gebet zu falten. Das

galt als symbolischer Ausdruck für den gelungenen Abschluss eines

guten, Gott geweihten Lebens.

Aber meine verkrüppelten Hände, die irgendein patholo­

gischer Vorgang mit der Zeit in hässliche, deformierte Krallen ver­

wandelt hatte, ließen sich nicht zu der symbolischen Segensgeste

falten, die meinen erfolgreichen Abschluss des Klosterlebens wider­

gespiegelt hätte.

Ich begann zu weinen, überwältigt von einer Mischung aus

Wut, Kummer und Selbstmitleid. Ich hasste dieses Leben im Klos­

ter und beneidete die glücklichen Menschen, die einen intakten,

schönen Körper besaßen und das Leben in der Welt da draußen

genossen. Mein Aufenthalt hier war keine freie Entscheidung. Ich

hatte mich aus der Welt zurückgezogen, um vor meinen Gefühlen

von Scham, Ablehnung und Demütigung zu fliehen. Und dass mir

jetzt auch noch die Möglichkeit verwehrt wurde, ein Leben, das

mir so unbeschreiblich viel Leid gebracht hatte, formal abzuschlie­

ßen, war mehr, als ich ertragen konnte. Ich begann, unkontrolliert

zu schluchzen, mein ganzer Körper zuckte, und Tränen strömten

mir aus den Augen.

Page 210: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

210 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

An diesem Punkt schaltete sich Joan mit ihrer unglaublichen Intu­

ition ein. Sie nahm meine verspannten, verrenkten Hände und

massierte sie sanft und zärtlich. Als meine Hände sich schließlich

entspannten, faltete Joan sie zur Gebetshaltung und umschloss sie

mit ihren eigenen Händen, damit sie diese Position beibehalten

konnten. Ich spürte, dass ich mit ihrer Hilfe mein unglückliches

Leben in der Pecherskaya Lavra schnell zum Abschluss bringen

und mich damit versöhnen konnte. In den langen Jahren, die ich

unfreiwillig als Mönch verbrachte, hatten sich in meiner Psyche

und meinem Körper unglaublich viele negative Emotionen ange­

staut, die sich nun lösten. Allmählich traten an ihre Stelle Gefühle

von tiefer Entspannung, innerem Frieden, Seligkeit und Liebe.

Ich hegte keinerlei Zweifel daran, dass ich hier eine tiefe Hei­

lung erlebte. Mein Leben, wie es sich nach dieser Sitzung gestaltete,

bestätigte diese intuitive Gewissheit. Seit der Sitzung mit den Kel­

seys habe ich mich nie wieder im Konflikt befunden zwischen Spi­

ritualität und dem lustvollen Genuss all dessen, was das Leben uns

zu bieten hat - die Natur, Arbeit, Essen, Sexualität und vieles ande­

re, »was unseres Fleisches Erbteil ist«.

Ich beendete die Sitzung in der Überzeugung, dieses Thema abge­

schlossen zu haben. Jahre später jedoch tauchten einige Aspekte

dieser Geschichte mitten in einem der einmonatigen Workshops,

die Christina und ich am Esalen-Institut in Big Sur leiteten, überra­

schend wieder auf. Wir hatten Dick Price, Mitbegründer von Esalen

und einer der ersten Schüler von Fritz Perls (Begründer der Ge­

stalttherapie), als Gastdozent eingeladen, und er gab Caroline,

einer jungen Gruppenteilnehmerin, eine Gestaltsitzung. Vor Be­

ginn der Sitzung beschrieb Caroline die unerklärliche Anziehung,

die sie zu Russland, seinem Volk und seiner Kultur verspürte. Sie

lernte Russisch und sang gern russische Lieder.

Sie wollte sich in ihrer Sitzung mit den schädlichen Folgen

auseinandersetzen, die ihr elfjähriger Aufenthalt in einem katho­

Page 211: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

In den Katakomben der Pecherskaya Lavra 211

lischen Nonnenkloster auf ihre Sexualität, ihre Lebendigkeit und

Lebenslust hatte. Als sie ihre enorme Wut und den Kummer zum

Ausdruck brachte, die bei dem Gedanken an diese vertanen Ju­

gendjahre bei ihr hochkamen, fühlte ich mich ihr zunehmend ver­

wandt. Ich wusste augenblicklich: Diese Gefühlsverwandtschaft

beruhte darauf, dass ihr Leben und mein früheres Leben in Russ­

land sich so ähnlich waren. Mich überraschte jedoch, wie heftig ich

reagierte. Wieder begann mein rechtes Auge zu brennen, das Augen­

lid zuckte unkontrolliert, und Tränen strömten mir übers Gesicht.

Während ich Caroline durch den Tränenschleier beobachtete,

veränderte sich ihr Gesicht ständig, bis sie aussah wie meine Mut­

ter in der russischen Inkarnation. Plötzlich war ich wieder der

russische Junge, den man nach dem Unfall in der Werkstatt des

Schmiedes nach Hause brachte, wo meine Mutter mit meiner Ent­

stellung konfrontiert war. Obwohl Caroline eindeutig Emotionen

aus ihrem jetzigen Leben verarbeitete, sah ich sie zugleich als mei­

ne Mutter, der in meinem früheren Leben beim Anblick meines

entstellten Gesichts das Herz brach. Als Carolines Sitzung beendet

war, war ich völlig aufgewühlt. Erschüttert und verwirrt machte

ich mich auf den Weg zum Mittagessen und ging auf die Tür zu.

Ich öffnete sie - und erstarrte.

Vor mir sah ich das unglaublich entstellte Gesicht einer jungen

Frau, die den Raum genau in dem Augenblick betreten wollte, als

ich im Begriff war, ihn zu verlassen. Ich war innerlich immer noch

so beschäftigt mit meinem russischen Leben, dass ich einen

Moment lang glaubte, in den Spiegel zu schauen. Wie sich später

herausstellte, handelte es sich bei der Besucherin, die den Schau­

platz genau in diesem Augenblick betrat, um Carolines Freundin

Victoria. Sie hatte vom Maryland-Programm gelesen, das Krebs­

kranken die Möglichkeit bot, psychedelische Sitzungen zu nehmen,

und war gekommen, um sich nach einer LSD-Sitzung zu erkundigen.

Als wir uns zusammensetzten, erzählte sie mir ihre unglaubliche

Geschichte.

Page 212: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

212 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

Sie wurde als eineiiger Zwilling geboren, doch ihre Zwillingsschwes­

ter starb kurz nach der Entbindung. Zu ihrer großen Bestürzung

fanden die Eltern später heraus, dass man im Krankenhaus die Na­

mensschilder verwechselt hatte und das überlebende Mädchen den

Namen ihrer toten Schwester trug. Als sie 4 Jahre alt war, fiel Vic­

toria aus dem Heckfenster eines fahrenden Wagens und wäre an

den Folgen dieses Unfalls fast gestorben. Kurz nach der Genesung

von ihren Verletzungen traten bei ihr Symptome einer sehr seltenen

Form von Hautkrebs auf. In den folgenden Jahren schritt die

Krankheit immer weiter fort, und Victoria hatte mehrere plastische

Operationen, die ihr Gesicht in ein Flickwerk aus tiefen Narben

und transplantierten Hautfetzen verwandelten.

Sie hatte sich zu ihrer mysteriösen Krankheit eine höchst selt­

same Theorie zugelegt. Sie glaubte, dass sie bei ihrer Nahtoderfah-

rung mit dem Jenseits Kontakt aufgenommen und die Identität ih­

rer toten Zwillingsschwester angenommen hatte, deren Namen sie

trug. Diesem Umstand verdankte sie die wachsende Zerstörung

ihres Körpers. Sie identifizierte sich stark mit dem geächteten

Phantom der Oper, litt unter schweren Depressionen und über­

legte ernsthaft, ob sie ihrem Leid nicht durch Selbstmord ein Ende

setzen sollte.

Keine der bislang ausprobierten Behandlungsmethoden hatte

ihren emotionalen Zustand nachhaltig verbessert. Als sie von den

tiefen Wirkungen der psychedelischen Therapie las, beschloss sie,

sie selbst auszuprobieren.

Christina und ich erklärten uns einverstanden, ihr eine Sitzung

mit hochdosiertem LSD zu geben. Es war für uns alle eine inten­

sive und bedeutungsvolle Erfahrung, denn in Victorias Sitzung

ging es um ein breites Spektrum an Themen. Sie setzte sich mit

dem Schmerz und dem Kummer ihres tragischen Zustands ausei­

nander, schaute sich noch einmal den Unfall an, den sie als Kind

hatte, und kam in Kontakt mit dem Trauma ihrer Geburt und dem

Tod ihrer Zwillingsschwester. Doch sie blieb nicht sehr lange bei

Page 213: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

in den Katakomben der Pecherskaya Lavra 213

diesen Themen, sondern verbrachte ihre Sitzung überwiegend in

einem Zustand von Seligkeit und kosmischem Einssein. Durch

dieses außergewöhnlich tiefe Erlebnis hatte Victoria das Gefühl,

sich mit ihrem jetzigen tragischen Leben und mit Gott zu ver­

söhnen.

Während sie diese tiefe ekstatische Freude erlebte, schien sie

eine Aura von leuchtender Kraft zu umgeben. Obwohl Christina

und ich dicht neben ihr saßen, sahen wir ihre Narben nicht mehr.

Victorias Gesicht war absolut glatt und wunderschön. Das ging,

was uns betraf, eindeutig auf das Phänomen zurück, das wir

»contact high« (das Phänomen, vom durch Drogen ausgelösten

»High« anderer Menschen angesteckt zu werden, ohne selbst wel­

che genommen zu haben, Anm.d.Ü.) zu nennen pflegten. Ein paar

Stunden später war unsere Wahrnehmung wieder auf dem norma­

len Level. Victoria jedoch konnte von der neuen Lebenseinstellung,

die sie in ihrer Sitzung gewonnen hatte, vieles mitnehmen. Für

mich stellte der Anblick von Victorias geheiltem, schönem Gesicht

den endgültigen Abschluss meines Abenteuers mit dem früheren

russischen Leben dar.

Obwohl seit unserer Sitzung mit Victoria inzwischen mehr als

ein Vierteljahrhundert vergangen ist, bin ich nicht auf weitere Teile

dieses karmischen Puzzles gestoßen. Ich bin dieses ungewöhnliche

Abenteuer innerlich wiederholt durchgegangen, um genau zu

verstehen, wie die Beziehungen zwischen den Hauptfiguren dieser

Geschichte in dem früheren und im jetzigen Leben Zusammen­

hängen.

Während die Verbindung zwischen meiner Identität in diesem

Leben und dem unglücklichen Dasein als Mönch ziemlich eindeu­

tig ist, bleibt jedoch rätselhaft und verschwommen, wie Victoria

und der entstellte Mönch, wie Caroline und meine russische Mut­

ter, wie mein jetziges Ich und Victoria sowie Victoria und Caroline

in dieser Geschichte Zusammenhängen und welche Rolle Christina

darin spielt.

Page 214: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

214 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

Auch wenn die in dieser Geschichte beschriebenen Erfahrungen,

die mit außerordentlichen Synchronizitäten verbunden waren, uns

einen Einblick in das komplizierte unsichtbare Gewebe hinter un­

serer alltäglichen Realität gewähren, ist diese tiefe Dynamik doch

so weit verborgen, dass die mysteriösen Naturgesetze, die in der

karmischen Welt wirken, geschützt bleiben.

Page 215: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Wenn spirituelle Erfahrungen gefährlich werden 215

Wenn spirituelle Erfahrungen gefährlich werden

Wiederholungsbesuch bei der

Hexenverfolgung in Salem

hristina und ich wohnten 1976 mehrere Monate im »Round

House« des Esalen-lnstituts in Big Sur, Kalifornien. Dieses be­

zaubernde kleine Gebäude lag an dem Bach, der das Grundstück

von Esalen in zwei Hälften teilte. Das munter dahineilende Wasser

des Baches kam oben vom Bergkamm und bildete, kurz bevor es in

den Pazifischen Ozean floss, einen Wasserfall. Aus einer Öffnung

im Boden vor dem Haus schoss heißes Mineralwasser in Fontänen

und plätscherte in einen kleinen privaten Pool. Laut lokaler Sage

entsprangen die heißen Quellen von Esalen unterirdischen, mitei­

nander verbundenen Höhlen vulkanischen Ursprungs, die unter

weiten Teilen Kaliforniens verliefen.

Das Rauschen des Baches und das Tosen des Wasserfalls waren

starke sinnliche Eindrücke. Noch beeindruckender war jedoch die

energetische Ausstrahlung dieses Ortes. Wir haben im Laufe der

Jahre viele Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten als Gastdo­

zenten in unsere Workshops nach Esalen eingeladen - Hellsichtige,

Schamanen aus vielen verschiedenen Teilen der Welt, Mitglieder

der Spiritistischen Kirche, indische Yogis und tibetische Meister.

Sie alle stimmten darin überein, dass das Gelände, auf dem das

Round House stand, ein »Kraftplatz« war, ein Ort, an dem außer-

C

Page 216: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

216 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

gewöhnliche spirituelle Energien wirkten. Wer die Wirkung dieses

Ortes auf Menschen wissenschaftlich zu erklären suchte, schrieb

sie der hohen Konzentration von negativen Ionen zu, die darauf

beruhte, dass das Haus in unmittelbarer Nähe zum Ozean, dem

tosenden Wasserfall und den gigantischen Redwood-Bäumen lag,

die beide Ufer des Baches säumten.

Welche Gründe auch immer dafür verantwortlich sein moch­

ten, das Leben im Round House hatte bei uns beiden tiefe Auswir­

kungen auf unsere Psyche. Man kam hier ungewöhnlich leicht in

einen meditativen Zustand. Oft glitt ich übergangslos in Trance,

vergaß unsere geographischen und historischen Koordinaten und

hatte das Gefühl, unser kleines Feenreich läge irgendwo an einem

archetypischen Ort jenseits von Zeit und Raum. Für Christina, die

damals ihre spirituelle Krise durchmachte, sahen die Auswirkungen

so aus, dass sich ihre inneren Prozesse erheblich verstärkten. An

einem Wochenende machte sie so intensive Erfahrungen, dass es

einer psychedelischen Sitzung gleichkam.

Nach einer Zeit heftiger Ängste und unangenehmer Körper­

empfindungen hatte sie ein tiefes Erlebnis, das sie als Erinnerung

an eines ihrer früheren Leben empfand. In diesem Leben wohnte

sie als heranwachsendes Mädchen in Salem, Neuengland, und er­

lebte wiederholt außergewöhnliche Bewusstseinszustände. Für ihre

Nachbarn, die als christliche Fundamentalisten einem bigotten

Wahn anhingen, waren diese Zustände ein Zeichen dafür, dass das

Mädchen vom Teufel besessen war. Sie klagten sie als Hexe an, und

zwei Richter in zeremoniellen Roben verhörten sie und verurteilten

sie zum Tod durch Ertrinken.

Diese Erinnerung an ein früheres Leben gipfelte in Christinas

Hinrichtung durch Ertrinken. Sie erlebte, wie man sie zu einem

Teich trug, an einem Balken festband und dann mit dem Kopf zu­

erst unter Wasser tauchte. Sie konnte noch sehen, dass um den

Teich lauter Birken standen. Während sie ihren Tod durch Ertrin­

ken noch einmal durchlebte, schrie und würgte sie, und dabei floss

Page 217: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Wenn spirituelle Erfahrungen gefährlich werden 217

ihr aus Mund und Nase sehr viel Schleim. Vor allem aus der Nase

sonderte sie enorme Mengen an Sekreten ab. Ich trug an dem Tag

ein Flanellhemd, dessen Vorderseite, als Christinas Erlebnis ende­

te, regelrecht imprägniert war von getrocknetem Schleim.

Als sie noch auf Hawaii lebte, hatte Christina unter schweren

Allergien und chronischer Nasennebenhöhlen-Entzündung gelit­

ten. Man hatte sie mehrfach untersucht und getestet und viele

Behandlungen ausprobiert, darunter auch eine Reihe von Injekti­

onen für eine Desensibilisierung. Die Ärzte, frustriert, weil ihre Be­

handlungsversuche nichts fruchteten, schlugen schließlich eine

Operation vor, bei der die Nebenhöhlen ausgeschabt und gereinigt

werden sollten. Christina hatte sich gegen diese Radikalkur ent­

schieden und ihre Beschwerden schließlich einfach akzeptiert.

Nach diesem inneren Erlebnis mit ihrer Verurteilung und ihrem

Tod in Salem stellte sie zu ihrer großen Überraschung fest, dass

ihre Nasennebenhöhlen-Entzündung verschwunden war.

Glücklicherweise war mein Glaube an die über jeden Zweifel

erhabene und streng bewiesene »wissenschaftliche Weltanschau­

ung«, die ich einmal vertreten hatte, inzwischen durch viele ähn­

liche Beobachtungen ernsthaft ins Wanken geraten. Sonst hätte

mich dieses Erlebnis in eine schwere Denkkrise gestürzt. Es ent­

behrte durchaus nicht eines gewissen kosmischen Humors, dass

Christinas Beschwerden, die gegen die geballten Anstrengungen

wissenschaftlicher Experten resistent geblieben waren, durch ein

karmisches Erlebnis verschwanden, bei dem es um Ignoranz, reli­

giösen Fanatismus und die falsche Anklage wegen Hexerei ging.

Jahre später, als Christina und ich in Boston einen Workshop für

Holotropes Atmen gaben, hatte diese Episode ein interessantes

Nachspiel: Der Workshop endete abends, und unser Flug zurück

nach San Francisco ging erst am Spätnachmittag des folgenden

Tages. Deshalb hatten wir noch Zeit, uns die Stadt anzuschauen.

Wir beschlossen, Marilyn Hershen anzurufen, eine Psychologin

Page 218: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

218 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

und gute Freundin von uns, die auch zu Swami Muktanandas

innerem Kreis gehört hatte. Wir waren ihr zu Beginn der 1980er-

Jahre, als wir in Bombay zusammen eine große internationale Trans­

personale Konferenz organisierten, sehr nahe gekommen. Marilyn

war ganz aufgeregt vor Freude und bot uns an, den Tag mit uns zu

verbringen und uns die Gegend zu zeigen.

Als wir überlegten, wo wir mittags essen gehen könnten, schlug

Marilyn ihr Lieblingsrestaurant vor, das in der Nähe von Salem am

Meer lag. Als wir dort ankamen, stellten wir fest, dass es »Haw-

thorne Inn« hieß. Natürlich fiel uns sofort Nathaniel Hawthorne

ein mit seinem Buch Der scharlachrote Buchstabe, das von Hexen

handelt. Beim Essen erzählte Christina Marilyn von ihrer Erinne­

rung an das frühere Leben, in dem es um die Hexenverurteilungen

von Salem ging. Marilyn reagierte erstaunt, denn sie hatte in einer

ihrer Meditationen im Siddhi-Yoga-Ashram ein ähnliches Erlebnis

gehabt.

Da Salem nur wenige Meilen entfernt lag, schien es plötzlich

naheliegend, die Stadt zwischen Mittagessen und dem Abflug nach

Kalifornien zu besichtigen. Als wir dort ankamen, erkundigte sich

Christina bei Marilyn, ob es in Salem einen Teich gäbe. Marilyn,

die ihre Kindheit in Salem verbracht hatte, verneinte diese Frage

entschieden. Doch dann bog sie plötzlich falsch ab, was sie selbst

überraschte, da sie die Stadt gut kannte. Dieser ungeplante Abste­

cher brachte uns zu einem Teich in der Nähe des Ozeans. Es sah

aus, als sei dieser kleine See ursprünglich eine Bucht gewesen, die

man vor langer Zeit durch einen Steindamm vom Meer abgetrennt

hatte.

Christina stieg wie benommen aus dem Wagen. Sie blickte sich

um und wirkte enttäuscht. »Ich sehe keine Birken«, sagte sie und

begann um den Teich herumzuwandern. »Wo gehst du hin?«,

fragten wir sie. »Hier müssen welche sein«, sagte sie und setzte

ihren Rundgang fort. Wir parkten den Wagen und schlossen uns

ihr an. Schließlich entdeckte Christina auf der anderen Seite des

Page 219: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Wenn spirituelle Erfahrungen gefährlich werden 219

Teiches eine Birke. Ihr Stamm war umgeknickt und die Krone ins

Wasser getaucht. »Seht ihr, da standen sie«, sagte sie. »Das muss

die letzte sein.«

Wir kehrten zum Wagen zurück und beschlossen, das Ge­

richtsgebäude zu besuchen, in dem die Prozesse stattgefunden

hatten. Auf dem Weg dorthin erzählte Christina Marilyn, dass sie

in den beiden Richtern aus ihrem früheren Leben ihren Ex-Ehe-

mann und ihren Vater aus ihrem jetzigen Leben erkannt habe.

»Aber die Urteile hat immer nur ein Richter gefällt«, protestierte

Marilyn. »Es waren zwei Richter!«, sagte Christina bestimmt. Als

wir am Gerichtsgebäude ankamen, stellten wir fest, dass es ge­

schlossen war. Doch neben dem Haupteingang stand eine große

Tafel, auf der die Hexenprozesse beschrieben wurden. Hier bestä­

tigte sich Christinas Erfahrung, dass zwei Richter die Urteile von

Salem verhängt hatten.

Bevor wir zum Wagen zurückkehrten, kaufte ich in einem

Souvenirladen eine illustrierte Broschüre über Salem, in der auch

die Geschichte der Hexenverurteilungen stand. Während Marilyn

uns zum Flughafen fuhr, las ich den beiden Frauen aus diesem

Buch vor. Wir fanden heraus, dass die Mädchen, die man wegen

Hexerei verurteilte, häufig die Sklavendienerin Tituba besucht hat­

ten, die angeklagt war, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Tituba

war eine Indianerin aus einem Dorf der Arawak in Südamerika, wo

sie als Kind in Gefangenschaft geriet, nach Barbados verschleppt

und als Sklavin verkauft wurde. Wir kamen zu dem Schluss, dass

Tituba den Mädchen schamanistische Künste beibrachte, in denen

unwissende Nachbarn ein Werk des Teufels gesehen hatten.

Die interessanteste Information in diesem kleinen Führer war,

dass Old Salem, wo viele dieser historischen Ereignisse stattfanden,

heute Danvers hieß. Das war ein richtiger Schock für uns. ln Dan-

vers hatten wir 1978 eine große Konferenz der »International Trans­

personal Association« (ITA) veranstaltet. Bei dieser Konferenz

stellten wir zum ersten Mal unser Konzept der »spirituellen Krise«

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220 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

vor, dessen Kernaussage war, dass die Mainstream-Psychiater viele

außergewöhnliche Bewusstseinszustände, die in Wirklichkeit Aus­

druck einer psychospirituellen Krise sind, als Psychosen diagnosti­

zieren und oft mit drastischen Methoden wie Insulinkoma und

Elektroschocks behandeln.

Bei unserem Vortrag in Danvers hatten wir dargelegt, dass die­

se Krisen der spirituellen Öffnung, wenn wir sie richtig verstehen

und begleiten, tatsächlich heilsame und transformative Erlebnisse

sein und die Entwicklung der davon betroffenen Menschen för­

dern können. Wir hielten diesen Vortrag in einem Saal, von dem

aus man eine altmodische psychiatrische Klinik am anderen Ende

des Tals sehen konnte, die den übelsten Ruf im ganzen Land hatte.

Man setzte dort immer noch Schocktherapien ein, die große Ähn­

lichkeit mit den Foltermethoden hatten, die in der Inquisition und

bei den Hexenverfolgungen üblich gewesen waren.

Wir waren völlig verblüfft über diese unglaubliche Synchroni-

zität. Ohne dass Christina damals darum wusste, stellten wir unser

modernes Plädoyer für eine radikale Änderung der Einstellung zu

außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen ausgerechnet an dem

Ort vor, wo sich ihr früheres Leben abgespielt hatte. Und die Ursa­

che für ihr Leiden und ihren Tod in dieser karmischen Episode

waren die Missverständnisse in Bezug auf außergewöhnliche Be­

wusstseinszustände und deren Fehlinterpretation.

Völlig beschäftigt mit diesem Drama, erreichten wir den Flug­

hafen in letzter Minute. Wir rannten durch die Sperre, und sowie

wir das Flugzeug betraten, schlossen sich die Türen hinter uns. Wir

ließen uns in unsere Sitze fallen, legten die Sicherheitsgurte an und

begannen die ungewöhnlichen Ereignisse dieses Tages im Gespräch

zu verarbeiten. Sobald wir unsere Flughöhe erreicht hatten, trug

die Stewardess aus der ersten Klasse Gläser mit Rotwein und Weiß­

wein auf einem Tablett in die Touristenklasse.

Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen: Sie hatte sehr dunk­

le Haut, und um ihren Kopf wogte eine wirre Korona aus langen,

Page 221: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Wenn spirituelle Erfahrungen gefährlich werden 221

ungekämmten Rastalocken, die in alle Richtungen abstanden. Un­

fassbar, dass sie mit dieser Frisur vor dem strengen Blick ihrer Vor­

gesetzten, die doch immer peinlich genau auf die äußere Erschei­

nung ihres Personals achteten, hatte bestehen können. »Da kommt

Tituba, dein Mädel aus Barbados«, sagte ich witzelnd zu Christina.

Die Stewardess kam auf uns zu und warf Christina einen langen,

bedeutungsvollen Blick zu. »Wir haben aus der ersten Klasse ein

paar Gläser Wein übrig«, sagte sie. »Hätten Sie vielleicht gern

eins?« Und als sei diese Frage von großer Bedeutung, fügte sie nach

einer kleinen Pause in einem ernsten Tonfall hinzu: »Möchten Sie

roten oder weißen Wein?«

Wir nahmen uns beide ein Glas und grübelten über diese wei­

tere eigenartige Synchronizität nach. Die Stewardess kam noch ein­

mal zu uns, diesmal trug sie auf ihrem Tablett Nelken. Sie lächelte

uns an und sagte: »Wir haben auch ein paar Blumen übrig.« Sie

hielt Christina das Tablett hin und sagte ebenso ernst wie zuvor:

»Hätten Sie gern eine rote oder eine weiße?« Christina zögerte ei­

nen Moment und nahm dann eine weiße. Später erzählte sie mir,

nach alledem, was an diesem Tag passiert war, habe sie das Gefühl

gehabt, dass diese simple Entscheidung von großer karmischer

Bedeutung sei. Sie wählte die weiße Nelke (engl.: carnation, also

wortverwandt mit incarnation = Inkarnation, Anm.d.Ü.), weil sie

ihr wie ein Symbol für den gelungenen Abschluss dieser drama­

tischen Ereignisse in ihrem Leben vorkam.

Dass diese Erinnerungen an Erlebnisse aus früheren Leben mit all

ihren bemerkenswerten und typischen Eigenschaften existieren, ist

eine unbezweifelbare Tatsache, die jeder ernsthafte Forscher, der

geistig aufgeschlossen und daran interessiert ist, das Beweismateri­

al zu überprüfen, bestätigen kann. Klar ist auch, dass es im theore­

tischen Rahmen der Mainstream-Psychiatrie und -Psychologie kei­

ne plausible Erklärung für diese Phänomene gibt. Selbst wenn die

beeindruckenden Fakten nicht unbedingt definitiv »beweisen«,

Page 222: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

222 Teil 4: Haben wir schon einmal gelebt?

dass wir den Tod überleben und uns als ein und dieselbe Bewusst­

seinseinheit oder individuelle Seele reinkarnieren, stellen sie für

die traditionelle Wissenschaft eine enorme gedankliche Herausfor­

derung dar und haben das Potenzial, das augenblickliche Paradig­

ma radikal in Frage zu stellen.

Nachdem ich Hunderte von diesen Erfahrungen aus früheren

Leben miterlebt und selbst viele eigene gemacht habe, muss ich

Chris Bache zustimmen, der sagt, dass »das Beweismaterial auf die­

sem Gebiet so reich und außergewöhnlich ist, dass Wissenschaft­

ler, die das Problem der Reinkarnation als ernsthaftes Studienobjekt

verwerfen, entweder uninformiert oder borniert sind« (Bache

1988).

Page 223: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 5

Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Die Welt des Paranormalen

erforschen

Page 224: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert
Page 225: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits 225

n diesem Teil des Buches schildere ich Ereignisse und Erfah­

rungen mit Phänomenen, die als paranormal, außersinnlich oder

PSI bekannt sind. Die systematische wissenschaftliche Erforschung

außersinnlicher Phänomene geht vor allem auf Parapsychologen

zurück, doch auch in der Literatur anderer Disziplinen wie An­

thropologie und vergleichender Religionswissenschaft finden wir

viele Formen dieser Forschungsrichtung. Im gesamten 20. Jahr­

hundert war die Parapsychologie Gegenstand hitziger Kontrover­

sen, weil sie sich auf die Erforschung von außersinnlichen Wahr­

nehmungen (ESP) - (extrasensory perception, Anm.d.Ü.) und

weiterer Fähigkeiten, Ereignisse und Vorgänge spezialisiert hat, die

wir mit Hilfe der existierenden wissenschaftlichen Theorien nicht

erklären können.

Aus der Sicht der traditionellen Wissenschaftler sind außer­

sinnliche Phänomene unmöglich, weil es hier um einen Wissens­

transfer oder eine Beeinflussung materieller Vorgänge geht, die

nicht über die bekannten Kanäle und Kräfte erfolgen. Ein gemein­

samer Nenner der Erfahrungen und Ereignisse, die wir zu dieser

Kategorie rechnen, ist, dass sie die üblichen Grenzen von Raum

und Zeit überschreiten. Außersinnliche Phänomene können sich

unter ganz gewöhnlichen Umständen manifestieren und beruhen

nicht zwangsläufig auf einer Veränderung des Bewusstseins. Holo-

trope Zustände begünstigen ihr Auftreten jedoch deutlich.

I

Page 226: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

226 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Um einen Rahmen für die Berichte in diesem Teil des Buches zu

schaffen, möchte ich einige außersinnliche Ereignisse, die das Inte­

resse und die Aufmerksamkeit der Parapsychologen auf sich gezo­

gen haben, kurz beschreiben und definieren:

Telepathie ist der direkte Zugang zum Denkprozess einer anderen

Person ohne Benutzung von Worten, nonverbalen Hinweisen,

Signalen oder anderen üblichen Kommunikationsmitteln. Bei

außerkörperlichen Erfahrungen ist das vom Körper gelöste Bewusst­

sein imstande, sich im Raum zu bewegen und seine Umgebung

präzise wahrzunehmen. Schließt diese Form der Wahrnehmung

weit entfernte Orte ein, bezeichnen wir sie als astrale Projektion.

Präkognition ist die präzise Vorausahnung zukünftiger Ereig­

nisse ohne objektive Hinweise. Der Begriff Hellsichtigkeit bezeich­

net die Fähigkeit, ohne Hilfe der üblichen Kanäle Zugang zu Infor­

mationen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu gewinnen

und dabei räumliche oder zeitliche Grenzen oder beides zu über­

winden. Psychometrie nennen wir den Vorgang, bei dem durch

gründlichen taktilen Kontakt (also durch Abtasten) mit einem

Objekt Informationen über dieses Objekt oder Tatsachen und Ein­

drücke über die Person gewonnen werden, die dieses Objekt

besitzt. Der Begriff Psychokinese bezeichnet Situationen, in denen

materielle Objekte oder Prozesse durch psychische Kräfte beein­

flusst werden.

Ein weiteres Thema, das die Parapsychologen fasziniert, seit

1882 zwei Gelehrte aus Cambridge die »Society for Psychic

Research and Parapsychology« (Gesellschaft zur Erforschung para­

psychologischer Phänomene, Anm.d.Ü.) gründeten und die Para­

psychologie eine eigenständige Disziplin wurde, ist das mögliche

Überleben des Bewusstseins nach dem Tod.

Der Glaube an die Weiterexistenz nach dem biologischen Ab­

leben findet sich in allen alten Kulturen, vorindustriellen Gesell­

schaften und spirituellen Traditionen der Welt. Früher haben die

Page 227: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits 227

Wissensgemeinschaft und akademische Kreise die Bemühungen

der Parapsychologen, Beweismaterial für die Weiterexistenz aufzu­

spüren, verhöhnt und lächerlich gemacht, ln der zweiten Hälfte

des 20. Jahrhunderts jedoch hat die Bewusstseinsforschung sehr

viele Beobachtungen gesammelt, die diesen Gedanke nicht so ab­

wegig erscheinen lassen, wie er einem Menschen Vorkommen mag,

dessen geistige Umgebung von der materialistischen Wissenschaft

geprägt ist. Auch wenn diese neuen Daten nicht als »Beweise« für

die Weiterexistenz des individuellen Bewusstseins nach dem Tod

gelten können, stellen sie die traditionelle Wissenschaft mit Sicher­

heit vor eine große theoretische Herausforderung. Und mit Hilfe

der Bewusstseinsforschung können wir auch verstehen, warum

dieser Glaube so universell verbreitet ist und sich beharrlich hält.

Der Gedanke, dass das Bewusstsein den Tod zu überleben ver­

mag, ist in Wirklichkeit kein Glaube, keine völlig unbegründete

Wunschphantasie von naiven Menschen, die ihre eigene Vergäng­

lichkeit und den Tod nicht akzeptieren können. Er beruht vielmehr

auf zahlreichen, außergewöhnlichen Erfahrungen und Beobach­

tungen, die sich den rationalen Erklärungsmodellen der materialis­

tischen Wissenschaft nicht fügen. Wir haben uns in diesem Buch

bereits an früherer Stelle Beobachtungen und wissenschaftliche

Forschungen über Erinnerungen an frühere Leben und die Frage

der Reinkarnation angeschaut.

Eine weitere wichtige Quelle für wissenschaftliche Informati­

onen zu der Frage, ob das Bewusstsein nach dem Tod weiterexis­

tiert, ist die thanatologische Forschung über Nahtoderfahrungen

(NDEs). Etwa ein Drittel der Menschen, die mit lebensbedroh­

lichen Situationen wie Autounfällen, Beinah-Ertrinken, Herzanfäl­

len oder Herzstillstand während einer Operation konfrontiert sind,

machen diese faszinierende Erfahrung.

Raymond Moody, Kenneth Ring, Michael Sabom, Bruce Grey-

son und viele andere (Moody 2002, Ring 1982, Sabom 1987, Grey-

son und Bush 1992) haben dieses Phänomen gründlich erforscht

Page 228: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

228 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

und den typischen Ablauf einer Nahtoderfahrung beschrieben. Bei

der vollständigen Form finden wir die außerkörperliche Erfahrung,

die Lebensrückschau und die Durchquerung eines dunklen Tun­

nels. Das Erlebnis gipfelt in der Begegnung mit einem strahlenden

Lichtwesen, dem göttlichen Gericht, bei dem das eigene Leben eine

ethische Einschätzung erfährt, und Besuchen in zahlreichen,

verschiedenen transzendentalen Reichen. Seltener sind schmerz­

liche Nahtoderfahrungen, die Angst auslösen oder einem Inferno

gleichen.

Ende der 1990er-Jahre ergänzte Kenneth Ring diese Beobach­

tungen mit seinen Untersuchungen um eine weitere interessante

Dimension: Ring konnte aufzeigen, dass Menschen, die aus orga­

nischen Gründen von Geburt an blind sind, bei der Nahtoderfah­

rung Bilder sehen, von denen einige später mündlich bestätigt wer­

den konnten (»wahre außerkörperliche Erfahrungen«, siehe Ring

und Cooper 1999).

Wahre außerkörperliche Erfahrungen (OOBEs) (Abkürzung

für »out-of-body-experiences«, Anm.d.Ü.) passieren nicht nur bei

Nahtoderlebnissen oder beim klinischen Tod. Sie können auch in

der spirituellen Praxis und bei tiefgreifenden Formen von erlebnis­

orientierter Psychotherapie wie Primärtherapie, Rebirthing oder

dem Holotropen Atmen auftauchen. Bei Einnahme von psychede­

lischen Substanzen - insbesondere des dissoziativen Betäubungs­

mittels Ketamin - treten sie mitunter vermehrt auf. Solche außer­

körperlichen Erfahrungen können aber auch mitten im Alltagsleben

passieren, entweder als vereinzelte Vorkommnisse oder wiederholt,

wie im Fall von Krisen, die eine psychische Öffnung begleiten,

oder anderen Formen von spirituellen Krisen.

Wahre außerkörperliche Erfahrungen sind für die Frage, ob

das Bewusstsein nach dem Tod weiterexistiert, besonders wichtig,

denn sie zeigen, dass das Bewusstsein unabhängig vom Körper

agieren kann. Besonders interessant sind sie für Thanatologen und

andere Bewusstseinsforscher, denn sie stellen ein Phänomen dar,

Page 229: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits 229

das sich für die wissenschaftliche Untersuchung und objektive

Nachweisbarkeit besonders gut eignet. Der übliche Einwand gegen

die Beweise, die diese Forschungsrichtungen für das Weiterexistie­

ren des Bewusstseins nach dem Tod erbringen, lautet, dass Men­

schen mit Nahtoderfahrungen dem Tod zwar nahe gekommen,

aber nicht tatsächlich gestorben sind. Wenn aber unser Bewusst­

sein imstande ist, unabhängig vom Körper zu agieren, solange wir

am Leben sind, lässt sich daraus logisch schließen, dass es das auch

nach unserem Tod vermag.

Ein weiteres Interessengebiet der Parapsychologen, das eng mit der

Frage zusammenhängt, ob das Bewusstsein nach dem Tod weiter­

existiert, sind Begegnungen und Kommunikation mit Verstorbenen. Bei

Nahtoderfahrungen und Sterbebett-Visionen erscheinen häufig

Tote. Meistens handelt es sich dabei um Verwandte und Freunde

des oder der Sterbenden. Die Toten (das »Empfangskomitee«) wol­

len denjenigen, dem der Tod unmittelbar bevorsteht, offensichtlich

willkommen heißen und ihm den Übergang in die nächste Welt

erleichtern. Hier müssen wir das entsprechende Beweismaterial be­

sonders sorgfältig und kritisch überprüfen. Visionen von Ver­

storbenen besagen meist nicht viel. Wir können sie leicht als

Wunschphantasien oder Halluzinationen abtun, die das Gehirn

sich aus Erinnerungen zusammenbastelt. Sollen solche Erfah­

rungen interessantes Forschungsmaterial darstellen, müssen noch

einige weitere wichtige Faktoren hinzukommen.

Deshalb haben Forscher auf dem Gebiet der außersinnlichen

Phänomene sich häufig auf die Tatsache konzentriert, dass das

»Empfangskomitee« ausschließlich aus Verstorbenen besteht, da­

runter auch Personen, von deren Tod der Sterbende bislang gar

nichts wusste. Solche Erlebnisse wurden als Fälle von »Peak in

Darien« bezeichnet (nach dem Buch von Frances Power Cobbe:

The Peak in Darien, 1877, in dem die Autorin ihren Glauben an die

persönliche Unsterblichkeit mit entsprechenden Erlebnissen aus­

führt, Anm.d.Ü.).

Page 230: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

230 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Bestimmte Formen des kommunikativen Austauschs, deren Rich­

tigkeit objektiv bestätigt werden kann, stellen ebenfalls wichtiges

Forschungsmaterial dar. Von besonderem Interesse sind hier die

quasi-experimentell gewonnenen Beweise für das Weiterexistieren

des Bewusstseins nach dem Tod, die auf dem hochkontroversen

Phänomen der spiritistischen Sitzungen mit mentalen oder in

Trance arbeitenden Medien basiert. Die besten Medien waren im­

stande, Stimme, Sprachmelodie, Gesten, individuelle Eigenarten

und andere typische Züge der verstorbenen Person, die ihnen bis­

lang unbekannt war, präzise wiederzugeben.

In jüngster Zeit hat ein weltweites Netzwerk von Forschern

gemeinsame Anstrengungen unternommen, um die sogenannte

»interdimensionale Transkommunikation« zu entwickeln, darun­

ter Ernest Senkowski, George Meek, Mark Macy, Scott Rogo und

andere (Senkowski 1994, Füller 1951, Macy 2001 und 2005, Rogo

und Bayless 1979). Sie behaupten, mit Hilfe von elektronischen

Medien wie Kassettenrecorder, Telefon, Faxgerät, Computer und

Fernsehbildschirm zahlreiche paranormale verbale Mitteilungen

und Bilder von Verstorbenen empfangen zu haben.

Eine weitere interessante Innovation auf dem Gebiet der Kon­

takte mit Verstorbenen beschreibt Raymond Moody in seinem

Buch Blick hinter den Spiegel. Botschaften aus einer anderen Welt

(Moody 1996). In der Vorbereitungsphase für seine Forschungen

sichtete Moody systematisch die existierende Literatur über Wahr­

sagerei mit Hilfe von Kristallen oder Glaskugeln (Beobachtungen

entfernter Ereignisse mit Hilfe außersinnlicher Fähigkeiten) und

ähnliche Vorgehen. Mit einem großen Spiegel und schwarzem Samt

gestaltete er daraufhin einen speziellen Raum (ein sogenanntes

Psychomanteum), der, so behauptet er, hellseherische Begegnungen

mit verstorbenen Angehörigen begünstigt.

Ein weiteres Phänomen, das in diesem Kontext erwähnt wer­

den muss, ist das Channeling. Hierbei übermittelt ein Individuum

mit Hilfe von automatischem Schreiben, Sprechen oder Handeln

Page 231: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits 231

Botschaften aus einer Quelle jenseits seiner Alltagspersönlichkeit.

Diese Quelle gibt sich oft selbst als Wesen aus einem außerkörper­

lichen Reich zu erkennen; das hierarchische Spektrum dieser

Wesenheiten rangiert von archetypischen Figuren (Gottheit oder

Engel) und hochentwickelten übermenschlichen Wesen bis hin zu

nicht inkarnierten oder sogar noch lebenden Menschen. Die Qua­

lität dieser Übermittlungen variiert ebenfalls stark und bewegt sich

zwischen trivialem Geschwätz und tiefen oder bemerkenswerten

psychologischen oder spirituellen Mitteilungen.

Das reiche Material, das die moderne Bewusstseinsforschung zu­

sammengetragen hat, hat für die Parapsychologie seltsam zwiespäl­

tige Implikationen. Einerseits enthält es überzeugende Beweise für

die Phänomene, die Parapsychologen üblicherweise untersuchen.

Andererseits bedroht es die Existenz der Parapsychologie als eigen­

ständige Disziplin.

Denn wenn wir erst einmal akzeptieren, dass es transpersonale Er­

fahrungen gibt, wird auch klar, dass diese Erlebnisse uns fast im­

mer Zugang zu neuen Informationen vermitteln - und das über

Kanäle, die der landläufigen Wissenschaft unbekannt sind, ganz

gleich, ob diese Vermittlung nun durch andere Menschen, andere

Lebensformen, archetypische Gestalten und Reiche oder verschie­

dene Zeitalter der menschlichen Geschichte erfolgt. Und wenn wir

erst einmal generell akzeptieren, dass die menschliche Psyche ohne

Einschaltung der Sinne Zugang zu neuen Informationen gewinnen

kann, besteht kein Bedarf mehr an einer Disziplin, die sich auf die

Untersuchung einer relativ engen Auswahl von außersinnlichen

Phänomenen spezialisiert hat. Was bislang als »paranormal« galt,

betrachten wir dann als normale Fähigkeit der menschlichen

Psyche.

Page 232: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

232 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Ohne Augen sehen (Innere Sicht)Teds Geschichte

Ein interessantes Beispiel für eine wahre außerkörperliche Er­

fahrung in einer Nahtodsituation ist die Geschichte von Ted,

einem 26-jährigen afro-amerikanischen Lehrer, der an inoperablem

Krebs litt. Im Verlauf seiner Krankheit nahm Ted drei Sitzungen

mit hochdosiertem LSD, die er als große Hilfe für den Umgang mit

seiner Krebserkrankung und seiner Angst vor dem Tod empfand.

Später verschlechterte sich sein Zustand, und eines der Tochterge­

schwüre verstopfte Teds Harnleiter. Dadurch kam es zu einem ge­

fährlichen Urinstau im Nierenkelch, sodass sich giftige Stoffwech­

selprodukte im Blut ansammelten.

Nachdem sich Teds Harnvergiftung eine Woche lang täglich

verschlimmert hatte, rief uns seine Frau Lilly an. Ted bat durch sie

darum, dass ich und Joan, die zu jener Zeit meine Frau und Co-

Therapeutin war, ihn besuchen kommen, weil er etwas mit uns

besprechen wollte, das für ihn von höchster Wichtigkeit war. Als

wir auf der Intensivstation des Hospitals eintrafen, hatte sich Teds

Zustand beträchtlich verschlechtert, und er lag im Koma. Mehrere

Verwandte waren bei ihm und versuchten, mit ihm Kontakt aufzu­

nehmen. Ted reagierte nicht auf diese Versuche und murmelte nur

gelegentlich Unverständliches vor sich hin. Es war ganz offensicht­

lich, dass sein Tod unmittelbar bevorstand.

Während ich Lilly und die anderen Familienmitglieder tröstete

und ihnen zu helfen versuchte, die Situation zu akzeptieren, setzte

Page 233: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Ohne Augen sehen (Innere Sicht) 233

sich Joan zu Ted ans Bett und sprach freundlich mit ihm, wobei sie

sich an ihre ganz persönliche, auf westliche Menschen zugeschnit­

tene Version der Anleitungen aus dem Bardo Thödol (dem Tibe­

tischen Totenbuch, Anm.d.Ü.) hielt. Die zentrale Botschaft für Ted

war, dass er sich auf das Licht zubewegen und damit verschmelzen

solle, ohne Angst vor seinem eigenen Leuchten zu haben.

Als es so aussah, als ob alle Anwesenden Teds nahen Tod

akzeptierten, passierte etwas völlig Unerwartetes. Das Chirurgen­

team beschloss im allerletzten Augenblick, Ted doch noch zu ope­

rieren. Ohne jede Vorwarnung stürmten plötzlich zwei Kranken­

pfleger ins Zimmer, hoben Ted auf eine Trage und brachten ihn in

den OP-Saal. Alle im Raum waren schockiert über dieses Verhalten,

das sie als brutalen Eingriff in eine besondere und intime Situation

empfanden. Später erfuhren wir, dass Ted bei der Operation zwei

Herzstillstände hatte, die zum klinischen Tod führten, und dass die

Ärzte ihn beide Male wiederbelebten.

Wir fuhren nach Hause, um zu duschen und unsere Kleidung

zu wechseln, denn wir wollten abends noch ausgehen. Auf dem

Weg in die Stadt beschlossen wir, noch einmal im Krankenhaus

Zwischenstation zu machen, um zu sehen, wie es Ted ging. Als wir

dort ankamen, lag er auf der Intensivstation und erholte sich von

seiner Narkose. Dieses Mal war er bei Bewusstsein und konnte

sprechen. »Hallo. Danke, dass ihr mich heute zweimal hier be­

sucht«, begrüßte er uns. Er schaute Joan an und überraschte sie

mit der Bemerkung: »Du hast dich umgezogen, geht ihr heute

Abend noch aus?« Dann erzählte er uns, dass er uns bei unserem

ersten Besuch an diesem Tag zwar hatte kommen sehen, er jedoch

nicht mit uns kommunizieren konnte, weil sein Bewusstsein oben

unter der Zimmerdecke schwebte und er keine Verbindung zu sei­

nem Körper aufnehmen konnte.

All das geschah Jahre, bevor die Thanatologie durch ihre For­

schungen nachwies, dass außerkörperliche Erfahrungen eine

klinische Tatsache sind. Wir konnten nicht glauben, dass jemand,

Page 234: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

234 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

der im Koma gelegen hatte, seine Umgebung so präzise wahrnahm

und sich an solche Feinheiten erinnerte, deshalb stellten wir Ted

zu diesem Phänomen einige Fragen. Bis in kleinste Details be­

schrieb er uns die Kleidung, die wir bei unserem ersten Besuch

getragen hatten. Es war ganz offensichtlich, dass er die Menschen

in seinem Zimmer genau wahrgenommen hatte, obwohl seine Au­

gen die ganze Zeit geschlossen gewesen waren. Er hatte sogar be­

merkt, dass Joan einmal Tränen über die Wangen gelaufen waren.

Während er seine Umgebung vollständig bewusst registrierte,

machte er zugleich weitere ungewöhnliche Erfahrungen: Während

er wahrnahm, was in seinem Zimmer geschah und Joans Stimme

hören konnte, folgte er innerlich ihren Anweisungen. Die anfäng­

liche Dunkelheit wich einem strahlenden Licht, dem Ted sich nä­

herte, um dann damit zu verschmelzen. Dieses Eingehen ins Licht

war ein heiliger Vorgang, und er empfand dabei einen tiefen inne­

ren Frieden. Gleichzeitig sah er an der Zimmerdecke einen Film

laufen, eine lebendige Darstellung sämtlicher Übeltaten, die er in

seinem Leben begangen hatte. Er sah die Gesichter all der Men­

schen, die er im Krieg getötet hatte, und auch der jungen Leute,

die er als jugendlicher Raufbold verprügelte. Er musste den

Schmerz und die Qual sämtlicher Menschen erleiden, die er in

seinem Leben jemals verletzt hatte. Dabei war er sich der Gegen­

wart Gottes bewusst, der seine Lebensrückschau beobachtete und

beurteilte.

»Ich bin so froh über die LSD-Reisen mit euch beiden«, sagte

er zu uns, bevor wir gingen. »Was ich heute erlebt habe, hat sich

am selben Ort abgespielt wie diese Reisen. Ich habe es euch zu

verdanken, dass ich diesen Ort schon kenne. Ich hätte mich sonst

sehr vor allem gefürchtet, was da mit mir passiert ist, aber da ich

diese inneren Räume kannte, hatte ich überhaupt keine Angst.«

Page 235: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Botschaften aus dem Astralreich 235

Botschaften aus dem AstralreichRichards Geschichte

Eine meiner interessantesten Beobachtungen in Bezug auf die

Weiterexistenz des Bewusstseins nach dem Tod stammt aus der

LSD-Therapie mit Richard, einem schwer depressiven, homosexu­

ellen jungen Mann, der selbstmordgefährdet war. Es handelt sich

hier um denselben Richard, dessen »pränatalen Besuch« auf dem

dörflichen Jahrmarkt ich in diesem Buch schon auf Seite 150 ff.

geschildert habe. In einer seiner LSD-Sitzungen machte Richard

eine sehr ungewöhnliche Erfahrung, die sich in einem seltsamen,

unheimlichen Astralreich abspielte. Plötzlich befand er sich in

einem Raum mit schaurigem Licht, der bevölkert war von nicht

inkarnierten Wesen, die mit ihm kommunizieren wollten und ihn

dabei heftig bedrängten. Er konnte diese Wesen weder sehen noch

hören, spürte aber ihre Anwesenheit fast greifbar und empfing

telepathische Botschaften von ihnen.

Eine dieser Botschaften war sehr speziell, sodass ich sie auf­

schrieb. Sie konnte später bestätigt werden. Eines der nicht inkar­

nierten Wesen beschwor Richard, mit seinen Eltern in Kromeriz,

einer Stadt in Moravien, Kontakt aufzunehmen und ihnen mitzu­

teilen, ihrem Sohn Ladislav ginge es gut und er sei dort, wo er sich

befände, bestens aufgehoben. Die Botschaft enthielt auch den

Namen und die Telefonnummer des Paares - Details also, die wir

beide nicht kannten und die für uns bedeutungslos waren. Dieses

Erlebnis war in Richards Sitzung wie ein Fremdkörper, denn es

Page 236: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

236 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und lenseits

stand in keinerlei Zusammenhang mit seinen Problemen und sei­

ner Behandlung insgesamt. Das Ganze war sehr verwirrend und

mysteriös.

Nach der Sitzung beschloss ich, einen Schritt zu tun, der mich,

hätten sie davon erfahren, bei meinen Kollegen sicher zur Ziel­

scheibe ihres Spottes gemacht hätte. Ich nahm das Telefon, wählte

die Nummer in Kromeriz und fragte, ob ich mit Ladislav sprechen

könne. Zu meinem Erstaunen begann die Frau am anderen Ende

der Leitung zu weinen. Als sie sich beruhigt hatte, erzählte sie mir

mit gebrochener Stimme: »Unser Sohn ist nicht mehr bei uns. Er

ist gestorben. Wir haben ihn vor drei Wochen verloren.«

Man könnte die Meinung vertreten, diese Mitteilung sei kein wirk­

licher Beweis dafür, dass der verstorbene Sohn seinen Eltern eine

Botschaft aus dem Jenseits schickte, aber die Wahrscheinlichkeit,

dass es sich hier um einen bedeutungslosen Zufall handelt, ist

äußerst gering.

Page 237: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Ein Beweis für die Existenz des Jenseits? 237

Ein Beweis für die Existenz des Jenseits?

Walters Geschichte

Eine weitere ungewöhnliche Beobachtung dieser Art betrifft

meinen engen Freund und Kollegen Walter N. Pahnke, der am

Maryland-Psychiatric-Research-Center in Baltimore als Psychiater

Mitglied unseres psychedelischen Forschungsteams war. Er war

außerdem der Initiator und die treibende Kraft für das LSD-Pro-

gramm für Krebskranke im Endstadium am Maryland-Psychiatric-

Research-Center in Catonsville. Walter hatte großes Interesse an

Parapsychologie, vor allem an der Frage des Bewusstseins nach

dem Tod; er arbeitete mit vielen bekannten Medien und anderen

Menschen mit außersinnlichen Fähigkeiten zusammen, unter an­

derem mit unserer gemeinsamen Freundin Eileen Garrett, der Be­

gründerin der Parapsychology-Foundation.

Im Sommer 1971 fuhr Walter mit seiner Frau Eva und den

drei Kindern nach Maine, wo sie in ihrem Wohnwagen am Atlantik

die Ferien verbringen wollten. Vor seiner Abreise aus Baltimore

hatte er von einem Freund eine Taucherausrüstung gekauft und

ein paar Tauchstunden genommen. Als er eines Tages ganz allein

und ohne Markierer tauchen ging, kehrte er nicht zurück. Bei der

gründlichen und gut organisierten Suchaktion fand man weder

seinen Körper noch Teile seiner Taucherausrüstung.

Eva fiel es unter diesen Umständen schwer, seinen Tod zu

akzeptieren und zu verarbeiten. Ihr letztes Bild von ihm war, wie er

Page 238: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

energiegeladen und bei bester Gesundheit den Wohnwagen ver­

ließ. Sie konnte einfach nicht begreifen, dass er nicht mehr Teil

ihres Lebens war. Und da dieses Kapitel ihres Lebens für sie nicht

wirklich abgeschlossen war, fühlte sie sich nicht frei, das nächste

zu beginnen.

Selbst Psychologin, war sie berechtigt zu einer LSD-Sitzung für

Ausbildungszwecke, wie sie das Programm an unserem Institut für

Fachkräfte im psychischen Gesundheitswesen anbot. Sie beschloss,

eine psychedelische Sitzung zu nehmen, weil sie hoffte, dadurch

etwas mehr Klarheit für ihre Situation zu gewinnen, und bat mich,

sie dabei zu begleiten. Eva war eine enge, liebe Freundin, und ich

sagte ihr gern zu. In der zweiten Hälfte der Sitzung hatte sie eine

sehr beeindruckende Vision von Walter und führte einen langen

und wichtigen telepathischen Dialog mit ihm. Er erteilte ihr für

jedes ihrer drei gemeinsamen Kinder spezielle Anweisungen und

gab sie frei, ein neues, eigenes Leben zu beginnen, ohne sich durch

die Erinnerung an ihn zu binden. Das war für Eva eine sehr tiefe

und befreiende Erfahrung.

Gerade als sie sich fragte, ob das Ganze nicht einfach ein Pro­

dukt ihres eigenen Wunschdenkens war, erschien Walter noch ein­

mal kurz und bat Eva, einem Freund von ihm das Buch zurückzu­

geben, das er sich von ihm ausgeliehen hatte. Er teilte ihr den

Namen des Freundes und den Titel des Buches mit, beschrieb das

Zimmer und das Regal und sagte ihr, zwischen welchen Büchern es

dort stand. Neugierig geworden, machten wir uns nach der Sit­

zung gleich auf den Weg zu Evas Haus, um herauszufinden, ob

diese erstaunliche Botschaft stimmte. Eva konnte das Buch, von

dessen Existenz sie bislang nichts gewusst hatte, nach Walters An­

weisungen tatsächlich finden und zurückgeben.

Es war sehr typisch für Walter, Eva auf diesem Weg zu bewei­

sen, dass ihr Austausch authentisch war. Er hatte in seinem Leben

viel Kontakt mit medial begabten Menschen aus allen Teilen der

Welt und verfolgte fasziniert die Vorstellungen des berühmten Zau­

238 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Page 239: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Ein Beweis für die Existenz des Jenseits? 239

berers Harry Houdini, der mit seinen Experimenten die Existenz

eines Jenseits beweisen wollte. Ich war persönlich anwesend, als

Walter versuchte, ein ähnliches Experiment mit Eileen Garrett zu

verabreden, nachdem sie uns erzählt hatte, dass sie bald sterben

würde. »Eileen«, bat Walter sie, »du musst mir versprechen, dass

du mir, wenn du kannst, ein paar klare Zeichen gibst, die bewei­

sen, dass das Jenseits wirklich existiert.« Eileen, bekannt für ihren

köstlichen Humor, schien Walters Anliegen nicht besonders ernst

zu nehmen. »Du kannst sicher sein, Walter«, entgegnete sie, »dass

du deinen Beweis bekommst. Ich werde in deiner nächsten LSD-

Sitzung erscheinen und mir mit meiner kalten, klammen Hand

deinen Schwanz schnappen!«

Da Walter selbst immer auf Beweise aus war, ist es durchaus

plausibel, dass er die Buchrückgabe inszenierte, um den eigenen

posthumen Mitteilungen mehr Gewicht zu verleihen.

Page 240: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

240 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Rosenschnitt in Tante Annes Garten

Kurts Geschichte

Die nächste Geschichte betrifft Kurt, einen Psychologen, der an

unserem dreijährigen professionellen Training für Transperso­

nale Psychologie und Holotropes Atmen teilnahm. Als Kurt sich

für diese Ausbildung anmeldete, war er mit seiner wissenschaft­

lichen Orientierung das bei weitem skeptischste Mitglied unserer

Ausbildungsgruppe. Seine Beobachtungen und eigenen Erlebnisse

bei diesem Training hatten jedoch tiefe Auswirkungen auf das

Glaubenssystem, das er von seinen Hochschullehrern übernom­

men hatte. Ich habe auf Seite 145 ff. schon einmal Kurts Geburts­

erlebnis beschrieben, das mit dem Geruch von frischem Leder ver­

bunden war. Bereits damals war seine Überzeugung, dass unser

Bewusstsein und unser psychisches Leben sich erst nach der Ge­

burt zu entwickeln beginnen, schwer ins Wanken geraten.

Die im Folgenden beschriebene Erfahrung konfrontierte ihn

mit einer weiteren theoretischen Herausforderung und zwang ihn,

seinen wissenschaftlichen Denkhorizont zu erweitern. Er hatte zu

kämpfen mit der Frage nach der Natur transpersonaler Erfah­

rungen. Waren das reale, ontologische Phänomene, die auf die Exis­

tenz transzendentaler Bereiche verwiesen, welche normalerweise

unsichtbar blieben? Oder reine Produkte menschlicher Einbildung?

In seiner Ausbildung hatte er bei Kolleginnen und Kollegen zahl­

reiche, verschiedene transpersonale Erlebnisse beobachtet, selbst

Page 241: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Rosenschnitt in Tante Annes Garten 241

aber bislang keine derartigen Erfahrungen gemacht. Also beharrte

er weiterhin auf der Einstellung, die man ihm an der medizinischen

Hochschule beigebracht hatte: dass das alles »Hirngespinste«

seien.

In einer seiner holotropen Sitzungen machte Kurt dann selbst

eine intensive Erfahrung und erlebte anschließend eine bemer­

kenswerte Synchronizität. Das überzeugte ihn davon, dass das

menschliche Bewusstsein weiter reichte, als er bislang gedacht hat­

te, und dass er seinen geistigen Horizont erweitern musste. Gegen

Ende der Sitzung hatte er eine lebhafte Begegnung mit seiner Groß­

mutter, die seit vielen Jahren tot war. Kurt war ihr in seiner Kind­

heit besonders nahe gewesen, und die Möglichkeit, sich mit ihr

tatsächlich wieder austauschen zu können, wühlte ihn sehr auf.

Doch obwohl ihn diese Erfahrung emotional stark berührte, be­

trachtete er sie anschließend erneut mit der üblichen professio­

nellen Skepsis.

Wie er der Gruppe in der Nachbesprechung erläuterte, hegte

er den Verdacht, sich diese Begegnung aus alten Erinnerungen

selbst zusammengebastelt zu haben, da er mit seiner Großmutter,

als sie noch am Leben war, tatsächlich viele derartige Begegnungen

gehabt hatte. Aber dieses Treffen mit seiner toten Großmutter ging

emotional so tief, berührte sein Herz so stark und war so überzeu­

gend, dass er es einfach nicht als Wunschphantasie abtun konnte.

Gegen Ende dieser Begegnung beschloss er, seine Großmutter zu

bitten, sie möge ihm beweisen, dass sein Erlebnis real war und

nicht nur auf seiner Einbildung beruhte.

Kaum hatte er diese Bitte telepathisch geäußert, erhielt er

folgende Botschaft: »Besuche Tante Anne und schau dich nach ab­

geschnittenen Rosen um.« Immer noch skeptisch, beschloss er am

folgenden Wochenende einfach »aus Jux und Dollerei« seine Tante

Anne zu besuchen und zu sehen, was passierte. Zu seinem Erstau­

nen traf Kurt seine alte Tante bei der Gartenarbeit an. Sie trug Gar­

tenkleidung und hielt in der einen Hand eine Gartenschere und in

Page 242: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

der anderen eine Rose. Überall auf dem Rasen und den Wegen im

Garten lagen abgeschnittene Rosen. Ohne es gewusst zu haben, fiel

Kurts Überraschungsbesuch ausgerechnet auf den einen Tag im

Jahr, an dem seine Tante beschloss, ihre Rosen radikal zurückzu­

schneiden.

Materialistisch orientierte Wissenschaftler lehnen die Möglichkeit

ab, dass das Bewusstsein nach dem Tod weiterexistiert, und ma­

chen sich oft lustig darüber, denn sie passt mit ihren eigenen,

grundlegenden metaphysischen Annahmen über die Existenz nicht

zusammen. Ihre Einstellung beruht nicht auf wissenschaftlichen

Beweisen, die zeigen, dass ein Weiterexistieren nach dem Tod - in

welcher Form auch immer - nicht möglich ist. Tatsächlich können

sie ihre Schlussfolgerungen nur ziehen, weil sie Beobachtungen

wie die oben geschilderte, von denen es viele gibt und für die das

augenblickliche Paradigma keine angemessenen Erklärungen fin­

den kann, schlichtweg ignorieren.

242 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Page 243: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Luiz Gasparetto 243

Luiz GasparettoMaler und Gemälde aus dem Jenseits

bwohl Freunde uns bereits viel von Brasilien erzählt hatten,

waren wir in keinster Weise auf den Kulturschock vorbereitet,

der uns bei unserem ersten Besuch in diesem ungewöhnlichen

Land traf. Durch unsere Beschäftigung mit psychedelischer For­

schung und transpersonaler Psychologie hatten wir täglich Kontakt

mit vielen Menschen, die geistig sehr aufgeschlossen waren, und

für die Spiritualität ein wichtiger Aspekt ihres Alltagslebens war. Es

war jedoch klar, dass diese Menschen im größeren Kontext der

westlichen industriellen Zivilisation Ausnahmen darstellten - In­

seln im Ozean einer überwiegend pragmatisch orientierten Kultur.

Bei unseren Begegnungen und Gesprächen mit brasilianischen

Menschen hatten wir nun das Gefühl, uns auf einem anderen Pla­

neten zu befinden. Die Mehrzahl der Brasilianer, einschließlich der

Mitglieder der gesellschaftlichen Oberklasse und der gebildeten

Elite, akzeptierten offensichtlich die Existenz von Realitäten, die

unsere europäisch-amerikanische Kultur ins Reich kindlichen Un­

sinns verweist und als Phantasien, primitiven Aberglauben oder

geisteskrank verwirft - nicht inkarnierte Wesen, Besessenheit von

Geistern, gütige oder zornige Gottheiten, Geistheilung, erfolgreiche

Operationen durch Geistchirurgen, UFO-Landungen und vieles

mehr.

All diese Phänomene schienen im Rahmen des brasilianischen

Weltbilds völlig normal zu sein. In vielen Fällen beruhte die Über­

O

Page 244: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

244 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

zeugung, dass sie existieren, auf persönlichen Erfahrungen und

nicht auf unbegründeten Glaubensvorstellungen, Aberglauben

oder den Sensationsmeldungen der Boulevardpresse.

Offensichtlich hing dies eng mit der Tatsache zusammen, dass

die Brasilianer leicht Zugang zu holotropen Bewusstseinszustän­

den finden und somit Gelegenheit haben, reiche Erfahrungen auf

transpersonalem Gebiet zu machen. Viele von ihnen nehmen zum

Beispiel an Ritualen teil, die verbunden sind mit der Einnahme von

Ayahuasca, einem in diesem Buch bereits erwähnten psychede­

lischen Getränk, das im Amazonasgebiet seit Jahrhunderten als

heiliges Sakrament und wirksames Medikament Anwendung fin­

det. Die brasilianische Regierung hat diese Rituale legalisiert, und

sowohl Eingeborenen-Heiler (Ayahuasqueros) als auch die Mit­

glieder der Santo-Daime-Kirche und einer weiteren wichtigen

Gruppe namens »Uniao do Vegetal« praktizieren sie regelmäßig.

Außerdem hängt ein bedeutender Anteil der Bevölkerung Kul­

ten wie Umbanda, Candomble und Macumba an, die Elemente von

afrikanischen Stammesreligionen mit Aspekten des Glaubens der

brasilianischen Ureinwohner und der christlichen Religion kombi­

nieren. Besonderes Interesse weckte bei uns der Spiritismus - eine

faszinierende spirituelle Bewegung, die auf den französischen Er­

ziehungswissenschaftler und Philosophen Allan Kardec zurück­

geht, der im 19. Jahrhundert lebte und lehrte. Der Spiritismus geht

davon aus, dass der Geist von Verstorbenen mit lebenden Men­

schen kommunizieren und die materielle Welt durch medial be­

gabte Personen beeinflussen kann. Die Spiritistische Kirche ist vor

allem bekannt geworden durch ihre berühmten Geistchirurgen,

zum Beispiel den Philippinen Tony Agpaoa und den Brasilianer Ze

Arigó, den »Chirurgen mit dem rostigen Messer«.

Während unseres Aufenthalts in Sao Paulo hörten wir von Luiz

Antonio Gasparetto, einem Psychologen und Mitglied der Spiritis­

tischen Kirche, der seine medialen Fähigkeiten auf einzigartige

Weise nutzte. Er war bekannt dafür, dass er eine ganze Reihe von

Page 245: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Luiz Gasparetto 245

berühmten, verstorbenen Malerinnen und Malern channelte und

Bilder in vielen verschiedenen und bekannten Stilrichtungen malte.

Mit Hilfe unserer brasilianischen Freunde gelang es uns, Kontakt

zu ihm aufzunehmen und mit Luiz einen Besuch in seinem Haus in

einem Vorort von Sao Paulo zu vereinbaren.

Luiz war ein großer, attraktiver Mann mit dunklem Haar und

ausdrucksstarken Augen. Lässig gekleidet mit bequemen Hosen

und einem weißen Hemd, war er im Umgang mit uns höflich,

warmherzig und liebenswert. Er sah eher aus wie ein ganz gewöhn­

licher Akademiker als ein exzentrischer Individualist mit medialen

Fähigkeiten und abenteuerlichem Ruf. Nichts an seiner äußeren

Erscheinung oder der Einrichtung seines Hauses wies auf das hin,

was uns hier erwartete, außer vielleicht die vielen Regale mit gro­

ßen Stapeln von Papier. Wie wir bald herausfinden sollten, hatte

Luiz diese Regale extra anfertigen lassen, um seine über 5000 »Ge­

mälde aus dem Jenseits« unterzubringen.

Nachdem er Tee gekocht hatte, zeigte uns Luiz seine bemer­

kenswerte Gemäldesammlung. Wir kamen in den Genuss von Bil­

dern im Stil der großen Meister aus sämtlichen Epochen und Län­

dern. Es handelte sich hier nicht um Kopien existierender Gemälde,

sondern um neue Motive - im leicht erkennbaren Stil einzelner

Künstler und Künstlerinnen gemalt: Da gab es Monets üppige Blu­

mensträuße, Modiglianis schmale junge Frauen, Toulouse-Lautrecs

Tänzerinnen und andere Sonderlinge vom Moulin Rouge, Henri

Rousseaus naive Dschungelszenen mit wilden Tieren, Rembrandts

Porträts mit ihrem Spiel von Licht und Schatten, Leonardo da Vin­

cis androgyne Gesichter, Picassos Stillleben und figurative Gemäl­

de, Georgia O’Keefes Blumen, Frida Kahlos expressive Kompositi­

onen und viele weitere.

Gelegentlich waren diese Bilder nicht im reifen Stil der verstor­

benen Meisterinnen und Meister gemalt, für den diese weithin be­

kannt waren, sondern gaben frühere Phasen ihrer künstlerischen

Entwicklung wieder. Als wir Luiz später näher kennenlernten und

Page 246: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

246 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und jenseits

Gelegenheit hatten, ihn häufiger bei der Arbeit zu beobachten,

mussten wir manchmal in Bildmonographien der Maler nach­

schauen, die Luiz zu channeln behauptete, um bestätigt zu finden,

dass er tatsächlich ihren frühen Stil aufgriff.

Während wir in dieser erstaunlichen Sammlung von großar­

tigen Werken schwelgten, erzählte Luiz uns von seinem Leben und

seiner Arbeit. Er war von Kind an medial begabt. Die Linie der

Familie Gasparetto war in Brasilien berühmt für ihre paranormalen

Talente. Luiz’ Mutter besaß ebenfalls außersinnliche Fähigkeiten,

die sie durch automatisches Zeichnen umsetzte. Sie brachte ihrem

Sohn vieles bei und unterstützte ihn darin, sein eigenes Talent zu

entwickeln. Luiz’ Erlebnisse mit nicht inkarnierten Künstlerinnen

und Künstlern begannen, als er dreizehn Jahre alt war. Regelmäßig

erschienen sie ihm und lehrten ihn viel über die Existenz des

astralen Reiches und den Sinn des Lebens. Manche dieser Wesen

waren sehr berühmt, und er kannte sie und ihre Kunst. Andere

waren ihm völlig fremd, und er forschte in kunsthistorischen Bü­

chern nach, um ihre Echtheit zu überprüfen.

Die Geister der toten Meisterinnen und Meister erzählten ihm,

sie wollten ihr Werk noch einmal zeigen und die Botschaft über­

mitteln, dass sie weiterexistierten. Sie nahmen Kontakt zu Luiz auf,

um Menschen greifbare Beweise für die Existenz eines Jenseits zu

geben. Sie hätten das bereits vor seiner Geburt geplant, eröffneten

sie ihm. Luiz wusste nie, was sie als Nächstes tun würden. Er konn­

te nicht einfach aus sich heraus malen. Ohne Anleitung der malen­

den Geister brachte er kein Bild zustande. Waren sie jedoch anwe­

send, konnte er fühlen, was sie fühlten, und die Welt mit ihren

Augen sehen. Er verglich diese Erlebnisse mit einem Orgasmus.

Die Erfahrungen hatten seine Sicht der Welt verändert und seine

Augen für deren zauberhafte Schönheit geöffnet.

Wir waren sehr beeindruckt von Luiz und seiner Kunst und

beschlossen, ihn als Gastdozent für unser nächstes einmonatiges

Seminar einzuladen. Es war Teil einer Reihe von experimentellen

Page 247: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Luiz Gasparetto 247

Weiterbildungen, die wir am Esalen-Institut in Big Sur, wo wir

auch lebten, zweimal im Jahr durchführten. Diese Veranstaltungen

gaben uns Gelegenheit, eigene Interessensgebiete zu verfolgen und

dazu als Gastdozenten Menschen einzuladen, die für ihr Fach

repräsentativ waren und zum Thema unseres Workshops eine spe­

zielle Beziehung hatten.

Zu den eingeladenen Gästen gehörte ein großes Spektrum an

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, von Fritjof Capra,

Karl Pribram und Gregory Bateson bis hin zu tibetischen Lamas,

spirituellen indischen Lehrern, amerikanischen Ureinwohnern,

mexikanischen Schamanen und christlichen Mystikern. Die The­

men waren ebenfalls breit gefächert. Die einmonatigen Seminare

beschäftigten sich mit Buddhismus und westlicher Psychologie,

Schizophrenie und visionärem Denken, Landkarten des Bewusst­

seins, Heilungsmethoden der Aborigines und moderner Medizin,

uraltem Wissen und moderner Wissenschaft, höheren Formen von

Kreativität und Grenzbereichen der Wissenschaft.

Das Thema des bevorstehenden Seminars war Energie: phy­

sisch, emotional und spirituell betrachtet. In dem kurzen Ankün­

digungstext im Prospekt von Esalen hieß es, dass wir diese ver­

schiedenen Formen von Energie theoretisch und praktisch

erforschen sowie vermitteln würden, wie wir damit arbeiten kön­

nen. Luiz war zweifellos ein idealer Gastlehrer für dieses Programm.

Unser Budget erlaubte es uns, ihm ein Honorar anzubieten, das

seine Reisekosten decken würde, und er fand die Aussicht auf eine

Reise nach Kalifornien aufregend.

Unsere einmonatigen Seminare fanden im »Big House« statt,

das auf einer wunderschönen, von Zypressen bewachsenen Klippe

über dem Pazifischen Ozean lag. Ein Bach grenzte es ab vom rest­

lichen Gelände. Der Name des Esalen-Instituts ging auf einen India­

nerstamm zurück, der vor dem Eintreffen der europäischen Siedler

hier gelebt hatte. Für die Indianer war dieses Land, auf dem die

heißen Quellen entsprangen, heiliger Boden, der Heilung brachte,

Page 248: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

und auf dem sie ihre Toten bestatteten. Beim Bau des Fundamentes

für das Big House stießen die Arbeiter daher auf viele Skelette von

Esalen-Indianern in einer fötalen Position, nach Westen ausgerich­

tet. Bei anderen Gelegenheiten entdeckte man auf dem Land zwei

weitere Bestattungsplätze, die mit dem ersten zusammen ein Drei­

eck bildeten.

Unseren ersten unmittelbaren Eindruck von Luiz’ medialen Fähig­

keiten bekamen wir sofort nach seinem Eintreffen im Big House. Er

wanderte um das Haus herum und schritt suchend das Gelände

ab. Wir fragten ihn, was er da tue. »Wisst ihr, dass hier viele India­

ner gelebt haben und gestorben sind?«, sagte er. »Dieser Ort ist

bevölkert von indianischen Geistern. Ich kann sie hier überall spü­

ren.« Das war ziemlich bemerkenswert, denn bis zu diesem Au­

genblick hatte Luiz über die Geschichte von Esalen nichts ge­

wusst.

In unserem gemeinsamen Monat gab er Teilnehmern an

unserem Workshop Heilungssitzungen, in denen er seine bemer­

kenswerte paranormale Begabung noch weiter unter Beweis stellte.

Unser ungewöhnlichstes Erlebnis mit Luiz war jedoch sein Auftritt

in Huxely, dem großen Versammlungsraum, der an Esalens Lodge

im Hauptgebäude grenzte. Diese Veranstaltung war zwar Teil un­

seres Seminars, doch wir öffneten sie für die Esalen-Gemeinschaft.

Wir stellten einen Tisch und zwei Stühle in die Mitte des Raumes,

einen für Luiz und einen für Christina, die Luiz Papier reichen

sollte. Während der Vorführung waren alle Lichter ausgeschaltet,

bis auf eine Lampe mit roter Glühbirne, die auf dem Tisch stand,

auf dem Luiz malte.

Auf seinem Weg nach Big Sur hatte Luiz in Los Angeles bei

einer guten Freundin von mir Halt gemacht, der Psychologin und

parapsychologischen Forscherin Thelma Moss. Während Luiz’ De­

monstration in Thelmas engstem Freundeskreis waren im gesam­

ten Wohnblock für einige Zeit die Lichter ausgegangen. Zu ihrem

248 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Page 249: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Luiz Gasparetto 249

Erstaunen (dem der Gäste und von Luiz selbst) hatte das seine

Arbeit aber in keiner Weise behindert. Er malte einfach weiter,

wählte die richtigen Farben und stellte im Dunkeln mehrere wun­

derschöne Bilder fertig.

Eine Demonstration von Luiz’ Fähigkeiten bei totaler Dunkel­

heit wäre auch hier in Esalen ein beeindruckendes Experiment

gewesen, doch dann hätten seine Zuschauerinnen und Zuschauer

ihn nicht bei der Arbeit beobachten können. Das rote Licht war ein

Kompromiss, denn so konnten wenigstens die Leute Luiz sehen,

ihn aber hinderte es wirksam daran, Farben zu unterscheiden. Luiz

bat uns, während seiner Sitzung Vivaldis Vier Jahreszeiten zu spie­

len, denn diese Musik fand er für seine Arbeit besonders inspirie­

rend. Wenige Minuten, nachdem die Musik begonnen hatte, zuck­

ten Luiz’ Kopf und Körper ein paar Mal, und er schien in Trance zu

gehen. Gleichzeitig spürte Christina, die dicht neben ihm saß, dass

von seinen Händen eine enorme Hitze ausging, und das blieb die

ganze Sitzung über so.

Luiz begann zu malen und produzierte mit erstaunlicher Ge­

schwindigkeit ein großartiges Bild nach dem anderen, jedes im Stil

eines anderen berühmten Malers - van Gogh, Picasso, Gauguin,

Rembrandt, Monet und viele andere. Dabei benutzte er beide Hän­

de und malte manchmal zwei Bilder gleichzeitig, mit jeder Hand

eines. Meistens schaute er gar nicht auf das Blatt, sondern schloss

die Augen und legte den Kopf zurück oder beugte ihn zur Seite.

Ein Monet-Porträt malte er tatsächlich mit seinem rechten Fuß un­

ter dem Tisch von oben nach unten, ohne überhaupt hinzuschau­

en. Seine erstaunliche Vorführung dauerte eine gute Stunde. Als sie

endete, war der Fußoden um Luiz herum bedeckt mit 26 großen

Gemälden. Trotz des roten Lichts waren alle Bilder in den ihnen

entsprechenden Farben gemalt.

Die Menschen wurden unruhig, sie wollten gern aufstehen

und die Bilder inspizieren. Für Luiz war die Veranstaltung jedoch

offensichtlich noch nicht zu Ende. Er saß eine Weile in stiller

Page 250: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

250 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und jenseits

Meditation und verkündete dann: »Hier ist ein Geist, der sich Fritz

Perls nennt. Er möchte gern, dass Toulouse-Lautrec sein Porträt

malt.« Und dann malte er ein Bild des legendären, südafrikanischen

Therapeuten und Begründers der Gestalttherapie, der seine letzten

Lebensjahre in Esalen verbracht hatte. Es war nicht nur ein sehr

genaues Porträt von Fritz, sondern zeigte auch unzweifelhaft alle

typischen Züge von Toulouse-Lautrecs Malstil.

Als Luiz das Bild beendet hatte, machte er keinerlei Anstalten

aufzuhören. Nach einem kurzen Moment des Innehaltens sagte er:

»Hier ist noch ein weiterer Geist. Der von Ida Rolf. Sie hätte auch

gern ein Porträt von sich, nicht aus der Zeit unmittelbar vor ihrem

Tod, sondern im Alter von vierzig Jahren.« Auch Ida Rolf war eine

Legende und ein Idol von Esalen. Als deutsche Physikerin hatte sie

die bekannte Form von Körperarbeit entwickelt, die ihren Namen

trägt (Rolfing, Anm.d.Ü.). Viele Jahre hatte sie in einem Haus von

Esalen gewohnt, das etwa anderthalb Meilen vom Hauptgebäude

entfernt lag, und in das wir einzogen, als Ida Esalen verließ.

Fritz sah auf seinem Porträt so aus, wie Menschen ihn erin­

nerten oder von Fotos her kannten. Das Porträt von Ida war künst­

lerisch sehr interessant und zeigte eine weibliche Gestalt im mittle­

ren Lebensalter, doch konnte man nicht feststellen, ob es wirklich

Ida war. Keiner aus der Gemeinschaft von Esalen wusste, wie Ida

Rolf im Alter von vierzig Jahren ausgesehen hatte, denn als sie hier

aus Deutschland eintraf, war sie bereits eine alte Frau gewesen.

Dick Price, ein Mitbegründer von Esalen, war tief beeindruckt

von Luiz’ Vorführung, besonders aber von diesen Porträts zweier

Menschen, die für die Geschichte von Esalen eine wichtige Rolle

spielten und die Luiz gar nicht kannte. Deswegen investierte Dick

viel Zeit und Mühe, um aus Deutschland ein Foto von der 40-jäh-

rigen Ida zu beschaffen. Als es schließlich eintraf, sah man deut­

lich, dass das »Porträt aus dem Jenseits« dieser Ida im mittleren

Lebensalter bemerkenswert ähnlich war - ein weiterer Beweis für

Luiz’ außergewöhnliches mediales Talent.

Page 251: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Eine Party für Exu 251

Eine Party für ExuInterview mit den Orixäs

n der nächsten Geschichte schildere ich eine weitere außerge­

wöhnliche Erfahrung, die Christina und ich bei unserem ersten

Besuch in Brasilien machten. In den Jahren, in denen wir am Esalen-

Institut in Big Sur lebten, waren wir finanziell sehr knapp. Ein

Grund dafür war, dass unsere Scheidungsprozesse uns beide viel

Geld kosteten, und außerdem hatten wir uns bewusst für »selbst

gewählte Einfachheit« entschieden, wie der Autor und Dozent Du-

ane Eigin das nannte. Wir hatten beschlossen, in der wunderschö­

nen kalifornischen Küstenlandschaft von Big Sur ein einfaches

Leben zu führen, statt in die Stadt zu ziehen und dort einen lukra­

tiveren Lebensstil zu pflegen.

Esalen stellte uns im Austausch für eine bestimmte Anzahl von

Workshops, die wir hier gaben, ein Haus zur Verfügung, das auf

einer steilen Klippe an der pazifischen Küste lag, mit einer atembe­

raubenden Aussicht auf den Ozean, bei der das Auge im 200-Grad-

Winkel schweifen konnte. Hier lebten wir im engen Kontakt mit

der örtlichen Tierwelt. Wir konnten das spektakuläre Spiel von

Robben, Seelöwen und Delphinen beobachten. Wir sahen Möwen,

Kormorane, Pelikane und andere Seevögel vorbeifliegen und in rie­

sigen Feldern von Seetang auf dem Ozean schaukeln. Auf ihrem

Weg von Alaska nach Baja California und zurück zogen zweimal

im Jahr mehrere Wochen lang Grauwale vorbei, und hin und wie­

der bereicherten Killerwale dieses außergewöhnliche zoologische

I

Page 252: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

252 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und jenseits

Schauspiel mit ihrem Anblick. Big Sur war auch eine wichtige Zwi­

schenstation für eine weitere Gruppe unermüdlicher Migranten -

die zauberhaften Monarchschmetterlinge.

Die Schattenseite dieses Lebens im Paradies war, dass man hier

nicht viel Geld verdienen konnte. Esalen stellte Unterkunft und

Verpflegung, aber unser Einkommen durch die Workshops war

nach Abzug der Miete für unser Haus ziemlich mager. Die Work­

shopleiter bekamen zwanzig Prozent des Geldes, das Esalen von

den Teilnehmern einnahm, was im weltweiten Vergleich mit Ab­

stand die schlechtesten Konditionen waren. Trotzdem gab es für

Gastlehrerinnen und -lehrer viele Gründe, nach Esalen zu kom­

men und hier zu lehren.

Die Küste von Big Sur gehört mit Sicherheit zu den schönsten

Landschaften der Welt. Der Landstreifen, auf dem das Esalen-Insti-

tut steht, galt (wie schon erwähnt) bei den Esalen-Indianern, deren

Namen es trägt, als heilig und ist ohne Zweifel ein »Kraftplatz«.

Außerdem ist Esalen, das legendäre »Mekka der Human Potential

Bewegung«, weltweit bekannt als aufregendes Labor für mensch­

liches Verhalten, Bewusstsein und Denken in Grenzbereichen -

verbunden mit Namen wie Aldous Huxley, Alan Watts, Abraham

Maslow, Gregory Bateson, Fritz Perls, Moshe Feldenkrais und Ida

Rolf.

Aus den oben genannten wirtschaftlichen Gründen mussten

wir uns in anderen Teilen der USA und im Ausland nach zusätz­

lichen Einkommensquellen umsehen. Wir versuchten, unsere Rei­

sen immer so zu arrangieren, dass unsere Einnahmen mindestens

unsere Kosten deckten und wir keine zusätzlichen Ausgaben hat­

ten. So war die Situation, als wir zum ersten Mal nach Brasilien

flogen, um dort in Belo Horizonte die Vierte Internationale Trans­

personale Konferenz zu besuchen. Wir hatten geplant, in verschie­

denen Teilen Brasiliens Vorträge zu halten und eine Reihe von

Workshops zu geben, um mit diesen Einnahmen unsere Reisekos­

ten zu decken.

Page 253: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Eine Party für Exu 253

Aber wir stießen auf unerwartete Hindernisse. Ohne dass wir da­

von gewusst hatten, überschnitt sich unser Workshop in Rio de

Janeiro mit einem Fußballspiel zwischen Brasilien und Peru, das

Teil der Weltmeisterschaften war. Und wenn in Südamerika ein

Fußballspiel stattfand, so mussten wir feststellen, hatten wir mit

unserem Workshop keine Chance. Schließlich kamen fünf Per­

sonen zu unserem Wochenende für Holotropes Atmen, was unter

diesen Umständen fast schon ein Wunder war, doch diese Teilneh­

merzahl war nicht ausreichend für den Workshop. Wir mussten

uns bei der kleinen Gruppe von Menschen, die sich um uns ver­

sammelt hatten, entschuldigen und ihnen absagen in dem schmerz­

lichen Bewusstsein, dass dies für uns auch beträchtliche finanzielle

Einbußen bedeutete.

Wir hatten also plötzlich viel Zeit, um uns Rio anzuschauen

oder um andere Dinge zu unternehmen. Unter den Menschen, die

am Workshop teilnehmen wollten, war auch Sergio, ein junger

brasilianischer Psychologe. Als wir mit ihm ins Gespräch kamen,

erzählte er uns, dass er den brasilianischen Umbanda-Kult erfor­

sche, einen sehr populären synkretistischen, afro-brasilianischen

Kult, der Elemente der traditionellen afrikanischen Stammesreligi­

onen mit Aspekten des römisch-katholischen Glaubens und der

Kulturen der brasilianischen Ureinwohner-Indianer kombinierte.

Sergio betrieb seine Forschungen vor dem Hintergrund der jung-

schen Psychologie und wollte die archetypischen Abläufe beschrei­

ben, die sich in diesen Ritualen manifestierten. Als er spürte, dass

wir Interesse an diesem Thema hatten, lud er uns ein, ihn zu einer

Umbanda-Zeremonie zu begleiten.

Der Umbanda-Kult entstand in den 20er-Jahren des letzten

Jahrhunderts und hat sich seitdem in ganz Brasilien verbreitet. Ge­

leitet werden die Umbanda-Gemeinschaften von Pais de Santos

(»Väter der Heiligen«) oder Maes de Santos (»Mütter der Heiligen«),

die über die Filhos und Filhas de Santos (»Söhne und Töchter der

Heiligen«) wachen. Diese Väter und Mütter der Heiligen sind Me­

Page 254: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

254 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

dien und speziellen Gottheiten westafrikanischen Ursprungs oder

orixäs geweiht, wie Xango, Oxum und Iemanjä (brasilianische

Gottheiten, Anm.d.Ü.). Die Rituale finden in speziell dafür einge­

richteten Zentren statt, die terreiros oder tendas heißen. Begleitet

von Trommeln oder atabaques, die für jeden orixä in einem ande­

ren Rhythmus erklingen, singen und chanten die Versammelten in

Yoruba. Die Medien fallen in Trance und verkörpern ihre jeweilige

Gottheit.

Theoretisch wussten wir bereits einiges über Umbanda. Das

verdankten wir den Vorträgen von Stanley Krippner, einem be­

kannten amerikanischen Parapsychologen, der sehr an Anthropo­

logie interessiert war und in Esalen mehrmals als Gastdozent an

unseren einmonatigen Seminaren mitgewirkt hatte. Außerdem

hatten wir bereits vor zehn Tagen bei unserem Besuch in Belo

Horizonte Gelegenheit gehabt, persönliche Eindrücke bei einem

Umbanda-Ritual zu sammeln und dabei auch einen interessanten

Einblick in die Komplexität akademischer Kreise in Brasilien be­

kommen.

Als wir bei der Konferenz der ITA unser Interesse bekundeten,

an einem Umbanda-Ritual teilzunehmen, hatte unser brasilia­

nischer Gastgeber, der als Psychologe an der Universität von Belo

Horizonte am Fachbereich Psychologie unterrichtete, uns zunächst

davon abraten wollen. Aus seiner professionellen Sicht, so erzählte

er uns, beruhe Umbanda auf dem Aberglauben einfacher Men­

schen, und ausgebildete Fachleute wie wir könnten da nichts Inte­

ressantes erfahren. Als wir auf unserem Vorhaben beharrten, stellte

sich heraus, dass sein Cousin die örtliche Umbanda-Gruppe leite­

te, und er uns über diesen Kontakt ohne weiteres eine Erlaubnis

für den Besuch eines Rituals beschaffen konnte.

Das Haus, in dem das Ritual stattfand, hatte zwei Stockwerke und

einen Keller. Der zweite Stock stellte den Himmel dar; Decken und

Wände waren in leuchtendem Weiß und Rosa bemalt und mit

Page 255: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Eine Party für Exu 255

großen Rosen und Blumengirlanden aus dick vergoldetem Stuck

geschmückt. Der Keller symbolisierte die Hölle und war als Gegen­

pol zum Himmel entsprechend gestaltet: Die Wände waren in

Schwarz und Dunkelrot gehalten, und auf dem Fußboden häuften

sich Gaben für die dunklen Gottheiten, Zigarettenstummel und

Flaschen mit Aquavit, hochprozentigem Alkohol. Das Erdgeschoss,

in dem das Ritual stattfand, war üppig geschmückt mit Bäumen

und Büschen in großen Töpfen, zwischen denen man kleine Teiche

angelegt hatte.

Der etwas kitschige Eindruck, den diese Einrichtung auf uns

machte, verflog, als das Ritual begann. Die Gesänge und das Trom­

meln waren sehr kraftvoll, und schon bald fielen die ersten Anwe­

senden in Trance. Wir konnten beobachten, dass viele Menschen

emotionale und körperliche Prozesse durchliefen, die zweifellos

authentisch waren und ein starkes Heilungspotenzial besaßen. Tat­

sächlich waren viele dieser Reaktionen denen vergleichbar, die wir

im Laufe der Jahre in psychedelischen Sitzungen und beim Holo­

tropen Atmen beobachtet hatten.

Am nächsten Tag erzählten wir unserem Gastgeber, wie beein­

druckt wir von dem Umbanda-Ritual waren. Als er das hörte,

rückte er allmählich mit der Wahrheit heraus. Er erzählte uns, auf­

grund eigener Erfahrungen sei er persönlich von den Umbanda-

Ritualen und ihrem Heilungspotenzial überzeugt. Wenn ein Mit­

glied seiner Familie emotionale oder psychosomatische Probleme

hatte, schickte er es nicht in die freudsche Analyse oder in die Ver­

haltenstherapie, sondern in eine Umbanda-CaMIdo (Cabildo =

wörtlich »Stadtrat«, Anm.d.Ü.). Er erwähnte sogar, seine Familie

habe einmal einen Umbanda-Heiler ins Krankenhaus geschmug­

gelt, damit er dort für eines ihrer Mitglieder ein privates Ritual ab­

hielt.

Die Erfahrung in Belo Horizonte hatte unsere Neugier noch

angestachelt, deshalb nahmen wir Sergios Einladung zu einem

weiteren Umbanda-Ritual gerne an. Am späten Nachmittag stiegen

Page 256: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

256 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und jenseits

wir in seinen Wagen und fuhren von der City in die Außenbezirke

der Stadt. Unser Ziel lag am äußersten Stadtrand, und wir brauchten

ziemlich lange dorthin. Als wir am Ritualplatz ankamen, waren wir

überrascht. Während das Ritual in Belo Horizonte in Oberschichts­

kreisen stattfand, waren wir hier in der Unterschicht gelandet.

Wir betraten den Platz durch eine dunkle Garage, geschmückt

mit farbigen Weihnachtslichtern, die in langen Schnüren kreuz

und quer unter der Decke angebracht waren. Vor einer der Wände

befand sich ein dreiteiliger Altar, auf dem kleine Gipsfiguren stan­

den - Nachbildungen der orixás, die sich hier paarweise zusam­

menfanden mit kleinen Skulpturen von katholischen Heiligen,

ihren christlichen Gegenspielern. Wir erkannten Xango, die Gott­

heit des Zorns, der sich zusammentat mit dem Heiligen Georg, und

Iemanja, die Göttin der Meere, die neben der Heiligen Jungfrau

Maria stand. Wir sahen auch Caboclo, den wir bereits kannten, den

dunkelhäutigen Mann mit dem Lendentuch, der einen Kopf­

schmuck aus Federn trug und Pfeil und Bogen schwang, und Preto

Velho, den gedrungenen, alten schwarzen Mann, der mit einer Pfei­

fe zwischen den Lippen auf einem kleinen Stuhl saß.

Sergio zeigte uns zwei Figuren aus Eisen in Rot und Schwarz,

mit Hörnern und betont gestalteten Sexualorganen, die eine Teufe­

lin und einen Teufel darstellten. Er machte uns auch mit Pomba

Gira bekannt, einer Gottheit in Gestalt einer sexuell attraktiven

Frau, die mit ihrem kurzen Kleid und dem spöttischen Lachen wie

eine Prostituierte aussah. Dann brachte er uns zu einem großen

angrenzenden Gelände, dem »Raum der Verkörperungen«, der

Stätte für das Ritual, das gleich beginnen sollte. Dort stellte er uns

einer alten, hexenhaften Frau mit wirrem Haar vor, die nur ein

Auge hatte. Sie war als Mae de Santos, als »Mutter der Heiligen«,

die führende Kraft bei dieser Zeremonie.

Während wir beobachteten, wie sie ein schwarzes Huhn

schlachtete und verschiedene Gegenstände mit dem Blut des Tieres

einschmierte, erklärte Sergio uns, dies sei ebo oder despacho, eine

Page 257: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Eine Party für Exu 257

zeremonielle Gabe. Diese Zeremonie würde einen anderen Ablauf

haben als die von uns bereits besuchte, denn sie fand am Baräs-Tag

oder Sankt-Antonios-Tag statt und war ein Fest zu Ehren von Exu

(Geistwesen, Magier, Trickster, Sendbote zu Orixä, den Göttern,

Anm.d.Ü.). Sergio erzählte uns, Exu sei ein verantwortungsloser,

hinterhältiger Gauner, der Probleme stifte und sich an der Verwir­

rung seiner Opfer labe. Manche sähen in ihm eine Brücke zwischen

Mensch und Orixá, für andere sei er eine dunkle Naturgewalt, ver­

gleichbar mit dem christlichen Teufel.

Als die Trommeln und Gesänge einsetzten, begannen die Filhos

und Filhas de Santos zu tanzen und fielen in Trance. Mehrere Hel­

ferinnen und Helfer überwachten die »Gefallenen« auf dem Fuß­

boden, und wenn sie bei ihnen Grimassen, Gesten und Verhaltens­

weisen erkannten, die typisch für einen bestimmten orixá waren,

zogen sie ihnen entsprechende Kostüme an. Zwei Frauen fielen

durch ihr provokatives, obszönes Verhalten auf. Sergio erzählte

uns, sie verkörperten Pomba Gira. Bevor sie in Trance fielen, waren

sie äußerst manierliche, zurückhaltende Frauen gewesen, doch

jetzt lüfteten die beiden ihre Röcke und zeigten ihre Unterwäsche,

brüllten Obszönitäten durch den Raum und bedrängten Männer

mit lüsternen Gesten, die den Beischlaf symbolisierten. Wir

beobachteten, wie jede von ihnen drei große Flaschen Aquavit hi­

nunterkippte, einen starken Schnaps mit 45 % Alkohol, ohne

irgendwelche Anzeichen von motorischer Unsicherheit zu zeigen.

Es ging wild zu, die Atmosphäre war aufgeladen und bizarr. Es

gelang Christina und mir jedoch, Abstand zu halten und relativ

gelassen zu bleiben. Wir verfolgten das Ganze wie zwei Anthropo­

logen, die Feldforschung betrieben. Das änderte sich aber, als die

hexenhafte Mae de Santos mit einem bedeutungsvollen Grinsen

auf uns zukam und fragte, ob wir eine consultata wollten. So heißt

im Umbanda das Gespräch mit den Orixás, deren Botschaften und

Ratschläge das Medium den Ritual-Teilnehmern channelt. Ja, wir

Page 258: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

258 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und jenseits

wollten »mit den Geistern sprechen«, denn wir witterten eine in­

teressante Erfahrung. Wie sich herausstellen sollte, waren wir aller­

dings nicht im Geringsten gefasst auf das, was uns nun erwartete.

Die Alte brachte uns zu einer der beiden Frauen, die sich so

obszön gebärdeten und große Mengen Aquavit konsumiert hatten.

Sie schubste uns von hinten auf eine von ihnen zu, bis wir dicht

vor dem Medium standen. Das Gesicht der Frau war seltsam ver­

zerrt, sie kaute und rauchte eine große Zigarre. »Ihr wollt also mit

den Geistern sprechen?«, fragte sie uns mit einem höhnischen

Grinsen. Ohne eine Antwort abzuwarten, griff sie Christina frech

unter den Rock und berührte und drückte ihren Unterleib. »Frau­

enleiden, was?«, gackerte sie. »Schmerzen und Blut. Und viel Ener­

gie!« Sergio übersetzte uns ihre in Portugiesisch abgegebenen

Kommentare.

»Du bist traurig, sehr traurig und aufgebracht«, fuhr sie mit

krächzender Stimme fort. »Es ist schwer, von deinen beiden Kin­

dern getrennt zu sein, stimmt’s? So weit weg, wie sie sind, auf einer

Insel?« Wir staunten nicht schlecht. Christina befand sich auf dem

Höhepunkt ihres Kundalini-Erwachens und hatte mit starken

Energien zu kämpfen. In dieser Phase konzentrierte sich der Pro­

zess auf ihren Unterleib und löste zahlreiche gynäkologische Be­

schwerden aus, für die es keine medizinischen Gründe gab. Außer­

dem hatte sie bei einem Gerichtsprozess gerade das Sorgerecht für

ihre Kinder verloren, das an ihren Ex-Ehemann ging. Die beiden

lebten jetzt bei ihrem Vater auf Hawaii. Diese Umstände waren für

Christina eine ständige Quelle von Ärger und Depressionen.

Der Blick der Frau wanderte zu mir, und sie sah mich mit

einem spöttisch-neckenden Ausdruck an: »Es geht dir gut in Brasi­

lien, stimmt’s? Dir schmeckt das brasilianische Essen mit all seinen

tollen Gewürzen, was? Mach dir einfach keine Sorgen um Finan­

zen, das würde dir den Spaß verderben! Keine Angst, du wirst auf

dieser Reise kein Geld verlieren!« Das war ein weiterer Volltreffer.

Die Liebe zum Essen gehört zu meinen größten Schwächen, wie

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Eine Party für Exu 259

Christina und meine Freunde wissen. Wenn ich in ein fremdes

Land komme, kann ich es kaum erwarten, seine Küche auszupro­

bieren. Wir waren gerade in Bahia gewesen, wo ich begeistert die

ungewöhnlichen Mixturen aus afrikanischen und brasilianischen

Gewürzen gekostet hatte. Und da unser Workshop in Rio ausfallen

musste, machte ich mir insgeheim tatsächlich Sorgen um unsere

finanzielle Situation.

Es war erstaunlich, auf alle diese Dinge angesprochen zu wer­

den, denn unsere einzige Verbindung zu dieser Umbanda-Gemein-

de war Sergio, und der wusste nichts von dem, was die Frau in

Trance für uns channelte. Die bemerkenswerten hellsichtigen oder

telepathischen Fähigkeiten dieses Mediums, für das wir so durch­

sichtig waren, ließen alles, was hier geschah, für uns in einem

anderen Licht erscheinen. Plötzlich hatten wir viel mehr Respekt

für das Ritual, und es schien uns authentischer und seriöser zu

sein, als wir bislang angenommen hatten. Dass wir hier in einem

unbekannten Vorort von Rio de Janeiro in einer grotesken Umge­

bung eine Party für Exu feierten, umgeben von Menschen, die der­

artige paranormale Fähigkeiten besaßen, löste in uns sogar eine

gewisse Paranoia aus.

Es zeigte sich, dass die Frau, die Pomba Gira channelte und

mir beruhigend sagte, ich bräuchte mir um die finanzielle Seite

unserer Brasilienreise keine Sorgen zu machen, damit völlig richtig

lag. Obwohl uns der ausgefallene Workshop finanziell zurückge­

worfen hatte, gelang es uns, ohne Minus abzuschließen. Am Ende

der Reise stellten wir fest, dass sich unsere Ausgaben und Einnah­

men fast deckten.

Page 260: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

2öo Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und jenseits

Das Tabu unserer eigenen Hellsichtigkeit

Sitzungen mit Anne Armstrong

n den Jahren, in denen ich am Maryland-Psychiatric-Research-

Center arbeitete, lernte ich über meinen Freund Walter Pahnke

viele bekannte, medial begabte Menschen unserer Zeit kennen, da­

runter Eileen Garrett, Hugh und Charles Cayce, Joan Grant und

andere. Während unserer vierzehn Jahre am Esalen-Institut in Big

Sur, Kalifornien, begegneten Christina und ich vielen weiteren

Menschen mit außergewöhnlichen paranormalen Fähigkeiten -

darunter Luiz Gasparetto, Uri Geller, Helen Palmer, Keith Harray

und Jack Schwartz.

Die überzeugendsten und beharrlichsten Beweise dafür, dass

wir auf paranormalem Weg Zugang zu Informationen über andere

Menschen und die Welt bekommen können, erhielten wir jedoch

im Rahmen unserer langjährigen Freundschaft mit Anne Armstrong.

Annes bemerkenswertes mediales Talent kam im Verlauf ihrer »spi­

rituellen Krise« zutage, die zwanzig Jahre dauerte. Ihre innere Ent­

wicklung begann, als sie und ihr Mann Jim auf der Suche nach

Heilung für ihre qualvollen Migräneanfälle erste Experimente mit

Hypnose machten.

Ihr therapeutischer Erfolg bestand darin, dass sie durch diese

Experimente die Spur von Annes Kopfschmerzen zurückverfolgen

konnten; sie reichte bis zu ihrer Erinnerung an ein früheres Leben

als Athlet, der zum römischen Kolosseum Verbindung hatte und

I

Page 261: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das Tabu unserer eigenen Hellsichtigkeit 261

heftig gefoltert wurde, weil seine Feinde ihn zwingen wollten, eine

wichtige, geheime Information preiszugeben. Zur großen Überra­

schung der beiden stellte sich heraus, dass Annes Flauptverfolger

in dieser karmischen Erinnerung Jim war. Die Ehe der Armstrongs

überlebte trotz dieser Entdeckung, und die beiden begaben sich

zusammen auf eine spirituelle Forschungsreise. Nach jahrelangen

inneren Kämpfen begann Anne, als Medium zu arbeiten. Sie war

dabei immer gut geerdet, und ihre Angaben waren erstaunlich zu­

verlässig.

Anne und Jim kamen regelmäßig als Gastdozenten in unsere

einmonatigen Workshops, meistens in der letzten Woche. Bevor

sie zu unserer Gruppe stießen, hatten die Teilnehmer im Schnitt

täglich zehn Stunden tiefe, gemeinsame Forschungsreisen unter­

nommen, unter anderem auch in Form von regelmäßigen Sit­

zungen in Holotropes Atmen. Anne kannte anfangs außer Christi­

na und mir niemanden in der Gruppe. Trotzdem hatte sie sofort

Zugang zu intimen Informationen über die Gruppenmitglieder, die

für alle neu waren. Ihre Spezialität war die Erforschung und

Klärung zwischenmenschlicher Beziehungen. Für ihre »Readings«,

wie sie das nannte, brauchte sie lediglich die Namen der Menschen,

mit denen sie arbeitete. Sie konnte sogar in telefonischen Sitzungen

präzise und zuverlässige Angaben machen.

Neben diesen überraschend aufschlussreichen und zutref­

fenden, individuellen Readings für Gruppenmitglieder leitete sie

die Teilnehmenden mit Jims Hilfe auch zu einer Reihe von Übungen

an, in denen sie ihre eigenen medialen Fähigkeiten entdecken

konnten, um sich dann dazu zu bekennen und zu lernen, sie prak­

tisch anzuwenden. Eine Lieblingsübung der Armstrongs war das

»Gruppenscanning«, das diese beiden Schritte miteinander kombi­

nierte. Die Teilnehmer legten dafür kleine, zusammengefaltete Zet­

tel mit ihrem Namen in einen Hut. Dann forderte Anne ein Grup­

penmitglied auf, aus dem Hut blind den Namen der Person zu

ziehen, die ein Gruppenreading bekommen sollte. Diese Person er­

Page 262: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

262 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

läuterte dann ihr Problem, für das sie mediale Informationen und

Unterstützung wünschte.

Jetzt wies Anne die anderen in der Gruppe an, ihre Zweifel an

den eigenen medialen Fähigkeiten loszulassen und alles aufzu­

schreiben, was ihnen zu der fragenden Person in den Sinn kam,

ohne sich zurückzuhalten oder Selbstzensur zu üben. Nachdem

die Teilnehmer ihre Gedanken und Einsichten zu dem dargestell­

ten Problem geäußert hatten, machte Anne selbst ein Reading,

sodass wir anderen unsere eigenen Einsichten mit ihren verglei­

chen konnten. Im letzten Teil der Übung gab die Person, die von

uns Informationen empfangen hatte, uns Feedback und teilte uns

mit, was an unseren Informationen zutreffend für sie war und was

nicht.

Annes Deutungen trafen immer den Punkt und waren oft wirklich

bemerkenswert. Doch auch die Bilder und Einsichten der Grup­

penmitglieder, die bislang gar keine medialen Fähigkeiten bei sich

vermutet hatten, waren erstaunlich präzise. Eine der größten

Schwierigkeiten bei den Sitzungen bestand darin, auftauchende

Bilder und Assoziationen korrekt zu interpretieren, was Anne

unglaublich leicht fiel. Ich möchte das verdeutlichen anhand eines

eigenen psychometrischen Versuchs, den ich unter Annes und Jims

Anleitung unternahm.

Bei dieser Übung saß sich die Gruppe in zwei Reihen gegenüber.

Dann bekamen wir Anweisung, einen Gegenstand in die Sitzung

einzubringen, der für uns von emotionaler Bedeutung war, ohne

dass die anderen Näheres darüber wussten oder den Gegenstand

sahen. Dazu gab Jim jeder Gruppenhälfte eine große Einkaufsta­

sche, in die wir unsere Gegenstände legen sollten, ohne dass die

anderen sie zu sehen bekamen. Dann tauschte er die Taschen aus,

und jeder nahm einen Gegenstand heraus, der einer Person aus der

Reihe gegenüber gehörte. Jetzt sollten wir dieses Objekt in der

Hand halten und ein psychometrisches Reading machen, das heißt,

Page 263: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das Tabu unserer eigenen Hellsichtigkeit 263

alle Assoziationen und Bilder aufschreiben, die uns zu dem Gegen­

stand in den Sinn kamen.

Ich zog einen kleinen runden Metallanhänger von knapp drei

Zentimetern Durchmesser aus der Tasche. In diesem Kreis ertastete

ich die Umrisse einer stilisiert dargestellten menschlichen Gestalt

mit ausgestreckten Armen und Beinen, der allseits bekannten

Zeichnung des vitruvianischen Mannes von Leonardo da Vinci

ähnlich. Annes Anweisungen folgend, hielt ich den Anhänger in

der linken Hand, konzentrierte mich auf ihn und ließ meinen

Gedanken freien Lauf, wie ich es in meiner freudschen Ausbil­

dungsanalyse gelernt hatte. Mit der rechten Hand schrieb ich mei­

ne Assoziationen auf. Ich war überrascht, mit welcher Leichtigkeit

und Fülle sie sich einstellten.

Als Erstes erinnerte ich mich an die idyllischen deutschen

Kleinstädte mit ihren Kopfsteinpflasterstraßen und malerischen,

mit Wandgemälden, Holzschnitzereien und Blumenkästen

geschmückten Häusern, die ich auf meinen Europareisen besuchte.

Von dort trug mich der Strom meiner Gedanken zu meinem Me­

dizinstudium und den Instituten, an denen ich als Student Vor­

träge hörte oder Praktiken absolvierte. Als genereller Überblick

beginnend, konzentrierte sich diese Rückschau schnell und unge­

wöhnlich intensiv auf meine Erinnerungen an die Anatomie und

Physiologie bösartiger Tumore. Dann gingen meine Assoziationen

über zu meiner Arbeit mit Krebskranken im Endstadium am Mary-

land-Research-Center und verweilten dort eine Zeitlang. Und

plötzlich kam mir ohne Vorwarnung oder Überleitung ein Witz in

den Sinn, den ich kürzlich erst gehört hatte, und über den ich

lachen musste:

Ein Abenteuerreisender, der Nordafrika besuchte, wandte sich an einen

arabischen Händler, um ein Kamel zu kaufen. Er wollte die Sahara

durchqueren und machte dem Händler klar, dass er ein wirklich gutes

Kamel brauche, das lange ohne Wasser auskam. Der Araber brachte ein

Page 264: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Tier, von dem er behauptete, es sei sein kräftigstes und zuverlässigstes

Kamel, und der Mann zahlte dafür die geforderte Summe, die beträcht­

lich war. Dann brach er unverzüglich zu seinem Wüstenabenteuer auf.

Unangenehm überrascht, musste er erleben, dass das Kamel nach eini­

gen Tagen immer schwächer und langsamer wurde. Obwohl er ihm den

gesamten Wasservorrat für die Reise zu trinken gab, schien das Tier dem

Verdursten nahe zu sein. Es hechelte, und seine trockene Zunge hing ihm

aus dem Maul. Wenige Tage später weigerte es sich, auch nur einen

Schritt weiterzugehen, und brach in der Wüste zusammen.

Beide wären umgekommen, wenn nicht eine Karawane vorbeigezo­

gen wäre, die in die entgegengesetzte Richtung reiste und genügend Was­

servorräte bei sich hatte. Das rettete ihnen das Leben. Nach seiner Rück­

kehr von dieser unglückseligen Wüstendurchquerung suchte der Mann

den arabischen Händler auf und verlangte wütend sein Geld zurück.

»Was haben Sie mir dafür ein Kamel verkauft?«, schimpfte er. »Nach

wenigen Tagen ist es in der Wüste zusammengebrochen und keinen

Schritt weitergegangen. Ich wäre dort fast umgekommen!«

»Das verstehe ich nicht«, sagte der Händler und schüttelte den Kopf.

»Haben Sie den Ziegelstein-Trick mit ihm gemacht?« »Was meinen Sie

mit ›Ziegelstein-Trick‹?«, fragte der unglückliche Reisende völlig ver­

wirrt. »Ich werde es Ihnen zeigen«, sagte der Araber und führte das Tier

zum nächsten Brunnen. Kaum begann das Kamel zu trinken, näherte

sich ihm der Araber mit einem großen Ziegelstein in jeder Hand und

wartete geduldig. Sobald das Tier mit dem Trinken fertig war, drückte er

seine Hoden mit den Ziegelsteinen zusammen. Das Kamel gab einen

tierischen Schrei von sich und schlürfte noch viele weitere Liter Wasser.

Die Pointe dieses Witzes lässt sich schriftlich nicht so leicht vermit­

teln. Um sie zu veranschaulichen, muss der Erzähler den Schrei

nachahmen, den das Kamel ausstößt, wenn der Händler seine

Hoden zusammendrückt. Der Luftstrom, den das Tier bei diesem

Schrei gewaltsam einsaugt, macht deutlich, welche Mengen an

Wasser das Kamel nach dem »Ziegelstein-Trick« noch trinken muss.

264 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Page 265: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das Tabu unserer eigenen Hellsichtigkeit 265

Dieser Witz war meine letzte Assoziation bei der psychometrischen

Übung. Er geisterte noch minutenlang in meinem Kopf herum.

Unter Annes und Jims Anleitung fanden wir als nächstes die

Besitzer unserer Gegenstände heraus und tauschten uns mit ihnen

aus. Ich konnte kaum glauben, wie oft ich mit meinen Assoziati­

onen den Nagel auf den Kopf traf, denn ich hatte mich noch nie für

medial begabt gehalten. Ich war an unser mediales Spiel mit einer

gesunden Skepsis herangegangen und fragte mich, ob dabei über­

haupt etwas herauskommen würde. Doch ich hatte mich geirrt!

Wie sich herausstellte, stammte die Besitzerin des Anhängers, den

ich für mein psychometrisches Experiment benutzte, aus Deutsch­

land. Myra war in einer Kleinstadt aufgewachsen, die genauso aus­

sah wie die, die vor meinem inneren Auge auftauchte. Als Ärztin

hatte sie erst kürzlich ihr Interesse an alternativen Heilungsmetho­

den entdeckt und damit begonnen, »New Age«-Worskhops und -

Seminare zu besuchen.

Der Kamelwitz erwies sich als weiterer, unglaublicher medialer

Volltreffer, obwohl die Informationen so humorvoll verkleidet da­

herkamen. Tatsächlich war die Situation, auf die diese Assoziation

anspielte, noch erstaunlicher und komischer als der Witz: Der An­

hänger war das Abzeichen des »Center for the Whole Person«

(etwa: Zentrum für den ganzen Menschen, Anm.d.Ü.), einer Grup­

pe, die mit einer tiefgreifenden Methode der Selbsterforschung ar­

beitete, welche auf eine weitverbreitete, abgewandelte Form von

Primärtherapie zurückging. Myra hatte an einem Wochenend-

Workshop mit Bill Swartley teilgenommen, einem der Gruppenlei­

ter dieser Organisation. Dieser Workshop, ein Nacktmarathon,

fand in der Nähe von Atlantic City, New Jersey, statt.

Ein Nacktmarathon ist eine radikale Form von Therapie, die

der kalifornische Psychologe Paul Bindrim in den 1960er-Jahren

entwickelte. Er kombinierte Nacktheit, Schlafentzug und Fasten

mit experimenteller Gruppenarbeit im körperwarmen Wasser eines

Swimmingpools. Das Becken hatte eine gleichmäßige Tiefe von

Page 266: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

266 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

etwa anderthalb Metern. Zu Beginn dieses Marathons zeigte Bill

Swartley den Teilnehmerinnen und Teilnehmern das Abzeichen für

sein Zentrum und verkündete, am Ende des Workshops würde er

mit diesem Anhänger die Person belohnen, die das ungeheuer­

lichste Verhalten an den Tag legte. Da Bill nicht wusste, wie aben­

teuerlustig und wagemutig Myra sein konnte, hatte er auch keine

Ahnung, was er sich da selbst einbrockte.

In einer der Übungen bei diesem Nacktmarathon, die tiefe

Emotionen auslösen sollte, inspizierte die Gruppe die im Wasser

treibenden, nackten Körper der einzelnen Teilnehmer. Dazu bil­

deten die Gruppenmitglieder zwei Reihen, die sich im Becken ge­

genüberstanden. An einem Ende beginnend, schoben sie einen

Körper nach dem anderen mit dem Bauch nach oben wie im Spieß­

rutenlauf durch diese Gasse. War die Reise beendet, stellte man

sich am anderen Ende der Reihe wieder auf. Die Genitalien beider

Geschlechter und die Brüste der Frauen waren bei dieser Übung

allen Blicken preisgegeben. Bei vielen Menschen löste dieses rück­

sichtslose Eindringen in ihre Intimsphäre äußerst heftige Emoti­

onen aus.

Es kam durchaus vor, dass einzelne Teilnehmerinnen und Teil­

nehmer diese Situation nicht aushielten und emotional zusammen­

brachen oder »in den Prozess gingen«, wie man das nannte. In

diesem Fall versammelte sich die restliche Gruppe um diese Person

und unterstützte sie bei der Verarbeitung der hochkommenden

Themen und Gefühle. War dieser Prozess abgeschlossen, stellten

sich die beiden Reihen wieder auf, und der oder die nächste trieb

durch die Wassergasse.

Der Workshopleiter war einer von ihnen, was er nicht nur

durch die eigene Nacktheit demonstrierte, sondern auch, indem er

an der Übung aktiv teilnahm. Als die Gruppe Bill Swartley durch

die Gasse schob, sah Myra ihre Chance gekommen, den Preis zu

gewinnen, der für das Wochenende ausgeschrieben war. Sie warf

sich auf Bill Swartley und machte sich mit Mund und Zähnen über

Page 267: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Das Tabu unserer eigenen Hellsichtigkeit 267

seine Hoden und seinen Hodensack her. Natürlich wurde sie zur

unangefochtenen Siegerin und erhielt den Anhänger.

Bei unserer Gruppensitzung hatten viele von uns Assozia­

tionen, die über die Persönlichkeit und das Leben der jeweiligen

Besitzer des entsprechenden Gegenstands etwas aussagten. Doch

der Hauptunterschied zwischen uns und Anne bestand nicht nur

darin, dass sie eine reichere Imagination besaß als wir, sondern

ihre Bilder und Assoziationen auch entschlüsseln und klar und zu­

sammenhängend formulieren konnte, was uns nicht so leicht fiel.

Auch wenn sich die meisten meiner Assoziationen als erstaunlich

zutreffend erwiesen, nachdem ich die Besitzerin des Anhängers erst

einmal gefunden hatte und von ihr ein Feedback bekam, hätte ich

meine inneren Bilder ohne Hilfe nicht übersetzen und sie zu kon­

kreten, präzisen und klaren Aussagen formulieren können.

Überraschenderweise enthielt meine psychometrische Deu­

tung auch eine Information, von der sich erst später zeigte, wie

wichtig sie war. Die Erinnerungen an mein Medizinstudium und

meine spätere berufliche Arbeit, die um Krebserkrankungen

kreisten, waren weit mehr als lediglich Anspielungen auf Myras

Arbeit als Ärztin. Mehrere Monate nach unserem Workshop in

Esalen diagnostizierten die Ärzte bei Myra eine Krebserkrankung,

der sie schließlich erlag.

Page 268: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

268 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Ameisen der Großen MuttergöttinEin Besuch in Palenque

ie nächste Geschichte macht deutlich, dass uns transpersonale

Erfahrungen in holotropen Bewusstseinszuständen »paranor­

malen« Zugang zu neuen Informationen über archetypische und

historische Sphären des kollektiven Unbewussten verschaffen kön­

nen. In vielen Fällen ist es möglich, die Richtigkeit dieser Informa­

tionen über Gottheiten und mythologische Reiche anderer Kul­

turen und auch zahlreiche Epochen der menschlichen Geschichte,

die auf diese Weise gewonnen wurden, später zu verifizieren. Diese

Beobachtungen weisen Parallelen zu C.G. Jungs Entdeckungen auf

und bestätigen sie - dass nämlich die Psyche jedes Menschen nicht

nur zum freudschen individuellen Unbewussten, sondern auch zu

einem kollektiven Unbewussten Zugang hat, welches das histo­

rische und mythologische Erbe der Menschheit bewahrt.

Die im Folgenden beschriebenen Ereignisse spielten sich Ende

November 1971 ab, als mein Bruder Paul und ich den Fünften

Weltkongress der Psychiatrie in Mexico City besuchten. Paul, selbst

Psychiater wie ich, arbeitete zu jener Zeit am Psychiatrischen Kran­

kenhaus der McMasters-Universität in Hamilton, Ontario, und ich

lebte und arbeitete in Baltimore. Der Kongress war für uns eine

willkommene Gelegenheit, wieder einmal zusammenzukommen.

Wir beschlossen, die Zeit nach der Konferenz für eine gemeinsame

Reise zur Yucatan-Halbinsel zu nutzen, wo wir die Ruinen der alten

Maya-Städte besichtigen wollten.

D

Page 269: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Ameisen der Großen Muttergöttin 269

Nach Abschluss des Kongresses mieteten wir uns einen Wagen und

erreichten nach langer Fahrt Merida, die Hauptstadt von Yucatan.

Unser Hotel in Merida als Ausgangsstation benutzend, sahen wir

uns die Ruinen in der Umgebung an - Chichén Itzá, Dzibilchaltün,

Uxmal und Tulúm. Während dieser Besichtigungstouren zog ich

mir eine Grippe zu und bekam starke Halsschmerzen. Ich wollte

jedoch unsere Besuche bei den Monumenten der alten Mayas nicht

abbrechen, denn ich hatte an dieser Kultur seil meiner Jugend

großes Interesse. Durch das hohe Fieber und die Mengen an Dai­

quiri, die ich trank, um die Entzündungen in Hals und Kehlkopf

zu bekämpfen, bekamen meine Erfahrungen eine zusätzliche inte­

ressante Note. Ich kam in Kontakt mit Erinnerungen an frühere

Leben und hatte einige intuitive, interessante Einsichten in Bezug

auf die von uns besuchten Stätten.

Obwohl ich nur nachts ruhte, gelang es mir, vor unserer Rück­

kehr nach Mexico City wieder weitgehend gesund zu werden. Auf

dem Rückweg entschieden wir, in Villa Hermosa Halt zu machen

und Palenque zu besuchen, eine der bemerkenswertesten Ruinen

der Maya. Obwohl ich körperlich noch nicht ganz wieder herge­

stellt war, beschloss ich wider besseres Wissen, Methylenedioxy-

Amphetamin (MDA) zu nehmen - eine psychedelische Substanz

oder ein Entheogen, die/das der Droge Ecstasy verwandt ist.

Eigentlich hatte ich das Mittel in Chichén Itzá nehmen wollen,

doch da fühlte ich mich noch zu krank. Ich wollte in dieser außer­

gewöhnlichen Umgebung eine Sitzung machen, um die Erfor­

schung der kulturellen Auswirkungen von psychedelischen Sub­

stanzen fortzusetzen und zu vertiefen. Ich wusste aus früheren

Erfahrungen, dass Substanzen wie diese dem Menschen bemer­

kenswert tiefe Einsichten in die archetypische Dynamik heiliger

Stätten verschaffen können.

Mir war zwar klar, wie wichtig ein sicherer Rahmen und eine

sichere Umgebung für psychedelische Erfahrungen sind, doch

wollte ich die Gelegenheit, die sich mir hier bot, nicht verpassen.

Page 270: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Da ich bereits früher in eigenen Sitzungen Erfahrungen mit MDA

gesammelt hatte, war ich sicher, dass ich mit den Wirkungen der

Droge an einem öffentlichen Ort zurechtkommen würde, ohne zu

viel Aufmerksamkeit zu erregen. Ich verbarg meine Augen hinter

dunklen Brillengläsern, damit die anderen Besucher meine

erweiterten Pupillen nicht sahen, und nahm 125 Milligramm der

Substanz. Ob nun aufgrund meiner noch nicht ganz wiederherge­

stellten Gesundheit, der speziellen Kräfte dieser Stätte oder macht­

voller astrologischer Transite - die Wirkung der Droge war unver­

gleichlich stärker als in sämtlichen früheren Sitzungen.

Meine Erfahrungen setzten erstaunlich plötzlich und dramatisch

ein. Mir fiel es zunehmend schwer, mich in den Ruinen wie ein

bewundernder Besucher zu bewegen. Wellen von heftiger Angst

durchfluteten mich, und ich empfand eine nahezu metaphysische

Beklemmung. Mein Wahrnehmungsfeld verdunkelte sich mehr

und mehr, und mir fiel auf, dass von den mich umgebenden Din­

gen eine schreckliche Kraft ausging und sie sich auf höchst omi­

nöse Weise wellenförmig bewegten.

Mir wurde klar, dass hier in Palenque Tausende von Menschen

geopfert worden waren und das ganze Leid von Jahrhunderten im­

mer noch wie eine schwere dunkle Wolke über dem Platz hing. Ich

spürte die Anwesenheit rachsüchtiger Gottheiten der Mayas und

deren Blutdurst. Sie flehten um weitere Opfer und schienen mich

als ihr nächstes heiliges Opfer zu betrachten. Obwohl mich dieses

Gefühl total packte, war ich noch zu der vernünftigen Einsicht fä­

hig, dass ich hier eine innere symbolische Erfahrung machte und

mein Leben nicht tatsächlich in Gefahr war.

Ich schloss die Augen, um herauszufinden, was in meiner Psy­

che vor sich ging. Plötzlich schien es, als würde die Geschichte

lebendig. Ich sah Palenque nicht in Ruinen vor mir liegen, sondern

als blühende, heilige Stadt auf dem Höhepunkt ihres Glanzes. Ich

war Zeuge eines Opferrituals, doch war ich nicht nur Beobachter,

270 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und jenseits

Page 271: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Ameisen der Großen Muttergöttin 271

sondern erlebte mich zugleich als das heilige Opfer. Sofort schloss

sich eine ähnliche Szene an und dann noch eine weitere. Während

ich erstaunliche Einsichten in die präkolumbianische Religion und

die Rolle der Opferrituale in diesem System gewann, schienen sich

meine individuellen Grenzen völlig aufzulösen, und ich fühlte

mich immer stärker verbunden mit allen Geschöpfen, die in Palen­

que im Laufe der Jahrhunderte gestorben waren. Das ging so weit,

dass ich zu diesen Geschöpfen wurde.

Ich erlebte mich als enormes Gefäß, angefüllt mit sämtlichen

Emotionen, die diese Menschen jemals empfunden hatten - Be­

dauern über den Verlust ihres noch jungen Lebens, ängstliche Er­

wartung und eine merkwürdig zwiespältige Einstellung zu ihren

Scharfrichtern, doch auch eine seltsame Hingabe an ihr Schicksal

und sogar Aufregung und neugierige Erwartung auf die Erfahrung,

die ihnen bevorstand. Ich hatte das starke Gefühl, dass man den

Opfern bei den Vorbereitungen auf das Ritual eine bewusstseins­

verändernde Droge gab, durch deren Einnahme ihr Erleben auf

eine andere Ebene rückte.

Ich war fasziniert von der Vielschichtigkeit meines Erlebens

und der Fülle der damit verbundenen Einsichten. Ich sonderte

mich ein wenig ab von den anderen, kletterte auf den Hügel und

legte mich allein vor dem Sonnentempel auf den Boden, um mich

besser auf meine inneren Erfahrungen konzentrieren zu können.

Weitere Szenen aus der Vergangenheit bombardierten mein Be­

wusstsein mit ungewöhnlicher Heftigkeit. Meine Faszination wich

schnell einer tiefen, geradezu metaphysischen Angst. Ich glaubte

laut und deutlich eine Botschaft zu vernehmen: »Du bist an dieser

Stätte nicht als Tourist auf den Spuren der Geschichte, sondern als

heiliges Opfer, wie all die anderen, die hier in der Vergangenheit

geopfert wurden. Du wirst diesen Platz nicht lebend verlassen.«

Ich spürte die überwältigende Präsenz der Gottheiten, die weitere

Blutopfer verlangten, und selbst die Mauern der Gebäude schienen

nach mehr Blut zu dürsten - meinem Blut.

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272 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Ich hatte in meinen psychedelischen Sitzungen auch früher schon

veränderte Bewusstseinszustände erlebt und wusste, dass selbst die

schlimmsten Ängste bei diesen Erfahrungen keine objektiv beste­

henden Gefahren widerspiegeln und sich meist auflösen, sobald

das Bewusstsein zum Normalzustand zurückkehrt. So überzeu­

gend die jetzige Erfahrung sich mir auch präsentierte, ich wollte

glauben, dass sie »einfach war wie alle anderen«. Doch das Gefühl

eines drohenden Verhängnisses wurde immer realer. Ich öffnete die

Augen, und eine grauenhafte Panik erfasste mich: Mein Körper war

über und über bedeckt mit Riesenameisen, die Haut übersät mit

kleinen roten Schwellungen Hunderter von Einstichen. Das hier

fand nicht nur in meiner inneren Welt statt; es geschah wirklich.

Mir wurde klar, dass durch diese unerwartete Komplikation

ein neues Element in meine Erfahrungen kam, das in früheren Sit­

zungen fehlte, sodass meine Ängste in solchen Situationen bislang

nicht wirklich überzeugend geworden waren. Bislang hatte ich be­

zweifelt, dass MDA mich umzubringen vermochte, doch jetzt

wusste ich einfach nicht, was große Giftmengen durch die Bisse

von Hunderten von mexikanischen Riesenameisen bei einem Men­

schen bewirkten, dessen Nervensystem durch MDA bereits stark

aktiviert war. Die Ameisen brachten eine unbekannte Größe in die

Gleichung ein - die chemischen Bestandteile ihres Giftes und seine

Vermischung mit der Substanz, die ich genommen hatte. Ich be­

schloss, aus den Ruinen zu flüchten und mich dem Einfluss der

Gottheiten zu entziehen. Doch hatte sich die Zeit scheinbar derma­

ßen verlangsamt, dass sie fast ganz zum Stillstand gekommen war,

und mein Körper fühlte sich bleischwer an.

Verzweifelt versuchte ich, so schnell zu rennen, wie ich konn­

te, aber ich schien nur wie in Zeitlupe voranzukommen. Ich fühlte

mich wie in einer Baggerschaufel. Die Gottheiten und die Mauern

der Ruinen hatten mich fest im Griff, hielten mich in ihrem Bann

gefangen. Während dieser Ereignisse flimmerten vor meinem inne­

ren Auge weitere Bilder aus der Geschichte von Palenque. Ich

Page 273: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Ameisen der Großen Muttergöttin 273

konnte den Parkplatz mit den Autos der Besucher sehen, von den

Ruinen mit einer dicken Kette abgetrennt. Da lag sie vor mir, die

berechenbare, rationale Welt meiner Alltagswirklichkeit.

Ich konzentrierte mich innerlich auf die Aufgabe, dorthin zu ge­

langen, denn ich hatte das Gefühl, dass mein Leben davon abhing.

Die Absperrungskette kam mir in diesem Augenblick wie die Gren­

ze vor, hinter der die magische Welt der alten Götter und ihr Ein­

fluss endeten. Hatte unsere moderne Welt die Weltreiche, die auf

dem Glauben an diese mythischen Realitäten gründeten, nicht ero­

bert und als unglaubwürdig verworfen?

Meine Annahme erwies sich als richtig. Nach einer Ewigkeit,

wie mir schien, erreichte ich unter enormen Anstrengungen den

Parkplatz. Im selben Augenblick war es, als würde mein ganzes

Wesen - körperlich, psychisch, spirituell - von einer schweren Last

befreit. Ich fühlte mich leicht, ekstatisch, wie neugeboren und pul­

sierend vor überschießender Lebenskraft. Meine Sinne waren wie

gereinigt und weit offen: Der prachtvolle Sonnenuntergang wäh­

rend unserer Rückfahrt, das Abendessen in einem kleinen Restau­

rant, bei dem ich das pulsierende Leben in den Straßen beobachten

konnte, der Geschmack der Fruchtsäfte in den jugerias der Stadt -

all das waren wirklich ekstatische Erlebnisse.

Die Nacht jedoch verbrachte ich überwiegend unter der kalten

Dusche, um die durch die Ameisenbisse hervorgerufenen Schmer­

zen und das Brennen zu lindern. Während die Wirkung des MDA

abklang, bedeckten Hunderte von juckenden, kleinen Stichen mei­

nen Körper und wurden für mich zur vorherrschenden Realität.

Mehrere Jahre später erzählte mir Christian Raetsch, ein deutscher

Freund, bekannter Anthropologe und Ethnobotaniker, der mittel­

amerikanische Kulturen studiert und lange Zeit bei den Lacandon-

Mayas gelebt hatte, dass Ameisen in der Mythologie der Mayas eine

wichtige Rolle spielen und in engem Zusammenhang stehen mit

der Erdgöttin und dem Prozess von Tod und Wiedergeburt.

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274 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Uluru und AlcheringaEin Abenteuer in der Traumzeit

n dieser Geschichte schildere ich einige bemerkenswerte Aben­

teuer in außergewöhnlichen Realitäten, die Christina und ich bei

unserem Besuch in Australien erlebten. Diese Erfahrungen sind

deswegen besonders interessant, weil wir von unabhängiger Seite

eine Bestätigung der neuen Informationen über die archetypische

und rituelle Welt der Aborigines bekamen, die wir beide im holo­

tropen Bewusstseinszustand empfingen - ich in einer psychede­

lischen Sitzung und Christina bei spontanen Erlebnissen, die im

Umfeld ihrer spirituellen Krise auftraten.

Australien hat viele Gesichter, die es zu einem einzigartigen

und bemerkenswerten Land machen - seine isolierte Lage in der

südlichen Hemisphäre, die Weite seiner Wüste in der Mitte des

Landes, der riesige, malerische Ayers Rock mitten im Kontinent

und besonders seine Tierwelt, die in der Welt ihresgleichen sucht

- das Känguru, das Beuteltier, der Beutelteufel (auch Tasmanischer

Teufel genannt), das Schnabeltier und der Ameisenigel, beide aus

der Familie der Kloakentiere. Doch für Anthropologen, Psycholo­

gen und Bewusstseinsforscher sind das Faszinierendste an diesem

Kontinent seine Ureinwohner - die australischen Aborigines.

Dieses bemerkenswerte Volk von Jägern und Sammlern lebt

seit mindestens 50.000 Jahren in Australien und hat sich im We­

sentlichen zusammen mit diesem Kontinent entwickelt. Die Abori­

gines haben sich an die harten Bedingungen ihrer australischen

I

Page 275: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Uturu und Alcheringa 275

Umgebung angepasst, indem sie in halbnomadischen Gruppen le­

ben, die sich äußerlich nicht von den Menschen des Steinzeitalters

unterscheiden. Und doch hatten sie schon immer ein außerordent­

lich reiches Innenleben. Ihre faszinierende rituelle und spirituelle

Welt und ihre komplexe Mythologie sind eng verbunden mit dem

Land, in dem diese Menschen zu Hause sind. Forscherinnen und

Forscher, die mit den Aborigines gelebt und sie studiert haben, be­

richten, dass sie viel Zeit in einem bemerkenswerten Bewusstseins­

zustand verbringen, der bei ihnen alcheringa oder Traumzeit heißt.

Wir haben viele Geschichten über die bemerkenswerten au­

ßersinnlichen Fähigkeiten der Aborigines gehört und gelesen, die

schildern, wie diese Menschen ohne physische Hilfsmittel wie Bo­

ten, Geräusche oder Rauchsignale miteinander kommunizieren

können. Sie können Gedanken, Gefühle und Ideen präzise an

Freunde und Verwandte übermitteln, die sich Hunderte von Mei­

len entfernt befinden. Die intuitive Naturverbundenheit der Abori­

gines ist ebenso erstaunlich. Sie wissen zum Beispiel, wenn einige

Meilen entfernt ein kurzer, lokaler Regenschauer niedergeht - in

der Wüste ein äußerst seltenes Ereignis -, und rennen genau zum

richtigen Zeitpunkt zu diesem Ort, um das kostbare Nass aufzu­

fangen. In anderen Geschichten heißt es, dass sie Verbrechen auf­

klären und Verbrecher identifizieren und aufspüren können sowie

auch verlorengegangenes Vieh und Wertsachen. Auch haben sie

ein unglaubliches Talent, kleine Dinge auf große Entfernungen hin

zu erkennen.

Diese Berichte hatten zusammen mit unserem eigenen Wissen

über die Mythologie, die Bilder und die Musik dieser außerge­

wöhnlichen Menschen ein großes Interesse in uns geweckt, sie ge­

nauer kennenzulernen. Eine erste Gelegenheit dazu bot sich, als

uns unsere Freunde Alf und Muriel Foote einluden, in ihrem Zen­

trum in Blackwood in der Nähe von Melbourne einen Workshop

durchzuführen. Ein weiterer Grund für unseren Besuch war, dass

wir Vorbereitungen treffen wollten für eine Konferenz der »Inter­

Page 276: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

276 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und jenseits

national Transpersonal Association« (ITA), die in Phillip Island

nahe der australischen Küste stattfinden sollte.

Während unseres Aufenthalts in Blackwood erkundigten wir

uns mit unseren Freunden nach Möglichkeiten, Aborigines ken­

nenzulernen und mit ihren Ältesten in Kontakt zu kommen. Das

gestaltete sich viel schwieriger, als wir erwartet hatten. Die Abori­

gines, so fanden wir heraus, waren keine homogene Gruppe. Die

mehreren hunderttausend Aborigines sprechen untereinander über

200 Sprachen. Außerdem verteilen sie sich auf zahlreiche so ge­

nannte »skin groups«, von denen jede ihre eigene Mythologie, Ri­

tuale und strengen Heiratsregeln besitzt. Es war grundsätzlich

schwierig, »kulturelle Vermittler« zu finden, die Kontakte zu den

verschiedenen Aborigine-Gruppen hersteilen. Die wenigen, die wir

fanden, waren sehr bemüht, diese Menschen zu schützen, denn sie

hatten in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit Fremden

gemacht und waren diesen gegenüber sehr auf der Hut.

Wir hatten bereits in Kalifornien beschlossen, bei unserer Rei­

se auch Zentral-Australien zu besuchen und den Ayers Rock - die

einzigartige geologische Formation in der Mitte des Kontinents -,

den die Aborigines Uluru nennen und als ihren »kosmischen Berg«

betrachten. Da all unsere Versuche, brauchbare Kontakte zu knüp­

fen, fehlgeschlagen waren, mussten wir diese Fahrt auf eigene Faust

unternehmen. Wie sich heraussteilen sollte, gestaltete sich unsere

Begegnung mit der Kultur der australischen Ureinwohner völlig

anders, als wir uns das vorgestellt hatten. Sie fand eher in Form

von tiefen inneren Erlebnissen als von äußeren Kontakten statt.

Wir flogen von Melbourne nach Alice Springs, und statt für die

Fahrt zum Ayers Rock ein kleines Flugzeug zu benutzen, beschlos­

sen wir, uns einen Wagen zu mieten. Wir wollten mit der ehrfurcht­

gebietenden roten Wüste, die den größten Teil Australiens aus­

macht, möglichst eng in Kontakt kommen. Die Entfernung

zwischen Alice Springs und Uluru beträgt fast 500 Kilometer, und

die Fahrt bei sengender Hitze dauerte viele Stunden.

Page 277: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Uluru und Alcheringa 277

Die Aborigines nehmen im Wüstengebiet viele interessante Einzel­

heiten wahr und verbinden damit eine Fülle von mythologischen

Geschichten. Sie gehen davon aus, dass bedeutsame Ereignisse

dort, wo sie stattfinden, Vibrationen in der Erde ablagern - ähnlich

wie Pflanzen in ihren Samen ein Bild von sich hinterlassen. Die

Landschaft birgt und reflektiert in ihrer Gestalt neben diesen

Vibrationen, die wie Echos der Ereignisse sind, durch die sie her­

vorgerufen wurden, auch die Fußabdrücke der mythologischen

Wesen, die dabei mitwirkten. Das so entstandene energetische Mus­

ter, guruwari oder auch Kraft des Samens genannt, ist unlösbar mit

der Landschaft verbunden und verleiht ihr eine tiefe mythologische

Bedeutung.

Uns westlichen Beobachtern erscheint die Landschaft zwar

wunderschön und Respekt einflößend, aber auch eintönig. Gele­

gentlich bemerkten wir gebleichte Skelette von Dingos, Kamelen

und anderen Tieren am Straßenrand. Eine weitere willkommene

Ablenkung auf unserer Reise war die Begegnung mit einer riesigen

Waran-Eidechse (Varanus giganteus), die wenige Meter von der

Straße entfernt ein Sonnenbad nahm. Später erfuhren wir, dass das

Fleisch dieser Tiere bei den Aborigines als Delikatesse gilt.

Ayers Rock oder der Uluru ist der weltweit größte Monolith

und von fast ovaler Form. Dieses spektakuläre Sandsteingebilde

von etwa 10 Kilometern Durchmesser thront auf einer roten Wüs­

te, die sich über Hunderte von Kilometern erstreckt. Es gilt als

Gipfel eines Berges, der unter der Erdoberfläche kilometerweit ver­

läuft. Als wir nach vielen Stunden Fahrt durch die Wüste erschöpft

dort ankamen, entdeckten wir zu unserer großen Freude nur etwa

200 Meter von dem majestätischen Monolithen entfernt ein kleines

Motel. Wir mieteten uns dort ein Zimmer und beschlossen, noch

einen Spaziergang zu machen, um einen ersten Eindruck von un­

serer Umgebung zu gewinnen.

Die Sonne ging gerade unter, und wir liefen weit in die Wüste,

um eine gute Aussicht auf den Berg zu haben. In einiger Entfer­

Page 278: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

278 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

nung vom Motel bot das Panorama von Uluru, der mit seinem

kräftigen Orange einen scharfen Kontrast zum tiefblauen Himmel

bildete, einen absolut zauberhaften Anblick. Es ist bekannt, dass

dieses Naturwunder bei Sonnenauf- und -Untergang in seiner

ganzen atemberaubenden Schönheit erstrahlt. Das Motel an die­

sem verheißungsvollen Ort bot den perfekten Rahmen für eine

psychedelische Erfahrung. Ich hatte noch etwas LSD bei mir, das

von meinen Forschungen in der (damaligen) Tschechoslowakei

übriggeblieben war, wo ich als leitender Forscher ein Programm

für psychedelische Forschung durchgeführt und unbegrenzt Zu­

gang zu dieser Substanz hatte.

Obwohl ich nach der langen Fahrt durch die Wüste etwas

müde war, beschloss ich, diese einzigartige Gelegenheit zu nutzen

und mich auf eine innere Reise zu begeben. Christina, die zu der

Zeit in Folge ihres Kundalini-Erwachens sehr offen war und viele

spontane innere Erlebnisse hatte, wollte sich mir bei diesem Aben­

teuer nicht anschließen. Sie bot mir an, ich könne sie wecken,

wenn ich jemanden brauchen sollte, der »meine Drachenschnur

festhielt«, wie wir das nannten. Ich nahm 400 Mikrogramm LSD

und machte es mir auf meinem Motelbett bequem.

Nachdem ich etwa 45 Minuten still meditiert hatte, begann die

Substanz zu wirken, und mein Bewusstseinszustand durchlief sehr

rasche und tiefe Veränderungen. Ich hatte das Gefühl, innerlich

schnell in die Traumzeit und zum Anfang der Welt befördert zu

werden. Ich besaß einige flüchtige Kenntnisse der australischen

Mythologie, doch was ich hier innerlich vor mir sah, überstieg al­

les, was ich jemals darüber gelesen oder gehört hatte. Und doch

zweifelte ich nicht im Geringsten daran, dass meine Erfahrungen

im mythischen Reich der Aborigines absolut authentisch waren.

Ich sah die Erdoberfläche, flach, nichtssagend und ohne be­

stimmte Merkmale, auf der viele mythische Gestalten von sehr un­

terschiedlicher Gestalt eintrafen. Sie sangen mysteriöse Lieder und

Page 279: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Uluru und Alcheringa 279

schienen mit ihren Gesängen die Landschaft zu formen und Felsen,

Berge, Täler und Wasserlöcher ins Leben zu rufen. Einige von

ihnen waren von menschlicher Gestalt, manche sahen aus wie

Schlangen oder andere Tiere. Unter ihnen befanden sich mehrere

riesige, menschenähnliche Geschöpfe, die meine besondere Auf­

merksamkeit erregten. Ich hatte nie zuvor gehört, dass es in der

Mythologie der Aborigines auch Riesen gab.

Anfangs spielte ich die Rolle des Beobachters und war ledig­

lich Zeuge dieser phantastischen Aufführung von Szenen aus der

Traumzeit. Plötzlich aber veränderte sich das: Die Bewohner der

Welt der Traumzeit wandten sich jetzt gegen mich, weil sie in mir

einen unwillkommenen Eindringling sahen. Sie drohten mich zu

vernichten und forderten mich auf, ihnen die Gründe für mein

verwegenes Eindringen darzulegen. Ich erklärte ihnen, ich sei mit

viel Respekt und Demut und in freundlicher Absicht zu ihnen

gekommen - der einzige Beweggrund meines Kommens sei die

Suche nach Wissen. Nachdem die mythischen Wesen mich dieser

strengen psychologischen und spirituellen Prüfung unterzogen

hatten, erlaubten sie mir schließlich den Zugang zu ihrem Reich

Einzige Bedingung war, dass ich mich den hier herrschenden Re­

geln vollständig unterwarf.

Nachdem ich diesen schwierigen Engpass überwunden hatte,

konnte ich meine Reise durch das Große Träumen (oder die Traum­

zeit) ungehindert fortsetzen. Vor meinen Augen erhob sich aus

dem Urgrund aller Existenz die majestätische Masse des Uluru, der

irgendwo jenseits von Zeit und Raum, wie wir sie kennen, existierte.

Hier war er nicht die anorganische geologische Masse, als die er in

unserer Welt erscheint, sondern ein riesiges, kriechendes Geschöpf,

ein erschreckendes, monströses Reptil. Als es sein gewaltiges Maul

öffnete, hörte ich ohrenbetäubende Donnerschläge und konnte in

seinen Rachen blicken. Er war gefüllt mit einer Substanz, die stru­

delndem, vulkanischem Magma glich, und die das Tier von Zeit zu

Zeit in riesigen Mengen ausspie.

Page 280: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

28o Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Doch wenn ich das Racheninnere dieses Tieres mit vulkanischem

Magma vergleiche, beschreibe ich diese mysteriöse Substanz nur

äußerlich. Wie auch heiße Lava besaß sie das Potenzial, zu zerstö­

ren oder zu erschaffen, jedoch auf einer viel tieferen und breiteren

Skala. Es handelte sich hier offensichtlich um die archetypische

Substanz, die allen vulkanischen Aktivitäten zugrundeliegt. Wie

die ursprüngliche Materie der Alten Griechen, hyle, oder die prima

materia der Alchimisten war sie das universelle Prinzip von Schöp­

fung und Zerstörung. Während ich dieses ehrfurchtgebietende

Schauspiel betrachtete, hatte ich das Gefühl, Zeuge des höchsten

Mysteriums des Kosmos’ zu sein.

Und bevor ich mich von dieser erschütternden Begegnung mit

dem ursprünglichen Uluru erholt hatte, stand schon ein weiteres

riesiges Geschöpf vor mir: die Große Muttergöttin in Gestalt eines

weiblichen Kängurus. Plötzlich bemerkte ich, dass ich zum win­

zigen Kängurufötus in ihrem Schoß geworden war und meine Ge­

burt erlebte. Die Reise durch den Geburtskanal verlief im Vergleich

zu meiner menschlichen Geburt, wie ich sie in früheren psychede­

lischen Sitzungen erlebt hatte, relativ leicht.

Die folgende Klettertour zu ihrem Beutel und der Kampf um

ihre nährenden Zitzen jedoch waren eine extreme Feuerprobe und

ein wirklicher Übergangsritus. Diese Reise war dermaßen anstren­

gend, dass ich mehrmals das Gefühl hatte, das Ziel nie zu erreichen

und auf dem Weg dorthin zu sterben. Doch schließlich kam ich an,

und die nährende Milch, die in Strömen aus der Brustwarze der

Großen Mutter Känguru floss, schmeckte wie Ambrosia und ließ

mich die Härten meiner aufreibenden Reise vergessen. Dieses eks­

tatische Einssein mit der Känguru-Gottheit war meine letzte wich­

tige Erfahrung in dieser Sitzung.

Die Morgendämmerung brach schon an, und Christina wachte auf,

neugierig auf die Abenteuer, die ich auf meiner nächtlichen Reise

erlebt hatte. Ich erzählte ihr kurz einige Höhepunkte meiner Er­

Page 281: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Uluru und Alcheringa 281

fahrung, und dann beschlossen wir, den Ayers Rock zu besteigen,

um uns von dort oben den Sonnenaufgang anzuschauen und die

Aussicht auf die umliegende Wüste zu genießen. Der Weg war

ziemlich steil, und wir mussten uns immer wieder an den Ketten

festhalten, die man hier für Besucher angebracht hatte. Als wir etwa

ein Drittel der Strecke zum Gipfel zurückgelegt hatten, schlug das

Wetter plötzlich um, und immer wieder erfassten uns heftige

Windböen.

Christina hatte plötzlich das Gefühl, dass sie vor einem un­

durchdringlichen Kraftfeld stand und ihre Klettertour nicht fort­

setzen konnte. Es war, als wollten unsichtbare Hände sie vom Fel­

sen schieben. Sie beschloss, sich zu fügen, zum Fuß des Berges

zurückzukehren und dort auf mich zu warten. Ich jedoch war noch

nicht wieder ganz zu meinem gewöhnlichen Bewusstseinszustand

zurückgekehrt und verspürte große Entschlossenheit, meinen Auf­

stieg fortzusetzen und den Gipfel zu erklimmen. Während ich ge­

gen den Wind ankämpfte, empfing ich aus einer unbekannten

Quelle die Botschaft, dass das Besteigen des Felsens bei den Abori­

gines als besonderes Privileg galt, ich mir aber mit dem Übergangs­

ritus, dem ich mich die Nacht zuvor unterzog, das Recht auf diesen

Aufstieg erworben hatte.

Die Aussicht auf die weite Wüste, von der aufgehenden Sonne

in orangerotes Licht getaucht, war umwerfend. Mehrere Touristen

erreichten nach mir den Gipfel. Sie fotografierten sich und unter­

hielten sich dabei mit lauten Stimmen. Unter ihnen befand sich

eine Frau, die ein T-Shirt mit der stolzen Aufschrift trug: »Ich habe

Ayers Rock bestiegen.« Ich hielt mich nicht sehr lange dort oben

auf und begann mit dem Abstieg, denn ich wollte mit Christina

Zusammensein und sehnte mich nach Stille, um über das Erlebte

nachzudenken. Ich fand Christina unten in einer kleinen Höhle,

tief in Meditation versunken.

Sie erzählte mir, sie habe, innerlich sehr offen und empfäng­

lich wie sie war, eigene tiefe Erfahrungen gemacht und rituelle Mu­

Page 282: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

282 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

sik und Gesänge gehört. Sie hatte sich gefragt, ob sie von einer

corroboree, einer Zeremonie der Aborigines, stammten, und war in

die Richtung gegangen, aus der die Töne zu kommen schienen,

um das herauszufinden. Aber da waren nirgendwo Aborigines.

Christina zeigte mir einige besondere Plätze, die sie für Ritualstät­

ten hielt. Später fanden wir im Motel heraus, dass die Aborigines

hier in der Gegend, seitdem der Uluru zur Touristenattraktion

geworden war, keine Zeremonien mehr abhielten. Diese Situation

blieb bestehen bis zum Oktober 1985, als die Aborigines den

Rechtsanspruch auf das Land erhielten, auf dem Uluru steht.

Christina waren, während sie auf mich wartete, auch einige

interessante Einsichten in Bezug auf die Erfahrungen gekommen,

die sie bei ihrem Aufstieg machte. »Ich verstehe jetzt, warum ich

den Felsen nicht besteigen konnte«, erklärte sie. »Für die Abori­

gines war der Gipfel ein Platz für männliche Initiationsrituale, zu

denen Frauen keinen Zugang hatten. Ich empfing eine eindeutige

Botschaft: ›Du bist eine Frau. Du hast hier nichts zu suchen.‹« Wir

beschlossen, den restlichen Tag damit zu verbringen, um Ayers

Rock herumzufahren und mit Hilfe des kleinen Reiseführers, den

wir im Motel erwarben, die Umgebung zu erkunden. Wir brachen

also auf und hielten häufig, um staunend die köstlichen Wunder­

werke der Natur zu betrachten.

Es war verständlich, dass Uluru die Imagination der Abori­

gines so eindringlich und tief beschäftigt hatte. Die Oberfläche des

riesigen Felsens war stark verwittert zu einer Fülle von bizarren

Kliffs und tiefen Höhlen. Durch die Launen des Wetters hatten sich

aus der oberen Schicht des weichen Sandsteins unzählige, phan­

tastische Formationen gebildet. Unser Reiseführer enthielt genaue

Beschreibungen der wichtigsten Strukturen in der Felsoberfläche

sowie der Mythen, die für die Aborigines damit verbunden waren.

Diese Mythen verzeichneten jede dieser deutlich sichtbaren For­

menkombinationen und erzählten, wie sie durch ein Ereignis in

der Traumzeit entstanden waren. Staunend stellten wir fest, dass

Page 283: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Uluru und Alcheringa 283

diese kleine Broschüre viele der Informationen bestätigte, zu denen

wir durch unsere inneren Erfahrungen in der letzten Nacht und am

frühen Morgen dieses Tages Zugang bekommen hatten.

Hier stand, dass die Mitglieder der Stämme dieser Gegend, die

Pitjantjatjara und Yankunytjatjara, auch als Anangu bekannt, den

Uluru als riesiges, urwüchsiges Reptil darstellten, welches das Prin­

zip von Schöpfung und Zerstörung verkörperte. Unter den Gestal­

ten, die in der Traumzeit auftauchten, waren auch fast drei Meter

große Riesen, genauso, wie ich sie in meiner Sitzung gesehen hatte.

Der Aufstieg zum Uluru war ein jährliches Ritual und eine Ehre,

die nur ausgewählten Stammesmitgliedern zuteil wurde. Eine der

Höhlen, die wir bei unserer Rundtour um den Felsen sahen, hatte

als Initiationshöhle für Übergangsriten gedient und trug den Na­

men »Känguru-Beutel«. Die Broschüre bestätigte darüber hinaus

Christinas Vermutungen: Die Plätze, an denen sie Musik und Ge­

sänge gehört hatte, waren zeremonielle Stätten, an denen die Abo­

rigines heilige Rituale durchführten. Auch die Plätze für männliche

Initiationsriten, die für Frauen verboten waren, hatte Christina

richtig geortet.

Ich dachte über die Touristen nach, die in Bussen hierher ka­

men. Für sie war Uluru lediglich eine Sehenswürdigkeit und sein

Besteigen eine sportliche Übung. Vor allem fragte ich mich, was in

der jungen Frau mit der triumphierenden Aufschrift auf dem T-

Shirt vorgegangen war, der ich oben auf Uluru begegnete. Ihr

schien nicht weiter schwerzufallen, was Christina unmöglich war.

Sie konnte sich dort oben bewegen, ohne dass sie von den uralten

Tabus auch nur etwas ahnte. Doch nicht der Wind, mangelnde

körperliche Kräfte oder fehlender Mut hinderten Christina, die

durch jahrelanges Hatha Yoga abgehärtet war, den Aufstieg fortzu­

setzen, sondern etwas viel Mysteriöseres, Tieferes.

In ihrem außergewöhnlichen Bewusstseinszustand, der ihre

übersinnlichen Wahrnehmungskräfte verstärkte und ihr bemer­

kenswerte Einsichten in die heiligen Stätten dieses Ortes verschaff­

Page 284: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

te, war sie offenbar auch empfänglich für die Tabus, die für die

Eingeborenen dieses Landes Gebote darstellten. Es war ganz offen­

sichtlich so, dass die industriellen Zivilisationen die intuitiven Fä­

higkeiten ihrer Mitglieder verkümmern lassen, sodass sie blind

werden für die verborgenen Dimensionen der Wirklichkeit. Sie

waren immun geworden gegen die numinösen Aspekte der Exis­

tenz. Wenn wir spontan in außergewöhnliche Bewusstseinszustän­

de gelangen oder uns diese Zustände durch bewusstseinsverän­

dernde Techniken erschließen, lüftet sich der Schleier, und wir

öffnen uns für Realitäten, die für uns normalerweise nicht sicht-

und hörbar sind.

Für unsere Rückkehr nach Alice Springs nahmen wir eine andere

Strecke und verbrachten die Nacht in einer der Farmen, die in der

Wüste liegen. Als wir Uluru verließen, war Christina innerlich

noch immer tief mit ihren Erfahrungen beschäftigt. Wir gingen da­

von aus, dass der Einfluss, den dieser Kraftplatz auf sie hatte, sich

mit zunehmender Entfernung davon abschwächen würde. Aber

das war nicht der Fall. Im Rückspiegel unseres Wagens wurde der

orangerote Felsen immer kleiner, um schließlich ganz zu ver­

schwinden. Doch auf Christinas Zustand schien das keine wahr­

nehmbaren Auswirkungen zu haben.

Der Bann, in den Christina vom Uluru gezogen worden war,

brach schließlich, als wir in Collin Springs eintrafen, einer kleinen

Oase in der Wüste, wo wir Halt machten, um kalte Getränke und

ein paar Snacks zu kaufen. Als wir uns auf dem Gelände die Füße

vertraten, entdeckten wir die Vögel, die der Besitzer des Anwesens

hielt. Die meisten saßen in einem großen Käfig, doch mehrere

Pfauen liefen frei auf dem Grundstück herum. Christina staunte

und wurde beim Anblick der Tiere ganz aufgeregt. Der Anblick

von Pfauen mitten in der australischen Wüste war nicht nur ziem­

lich ungewöhnlich, sondern diese Vögel waren auch von großer

Bedeutung für Christinas spirituelle Reise.

284 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Page 285: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Uluru und Alcheringa 285

Bei den meisten ihrer wichtigsten und tiefsten inneren Erfahrungen

waren Pfauen ein zentrales Element gewesen, und die mit diesen

Tieren verbundene Symbolik tauchte oft in den Bildern auf, die sie

malte. Außerdem war der Pfau ein wichtiges Symbol des Siddha

Yoga, Christinas primärer spiritueller Disziplin. Wie bereits in der

Geschichte auf Seite 69 f. erwähnt, benutzte ihr Lehrer, Swami

Muktananda, oft einen mit Pfauenfedern geschmückten und mit

Sandelholzöl parfümierten Stab, um Shaktipal zu geben, das heißt,

seinen Schülerinnen und Schülern spirituelle Energie zu übertra­

gen und sie zu aktivieren.

Christina beschloss, Brot zu kaufen und die Pfauen damit zu

füttern. Den Vögeln bewusst und meditativ Brot zu reichen, gab ihr

das Gefühl, sich an ihre eigene spirituelle Tradition anzuschließen:

ihren Lehrer, Siddha Yoga, Indien und alles, was für sie damit ver­

bunden war. Gleichzeitig half ihr dieses kleine Ritual offensichtlich,

in ihren gewöhnlichen Bewusstseinszustand zurückzukehren und

ihre Reise in die Welt der Aborigines abzuschließen.

Wir verbrachten die Nacht auf einer gastfreundlichen Ranch in

der Wüste, die für ihre Gäste einen Swimmingpool mit warmem

Wasser hatte und ihnen zum Abendessen Grillgerichte servierte.

Zu meiner großen Freude entdeckte ich auf der Speisekarte die

gegrillten Larven des Holzbohrers (Schmetterlingsart, Anm.d.Ü.),

eine Delikatesse der australischen Aborigines, auf die ich neugierig

war und die ich gern probieren wollte. Das war das Ende meiner

Reise in die Traumzeit, das sich weniger spektakulär und spirituell

gestaltete als Christinas Pfauen-Ritual. Am nächsten Tag kehrten

wir nach Alice Springs zurück und landeten wieder in der »großen,

weiten Welt«, wie wir unsere moderne, technologische Gesellschaft

in Zeiten unserer inneren Forschungsreisen humorvoll nannten.

Page 286: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

286 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Versuchungen eines nicht lokalen Universums

Ein fehlgeschlagenes Experiment

mit astraler Projektion

Eines der ungewöhnlichsten Bewusstseinsabenteuer, das ich im

Laufe meiner über 50-jährigen inneren Forschungsreise erlebte,

war eine tiefe Erfahrung mit dem Phänomen, das in der spiritu­

ellen Literatur (und auch in diesem Buch auf Seite 226) als astrale

Projektion bezeichnet wird. Sie trat auf in einer psychedelischen Sit­

zung mit hoher Dosierung, die ich 1967 in der Forschungsabtei­

lung des Spring-Grove-State-Hospitals machte, die später in das

neue Maryland-Psychiatric-Research-Center umzog, das auf dem­

selben Gelände in Baltimore errichtet wurde. Wie ich bereits er­

wähnte, ermöglichte eines der hier durchgeführten Forschungs­

programme Psychiatern, Psychologen und anderen Fachkräften im

psychischen Gesundheitswesen, für Ausbildungszwecke bis zu

drei psychedelische Sitzungen mit hoher Dosierung zu nehmen.

Kurz nachdem ich in den Vereinigten Staaten eintraf und Mitglied

der Belegschaft wurde, beschloss ich, diese einzigartige Gelegen­

heit für mich zu nutzen.

Die Studien in Spring Grove beruhten auf einer Methode, die

wir als »psychedelische Therapie« bezeichnen. Dabei verabreichte

man den Probanden eine hohe Dosis LSD (400 bis 600 Mikro­

gramm) und legte ihnen eine Augenbinde und Kopfhörer an, da­

Page 287: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Versuchungen eines nicht lokalen Universums 287

mit sie sich ganz auf ihre inneren Erfahrungen konzentrierten. Eine

alternative Methode, die psycholytische Therapie, vor allem von eu­

ropäischen Therapeutinnen und Therapeuten praktiziert, bestand

aus einer Reihe von Sitzungen mit psychedelischen Substanzen in

niedrigerer Dosierung.

Die Experimentteilnehmer standen während der Sitzungen

unter ständiger Supervision eines männlich-weiblichen Zweier­

teams, bestehend aus einem Therapeuten und einer Kranken­

schwester. Eine mehrstündige Vorbereitungssitzung diente vor

allem dem Zweck, eine gute Verbindung und Arbeitsbeziehung

zwischen dem Klienten, seiner Betreuerin und seinem Betreuer zu

schaffen. Meine Begleiter waren der Psychologe Sandy Unger, der

die Spring-Grove-Studien entwickelt und geplant hatte, und Nan­

cy Jewell, eine Krankenschwester in den mittleren Jahren, die aus

dem baptistischen Süden der USA kam und eine warme, mütter­

liche Ausstrahlung hatte.

Wie ich erwartet hatte, ging die Erfahrung sehr tief. Die dabei ver­

wendete Dosis von 400 Mikrogramm entsprach dem, was psyche­

delische Therapeuten ganz richtig als »single overwhelming dose«

(einmalige hohe Dosierung, Anm.d.Ü.) bezeichnen. Und doch un­

terschieden sich meine Erfahrungen in den ersten Stunden nicht

von denen, die ich bei meinen früheren Prager Experimenten ge­

macht hatte. Aber irgendwann in der zweiten Hälfte dieser Sitzung

geriet ich in einen sehr seltsamen, ungewöhnlichen inneren Zu­

stand. Er war geprägt von heiterer Gelassenheit, Seligkeit und na­

iver Einfachheit, vermischt mit Ehrfurcht vor dem Mysterium der

Existenz. Was ich da erlebte, so mein Gefühl, ähnelte den Erfah­

rungen, welche die ersten Christen gemacht haben mussten.

In dieser Welt waren Wunder möglich, akzeptabel und sogar

plausibel. Ich begann in diesem inneren Zustand über das Wesen

und den Ursprung von Zeit und Raum und die damit verbundenen

Rätsel und Paradoxe nachzudenken, zum Beispiel das Mysterium

Page 288: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

von Ewigkeit und Unendlichkeit. Ich musste lachen, als ich daran

dachte, dass ich einmal geglaubt hatte, die lineare Zeit und der

dreidimensionale Raum seien absolute und zwingende Dimensi­

onen der Wirklichkeit. Jetzt war für mich ziemlich offensichtlich,

dass es im Reich des Geistes keinerlei Grenzen gab, und Zeit und

Raum willkürliche Konstrukte der Psyche waren.

Plötzlich wurde mir klar, dass ich durch die Grenzen von Zeit

und Raum nicht gebunden war und mich im Raum-Zeit-Kontinu-

um frei und unbehindert bewegen konnte. Dieses Gefühl war so

überzeugend und überwältigend, dass ich es mit einem Experi­

ment testen wollte. Ich beschloss, herauszufinden, ob ich in die

Tausende von Kilometern entfernte Prager Wohnung meiner Eltern

reisen konnte. Nachdem ich die Richtung bestimmt und die Ent­

fernung abgeschätzt hatte, stellte ich mir vor, wie ich zu meinem

Zielort flog. Mit enormer Geschwindigkeit bewegte ich mich durch

den Raum, kam aber zu meiner Enttäuschung nirgendwo an.

Ich konnte nicht verstehen, warum das Experiment nicht

klappte, denn das Gefühl, dass solche Raumreisen möglich sein

mussten, war sehr überzeugend. Plötzlich realisierte ich, dass ich

noch immer unter dem Einfluss meiner alten Vorstellungen von

Raum und Zeit stand. Ich dachte weiterhin in Begriffen wie Rich­

tung und Entfernung und ging entsprechend an die Aufgabe heran.

Die richtige Methode - so erkannte ich - bestand darin, mir selbst

klarzumachen, dass der Ort, an dem meine Sitzung stattfand, tat­

sächlich identisch mit meinem Zielort war. Ich sagte zu mir: »Dies

ist nicht Baltimore, dies ist Prag. Direkt hier und jetzt befinde ich

mich in der Wohnung meiner Eltern in Prag.«

Als ich so an die Sache heranging, erlebte ich merkwürdige

und bizarre Dinge. Ich befand mich an einem seltsamen Ort, voll­

gestopft mit Kabeln, Röhren, Drähten, elektrischen Widerständen

und Kondensatoren. Nach einer kurzen Phase der Verwirrung be­

griff ich, dass mein Bewusstsein in dem Fernsehapparat einge­

schlossen war, der in der Wohnung meiner Eltern in einer Zim­

288 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

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Versuchungen eines nicht lokalen Universums 289

merecke stand. Ich bastelte am Lautsprecher und an der Bildröhre

herum, damit ich sie zum Hören und Sehen benutzen konnte.

Nach einer Weile musste ich lachen, denn mir wurde klar: Dieses

Experiment war ein symbolischer Witz, der mich humorvoll da­

raufhinweisen sollte, dass ich in Bezug auf Raum, Zeit und Materie

immer noch in meinen alten Überzeugungen befangen war.

In meiner Vorstellungswelt war die Fernsehtechnik das einzige

Medium, um Dinge an entfernten Orten erleben zu können. Nur

in der Form konnte mein Verstand das akzeptieren. Natürlich stell­

te die Geschwindigkeit der dabei entstehenden elektromagne­

tischen Wellen für diese Form der Übermittlung eine Einschrän­

kung dar. Dem menschlichen Denken und Bewusstsein jedoch

waren selbst durch die Lichtgeschwindigkeit keine Grenzen aufer­

legt. Im selben Augenblick, wo ich erkannte und glauben konnte,

dass mein Bewusstsein sämtliche Grenzen welcher Art auch immer

zu überwinden vermochte, änderte sich meine Erfahrung drama­

tisch. Der Fernseher stülpte sich nach außen wie ein dreidimensio­

nales Möbiusband (ein dreidimensionales Objekt, das keine Rück­

seite hat, Anm.d.Ü.), und ich spazierte in das Prager Wohnzimmer

meiner Eltern.

An diesem Punkt spürte ich die Wirkung der Droge überhaupt

nicht, und die Situation war für mich ebenso real wie jede andere

in meinem Leben auch. Die Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern

stand halb offen. Ich warf einen Blick hinein und sah die beiden in

ihren Betten liegen und hörte sie atmen. Ich trat ans Wohnzimmer-

fenster und schaute hinaus. Die Uhr an der Straßenecke zeigte

sechs Zeitstunden Differenz zu der Zeit in Baltimore, wo dieses Ex­

periment stattfand. Obwohl ich damit den tatsächlichen Zeitunter­

schied zwischen den beiden Zonen vor Augen hatte, überzeugte

mich das nicht als Beweis dafür, dass meine Erfahrung real war. Da

mein Verstand von dieser Zeitverschiebung wusste, konnte ich mir

dieses Detail in meinem Kopf selbst zusammengebastelt haben. Ich

legte mich im Wohnzimmer aufs Sofa, um über meine Erfahrung

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290 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und jenseits

nachzudenken. Mir war klar, dass es sich hier um dasselbe Sofa

handelte, auf dem ich vor meiner Abreise in die Vereinigten Staaten

meine letzte psychedelische Sitzung erlebte. Kurz davor hatten die

tschechischen Autoritäten meinen Antrag auf eine Reise dorthin,

wo man mir ein Stipendium angeboten hatte, abgelehnt. Als ich

meine letzte Sitzung in Prag machte, wartete ich auf die Antwort

der Behörden bezüglich meines gegen diese Ablehnung eingelegten

Widerspruchs. In dem Augenblick, wo mir das einfiel, stieg plötz­

lich eine überwältigende Welle von Angst in mir hoch.

Mit großer Wucht und Überzeugungskraft kam mir ein alar­

mierender Gedanke: Vielleicht hatte ich ja die Tschechoslowakei

nie verlassen und beendete gerade meine psychedelische Sitzung

in Prag. Vielleicht waren die positive Antwort auf meinen Wider­

spruch, meine Reise in die Vereinigten Staaten, die Zusammenarbeit

mit dem Team in Baltimore und die psychedelische Sitzung dort ja

nur eine visionäre Reise, ein illusorisches Produkt meines starken

Wunschdenkens. Ich war gefangen in einer tückischen Schleife, in

einem raum-zeitlichen Teufelskreis - unfähig, meine realen histo­

rischen und geographischen Koordinaten bestimmen zu können.

Lange hatte ich das Gefühl, zwischen zwei Realitäten festzu­

hängen, die beide gleich überzeugend waren. Ich hätte nicht sagen

können, ob ich in meiner Sitzung in Baltimore eine astrale Projek­

tion auf Prag erlebte, oder in Prag aus einer Sitzung zurückkam, in

der ich eine Reise in die Vereinigten Staaten erlebt hatte. Mir fiel

der chinesische Philosoph Chuang Tzu ein, der aus einem Traum

erwachte, in dem er ein Schmetterling gewesen war. Eine Zeitlang

konnte er nicht sagen, ob er ein Mensch war, der gerade geträumt

hatte, ein Schmetterling zu sein, oder ein Schmetterling, der träum­

te, ein Mensch zu sein.

Ich brauchte weitere überzeugende Beweise, um die Frage be­

antworten zu können, ob das, was ich erlebte, im üblichen Sinne

»objektiv real« war. Schließlich beschloss ich, einen Test zu ma­

chen - ich würde ein Bild von der Wand nehmen und später meine

Page 291: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Versuchungen eines nicht lokalen Universums 291

Eltern fragen, ob zu diesem Zeitpunkt in ihrer Wohnung etwas Un­

gewöhnliches passiert sei. Ich streckte die Hand nach dem Bild aus,

aber bevor ich den Rahmen berühren konnte, packte mich das

alarmierende Gefühl, dass ich mich hier auf ein höchst riskantes

und gefährliches Unternehmen einließ. Plötzlich fühlte ich mich

attackiert von bösen Mächten und bedrohlicher, schwarzer Magie.

Mir war, als sei ich im Begriff, einen Schritt zu tun, der so gewagt

war, dass ich damit meine Seele aufs Spiel setzte.

Ich hielt inne und bemühte mich verzweifelt, zu verstehen,

was da vor sich ging. Bilder der berühmtesten Casinos der Welt

blitzten vor meinen Augen auf - Monte Carlo, der Lido in Venedig,

Las Vegas, Reno. Ich sah Roulettekugeln mit schwindelerregender

Schnelligkeit kreisen, sah, wie sich die Hebel der Spielautomaten

hektisch auf und ab bewegten und Würfel auf den grünen Filzbe­

lag eines Spieltisches rollten. Gruppen von Bakkarat-Spielern beo­

bachteten die auf den Lottotafeln aufflackernden Zahlen und ver­

teilten fieberhaft ihre Karten. Ich spürte die Verlockungen von

Reichtum, Luxus und der grenzenlosen Möglichkeiten, die Geld

uns bieten kann.

Dann sah ich vor meinem inneren Auge Versammlungen von

geheimen Organisationen, die hinter dem Vorhang die Geschichte

der Menschheit lenkten, internationale Gipfeltreffen von Staats­

oberhäuptern, Konferenzen von mächtigen Politikern und den

Vertretern von multinationalen Konzernen, Innenansichten von

militärischen Kommandozentralen und den Denkfabriken der

Spitzenwissenschaftler. Diesmal winkten eher die Verlockungen

von Macht als die von Reichtum, doch waren sie ebenso verführe­

risch und berauschend. Dabei fiel mir Goethes Faust ein - der Su­

cher, der seine Seele für grenzenlose Möglichkeiten verkauft. Der

Gedanke an ihn verfolgte mich regelrecht.

Verzweifelt versuchte ich herauszufinden, warum es mir so ab­

grundtief gefährlich vorkam, die Grenzen von Zeit und Raum zu

überwinden. Und mit einem Mal stand mir mein eigenes Vorurteil

Page 292: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

absolut klar und deutlich vor Augen. Die Bilder sollten mir zeigen,

dass ich meinen Egoismus noch nicht überwunden hatte und dass

ich den Verlockungen von Geld und Macht nicht widerstehen

konnte. Die Versuchung, paranormale Fähigkeiten für meine per­

sönlichen Ziele zu nutzen und Missbrauch zu betreiben mit dem

gerade entdeckten Potenzial - das war das eigentlich Gefährliche

an dieser Situation.

Wenn ich die Grenzen eroberte, die Zeit und Raum uns aufer­

legten, würden mir auch grenzenlose finanzielle Mittel zufließen

und ich könnte alles erwerben, was mit Geld zu kaufen war. Ich

müsste dann lediglich ins nächste Casino, in die nächste Börse oder

in die nächste Lottoannahmestelle gehen. Ich hätte Zugang zu

grenzenlosen Ressourcen, und meine Welt wäre ein einziges Füll­

horn voll überquellender Möglichkeiten. Wenn ich die Herrschaft

über Zeit und Raum gewann, gab es für mich keine Geheimnisse

mehr. Ich könnte dann den Gipfeltreffen politischer Führungskräf­

te lauschen und hätte Zugang zu hochgeheimen Entdeckungen.

Ich könnte das Weltgeschehen in einem Maße mitbestimmen, wie

ich es mir bislang nicht einmal erträumt hatte.

Ich erinnerte mich an spirituelle Schriften, in denen die Auto­

ren davor warnen, mit übernatürlichen Kräften herumzuspielen,

bevor wir die Grenzen überwunden haben, die unser Ego uns auf­

erlegt, und spirituell gereift sind. Plötzlich wusste ich genau, was

sie damit meinten. Doch meine Angst vor den ethischen Konse­

quenzen meiner spirituellen »Unreife« war nur ein Teil des Bildes.

Mir wurde klar, dass ich auch in Bezug auf das Ergebnis meines

Tests höchst ambivalente Gefühle hatte. Zwar schien mir die Mög­

lichkeit, mich aus der Sklaverei von Zeit und Raum zu befreien,

äußerst verlockend. Doch andererseits war klar, dass ein positives

Ergebnis dieses Experiments weitreichende und schwere Konse­

quenzen haben würde. Es ging hier eindeutig um weit mehr als um

ein isoliertes Experiment, mit dem ich den Beweis erbrachte, dass

Raum und Zeit willkürliche Phänomene waren.

292 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Page 293: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Versuchungen eines nicht lokalen Universums 293

Wenn ich die Bestätigung erhielte, dass es möglich ist, die phy­

sische Umgebung über eine Entfernung von Tausende von Kilome­

tern hinweg zu manipulieren, würde in Folge dieses einen Experi­

ments mein ganzes Universum zusammenbrechen. Die Welt, wie

ich sie bislang kannte, würde aufhören zu existieren. Alle Landkar­

ten, auf die ich mich bislang verlassen und mit denen ich mich in

dieser Welt zu Hause gefühlt hatte, würden ungültig werden, was

mich in einen Zustand äußerster metaphysischer Verwirrung stür­

zen würde. Ich würde nicht mehr wissen, wer und wo ich wann

war, und herumirren in einer total neuen, beängstigenden Wirk­

lichkeit, deren Gesetze mir fremd und unheimlich waren. Und

wenn ich diese Kräfte besaß, verfügten wahrscheinlich auch viele

andere darüber. Es gäbe für mich keine Privatsphäre mehr, Türen

und Wände würden mich nicht mehr schützen. Meine neue Welt

wäre voll potenzieller, unberechenbarer Gefahren von unvorstell­

baren Ausmaßen.

Ich sah mich außerstande, dieses Experiment bis zum Ende

durchzuführen, und beschloss, die Frage nach der Objektivität

und Realität dieser Erfahrung offen zu lassen. So konnte ich mit

dem Gedanken spielen, dass es mir tatsächlich möglich gewesen

war, Zeit und Raum zu überwinden. Und gleichzeitig ließ ich

mir mit dieser Haltung die Möglichkeit offen, diese Episode als

eine Phantasiereise zu betrachten, ausgelöst durch eine hochwirk­

same psychedelische Substanz. Die objektive Bestätigung der Tat­

sache, dass die Wirklichkeit, wie ich sie kannte, eine Illusion war,

schien mir erschreckender, als ich unter diesen Umständen ertra­

gen konnte.

Im selben Augenblick, wo ich das Experiment aufgab, befand ich

mich wieder in dem Zimmer in Baltimore, wo ich LSD genommen

hatte. Nach wenigen Stunden war ich zu meinem normalen Be­

wusstseinszustand und damit in die vertraute »objektive Realität«

der materiellen Welt zurückgekehrt. Ich hatte keinerlei Zweifel

Page 294: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

294 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

mehr daran, dass ich tatsächlich in die Vereinigten Staaten einge­

reist war und mich in Baltimore befand. Ich habe mir nie verzie­

hen, dass ich die einzigartige und phantastische Möglichkeit, das

Phänomen der astralen Projektion experimentell zu überprüfen,

nicht wahrgenommen habe. Die Erinnerung an den metaphy­

sischen Schrecken jedoch, der mit diesem Test verbunden war,

lässt mich bezweifeln, dass ich mutiger wäre, sollte ich in Zukunft

noch einmal eine ähnliche Chance bekommen.

In den uralten indischen Lehren heißt es, die phänomenale

Welt sei leela, das göttliche Spiel, geschaffen von Absolutem Be­

wusstsein, von Brahman. Und sie betrachten unsere Wahrnehmung

der materiellen Welt als kosmische Illusion oder maya. Im 20. Jahr­

hundert hat die relativistische Quantenphysik diese Sicht der

Wirklichkeit durch wichtige Beweise untermauert.

Mein Erlebnis mit dieser astralen Projektion nach Prag hat mir

gezeigt, wie tief verwurzelt unser Glaube an eine objektiv existie­

rende und voraussagbare materielle Welt ist; wie stark unsere Ver­

pflichtung auf diese Illusion ist und wie sehr wir uns emotional

dafür engagieren, dass sie erhalten bleibt. Werden unsere Vorstel­

lungen vom Wesen der Realität plötzlich erschüttert und Alan

Watts »Tabu, zu wissen, wer wir sind« verletzt, kann das ein unbe­

schreibliches metaphysisches Erschrecken auslösen und uns in pa­

nische Angst versetzen.

Page 295: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Kanal sein für den Avatar 295

Kanal sein für den AvatarMeine Mutter, Sai Baba und

das Holotrope Atmen

nde der 1960er-Jahre erlebte die (damalige) Tschechoslowakei

eine Liberalisierungswelle, die 1968 im berühmten »Prager

Frühling« gipfelte. Vorangegangen waren dieser Bewegung die

zwanzig Jahre von Michail Gorbatschows »Perestroika« und »Glas-

nost«, ähnlichen Befreiungsbewegungen in Russland, die schließ­

lich zur Auflösung der Sowjetunion führten. Führende tsche­

chische Politiker engagierten sich für ein bislang nie dagewesenes

Experiment: Sie wollten den so genannten »Sozialismus mit

menschlichem Antlitz« schaffen. 1967 konnten mein Bruder Paul

und ich die Tschechoslowakei verlassen und auf dem nordameri­

kanischen Kontinent ein neues Leben beginnen: Paul in Kanada

und ich in den Vereinigten Staaten.

Am 21. August des folgenden Jahres machte der militärische

Einmarsch der Sowjets die Hoffnungen der tschechischen und slo­

wakischen Menschen auf Freiheit und Demokratie brutal zunichte.

Was für uns als legaler Besuch in den USA begann, wurde durch

diese Umstände zu einer Immigration, die für die tschechischen

Autoritäten illegal war. Paul und ich konnten jetzt zwischen der

Tschechoslowakei und den Vereinigten Staaten bzw. Kanada nicht

mehr frei hin und her reisen. Wir blieben jedoch in Kontakt mit

unseren Eltern, indem wir uns häufig schrieben und gelegentlich

außerhalb der Tschechoslowakei zusammentrafen.

E

Page 296: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Da unsere Eltern beide Rentner waren, durften sie ins Ausland rei­

sen. Das kommunistische Regime hatte kein Interesse daran, Men­

schen im Land festzuhalten, die keinen produktiven Beitrag zur

Gesellschaft leisteten. Tatsächlich legten sie diesen Bürgern sogar

eine Ausreise nahe, denn dann konnten sie deren Wohnungen

konfiszieren, die in der kommunistischen Welt Mangelware waren,

und mussten für sie keine Rente mehr zahlen oder für andere sozi­

ale Begünstigungen aufkommen. Unsere Eltern konnten also Paul

und mich in Amerika besuchen und sich mit uns in Westeuropa

treffen, wenn wir dort reisten.

Obwohl also meine Eltern eine Reiserlaubnis hatten, konnten

sie keine harte Währung kaufen. Sie waren bei ihren Auslandsauf­

enthalten völlig auf unsere finanzielle Unterstützung angewiesen.

Das war für Paul und mich ein Leichtes, brachte meine Mutter je­

doch in emotionale Konflikte. Sie war ein äußerst großzügiger

Mensch, und es fiel ihr bei weitem leichter, anderen zu geben, als

selbst etwas anzunehmen. Deshalb war es ihr immer ein großes

Bedürfnis, sich erkenntlich zu zeigen, indem sie auf andere Weise

zu unserem Leben beisteuerte. Dieser Charakterzug meiner Mutter

spielt für die Geschichte, die ich nun erzählen werde, eine wichtige

Rolle.

Als ich 1973 nach Big Sur in Kalifornien zog, stellte mir das

Esalen-Institut - wie bereits in diesem Buch erwähnt - für eine

bestimmte Anzahl von Workshops, die ich dort hielt, ein bezau­

berndes Haus zu Verfügung, das auf den Klippen stand und einen

Ausblick auf den Pazifischen Ozean bot. Als Christina dann hier

einzog, um mit mir zu leben und zu arbeiten, konnten wir das

Stück Land zwischen unserem Haus und dem Ozean in einen

schönen Gemüsegarten um wandeln. Das war ziemlich harte Arbeit,

denn der Boden war überwachsen von wilden Rosen, Disteln und

Ginster, Pflanzen mit Stacheln und Dornen und der tückischen

Gifteiche. Das Gärtnern war für uns ein ständiger Kampf, da die

Natur immer wieder versuchte, sich dieses Land zurückzuerobern.

296 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Page 297: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Kanal sein für den Avatar 297

Als uns meine Mutter nach dem Tod meines Vaters zum ersten Mal

allein in Big Sur besuchte, entdeckte sie schnell, dass unsere kleine

Pflanzung über dem Pazifik eine energische Gärtnerhand brauchte.

Ohne sich mit uns abzusprechen, stürzte sie sich auf dieses Projekt

- entschlossen, unseren Garten und seine unmittelbare Umgebung

von allem zu befreien, was sie für nutzloses Unkraut hielt. Alle, die

in Big Sur lebten, kannten die Gifteiche gut, den botanischen Quäl­

geist, der uns das Leben im Paradies zur reinsten Hölle machen

konnte. In ihrer anfänglichen Unwissenheit lernten viele von uns

die verheerende Wirkung der Gifteiche durch schmerzhafte Erfah­

rung am eigenen Leib kennen. Meine Mutter war ebenfalls Neuling

auf diesem Gebiet und besaß nicht das notwendige Wissen, um

sich vor diesem Gewächs zu schützen.

Die meisten Menschen, die mit dem Harz der Blätter und Äste

der Gifteiche in Berührung kommen, reagieren mit Hautausschlä-

gen, deren nässende Pusteln einen qualvollen Juckreiz auslösen.

Meistens dauert es drei bis vier Wochen, bis diese Beschwerden

wieder abklingen. In schweren Fällen ist die Wirkung so heftig,

dass sie auf den ganzen Körper übergreift. Atmet man Rauch von

brennenden Ästen der Gifteiche ein, kann dies Lungenödeme ver­

ursachen. Alte Menschen, die noch die Tradition der mündlichen

Geschichten-Überlieferung aus der Gegend von Big Sur pflegen,

erzählen vom Horrorerlebnis zweier naiver und argloser Touristen

an der Ostküste - Vater und Sohn -, denen bei ihrer Reise durch

Kalifornien das Toilettenpapier ausging und die für diese Zwecke

zu den Blättern der Gifteiche griffen ...

Meine Mutter litt an zahlreichen Allergien, und ihre Reaktion auf

den Kontakt mit der Gifteiche war grauenhaft. Ihr ganzer Körper

war mit rotem Hautausschlag und nässenden Pusteln bedeckt, der

Juckreiz unvorstellbar qualvoll. Nachdem sie mit dem Gewächs in

Berührung gekommen war, befand sie sich tagelang in einem solch

kritischen körperlichen Zustand, dass sie intensive Visionen hatte.

Page 298: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

298 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Mitten in der Nacht kamen tote Verwandte zu ihr zu Besuch - ihre

Eltern und ihr Bruder. Auch mein toter Vater erschien ihr. Er traf in

einem altmodischen Fiaker ein, wie er, von zwei Pferden gezogen,

in europäischen Städten vor der Benutzung von Taxis als Trans­

portmittel üblich war. Er trug einen Smoking und einen Zylinder­

hut und wollte sie überreden, zu ihm ins Jenseits zu kommen.

Stundenlang saß ich am Bett meiner Mutter, und meine Sorge

um sie wuchs. Durch meine intensive Arbeit mit Krebspatienten

im Endstadium und meine Kenntnisse der Literatur über Thanato-

logie war mir sehr bewusst, dass die Erscheinungen meiner Mutter

den Visionen von »Empfangskomitees« ähnelten, die ich von mei­

nen Beobachtungen am Sterbebett von Menschen kannte (siehe

auch Seite 229). Zufällig hatte ich mehrere Ampullen Kortison im

Haus, ein wirkungsvolles Mittel gegen die Gifteiche, und beschloss,

ihr dieses Medikament intramuskulär als letzte Hilfsmaßnahme zu

verabreichen, bevor wir die Fahrt zum Carmel-Hospital antraten,

der nächsten Möglichkeit zur ärztlichen Behandlung.

Innerhalb einer Stunde verbesserte sich jedoch der Zustand

meiner Mutter wie durch Magie. Sie gewann ihre körperlichen

Kräfte zurück und wurde klarer im Kopf. Bei Tagesanbruch be­

schloss sie, sich auf die große Veranda vor unserem Haus zu setzen

und sich von dort aus den Sonnenaufgang über der Ventana-Wild-

nis anzuschauen und die Aussicht auf den Pazifischen Ozean zu

genießen. Sie befand sich in einem geradezu ekstatischen Zustand,

und ihre Augen strahlten. »Stan, du wohnst an einem unglaub­

lichen Ort!«, sagte sie begeistert. »Die Luft hier ist so klar, und alle

Farben leuchten. Hast du schon mal das Funkeln in den Ästen die­

ser Pinien bemerkt? Und schau, wie sich das Licht auf den Wellen

spiegelt!«

Dies waren eindeutige Anzeichen dafür, dass meine Mutter er­

lebte, was ich bei meiner Arbeit mit psychedelischen Substanzen

und in jüngster Zeit in holotropen Atemsitzungen Hunderte von

Malen beobachtet hatte - eine tiefe spirituelle Wiedergeburt!

Page 299: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Kanal sein für den Avatar 299

Am folgenden Tag erzählte uns meine Mutter ausführlich, welche

Erfahrungen sie in der kritischen Nacht machte, nachdem ich ihr

eine Kortisonspritze gegeben hatte: Kurz nach der Injektion hatte

sie eine eindringliche Vision von einem indischen Heiligen. An sei­

nem üppigen Haar und der langen, roten Robe erkannte sie ihn

unschwer als Sathya Sai Baba. Er griff in ihren Körper und voll­

brachte eine Wunderheilung. Sie hatte keinerlei Zweifel daran,

dass sein Eingriff für ihren körperlichen und emotionalen Zustand

die entscheidende Wende brachte. Sie war fest davon überzeugt,

dass Sai Baba und nicht das Kortison sie von der Schwelle zum Tod

zurückgeholt hatte.

In Indien gilt Sathya Sai Baba als Inkarnation von Sai Baba aus

Shiridi in Maharashtra, der ein berühmter indischer Heiliger war.

Er ist in der ganzen Welt bekannt für seine Siddhis, das heißt über­

natürliche Taten, in denen sich die Macht seines Geistes über die

materielle Welt manifestiert. Dazu gehört auch die Fähigkeit, Din­

ge zu materialisieren - von Goldringen und kleinen Götterfiguren

bis hin zu großen Mengen heiliger Asche, die visuddhi heißt. Er

steht auch in dem Ruf, an mehreren Orten gleichzeitig erscheinen

zu können. Viele Menschen glauben, er sei der Avatar der moder­

nen Zeit, eine der seltenen Erscheinungen in der menschlichen Ge­

schichte, in der das Göttliche sich in menschlicher Gestalt inkar­

niert hat, um den Verlauf des Weltgeschehens zu beeinflussen.

Als wir 1980 durch Indien reisten, begegneten Christina und

ich Sai Baba persönlich in Puttaparthi, wo er in einem palastähn­

lichen Wohnsitz residiert. Unser einwöchiger Aufenthalt dort fiel

in die Weihnachtsferien und damit in die Zeit, in der Sai Baba sich

vor allem westlichen Menschen zuwendet. Wir hatten Gelegenheit,

aus nächster Nähe mitzuerleben, was offensichtlich Siddhis in

Aktion waren: Mit raschen Armbewegungen produzierte Sai Baba

große Mengen Süßigkeiten, die er an die anwesenden Kinder ver­

teilte, und Hände voll von visuddhi, womit er seinen Anhängern

die Stirn einrieb. Und das alles in einem Gewand mit kurzen Ar­

Page 300: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

300 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

mein, in dem heimliche Zaubertricks schwierig waren - vor allem,

was die Asche betraf.

Das Wissen meiner Mutter über Sai Baba stammte von Al Dru­

cker, der zu jener Zeit als Rolfer, Akupunkteur und Seminarleiter

in Esalen arbeitete. Al war früher als Mathematiker und Physiker

für die U.S.-Regierung tätig gewesen, und zwar als Experte für das

Berechnen von Raketenflugbahnen. Aufgrund einer tiefen spiritu­

ellen Erfahrung, die es ihm aus ethischen Gründen versagte, weiter

für das Militär zu arbeiten, gab er seinen Beruf auf und kam nach

Esalen. Als er von Sai Baba hörte, beschloss er, selbst nach Putta­

parthi zu fahren und sich anzuschauen, ob die Behauptung stimmte,

dieser Mann könne Dinge materialisieren, denn als Physiker faszi­

nierte Al dieses Phänomen.

Tatsächlich wurde er bei seinem Besuch in Puttaparthi persön­

lich Zeuge vieler außergewöhnlicher Taten von Sai Baba, der unter

anderem vor seinen Augen einen silbernen Ring materialisierte,

um ihn anschließend in einen goldenen zu verwandeln. Al kehrte

als glühender Anhänger von Sai Baba nach Kalifornien zurück und

verbreitete entschlossen seine Botschaft. Meine Mutter und Al

freundeten sich an. Er erzählte ihr viel über Sai Baba und lieh ihr

Bücher von ihm. Er selbst fühlte sich Sai Baba so stark verbunden,

dass er später nach Indien zog, die indische Staatsbürgerschaft an­

nahm und Sai Babas »rechte Hand« wurde.

Das Interesse meiner Mutter an östlicher Religion und Philoso­

phie bestand schon längere Zeit. Sie gehörte zu einer Gruppe tsche­

chischer Anhänger von Paul Brunton, einem britischen Philo­

sophen und Autor, der die indische Philosophie im Westen bekannt

gemacht hatte. Sie hatte auch Sri Ramana Maharshi, Sri Aurobindo,

Rabindranath Tagore und andere spirituelle Lehrer gelesen. Ende

der 1960er-Jahre begleitete ich sie auf ihre Bitte hin bei drei LSD-

Sitzungen mit hoher Dosierung, die sich für sie als sehr tiefe, spiri­

tuelle Erfahrungen erwiesen. Sie weckten bei ihr auch das Interesse

an Tiefenpsychologie, einem breiten Spektrum an psychologischen

Page 301: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Kanal sein für den Avatar 301

Methoden zur Erforschung der unbewussten Motive für mensch­

liches Handeln und zur Behandlung emotionaler Störungen. Wäh­

rend ihres Aufenthalts in Esalen nahm sie an unseren einmonatigen

Workshops teil, zu denen wir als Gastdozenten spirituelle Lehrer,

Wissenschaftler des neuen Paradigmas und transpersonale Psycho­

logen einluden.

Sie hatte große Freude an den theoretischen Vorträgen, die

dort gehalten wurden, besonders fasziniert war sie jedoch von den

holotropen Atemsitzungen, die ein wichtiger Bestandteil unseres

Programms waren. Meine Workshops in Skandinavien und der

Schweiz, zu denen ich sie einlud, waren für sie weitere Gelegen­

heiten, mit der Atemarbeit Erfahrungen zu machen - sowohl eige­

ne als auch in der Rolle der »Begleiterin« für andere Menschen. Ich

wusste zwar, dass sie diese Arbeit liebte, hatte aber zu der Zeit kei­

ne Ahnung, wohin dieses Interesse sie führen würde.

Als meine Mutter nach Prag zurückgekehrt war, schrieben wir uns

regelmäßig. Doch ihre Briefe wurden immer trauriger und pessimis­

tischer. Sie schilderte mir, wie ihr Freundeskreis nach dem Tod

meines Vaters erbarmungslos zusammenschrumpfte - bei einem

Menschen, der auf die Achtzig zugeht, eine unvermeidliche Ent­

wicklung. Ich bekam viele Berichte über die Krankheiten und Ope­

rationen von Verwandten und Bekannten - Schlaganfälle, Herzan­

fälle, Arthritis und Rückenoperationen. Hin und wieder enthielten

die Briefe meiner Mutter Todesanzeigen, die das Hinscheiden wei­

terer Nachbarn und Bekannter verkündeten.

Dann änderte sich der Tonfall ihrer Briefe plötzlich. Sie schrieb

mir, dass sie beschlossen habe, mit einigen Freunden und Be­

kannten, darunter auch frühere Patienten von mir, das Holotrope

Atmen auszuprobieren. Durch erste Erfolge bei diesem Pionierun-

ternehmen ermutigt, entschied sie, weiterzumachen. Die Neuig­

keiten über die holotrope Atemarbeit verbreiteten sich in ihrem

Umfeld durch Mundpropaganda, und schon bald gehörten zu dem

Page 302: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

302 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

wachsenden Kreis der Klienten meiner Mutter auch junge Psychia­

ter und Psychologinnen, die erpicht darauf waren, mit dieser neu­

en Methode Erfahrungen zu machen und sie selbst zu lernen.

Die Berichte über Altern, Krankheiten und Tod verschwanden

aus den Briefen meiner Mutter. Stattdessen erzählte sie mir jetzt

von den Erlebnissen, die sie in den holotropen Atemsitzungen be­

obachtete. Ständig fragte sie mich nach neuer Musik für die Sit­

zungen, weil sie es monoton und langweilig fand, immer dieselben

Stücke zu spielen. Sie holte sich in ihren Briefen auch praktischen

Rat für bestimmte Situationen, die ihr bei der holotropen Atemar­

beit begegneten. Einmal schrieb sie mir stolz, dass in ihrer Gruppe

jetzt vierzig (meist junge) Menschen seien. Es war ganz deutlich,

dass sie sich in der Welt jetzt so radikal anders bewegte, als hätte

sie ein neues Leben angefangen. Plötzlich empfand sie eine inten­

sive, neue Daseinsberechtigung, Elan und große Lebensfreude.

Als meine Mutter ihren 85. Geburtstag feierte, hatte sich die

Situation in Tschechien so weit geändert, dass ich nach Prag reisen

und diesen besonderen Tag mit ihr begehen konnte. Bei dieser Ge­

legenheit lud man mich ein, am psychiatrischen Fachbereich der

Karls-Universität für Medizin in meiner alten Alma Mater einen

Vortrag und ein Seminar über das Holotrope Atmen zu halten. Zwei

der Psychiater, die am Seminar teilnahmen, reisten extra aus der

Slowakei an. Sie erzählten mir, sie hätten vor mehreren Wochen

einen ähnlichen Workshop in der Slowakei besucht, der unter der

Leitung meine Mutter stattfand. Dieses Seminar über Holotropes

Atmen mit anschließender theoretischer Diskussion sei speziell für

slowakische Psychiater und Psychologen gewesen.

Ich glaubte, meinen Ohren nicht zu trauen: Bevor sie meinen

Vater kennengelernt und geheiratet hatte, war meine Mutter eine

begabte und erfolgreiche Konzertpianistin gewesen. Doch trotz

ihres großen Talents und ihrer technischen Brillanz trat sie nicht

gern öffentlich auf und litt unter Lampenfieber. Die Vorstellung,

dass sie für Psychiater und Psychologen ein Fachseminar abhielt,

Page 303: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Kanal sein für den Avatar 303

ohne eine entsprechende Ausbildung zu haben, war zu phantas­

tisch, um wahr zu sein! Aber meine slowakischen Kollegen versi­

cherten mir, der erlebnisorientierte Workshop sei ein großer Erfolg

gewesen, und meine Mutter habe bei der anschließenden Diskussi­

on sämtliche theoretischen und praktischen Fragen zur Zufrieden­

heit aller Anwesenden beantwortet.

Ich war ziemlich verblüfft und brachte noch am selben Abend

nach dem Essen mit meiner Mutter das slowakische Seminar zur

Sprache. »Wenn ich es richtig verstanden habe, hast du kürzlich

für slowakische Psychiater und Psychologen einen Workshop für

Atemarbeit geleitet. Wie lief es denn?«, fragte ich, sobald wir mit

dem Essen fertig waren.

»Wunderbar«, sagte meine Mutter etwas kleinlaut, vielleicht

weil sie wusste, dass wir nur voll ausgebildeten Begleitern mit Zer­

tifikat erlauben, öffentliche Workshops zu leiten. »Es hat ihnen of­

fensichtlich gefallen.«

»Die slowakischen Kollegen, die in meinem Workshop in der

psychiatrischen Klinik waren, sagten mir, im Anschluss an das Se­

minar habe es noch eine Diskussion gegeben, bei der du Fragen

beantwortet hast. Wie lief denn das für dich? Waren darunter auch

schwierige methodische Fragen?«, bohrte ich weiter.

»Das war keine große Sache«, antwortete meine Mutter und

schwieg eine ganze Weile. Offenbar wollte sie noch etwas sagen

und suchte nach den passenden Worten. Schweigend saß ich ihr in

meinem Sessel gegenüber und wartete geduldig. »Na, so ganz

stimmt das auch nicht«, sagte sie schließlich schuldbewusst. »Ei­

gentlich hatte ich oft keine Ahnung, wovon sie sprachen. Aber

dann war die Antwort plötzlich da. Ich glaube aber, ehrlich gesagt,

sie kam nicht von mir.«

»Du glaubst, du hättest die Antworten nicht selbst gegeben?«,

fragte ich höchst erstaunt. »Wenn nicht du, wer denn sonst?«

»Er«, sagte meine Mutter in einem Tonfall, der keinen Raum

für Zweifel ließ. »Sai Baba!«

Page 304: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Seit Sai Baba ihr in Big Sur erschienen sei, so erzählte sie weiter,

spüre sie in ihrem Alltag oft seine Gegenwart, vor allem beim Ho­

lotropen Atmen. Das Seminar in der Slowakei war nur eine von

vielen ähnlichen Situationen. Das Gleiche passierte regelmäßig bei

der Körperarbeit in den Atemsitzungen. Musste bei den Teilneh­

mern körperlich interveniert werden, damit sie ihre Erfahrungen

besser verarbeiten konnten, wartete meine Mutter ein paar Sekun­

den und bekam dann Anweisungen von Ebenen, mit denen sie

normalerweise nicht in Kontakt war. Ohne zu zögern, setzte sie

diese dann bei der Körperarbeit um - und war damit meistens und

zur großen Zufriedenheit der Gruppenteilnehmer erfolgreich.

Ihre Interventionen waren für die Beteiligten oft ungewöhnlich

und überraschend. Mein Bruder Paul hatte einmal Gelegenheit

mitzuerleben, welch ausgezeichnete Begleiterin unsere Mutter bei

den Atemsitzungen war. Das war 1992, als wir vor dem Treffen der

»International Transpersonal Association« (ITA) in Prag einen

Workshop für Holotropes Atmen gaben. Es war eine der größten

Gruppen, die wir je leiteten, mit 330 Teilnehmenden aus 36 ver­

schiedenen Ländern der Welt und 35 Begleiterinnen und Beglei­

tern - darunter auch Paul und meine Mutter.

Dabei kam Paul, ein kräftiger Mann und ausgebildeter Psychi­

ater, an einen schwierigen Punkt. Eine der Teilnehmerinnen, eine

junge russische Gynäkologin, war in der Sitzung kaum zu bändi­

gen und brachte sich körperlich in Gefahr. Sie war extrem aktiv, ihr

Körper zuckte, drehte und wendete sich, schnellte vom Boden

hoch, und sie trat mit den Füßen in alle Richtungen. Auf Pauls

Vorschläge in fließendem Russisch reagierte sie nicht, und er konn­

te sie selbst durch Einsatz seines gesamten Körpergewichts nicht

dazu bringen, auf dem Boden liegen zu bleiben. Als Mutter, zu

dieser Zeit 85 Jahre alt, das sah, kam sie zu den beiden und beru­

higte die junge Frau, indem sie einfach eine Hand auf ihren Körper

legte und ein paar Worte in Tschechisch zu ihr sprach, die die rus­

sische Ärztin gar nicht verstand.

304 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Page 305: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Kanal sein für den Avatar 305

Die Menschen in der Gruppe, die meine Mutter in Prag gegründet

hatte, liebten sie. Sie war für sie wie eine Mutter, vielleicht sogar

eine archetypische, weise alte Frau. Später, nach dem Sturz des

kommunistischen Regimes, absolvierten zwölf Mitglieder ihrer

Gruppe in den Vereinigten Staaten und Europa das gesamte Trai­

ning und machten ihr Zertifikat als offizielle Begleiter für Sitzungen

in Holotropem Atmen.

Meine Mutter starb plötzlich - ein paar Tage, nachdem sie ihre

letzte Sitzung in Atemarbeit gegeben hatte; und etwa eine Stunde,

nachdem sie zwei Freunde, einen Arzt und seine Frau, zum Kaffee­

trinken eingeladen hatte, für das sie eine ihrer Spezialitäten, eine

Süßspeise, zubereitet hatte. Sie ist für mich immer noch ein großes

Vorbild dafür, wie ein Mensch in Würde und Anmut altert und

sein Leben dem Dienst an anderen widmet.

Page 306: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

306 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Wenn alles eins ist, gibt es kein Problem

Meisterstücke des koreanischen

Schwertkünstlers

nser sechswöchiger Workshop »Buddhismus und westliche

Psychologie« in Esalen wies eine Starbesetzung und ein be­

merkenswertes Programm auf. Die Co-Leitung hatte Jack Korn-

field, ein enger Freund von uns, Psychologe, Vipassana-Lehrer und

buddhistischer Mönch, der den Teilnehmern die Grundlagen der

Einsichtsmeditation vermittelte, Vorträge über Buddhismus hielt,

persönliche Darshans gab und ein neuntägiges Sesshin leitete - eine

Phase intensiver Meditation, welche zum festen Bestandteil dieser

sechs Wochen zählte. Eine weitere Attraktion war die Mitwirkung

der tibetisch-buddhistischen, spirituellen Lehrer Chögyam Trungpa,

Tarthang Tulku und Sogyal Rinpoche. Lama Govinda wohnte mit

seiner Frau Li während zwei der sechs Wochen in Esalen und hielt

in dieser Zeit täglich einen Vortrag über tibetischen Buddhismus.

Der Religionswissenschaftler und Philosoph Huston Smith sprach

über Buddhismus, und Joseph Campbell gab der Gruppe mit einer

Reihe von Bildvorträgen eine Einführung in die buddhistische My­

thologie.

Der Zen-Buddhismus war vertreten durch den Abt des Zen-

Zentrums von San Francisco, Reb Anderson, den koreanischen

Zen-Meister Seung Sahn Nim und Kobun Chino, der die Zen-Kunst

U

Page 307: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Wenn alles eins ist, gibt es kein Problem 307

des Bogenschießens vorführte. Der taoistische Lehrer Chungliang

Al Huang gab den Workshopteilnehmern eine Einführung in Tai

Chi Chuan und chinesischer Kalligraphie. Am meisten Aufmerk­

samkeit erregte jedoch in unserer Gruppe und bei der restlichen

Esalen-Gemeinschaft Kwan Ja Nim, ein koreanischer Kampfkünst­

ler und Schwertmeister. Er kam mit Seung Sahn Nim und in Be­

gleitung von zwei Schülern nach Esalen. Wir hatten bereits von

seinen erstaunlichen Fähigkeiten gehört, und seine Vorführung

versprach so Außergewöhnliches, dass wir beschlossen, sie nicht

nur der Gruppe, sondern auch öffentlich zugänglich zu machen.

Sie fand auf der großen ovalen Rasenfläche vor dem Büro von

Esalen statt.

Kwan Ja Nim begann seine Vorführung mit einem Schaukampf,

bei dem er und seine beiden Schüler zunächst mit Schwertern und

danach mit langen Stäben kämpften. Dann zog einer der Schüler,

ein schlaksiger junger Mann aus Polen, sein Hemd aus und legte

sich auf den Rasen. Der andere Schüler brachte ein großes Schwert,

geschmückt mit schönen Gravuren. Kwan Ja Nim demonstrierte

uns die Schärfe des Schwertes, indem er ein Haar durchschnitt, das

er zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger seiner linken Hand

hielt. Dann legte er auf den Bauch seines polnischen Schülers eine

Serviette sowie einen Apfel und schnitt die Frucht mit einem

raschen Schwerthieb durch. Der Apfel zerfiel in zwei Hälften, und

wir sahen, dass das Schwert auf der Serviette eine kleine Kerbe

hinterlassen hatte.

Die Menge johlte und klatschte, beeindruckt davon, wie gut

der Schwertmeister seine prächtige Waffe beherrschte. Kwan Ja

Nim dämpfte die Begeisterung der Gruppe: »Das war nur zum

Aufwärmen ... beruhigt euch wieder ... wartet!« Jetzt trug der

kleinere Schüler zwei Stühle, drei große Wassermelonen und einen

Beutel aus dickem schwarzem Samt herbei. Einen Stuhl stellte er,

mit einer Wassermelone bestückt, am Kopf des anderen Schülers

ab, und platzierte den zweiten auf die gleiche Weise zu dessen Fü­

Page 308: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

308 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

ßen. Die dritte Wassermelone unterlegte er mit einer Serviette und

drapierte sie auf dem Bauch des jungen Mannes.

Inzwischen schritt Kwan Ja Nim die Menschenreihe ab, die

sich am Rasenrand eingefunden hatte, und ließ seine Zuschauer

den schwarzen Beutel aus Samt sehen und betasten. Zwei Lagen

dicker, schwarzer Samt, so wurde dabei deutlich, machten den

Stoff völlig blickdicht. Dann kappte Kwan Ja Nim die Enden der

beiden Wassermelonen auf den Stühlen und brachte sie in eine

stabile, vertikale Position. Nach diesen Vorbereitungen entfernte er

sich etwa fünf Meter von seinem polnischen Schüler, der auf dem

Rasen lag, zog sich den schwarzen Beutel über den Kopf und be­

festigte ihn mit Hilfe der in die Öffnung eingenähten Schnur um

seinen Hals. Er nahm die formale Haltung eines Kriegers ein, griff

sein Schwert mit der rechten Hand und hielt es aufrecht vor sich.

So blieb er minutenlang regungslos und absolut still stehen.

Die Zuschauer beobachteten ihn gespannt und wagten kaum zu

atmen. Plötzlich begannen zu ein und demselben Zeitpunkt sämt­

liche Hunde von Esalen zu jaulen. Kwan Ja Nim gab einen gräss­

lichen Kriegsschrei von sich, der sich mit dem winselnden Chor

der Hunde zu einem Missklang vermischte, der uns alle in Alarm­

bereitschaft versetzte. Sein Schwert in der rechten Hand dicht vor

dem Körper haltend, benutzte er seine linke Hand als Drehachse

und ruderte auf seinen Schüler zu. Vor ihm angekommen, nahm er

den Griff des Schwertes in beide Hände und hieb mit verbundenen

Augen die Wassermelonen auf den Stühlen, die am Kopf und zu

Füßen seines Schülers standen, in zwei Hälften. Mit einem wei­

teren mächtigen Hieb spaltete er anschließend die dritte Melone

auf dem Bauch des Schülers, der vertrauensvoll dalag.

Die Melone fiel in zwei Hälften zu beiden Seiten des Körpers

auf den Rasen. Wie bereits bei der Apfelvorführung zeigte die Ser­

viette auch jetzt nur eine leichte, kaum sichtbare Kerbe. Die Menge

raste und johlte. Wir alle hatten gesehen, welch prächtige Waffe

Kwan Ja Nims Schwert war und was es anzurichten vermochte. Ein

Page 309: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Wenn alles eins ist, gibt es kein Problem 309

winziger Fehler, eine minimale Abweichung auf der fünf Meter lan­

gen Strecke, die Kwan Ja Nim ohne Hilfe der Augen bewältigte,

hätten eine tödliche Verletzung zur Folge haben können. Das außer­

ordentliche Meisterstück, das wir da zu sehen bekommen hatten,

grenzte an ein Wunder!

Kwan Ja Nim zog sich den Beutel vom Kopf und erbot sich,

Fragen zu beantworten. Alle wollten wissen, wie er sein Schwert­

kunststück zustande gebracht hatte. »Konnten Sie Ihre Umgebung

mit verbundenen Augen sehen, weil Sie außersinnliche Fähigkeiten

haben?« »Haben Sie sich ein dreidimensionales Bild der gesamten

Szene eingeprägt und sich ständig bewusst gemacht?« Die Men­

schen bombardierten ihn mit Fragen. Kwan Jan Nim reagierte mit

einem herzhaften, gesunden Lachen. »Nein«, sagte er mit einer

wegwerfenden Geste. »Meditiert einfach und wartet, bis alles eins

ist - der Schwertmeister, das Schwert, die Melone und der Schüler

dann gibt es kein Problem.«

In östlichen spirituellen Schriften heißt es, dass fortgeschrittene

Yogis und vor allem Siddhas - Tantra-Meister - übernatürliche

Kräfte entwickeln, die siddhis heißen. An den außergewöhnlichen

Dingen, die diese Menschen vollbringen können, wird deutlich,

dass der Geist imstande ist, die Materie zu beherrschen. So präzise

und sicher, wie Kwan Ja Nim mit verbundenen Augen sein Schwert

führte, wo nur die geringste Abweichung schwere Verletzungen

oder sogar den Tod seines Schülers zur Folge hätte haben können,

gehörte seine Kunst mit Sicherheit in diese Kategorie. Jene, die

Kwan Ja Nims Vorführung in Esalen miterlebten, gelangten zu der

Überzeugung, dass sein Meisterstück nicht auf gewöhnlichem

Wege zu erreichen war, sondern das Ergebnis einer langen, schwie­

rigen Schulung sein musste.

Page 310: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

310 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Ein seltsames Vermächtnis der alten Mayas

Das Mysterium des Kristallschädels

n schamanistischen Sagen, religiösen Traditionen, anthroposo­

phischer Literatur und in der Weltmythologie finden wir zahl­

reiche Hinweise auf unterschiedlichste, sowohl von Menschen her­

gestellte als auch natürliche magische Gegenstände, denen man

außergewöhnliche Kräfte zuschreibt - Fetische, Zubehör für Ritua­

le, Amulette, Ringe, Waffen, Kristalle oder Steine und Pflanzen.

Laut Hindu-Tradition zum Beispiel haben die salagram - Steine

oder Fossilien, deren natürliche Form wichtigen tantrischen Sym­

bolen gleicht oder entsprechende Bilder enthält - besondere Eigen­

schaften. Viele Muslime glauben, dass der Schwarze Stein, aus dem

die Ecksteine der Kaaba, des höchsten Heiligtums und Pilger­

schreins des Islam bestehen, die Kraft besitzt, Betende von ihren

Sünden zu befreien, indem er sie in sich aufnimmt. Der Schwarze

Stein, so heißt es, sei früher einmal von blendend weißer Farbe

gewesen und habe sich durch die vielen Sünden, die er im Laufe

der Jahre aufgesogen hat, schwarz gefärbt.

Im Christentum sagt man von den Reliquien der Heiligen -

wie den weinenden oder blutenden Statuen der Jungfrau Maria so­

wie dem Leichentuch von Turin, einem jahrhundertealten Stück

Leinen, das den Abdruck eines Gekreuzigten zeigt -, sie könnten

Wunder vollbringen. An den Gräbern der Märtyrer sollen »Blinde

und Krüppel ihre Gesundheit wiedererlangen, Tote wieder zum

I

Page 311: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Ein seltsames Vermächtnis der alten Mayas 311

Leben erweckt und Menschen, die davon besessen sind, der Teufel

ausgetrieben werden«. Laut Legende verlieh der »Schicksalsspeer«

- die Waffe, die Gaius Cassius Longinus angeblich dem gekreu­

zigten Jesus in den Körper stieß - seinem Besitzer die Macht, die

Welt zu erobern, brachte ihm jedoch, falls er ihn verlor, den sofor­

tigen Tod. Weitere Beispiele für mythologische Gegenstände mit

übernatürlichen Kräften sind König Artus’ Schwert Excalibur und

der Heilige Gral.

Für die Azteken und Mayas hat der menschliche Schädel eine

große symbolische Bedeutung und ist deshalb in der präspanischen

Kunst von Mittelamerika ein verbreitetes Motiv. Archäologen ha­

ben zahlreiche Nachbildungen von menschlichen Schädeln ausge­

graben, von denen viele aus prähistorischen Zeiten stammen. Es

gibt sie in ganz verschiedenen Größen und aus unterschiedlichen

Materialien - Silber, Gold, Bronze, Obsidian, Onyx, Malachit,

Lapis, Türkis, Rubin, Saphir, Topas und Quarzkristall. Die seltenen

Exemplare, die in Lebensgröße aus Quarzkristall hergestellt wur­

den, haben dabei besondere Aufmerksamkeit erregt. Sie sind The­

ma vieler Bücher und Texte, in denen neben den unvergleichlichen

künstlerischen Fähigkeiten, die sie verraten, auch die bemerkens­

werten Wirkungen beschrieben werden, die sie auf Menschen ha­

ben können.

Bei einem Workshop, den ich Anfang der 1970er-Jahre am

Esalen-Institut hielt, erfuhr ich vom Mitchell-Hedges-Schädel,

einem außergewöhnlichen Kunstwerk aus der Tradition der Mayas,

das nach dem britischen Lord E A. Mitchell-Hedges und seiner Ad­

optivtochter Anna benannt ist. Es handelte sich hier um die per­

fekte Nachbildung eines menschlichen Schädels, die aus einem

einzigen Stück natürlichem Quarzkristall gefertigt ist. Angeblich

haben dabei viele Menschen in Gegenwart dieses mysteriösen Kunst­

werks tiefe, außergewöhnliche Bewusstseinszustände erlebt. Wer

den Schädel eine Weile beobachtete und sich dabei auf die mil­

chigen Stellen, leicht trübe Bereiche oder andere Unreinheiten im

Page 312: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

312 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Inneren des Kristalls konzentrierte, fiel in Trance und erstarrte oder

geriet in große Erregung.

Diese Menschen hatten Visionen von komplexen historischen

Ereignissen oder begegneten verschiedenen mythologischen We­

sen, was oft heftige Emotionen auslöste, die von ekstatischem Ent­

zücken bis hin zu großem Entsetzen reichten. Zu den berichteten

Wirkungen gehörte auch das Erwachen der Kundalini, begleitet

von kriyas - ganzen Wellen von unmotivierten Emotionen sowie

unwillkürlichen Tönen, starken Energien, Vibrationen und Wahr­

nehmungsverzerrungen. Weitere Erlebnisse reichten von mys­

tischem Entzücken, visionären Zuständen und außersinnlichen

Phänomenen bis hin zu psychotischen Schüben. Manche dieser

Menschen landeten schließlich tatsächlich in der Psychiatrie.

Der Schädel wies darüber hinaus einige bemerkenswerte op­

tische Besonderheiten auf: Die Jochbeine des Gesichts dienten als

»Lichtröhren«, ähnlich wie moderne Lichtleitfasern. Sie leiteten

von unten Licht in die Augenhöhlen und endeten in zwei Mini­

aturlinsen. Die beiden Höcker am unteren Schädelrand, die auf

dem Atlaswirbel ruhten, hatten die Form von kleinen Pyramiden,

die das Licht bündelten und ins Innere des Schädels warfen. Bei

richtiger Beleuchtung glühte der Schädel blassgrün, und die Au­

genhöhlen leuchteten rot.

In seltenen Augenblicken soll der Totenkopf auch von einer

weißglühenden Aura umgeben gewesen sein, die weit über seine

Oberfläche hinausreichte und sogar beweglich war und ihre Größe

veränderte. Menschen, denen die merkwürdigen Wirkungen, die

man diesem Objekt zuschrieb, Angst einjagten, nannten ihn den

»Schädel des Verhängnisses«.

Eine Aura des Mysteriösen umgab den Schädel und inspirierte

viele Menschen zu Spekulationen über seinen Ursprung, sein Alter,

seine Herstellung und seine bemerkenswerten Wirkungen auf die

menschliche Psyche. In den 1970er-Jahren zog er die Aufmerk­

samkeit vieler Wissenschaftler, Journalisten und anderer Autoren

Page 313: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Ein seltsames Vermächtnis der alten Mayas 313

auf sich. Nachdem ich all diese Gerüchte über den Mitchell-Hedges-

Schädel gehört hatte, wuchs mein Interesse, ihn selbst zu studieren

und Erfahrungen damit zu machen. Wie ich herausfand, lebte der

Verwalter und Kurator des Schädels, Frank Dorland, am Panora-

mic-Highway in Mill Valley, Kalifornien. Ich besuchte ihn und

lauschte mehrere Stunden seinen Erzählungen über den Schädel.

Dorland war geradezu besessen von dem Kristallschädel. Er

studierte ihn seit fünf Jahren und verbrachte jede wache Minute

seines Lebens mit ihm. Er war zu dem Schluss gelangt, dass die

technischen Probleme bei der Herstellung dieser Skulptur so be­

trächtlich gewesen sein mussten, dass es ihn eigentlich gar nicht

geben konnte. Quarzkristall ist ein extrem hartes Material. Auf der

Härteskala der Zehn-Punkte-Skala des Geologen Friedrich Moh

rangiert er bei 7 und damit nur drei Punkte hinter dem Diamanten.

Kein Messer kann ihm Kratzer zufügen. Dorland hatte ihn mit

einem Binokular-Mikroskop untersucht, ohne auf der makellos

glatten Oberfläche Werkzeugspuren zu finden. Jede Bearbeitung

mit einem Meißel hätte mit Sicherheit Spuren auf der Oberfläche

hinterlassen und im Kristall Risse gezogen, vor allem, weil der

Schädel gegen die Körnung des Steins gemeißelt war.

Die Mayas kannten weder Karborund (ein Schleifmittel, Anm.

d.Ü.) noch Schleifstein. Und die Herstellung des Schädels in Hand­

arbeit mit Sand und Wasser hätte Generationen gedauert. Dorland

spielte mit dem Gedanken, dass die Mayas bei der Bearbeitung des

Kristalls möglicherweise eine Art Paste verwendet hatten, die sie

nach einem überlieferten, uralten Geheimrezept herstellten, doch

bislang ist nichts Derartiges bekannt. Er entdeckte, dass man Kri­

stall bei hohen Temperaturen, wie sie zum Beispiel ein Schneid­

brenner erzeugt, schmelzen kann; doch ist es höchst unwahr­

scheinlich, dass den Mayas ein so modernes technisches Gerät zur

Verfügung stand. Und selbst wenn, hätte es die Entstehung des

Schädels nicht hinreichend erklärt.

Page 314: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

314 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Dorland zeigte mir einen detaillierten Bericht der Untersuchungen,

die man im Kristall-Labor von Hewlett-Packard in Santa Clara, Ka­

lifornien, durchgeführt hatte. Die Experten des Instituts waren zu

dem Schluss gelangt, dass man mit keiner der ihnen bekannten

modernen Technologien eine exakte Replik der menschlichen

Schädelform aus einem Stück Quarzkristall herstellen könne. Sie

lehnten sogar Dorlands Angebot ab, ihnen für ein Duplikat des

Schädels eine halbe Million Dollar zu zahlen. Quarz mit seinen

vielen Unreinheiten und kleinen Wasserablagerungen in der inne­

ren Struktur war viel zu schwierig zu bearbeiten.

Nachdem er jahrelang vergebens versuchte hatte, eine Erklä­

rung für die Herstellung des Schädels zu finden, dachte sich Dor­

land immer phantastischere Theorien aus. Er kam zu dem Schluss,

dass Individuen aus einer fortgeschrittenen Zivilisation mit großen

geistigen Kräften und einer überlegenen Intelligenz den Schädel

hergestellt hatten. Er dachte, man könne mit Hilfe des Schädels

möglicherweise über die Grenzen von Raum und Zeit hinweg oder

aus parallelen Universen kommunizieren. Er hatte sogar den Ver­

dacht, dass uns möglicherweise die Schöpfer des Schädels durch

dessen Augen immer noch beobachteten und Einfluss auf uns neh­

men konnten. Doch war er sich nicht sicher, ob diese Einflüsse von

anderen Planeten, aus anderen Dimensionen oder sogar anderen

Zeiten stammten - der Vergangenheit oder vielleicht der Zukunft.

Dorland hatte im Laufe der Jahre selbst viele merkwürdige Er­

lebnisse mit dem Schädel gehabt, die er schließlich vor allem »be­

drückend« und »unheimlich« fand. Er erzählte mir von seiner

letzten Erfahrung nur wenige Wochen vor unserem Treffen: Mitten

in der Nacht war er aufgewacht, weil er im Erdgeschoss seines

Hauses merkwürdige Geräusche gehört hatte. Als er nachschauen

ging, erstarrte er vor Schreck. Vom Treppenabsatz aus sah er unten

im Wohnzimmer einen großen Jaguar herumspringen, der dort

großes Chaos anrichtete. Dorland rannte zurück in sein Schlafzim­

mer, verriegelte die Tür und verbrachte den Rest der Nacht in

Page 315: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Ein seltsames Vermächtnis der alten Mayas 315

einem geradezu metaphysischen Entsetzen. Am Morgen stellte er

fest, dass in seinem Wohnzimmer ein ziemliches Durcheinander

herrschte und viele Möbel umgefallen waren.

Dorland fand nie heraus, was in jener Nacht wirklich gesche­

hen war. Doch sie war auf jeden Fall für ihn »der Tropfen, der das

Fass zum Überlaufen bringt«. Nach einigem Kopfzerbrechen fasste

er den schmerzlichen Entschluss, das Kunstwerk an Miss Mitchell-

Hedges zurückzugeben. Wenn ich den Schädel sehen wollte, wür­

de ich also nach Kitchener in Ontario, Kanada, fahren müssen, wo

Anna Mitchell-Hedges seit dem Tod ihres Pflegevaters lebte. Faszi­

niert von Frank Dorlands Berichten, beschlossen mein Bruder Paul

und ich bei meinem nächsten Besuch in Kanada, sie anzurufen und

zu fragen, ob wir sie vielleicht aufsuchen dürften. Zu unserer gro­

ßen Überraschung stellten wir fest, dass sie in einem Motel lebte,

das sie nach dem Tod ihres Adoptivvaters gekauft hatte und seit­

dem betrieb.

Das war sehr ungewöhnlich, da sie doch von Lord Mitchell-

Hedges, einem sehr reichen britischen Adeligen, ein sagenhaftes

Vermögen geerbt hatte. Sie erklärte uns, das sei ihre Art, ihren toten

Vater zu ehren. Als er sie damals adoptierte, hatte sie als zehnjähri­

ges, hungriges und heimatloses Waisenmädchen in diesem Teil

Kanadas gelebt. Nach seinem Tod wollte sie Menschen mit einer

Unterkunft und Verpflegung versorgen, ähnlich wie ihr Vater es

getan hatte.

Wir saßen im Büro des Motels, das mit Sicherheit ein kurioser

Ort war. Zu den einzigartigen Kunstwerken, die es schmückten,

gehörten ein großer Silberbecher aus dem Besitz König Ludwigs

von Bayern sowie ein Spiegel mit reich verziertem Rahmen, den

Königin Marie Antoinette einmal benutzt hatte. Anna Mitchell-

Hedges brachte uns eine große Sammlung von Zeitungsausschnit­

ten mit Berichten über die Abenteuer, die sie und ihr Pflegevater in

verschiedenen Teilen der Welt erlebt hatten - Segeltouren zu exo­

tischen Plätzen, Fangfahrten auf Haie und andere große Fische,

Page 316: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

31.6 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Tigerjagden, Aufenthalte bei südamerikanischen Indianern und

Ausgrabungen an historischen Stätten aus der Zeit vor der spa­

nischen Eroberung.

Der interessanteste Artikel berichtete von der Ausgrabung in

Lubaantun, der Stadt der gefallenen Steine, die Lord Mitchell-

Hedges bei seiner Suche nach Atlantis im Dschungelgebiet von Bri­

tish Honduras (Belize) entdeckte. Hier kam auch der Kristallschä­

del auf mysteriöse Weise zum Vorschein. Laut Bericht hatte Anna

ihn an ihrem siebzehnten Geburtstag in den Ruinen gefunden, wo

er vergraben lag. Anna ging jeden Zeitungsausschnitt einzeln mit

uns durch und erzählte uns die faszinierenden Geschichten, von

denen hier berichtet wurde. Diese Zeitungsartikel und die Erinne­

rungen, die Anna damit verband, bildeten eindeutig den Mittel­

punkt ihres jetzigen Lebens. Sie hatte nie geheiratet. Ein Grund

dafür war wahrscheinlich ihr starker »Elektrakomplex«, da kein

Mann an ihren außergewöhnlichen Vater heranreichen konnte, der

im Laufe der Jahre zu einer mythischen Figur wurde. Der Nachmit­

tag mit Anna Mitchell-Hedges in ihrem Motel in Kitchener war ein

faszinierendes Erlebnis, doch den Schädel bekamen wir leider

nicht zu sehen. Er war nicht mehr in Kitchener.

Wir fanden heraus, dass Anna ihn kurz vor unserem Besuch

dem Museum-of-the-American-Indian in New York City gestiftet

hatte. Ihrer Meinung nach besaß dieses Kunstwerk zu starke Kräf­

te, um sich im Privatbesitz eines einzelnen Menschen zu befinden,

und brauchte einen unpersönlichen Eigentümer. Als wir Genaueres

wissen wollten, wischte sie unsere Fragen mit einer Handbewe­

gung weg. Sie wollte über diese Dinge offenbar nicht sprechen.

Kurz nach unserem Besuch bei Anna musste ich nach New York

City, um dort einen Vortrag zu halten. Zu meinen ersten Unterneh­

mungen gehörte, dass ich mir ein Taxi zum besagten Museum

nahm, denn ich wollte meine Suche unbedingt zu einem erfolg­

reichen Abschluss bringen.

Page 317: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Ein seltsames Vermächtnis der alten Mayas 317

Dort sah ich dann endlich den Mitchell-Hedges-Schädel, das mys­

teriöse Kunstwerk, dessen Spur ich schon so lange verfolgte. Er

stand in einer Vitrine, in deren Glaswänden sich das Licht und die

anderen Objekte spiegelten, die ihn umgaben, sodass er nicht sehr

deutlich zu sehen war. Außerdem zogen Scharen von Besuchern

durch das ziemlich beliebte Museum und sorgten für weitere

Ablenkungen. Das war mit Sicherheit kein günstiges Umfeld für

konzentrierte Wahrsagerei mit einem Kristall. Ich beschloss, bei

Dr. Frederick Dockstader, der weltweit größten Autorität für die

Kunst der amerikanischen Indianer und Kurator des Museums, die

Erlaubnis einzuholen, eine Nacht allein und in stiller Meditation

mit dem Schädel verbringen und ihn dafür aus der Vitrine nehmen

zu dürfen.

Leider hatte Dr. Dockstader nicht viel Verständnis für mein

unorthodoxes Anliegen. Auf meine Referenzen als Psychiater und

Bewusstseinsforscher ging er nicht weiter ein und beharrte darauf,

dass ich mich wie alle anderen Besucher auch an die Museumsre­

geln zu halten hätte. Seine energische Absage setzte meiner Verfol­

gungsjagd auf den Kristallschädel ein definitives Ende. Viele Jahre

später sublimierte ich meine Frustration über diese Abfuhr, indem

ich mein Interesse an dem Kristallschädel in die ersten Entwürfe

für einen Science-Fiction-Roman mit dem Titel Der Ruf des Jaguars

einfließen ließ.

Page 318: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

318 Teil 5: Außersinntiche Wahrnehmungen und Jenseits

Materie und Bewusstsein:Ketamin und die Wiederverzauberung der Welt

m Herbst 1972 lernte ich eine der merkwürdigsten psychoak-

tiven Substanzen kennen, mit denen ich in meinen fünfzig Jah­

ren Bewusstseinsforschung jemals Erfahrungen gemacht habe. Die

Wirkungen dieses Präparats sind so ungewöhnlich, dass sie selbst

in der Gruppe der psychedelischen Substanzen oder Drogen, für

die der deutsche Pharmakologe Louis Lewin den Begriff Fantastica

prägte, eine Sonderstellung einnehmen. Es handelt sich bei dieser

Substanz um Ketamin, die im Handel unter verschiedenen Namen

(verschreibungspflichtig!) geführt wird.

Salvador Roquet, ein umstrittener mexikanischer Psychiater,

bekannt für seine abenteuerlichen Experimente mit psychede­

lischen Drogen, machte unser Team am Maryland-Psychiatric-Re-

search-Center auf die bemerkenswerten psychoaktiven Eigen­

schaften von Ketamin aufmerksam. Salvador pflegte Sitzungen mit

großen Gruppen von Menschen abzuhalten, die er verschiedene

psychoaktive Substanzen einnehmen ließ (LSD, Psilocybin, Peyote,

Datura und andere), um ihnen dann schockierende Filme mit ge­

walttätigen oder sexuellen Inhalten zu zeigen. Damit wollte er bei

seinen Klienten tiefe Erlebnisse mit dem Ego-Tod und psychospiri-

tueller Wiedergeburt auslösen. Salvador hatte seine Kolleginnen

und Kollegen in Mexico City auch dadurch gegen sich aufgebracht,

dass er ihnen bei einer Party in seinem Haus (ohne ihr Wissen)

belegte Häppchen servierte, die mit psychedelischen Pilzen gar­

I

Page 319: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Materie und Bewusstsein 319

niert waren. Er kam nach Baltimore, um an unserem LSD-Ausbil-

dungsprogramm für Fachleute teilzunehmen.

Ketamin ist ein kurzfristig wirkendes Anästhetikum, verwandt

dem Phencyclidin, einem Beruhigungsmittel für Tiere. Calvin Ste­

vens von der Wayne-State-University entdeckte Ketamin 1961.

Jahrelang stand es in dem Ruf, ein ungewöhnlich sicheres Betäu­

bungsmittel zu sein, da es Kreislauf, Atmung und den Schluckre­

flex nur minimal unterdrückt. Zu großer Popularität als Anästheti­

kum gelangte es durch die Mediziner, die es auf den Schlachtfeldern

von Vietnam in großen Mengen verabreichten, ln späteren Jahren

nahm seine Benutzung rapide ab, vor allem wegen der eigenartigen

psychischen Erlebnisse, »emergency syndrome« getauft, von de­

nen Patienten nach dem Erwachen aus der Narkose berichteten

(siehe auch die Geschichte auf Seite 104 f.). Heute verabreicht man

es in vielen Ländern bei kurzen chirurgischen Eingriffen immer

noch, vor allem Kindern und älteren Menschen, für die das »emer­

gency syndrome« kein größeres Problem zu sein scheint.

Die Mitglieder unseres Teams hatten bereits vor Salvadors Be­

such von Ketamin gehört und wussten, dass Chirurgen dieses Mit­

tel als generelles Anästhetikum einsetzen. Auch das »emergency

syndrome« - eine ungünstige Komplikation bei Verabreichung von

Ketamin, die man routinemäßig mit Tranquilizern behandelte - war

ihnen bekannt. Bei seiner Präsentation für unsere Belegschaft

machte Salvador Roquet uns jedoch mit einer völlig neuen Sicht­

weise dieser Substanz bekannt. Er erklärte, das »emergency syn­

drome« sei keine Nebenwirkung von Ketamin, sondern Teil seiner

faszinierenden, grundlegenden Wirkung. Ketamin sei ein »dissozi­

atives Anästhetikum«, das sich in seinem Wirkmechanismus von

sämtlichen anderen Anästhetika radikal unterscheide. Die Einnah­

me dieses Mittels führe nicht zu einem Bewusstseinsverlust, son­

dern bewirke, dass das Bewusstsein sich vom Körper löse.

Das medizinische Personal könne nicht deshalb chirurgische

Eingriffe beim Patienten vornehmen, weil dessen Bewusstsein wie

Page 320: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

320 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und jenseits

bei der Einnahme von konventionellen Betäubungsmitteln ausge­

löscht sei, sondern weil es seinen Körper verlassen habe. Die Pati­

enten erlebten phantastische Reisen in einem großen Spektrum

von anderen Realitäten - in außerirdischen Zivilisationen und Par-

alleluniversen, in der astrophysischen Welt und der Mikrowelt, im

Reich der Tiere, Pflanzen und Mineralien, in anderen Ländern und

historischen Epochen sowie den archetypischen Dimensionen vie­

ler verschiedener Kulturen. Salvadors Klienten, die Ketamin nicht

als Anästhetikum, sondern zu therapeutischen Zwecken und zur

Unterstützung ihrer philosophischen und spirituellen Suche nah­

men, machten tiefe mystische Erfahrungen, und viele von ihnen

glaubten, sie seien auf diesen Reisen Gott begegnet. Manche be­

richteten auch, sie hätten den Bardo besucht - das Reich zwischen

den einzelnen Inkarnationen - und behaupteten, keine Angst mehr

vor dem Tod zu haben.

Salvadors Vortrag weckte bei mehreren Mitgliedern unseres

Teams, darunter auch bei mir, große Neugierde und den starken

Wunsch, selbst Erfahrungen mit Ketamin zu machen. Zufällig hat­

te Salvador ausreichende Mengen der Substanz bei sich und bot

uns Interessierten entsprechende Trainingssitzungen an. Unsere

persönlichen Erfahrungen bestätigten Salvadors Darlegungen voll

und ganz. Ketamin war eindeutig eine faszinierende Substanz und

hochinteressant für jeden, der sich ernsthaft mit Bewusstseinsfor­

schung beschäftigte. Auch wenn es völlig anders wirkte als LSD,

konnte kein Zweifel daran bestehen, dass es für das Instrumentari­

um der psychedelischen Substanzen eine wichtige Ergänzung dar­

stellte. Die erstaunlichen Erfahrungen, die Ketamin auslöste, schie­

nen viel mehr zu wiegen als seine Nachteile, wie zum Beispiel

Schwindel, Beeinträchtigung der körperlichen Koordination und

Nuscheln.

Ich setzte im Laufe der Jahre meine persönlichen Experimente

mit Ketamin fort und habe nicht aufgehört zu staunen über die mit

dieser Substanz gemachten Erfahrungen und die tiefen Einsichten,

Page 321: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Materie und Bewusstsein 321

die sie mir über die Wechselbeziehung von Bewusstsein, mensch­

licher Psyche und Materie verschafften.

Die Wirkungen von Ketamin waren höchst unberechenbar,

selbst im breitesten Sinne. Bei meinen Experimenten mit anderen

psychedelischen Substanzen hatte ich meistens zumindest eine un­

gefähre Vorstellung davon, in welcher Phase meiner Selbsterfor­

schung ich mich befand und wie die nächste aussehen würde (Er­

forschung der eigenen Biographie, Wiedererleben der Geburt,

archetypische Erlebnisse usw.). Die Erfahrungen mit Ketamin wa­

ren wie Besuche in einem kosmischen Disneyland. Ich wusste nie,

was kommen und um welches Thema es bei diesem »Trip« gehen

würde. Und das erlebte Spektrum reichte von extrem sublim und

erstaunlich bis zu völlig banal und trivial.

Ich möchte dafür ein paar Beispiele geben. Ein guter Ausgangs­

punkt ist das großartige Potenzial von Ketamin, astrale Projekti­

onen zu vermitteln. Manche dieser Erfahrungen sind ziemlich di­

rekt, andere gestalten sich bizarr und absurd, wie wir gleich sehen

werden. Eines Abends nahm ich Ketamin in unserem Haus in Big

Sur, Kalifornien, als wir gerade einen unserer einmonatigen Work­

shops in Esalen hielten. In dieser Sitzung machte ich unter ande­

rem die Erfahrung, mich etwa anderthalb Kilometer von unserem

Haus entfernt im Big House aufzuhalten, das zu Esalen gehörte

und wo alle Gruppenveranstaltungen unseres einmonatigen Semi­

nars stattfanden. Ich sah bis in alle Einzelheiten, wie sich mehrere

Gruppenmitglieder miteinander austauschten. Am nächsten Tag

konnte ich meine Wahrnehmungen bestätigt finden. Doch zu der

Zeit, als ich während der Sitzung Zeuge dieser Begegnungen war,

erlebte ich mich als Kissen in einer Zimmerecke im Big House;

meine körperliche Erscheinung hatte vollends die Form dieses

Gegenstandes angenommen.

Bei anderer Gelegenheit hatte ich ein ähnliches Erlebnis, das

sich, da ich es zusammen mit Christina hatte, noch erstaunlicher

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322 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und jenseits

gestaltete: Mitten in einer gemeinsamen Ketamin-Sitzung im

Schlafzimmer unseres Hauses in Big Sur befand ich mich plötzlich

im Baderaum von Esalen und stellte fest, dass ich ein nasses Hand­

tuch war, das über dem Geländer hing, von wo man auf den Ozean

blickte. Aus dieser Perspektive war ich Zeuge sämtlicher Ereignisse

in diesem Raum und konnte die Menschen, die sich zu jener Zeit

im Bad aufhielten, genau erkennen. Als ich Christina am Ende der

Sitzung diese bizarre Erfahrung erzählte, stellten wir erstaunt fest,

dass sie genau das Gleiche erlebt hatte. Am folgenden Morgen

sprachen wir mit den beteiligten Leuten und konnten unsere ge­

meinsame Erfahrung auf diese Weise bestätigen.

Wie diese beiden Beispiele deutlich machen, ist ein ungewöhn­

licher und typischer Aspekt von Ketamin-Erfahrungen die überra­

schende Möglichkeit, sich experimentell mit verschiedenen Din­

gen und Abläufen zu identifizieren, die wir im Allgemeinen für

unbewusst halten, weil sie unorganisch sind, und wir nur höheren

Lebensformen ein Bewusstsein zuschreiben. Doch Ereignisse wie

diese treten in Ketamin-Sitzungen ebenso häufig wie authentisch

und überzeugend auf. Sie helfen uns, die animistische Weitsicht

vieler Eingeborenenkulturen zu verstehen, für die nicht nur sämt­

liche Tiere und Pflanzen, sondern auch Sonne und Sterne, Ozeane,

Berge, Flüsse und andere Teile der anorganischen Natur ein Be­

wusstsein haben.

Zu meinen vielen denkwürdigen Erfahrungen dieser Art gehört

die Identifizierung mit dem Bewusstsein des Ozeans, der Wüste,

von Granit, eines Atomreaktors in einem U-Boot unter dem ark­

tischen Eis, einer Metallbrücke, über die schwere Lastwagen fuh­

ren, von hölzernen Pfählen - mit Schlägen von riesigen Hämmern

in die Erde getrieben -, brennenden Kerzen, des Feuers einer Fa­

ckel, von Edelsteinen und Gold. Zu meiner Liste gehört sogar die

Identifizierung mit einem Skistiefel am Fuß eines Langläufers und

all den wechselnden, körperlichen Spannungszuständen, die mit

seinen Bewegungen beim Skifahren verbunden waren.

Page 323: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Materie und Bewusstsein 323

Genauso häufig identifizierte ich mich mit anderen Lebensformen.

In einer meiner Sitzungen mit Ketamin wurde ich zur Kaulquappe

und erlebte deren Metamorphose zum Frosch; in einer anderen

zum riesigen Flachland-Gorilla, der sein Revier behauptete. In

mehreren Fällen bescherte mir der Wirkmechanismus dieses Mit­

tels bemerkenswerte Einsichten in die Welt der Delphine und Wale.

Ein weiteres Beispiel war das absolut authentische und glaubwür­

dige Erlebnis, eine Raupe zu sein, die sich in einen Kokon ein­

spann und in einer amorphen Flüssigkeit auflöste, aus der sie in

Gestalt eines Schmetterlings wieder auftauchte. Bei einer beson­

ders eindrucksvollen Erfahrung dieser Art war ich eine Venusflie-

genfalle - eine fleischfressende Pflanze, die eine Fliege fing und

verdaute und dabei Geschmackserlebnisse hatte, die ich mir als

Mensch noch nicht einmal in meiner Phantasie hätte ausdenken

können.

Die obigen Beispiele stehen in starkem Kontrast zu mehreren wei­

teren Ketamin-Sitzungen, die absolut trivial und geradezu langwei­

lig verliefen. Hier sah ich endlose Bilder von Backsteinmauern, as­

phaltierten Flächen und Straßen oder hässlichen, fluoreszierenden

Farben in den Vororten einer großen Stadt und fragte mich, warum

ich überhaupt Ketamin genommen hatte. In einer bestimmten Zeit

meines Leben waren die Sitzungen mit Ketamin mehrmals hinter­

einander so scheußlich und abstoßend, dass ich beschloss, diese

Substanz nie wieder zu nehmen. Sie kreisten um fossile Brennstoffe,

die für das Leben auf unserem Planeten ein Fluch sind. Im Fol­

genden schildere ich eine diese Sitzungen:

Die Atmosphäre war dunkel, verhängnisvoll und ominös. Sie

schien sowohl in chemischer Hinsicht zersetzend und vergiftet als

auch in einem metaphysischen Sinne gefährlich und böse zu sein.

Anfangs erlebte ich sie als Teil meiner Umgebung von außen, aber

allmählich zog sie mich in ihren Bann, bis ich tatsächlich identisch

mit ihr war. Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass ich

Page 324: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Erdöl war, das in riesigen unterirdischen Höhlen lagerte. Während

ich diese Identifikation mit Erdöl als physischem Stoff intensiv

erlebte, darunter auch seinen penetranten Geruch, wurde mir klar,

dass ich gleichzeitig ein metaphysisches oder archetypisches We­

sen von unvorstellbaren Ausmaßen und voll übler Absichten war.

Ich wurde überflutet von faszinierenden Einsichten, in denen Che­

mie, Geologie, Biologie, Psychologie, Mythologie, Geschichte,

Ökonomie und Politik Zusammenflüssen.

Plötzlich verstand ich Dinge, über die ich bislang nie nachge­

dacht hatte. Erdöl war ein Fett biologischen Ursprungs, das sich in

ein Mineral verwandelt hat. Damit war es dem unausweichlichen

Zyklus von Tod und Wiedergeburt entkommen, diesem »Recyling«,

dem die restliche lebende Materie unterworfen ist. Trotzdem war

das Element des Todes aus diesem Ablauf nicht eliminiert, sondern

hatte sich lediglich verlagert. Das destruktive, plutonische Potenzi­

al existierte in Erdöl weiter als monströse Zeitbombe, die auf ihre

Gelegenheit wartete, in der Welt zu explodieren.

Während ich das Gefühl hatte, das Bewusstsein von Erdöl von

innen zu erleben, sah ich, wie der mit dieser Materie unlösbar ver­

bundene Tod sich als das Böse und das Morden derjenigen manifes­

tierte, die gierig auf die astronomischen Profite waren, die dieser

Rohstoff versprach. Ich war Zeuge unzähliger politischer Intrigen,

wirtschaftlicher Schurkenstreiche und hinterhältiger diploma­

tischer Machenschaften, die alle durch die Gier nach »Öldollars«

motiviert waren. Ich sah auch die unzähligen Leidtragenden der

Kriege um Erdöl auf dem Opferaltar dieses üblen Monsters liegen.

Es war nicht weiter schwer, sich vorzustellen, wie diese Verknüp­

fung von Ereignissen zum Weltkrieg führte, der um die schwin­

denden Vorräte eines Rohstoffs ausgefochten wurde, welcher für

das Überleben und den Wohlstand der Industrienationen notwen­

dig geworden war.

Mir war ganz klar, dass das Umschwenken der Wirtschaft auf

Sonnenenergie und andere erneuerbare Ressourcen für die Zukunft

324 Teil 5: Außersinniiche Wahrnehmungen und Jenseits

Page 325: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Materie und Bewusstsein 325

unseres Planeten ausschlaggebend war. Eine eingleisige Politik,

welche die begrenzten Vorräte an fossilen Brennstoffen plünderte,

mit deren giftigen Abfällen die Erdölindustrie dann die Umwelt

verschmutzte, war grundlegend falsch, und mir war unbegreiflich,

dass dies für Ökonomen und Politiker nicht offen auf der Hand lag.

Diese kurzsichtige Politik war unvereinbar mit der kosmischen

Ordnung und der zyklischen Natur des Lebens. Auch wenn die

Ausbeutung fossiler Brennstoffe im historischen Kontext der indus­

triellen Revolution verständlich war - sie fortzusetzen, nachdem

man ihre tödlichen Konsequenzen erkannt hatte, war ebenso

selbstzerstörerisch wie mörderisch und kriminell.

In einer langen Reihe von scheußlichen und äußerst unange­

nehmen Erlebnissen wurde ich durch Bewusstseinszustände der

Erdöl verarbeitenden chemischen Industrie geschleust. Ich nannte

das Bewusstsein, das diese Erfahrungen vermittelte, nach dem

Namen eines bekannten deutschen Chemiekonzerns. Es bestand

aus einer schier endlosen Folge von inneren Zuständen, in denen

ich die lebensfeindlichen Eigenschaften von Anilinfarbstoffen,

ätzenden Lösungsmitteln, Herbiziden, Pestiziden und Giftgasen er­

lebte. Ich machte nicht nur Erfahrungen mit zahlreichen verschie­

denen Industriegiften als solchen, sondern identifizierte mich auch

mit den Bewusstseinszuständen der vielen Lebensformen, die un­

ter Erdölprodukten litten. Ich wurde zu jedem Juden, der in den

Gaskammern der Nazis umkam, jeder Ameise und Küchenschabe,

die man mit Insektenspray vernichtete, jeder Fliege, die in kleb­

rigen Fliegenfallen hängenblieb, und jeder Pflanze, die durch Her­

bizide starb. Und hinter alldem lauerte die düstere Zukunft, die

allem Leben auf diesem Planeten höchst wahrscheinlich drohte -

der Tod durch industrielle Umweltvergiftung.

Das war eine unglaubliche Lektion. Ich ging aus dieser Sitzung mit

einem tiefen, ökologischen Bewusstsein hervor und ich hatte ein

sehr klares Gefühl dafür, in welche Richtung die wirtschaftliche

Page 326: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

326 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

und politische Entwicklung gehen musste, damit das Leben auf

unserem Planeten erhalten blieb.

Durch diese Sitzungen, in denen ich, wie gerade geschildert,

die Fallgruben des industriellen Zeitalters erforschte, gelangte ich

an einen Punkt, an dem ich beschloss, dass ich mit Ketamin keine

weiteren Erfahrungen machen wollte. Mein letztes Selbsterfor-

schungsexperiment mit Hilfe von Ketamin zeigte mir jedoch die

andere Seite des Spektrums. Es war so ekstatisch und ungewöhn­

lich, dass ich beschloss, diese Tür nicht hinter mir zuzuschlagen.

Im Folgenden schildere ich kurz den Inhalt dieser Sitzung:

Ich spürte die Anwesenheit von vielen Freunden, die mein In­

teresse für Transpersonale Psychologie, meine Werte und meine

Orientierung im Leben teilten. Obwohl ich sie nicht sah, nahm ich

ihre Gegenwart mit Hilfe außersinnlicher Kanäle deutlich wahr.

Wir machten eine komplexe Entwicklung durch, bei der wir he­

rausfanden, wo wir uns einig und wo wir unterschiedlicher Mei­

nung waren, um dann Reibungspunkte mit Hilfe eines nahezu al-

chemistischen Verfahrens der Auflösung und Neutralisierung zu

beseitigen. Schließlich gelang es uns offenbar, ein völlig einiges

Netzwerk zu schaffen - vergleichbar einem einzigen Wesen, das

ohne die geringsten inneren Widersprüche eine klare Aufgabe ver­

folgte.

Und dann wurde dieses Kollektiv zu einer Art »Raumschiff im

Bewusstsein«, wie ich das nannte. Wir erfanden eine Bewegung,

durch die wir das Element des räumlichen Fluges mit einer ab­

strakten Darstellung der Evolution des Bewusstseins verbanden.

Diese Bewegung beschleunigte sich ständig, bis sie offensichtlich

eine absolute Grenze erreicht hatte, ähnlich wie die Lichtgeschwin­

digkeit im einsteinschen Universum. Wir hatten das Gefühl, auch

diese Grenze überschreiten zu können, doch waren die Folgen ab­

solut nicht voraussagbar und potenziell gefährlich. Weil sich diese

Freundesgruppe durch einen großen Abenteuergeist auszeichnete,

beschlossen wir jedoch, uns dem Unbekannten zu stellen.

Page 327: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Materie und Bewusstsein 327

Es gelang uns, die Grenze zu überschreiten und weiter vorzudrin­

gen, was unsere Erfahrung auf eine Art und Weise, die sich schwer

beschreiben lässt, in andere Dimensionen verlagerte. Statt sich

durch Raum und Zeit zu bewegen, schien sich das Bewusstsein

jetzt enorm auszudehnen. Die Zeit stand still, und wir befanden

uns in einem inneren Zustand, den ich als das Bewusstsein von

Bernstein erkannte. Das machte durchaus Sinn, denn Bernstein ist

die materielle Verkörperung einer Situation, in der die Zeit fest­

friert. In dieser mineralisierten organischen Substanz (Harz) sind

zahlreiche verschiedene Lebensformen, wie zum Beispiel Pflanzen

und Insekten, über Millionen von Jahren hinweg unverändert er­

halten geblieben.

Nachfolgend erlebten wir offensichtlich eine Art Reinigung,

die jeden Zusammenhang mit organischem Leben auslöschte. Die

Erfahrung wurde kristallklar und unglaublich schön. Wir befan­

den uns offenbar im Inneren eines riesigen Diamanten. Unzählige

feine, sich überlagernde Gitter explodierten in einem flüssigen Me­

dium von unglaublicher Reinheit zu sämtlichen Farben des Spek­

trums. Wie der ultimative Computer enthielt dieser Diamant in

reiner, abstrakter und unendlich verdichteter Form sämtliche In­

formationen über Leben und Natur. Dabei schien relevant zu sein,

dass Diamanten aus reiner Kohle bestehen, einem Element, auf

dem alles Leben beruht und das unter extremen Temperatur- und

Druckverhältnissen entsteht.

Alle anderen Eigenschaften des Diamanten - Glanz, Schönheit,

Transparenz, Dauerhaftigkeit, Beständigkeit und die Fähigkeit,

weißes Licht zu einem reichen Farbspektrum zu brechen - verwie­

sen auf seine metaphysische Bedeutung. Ich begriff, warum der

tibetische Buddhismus auch Vajrayana heißt - Diamantenfahrzeug.

Der angemessenste Begriff, der mir für solch ekstatisches Entzü­

cken einfiel, war »Diamantenbewusstsein«. Dieser Zustand barg

die schöpferische Energie und Intelligenz des ganzen Universums,

existierte als reines Bewusstsein jenseits von Raum und Zeit.

Page 328: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

328 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und Jenseits

Ich schwebte in dieser Energie als dimensionsloser Bewusstseins­

punkt, der sich ein Gefühl von individueller Identität bewahrte

und sich zugleich völlig auflöste und eins mit allem war. Ich nahm

auch die Gegenwart meiner Freunde wahr, die diese Reise mit mir

zusammen unternommen hatten; sie waren ebenfalls völlig form­

los, nichts als dimensionslose Punkte. Ich spürte, dass wir uns in

einem Zustand höchster Erfüllung befanden. Wir hatten die Quelle

aller Existenz erreicht und damit unsere höchste Bestimmung. Wir

waren dem Himmelreich so nahe, wie ich es mir nur vorstellen

konnte.

So weit einige wenige Beispiele für die Erfahrungen, die ich mit der

merkwürdigsten und ungewöhnlichsten psychoaktiven Substanz

machte, die ich je kennenlernte. Noch eine weitere Eigenschaft von

Ketamin verdient in diesem Zusammenhang Erwähnung: Christina

und ich haben Ketamin mehrmals bei unseren Reisen in andere

Länder genommen - in Peru, Brasilien, Indien und Bali, wo an

diese Substanz leicht heranzukommen ist - und entdeckt, dass die

dadurch ausgelösten Erfahrungen uns in Kontakt brachten mit der

archetypischen Welt, die diese Kulturen, ihre Mythologien, die

Psyche ihrer Menschen, ihre Kunstwerke und ihre Kunst prägt.

Page 329: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Auf dem Inka-Pfad 329

Auf dem Inka-PfadDas Geheimnis der Trepanation entdecken

ei unseren Besuchen in Peru hatten wir zwei Anlaufstellen, wo

wir uns von dem langen Flug und unserem Jetlag erholen

konnten. Die erste war das gastfreundliche Hotel Bolivär in Lima

mit seinen bequemen Betten, der großen Badewanne und dem alt­

modischen Charme. Die zweite war das Casa Vasca, ein kleines

Restaurant direkt um die Ecke mit einer ausgezeichneten bas-

kischen Küche. Wir entdeckten auch, dass man in der Inka-Apo-

theke gegenüber vom Bolivár ohne Rezept fast jedes Medikament

bekam. Dazu gehörte auch Ketajet; das war die südamerikanische

Handelsbezeichnung von Ketamin.

Wir kauften eine Flasche, ganz aufgeregt bei dem Gedanken,

damit in Cuzco, der uralten Hauptstadt des Inka-Reichs, zu experi­

mentieren. Hier eröffnete sich uns eine einzigartige Gelegenheit,

die Geheimnisse der Inka-Gesellschaft zu erforschen, die Welt ihrer

Götter und ihrer glanzvollen Künste. Diese Sitzung sollte jedoch,

wie sich später herausstellte, eine der schwierigsten Erfahrungen

werden, die ich in meinem Leben jemals machte.

Nach unserer Ankunft in Cuzco nahmen wir die Substanz

abends in unserem Hotel. Sowie die Wirkung einsetzte, fand ich

mich umgeben von vier muskulösen Inka-Krieger-Priestern in ih­

ren rituellen Gewändern. Sie trugen raffinierte Kopfbedeckungen

und Tuniken aus farbigen Federn. Die Ohren und den ganzen wei­

teren Körper schmückte Geschmeide aus schwerem Gold. Ich

B

Page 330: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

330 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und jenseits

spürte ihren eisernen Griff an meinen Hand- und Fußgelenken.

Dann trat ein besonders reich geschmückter Mann, der wie ein

Hoher Priester aussah, mit Hammer und Meißel auf mich zu und

hämmerte unbarmherzig auf meinen Schädel ein.

Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, was da mit mir ge­

schah. Bei unserem Aufenthalt in Lima hatten wir das anthropolo­

gische Museum besucht, wo eine ganze Reihe von trepanierten

Schädeln zu besichtigen war. Das Knochenbild im Bereich der

Wunden wies darauf hin, dass das betroffene Individuum diese

Prozedur überlebte. Auf den Hinweisschildern stand, diese Trepa­

nationen seien Beweise für die medizinische Kunst der Inkas. Es

handele sich dabei höchstwahrscheinlich um chirurgische Eingriffe

zur Entfernung von Tumoren oder anderen pathologischen Befun­

den. Ich konnte mich noch an das merkwürdige und unerklärliche

Unbehagen erinnern, das diese durchlöcherten Hirnschalen in mir

weckten.

Jetzt erlebte ich mich höchst realistisch und überzeugend als

jemanden, der diese Prozedur selbst erlitt. Auch wenn ich die Dro­

genwirkung anders empfand als die von Ketamin, was wahrschein­

lich auf eine Art Medizin zurückging, die man den Initianden zur

Vorbereitung auf diese Tortur gegeben hatte, übertrafen die Schmer­

zen, die ich hier erlebte, alles, was ich mir jemals hatte vorstellen

können. Trotz dieser Qualen jedoch wurde ich überflutet von er­

staunlich aufschlussreichen Einsichten in den Eingriff, der an mir

vorgenommen wurde.

Das hier war keine chirurgische Operation, sondern ein Über­

gangsritual, vergleichbar den zahlreichen verschiedenen Eingebo­

renenritualen in anderen Kulturen, die mit unerträglichen Schmer­

zen verbunden waren, wie der Sonnentanz der Lakota-Sioux-Indianer

oder die Harnröhrenspaltung bei den australischen Aborigines.

Dieser Eingriff war unter anderem auch eine Prüfung, bei der getes­

tet wurde, wie groß die Macht des menschlichen Geistes war, der

Welt der Materie standzuhalten. Der Initiand musste beweisen,

Page 331: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Auf dem Inka-Pfad 331

dass er imstande war, extremes physisches Leid gelassen zu ertra­

gen. Doch hauptsächlich sollte die Trepanation das Hindernis zwi­

schen dem eigenen Gehirn und dem Sonnengott als höchster Gott­

heit der Inkas beseitigen, damit dessen Energie zum inneren Wesen

des Initianden Vordringen konnte.

Mir fiel dabei der junge Mann ein, den ich in einem Amster­

damer Antiquitätengeschäft getroffen hatte. Er erzählte mir von

einem Holländer namens Dr. Bart Hughes, der 1962 eine Bewe­

gung gründete, die auf dem Glauben beruhte, dass eine Selbst-Tre­

panation höhere Bewusstseinszustände fördere, indem sie die Blut­

zirkulation im Gehirn anregt. Er hatte diese Operation bei sich

selbst mit einem Elektrobohrer durchgeführt. Der junge Mann war

seinem Beispiel gefolgt und behauptete, er sei von den Resultaten

sehr beeindruckt gewesen. Einige Jahre zuvor hatten Christina und

ich bei einem Besuch in England Gelegenheit zu einem langen Ge­

spräch mit Lord James Neidpath und seiner Frau Lady Amanda

Neidpath, die sich beide aus den gleichen Gründen einer Trepana­

tion unterzogen hatten. Beide priesen die Auswirkungen dieses

Eingriffs auf ihr Bewusstsein.

Sowie ich begriff, was es mit dieser Prozedur auf sich hatte,

gab ich mir große Mühe, die stoische Haltung zu bewahren, die

von den Initianden erwartet wurde. Ich rief meinen Verstand zur

Hilfe und machte mir klar, dass die Wirkung von Ketajet etwa 50

bis 60 Minuten anhalten würde und ein Ende meiner Qualen ab­

zusehen war. Ab und zu schaute ich auf die Uhr, aber der kleine

Zeiger schien sich kaum vorwärtszubewegen. Schließlich - nach

einer Ewigkeit, wie mir schien - war seit meiner Einnahme der

Substanz eine Stunde verstrichen. Doch zu meiner großen Verblüf­

fung fand mein Leiden damit kein Ende. Die pharmakologische

Wirkung der Droge nahm ab, doch die unerträglichen Schmerzen

blieben.

Christinas Sitzung hatte den für Ketamin üblichen Verlauf

genommen, und nachdem wir uns über unsere Erlebnisse ausge­

Page 332: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

332 Teil 5: Außersinnliche Wahrnehmungen und jenseits

tauscht hatten, schlief sie ein. Ich jedoch lag mit quälenden Schmer­

zen im Bett und konnte nicht einschlafen. Ich durchlitt sämtliche

Kopfschmerzen, die Menschen im Verlauf der Geschichte jemals

gepeinigt hatten. Für den folgenden Tag hatten wir einen Ausflug

nach Machu Picchu geplant, der berühmten, uralten Festungsstadt

der Inkas. Als es Zeit für unser zeitiges Frühstück wurde, kleideten

wir uns an und gingen in den Speisesaal. Mir war übel, und jeder

Schritt auf der Treppe nach unten fühlte sich an wie ein weiterer

Meißelschlag des Hohen Priesters. Ich sah Christina beim Frühstü­

cken zu und konnte selbst keinen Bissen herunterbringen.

Auch auf der Fahrt mit der Bahn nach Machu Picchu hielten

meine Schmerzen an. Die Arbeiter, die die Gleise zusammen­

schweißten, hatten ihre Sache nicht besonders gut gemacht. Wenn

die Räder über eine Nahtstelle rumpelten, war es, als träfe mich ein

weiterer Meißelschlag. Offensichtlich ging mein Übergangsritual

weiter und würde nie ein Ende finden. Plötzlich, etwa auf halber

Strecke nach Machu Picchu, hörten die Schmerzen auf, und ich

geriet in einen ekstatischen Zustand. Wir erreichten den Bahnhof,

von wo uns ein kleiner Lieferwagen zum Eingang der alten Fes­

tungsstadt brachte, nachdem er die Zugangsstraße mit den vielen

Serpentinen bewältigt hatte.

Es war ein schöner, sonniger Tag, und die Besichtigung der

uralten Stadt hoch oben in den Anden wurde ein unvergessliches

Erlebnis. Ich fühlte mich so zu Hause an diesem Ort, als hätte ich

dort tatsächlich einmal gelebt. Nach dem Mittagessen streiften wir

in den Ruinen umher und beschlossen dann, den Huayna Picchu

zu besteigen, was in Quechua »Junger Berg« heißt - der Name für

den steilen Hügel, der einen Ausblick auf die historische Stätte bie­

tet. Der Weg war steil und lang, belohnte uns aber mit einer phan­

tastischen Aussicht auf die Ruinen von Machu Picchu, »den Alten

Berg«. Der Besuch dieses magischen Ortes nach meinem Erlebnis

mit dem Ritual der Trepanation gehört bis zum heutigen Tag zu

den eindrucksvollsten Erlebnissen meines Lebens.

Page 333: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 6

UnorthodoxePsychiatrie

Überraschende Alternativen

zu traditionellen

Behandlungsmethoden

Page 334: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert
Page 335: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie 335

ie Beobachtungen aus der Forschung über holotrope Bewusst­

seinszustände haben uns viele außergewöhnliche Einsichten

in die Vielschichtigkeit der menschlichen Psyche sowie in das We­

sen und die Struktur emotionaler und psychosomatischer Stö­

rungen gebracht. Sie eröffneten uns auch überraschend neue Per­

spektiven für die Behandlung dieser Zustände, denn sie deckten

therapeutische Mechanismen auf, die der psychiatrischen Fachwelt

bislang unbekannt waren.

Das augenblicklich in der klinischen und akademischen Psy­

chiatrie vorherrschende Modell der Psyche ist begrenzt auf die

postnatale Biographie und das individuelle freudsche Unbewusste.

Laut Freud gilt das Neugeborene als tabula rasa, als unbeschrie­

benes Blatt, und unsere Persönlichkeit wird geprägt durch die Ab­

läufe in der Kleinfamilie und emotional relevante Ereignisse in un­

seren ersten Lebensjahren. Aus dieser Sicht betrachtet, sind die

Ereignisse vor der Geburt und auch der Verlauf der Geburt selbst

psychologisch irrelevant. Störungen, für die man in der Anatomie,

Physiologie und Biochemie des Gehirns keine organischen Ursa­

chen finden kann, gelten als Folgen psychotraumatischer Erfah­

rungen in der Kleinkindzeit, Kindheit und im späteren Leben. Ge­

nerell geht man übereinstimmend davon aus, dass psychogene

Störungen ihren Ursprung in verschiedenen Phasen der postnatalen

Lebensgeschichte nehmen, und ihre Beschaffenheit und Schwere

D

Page 336: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

336 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

Aufschluss darüber geben, in welcher Zeit das ursprüngliche Psy-

chotrauma stattfand.

Die konventionellen therapeutischen Maßnahmen bei psycho­

genen, emotionalen und psychosomatischen Störungen fallen in

zwei breit gefasste Kategorien - »zudeckende« und »aufdeckende«

Behandlungsmethoden. Die zudeckende Therapie, die augenblick­

lich bei ambulanten und klinischen Behandlungen vorherrscht,

benutzt eine reiche Palette an Psychopharmaka, um Symptome zu

unterdrücken. Sie kann Patienten subjektive Erleichterung ver­

schaffen, ohne sich mit den Ursachen zu beschäftigen, die der Stö­

rung, an der sie leiden, zugrunde liegen. Die aufdeckende Therapie

versucht, mit zahlreichen verschiedenen psychotherapeutischen

Methoden zur Wurzel des Problems vorzudringen. Sie will nicht

nur die Symptome lindern, sondern sich auch den ihnen zugrunde

liegenden Faktoren zuwenden und positive Veränderungen in der

Persönlichkeitsstruktur fördern. Leider bietet uns das augenblick­

liche Modell der Psyche nur ein begrenztes Spektrum an therapeu­

tischen Mechanismen, wie das Erinnern vergessener und unter­

drückter traumatischer Ereignisse oder ihre Rekonstruktion mit

Hilfe des freien Assoziierens und von Träumen, intellektuellen und

emotionalen Einsichten, der Analyse der Übertragung und korrek­

tiven Erfahrungen in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Wie wir bereits gesehen haben, hat das Studium holotroper

Zustände die Kartographie der Psyche enorm erweitert, indem es

sie um zwei neue Gebiete ergänzte - das Perinatale und das Trans­

personale. Es hat auch gezeigt, dass psychopathologische Symp­

tome und Syndrome psychogenetischen Ursprungs durch trau­

matische Erlebnisse in der postnatalen Biographie nicht angemessen

erklärt werden können. Beobachtungen aus der erlebnisorien­

tierten Tiefenpsychologie haben gezeigt, dass diese Zustände eine

vielschichtige und dynamische Struktur haben, die regelmäßig sig­

nifikante Elemente aus den perinatalen und transpersonalen Be­

reichen der Psyche mit einschließt.

Page 337: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie 337

Diese Entdeckung erklärt, warum sich verbale, biographisch orien­

tierte Methoden als Werkzeuge für den Umgang mit schweren kli­

nischen Problemen im Allgemeinen als ziemlich enttäuschend er­

wiesen haben. Da sie gedanklich und praktisch begrenzt sind,

erreichen wir mit diesen Methoden nicht die tieferen Wurzeln der

Zustände, die wir damit zu heilen versuchen. Die Entdeckung, wie

tief die Probleme reichen, mit denen sich Psychiatrie und Psycho­

therapie auseinandersetzen müssen, könnte für sich genommen

ziemlich entmutigend sein. Glücklicherweise zeigt aber die Arbeit

mit holotropen Zuständen nicht nur auf, dass emotionale und psy­

chosomatische Störungen bedeutende perinatale und transperso­

nale Komponenten haben. Sie eröffnet auch den Zugang zu neuen,

höchst effektiven therapeutischen Mechanismen, die auf diesen

tiefen Ebenen der Psyche wirksam werden und oft zu einer drama­

tischen Heilung und positiven Wandlung der Persönlichkeit führen.

In diesem Teil des Buches gebe ich einige Beispiele für Situationen,

in denen durch Mechanismen, die auf der perinatalen und trans­

personalen Ebene der Psyche ansetzen, bemerkenswerte therapeu­

tische Wirkungen erzielt wurden. Wie wir sehen werden, verlangt

eine Heilung manchmal, dass Menschen ihre Geburt sowie ein­

dringliche Erfahrungen aus vergangenen Leben noch einmal durch­

leben, dass sie archetypischen Wesen aus einer ihnen bislang völlig

fremden Kultur begegnen oder sich mit den vollständigen Manifes­

tationen archetypischer Gestalten konfrontieren, darunter auch dä­

monischen.

Dazu gehören auch höchst ungewöhnliche therapeutische Me­

chanismen wie das Identifizieren mit einem Baum oder das Singen

eines sephardischen Gebets. Die interessanteste und sowohl theo­

retisch als auch praktisch wichtigste Beobachtung aus der Arbeit

mit holotropen Zuständen ist, dass perinatale und transpersonale

Erfahrungen ein starkes Heilungspotenzial besitzen und zwar selbst

dann, wenn sie im Kontext von Episoden auftreten, welche die

Page 338: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

338 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

Psychiatrie als Manifestationen schwerer psychischer Erkran­

kungen betrachtet - als Psychosen.

Auf der Grundlage unserer Erfahrungen mit solchen Zustän­

den sind Christina und ich zu der Überzeugung gelangt, dass viele

spontane Episoden mit holotropen Zuständen, die im Augenblick

noch als Psychosen diagnostiziert und mit dämpfenden Medika­

menten behandelt werden, in Wirklichkeit psychospirituelle oder

spirituelle Krisen sind. Es gibt genug Beweismaterial dafür, dass

diese Episoden - richtig verstanden und angemessen begleitet - zu

einer heilsamen, positiven Veränderung der Persönlichkeit und ei­

ner spirituellen Öffnung führen können (Grof und Grof 1991,

2002). Der jungsche Psychologe John Weir Perry hat viele erfolg­

reich behandelte Fälle dieser Art in einer Reihe von Büchern be­

schrieben (Perry 1974, 1976).

In diesem Buchteil finden Sie auch die Geschichten zweier

Frauen, deren Symptome ein traditioneller Psychiater als Anzei­

chen für eine psychische Krankheit betrachten würde. Und doch

wäre es falsch gewesen, ihnen einen entsprechenden diagnos­

tischen Stempel aufzudrücken. In einer weiteren Fallgeschichte

beschreibe ich ein höchst unkonventionelles therapeutisches Ver­

fahren. Hier zeigt sich, dass die Beschleunigung psychodyna­

mischer Prozesse, die psychotischen Symptomen zugrunde liegen,

durch Anwendung psychedelischer Therapie zu therapeutischen

Ergebnissen führen kann, die einer Dämpfung durch Medikamente

weit überlegen sind. Beendet wird dieser Buchteil mit einer hu­

morvollen, in leichtem Tonfall erzählten Geschichte, die zeigt, dass

zufällige Synchronizitäten gelegentlich zu überraschenden thera­

peutischen Ergebnissen führen können.

Page 339: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Schmerz, der drei Jahrhunderte überlebte 339

Der Schmerz, der drei jahrhunderte überlebte

Norberts Geschichte

n der folgenden Geschichte geht es um Norbert, einen 51-jäh­

rigen Psychologen und Geistlichen, der an einem unserer fünf­

tägigen Workshops am Esalen-Institut teilnahm. Sein Fall kann als

typisches Beispiel für das Phänomen gelten, das ich »Systeme ver­

dichteter Erfahrung« - COEX-Systeme - (von »Condensed expe-

riences«, Anm.d.Ü.) nenne. Dabei handelt es sich um eine viel­

schichtige Konstellation von traumatischen Erinnerungen aus

verschiedenen Schichten des Unbewussten - biographisch, perina-

tal und transpersonal die bestimmten emotionalen und psycho­

somatischen Symptomen zugrunde liegt. Norberts Geschichte zeigt

auch das therapeutische Potenzial, welches das Wiedererleben und

Integrieren der Geburtstraumata und von Erinnerungen aus ver­

gangenen Leben bergen.

Bei der Vorstellungsrunde in der Gruppe vor der ersten holo­

tropen Atemsitzung klagte Norbert über starke chronische Schmer­

zen in seiner linken Schulter und im Brustkorb, unter denen er

sehr litt, und die sein Leben inzwischen erheblich beeinträchtigten.

Wiederholte medizinische Untersuchungen einschließlich Röntgen

hatten jedoch keine organische Ursache für seine Beschwerden er­

bracht, und alle bisherigen Behandlungsversuche waren erfolglos

geblieben. Eine Reihe von verabreichten Injektionen mit Procain

(lokales Anästhetikum, Anm.d.Ü.) hatte ihm nur kurzfristig und

I

Page 340: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

340 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

vorübergehend Erleichterung verschafft, solange die pharmakolo­

gische Wirkung des Medikaments anhielt.

Zu Beginn des Holotropen Atmens wollte Norbert impulsiv

den Raum verlassen, denn er hatte das Gefühl, dass die Musik ihn

»umbrachte« und er sie nicht ertragen konnte. Es kostete viel Über­

redungskunst, ihn zu bewegen, bei seinem inneren Prozess zu blei­

ben und die Gründe für seine negativen Gefühle zu erforschen.

Schließlich stimmte er zu, mit seiner Sitzung fortzufahren, und

hatte fast drei Stunden heftige Schmerzen in Brust und Schulter,

die unerträglich wurden. Er kämpfte mit aller Macht, als ginge es

um sein Leben, würgte, hustete, schrie wiederholt und laut und in

den unterschiedlichsten Stimmlagen. Nach dieser stürmischen

Phase beruhigte und entspannte er sich und wurde friedlich. Ganz

überrascht stellte er fest, dass sich die Verspannungen in seiner

Schulter und seinem Brustkorb gelöst hatten und er völlig schmerz­

frei war.

Rückblickend berichtete Norbert, dass sich seine Erfahrungen

auf drei verschiedenen Ebenen abgespielt hatten, die alle mit dem

Schmerz in seiner Schulter zusammenhingen und mit einem Ge­

fühl des Erstickens verbunden waren. Auf der obersten Schicht

durchlebte er noch einmal eine beängstigende Situation aus seiner

Kindheit, bei der er fast ums Leben gekommen wäre: Als er etwa

sieben Jahre alt war, grub er zusammen mit seinen Freunden am

Strand einen Tunnel. Sowie der Tunnel fertig war, kroch Norbert

hinein, um ihn zu erforschen. Während die anderen Kinder um

ihn herumsprangen, brach der Tunnel zusammen und begrub Nor­

bert bei lebendigem Leibe. Er wäre fast erstickt, wären auf die ver­

zweifelten Rufe der Kinder nicht die Erwachsenen herbeigeeilt, um

ihn in letzter Minute zu retten.

Als die Atemarbeit tiefer ging, erlebte Norbert noch einmal

eine weitere heftige und beängstigende Szene, die diesmal zurück­

führte zu seiner biologischen Geburt. Seine Entbindung war sehr

schwierig verlaufen, weil seine Schulter längere Zeit hinter dem

Page 341: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Der Schmerz, der drei Jahrhunderte überlebte 341

Schambein seiner Mutter steckenblieb. Wie in der Szene zuvor er­

lebte er auch diesmal sowohl Erstickungsgefühle als auch heftige

Schmerzen in der Schulter.

Im letzten Teil der Sitzung veränderte sich Norberts Erleben dra­

matisch. Er sah militärische Uniformen und Pferde vor sich und

begriff, dass er sich mitten in einer gewaltigen Schlacht befand. Er

konnte sie sogar als eine der Schlachten in Cromwells England

festmachen. Dabei verspürte er plötzlich einen scharfen Schmerz

und begriff, dass seine Schulter von einer Lanze durchbohrt wor­

den war. Er fiel vom Pferd, und während er da am Boden lag, tram­

pelten Pferde über ihn hinweg und quetschten seinen Brustkorb

zusammen. Seine gebrochenen Rippen verursachten ihm qualvolle

Schmerzen, und er würgte an dem Blut, das in seine Lungen

drang.

Nach einer Phase extremer Qualen löste sich Norberts Be­

wusstsein von seinem sterbenden Körper, schwebte hoch über dem

Schlachtfeld und beobachtete die Szene aus der Vogelperspektive.

Nach dem Tod des schwer verwundeten Soldaten, in dem Norbert

sich selbst in einer früheren Inkarnation wiedererkannte, kehrte

sein Bewusstsein in die Gegenwart zurück und verband sich mit

seinem Körper, der jetzt zum ersten Mal seit vielen Jahren schmerz­

frei war. Wie sich heraussteilen sollte, war diese Befreiung von jah­

relangen Schmerzen, die seine inneren Erlebnisse bewirkten, von

Dauer. Christina und ich freundeten uns mit Norbert und seiner

Frau an und trafen uns auch nach dem Workshop weiter mit ihnen.

Zwanzig Jahre sind jetzt seit dieser denkwürdigen Sitzung ver­

gangen, ohne dass Norberts Symptome zurückgekehrt sind.

Page 342: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

342 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

Die Schweinegöttin von MalekulaOttos Geschichte

ie Erfahrungen psychiatrischer Patienten, die als psychotisch

etikettiert werden, kreisen oft um Visionen von Gottheiten

und dämonischen Erscheinungen sowie Besuche in mytholo­

gischen Sphären, wie beispielsweise himmlischen Reichen, Para­

diesen und Höllen. Für Mainstream-Psychiater handelt es sich bei

solchen Erfahrungen um Produkte eines Gehirns, dessen Funktion

gestört ist aufgrund von pathologischen Vorgängen unbekannten

Ursprungs, die man irgendwann einmal genauer erforschen und

vollständig begreifen wird.

Auch wenn akademische Kreise diese Sicht oft als wissen­

schaftliche Tatsache präsentieren, die klar auf der Hand liegt und

an der es keinerlei vernünftige Zweifel geben kann, handelt es sich

hier in Wirklichkeit um eine höchst unplausible Behauptung. An

erster Stelle spiegelt sie die grundlegende metaphysische Annahme

des monistischen Materialismus wider, die das wissenschaftliche

Denken in industriellen Zivilisationen beherrscht - dass nämlich

Materie Priorität vor Bewusstsein hat. In Wirklichkeit ist es unvor­

stellbar, dass das reiche Panoptikum an ästhetisch exquisiten Bil­

dern und faszinierenden philosophischen Gedanken, das für die

Erfahrungen dieser Patienten typisch ist, durch pathologische Pro­

zesse hervorgerufen wird.

In meinem Buch Topographie des Unbewussten habe ich aufge­

zeigt, dass die Einsichten und Offenbarungen, die diese Erfah­

D

Page 343: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Schweinegöttin von Malekuta 343

rungen vermitteln, oft verblüffende Ähnlichkeiten mit den großen

spirituellen Traditionen des Ostens und Westens aufweisen, die,

wie schon erwähnt, Aldous Huxley als »ewige Philosophie« be-

zeichnete. Es gibt überzeugendes wissenschaftliches Beweismateri­

al, das dem offiziellen Dogma widerspricht, welches diese Er­

fahrungen als pathologische Produkte eines kranken Gehirns

betrachtet. C.G. Jung und seine Anhänger haben nachgewiesen,

dass solche Erlebnisse in der Regel ziemlich präzise Elemente aus

den Mythologien der zahlreichen verschiedenen Weltkulturen wie­

dergeben, darunter auch solche, die nicht zum Bildungswissen der

betreffenden Individuen gehörten.

Die jungschen Beobachtungen zeigen eindeutig, dass diese Er­

fahrungen keine Produkte eines pathologischen Gehirns sind, son­

dern dem kollektiven Unbewussten entspringen, an das wir alle

angeschlossen sind. Die psychedelische Forschung und die holo­

trope Atemarbeit haben genügend Beweismaterial zusammengetra­

gen, das die jungsche Sichtweise stützt. Holotrope Bewusstseinszu­

stände können uns, wodurch auch immer sie ausgelöst werden,

tiefe Einsichten in die Weltanschauung der Kulturen vermitteln,

die glauben, dass der Kosmos von mythologischen Wesen bevöl­

kert und von zahlreichen glückseligen und zornigen Gottheiten

unterschiedlichster Art regiert wird.

In diesen Zuständen können wir persönlich einen direkten

Zugang zur archetypischen Welt der Götter, Dämonen, legendären

Helden, zu übernatürlichen Wesenheiten und zur inneren Führung

im kollektiven Unbewussten bekommen. Wir können auch phan­

tastische Landschaften und jenseitige Reiche aufsuchen, die inte­

grale Bestandteile dieser Schichten der menschlichen Psyche sind.

Tiefe persönliche Erfahrungen mit solchen Reichen helfen uns be­

greifen, dass die Bilder des Kosmos, die wir in vorindustriellen Ge­

sellschaften finden, nicht auf Aberglaube oder primitivem »ma­

gischen Denken« beruhen, sondern auf unmittelbaren Erlebnissen

mit anderen Wirklichkeiten. Ein besonders überzeugender Beweis

Page 344: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

344 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

für die Authentizität dieser Erfahrungen ist die Tatsache, dass sie

uns, wie andere transpersonale Phänomene auch, neue und präzise

Erkenntnisse über eine Vielzahl von verschiedenen archetypischen

Wesen und jenseitigen Reichen verschaffen können. Die Inhalte,

Tiefe und Qualität dieser Informationen über die jeweils auftau­

chenden Mythologien gehen oft weit über den Bildungshorizont

der Individuen hinaus, die diese Erfahrungen machen.

Eines der interessantesten Beispiele dieser Art, die ich in meiner

klinischen Praxis erlebte, betrifft Otto, einen meiner Prager Kli­

enten, den ich wegen Depressionen und pathologischer Angst vor

dem Tod (Thanatophobie) behandelte. In einer seiner psychede­

lischen Sitzungen erlebte Otto eine eindringliche Sequenz von psy-

chospirituellem Tod und Wiedergeburt. Auf dem Höhepunkt sei­

ner Erfahrungen sah er einen ominösen Eingang in die Unterwelt

vor sich, bewacht von einer furchterregenden Schweinegöttin. An

diesem Punkt verspürte Otto plötzlich den starken Impuls, ein be­

stimmtes geometrisches Muster zu zeichnen.

Obwohl ich meine Klienten generell anweise, in den Sitzungen

zu liegen und die Augen geschlossen zu halten, um sich ganz auf

ihre inneren Erfahrungen konzentrieren zu können, öffnete Otto

die Augen, setzte sich auf und bat mich, ihm einige Blatt Papier

und Zeichenstifte zu bringen. Wie jemand, der unter großem

Druck steht, zeichnete er ungewöhnlich rasch eine ganze Reihe

von komplexen abstrakten Mustern. Dabei sah er äußerst unzufrie­

den, ja geradezu verzweifelt aus und zerriss und zerknüllte seine

komplizierten Zeichnungen, sobald sie fertig waren. Er war sehr

enttäuscht von seinen Bildern, und seine Frustration darüber, dass

er sie nicht »richtig hinkriegte«, wuchs. Als ich ihn fragte, was er

da zeichnen wolle, konnte er es mir nicht erklären. Er sagte, er

verspüre den unwiderstehlichen Drang, diese geometrischen Mus­

ter zu zeichnen, und war sicher, dass er seine Sitzung nur dann zu

einem gelungenen Abschluss bringen konnte, wenn er sie richtig

aufs Papier bekam.

Page 345: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Schweinegöttin von Malekula 345

Dieses Thema war für Otto offensichtlich von größter emotionaler

Bedeutung, und er bemühte sich sehr, zu verstehen, um was es da

ging. Zu jener Zeit stand ich noch stark unter dem Einfluss meiner

freudschen Ausbildung und versuchte mein Bestes, um mit Hilfe

der Methode des freien Assoziierens die unbewussten Motive für

Ottos merkwürdiges Verhalten herauszufinden. Wir widmeten die­

sen Versuchen ziemlich viel Zeit, doch ohne großen Erfolg. In

Bezug auf Ottos Kindheit oder sein augenblickliches Leben ergab

diese Sequenz einfach keinen Sinn. Dann schwenkte sein innerer

Prozess allmählich in andere Richtungen um, und ich machte mir

über diese Erfahrungen keine großen Gedanken mehr. Sie blieben

mir ein völliges Rätsel - bis ich viele Jahre später in die Vereinigten

Staaten übersiedelte.

Kurz nach meinem Eintreffen in Baltimore lud mich die »Society

for Art, Religion and Science« (Gesellschaft für Kunst, Religion und

Wissenschaft, Anm.d.Ü.) ein, in New York City einen Vortrag zum

Thema »Das Groteske in der Kunst« zu halten. Bei meinen Darle­

gungen erforschte ich das Problem des Grotesken und berief mich

dabei auf meine Beobachtungen aus der psychedelischen For­

schung. Begleitend dazu zeigte ich auch Dias von Bildern meiner

Klientinnen und Klienten. Unter den Konferenzteilnehmern be­

fand sich Joseph Campbell, den viele für den größten Mythologen

des 20. Jahrhunderts, wenn nicht gar überhaupt halten. Er war fas­

ziniert von meinen Beschreibungen der Geburtserlebnisse von Pa­

tienten und von den Bildern, die sie gemalt hatten. Auf seine Bitte

hin schickte ich ihm ein Manuskript, in dem ich die Ergebnisse

meiner Prager Forschungen zusammengefasst hatte. Es war ziem­

lich umfangreich, trug den Titel Agony and Ecstasy in Psychiatric

Treatment (Schmerz und Ekstase in der psychiatrischen Behand­

lung, Anm.d.Ü.) und wurde nie veröffentlicht, bildete aber die

Grundlage für fünf spätere Bücher, in denen ich unterschiedliche

Aspekte meiner Arbeit erläuterte.

Page 346: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

346 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

Nach den ersten Treffen wurden wir gute Freunde, und Joseph

spielte fortan eine sehr wichtige Rolle in meinem persönlichen und

beruflichen Leben (wie es weiter vorn in diesem Buch schon an­

klang). Christina hatte sich unabhängig von mir mit ihm ange­

freundet, als sie am Sarah-Lawrence-College in Bronxville, New

York, bei ihm studierte. Joseph hatte einen bemerkenswerten Intel­

lekt und besaß ein geradezu enzyklopädisches Wissen über die

Weltmythologien. Er liebte das Material über psychedelische For­

schungen, vor allem mein Modell der perinatalen Grundmatrizen

(BPM), das ihm half, die universelle Natur und Allgegenwart des

Motivs von Tod und Wiedergeburt in der Mythologie zu verstehen

(siehe auch Seite 382). Als ich nach Kalifornien zog, traf ich Joseph

regelmäßig, denn er war häufig zu Besuch in Esalen, nahm als

Gastdozent an den einmonatigen Seminaren teil, die Christina und

ich organisierten, und hielt dort auch eigene Workshops.

Bereits nach drei, vier Tagen hatte Joseph von der Verpflegung

in Esalen, die er als »Kaninchenfutter« bezeichnete, meist genug

und bekam Lust auf ein gutes Steak und Glenlivet-Whiskey, den er

liebte. Christina und ich luden ihn regelmäßig zu einem selbst ge­

kochten Abendessen ein, das seinen kulinarischen Vorlieben ent­

sprach. Im Laufe der Jahre führten wir viele faszinierende Ge­

spräche, bei denen ich ihm von meinen Beobachtungen der

verschiedenen archetypischen Erlebnisse von Teilnehmern an un­

seren Workshops für Holotropes Atmen erzählte. Meistens fiel es

Joseph nicht schwer, die hier auftauchenden mythologischen The­

men und Symbolismen, die ich weder erkannt noch verstanden

hatte, zu bestimmen und zu erläutern.

Bei einem dieser Gespräche fiel mir die oben beschriebene

Episode aus Ottos Sitzung ein, und ich erzählte sie Joseph. »Wie

faszinierend«, sagte er und fuhr ohne zu zögern fort: »Das war ein­

deutig die kosmische Mutter der Nacht des Todes, die verschlin­

gende Muttergöttin der Malekulaner aus Neu Guinea.« Diese Gott­

heit, so fuhr er fort mir zu erläutern, erscheine in Form einer

Page 347: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Schweinegöttin von Malekuia 347

furchteinflößenden weiblichen Gestalt, die eindeutig die Züge

eines Schweins trug. Laut Tradition der Malekulaner saß sie am

Eingang zur Unterwelt und bewachte ein verschlungenes labyrin-

thisches Muster, das als heilig galt. Die Malekulaner glaubten, dass

sie dieser Gottheit bei ihrer Totenreise begegnen würden.

Dieser Stamm pflegte ein ganzes System von raffinierten Ritu­

alen, bei denen es um das Züchten und Opfern von Schweinen

ging. Die komplexen rituellen Abläufe sollten den Malekulanern

helfen, die Abhängigkeit von ihren menschlichen Müttern und

schließlich auch von der verschlingenden Muttergöttin zu über­

winden. Daher widmeten sie den Zeichenübungen mit diesen La­

byrinthen enorm viel Zeit in ihrem Leben, denn die Meisterschaft

in dieser Kunst galt als wesentlicher Schlüssel für die Reise ins Jen­

seits. War die Seele eines Verstorbenen nicht imstande, das Muster,

das die Schweinegöttin von ihm verlangte, perfekt zu zeichnen,

verwehrte sie ihm den Eintritt ins Jenseits. So konnte Joseph mit

seinem erstaunlichen lexikalischen Wissen über Mythologie dieses

schwierige Rätsel lösen, auf das ich bei meinen Forschungen in

Prag gestoßen war.

Blieb die Frage offen, die selbst Joseph nicht beantworten

konnte: warum dieses spezielle mythologische Motiv offenbar in

engem Zusammenhang mit Ottos schwierigen emotionalen Symp­

tomen stand, und warum die Begegnung mit der Schweinegöttin

von Malekuia Teil seiner Therapie war. Generell gesehen machte es

natürlich Sinn, dass jemand, dessen Hauptsymptom die patholo­

gische Angst vor dem Tod war, eine Aufgabe lösen musste, von

deren Bewältigung die posthume Reise seiner Seele abhing.

Page 348: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

348 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatri<

Interview mit dem TeufelFloras Geschichte

ch habe bereits erwähnt, dass Erfahrungen mit holotropen Be­

wusstseinszuständen in Form von archetypischen göttlichen

Wesen, himmlischen Reichen und paradiesischen Visionen uns Zu­

gang zu normalerweise verborgenen, numinosen Dimensionen der

Wirklichkeit verschaffen können. Häufig jedoch enthüllen sie auch

die Schattenseite des Universums, die sich in Gestalt von dunklen

Energien, enorm machtvollen, bösen Wesen, furchterregenden Un­

terwelten und Höllenreichen manifestiert.

Menschen, die Psychedelika genommen haben, Holotropes

Atmen machen oder eine spirituelle Krise erleben, begegnen bei

den dadurch ausgelösten inneren Erlebnissen sehr häufig zornigen

Gottheiten und dämonischen Kräften. Eine sorgfältige Untersu­

chung zeigt, dass die Erscheinungen des Bösen, die sich in diesen

Zuständen manifestieren, in engem Zusammenhang mit extrem

schwierigen und schmerzlichen traumatischen Erfahrungen im au­

genblicklichen oder früheren Leben des betroffenen Individuums

stehen - sei es Sauerstoffmangel bei der Geburt oder pränataler

Stress, Nahtoderfahrung durch Ertrinken, lebensbedrohliche Er­

eignisse oder körperlicher und sexueller Missbrauch. Auf der kol­

lektiven Ebene sind bösartige archetypische Wesen und Motive

offensichtlich die treibenden Kräfte hinter Kriegen, blutigen Revo­

lutionen, Völkermord und anderen menschlichen Tragödien und

Gräueltaten.

I

Page 349: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Interview mit dem Teufel 349

Das Ausmaß an Schmerz, das sich menschliche Wesen gegenseitig

zufügen und im Verlauf ihrer Geschichte erleben, ist wirklich über­

wältigend. Doch die Schattenseite der Existenz erstreckt sich nicht

nur auf die menschliche Gesellschaft. Sie ist untrennbar verknüpft

mit dem gesamten Gewebe des Lebens. Antonie van Leeuwenhoek,

ein holländischer Mikrobiologe und Erfinder des Mikroskops,

fasste diese Tatsache mit einem Satz zusammen: »Das Leben lebt

vom Leben - es ist grausam, aber das ist Gottes Wille.« Lebende

Organismen können nur auf Kosten anderer lebender Organismen

überleben. Der englische Dichter Alfred Lord Tennyson nannte die

Natur »rot in Zahn und Kralle«. Es gehört zu den schwierigsten

Herausforderungen der spirituellen Reise, die Existenz bewusst in

ihrer Gesamtheit zu begrüßen und ihre dunkle Seite in ihrer ganzen

Tiefe anzunehmen.

Häufig gehen innere Begegnungen mit dem Bösen einher mit

äußeren, für den Beobachter wahrnehmbaren Anzeichen. Dazu ge­

hören merkwürdige Grimassen, bösartige Blicke, spastische Krämp­

fe in verschiedenen Körperteilen, eine veränderte Stimme, plötz­

liches heftiges Erbrechen und vieles mehr. Im therapeutischen

Kontext können diese Geschehnisse eine erstaunlich heilsame und

transformative Wirkung haben. Ich bin im Laufe meines Berufsle­

bens dämonischen Phänomenen in vielen verschiedenen Formen

und Abstufungen begegnet, doch waren sie nie so dramatisch und

extrem wie bei der Begleitung von Flora, einer Patientin, die ich

am Maryland-Psychiatric-Research-Center in Baltimore gegen Ende

der 1960er-Jahre behandelte.

Zum besseren Verständnis dieser Ereignisse muss ich zunächst

kurz den Kontext schildern, in dem sie stattfanden. Unser For­

schungszentrum war ein brandneues, vierstöckiges Gebäude, das

mit seinen nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen einge­

richteten Labors und Behandlungsräumen auf dem Grundstück

des Spring-Grove-State-Hospital stand. Es hatte jedoch keine Kli­

nikbetten. Die Patientinnen und Patienten, die an unserem For­

Page 350: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

350 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

schungsprojekt teilnahmen, waren auf den Stationen der staatli­

chen Klinik untergebracht. Die Beziehung zwischen den

Belegschaften der beiden Institutionen war etwas distanziert und

angespannt, denn das Klinikpersonal sah in uns so etwas wie Ver­

wandte, die mehr Glück im Leben haben. Deswegen kam es für

uns überraschend, als eines Tages Dr. Charles Savage, Leiter der

klinischen Dienste, und ich zu einem Teamtreffen des Spring-Gro-

ve-State-Hospital eingeladen wurden.

Während dieses Treffens verstanden wir nach und nach, wie

unsere Einladung zustande gekommen war. Ein Psychiater von

Spring-Grove stellte den Fall von Flora vor, einer 28-jährigen al­

leinstehenden Patientin, die seit über zehn Monaten auf der ge­

schlossenen Station untergebracht war. Man hatte hier mit ihr

sämtliche verfügbare Therapien ausprobiert, darunter auch Beruhi­

gungsmittel, Antidepressiva, Psychotherapie und Beschäftigungs­

therapie, doch ohne Erfolg. Nun drohte Flora eine Überweisung

auf die Station für chronische Fälle, wo sie ihr restliches Leben mit

chronischen Psychotikern und geriatrischen Patienten würde ver­

bringen müssen.

Flora wies die komplizierteste und schwierigste Kombination

von Symptomen und Beschwerden auf, die mir in meiner psychia­

trischen Praxis jemals begegnet sind. Mit sechzehn Jahren betei­

ligte sie sich als Mitglied einer Bande an einem bewaffneten Raub­

überfall, bei dem ein Nachtwächter getötet wurde. Als Fahrerin des

Fluchtautos saß Flora vier Jahre im staatlichen Gefängnis und wur­

de dann für die restliche Zeit ihrer Verurteilung auf Bewährung

entlassen. In den folgenden stürmischen Jahren wurde sie zur

Alkoholikerin und mehrfachen Drogenabhängigen. Sie war süchtig

nach Heroin und nahm Aufputsch- und Beruhigungsmittel in ho­

hen Dosierungen. Ihre schweren Depressionen waren von heftigen

Selbstmordtendenzen begleitet. Häufig verspürte sie den Impuls,

mit dem Wagen über Klippen zu fahren oder frontal mit anderen

Autos zusammenzustoßen.

Page 351: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Interview mit dem Teufel 351

Sie litt auch an hysterischem Erbrechen, das oft auftrat, wenn sie

emotional erregt war. Das qualvollste Symptom war für sie jedoch

ein schmerzhafter Gesichtskrampf, tic douloureux genannt. Ein

Neurochirurg von der Johns-Hopkins-Universität hatte zur Beseiti­

gung dieses Symptoms eine Gehirnoperation vorgeschlagen, bei

der man mit einem intrakraniellen Eingriff (in den Schädel, Anm.

d.Ü.) ihren Trigeminus-Nerv durchtrennen würde. Flora war les­

bisch und hatte in ihrem ganzen Leben noch nie mit einem Mann

geschlafen. Wegen ihrer sexuellen Neigungen hatte sie mit schweren

inneren Konflikten und Schuldgefühlen zu kämpfen und gelegent­

lich Selbstmord erwogen, um »dem allem ein Ende zu bereiten«.

Noch komplizierter wurde die Situation dadurch, dass sie gericht­

lich in die Klinik eingewiesen worden war, denn sie hatte, als sie

ein Gewehr säubern wollte und dabei unter Einfluss von Heroin

stand, eine Freundin und Mitbewohnerin schwer verletzt.

Am Ende der Fallbesprechung in Spring Grove fragte Floras

Psychiater Dr. Savage und mich, ob wir seine Patientin in unser

Programm für LSD-Psychotherapie aufnehmen würden. Wir fan­

den das eine extrem schwierige Entscheidung, nicht nur aufgrund

der Heftigkeit und Komplexität der vorliegenden psychiatrischen

Probleme, sondern auch wegen der Hysterie in Bezug auf LSD, die

zu der Zeit gerade im Land tobte. Außerdem war die Anzahl der

LSD-Sitzungen, die wir unseren Patienten geben konnten, durch

den Vertrag, den uns das National-Institute-of-Mental-Health

(NIMH) diktiert hatte, auf drei begrenzt. Und das war natürlich ein

großer Nachteil, vor allem bei einem so schwierigen Fall.

Wie erwähnt besaß Flora bereits eine kriminelle Vergangenheit.

Sie hatte Zugang zu Waffen, gewalttätige Phantasien und Impulse

sowie starke Selbstmordtendenzen. Vor dem Hintergrund der au­

genblicklich vorherrschenden Negativhaltung zu Psychedelika

würde man für alle Folgewirkungen der LSD-Sitzungen, die wir

Flora gaben, die Droge oder unsere Behandlung verantwortlich

machen, ohne die bisherige Krankengeschichte unserer Patientin

Page 352: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

352 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

zu berücksichtigen. Das wussten wir. Andererseits hatte man alle

konventionellen Möglichkeiten ausgeschöpft, und Flora drohte ein

lebenslanger Aufenthalt auf der Station für chronisch/psychisch

Kranke. Nach reiflicher Überlegung beschlossen wir, den Versuch

zu wagen und sie in das LSD-Programm aufzunehmen, denn wir

hatten das Gefühl, dass ihre verzweifelte Situation das Risiko recht­

fertigte, das wir damit auf uns nahmen.

Floras erste beiden LSD-Sitzungen mit hoher Dosierung unter­

schieden sich nicht groß von vielen anderen, die ich bislang beglei­

tet hatte. Sie musste sich einigen Situationen aus ihrer stürmischen

Kindheit stellen, in denen es um Alkoholismus, Gewalt und Inzest

in ihrer Ursprungsfamilie ging. Ihre Geburt war sehr schwierig ver­

laufen, und Flora durchlebte wiederholt Sequenzen ihres Kampfes

im Geburtskanal. Sie konnte ihre heftigen Selbstmordtendenzen

und die schmerzhaften Gesichtskrämpfe nun in Zusammenhang

mit bestimmten Aspekten ihres Geburtstraumas bringen und viele

intensive Emotionen und körperliche Verspannungen loslassen.

Doch insgesamt schien der therapeutische Gewinn all dieser An­

strengungen minimal.

Auch bei ihrer dritten LSD-Sitzung passierte in den ersten bei­

den Stunden nichts Besonderes. Sie machte ähnliche Erfahrungen

wie in den beiden vorangegangenen Sitzungen. Aber dann nahm

die Sitzung plötzlich eine überraschende Wende. Flora begann zu

weinen und klagte, die schmerzhaften Krämpfe in ihrem Gesicht

würden unerträglich. Vor meinen Augen verstärkten sich diese Be­

schwerden und ließen ihr Gesicht zu einem grotesken Ausdruck

erstarren, der am besten als »Maske des Bösen« zu beschreiben ist.

Sie sprach nun mit einer tiefen männlichen Stimme und war insge­

samt so anders, dass ich an ihr kaum noch Ähnlichkeiten mit ih­

rem früheren Aussehen entdecken konnte. Ihr Blick war von einer

unbeschreiblichen Bösartigkeit, der mich an die letzte Szene aus

dem Film Rosemarys Baby erinnerte, welche eine Nahaufnahme des

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Interview mit dem Teufel 353

Säuglings zeigt, der vom Teufel empfangen wurde. Floras spastisch

verkrampften Hände, die jetzt wie Klauen aussahen, vervollstän­

digten dieses Bild. Dann nahmen die Kräfte, die ihren Körper und

ihre Stimme in ihrer Gewalt hatten, eine Gestalt an und stellten

sich als Teufel vor.

»Er« wandte sich direkt an mich und befahl mir, mich von

Flora fernzuhalten und jeden Versuch, ihr zu helfen, aufzugeben.

Er behauptete, sie gehöre ihm, und drohte jedem mit Strafe, der es

wagen sollte, in sein Gebiet einzudringen. Es folgte ein ganzer

Schwall von weiteren erpresserischen Drohungen, bei denen er mir

ausmalte, was mir, meinen Kolleginnen und Kollegen und unserem

Projekt bevorstand, wenn ich ihm nicht gehorchte. Es fällt mir

schwer, die unheimliche Atmosphäre zu beschreiben, die bei die­

ser Szene im Raum entstand. Die Anwesenheit des Bösen war ganz

greifbar zu spüren.

Die erpresserischen Drohungen bekamen noch mehr Gewicht

durch die Tatsache, dass sie konkrete Informationen enthielten, zu

denen die Patientin in ihrem Alltag unmöglich Zugang haben

konnte. Einige dieser Informationen betrafen mich persönlich,

viele jedoch auch meine Kolleginnen und Kollegen in Spring Grove.

Als ich ihnen später erzählte, was in dieser Sitzung über sie durch­

gesickert war, staunten sie, denn weder die Patientin noch ich hät­

ten von diesen ganz speziellen Details ihres Privatlebens auf üb­

lichem Wege erfahren können.

Auch wenn ich bereits in früheren LSD-Sitzungen hin und

wieder Manifestationen des Dämonischen erlebt hatte, so doch nie

dermaßen extrem, realistisch und überzeugend. Ich geriet emotio­

nal ziemlich unter Druck und verspürte eine geradezu metaphy­

sische Furcht. Auf der einen Seite hatte ich mit diesen Ängsten zu

kämpfen und auf der anderen den Impuls, mich mit dieser Er­

scheinung des Bösen auf einen aktiven psychischen Kampf einzu­

lassen. Ich überlegte fieberhaft, wie ich vorgehen sollte. Auch er­

wischte ich mich dabei, ernsthaft Überlegungen anzustellen wie

Page 354: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

354 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

die, dass zu unserer therapeutischen Einrichtung unbedingt ein

Kreuz gehören müsse. Mein Verstand sagte mir, dass wir in Situati­

onen wie diesen Zeugen der Manifestation eines jungschen Arche­

typus wurden, und das Kreuz hier eine angemessene archetypische

Abwehr gewesen wäre.

Mir wurde bald klar, dass meine Emotionen, sei es Angst oder

Aggression, mich lediglich in dem Glauben bestärkten, hier ein

mächtiges metaphysisches Wesen vor mir zu haben. Unwillkürlich

fiel mir dabei eine Szene aus dem Film Star Trek ein, in der es um

einen außerirdischen Eindringling im Raumschiff Enterprise ging,

der sich an den Emotionen der Besatzung labte. Daraufhin verord-

nete Dr. McCoy der gesamten Belegschaft Tranquilizer. Wesentlich

war also, so wurde mir dadurch klar, ruhig und zentriert zu blei­

ben, was auch immer mir vor Augen kam.

Ich beschloss, eine meditative Haltung einzunehmen und zu

Visualisieren, dass uns beide, Flora und mich, eine schützende

Hülle aus weißem Licht umgab. Mir fiel ein, dass es in der spiritu­

ellen Literatur über Erscheinungen des Bösen immer hieß, dass sie

Licht verabscheuen. Während ich auf das Licht meditierte, hielt

ich Floras verkrampfte Hand, konzentrierte mich auf ihr entstelltes

Gesicht und versuchte es mir so vorzustellen, wie ich es sonst

kannte. Diese Situation dauerte länger als zwei Zeitstunden. Nach

meinem subjektiven Zeitgefühl waren das die längsten zwei Stun­

den, die ich - außer in eigenen psychedelischen Sitzungen - je­

mals erlebte.

Nach diesen zwei Stunden entspannte sich Floras Hand, und

ihr Gesicht nahm wieder seinen üblichen Ausdruck an. Der Wech­

sel geschah ebenso abrupt, wie dieser merkwürdige Zustand einge­

setzt hatte. Wie ich schon bald erfuhr, konnte Flora sich überhaupt

nicht erinnern, was in diesen zwei Stunden geschehen war. In ih­

rem späteren schriftlichen Bericht führte sie zunächst die ersten

Stunden der Sitzung auf, um dann fortzufahren mit den Ereignis­

sen nach ihrer »Besessenheit«. Ich fragte mich ernsthaft, ob ich mit

Page 355: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Interview mit dem Teufel 355

ihr besprechen sollte, was ich in ihrer Amnesie beobachtet hatte,

und entschied mich schließlich dagegen. Flora strahlte und fühlte

sich wunderbar. Nichts schien dafür zu sprechen, ihr dieses ma­

kabre Thema bewusst zu machen.

Zu meiner großen Überraschung war diese Sitzung ein erstaun­

licher therapeutischer Durchbruch. Floras Selbstmordtendenzen

verschwanden, und sie lernte ihr Leben neu zu schätzen. Sie gab

den Konsum von Alkohol, Heroin und Beruhigungsmitteln auf

und schloss sich begeistert einer kleinen religiösen Gruppe in Ca-

tonsville än. Die Gesichtskrämpfe traten nur noch äußerst selten

auf. Die hier verkörperten Kräfte schienen sich in der »Maske des

Bösen«, die Flora in der Sitzung zwei Stunden beibehalten hatte,

erschöpft zu haben. Also konnte der neurochirurgische Eingriff,

den der Arzt von der Johns-Hopkins-Universität vorgeschlagen

hatte, abgesagt werden. Die gelegentlich wiederkehrenden Schmer­

zen waren so geringfügig, dass Flora noch nicht einmal Medika­

mente einnehmen musste.

Flora begann auch, mit heterosexuellen Beziehungen zu expe­

rimentieren und heiratete schließlich. Diese sexuelle Neuorientie­

rung war jedoch oberflächlich und nicht von Dauer. Flora konnte

zwar mit ihrem Mann schlafen, empfand den Koitus aber als

schmerzhaft und unangenehm. Die Ehe endete nach drei Monaten,

und Flora nahm ihre lesbischen Beziehungen wieder auf, diesmal

jedoch mit erheblich weniger Schuldgefühlen. Ihr Zustand besserte

sich so weit, dass sie aus der Klinik entlassen werden konnte und

in Baltimore einen Job als Taxifahrerin annahm. Auch wenn es in

den folgenden Jahren in ihrem Leben ziemlich auf und ab ging,

musste sie nicht wieder in die Klinik zurück oder in die psychia­

trische Einrichtung überwiesen werden, die fast ihr ständiges Zu­

hause geworden wäre.

In meiner über 50-jährigen Praxis als Psychiater habe ich kei­

ne weitere dermaßen dramatische und anhaltende Besserung erlebt

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356 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

wie in Floras Fall. Die Tatsache, dass nach vielen Jahren des Studi­

ums und der Praxis von Medizin und Psychiatrie die dramatischste

therapeutische Heilung, die mir je im Leben begegnete, nicht durch

offiziell anerkannte, psychiatrische Behandlungsmethoden erfolgte,

ist für mich nicht ohne Ironie und einen gewissen kosmischen

Humor. Diese Besserung beruhte auf einer Behandlung, die eher

einer mittelalterlichen Teufelsaustreibung oder den Praktiken eines

Medizinmanns glich als einer der respektablen und rationalen the­

rapeutischen Methoden, die auf den Entdeckungen der modernen

Wissenschaft beruhen.

Page 357: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Den Archetyp der Daphne verkörpern 357

Den Archetyp der Daphne verkörpernMarthas Geschichte

u dem reichen Spektrum an transpersonalen Phänomenen ge­

hört auch die Identifizierung mit anderen Lebensformen, unter

anderem mit Pflanzen und ihren botanischen Prozessen. Gelegent­

lich wird deutlich, dass diese Erfahrungen manchmal in einem tie­

fen Zusammenhang stehen mit den verschiedensten emotionalen

und psychosomatischen Problemen. In diesen Fällen erfordert die

Heilung, dass diese unbewussten Erfahrungen den Betroffenen voll

bewusst werden. Das zeigt sich in der Fallgeschichte von Martha,

einer 32-jährigen Klientin von mir, die nach monatelanger, ergeb­

nisloser Behandlung mit verschiedenen Psychopharmaka und an­

deren konventionellen Methoden in das experimentelle Programm

der LSD-Psychotherapie aufgenommen wurde.

Marthas psychiatrische Diagnose enthielt Begriffe wie »bizarre

hypochondrische Beschwerden« und »Borderline-Psychose mit

vagen Verzerrungen der Körperwahrnehmung«. Die verblüf­

fendsten Symptome bestanden in merkwürdigen Empfindungen in

den Beinen und im übrigen Körper, die Martha nur schwer be­

schreiben konnte. Sie fasste das in die Worte: »Mein Körper fühlt

sich irgendwie schrecklich verkehrt an.« Diese Beschwerden be­

gannen nach Vorfällen, die Martha selbst als »wiederholte sexuelle

Belästigung« durch einen ihrer Mitarbeiter bezeichnete, der ein gut

aussehender junger Mann war. Martha war selbst sehr attraktiv

und hatte viele Verehrer, empfand aber starke Widerstände gegen

Z

Page 358: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

358 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

eine verbindliche Beziehung oder Ehe. Sie führte ihre sexuellen

Schwierigkeiten auf ihre Kindheit zurück, die geprägt war vom

wiederholten Missbrauch durch einen älteren Cousin.

Marthas erste LSD-Sitzungen verliefen relativ normal. Sie kreisten

um ihre traumatischen Kindheitserlebnisse und verschiedene As­

pekte ihrer Geburt. In einer ihrer späteren Sitzungen veränderten

sich ihre inneren Erlebnisse plötzlich dramatisch. Die merkwür­

digen Empfindungen in ihren Beinen verstärkten sich und wurden

schließlich so heftig, dass Martha sie unerträglich fand. Sie wollte

ihre Sitzung daraufhin abbrechen und bat mich, ihr ein Beruhi­

gungsmittel zu injizieren, was wir in der psychedelischen Therapie

um jeden Preis zu vermeiden suchen. Durch die Verabreichung

solcher Medikamente mitten in einem »schlechten Trip« - unter

Mainstream-Fachleuten leider ein verbreitetes Vorgehen - stagniert

das Erleben meist in einer schwierigen Phase. Das verhindert eine

positive Lösung der zugrunde liegenden Probleme und damit auch

einen erfolgreichen Abschluss der Sitzung.

Im Gespräch mit Martha konnte ich herausfinden, warum sie

mit der Sitzung nicht fortfahren wollte. »Es ist absolut verrückt«,

sagte sie. »Aber ich glaube, wenn ich weitermache, verwandle ich

mich in einen Baum.« Ich versicherte ihr, dass sie sich nicht in ei­

nen Baum verwandeln würde, wie glaubhaft und überzeugend die­

se Sorge auch sein möge. Das Schlimmste, was ihr passieren kön­

ne, sei, dass sie sich selbst als Baum erlebe. Ich erzählte ihr, dass

dieses höchst eindringliche Gefühl der Identifizierung mit ver­

schiedenen Aspekten der Natur in psychedelischen Sitzungen sehr

häufig auftrete und keine Gefahr darstelle. Schließlich beruhigte

sich Martha und war einverstanden, mit ihrer LSD-Sitzung fortzu­

fahren.

Als sie die Augen schloss und ihre Aufmerksamkeit nach in­

nen richtete, verstärkten sich die merkwürdigen Empfindungen in

ihrem Körper und ihren Beinen wieder, doch diesmal waren sie für

Page 359: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Den Archetyp der Daphne verkörpern 359

Martha erträglich. Als sie diese Gefühle zuließ, erkannte sie, dass

das, was sie bislang als seltsame Empfindungen und verzerrte

Wahrnehmung ihres menschlichen Körpers betrachtet hatte, das

völlig normale und sehr authentische Erleben eines Baumes war.

Sie stand auf, streckte ihre Arme zum Kimmei und behielt diese

Haltung lange bei. Ihr Gesicht zeigte einen ekstatischen Ausdruck,

und es war ganz offensichtlich, dass sie die Sitzung jetzt tatsächlich

genoss.

Martha hatte das Gefühl, dass ihre Finger wuchsen und sich

zum Geäst mit reichem Blattwerk verzweigten. Sie hatte eine starke

Vision von der Sonne, empfing deren Licht und erlebte in ihren

Zellen den mysteriösen Prozess der Photosynthese - Grundlage

und Geheimnis des Lebens auf unserem Planeten. Ihr Körper wur­

de zum Stamm des Baumes. Sie spürte die Zellaktivität im Kambi­

um (teilungsfähig bleibendes Pflanzengewebe, Anm.d.Ü.) und

spürte, wie die Säfte durch das System der Venen im Splintholz

strömten. Ihre Füße und Zehen wuchsen und verzweigten sich

zum Wurzelgeflecht, das tief in die Erde reichte. Jetzt spürte Martha

den Austausch von Wasser und Mineralien in den winzigen Feder­

wurzeln und Wurzelhaaren des Baumes. Sie staunte, wie präzise

der Einblick in die Anatomie und Physiologie des Baumes war, den

ihr diese Erfahrung vermittelte.

Ihre Einsichten beschränkten sich jedoch nicht auf die bota­

nischen Aspekte dieses Lebens als Baum, sondern hatten auch eine

zutiefst göttliche Qualität und eindeutig mythologische und spiri­

tuelle Dimensionen. Was Martha zunächst als astronomische Son­

ne wahrnahm, die als Quelle von physischer Energie alles Leben

auf unserem Planeten versorgt, wurde schließlich auch zur kos­

mischen Sonne, der Quelle der Kräfte von Kreativität und Logos

im Universum. Und der Boden, in dem der Baum wuchs, wurde zu

Gaia, der phantastischen, mythologischen Gestalt von Mutter Erde.

Der Baum selbst bekam eine mythologische Bedeutung und war

jetzt der Baum des Lebens. So entwickelte sich Marthas Erfahrung,

Page 360: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

j6o Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

die schwierig und beängstigend begonnen hatte, zu einem eksta­

tischen und mystischen Erlebnis.

Im weiteren Verlauf der Sitzung machte Martha eine Erfahrung,

die ihr die tiefere, archetypische Bedeutung ihrer Symptome ent­

hüllte: Sie identifizierte sich mit Daphne, einer jungen schönen

Nymphe, Tochter des Flussgottes Peneus. Nach der griechischen

Mythologie weihte Daphne ihr Leben der Göttin Artemis und wei­

gerte sich wie diese, zu heiraten. Viele Bewunderer bedrängten sie,

sie aber wies alle ab, auch den Gott Apollo. Als dieser sie verfolgte,

betete Daphne zur Erde und zu ihrem Vater um Rettung und ver­

wandelte sich daraufhin in einen Lorbeerbaum.

Vor dem Hintergrund von Marthas Widerständen gegen eine

Heirat und der Tatsache, dass ihre Symptome nach den unge­

wollten Annäherungsversuchen ihres höchst attraktiven Mitarbei­

ters begonnen hatten, machte das viel Sinn. Nach dieser Sitzung

verschwand Marthas verzerrtes Körperbild, und sie öffnete sich für

den Gedanken, zu heiraten und eine Familie zu gründen.

Page 361: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Heilung von Depressionen durch ein sephardisches Gebet 361

Heilungvon Depressionen durch ein sephardisches Gebet

Gladys’ Geschichte

uch wenn die begeisterte Lektüre von Sigmund Freuds Vorle­

sungen zur Einführung in die Psychoanalyse mich inspiriert hat,

Psychiatrie zu studieren, bekam diese aufgeregte Freude über

Freuds Theorien und seine therapeutische Methode durch meine

späteren klinischen Erfahrungen einen erheblichen Dämpfer. Ob­

wohl ich Freud immer noch als großartigen Pionier auf dem Gebiet

der Tiefenpsychologie bewundere, glaube ich heute, dass die meis­

ten seiner theoretischen Gedanken dem Test der Zeit nicht stand­

gehalten haben und grundlegend revidiert werden müssen. Gegen

sein therapeutisches Vorgehen hege ich inzwischen sogar noch

stärkere Vorbehalte.

Ich habe in meiner psychiatrischen Praxis mit vielen Patien­

tinnen und Patienten gearbeitet, die nach jahrelanger Psychoanaly­

se ganze Vorträge darüber halten konnten, wie ihre emotionalen

und psychosomatischen Symptome mit postnatalen Themen wie

oralem Kannibalismus, Reinlichkeitserziehung, Urszenen und Ödi-

pus- oder Elektrakomplex Zusammenhängen. Diese theoretischen

Einsichten führten jedoch nicht zu entsprechend beeindruckenden

klinischen Resultaten. Bei meinen Erfahrungen mit der therapeu­

tischen Anwendung holotroper Zustände ist es jedoch genau an­

ders herum: Wir beobachten nach tiefen psychedelischen Erlebnis­

sen und holotropen Atemsitzungen oft dramatische therapeutische

A

Page 362: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

362 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

Veränderungen, ohne auch nur die geringste Idee zu haben, wa­

rum und wie diese zustande kamen.

Ein eindringliches Beispiel dafür ist die Geschichte von Gladys,

einer jungen Frau, die an einem unserer fünftägigen Workshops in

Esalen teilnahm. Wie sie der Gruppe zu Beginn des Workshops

mitteilte, litt sie seit etwa vier Jahren an Anfällen von schweren

Depressionen, die von heftigen Ängsten begleitet waren. Diese täg­

lichen Anfälle begannen immer morgens und dauerten in der Regel

mehrere Stunden. In dieser Zeit war es für sie ein einziger Kampf,

auch nur die grundlegendsten Aufgaben zu bewältigen - Duschen,

Zähneputzen, Anziehen. Aus traditioneller Sicht sind das typische

Symptome für endogene (wörtlich: »innerlich ausgelöste«) Depres­

sionen, im Gegensatz zu reaktiven Depressionen (die durch äußere

Lebensumstände hervorgerufen werden).

Bei unserem fünftägigen Workshop für Holotropes Atmen ma­

chen die Teilnehmenden im typischen Fall zwei eigene Sitzungen,

in denen sie selbst atmen, und sie »begleiten« zwei Sitzungen von

anderen Gruppenmitgliedern. In ihrer ersten eigenen Sitzung hatte

Gladys tiefe Erlebnisse, bei denen sie mit traumatischen Situati­

onen aus ihrer Kindheit und Kleinkindzeit konfrontiert war. Sie

durchlebte auch noch einmal mehrere Phasen ihrer biologischen

Geburt. Sie hatte zu dieser Sitzung ein gutes Gefühl, obwohl sie

keine deutliche Linderung ihrer Morgendepressionen erbrachte.

Ihre zweite Sitzung am übernächsten Tage reichte noch tiefer

in ihr Unbewusstes und bestand fast ausschließlich darin, dass sie

ihre Geburt noch einmal durchlebte. Diese Vorgänge aktivierten

bei Gladys erstaunliche körperliche Kräfte, was in der Therapie

von Depressionen ein wichtiger Schritt ist, denn typisch für diesen

Zustand sind starke emotionale und physische Energieblockaden.

Doch trotz der intensiven Körperarbeit in der Endphase ihrer Sit­

zung gelangte Gladys zu keinem befriedigenden Abschluss. Das ist

für eine Sitzung, in der wir systematisch auf eine Verarbeitung des

Erlebten hinarbeiten, höchst ungewöhnlich.

Page 363: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Heilung von Depressionen durch ein sephardisches Gebet 363

Am nächsten Morgen stellten sich ihre Depressionen wie üblich

ein, waren aber ausgeprägter und nahmen auch eine andere Form

an als bislang. Statt die üblichen Flemmungen, mangelnde Initiati­

ve und Apathie zu empfinden, war Gladys erregt. Ursprünglich

hatten wir für die Morgensitzung ein offenes Forum geplant - eine

Gruppendiskussion, bei der die Teilnehmer Fragen zu ihrem Pro­

zess, zur Methode des Holotropen Atmens oder zur Theorie stellen

konnten. Als wir sahen, in welchem Zustand Gladys war, beschlos­

sen wir jedoch, unser Programm umzustellen, und begannen so­

fort, erlebnisorientiert mit ihr zu arbeiten.

Wir baten sie, sich in die Mitte der Gruppe zu legen, tief zu

atmen, sich dem Fluss der Musik hinzugeben, die wir abspielten,

und alles anzunehmen, was dabei für sie hochkam. Fast eine Stun­

de zitterte Gladys, würgte und hustete, gab laute Töne von sich

und schien mit unsichtbaren Gegnern zu kämpfen. Später erzählte

sie, dass sie in dieser Phase ihre schwierige Geburt noch einmal

durchlebte, doch ging die Erfahrung diesmal noch tiefer als in ih­

ren vorangegangenen Sitzungen. Im weiteren Verlauf wurden ihre

Schreie artikulierter und klangen wie die Worte einer unbekannten

Sprache. Wir ermutigten sie, die Laute einfach kommen zu lassen,

in welcher Form auch immer, ohne sie zu zensieren oder zu beur­

teilen, selbst wenn die Worte für sie keinen Sinn ergaben. Ihre Be­

wegungen nahmen allmählich eine extrem stilisierte, eindringliche

Form an, und ihre Worte waren jetzt deutlich vernehmbar. Doch

kannten und verstanden wir die Sprache nicht, in der Gladys sich

äußerte. Schließlich setzte Gladys sich auf und sang eine betö­

rende, sich wiederholende Melodie, die wie ein Gebet klang. Damit

fuhr sie eine ganze Weile fort.

Gladys’ Gesang hatte auf die Gruppe eine extrem starke Wir­

kung. Ohne die Worte zu verstehen oder zu wissen, was Gladys

innerlich erlebte, waren die meisten Teilnehmenden so berührt,

dass sie weinten. Manche begannen zu meditieren und legten die

Hände zusammen wie zum Gebet. Als Gladys ihren Gesang been­

Page 364: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

364 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

dete, war sie völlig ruhig und legte sich wieder auf den Boden.

Über eine Stunde verharrte sie regungslos in einem Zustand von

Seligkeit und Ekstase. Als sie später von ihrer Erfahrung berichtete,

sagte sie, sie habe den unwiderstehlichen Drang verspürt, genau

das zu tun, was sie tat. Sie verstand nicht, was da passierte, und

wusste laut eigener Aussage auch nicht, in welcher Sprache sie ge­

sungen hatte.

Carlos jedoch, ein argentinischer Psychoanalytiker aus Buenos

Aires, der an der Gruppe teilnahm, wusste, dass Gladys in per­

fektem Sephardisch gesungen hatte - einer Sprache, die er zufällig

kannte. Sie wird auch Ladino oder Judenspanisch genannt und setzt

sich aus mittelalterlichem Spanisch und dem Hebräischen zusam­

men. Wie ein merkwürdiger Zufall es wollte, hatte Carlos, der aus

einer jüdischen Familie stammte, als persönliches Hobby jahrelang

Sephardisch studiert. Gladys hingegen war nicht jüdisch und

konnte weder Hebräisch noch Spanisch. Sie hatte noch nie von

Ladino gehört und wusste nicht, was das war und dass eine solche

Sprache überhaupt existierte. Carlos übersetzte uns die Zeilen von

Gladys’ monotonem Gesang, der auf die Gruppe einen so tiefen

Eindruck gemacht hatte. Die wörtliche Übersetzung lautete: »Ich

leide und werde immer leiden. Ich weine und werde immer wei­

nen. Ich bete und werde immer beten.« Mit diesem dramatischen

Finale, in dem sie der Gruppe das sephardische Gebet vorsang,

ließ Gladys ihre Depressionen hinter sich und stabilisierte sich psy­

chisch so weit, dass sie gut damit leben konnte.

Wir sind Gladys nach diesem Workshop in Esalen noch zweimal

begegnet und wissen von ihr, dass sich ihre Depressionen nicht

wieder eingestellt haben. Sie machte eine der tiefgehendsten Hei­

lungserfahrungen, die mir in meiner psychiatrischen Laufbahn je­

mals begegnet sind. Und doch sind dieses Erlebnis und seine nach­

haltige Wirkung auf Gladys sowohl ihr als auch uns bis zum

heutigen Tag ein Mysterium geblieben.

Page 365: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Fruchtbare psychiatrische Ketzerei 365

Fruchtbare psychiatrische KetzereiMiladas Geschichte

nser'Modell der »spirituellen Krise« habe ich bereits im Vor­

wort erläutert. Bei diesem neuen Herangehen an spontan auf­

tretende holotrope Bewusstseinszustände ersetzen wir die wahllose

Unterdrückung von Symptomen mit Psychopharmaka durch psy­

chologische Unterstützung und ermutigen den Betroffenen, »diese

Prozesse bewusst zu durchleben«. Wir müssen dieses therapeu­

tische Vorgehen aber nicht auf Zustände beschränken, bei denen

das Schwergewicht auf der spirituellen Dimension liegt, sondern

konnten es auch bei vielen Individuen anwenden, deren außerge­

wöhnliche Erfahrungen keine eindeutig spirituellen Elemente ent­

hielten.

Bei der extremen Ketzerei, die ich in meiner beruflichen Lauf­

bahn begangen habe, bin ich mit dieser Strategie sogar noch einen

Schritt weiter gegangen. Bei meiner Arbeit am Psychiatrischen For­

schungsinstitut in Prag habe ich bei mehreren Patienten mit der

Diagnose Psychose eine Vorgehensweise angewendet, die der kon­

ventionellen Therapie, die entsprechende Symptome mit Tranqui­

lizern unterdrückt, diametral entgegengesetzt war. Mit diesen Pati­

entinnen und Patienten habe ich eine Reihe von LSD-Sitzungen

gemacht, um ihren Prozess zu aktivieren und zu vertiefen und das

in ihm enthaltene Heilungspotenzial für eine positive Lösung ihrer

Konflikte zu nutzen. Ein Beispiel dafür ist die folgende Geschichte,

in der es um Milada geht.

U

Page 366: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

366 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

Milada, eine 38-jährige Psychologin, hatte, bevor sie mit der LSD-

Behandlung begann, jahrelang an einer komplizierten psychischen

Störung gelitten, die viele besessen-zwanghafte, organisch-neuro-

tische und hysterische Übertragungssymptome aufwies. Sie hatte

beim Nestor der tschechischen Psychoanalyse eine psychoanaly­

tische Langzeittherapie angefangen und machte bei ihm dreimal

wöchentlich eine Sitzung von jeweils 45 Minuten. Im fünften Mo­

nat ihrer Analyse musste sie in die Klinik eingewiesen werden, weil

sie akute psychotische Symptome entwickelte.

Ein wichtiger Aspekt ihrer klinischen Symptomatologie war

ein erotomanes Wahnsystem. Milada verliebte sich heftig in den

Leiter ihrer Abteilung und fühlte sich sexuell unwiderstehlich zu

ihm hingezogen. Sie war sicher, dass diese Zuneigung nicht einsei­

tig war, sondern ihr Chef ihre Leidenschaft erwiderte. Dieses starke

erotische und spirituelle Band zwischen ihnen, so sagte sie, dürfe

nach außen hin nicht sichtbar werden, sondern sie mussten es hin­

ter der Fassade ihrer formalen sozialen Kontakte verbergen und

innerlich erleben. Ihr Chef, der verheiratet war und Kinder hatte,

könne seine Gefühle für sie einfach nicht offen ausdrücken, zu­

mindest am Anfang nicht.

Ein paar Wochen später begann sie zu halluzinieren und hörte

die Stimme ihres eingebildeten Geliebten. Dabei beschrieb er ihr

bis ins Detail seine leidenschaftlichen Gefühle für sie, versprach ihr

eine wunderbare gemeinsame Zukunft, gab ihr Ratschläge und

machte ihr ganz konkrete Vorschläge. In den Abend- und Nacht­

stunden erlebte Milada heftige sexuelle Gefühle, die sie so interpre­

tierte, dass ihr heimlicher Geliebter trotz körperlicher Abwesenheit

auf magische Weise mit ihr schlief. Obwohl sie beim Koitus mit

ihrem eigenen Ehemann nie einen Orgasmus bekam, hatte sie

in diesen Situationen orgastische Gefühle von kosmischen Aus­

maßen.

Allmählich veränderte sich dann der Inhalt ihres Austauschs.

Ihr Chef vermittelte ihr jetzt, dass ihrer beider Scheidungen in die

Page 367: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Fruchtbare psychiatrische Ketzerei 367

Wege geleitet worden seien und sie demnächst Zusammenleben

könnten. Als Milada anfing, unter dem Einfluss ihrer Wahnvorstel­

lungen und Halluzinationen aktiv zu werden, musste sie in die Kli­

nik eingewiesen werden. Eines Tages verließ sie morgens ihren

Mann, um mit ihren Kindern und mehreren Koffern in die Woh­

nung ihres Vorgesetzten zu ziehen. Tatsächlich verwickelte sie sich

mit der Frau ihres Chefs, die sich weigerte, Milada hereinzulassen,

in eine heftige körperliche Auseinandersetzung. Nachdem man sie

in der Klinik monatelang erfolglos mit Tranquilizern und Antide­

pressiva, Einzel- und Gruppentherapie behandelt hatte, begann sie

ein experimentelles therapeutisches Programm, das aus regelmä­

ßigen LSD-Sitzungen bestand.

Nach zwölf LSD-Sitzungen mit einer mittleren Dosis waren

ihre psychotischen Symptome ganz verschwunden, und Milada

war ihr früheres irrationales Verhalten jetzt völlig einsichtig. Die

erotomanen Wahnvorstellungen, die um ihren Chef kreisten, inter­

pretierte sie als eine Übertragung der Gefühle für ihren Vater, der

ein sehr kalter Mensch gewesen war und den sie niemals wirklich

erreichen konnte. In den folgenden Sitzungen arbeitete sie eine

Reihe von komplizierten neurotischen und psychosomatischen

Problemen durch.

Während sie noch einmal traumatische Erinnerungen aus ver­

schiedenen Phasen ihres Lebens durchlebte, konnte sie viele au­

genblickliche emotionale Probleme zurückverfolgen bis zu deren

Quelle in ihrer unglücklichen Kleinkindzeit und Kindheit. Sie

setzte sich auch intensiv mit ihrer komplizierten Ehe auseinander.

Ihr Mann war ein unsensibler und grausamer Mensch, der sie so­

wohl emotional als auch körperlich missbrauchte. Als glühendes

Mitglied der Kommunistischen Partei war er völlig damit beschäf­

tigt, seine politische Karriere zu verfolgen und überhaupt keine

emotionale Stütze für sie. Dazu kam, dass die beiden gemeinsamen

Kinder Anzeichen für schwere emotionale Störungen zeigten und

eine professionelle Behandlung brauchten.

Page 368: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

368 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

Dann verlagerten sich ihre Erfahrungen in den LSD-Sitzungen in

den perinatalen Bereich, und Milada durchlebte noch einmal ver­

schiedene Aspekte ihrer schwierigen biologischen Geburt. Sie hatte

ein reiches Spektrum an Erlebnissen, wie sie für den Prozess von

Tod und Wiedergeburt typisch sind. Die Emotionen und körper­

lichen Empfindungen bei ihrer schwierigen Geburt, bei der ihr

Zwillingsbruder starb, waren so heftig und gingen so tief, dass Mi­

lada diese Sitzungen ein »psychologisches Hiroshima« nannte. Als

sie ihr Geburtserlebnis beendete und mit dem Tod des Egos ab­

schloss, erwartete ich eine eindeutige Verbesserung ihres Zustands,

wie es bei den meisten neurotischen Patienten der Fall war.

Zu meiner großen Überraschung musste ich jedoch beobach­

ten, dass sich ihre ursprünglichen psychotischen Symptome, die

seit vielen Monaten nicht mehr aufgetreten waren, plötzlich voll­

ständig wieder einstellten. Der einzige Unterschied bestand darin,

dass ihre erotomanen Phantasien und Erlebnisse jetzt nicht mehr

um ihren Chef kreisten, sondern um mich. Im Verlauf der LSD-

Psychotherapie hatte Milada eine Übertragungspsychose entwi­

ckelt. Sie glaubte jetzt, unter meinem hypnotischen Einfluss zu

stehen, und fühlte sich mit mir innerlich ständig verbunden, so­

wohl in den LSD-Sitzungen als auch in der Zeit dazwischen. Sie

stand in einem ständigen inneren Gedankenaustausch mit mir, und

wir kommunizierten sogar verbal.

Interessant war, dass wir in manchen dieser halluzinierten Ge­

spräche »die Psychotherapie fortsetzten«. Einmal verbrachte ich

eine Woche in Amsterdam, wo ich eine Konferenz über LSD-Psy-

chotherapie besuchte. In der Zeit phantasierte Milada, die in der

Klinik des Psychiatrischen Forschungsinstituts in Prag unterge­

bracht war, dass sie weiterhin psychotherapeutische Sitzungen mit

mir habe. Wir »besprachen« verschiedene Aspekte ihres Lebens,

und sie setzte in die Tat um, was meine illusorische Stimme ihr

vorschlug. Dazu gehörten auch täglich ein mehrstündiges Bad und

Körperübungen sowie Handarbeiten wie Stricken und Sticken.

Page 369: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Fruchtbare psychiatrische Ketzerei 369

Schließlich erzählte ich ihr in diesen halluzinierten Gesprächen,

ich habe beschlossen, das therapeutische Versteckspiel aufzugeben

und ihr Geliebter und Ehemann zu werden. Ich ermunterte sie,

mich nicht mehr mit »Doktor Grof« anzureden, sondern »Stanya«

(eine Koseform meines Vornamens) zu nennen und die informelle

grammatikalische Version der zweiten Person zu benutzen, wie sie

unter Verwandten, engen Freunden und Menschen, die sich lieben,

üblich ist. Das Tschechische bringt den Unterschied zwischen en­

gen, vertrauten und eher formalen Beziehungen sprachlich zum

Ausdruck (wie auch das französische »tu« und »vous«, das deut­

sche »du« und »Sie« oder das spanische »tu« und »Usted«).

Ich erlaubte Milada auch, meinen Nachnamen zu tragen, statt

den ihres Ehemannes. Wiederholt versicherte ich ihr, sie zu lieben,

sagte ihr, ihre Scheidung sei bereits in die Wege geleitet, und bat

sie, mit ihren beiden Kindern in meine Wohnung zu ziehen. Unter

anderem bezog sich Milada jetzt auch auf »hypnogame Sitzungen«

(Wortschöpfung der Patientin, zusammengesetzt aus den Wörtern

Hpynose und gamos = gr. Hochzeit; bedeutet also wörtlich: »Heirat

durch Hypnose«, Anm.d.Ü.), die ich ihr abends und nachts gab.

Die sexuellen Empfindungen und Beischlafhalluzinationen, die sie

zu dieser Zeit hatte, interpretierte sie jetzt als Lektionen, die ich ihr

gab, damit sie lernte, ihre Sexualität zu genießen und ihre Therapie

schneller vorankam. Aus dem Kontext ihrer LSD-Sitzungen wurde

klar, dass Miladas magisches Wunschdenken auf der tiefsten Ebene

ein Übertragungsphänomen war, das die frühe symbiotische Bezie­

hung zu ihrer Mutter widerspiegelte.

Eine Zeitlang nahm Milada viele Stunden am Tag bizarre Hal­

tungen ein, bei denen sie manchmal auf dem Bett lag, manchmal

stand. Einmal, erzählten mir die Krankenschwestern, habe sie, die

Arme weit ausgestreckt und zusammengeschlossen, lange auf Ze­

henspitzen gestanden. Als sie Milada fragten, was sie da tue, habe

sie ihre Frage mit den Worten weggewischt: »Lassen Sie mich in

Ruhe, ich umarme ihn (womit sie mich meinte).« Es blieb natür-

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370 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

lieh nicht aus, dass die Schwestern mich zur Zielscheibe ihrer

Witze machten. Milada, so erzählten sie mir neckend, habe mich

genau auf die richtige Größe verkleinert und ihre Arme im rich­

tigen Abstand zum Boden ausgestreckt.

Äußerlich glichen Miladas Körperhaltungen denen, die ich auf

der Station für chronisch Kranke bei katatonischen Schizophrenen

zu sehen bekam, die an einem Symptom litten, das »wächserne

Biegsamkeit« (flexibilitas cerea) heißt. Wie Milada nahmen auch sie

stundenlang merkwürdige und oft bizarre Körperhaltungen ein. In

einer Hinsicht unterschied sich Miladas »Katatonie« jedoch signifi­

kant von der schizophrener Patienten: Wir konnten sie verbal im­

mer erreichen und bewegen, diese Positionen aufzugeben, indem

wir einfach ein Gespräch mit ihr anfingen. Dann nahm sie eine

normale Körperhaltung ein und war imstande, sich vernünftig zu

unterhalten.

Außerdem begriff sie, was sie da tat, und bot eine faszinierende

Erklärung dafür an. Ihr emotionaler und psychosomatischer Zu­

stand, so erläuterte sie uns, hinge in diesen Zeiten ganz entschei­

dend von ihrer Körperhaltung ab. In manchen Haltungen fühlte

sie sich ekstatisch und selig und war eins mit dem ganzen Kosmos.

In anderen war sie so heftig depressiv, dass ihr übel wurde und sie

eine geradezu metaphysische Angst verspürte. Das empfand sie als

eine Wiederholung ihrer pränatalen Situation, wo sie mit ihrem

Zwillingsbruder um den Schoß der Mutter kämpfen musste.

Auf der Grundlage früherer Erfahrungen mit anderen Klien­

tinnen und Klienten fuhr ich trotz Miladas hartnäckiger psycho­

tischer Symptome fort, ihr wöchentlich LSD zu geben. In diesen

Sitzungen ging es fast ausschließlich um negative Erfahrungen

transpersonaler Natur. Ein wichtiger Schwerpunkt dabei waren

schwierige intrauterine Erinnerungen, die Milada auf den emotio­

nalen Stress und die Krankheiten ihrer Mutter während der

Schwangerschaft, embryonale Krisen und die äußeren Schwierig­

keiten zurückführte, die dadurch entstanden, dass sie den Uterus

Page 371: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Fruchtbare psychiatrische Ketzerei 371

mit ihrem Zwillingsbruder teilen musste. Diese Erinnerungen wa­

ren oft begleitet von schwierigen karmischen Sequenzen und ar­

chetypischen Erfahrungen mit dämonischen Kräften.

In der letzten Behandlungsphase trat in einer von Miladas Sit­

zungen ein höchst ungewöhnliches Phänomen auf: Das LSD hatte

eine paradoxe Wirkung. Statt holotrope Erfahrungen auszulösen,

brachte es Milada zurück in den Normalzustand. Sobald das Mittel

wirkte, wandte sie sich ganz formal an mich, wie es in der Tsche­

choslowakei zu der Zeit für die Beziehung zwischen Arzt und Pati­

entin üblich war. Sie distanzierte sich von ihrer psychotischen Welt

und präsentierte mir interessante psychologische Einsichten in die­

se. Als die Wirkung der Droge nachließ, kehrten die Symptome

der Übertragungspsychose jedoch zurück.

In der folgenden Sitzung befand sie sich stundenlang in einer

tiefen Ekstase, deren vorherrschendes Element das Gefühl war, mit

dem Kosmos eins zu sein. Sie empfand sich als göttliches Kind im

Schoß der Großen Muttergöttin. Zu meiner Überraschung war ihre

Persönlichkeit nach dieser Sitzung völlig neu strukturiert und

zeigte keines der vorigen psychotischen und neurotischen Symp­

tome mehr. Nach ihren eigenen Worten konnte sie sich und die

Welt jetzt anders empfinden als jemals zuvor. Sie war voller Le­

bensfreude, schätzte Natur und Kunst auf eine ganz neue Weise,

hatte eine völlig andere Einstellung zu ihren Kindern und konnte

ihre früheren unrealistischen Ambitionen und Phantasien aufge­

ben. Sie konnte wieder arbeiten, reichte die Scheidung von ihrem

Mann ein, lebte als alleinstehende Frau und versorgte ihre beiden

Kinder.

Viele Jahre später, nach der Befreiung der Tschechoslowakei,

traf ich mich bei einem meiner Besuche mit ihr und konnte dabei

feststellen, dass ihre bemerkenswerte Besserung anhielt. Milada

konnte die emotionalen Krisen im Leben ihrer beiden Kinder be­

wältigen, die durch die stürmische Ehe ihrer Eltern heftig in Mitlei­

denschaft gezogen worden waren. Selbst als ihre Tochter Selbst­

Page 372: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

372 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

mord beging, indem sie sich vor einen Zug warf, brach Milada

emotional nicht völlig zusammen und musste nicht in die Klinik

eingewiesen werden. Auch wenn sie tiefe Trauer über den Tod ih­

rer Tochter empfand und mit Schuldgefühlen zu kämpfen hatte,

gelang es ihr, weiterhin ihren Alltag zu bewältigen.

Als wir unser Training für Holotropes Atmen und Transperso­

nale Psychologie nach der Befreiung der Ostblockländer auch in

diesem Teil der Welt durchführen konnten, machte Milada diese

Ausbildung und erwarb ein Zertifikat als Begleiterin. Ein hochkon­

troverses und geradezu ketzerisches therapeutisches Vorgehen hat­

te so dramatische Verbesserungen im Leben dieses Menschen

bewirkt, wie ich es in meiner über 50-jährigen Praxis nie wieder

erlebt habe.

Page 373: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Magisches Sandspiel 373

Magisches SandspielEin Kätzchen als Therapeut

ir haben wiederholt erlebt, dass durch therapeutische Me­

thoden wie die psychedelische Therapie oder das Holotrope

Atmen, die holotrope Bewusstseinszustände auslösen, Synchroni-

zitäten stark zunehmen. Dieses Phänomen tritt auch extrem häufig

in der therapeutischen Arbeit mit Menschen auf, die eine spiritu­

elle Krise durchmachen. Anfangs dachte ich, diese Tatsache ver­

weise auf eine spezielle Beziehung zwischen Synchronizitäten und

holotropen Bewusstseinszuständen, doch im Laufe der Zeit ge­

langte ich zu dem Schluss, dass es eher auf den transpersonalen

Rahmen und das entsprechende Umfeld zurückzu führen ist als auf

einen speziellen Bewusstseinszustand.

Wir haben in unseren Workshops oft beobachtet, dass es be­

reits vor Beginn der holotropen Atemsitzungen zu bemerkens­

werten Synchronizitäten kam; so zum Beispiel, wenn die Teilneh­

menden ihre Partner für die Sitzungen wählten oder sogar schon

auf dem Weg zum Workshop. Auch im Umfeld des Sandspiels,

einer ungewöhnlichen therapeutischen Technik, die unsere liebe

Freundin, die verstorbene Dora Kalff, entwickelte, haben wir be­

merkenswert oft Synchronizitäten erlebt. Christina und ich hatten

häufig Kontakt zu Dora, weil wir praktisch bei jedem unserer Be­

suche in der Schweiz zu Gast in ihrem schönen alten Haus in Zolli­

kon in der Nähe von Zürich waren. Beide bekamen wir Gelegen­

heit, unter Doras Anleitung eigene Erfahrungen mit dem Sandspiel

w

Page 374: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

374 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

zu machen und durften dabei auch ihre erstaunliche Utensilien­

sammlung benutzen.

Wie Dora uns erzählte, hatte sie die Idee zum Sandspiel von

C.G. Jung selbst. Damals war Dora verheiratet mit einem hollän­

dischen Baron, der sehr viel älter war als sie, und lebte mit ihm in

Holland. Nach dem Tod ihres Mannes kehrte sie mit ihren Kindern

in die Schweiz zurück und suchte verzweifelt nach einer neuen

Perspektive und Richtung in ihrem Leben. Wie es der Zufall wollte,

besuchte sie mit ihren Kindern gern ein kleines Dorf, das auch für

Jung und seine Verwandten ein beliebter Ferienort war. Dort

lernten Dora und Jung sich kennen, und sie erzählte ihm, dass sie

nach einer Aufgabe für sich suche. Jung schlug ihr daraufhin vor,

mit der therapeutischen Anwendung des Sandspiels zu experimen­

tieren, weil er glaubte, das könne ihr Freude machen, und gab ihr

ein paar grundlegende Anweisungen dafür.

Das Sandspiel ist denkbar einfach. Man braucht dafür einen

Kasten in vorgeschriebener Größe (etwa 0,6 x 1 Meter), dessen

eine Hälfte mit sauberem Sand gefüllt wird, und eine große Samm­

lung von Gegenständen, die sichtbar in Regalen stehen. Dazu ge­

hören menschliche Figuren verschiedener Rassen und Berufe, Tiere,

Bäume und typische Wohnstätten aus verschiedenen Ländern, Ge­

genstände aus der Natur wie Steine oder Muscheln sowie mytholo­

gische Gestalten und Symbole. Der Klient hat die Aufgabe, die Sand­

oberfläche zu formen und mit Hilfe der Figuren und Gegenstände,

die er frei auswählt, eine Szene zu gestalten. Man benutzt für das

Sandspiel keine feste Standardsammlung von Dingen, sondern

jede Therapeutin trägt ihre eigene Auswahl zusammen. In Doras

Regal standen viele erstaunliche Dinge aus aller Welt.

Nachdem wir selbst erlebt hatten, wie tief es ging, verliebten

Christina und ich uns regelrecht in das Sandspiel und bauten es in

die einmonatigen Workshops ein, die wir in Esalen veranstalteten.

Im Big House, wo unsere Seminare stattfanden, benutzten wir im­

mer einen Raum als Sandspielzimmer. Das Spielzeug hatten wir

Page 375: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Magisches Sandspiel 375

zum Teil selbst gesammelt, oder es stammte aus dem Reisegepäck

unserer Gastdozenten. Außer in den seltenen Fällen, wo Dora mit

ihrem Sohn Martin selbst zu Besuch kam, war Cecil Burney, ein

jungscher Psychologe und einer von Doras älteren Schülern, unser

Sandspieltherapeut vor Ort.

Eine der bemerkenswertesten und witzigsten Synchronizitäten,

die wir im Zusammenhang mit dem Sandspiel erlebten, passierte

bei einem unserer einmonatigen Workshops, in dem eine Teilneh­

merin namens Mary sämtlichen Gruppenmitgliedern »die Knöpfe

drückte«. Sie war geradezu manisch und redete ununterbrochen,

wobei sie ihre Ehe, ihr Sexualleben und die sexuelle Potenz ihres

70-jährigen Ehemannes pries. Sie hatte »die unglaublichsten Or­

gasmen«, machte bei der Atemarbeit »phantastische Erfahrungen«,

malte »die großartigsten Mandalas« und so weiter und so fort. Als

Emmett Miller, ein Hypnotiseur, der als Gastdozent in die Gruppe

kam, die Teilnehmer bat, sich mit einer typischen Bewegung oder

Geste vorzustellen, lief Mary nach draußen, rannte durch eine of­

fene Tür in den Raum, drehte, während sie ihren Namen brüllte,

eine wilde Pirouette und rannte durch die gegenüberliegende Tür

wieder aus dem Zimmer.

Es war für alle in der Gruppe offensichtlich, dass diese über­

triebene Selbstbeweihräucherung nichts als ein verzweifelter Ver­

such war, Dinge zu verbergen, die in Wirklichkeit ganz anders aus­

sahen. Als Mary mit dem Sandspiel an der Reihe war, gestaltete sie

eine komplexe, überladene Szene, die ihr idealisiertes Leben und

ihre romantisch verklärte Ehe darstellte. Ihr eigenes Werk versetzte

sie in große Aufregung, und sie machte sich auf die Suche nach

Cecil, Christina, mir und Al Drucker, einem Rolfer und Akupunk­

teur aus Esalen, um uns ihre unvergleichliche Schöpfung zu zeigen.

Als sie uns alle zusammengetrommelt hatte, bestand sie darauf,

dass wir mitkommen und uns ihr phantastisches Sandspiel an­

schauen müssten. Sie schleppte uns mit ins Big House und die

Treppe hoch in das Sandspielzimmer.

Page 376: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

376 Teil 6: Unorthodoxe Psychiatrie

Als wir dort ankamen, war sie wie vom Blitz getroffen. Beim Verlas­

sen des Zimmers hatte sie die Tür offen gelassen, und während ih­

rer Abwesenheit war ein Kätzchen hereinspaziert und hatte den

Sandkasten als Katzenklo benutzt. Es sprang in den Kasten, stieß

einige der Hauptpersonen um und hinterließ dort, wo das Sand­

spiel die größte Verzerrung der Wirklichkeit darstellte, einen di­

cken Haufen Scheiße. Als Mary das sah, war sie am Boden zerstört,

und es brach ihr das Herz. Wir gingen, und sie blieb allein zurück

mit ihrer ruinierten Sandspielszene. Sie musste die Katzenscheiße

und den verschmutzten Sand aus dem Kasten entfernen und einige

der Figuren waschen. Dabei dachte sie gründlich nach über das,

was ihr da gerade passiert war. Sie nahm einige der Figuren ganz

weg und tauschte andere aus. So entstand ein völlig anderes Sand­

spiel, das ihr Leben viel realistischer und ehrlicher darstellte als die

erste Szene.

Ein paar Monate später sprachen wir während der ITA-Konfe-

renz in Phillip Island, Australien, bei einem Abendessen über Syn­

chronizitäten. Bei dieser Gelegenheit erzählte Cecil Burney von

Marys Sandspiel. Unter den Anwesenden war auch der Anthropo­

loge Michael Harner, bekannt für seinen scharfen Humor und sei­

ne verbale Schlagfertigkeit. Michael und Cecil verwickelten sich oft

in Wortgefechte. »Mir sagt das Folgendes, Cecil«, schoss Michael

los, ohne auch nur eine Sekunde zu verlieren, »diese Katze ist ein

besserer Therapeut als du.«

Page 377: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Teil 7

Transpersonale Psychologie und Mainstream- Wissenschaft

Page 378: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert
Page 379: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Wenn Wissenschaft zu Pseudo-Wissenschaft wird 379

Wenn Wissenschaft zu Pseudo- Wissenschaft wird

Carl Sagan und seine von Dämonen verfolgte Welt

n der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts häuften sich die pro­

vozierenden Beobachtungen der Bewusstseinsforschung, und

die Grundaussagen der Transpersonalen Psychologie stießen in

akademischen Kreisen auf Ungläubigkeit und heftige theoretische

Widerstände. Die Transpersonale Psychologie, wie sie Ende der

1960er-Jahren geboren wurde, ging mit anderen Kulturen sensibel

um und begegnete den rituellen und spirituellen Traditionen aus

uralten Kulturen und Eingeborenen-Gesellschaften mit dem Res­

pekt, den sie vor dem Hintergrund der Erkenntnisse verdienten, zu

denen die moderne Bewusstseinsforschung gelangt war.

Sie akzeptierte und integrierte auch ein großes Spektrum an

anormalen Phänomenen und Beobachtungen, die das alte Paradig­

ma sprengten und für welche die akademischen Wissenschaften

keine Erklärungen finden konnten. Wie umfassend und gut be­

gründet dieses neue Gebiet als solches auch war: Es stellte eine so

radikale Abwendung von dem in professionellen Kreisen üblichen

akademischen Denken dar, dass es weder mit der traditionellen

Psychologie und Psychiatrie noch mit dem newtonschen-kartesia-

nischen Paradigma der westlichen Wissenschaft vereinbar war.

Eine Folge davon war, dass die Transpersonale Psychologie ex­

trem viele Angriffsflächen bot. Der Vorwurf, irrational, unwissen­

I

Page 380: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

380 Teil 7: Transpersonaie Psychologie und Mainstream-Wissenschaft

schaftlich oder sogar »verrückt« zu sein, kam vor allem von Wis­

senschaftlern, die nicht wahrnahmen, dass diese neue Bewegung

auf einem enorm umfangreichen Beobachtungsmaterial und ent­

sprechenden Daten beruhte. Diese Kritiker ließen auch die Tatsa­

che außer Acht, dass viele der Pioniere dieser revolutionären Bewe­

gung beeindruckende akademische Referenzen aufwiesen. Diese

Vorreiter und Vorreiterinnen entwickelten und begrüßten die trans­

personale Sicht der menschlichen Psyche nicht deswegen, weil sie

die Grundaussagen der traditionellen Wissenschaft ignorierten,

sondern weil sie die alten Denkmodelle auf dem Hintergrund ihrer

Erfahrungen und Beobachtungen eindeutig unzureichend fanden.

Der Widerstand hingegen kam zu großen Teilen von Vertre­

tern der akademischen Gemeinschaft, die die augenblickliche wis­

senschaftliche Weltanschauung als richtige und definitive Beschrei­

bung der Wirklichkeit betrachteten und an dieser Sicht entschlossen

und stur festhielten und taub waren für sämtliche Gegenbeweise.

Inhalt und Heftigkeit der Reaktionen einiger Mainstream-Wissen­

schaftler, die sich gegen jede Form von Spiritualität im Allgemei­

nen und die Transpersonale Psychologie im Besonderen wenden,

sind dem Fanatismus eines religiösen Fundamentalismus nicht un­

ähnlich. Ihre Haltung entbehrt jeglicher soliden wissenschaftlichen

Grundlage. Sie ignorieren und verzerren sämtliches existierende

Beweismaterial und schotten sich ab gegen beobachtete Tatsachen

und logische Argumente. Bei näherer Untersuchung erweist sich

jedoch das, was sie als Bild der Wirklichkeit präsentieren, das wis­

senschaftlich bewiesen und über jeden Zweifel erhaben ist, als ein

Koloss auf wackligen Beinen, den eine ganze Reihe von metaphy­

sischen A-priori-Annahmen stützen sollen.

Ein hervorstechendes Beispiel für diese Art Wissenschaftler

war Carl Sagan, Professor für Astronomie und Raumfahrtwissen­

schaft an der Cornell-University in New York City. Als außeror­

dentlicher Vertreter seines Faches gelangte er durch seine Mitwir­

kung bei den meisten Missionen mit unbemannten Planetensonden,

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Wenn Wissenschaft zu Pseudo-Wissenschaft wird 381

bei der Gründung des SETI-Projektes (Searchfor Extraterrestrial In­

telligence; Suche nach außerirdischen Intelligenzen, Anm.d.Ü.) und

als Redakteur der hochgelobten amerikanischen TV-Serie Cosmos

zu weltweitem Ruhm. Er hat auch zusammen mit Frank Drake die

goldene Tafel entworfen, mit der Erdenbürger außerirdischen Zivi­

lisationen eine Botschaft übermitteln wollten, und die von Pioneer

10, dem ersten Raumfahrzeug, das das Sonnensystem verließ, ins

All befördert wurde. Kurz vor seinem Tod durch Leukämie wurde

aus seinem Science-Fiction-Roman Contact ein Film mit dem glei­

chen Titel gedreht, der in weiten Kreisen Anerkennung fand.

Statt jedoch seinen beruflichen Erfolg und den guten Ruf auf

seinem Fachgebiet zu genießen, startete Carl Sagan aus unbe­

kannten Gründen mit erstaunlicher emotionaler Heftigkeit und

Entschlossenheit einen Feldzug gegen alles, was in seinen Augen

irrational, unwissenschaftlich und okkult war. Dabei nahm er die

Position eines Schiedsrichters ein, der mit großer Autorität uner­

bittlich verurteilte, was ihm an Beobachtungen von zahlreichen

verschiedenen Experten aus anderen Disziplinen wie Parapsycho­

logie, Thanatologie, psychedelischer Forschung, Anthropologie

und vergleichender Religionswissenschaft zu Gehör kam.

Um sein Ziel zu erreichen und die Kultur von der Verschmut­

zung durch Okkultismus und Aberglaube zu säubern, wurde Carl

Sagan Gründungsmitglied einer Organisation namens CSICOP

(Committee for the Scientific Investigation of Claims of the Paranormal;

Komitee zur wissenschaftlichen Untersuchung paranormaler Be­

hauptungen, Anm.d.Ü), schloss sich der Zeitschrift The Sceptical

Inquirer (Der skeptische Fragende, Anm.d.Ü.) an und nahm die

Dienste des Magiers James Randi in Anspruch, der ihm helfen sollte

zu beweisen, dass sämtliche paranormalen Behauptungen nichts

als Lug und Trug seien. All diese Bemühungen gipfelten in Sagans

Buch Der Drache in meiner Garage oder die Kunst der Wissenschaft,

Unsinn zu entlarven (Sagan 2000), einer leidenschaftlichen Straf­

predigt gegen die Irrationalität und ihre Gefahren.

Page 382: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

382 Teil 7: Transpersonale Psychologie und Mainstream-Wissenschaft

Mein erster Kontakt mit Carl war ein begeisterter Brief, den ich

kurz nach der Veröffentlichung meines Buches Topographie des Un­

bewussten (Grof 2002) von ihm erhielt. Hier schildere ich, wie mei­

ne Patienten in der LSD-Therapie oft eine tiefe Regression erleben,

bei der sie mit intensiven Emotionen und Körperempfindungen

die Erinnerung an ihre biologische Geburt durchleben. Dabei

konnte ich vier erlebnisorientierte Grundmuster unterscheiden,

die dieser Prozess durchlief, und die den fortschreitenden Phasen

der kindlichen Geburt entsprachen. Ich bezeichnete sie als perina-

tale Grundmatrizen (BPM) - siehe auch Seite 141 f.

Die erste perinatale Grundmatrix verweist auf die pränatale

Exis-tenz im fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft vor

dem Einsetzen der Entbindung. Die zweite perinatale Grundmatrix

bezeichnet die Erfahrung des klaustrophobischen Schreckens und

der Hoffnungslosigkeit, die den Fötus in der Phase der Geburt be­

fallen, wo der Uterus kontrahiert, der Gebärmutterhals aber noch

nicht geöffnet ist. Die dritte perinatale Grundmatrix hängt zusam­

men mit der schwierigen Passage durch den Geburtskanal, die be­

ginnt, sowie sich der Gebärmutterhals genügend geweitet hat. Und

bei der vierten perinatalen Grundmatrix wiederholt sich schließlich

der Augenblick der Geburt selbst und die unmittelbar anschlie­

ßende Wiederverbindung mit der Mutter. Das Wiedererleben der

Geburt bei vollem Bewusstsein wird also von den Betreffenden als

psychospiritueller Prozess von Tod und Wiedergeburt erfahren.

Carl war besonders fasziniert von meiner Beschreibung der

vierten perinatalen Matrix, die im typischen Fall verbunden ist mit

Visionen von strahlendem Licht und zahlreichen archetypischen

Gestalten, die sich in diesem Licht zeigen. Nach seiner Meinung,

die er in einem Artikel formuliert hatte, den die Zeitschrift Atlantic

Monthly (Sagan 1979) 1979 veröffentlichte, machte diese Beobach­

tung den Visionen der Mystiker, die oftmals von einem übernatür­

lichen Licht und himmlischen Erscheinungen berichteten, gründ­

lich den Garaus.

Page 383: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Wenn Wissenschaft zu Pseudo-Wissenschaft wird 383

Er zog den Schluss, dass es sich bei dem, was die Mystiker für gött­

liches Licht und Engelwesen hielten, in Wirklichkeit um Erinne­

rungen des Neugeborenen handelte, das ins grelle Licht des Opera­

tionssaals hineingeboren wird und seine Geburtshelfer und die

Schwestern in ihren weißen Kitteln sieht. Die Fehlinterpretation

dieser Situation als einer göttlichen ging also auf die Tatsache zu­

rück, dass die Sicht des Neugeborenen, und damit auch sein Er­

kenntnisvermögen, noch nicht voll entwickelt sind.

Carls Interpretation der perinatalen Visionen, die er meinem

Buch entnahm, stand in scharfem Widerspruch zu meiner eigenen

Beschreibung dieses Phänomens. Nachdem ich praktisch Hunder­

te von Malen beobachtet hatte, wie Menschen diesen psychospiri-

tuellen Prozess von Tod und Wiedergeburt durchliefen, wurde mir

klar, dass das Wiedererleben der Geburt ein Tor zum jungschen

kollektiven Unbewussten ist und die archetypischen Visionen, die

es begleiten, ontologisch real sind und nicht auf unseren Erfah­

rungen in der materiellen Welt beruhen. Dieses Thema ist von

größter theoretischer Wichtigkeit in Hinblick auf Carls provoka­

tive Äußerung über die Natur der Wirklichkeit, mit der er sein

Buch Unser Kosmos, sein Hauptwerk, beginnt: »Der Kosmos ist al­

les, was ist oder jemals war oder jemals sein wird« (Sagan 1996).

Carl wiederholte dieses Argument später in seinem Buch Auf­

bruch in den Kosmos (Sagan 1982), wo er diesem Thema unter dem

Titel »Das amniotische Universum« ein ganzes Kapitel widmet. Es

war natürlich sein gutes Recht, aus meinen Beobachtungen seine

eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen. Eine ganz andere Sache war

es jedoch, dass er meine eigene Interpretation abtat und mich als

Entlarver des Mystizismus auf einen Sockel stellte. Damit ignorierte

er auch die Tatsache, dass ich die zweite Hälfte meines Buches To­

pographie des Unbewussten, auf das er sich bezog, ausführlichen Be­

schreibungen von spirituellen Erfahrungen widmete, für die ich

zahlreiche klinische Beispiele gab. Dieses Material stellte tatsäch­

lich eine der Quellen für die Transpersonale Psychologie dar - einer

Page 384: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Disziplin, die eine Synthese von echter Spiritualität und Wissen­

schaft herzustellen sucht.

Als die Transpersonale Psychologie mit ihren Bemühungen,

Spiritualität zu legitimieren, auch in akademischen Kreisen an Ein­

fluss gewann, wurde sie Carl und der CSICOP-Gruppe zunehmend

ein Dorn im Auge. Schließlich bat Carl mich als letztes existie­

rendes Mitglied einer kleinen Gruppe von Fachleuten, die die

Transpersonale Psychologie begründet hatten, um ein Treffen. Er

wollte sich offen mit mir konfrontieren und die theoretischen

Grundlagen meiner Disziplin mit mir diskutieren. Ich nahm seine

Einladung an und traf mich mit ihm in Boston in seinem Hotelzim­

mer. An diesem Treffen nahmen auch meine Frau Christina, Carls

Frau Ann Druyan und der Harvard-Psychiater und -Forscher John

Mack teil, mit dem wir beide befreundet waren.

Zu Beginn unserer Sitzung erinnerte Carl mich an meine Ver­

antwortung als ausgebildeter Mediziner und Psychologe und er­

mahnte mich, die Informationen, die ich an die Öffentlichkeit

brachte, sorgfältig zu handhaben, da das Laienpublikum die Worte

gebildeter Menschen mit akademischen Titeln ernster nehme als

die anderer Informanten. Er betonte, Wissenschaftler dürften nur

ausgereifte, rein wissenschaftliche Wahrheiten an Menschen wei­

tergeben, die nicht imstande waren, sich selbst ein unabhängiges

Urteil zu bilden. Dann zählte er eine Reihe von Beispielen dafür

auf, wie Gauner, Betrüger und Hochstapler Menschen in die Irre

geführt hatten. Dabei zitierte er auch den Fall des deutschen Pferdes

»der kluge Hans«, dessen Besitzer behauptete, es könne Rechen­

aufgaben lösen; den Betrug um eine Figur, die man in Italien aus­

gegraben und als versteinerten Riesen ausgegeben hatte, und noch

einige weitere Vorfälle dieser Art.

»Was glauben Sie, was für unsere Diskussion wichtig ist?«,

fragte er.

»Die Frage nach dem ontologischen Status von transpersona­

len Erfahrungen«, antwortete ich, »zum Beispiel solchen, bei de­

384 Teil 7: Transpersonale Psychologie und Mainstream-Wissenschaft

Page 385: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Wenn Wissenschaft zu Pseudo-Wissenschaft wird 385

nen Menschen sich mit anderen Personen oder Lebensformen

identifizieren, ihren Körper verlassen, Visionen von archetypischen

Wesen und Dimensionen haben oder sich an Ahnen, Rassen, kar­

mische Ereignisse und phylogenetische Erlebnisse erinnern. Sind

all das Halluzinationen und Phantasien, die keinerlei Grundlage in

der Realität haben, oder aber authentische Vorfälle von Verbunden­

heit mit realen Dimensionen und damit Quellen für wichtige Infor­

mationen, die unserem Bewusstsein normalerweise nicht zugäng­

lich sind?«

»Geben Sie mir Beispiele!«, drängte er mich und wirkte ver­

blüfft und verwirrt.

Ich beschrieb ihm mehrere Erfahrungen, die Menschen in au­

ßergewöhnlichen Bewusstseinszuständen gemacht hatten, bei de­

nen sie sich mit verschiedenen Aspekten der materiellen Welt ver­

bunden fühlten oder mit historischen und archetypischen

Dimensionen des kollektiven Unbewussten in Berührung kamen

und dadurch Zugang zu Informationen gewinnen konnten, die

weit über das Wissen hinausgingen, das sie sich in ihrem jetzigen

Leben auf dem üblichen Weg angeeignet hatten. Drei dieser Bei­

spiele betrafen die Identifizierung mit Tieren (Adler, Wal und

Löwe); bei zwei Erfahrungen dieser Art ging es um historische Er­

eignisse (siehe die Geschichten von Renata und Karl auf Seite 174 ff.

und 184 ff.); und eines hatte eine obskure archetypische Vision

von der schrecklichen Muttergöttin der Malekulaner in Neu-Guinea

zum Inhalt (siehe Ottos Geschichte auf Seite 342).

Während er sich meine Geschichten anhörte, gewann Carl sei­

ne Fassung zurück und spielte sich jetzt als autoritärer Lehrer auf.

»Ach, das meinen Sie? Na, das ist leicht zu erklären, das ist ja kein

großes Mysterium«, sagte er. »Amerikanische Kinder sitzen im

Durchschnitt etwa sechs Stunden vor dem Fernseher. Sie schauen

sich viele verschiedene Sendungen an, darunter auch wissenschaft­

liche wie Nova oder den Discovery Channel. Vieles davon vergessen

sie wieder, aber ihr Gehirn, dieses wunderbare Organ, speichert

Page 386: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

386 Teil 7: Transpersonale Psychologie und Mainstream-Wissenschaft

alles. In außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen wird dieses

Wissen dann benutzt, um scheinbar neue wichtige Informationen

hervorzubringen. Aber, wie Sie ja wissen, können wir auf keinen

Fall Zugang zu Informationen bekommen, die unser Gehirn nicht

durch Sinneseindrücke verzeichnet hat. Menschen, die uns mit

solchen Informationen kommen, müssen sie irgendwann und ir­

gendwo in diesem Leben empfangen haben.«

Ich war frustriert. Carl kam mir hier mit dem alten Diktum der

britischen empiristischen Philosophie, das zum verbreiteten Dog­

ma der monistischen materialistischen Wissenschaft geworden ist:

»Nihil est in intellectu quod non anteafuerit in sensu« (Der Verstand

enthält nichts, was nicht zuvor in der sinnlichen Wahrnehmung

war). Wenn meine subjektiven Erfahrungen scheinbar neue Infor­

mationen enthielten, musste ich diese irgendwann, irgendwo, ir­

gendwie in diesem Leben durch Sinneseindrücke erworben haben.

Das sollte jedem klar sein, der Naturwissenschaften studiert hat -

wie kann ein gebildeter Mensch das anders sehen?

Da ich das Gefühl hatte, dass wir auf eine Sackgasse zusteu­

erten, berief ich mich auf die Thanatologie, die Tod und Sterben

erforscht. In den letzten Jahrzehnten hatten Forscher auf diesem

Gebiet einige faszinierende Beobachtungen zusammengetragen,

die zeigten, dass Menschen in Nahtodsituationen ihren Körper ver­

lassen. Anders als viele weitere transpersonale Phänomene lassen

sich diese Erlebnisse sehr leicht objektiv nachweisen. Da dieses

Thema durch Bestseller, Fernseh-Talkshows und sogar Hollywood­

filme große Teile der Öffentlichkeit erreicht hatte, glaubte ich da­

mit gut verdeutlichen zu können, worauf es mir ankam.

Ich verwies auf die zahlreichen thanatologischen Untersu­

chungen, die unabhängig voneinander bestätigt hatten, dass das

menschliche Bewusstsein bei außerkörperlichen Erfahrungen in

Nahtodsituationen imstande ist, sowohl seine unmittelbare Umge­

bung als auch weit entfernte Orte ohne Vermittlung der Sinne

wahrzunehmen. Nach der faszinierenden Studie, die Kenneth Ring

Page 387: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Wenn Wissenschaft zu Pseudo-Wissenschaft wird 387

in seinem Buch Mindsight (Ring und Cooper 1999) vorstellt, ist

selbst das außerkörperliche Bewusstsein von Menschen, die aus or­

ganischen Gründen von Geburt an blind waren, imstande, seine

Umgebung wahrzunehmen (siehe auch Seite 228). Nicht nur, dass

diese Menschen in solchen Situation zum ersten Mal in ihrem Le­

ben sehen konnten - sondern das, was sie sahen, konnte auch ein­

hellig von anderen bestätigt werden. In Kens Worten machten die­

se Menschen »wahre außerkörperliche Erfahrungen«.

In diesem Zusammenhang zitierte ich auch ein Beispiel aus dem

Buch Erinnerungen an den Tod von Michael Sabom, einem Herzchi­

rurgen, der die Nahtoderfahrungen seiner Patienten erforscht hatte

(Sabom 1987). Ich erzählte Carl, dass einer von Saboms Patienten

die Wiederbelebungsversuche, die man bei seiner Operation un­

ternommen hatte, als es zu einem Herzstillstand kam, bis in alle

Einzelheiten beschreiben konnte. Sein körperloses Bewusstsein, so

berichtete er, habe diesen Vorgang zunächst von der Decke des OP-

Saals aus beobachtet. Als es genauer wissen wollte, was da vorging,

schwebte es nach unten, um sich die medizinischen Geräte aus der

Nähe anzusehen. In dem Interview, das Michael Sabom mit diesem

Patienten nach dessen gelungener Wiederbelebung machte, konn­

te ihm dieser zu seiner großen Überraschung den Ablauf der Wie­

derbelebungsversuche genau beschreiben, darunter auch die Be­

wegungen der kleinen Zeiger an den Messgeräten, die sich parallel

zu den Eingriffen des chirurgischen Teams bewegt hatten.

Nachdem ich Carl diesen Fall beschrieben hatte, fragte ich ihn,

wie er sich dieses Ereignis im Rahmen der Weltanschauung, der er

sich verschrieben hatte, erklärte. Er schwieg eine Weile und sagte

dann bestimmt: »Das ist natürlich gar nicht passiert.«

Ich schüttelte den Kopf, weil ich glaubte, meinen Ohren nicht

zu trauen. »Was meinen Sie damit: Das ist gar nicht passiert? Der

Herzchirurg Michael Sabom berichtet von diesen Ereignissen auf

der Grundlage der Forschungen, die er mit seinen Patienten betrie­

ben hat. Wie lautet Ihre Erklärung für Erlebnisse wie das, das ich

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388 Teil 7: Transpersonale Psychologie und Mainstream-Wissenschaft

Ihnen gerade beschrieben habe? Was glauben Sie denn, um was es

da geht?«, fragte ich. Dieses Mal war die Pause noch länger. Es war

Carl anzusehen, dass er gründlich nachdachte und um eine Ant­

wort rang. »Ich werde es Ihnen sagen«, brach er schließlich sein

langes Schweigen. »Es gibt viele Herzchirurgen in dieser Welt. Bis­

lang kannte niemand diesen Kerl. Also dachte er sich eine sensati­

onelle Geschichte aus, um auf sich aufmerksam zu machen. Das ist

ein PR-Trick!«

Ich war schockiert. Carls letzte Worte brachten meinen Respekt für

ihn ernsthaft ins Wanken. Ich begriff, dass seine Sicht der Welt

nicht wissenschaftlich, sondern pseudo-wissenschaftlich war. Sie

trat auf als unerschütterliches Dogma, das für keinerlei Beweise

zugänglich war. Damit war unsere Diskussion tatsächlich in eine

Sackgasse geraten. Carl war offensichtlich eher bereit, die Integrität

und geistige Gesundheit seiner wissenschaftlichen Kollegen in Fra­

ge zu stellen, als den Gedanken zuzulassen, dass er sein Glaubens­

system möglicherweise revidieren oder modifizieren musste, damit

es mit den neuen Daten übereinstimmte. Er glaubte so sicher zu

wissen, wie das Universum aussah und was hier möglich war, dass

er nicht die geringste Neigung verspürte, sich die Daten, die seine

Sicht in Frage stellten, genauer anzuschauen.

Meine Erfahrungen mit Carl, der an seinen pseudo-wissen­

schaftlichen Überzeugungen entschlossen festhielt, wurden noch

bestätigt durch den Skandal um CSICOP und den sogenannten

»Marseffekt«. Bei Untersuchungen, die ursprünglich darauf ange­

legt waren, die Astrologie zu entlarven, wiesen die französischen

Statistiker Michel und Louise Gauquelin nach, dass in Geburts­

horoskopen berühmter Sportler mit statistisch signifikanter Häu­

figkeit Mars im Aszendenten oder Zenit auftaucht (Gauquelin

1973). Zu ihrer eigenen Überraschung war ihre Studie damit eher

eine Untermauerung astrologischer Voraussagen als deren Wider­

legung. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass dieses Phänomen

zufällig war, lag bei eins zu fünf Millionen.

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Wenn Wissenschaft zu Pseudo-Wissenschaft wird 389

In späteren Jahren untersuchten die Gauquelins anhand von fünf

Planeten und elf Berufen astrologische Voraussagen und gelangten

zu bedeutsamen, positiven Ergebnissen: Ihre Daten wurden später

von anderen Forschern durch unabhängige Untersuchungen be­

stätigt.

Nachdem man die Ergebnisse der Gauquelin-Studie veröffent­

licht hatte, verwickelten sich drei CSICOP-Mitglieder, Paul Kurtz,

George Abeil und Marvin Zelen, die über diesen Bericht erbost wa­

ren, in diese Kontroverse, indem sie zuerst eine kritische Antwort

formulierten und später ihre eigene Untersuchung durchführten.

Nach einer Reihe hitziger Auseinandersetzungen fälschten sie

schließlich ihre eigenen Daten vorsätzlich, statt zuzugeben, dass

ihre Ergebnisse die der Gauquelins im Wesentlichen bestätigten.

Dennis Rawlins, Mitbegründer von CSICOP und Mitglied des ge­

schäftsführenden Vorstands (Rawlins 1981), deckte diesen Betrug

schließlich auf, indem er einen Artikel mit der Überschrift »Star­

baby« veröffentlichte. Als Rawlins klar wurde, dass die Organisa­

tion vor allem ihre ideologische Position untermauern wollte, statt

die Wahrheit herauszufinden, kam er zu dem Schluss, dass Ehr­

lichkeit wichtiger sei als diese pauschale Hexenjagd auf das Para­

normale.

Als man mich 1984 einlud, beim Weltkongress der Astrologie

in Luzern auf der Grundlage meiner Forschungen einen Vortrag

über die psychologische Wichtigkeit des Geburtstraumas und über

die perinatalen Grundmatrizen zu halten, stand auch Michel Gau­

quelin als Mitwirkender im Programm. Und noch ein weiterer zur

Astrologie konvertierter Wissenschaftler befand sich darunter:

Hans Eysenck, bekannt für seine heftige Kritik an der freudschen

Psychoanalyse.

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390 Teil 7: Transpersonale Psychologie und Mainstream-Wissenschaft

Die MorgenlandfahrtLSD für die (ehemalige) Sowjetunion

on 1960 bis 1967 arbeitete ich am Fachbereich für das Studi­

um zwischenmenschlicher Beziehungen des Psychiatrischen

Forschungsinstituts in Prag. In diesen Jahren war mein Hauptver­

antwortungsbereich die Erforschung des therapeutischen und heu­

ristischen Potenzials psychedelischer Substanzen. Neben der

Schweiz war die (ehemalige) Tschechoslowakei damals das einzige

Land, das offiziell pharmakologisch reines LSD herstellte. Als Stu­

dienleiter des psychedelischen Forschungsprogramms hatte ich

unbegrenzt Zugang zu dieser Substanz.

1964 wurden mein Mitarbeiter Zdenek Dytrych und ich im

Rahmen eines Austauschprogramms für sechs Wochen in die (ehe­

malige) Sowjetunion eingeladen, um dort die sowjetische For­

schung auf dem Gebiet der Neurosen und der Psychotherapie zu

studieren. Die sowjetische Psychiatrie wurde zu jener Zeit von der

kommunistischen Ideologie beherrscht, und die einzige Theorie

der Neurosen, die man hier akzeptierte, beruhte auf I.P Pawlows

Experimenten mit Hunden. Die Behandlung beschränkte sich auf

die Verabreichung einer Mischung aus Brom und Koffein, Schlaf­

therapie, Hypnose und Tranquilizer. Die Art von Tiefenpsychothe­

rapie, die wir erforschten und die der Schwerpunkt unseres Inte­

resses war, existierte in der Sowjetunion praktisch nicht.

Es war also gar nicht so einfach, eine interessante und lehr­

reiche Reiseroute zusammenzustellen. Wir fanden jedoch heraus,

V

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Die Morgenlandfahrt 391

dass es am psychoneurologischen Bechterew-Institut in Leningrad

(dem heutigen St. Petersburg) eine Gruppe gab, die unter der Lei­

tung von Professor Myasischev ihre eigene Form von dynamischer

Psychotherapie praktizierte, und planten für unsere Reise einen

vierwöchigen Aufenthalt in dieser Einrichtung ein. Schließlich war

Leningrad eine wunderschöne Stadt und allein die Eremitage mit

ihrer unglaublichen Kunstsammlung Grund genug, ihr einen Be­

such abzustatten!

Unsere Reiseroute sah auch einen Zwischenstopp in Suchumi,

Georgien, vor, wo wir uns die große Affenfarm am Schwarzen Meer

anschauen wollten, in der man die experimentellen Neurosen von

Mantelpavianen erforschte. Und angesichts der politischen Situati­

on war es Pflichtprogramm, auch die höchst uninteressante Ein­

richtung des Akademikers Andrei Snezhnevsky zu besuchen, der

Leiter des Moskauer »Instituts für Psychiatrie der U.S.S.R. Akade­

mie für medizinische Wissenschaften« und Chefideologe der So­

wjetpsychiatrie war.

Wir beschlossen, auf unsere Reise in die Sowjetunion 300 Am­

pullen LSD-25 mit je 100 Mikrogramm mitzunehmen. Sie waren

in der tschechoslowakischen pharmazeutischen Industrie herge­

stellt worden und standen zusammen mit Medikamenten wie Te-

tracyline Antibiotika, Insulin und Aspirin auf der Liste der offiziell

zulässigen Drogen. Unser Vorgehen war damals, bevor LSD durch

den Harvard-Skandal stigmatisiert wurde, absolut legal. Beim ers­

ten Teamtreffen am Bechterew-Institut berichteten wir von unserer

Arbeit mit Psychedelika und boten interessierten Belegschaftsmit­

gliedern an, ihnen LSD-Sitzungen zu geben.

Die Mitarbeiter der Abteilung für das Studium von Neurosen,

geleitet von Dr. Straumit, praktizierten eine oberflächliche Form

von dynamischer Psychotherapie. Die Psychologen und Psychiater

dieser Abteilung, vor allem die jungen, waren zwar interessiert an

der Psychoanalyse, mussten das aber strikt für sich behalten.

Freuds Bücher waren in der ehemaligen Sowjetunion verboten,

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392 Teil 7: Transpersonale Psychologie und Mainstream-Wissenschaft

weil sein Modell der Psyche den Menschen als Wesen darstellte,

das von egoistischen Grundinstinkten getrieben wird und damit

nicht in der Lage ist, die ideale, zukünftige kommunistische Ge­

sellschaft zu schaffen. Außerdem degradierte es die proletarischen

Revolutionäre, indem es ihren Kampf zur Absetzung der herr­

schenden Klasse auf unbewältigte ödipale Konflikte zurückführte.

Die Bechterew-Gruppe musste sehr vorsichtig sein, um nicht be­

schuldigt zu werden, mit solchen Ketzern zu paktieren.

Die Mitglieder des Therapeutenteams fanden die Aussicht, die

geheimen Winkel ihrer Psyche auf Wegen zu erforschen, die nicht

das Stigma des Freudianismus trugen, sehr aufregend. Mein Kolle­

ge und ich füllten unsere Zeit in Leningrad damit aus, therapeu­

tische Einzel- und Gruppensitzungen am Bechterew-Institut zu

besuchen, den Belegschaftsmitgliedern LSD-Sitzungen zu geben

und uns die erwähnte Eremitage anzuschauen. Außerdem hielt ich

im Auditorium des Bechterew-Instituts einen öffentlichen Vortrag

über LSD-Psychotherapie. In jenen Jahren sprach ich fließend Rus­

sisch, sodass mein Vortrag für ein großes Publikum zugänglich war,

ohne übersetzt werden zu müssen.

In der damaligen Zeit existierten in der Sowjetunion überhaupt

keine klinischen Forschungsprojekte mit Psychedelika. Es gab al­

lerdings einiges an Grundlagenforschung im Labor, die zum Teil

sogar am Bechterew-Institut stattfand. Der Biochemiker Lapin un­

tersuchte die Auswirkungen von Psilocybin, einer LSD-ähnlichen

Substanz, auf die Blutgefäße von Kaninchenohren. Und es gab Ge­

rüchte, dass der KGB bei Verhören und Gehirnwäschen Meskalin

und LSD einsetzte. Die Russen, denen Informationen über das öf­

fentliche Weltgeschehen durch strenge Zensur vorenthalten wur­

den, waren begierig auf alles Wissen von außen, und so war das

Auditorium bei meinem Vortrag brechend voll.

Am Tag meines Vortrags gab ich Doktor Straumit, dem Leiter

der Abteilung, eine LSD-Sitzung. Er bestand darauf, an meiner Prä­

sentation mitzuwirken und dem Publikum am Ende meiner Rede

Page 393: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Morgenlandfahrt 393

von seinen Erfahrungen zu berichten. Mein Vortrag sollte am frü­

hen Nachmittag stattfinden. Dr. Straumit machte tiefe und bedeut­

same Erfahrungen, und als er unseren Zuhörern davon erzählte,

war er noch in der Phase des in diesem Buch schon erwähnten

»psychedelischen Nachglühens«. Seine klar formulierten Darstel­

lungen machten auf das Publikum einen tiefen Eindruck, und der

Vortrag war ein eindeutiger Erfolg.

Aufgrund des Zeitpunkts unseres Russlandbesuches wurden

wir nebenbei auch Zeugen einer hochinteressanten politisch-wis­

senschaftlichen Entwicklung. Während unseres Aufenthalts in Le­

ningrad gingen nämlich Gerüchte über die historische »Operation

Sunshine« im Jahr 1958 um, bei der das amerikanische U-Boot

Nautilus unter dem arktischen Eis als erstes Schiff den Nordpol

durchquert hatte. 1959, mitten im Kalten Krieg, verbreiteten fran­

zösische Journalisten die sensationelle Geschichte, dass es der

Nautilus, die aufgrund einer dicken Schicht Polareis von den üb­

lichen elektronischen Kommunikationskanälen abgeschnitten war,

gelang, sich mit ihrer Basisstation telepathisch zu verständigen.

Kurz vor unserer Ankunft in Leningrad erwähnte Leonid Vasilyev,

ein international anerkannter Physiologe und Inhaber des Lenin-

Preises, diese amerikanische Erfolgsgeschichte bei einer Konferenz

von sowjetischen Wissenschaftlern zur Würdigung der Erfindung

des Radios. Er prophezeite, dass die Nutzbarmachung der bei au­

ßersinnlichen Wahrnehmungen wirkenden Kräfte der Entdeckung

der Atomenergie vergleichbar sein würde. Vasilyevs Erläuterungen

lösten große Aufregung aus und sie zogen nicht nur die Aufmerk­

samkeit der Fachwelt, sondern auch die von militärischen Kreisen

auf sich.

Die Sowjetregierung war alarmiert durch diese Informationen,

da die Vereinigten Staaten sich auf diesem Weg militärische Vor­

teile verschaffen konnten. Bereits ein Jahr nach seinem Vortrag lei­

tete Vasilyev an der Universität von Leningrad ein Speziallabor für

Parapsychologie. Das war der Beginn der goldenen Ära der para­

Page 394: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

394 Teil 7: Transpersonale Psychologie und Mainstream-Wissenschaft

psychologischen Forschung in der damaligen Sowjetunion, die

unter der Schirmherrschaft des sowjetischen Militärs und der

sowjetischen Geheimpolizei stand und ein Jahresbudget von

schätzungsweise 20 Millionen Rubeln erhielt. Das war zu jener Zeit

etwas mehr als die gleiche Summe in US-Dollars. Von dieser Ent­

wicklung profitierten jedoch auch die amerikanischen Parapsycho­

logen, denn da die Sowjets sich auf dieses Gebiet konzentrierten,

wurde die Parapsychologie für die nationale Sicherheit wichtig und

musste auch in den USA von der Regierung unterstützt werden.

Der persönliche Austausch bei unserem vierwöchigen Aufent­

halt in Leningrad, verstärkt durch die psychedelischen Sitzungen

der Belegschaft und die lebhaften Partys, bei denen nach einem

alten zaristischen Rezept hergestellter »Starka« oder »Starinnaya-

Wodka« unsere Zungen löste, ließ zwischen uns intensive freund­

schaftliche Bande entstehen. Als wir Abschied nahmen, um nach

Moskau und Suchumi weiterzureisen, hinterließen wir unseren Le-

ningrader Kolleginnen und Kollegen ziemlich viele restliche LSD-

Ampullen, damit sie ihre inneren Forschungsreisen fortsetzen

konnten. Nach unserem Besuch in Moskau - von dem wir kultu­

rell eindeutig mehr profitierten als fachlich - und einem Abstecher

an die wunderschöne, subtropische Küste von Georgien kehrten

wir nach Prag zurück.

Unsere Erlebnisse in Leningrad hatten drei Jahre später, als ich

mein Stipendium an der Johns-Hopkins-University in Baltimore

antrat, ein interessantes Nachspiel: Die Henry-Phipps-Psychiatric-

Clinic, an der ich Psychotherapie lehrte, veranstaltete mittwochs

regelmäßig Vorlesungen von Gastdozenten. Einer dieser Gastred­

ner war Dr. Isidor Zifferstein, ein amerikanischer Psychiater, der in

der Republik Belarus geboren wurde. Er nutzte seine hervorra­

genden Russisch-Kenntnisse, um regelmäßig einmal im Jahr das

Bechterew-Institut zu besuchen und dort wie auch wir zuvor die

therapeutischen Einzel- und Gruppensitzungen zu beobachten. Da

Page 395: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Die Morgenlandfahrt 395

das Bechterew-Institut die einzige Einrichtung in der Sowjetunion

war, in der man eine psychotherapeutische Schule mit einer defi­

nierbaren therapeutischen Methode praktizierte, wurde Dr. Ziffer­

stein schon bald zum offiziellen U.S.-Experten für sowjetische Psy­

chotherapie. Er reiste demzufolge in den Vereinigten Staaten umher,

um Vorträge zu diesem Thema zu halten, über das er auch Artikel

schrieb.

Die Henry-Phipps-Klinik war eine der Stationen auf seiner

Vortragsreise. Nachdem er wie üblich die Arbeit der Leningrader

Schule von Professor Myasischev erläutert hatte, erzählte Dr. Ziffer­

stein uns von einer Beobachtung, die ihn ziemlich verblüfft hatte.

Lange Zeit hatte er dem Bechterew-Institut einmal im Jahr einen

Besuch abgestattet. Doch bei seinem letzten Besuch fand er dort

eine für ihn völlig neue und überraschende Situation vor. Das ge­

dankliche Klima am Institut hatte sich radikal verändert. Bei

früheren Besuchen kreisten die meisten seiner Gespräche mit der

Belegschaft um Iwan Petrowitsch Pawlow, den russischen Physio­

logen aus Leningrad, der den Nobelpreis gewonnen hatte. Die The­

rapeuten hatten versucht, ihre theoretischen Vorstellungen und

therapeutischen Vorgehensweisen mit Berufung auf Pawlows Werk

zu rechtfertigen.

Bei seinem letzten Besuch jedoch blieb das zu Ziffersteins

Überraschung aus. Stattdessen sprachen die jungen Psychologen

und Psychiater jetzt ständig über orientalische Philosophie, ver­

schiedene Schulen von Yoga und Zen-Buddhismus. Sie erwähnten

Bücher wie Aldous Huxleys Romane Schöne Neue Welt und Eiland

und Hermann Hesses Die Morgenlandfahrt - und das lange vor der

»Perestroika« und »Glasnost«. Da ich wusste, dass die Aufdeckung

des möglichen Zusammenhangs zwischen den psychedelischen

Sitzungen der Belegschaft und der veränderten Interessenlage am

Institut unangenehme Konsequenzen für diese Menschen haben

konnte, unterließ ich es, Dr. Zifferstein eine plausible Erklärung

für seine mysteriösen Beobachtungen zu liefern.

Page 396: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

396 Teil 7: Transpersonale Psychologie und Mainstream-Wissenschaft

Für mich waren diese Umstände einfach ein weiterer Beweis für

die Entwicklung, die ich in meiner Arbeit immer wieder erlebt

habe: Wenn intelligente Psychiater und Psychologen mit guten

akademischen Referenzen die Gelegenheit bekommen, mit holo­

tropen Zuständen zu experimentieren, öffnen sie sich für die spiri­

tuellen Philosophien des Ostens und die mystischen Traditionen

der Welt und sehen darin eine angemessenere Alternative zur wis­

senschaftlich-materialistischen Weltanschauung, die ihnen für die­

se inneren Welten keine hinreichenden Erklärungen liefern kann.

Page 397: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Psyche und Kosmos 397

Psyche und KosmosWas die Planeten uns über Bewusstsein

verraten können

ine der größten Überraschungen, die ich in den fünfzig Jahren

meiner Bewusstseinsforschung erlebte, war die Entdeckung

der Vorhersagekraft der Astrologie. Die Arbeit mit holotropen Be­

wusstseinszuständen und persönliche Erfahrungen damit erschüt­

tern meist unser materialistisches Weltbild und öffnen uns für die

unterschiedlichsten spirituellen Lehren. Gegen die Astrologie je­

doch hatte ich sehr starke Bedenken, die meine jahrelangen For­

schungen auf dem Gebiet des menschlichen Bewusstseins beharr­

lich überlebten. Die Vorstellung, dass die Sterne Einfluss auf

Bewusstseinszustände haben sollten - geschweige denn auf das

Weltgeschehen schien mir, selbst als ich mich schon lange für

östliche spirituelle Philosophien, Akupunktur und das I Ging ge­

öffnet hatte, absurd und lächerlich.

Die Entdeckungsreise zur Astrologie dauerte viele Jahre. Meine

erste Begegnung mit ihr fand 1966 bei einem Gastauftritt in einer

tschechoslowakischen Fernsehsendung statt, zu der mich der Ver­

anstalter einer Talk-Show einlud, damit ich das psychedelische

Forschungsprojekt, das ich am Psychiatrischen Forschungsinstitut

in Prag leitete, im Gespräch erläuterte. In derselben Sendung trat

auch ein slowakischer Kollege von mir auf, der Psychiater Eugene

Jonás. Eugene war sehr interessiert an Astrologie, die er seit über

fünfundzwanzigjahren studierte, darunter auch ihre babylonischen,

E

Page 398: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

398 Teil 7: Transpersonale Psychologie und Mainstream-Wissenschaft

assyrischen, ägyptischen und indischen Spielarten. Um die mar­

xistische Zensur nicht auf sich aufmerksam zu machen, benutzte er

den Begriff »Astrologie« jedoch nicht, sondern bezeichnete seine

Arbeit als Studium »kosmobiologischer Einflüsse«.

In unserer gemeinsamen Fernsehsendung erläuterte er seine

Untersuchungen über kosmobiologische Einflüsse auf die weib­

lichen Fortpflanzungsfunktionen. Mit Hilfe von Hinweisen, die er

in einem uralten Buch über vedische Astrologie gefunden hatte,

versuchte er, das Geschlecht des Fötus zu bestimmen und das gele­

gentliche Versagen der Empfängnisverhütung nach der Knaus-Ogi-

no-Methode zu erklären. Bei einem Forschungsprojekt, das er zu­

sammen mit den Universitäten von Bratislava und Heidelberg

durchführte, war es ihm gelungen, das Geschlecht des Fötus auf

der Grundlage des Horoskops seines Empfängnistermins in sieb­

zehn aufeinanderfolgenden Fällen korrekt vorauszusagen. Die Tref­

ferquote dieser Ergebnisse war enorm. Und das, wie ich hier beto­

nen muss, viele Jahre, bevor es möglich wurde, das Geschlecht des

Fötus mit Hilfe von Ultraschall zu bestimmen.

Eugene und ich hatten Gelegenheit, vor Beginn der Show im

Sitzungssaal miteinander zu plaudern, und nachdem wir uns ge­

genseitig unsere Forschungsprojekte kurz vorgestellt hatten, be­

schlossen wir, nach der Sendung essen zu gehen. Während des Es­

sens erzählte Eugene mir von seiner Begeisterung und Leidenschaft

für Astrologie und wollte mich davon überzeugen, dass die Ge­

burtsastrologie und die Astrologie der Transite für unsere psyche­

delische Forschung äußerst nützliche Werkzeuge sein könnten.

Später konnte er mir tatsächlich interessante Rückmeldungen

zu einigen meiner LSD-Patienten geben, bei denen er sich aus­

schließlich auf deren Geburtshoroskope und augenblickliche Tran­

site berief. Ich fand das alles sehr interessant, doch meine Skepsis

gegen die Astrologie, die auf meine wissenschaftliche Ausbildung

zurückging, war zu stark, um Eugenes Vorschläge aufzugreifen und

mich ernsthaft auf dieses Gebiet einzulassen.

Page 399: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Psyche und Kosmos 399

Auch wenn unsere Begegnung aus mir keinen Liebhaber der Astro­

logie machte, säte sie einen Samen, der Jahre später zu keimen be­

gann. Nachdem ich am Maryland-Psychiatric-Research-Center in

Baltimore sieben Jahre psychedelische Forschung betrieben hatte,

machte man mir (wie in diesem Buch schon erwähnt) 1973 das

Angebot, als Wissenschaftler am Esalen-Institut in Big Sur zu arbei­

ten und zu leben, und so zog ich nach Kalifornien um. Ein paar

Monate später kam ich in Kontakt mit Richard Tarnas, einem Har­

vard-Studenten, der in Esalen seine Dissertation über LSD-Psycho-

therapie schreiben wollte. Er hatte von meinen Forschungen gehört

und war gekommen, um mich zu bitten, seinem Dissertationskomitee

beizutreten. In Esalen war zu der Zeit nur ein kleines Arbeitszim­

mer im Keller des Hauses frei, in dem wir lebten. Rick zog dort ein,

und unsere anfängliche Arbeitsbeziehung entwickelte sich schnell

zu einer engen Freundschaft.

Und damit begann das nächste Kapitel meines Interesses an

Astrologie. In Esalen lernten Rick und ich Arne Trettvik kennen,

der der Astrologie sein Leben gewidmet hatte. Arne spazierte stän­

dig mit dem American Ephemeris Book (dtsch: Ephemeriden = Ta­

bellen über den Stand der Gestirne in einem bestimmten Zeitraum,

Anm.d.Ü.) unter dem Arm herum, das er täglich oder sogar stünd­

lich konsultierte, um die Korrelationen zwischen Planetentransiten

und den Ereignissen in seinem Leben im Blick zu behalten. Arne

vermittelte uns Astrologie ganz anders, als Eugene sie mir damals

nahebringen wollte. Statt uns seine Beobachtungen lediglich mit­

zuteilen, brachte er uns bei, selbst Transite zu berechnen, und er­

läuterte uns die grundlegenden typischen Eigenschaften der plane­

tarischen Archetypen, sodass wir die prinzipiellen Lehren der

Astrologie selbst überprüfen konnten.

Arnes Strategie war erfolgreich. Rick und ich waren nach die­

ser praktischen Einführung beide vom Wert der Astrologie über­

zeugt. Rick entwickelte ein so starkes Interesse an Astrologie, dass

sie für ihn zur lebenslänglichen Leidenschaft und Berufung wurde.

Page 400: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

400 Teil 7: Transpersonale Psychologie und Mainstream-Wissenschaft

Ich selbst machte mit meinen Forschungen über außergewöhnliche

Bewusstseinszustände weiter, benutzte dabei nun aber die

Astrologie als wichtiges Werkzeug, und sie wurde zum integralen

Bestandteil meiner Untersuchungen.

Im Laufe der Jahre entwickelten Rick und ich uns zum be­

währten Team und ergänzten uns gegenseitig. Meine Aufgabe war

es, aus psychedelischen Sitzungen, Workshops und Trainings für

Holotropes Atmen, mystischen Erfahrungen, spirituellen Krisen

und psychotischen Zusammenbrüchen interessante klinische Beo­

bachtungen zusammenzutragen. Rick hat dann mit Hilfe seines as­

trologischen Fachwissens und seiner bemerkenswerten Kenntnisse

über Kulturgeschichte die mit diesen Erfahrungen verbundenen

astrologischen Einflüsse untersucht.

Auf diese Weise haben wir mit der Zeit überzeugendes Beweis­

material gesammelt, das die wichtigsten Grundaussagen der Astro­

logie auf eine ganz spezifische Weise bestätigt. Dabei wurde

deutlich, dass es zwischen Wesen und Inhalt holotroper Bewusst­

seinszustände und den Planetentransiten der Menschen, die diese

Zustände erleben, systematische Korrelationen, also Entspre­

chungen gibt. Der erste klare Hinweis auf diese erstaunlichen Zu­

sammenhänge zwischen Astrologie und meinen Forschungen über

holotrope Zustände war die Erkenntnis, dass meine Beschrei­

bungen der Phänomenologie der bereits auf Seite 382 beschrie­

benen vier perinatalen Grundmatrizen (BPMs) - der erlebnisbe­

dingten Muster, die mit den einzelnen Phasen der biologischen

Geburt verbunden sind - erstaunliche Ähnlichkeiten mit den vier

Archetypen aufweisen, welche die Astrologen mit den vier äußeren

Planeten des Sonnensystems in Zusammenhang bringen. Meine

Beschreibungen der perinatalen Grundmatrizen beruhten auf un­

abhängigen klinischen Beobachtungen, die ich viele Jahre sammel­

te, bevor ich über Astrologie auch nur das Geringste wusste.

Bei der ersten perinatalen Grundmatrix (BPM I) - spiegeln die

positiven Aspekte das Wiedererleben von Phasen ungestörter Exis­

Page 401: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Psyche und Kosmos 401

tenz im Mutterleib, begleitet von Erfahrungen wie Auflösung von

Grenzen, ozeanische Ekstase, kosmisches Einssein, Überwindung

von Raum und Zeit sowie Wahrnehmung der mystischen Wirk­

lichkeitsdimensionen - eindeutig den Archetypen wider, den die

Astrologen mit Neptun verbinden. Das Gleiche gilt für den nega­

tiven Aspekt der ersten perinatalen Grundmatrix, der auf regres­

sive Erfahrungen mit pränatalen Störungen verweist. Hier ist die

Auflösung von Grenzen nicht mystischer, sondern psychotischer

Natur und führt zu Verwirrung, Wahndenken, dem Gefühl von

chemischer Vergiftung und paranoiden Realitätswahrnehmungen.

Diese Matrix steht auch in einem psychodynamischen Zusammen­

hang mit Alkohol- und Nikotinvergiftung und Sucht und damit all

den Eigenschaften, welche die Astrologen als Schattenseiten des

Neptun-Archetypen beschreiben.

Typisch für die zweite perinatale Grundmatrix (BPMII) - die auf

der Geburtsphase »kein Ausgang« beruht, weil der Uterus kontra­

hiert und der Gebärmutterhals noch verschlossen ist - sind die be­

sessene Beschäftigung mit Alter und Tod, schwierige Prüfungen

und harte Arbeit, Depressionen, Unterdrückung, Beklemmungen

und das Gefühl zu verhungern. Diese Matrix bringt auch Gefühle

von Unzulänglichkeit, Unterlegenheit und Schuld mit sich. Sie ist

verbunden mit Skeptizismus und einer äußerst pessimistischen

Lebenseinstellung, einer erschütternden Sinnkrise, der Unfähig­

keit, überhaupt etwas zu genießen, und dem Verlust der Verbun­

denheit mit der göttlichen Wirklichkeitsdimension. Die Astrologie

schreibt all diese Eigenschaften der negativen Seite des Saturn-Ar­

chetyps zu.

Die präzisen astrologischen Entsprechungen zu den erlebnis­

bedingten Aspekten der dritten perinatalen Grundmatrix (BPM III)

sind besonders überraschend, denn diese Matrix beruht auf einer

ungewöhnlichen Kombination von Elementen, die typisch für das

Endstadium der biologischen Geburt sind. Hierher gehören der

unerbittliche Drang elementarer Triebe, das Aufeinanderprallen

Page 402: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

402 Teil 7: Transpersonale Psychologie und Mainstream-Wissenschaft

gewaltiger Energien, dionysische Ekstase, Geburt, Sexualität, Tod,

Wiedergeburt, Auslöschung und die Beschäftigung mit Exkre­

menten. Weiter gehören hierher Erfahrungen mit der Wichtigkeit

von Leben und Tod, Motive wie Vulkanausbrüche, reinigendes

Feuer und die Unterwelt - sowohl die städtische, kriminelle als

auch die psychologische, sexuelle und mythologische. Aus astrolo­

gischer Sicht sind all dies Attribute des Archetyps Pluto.

Und die Phänomenologie der vierten perinatalen Grundmatrix

(BPM IV) schließlich ist eng verwandt mit dem Archetyp des Ura­

nus. Dies ist der einzige Planet, dessen archetypische Bedeutung

hauptsächlich auf die Wesenszüge seines mythologischen Namens­

vetters zurückgeht. Wie Rick in einem Aufsatz speziell zu diesem

Thema überzeugend gezeigt hat, spiegelt der Archetyp, der mit

Uranus assoziiert wird, tatsächlich die typischen Eigenschaften des

Helden Prometheus aus der griechischen Mythologie wider (Tar-

nas 1995). Typische Themen für ihn sind die unerwartete Lösung

schwieriger Situationen, das Durchbrechen und Überwinden von

Grenzen, brillante geistige Einsichten, prometheische Erschei­

nungen, die plötzliche Weiterentwicklung zu neuen Wahrneh-

mungs- und Bewusstseinsebenen, Befreiung und die Überwindung

bisheriger Einschränkungen.

Die Entdeckung dieser großen Ähnlichkeiten zwischen der as­

trologischen Beschreibung der fünf planetarischen Hauptarche­

typen und der Phänomenologie der perinatalen Grundmatrizen

war bereits als solche und für sich genommen ungewöhnlich, wenn

man bedenkt, dass meine Beobachtungen aus einer völlig anderen

Quelle stammten als die astrologischen Zuordnungen. Noch er­

staunlicher jedoch war Ricks spätere Entdeckung, dass die erleb­

nisbedingte Konfrontation mit diesen Matrizen in holotropen Zu­

ständen immer zu der Zeit passierte, wo die Betroffenen wichtige

Transite in den entsprechenden Planeten hatten.

Im Laufe der Jahre konnten wir diese Tatsache durch Tausende

von spezifischen Beobachtungen bestätigen. Aufgrund dieser über­

Page 403: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Psyche und Kosmos 403

raschend präzisen Korrelationen hat sich die Astrologie - insbe­

sondere die Astrologie der Transite - für die Bewusstseinsforschung

als das lange gesuchte Puzzlestück erwiesen, das den Schlüssel

zum Verständnis von Wesen und Inhalt sowohl spontan auftre­

tender als auch künstlich erzeugter holotroper Zustände liefert, die

Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zum Inhalt haben.

Bei Erfahrungen, die die Vergangenheit betreffen, sind die Ent­

sprechungen primär von theoretischem Interesse und können als

Grundlage für langfristige Forschungsprojekte dienen. Eine Unter­

suchung augenblicklicher Transite kann extrem nützlich für die

Arbeit mit Menschen sein, die eine spirituelle Krise durchmachen,

denn sie liefert genaue Hinweise für ansonsten unverständliche Er­

fahrungen und den Zeitpunkt ihres Auftretens. Und die Möglich­

keit, auf der Grundlage zukünftiger Transite präzise Voraussagen

zu machen, ist für die Planung psychedelischer und holotroper Sit­

zungen ein Werkzeug von unschätzbarem Wert.

Die moderne europäisch-amerikanische Zivilisation steht un­

ter enorm starkem Einfluss der materialistischen Wissenschaft.

Deshalb müssen Menschen holotrope Zustände meist jahrelang er­

forschen und gründliche, eigene Erfahrungen damit machen, be­

vor sie sich aus dem Bann dieser Weltanschauung befreien und

akzeptieren können, dass wir unser Verständnis von der mensch­

lichen Psyche und vom Wesen der Wirklichkeit radikal revidieren

müssen, um es mit den neuen Daten in Einklang zu bringen. Es

überrascht also nicht, dass dieser Prozess so schwierig ist und auf

heftige Widerstände stößt.

Wir können dem breiten Spektrum an Beobachtungen aus

holotropen Zuständen und Astrologie, die für unser bisheriges

Denken eine große Herausforderung darstellen, nicht durch theo­

retisches Flickwerk und ein gelegentliches oberflächliches Zurecht­

rücken mit Hilfe von unwesentlichen ad hoc-Hypothesen gerecht

werden. Wir müssen vielmehr drastische Revisionen vornehmen

und die meisten grundlegenden metaphysischen Annahmen und

Page 404: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

404 Teil 7: Transpersonale Psychologie und Mainstream-Wissenschaft

Überzeugungen der materialistischen Wissenschaft durch neue

Prämissen ersetzen. Die konkreten Implikationen für Psychologie

und Psychiatrie gehen weit über jene hinaus, die ich im Laufe der

Jahre in meinen Büchern erläutert habe: das stark erweiterte Modell

der Psyche, die viel komplexere, multidimensionale Struktur von

emotionalen und psychosomatischen Störungen, der Gedanke des

inneren Radarsystems, die Existenz und der therapeutische Nutzen

einer inneren Heilungsintelligenz und anderes mehr.

Ein weiterer Aspekt, der im Licht der neuen Entdeckungen

radikal revidiert werden muss, ist die Rolle der Medizin in der Psy­

chiatrie und ihr Einfluss auf die klinische Praxis - vor allem auf die

Diagnostik.

Da die Erfahrungen von Klienten zu einem gegebenen Zeitpunkt

sowohl in gewöhnlichen als auch in holotropen Bewusstseinszu­

ständen tiefe Entsprechungen zu den archetypischen Feldern der

zu der Zeit stattfindenden Planetentransite aufweisen, unterliegen

sie ständigen Veränderungen. Kliniker und Theoretiker, die versu­

chen, ein festes Klassifizierungssystem für psychiatrische Diagno­

sen zu entwickeln, stellen fest, dass diese Arbeit sehr frustrierend

ist. In Amerika haben wir im Augenblick bereits die vierte revi­

dierte Version des offiziellen Diagnostic and Statistical Manual (DSM-

IV) (Diagnostisches und statistisches Handbuch, Anm.d.Ü.) vorlie­

gen, und trotzdem äußern sich Psychiater und Psychologen

weiterhin frustriert darüber, dass die Beschreibung der diagnos­

tischen Kategorien und das aktuelle klinische Bild, das ihre Pati­

enten zeigen, nur unzureichend übereinstimmen.

Aus astrologischer Sicht spiegelt dieses Schwanken des kli­

nischen Bildes die ständig wechselnden Beziehungen zwischen den

Planeten und entsprechenden archetypischen Einflüssen wider. In

vielen geschichtlichen Etappen bilden zwei oder mehr Planeten

wichtige Konstellationen am Himmel; und das hat, wenn es die

äußeren Planeten von Jupiter bis Pluto betrifft, besonders tiefgrei­

Page 405: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Psyche und Kosmos 405

fende und langfristige Auswirkungen. Das archetypische Feld, das

diese Planeten bilden, beschert der entsprechenden Etappe ganz

bestimmte Erlebnisse und prägt ihren Zeitgeist (deutsch im Origi­

nal, Anm.d.Ü.).

So fiel zum Beispiel der gesamte Zeitraum von 1960 bis 1972

mit einer Konjunktion von Pluto und Uranus zusammen - die ein­

zige derartige Konjunktion im 20. Jahrhundert. Das war mit Si­

cherheit eine sehr passende, archetypische Kombination für die

Zeit einer ständigen, grundlegenden psychospirituellen Revolution

dionysischer Art: mit ihren typischen Erscheinungen wie sozialen

Umwälzungen, der Bewegung für die Bürgerrechte, technolo­

gischen Errungenschaften, radikalen Innovationen in Musik und

Kunst, der sexuellen Revolution, der feministischen Bewegung,

den Studentenunruhen und einer reichen Gegenkultur.

Ganz im Gegensatz dazu beruhte der archetypische Hauptein­

fluss in den gesamten 1990er-Jahren auf einer Konjunktion von

Neptun und Uranus. Dabei handelte es sich um eine Periode der

gründlichen, generell aber gewaltlosen, spirituellen und sozialen

Veränderungen oder »sanften Revolutionen« wie der deutschen

Wiedervereinigung, der Befreiung der osteuropäischen Länder so­

wie der friedlichen Auflösung der Sowjetunion, einer gefährlichen

Supermacht.

In dieser Zeit gewann die jungsche Psychologie zunehmend an

Anerkennung, und viele spirituell orientierte Bücher fanden ihren

Weg auf die Bestsellerlisten. Transpersonale Themen - Mythologie,

Nahtoderfahrungen, UFO-Phänomene wie Landungen und Ent­

führungen, instrumenteile Transkommunikation (ITC) (eine Reihe

von elektronischen Verfahren, um mit dem Jenseits zu kommuni­

zieren, Anm.d.Ü.) und virtuelle Realitäten - fesselten die Aufmerk­

samkeit der Fachwelt und der Öffentlichkeit, und viele wurden zu

Lieblingsthemen der Filmemacher (Tarnas 2007).

Zu der Zeit, in der diese planetarischen Hauptaspekte die gan­

ze Welt beeinflussen, haben sie auch eine individuelle Bedeutung

Page 406: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

für Einzelne, da sie in deren Geburtshoroskopen wichtige Transite

zu bestimmten Planeten bilden. Diese Übereinstimmung spiegelt

sich in der Tendenz zu bestimmten emotionalen und psychosoma­

tischen Störungen wider. Deswegen bekommen Psychiater in einer

bestimmten historischen Etappe nicht die gleichen Phänomene zu

sehen wie ihre Kollegen in früheren oder späteren Zeiten. Das

könnte als ein möglicher Grund dafür gelten, dass diagnostische

und statistische Handbücher wie das amerikanische DSM-IV (Dia­

gnostic and Statistic Manual of Mental Disorders, Anm.d.Ü.), die

eine universelle Gültigkeit beanspruchen, problematisch sind.

Aber das ist noch nicht das Ende der Geschichte. In den Jah­

reskursen, die Rick Tarnas und ich in San Francisco am »California

Institute of Integral Studies« (CHS) halten, erläutern wir die wich­

tigsten Schulen der Tiefenpsychologie und analysieren die Horo­

skope ihrer Begründer. Dabei zeigte sich schon bald, dass diese

Pioniere die Psyche ihrer Klienten nicht objektiv studieren und da­

raus generelle Schlussfolgerungen ziehen konnten, die unbegrenzt

gültig waren. Vielmehr sahen sie die Probleme ihrer Klienten durch

ihre subjektive Wahrnehmungsschablone oder verzerrte Sicht, die

durch die Aspekte in ihren eigenen Horoskopen mit ihren eigenen

Transiten zur Zeit ihrer Beobachtungen gefärbt war.

Mit Ausnahme von organisch begründeten Störungen hat die

Psychiatrie es bei ihren Studien und Untersuchungen also nicht

mit feststehenden Phänomenen zu tun. Jede Erforschung emotio­

naler und psychosomatischer Störungen, die keine organische Ur­

sache haben, wird durch ein komplexes Zusammenspiel zahlreicher

verschiedener Faktoren bestimmt: das Horoskop des Forschers

und seiner Transite zur Zeit seiner Beobachtungen, die weltweiten

planetarischen Aspekte, die den jeweiligen Zeitgeist bestimmen,

und die persönlichen Transite, die die Erfahrungen des Klienten

prägen.

Das Bild von der Psychiatrie als einer Disziplin, die präzise Be­

schreibungen von feststehenden, transtemporalen pathologischen

406 Teil 7: Transpersonale Psychologie und Mainstream-Wissenschaft

Page 407: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Psyche und Kosmos 407

Zuständen und ein ganzes Arsenal an speziellen Heilungsmetho­

den und Interventionen aufweisen kann, ist eine Illusion. Das ein­

zig gültige praktische Vorgehen besteht unter diesen Umständen

darin, psychiatrische Störungen mit Hilfe von Beziehungen und

Werkzeugen zu beschreiben, mit denen wir die Situation zu jedem

gegebenen Zeitpunkt analysieren und unter Berücksichtigung der

Phänomenologie der Erfahrungen des Klienten und seiner planeta­

rischen Transite charakterisieren können. Dabei müssen wir auf

jeden Fall auch die globalen planetarischen Aspekte sowie das

Horoskop und die Transite des Forschenden selbst als Korrektiv

mit einbeziehen.

Die Zusammenhänge, welche die Astrologie aufdeckt, sind so kom­

plex, verwickelt, kreativ und phantastisch, dass keinerlei Zweifel

an ihrem göttlichen Ursprung bestehen kann. Sie liefern überzeu­

gende Beweise dafür, dass die Schöpfung auf einer tiefen, sinn­

vollen Ordnung beruht und eine überlegene kosmische Intelligenz

existiert, die diese hervorgebracht hat.

Das führt uns zu einer hochinteressanten Frage: Gibt es eine

umfassende Weitsicht, die mit der Astrologie vereinbar ist und sich

deren Erkenntnisse zu eigen machen kann? Nicht ohne Kämpfe

und innere Konflikte bin ich im Laufe der Jahre zu der Schlussfol­

gerung gelangt, dass es tatsächlich eine Weitsicht gibt, die sowohl

mit meinen Erfahrungen und Beobachtungen aus der Bewusst­

seinsforschung als auch mit der Astrologie vereinbar ist und beides

erklären kann. Sie steht jedoch in diametralem Gegensatz zu dem

Glaubenssystem, das in der modernen westlichen Zivilisation vor­

herrschend ist.

Ich habe diese Weitsicht in meinen Buch Kosmos und Psyche.

An den Grenzen menschlichen Bewusstseins (2000) beschrieben und

in zusammengefasster Form auch in einem Kapitel meines letzten

Buches Psychologie der Zukunft. Erfahrungen der modernen Bewusst­

seinsforschung (2002) dargestellt. Diese Sicht der Wirklichkeit be­

Page 408: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

408 Teil 7: Transpersonale Psychologie und Mainstream-Wissenschaft

ruht auf Erfahrungen und Einsichten aus holotropen Zuständen

und stellt das Universum nicht als materielles System dar, sondern

als unendlich komplexes Spiel von »Absolutem Bewusstsein«. Ur­

alte hinduistische Schriften vermitteln uns eine ähnliche Sicht des

Kosmos und bezeichnen die Ereignisse in der Welt der Phänomene

als Leela, göttliches Spiel. Wie sich in wachsendem Maße heraus­

stellt, ist diese Sichtweise des Universums auch kompatibel mit

zahlreichen revolutionären Fortschritten in der Wissenschaft des

neuen Paradigmas.

Wenn der Kosmos die Schöpfung einer überlegenen Intelligenz

ist und keine Supermaschine, die sich selbst erschaffen hat, ist es

plausibler, die Astrologie als eine der vielfältigen verschiedenen

Ordnungen zu betrachten, die Teil des universellen Gesamtgewe­

bes sind. Und dann können wir in dieser Disziplin eine nützliche

Ergänzung der Wissenschaft sehen, statt deren unversöhnlichen

Rivalen. Die gedankliche Öffnung für eine solche Sicht birgt die

Chance, das großartige Potenzial der Astrologie als klinisches

Werkzeug und Forschungsinstrument in Psychiatrie, Psychologie

und Psychotherapie und zahlreichen weiteren Disziplinen nutzen

zu können.

Der wichtigste Unterschied zwischen dem Denken der Main-

stream-Wissenschaftler und dem der Astrologen besteht darin,

dass die Wissenschaftler versuchen, auf die Astrologie die Prin­

zipien der linearen Kausalität anzuwenden. Das zeigte sich auch in

meinem Gespräch mit Carl Sagan (siehe Seite 384 ff.), dem Haupt­

vertreter des »wissenschaftlichen« Widerstands gegen die Astrolo­

gie. Als er von meinem Interesse an Astrologie erfuhr, sagte er zu

mir: »Ich verstehe nicht, wie Sie als intelligenter und gebildeter

Mensch an diesen Unsinn glauben können. Astrologie ist totaler

Humbug! So wie ich hier vor Ihnen stehe, habe ich mehr Einfluss

auf Sie als Pluto.«

Als hochintelligenter Mensch führte Carl im Kopf schnelle Be­

rechnungen mit Masse, Abstand und Gravitationsfeldern durch,

Page 409: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Psyche und Kosmos 409

die ihn zu dem einleuchtenden Schluss brachten, dass die Planeten

keinen signifikanten Einfluss auf die menschliche Psyche oder die

Ereignisse auf der Erde ausüben können. Ihm fehlte jedoch die

Vorstellungskraft, sich einen anderen Mechanismus zu denken, der

hier möglicherweise wirkt.

Carls Fazit, dass die Astrologie keinen Sinn ergibt, wenn wir

von einer physischen Einwirkung der Planeten auf die menschliche

Psyche und das Weltgeschehen ausgehen, würde bei allen gut aus­

gebildeten Astrologen Zustimmung finden. Sie gehen nicht von

physischen Ketten von Ursache und Wirkung aus, sondern von

synchronistischen Beziehungen. Die Weitsicht der Astrologie über­

nehmen heißt, das Bild vom Universum als mechanisches, voll­

kommen deterministisches System aufzugeben und stattdessen ein

Universum vor uns zu sehen, das auf einem meisterhaften Entwurf

beruht, der wiederum auf eine überlegene kosmische Intelligenz

zurückgeht.

Aus astrologischer Sicht finden wir im universellen Schema

der Dinge systematische Entsprechungen zwischen den Bewe­

gungen und Winkelbeziehungen der Planeten und den Dynamiken

der archetypischen Welt vor. Und weil diese archetypischen Dyna­

miken die Ereignisse in der materiellen Welt steuern und prägen,

können wir aus den Planeten-Konstellationen ablesen und Voraus­

sagen, welche Ereignisse in der materiellen Welt demnächst wahr­

scheinlich auf uns zukommen werden.

Es ist wichtig zu betonen, dass astrologische Voraussagen ar­

chetypisch und nicht konkret sind. Wir können über Astrologie

nicht auf der Basis der Tatsache urteilen, dass sie mit dem wissen­

schaftlichen Mainstream-Denken unvereinbar ist. Jeder ernst zu

nehmende Kritiker muss die Theorie und Praxis der Astrologie

kennen und ein entsprechendes Wissen über archetypische Psy­

chologie besitzen. Der nächste Schritt wäre dann, eigene For­

schungen anzustellen und sich anzuschauen, inwieweit die tat­

sächlichen Beobachtungen mit den astrologischen Voraussagen

Page 410: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

410 Teil 7: Transpersonale Psychologie und Mainstream-Wissenschaft

übereinstimmen. Befasst ein aufgeschlossener Forscher sich einge­

hend mit solchen Untersuchungen, dann wird - davon bin ich

überzeugt - am Ende die Astrologie überleben und nicht die monis­

tische, materialistische Weltanschauung der akademischen Wis­

senschaft.

Page 411: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Epilog 411

Epilog

Meine Erfahrungen und Beobachtungen in den fünfzig Jahren,

in denen ich holotrope Bewusstseinszustände erforschte, so­

wohl eigene als auch die von Tausenden von anderen Menschen,

haben meine persönliche und meine wissenschaftliche Weltan­

schauung gründlich verändert. Die Geschichten, die ich für dieses

Buch zusammengetragen habe, sind eine kleine, aber repräsenta­

tive Auswahl der Ereignisse, die für diese Wandlung ausschlagge­

bend waren.

Als ich 1956 am medizinischen Fachbereich der Karls-Univer­

sität in Prag meinen Abschluss machte, teilte auch ich das von der

westlichen materialistischen Wissenschaft entworfene Bild vom

Universum und der menschlichen Psyche, das akademische Kreise

und meine Kultur vertraten. Diese Weltanschauung beruhte auf

der metaphysischen Annahme, das Universum sei ein mecha­

nisches, streng deterministisches System, in dem die Materie das

primäre Element darstellt. Leben, Bewusstsein und Intelligenz gel­

ten hier als mehr oder weniger zufällige Nebenprodukte der Mate­

rie, und damit im Wesentlichen als Zufallstreffer, zu denen es in

der Evolution von träger, anorganischer Masse nach Milliarden von

Jahren in einem unwesentlichen Bereich eines gigantischen Uni­

versums kam.

Dieses Paradigma geht davon aus, dass dem Universum und

der Natur keine leitende Intelligenz und kein meisterhafter Ent­

Page 412: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

412 Epilog

wurf zugrunde liegen. Die unglaubliche Komplexität von Formen,

die zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen von der Astronomie

bis hin zur relativistischen Quantenphysik, von Chemie und Biolo­

gie bis hin zu Psychologie entdecken, ist demnach im Grunde ein

sinnloses Spiel von materiellen Teilchen. Das Universum gilt als

gigantisches, vollständig deterministisches mechanisches System,

regiert vom Prinzip von Ursache und Wirkung.

Aus dieser Sicht betrachtet, hat sich das Universum im We­

sentlichen selbst erschaffen. Teilchen von anorganischer Materie

haben sich zufällig zu organischen Gebilden zusammengeschlos­

sen, und diese haben sich zufällig zu Zellen organisiert. Die ge­

samte darwinistische Evolution von einzelligen Organismen bis

hin zu menschlichen Wesen wird demnach gesteuert von zufäl­

ligen genetischen Mutationen und dem Prinzip der natürlichen

Auslese. Nach dieser Weltanschauung besteht der Kernmechanis­

mus der Evolution im Überleben des Stärkeren und der militanten

Strategie egoistischer Gene. Das erklärt und rechtfertigt offenbar

auch menschliche Verhaltensweisen, die man für typisch hält - das

Verfolgen egoistischer Interessen in Konkurrenz mit und auf

Kosten von anderen, das sich sowohl im persönlichen Leben als

auch im kollektiven wirtschaftlichen, politischen und militärischen

Geschehen manifestiert.

Dieses düstere Bild der menschlichen Natur wurde noch un­

terstrichen durch die Erkenntnisse der Tiefenpsychologie, deren

Pioniere - Sigmund Freud und seine Anhänger - behaupteten, dass

unser menschliches Verhalten letzten Endes auf grundlegende ani­

malische Triebe zurückgeht. Aus dieser Sicht betrachtet, sind Lie-

besgefühle nichts weiter als eine Reaktion auf unseren angebore­

nen Aggressionstrieb oder ein desexualisiertes Interesse an unseren

Eltern. Unser ethisches Verhalten beruht auf Angst vor Strafe, äs­

thetische Interessen stellen eine psychologische Abwehr gegen

mächtige anale Impulse dar und so weiter. Ohne gesellschaftliche

Restriktionen, Strafinstanzen und das Über-Ich, das sich durch el­

Page 413: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Epilog 413

terliche Verbote und Befehle entwickelt, würden wir unsere Sexua­

lität wahllos und promiskuös ausleben und hemmungslos töten

und stehlen, wie Freud es in seinem Aufsatz Das Unbehagen in der

Kultur so wortgewandt beschreibt (Freud 1984).

Freud und seine Anhänger sahen in religiösen Glaubenssyste­

men und spirituellen Interessen, welcher Art auch immer, nichts

weiter als die Widerspiegelung von Aberglaube, Einfältigkeit, pri­

mitivem magischen Denken, Primärprozessen und besessen­

zwanghaftem Verhalten, das auf die Unterdrückung von analen

Impulsen und unverarbeitete Ödipus- oder Elektrakomplexe zu­

rückgeht. Und wieder war es Sigmund Freud, der diese Sicht durch

Schriften wie Die Zukunft einer Illusion (1993) sowie Totem und Tabu

(1991) verbreitete.

Diese pauschale Verneinung der Legalität jeglicher Form von

Spiritualität unterschied nicht zwischen primitivem Volksglauben

und hochentwickelten religiösen Systemen, die auf einer gründ­

lichen, jahrhundertelangen Erforschung von Psyche und Bewusst­

sein beruhen, wie zum Beispiel zahlreiche Schulen von Yoga, Bud­

dhismus und Sufismus. Sämtliche unmittelbaren Erfahrungen mit

spirituellen Dimensionen der Wirklichkeit galten in diesem Rah­

men als Manifestationen ernsthafter Geisteskrankheiten.

Sowohl meine beruflichen Beobachtungen als auch meine persön­

lichen Erfahrungen im Laufe der letzten fünfzig Jahre - die in ihren

Grundlinien den in diesem Buch beschriebenen Erlebnissen ent­

sprechen - haben dazu geführt, dass ich die oben geschilderte

Weltanschauung und deren grundlegende metaphysische Annah­

men inzwischen ernsthaft in Frage stelle. Obwohl ich mit beträcht­

lichen intellektuellen Widerständen zu kämpfen hatte, sieht mein

Verständnis vom Universum sowie von der menschlichen Psyche

und Natur inzwischen völlig anders aus. Es ist eher den Denksyste­

men verwandt, die Aldous Huxley »ewige Philosophie« nannte,

vor allem denen der großen östlichen spirituellen Philosophien.

Page 414: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

414 Epilog

Nach meiner augenblicklichen Sicht der Wirklichkeit ist Bewusst­

sein ein grundlegender Aspekt der Existenz und der Materie gleich­

gestellt oder möglicherweise sogar übergeordnet und nicht ihr zu­

fälliges Nebenprodukt.

Ich glaube heute, dass das Universum auf allen Ebenen und in

allen Dimensionen von einem kosmischen Bewusstsein und einer

überlegenen kreativen Intelligenz (anima mundi) geschaffen wurde

und durchdrungen ist. Für mich ist der Kosmos keine gigantische

Supermaschine mit newtonschen Eigenschaften, die aus einzelnen

Bausteinen (Elementarteilchen und -Objekten) besteht, sondern

ein einheitliches Feld, ein organisches Ganzes, in dem alles sinn­

voll miteinander verbunden ist. Und jede individuelle menschliche

Psyche ist ein integraler Bestandteil vom kosmischen Gesamtbe­

wusstsein und stimmt in ihren wesentlichen Zügen mit diesem

überein.

Genauer gesagt, um die Beobachtungen und Erfahrungen in

holotropen Zuständen verstehen zu können, musste ich das Mo­

dell, das die traditionelle akademische Psychiatrie und Psychologie

heute benutzen, stark erweitern. Das Denken in Begriffen von Bio­

logie, Physiologie, postnataler Biographie und des freudschen indi­

viduellen Unbewussten hat sich für diese Zwecke als peinlich un­

zulänglich erwiesen. Die neue Landkarte musste außer der Ebene

der postnatalen Biographie noch zwei weitere Bereiche mit einbe­

ziehen: den perinatalen (verbunden mit dem Trauma der Geburt)

und den transpersonalen (der Erinnerungen an Ahnen, Rasse, Kol­

lektiv und phylogenetische Erfahrungen sowie karmische Erleb­

nisse und archetypische Abläufe umfasst).

Auch über das Gebiet, das traditionelle Psychiater als »Psychopa­

thologie« bezeichnen, denke ich heute radikal anders. Mir ist ganz

klar geworden, dass wir emotionale und psychosomatische Stö­

rungen, die keine organische Grundlage haben (psychogenetische

Psychopathologie), vor dem Hintergrund postnataler biogra­

Page 415: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Epilog 415

phischer Traumata in der Kleinkindzeit, Kindheit und im späteren

Leben nicht angemessen erklären können. Die Wurzeln dieser Stö­

rungen reichen sehr viel tiefer und beziehen bedeutsame Aspekte

der perinatalen und der transpersonalen Ebene mit ein.

Die Erkenntnis, wie tief die Wurzeln von emotionalen und

psychosomatischen Problemen reichen, kann anfangs sehr entmu­

tigend sein, sie wird jedoch mehr als wiedergutgemacht durch

die Entdeckung der mächtigen, neuen therapeutischen Mechanis­

men, die im tiefen Unbewussten wirksam werden (beispielsweise

beim Wiedererleben der eigenen Geburt, bei Erinnerungen an ver­

gangene Leben, kosmischen Einheitserlebnissen und vielen wei­

teren Erfahrungen).

Ein ähnlich aufregender Aspekt dieses neuen Verständnisses

der menschlichen Psyche ist die Entdeckung ihrer inneren Hei­

lungsintelligenz. ln der traditionellen Psychotherapie besteht das

Ziel darin, intellektuell verstehen zu lernen, wie die Psyche funkti­

oniert, warum sie bestimmte Symptome entwickelt und was diese

Symptome zu bedeuten haben. Solche Erkenntnisse dienen dann

als Grundlage für die Entwicklung verschiedener Behandlungsme­

thoden, die Therapeuten bei ihren Patienten anwenden können.

Vor dem Hintergrund des verblüffenden Mangels an Übereinstim­

mung von Psychologen und Psychiatern über die grundlegendsten

theoretischen Themen und die daraus resultierende, erstaunlich

hohe Anzahl verschiedener, miteinander konkurrierender psycho­

therapeutischer Schulen ist dieses Vorgehen jedoch höchst proble­

matisch.

Die Arbeit mit holotropen Zuständen hingegen zeigt uns eine

überraschende, radikale Alternative auf - die Mobilisierung der ei­

genen, inneren Intelligenz der Klienten, die den Heilungs- und

Transformationsprozess anleitet.

Am überraschendsten und aufregendsten an der neuen Welt­

anschauung ist, dass sie - im Gegensatz zur akademischen Wissen­

schaft - die ontologische Realität der gewöhnlich im Verborgenen

Page 416: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

416 Epilog

bleibenden spirituellen Dimensionen der Existenz erkennt und an­

erkennt und Menschen, die damit Erfahrungen machen, keinen

psychopathologischen Stempel aufdrückt. Aus dieser Sicht ist die

ernsthafte spirituelle Suche ein wichtiger und völlig legitimer

Schritt. Wir müssen hier jedoch betonen, dass diese Aussage eine

authentische Spiritualität meint, die auf persönlichen Erfahrungen

beruht, und nicht die dogmatischen Ideologien der organisierten

Religionen.

Die neue Weitsicht, die ich hier kurz umrissen habe, ist kein

zufälliges Konstrukt oder ein Resultat von Spekulationen. Es han­

delt sich hier um eine philosophische Perspektive, welche spontan

bei Menschen auftaucht, die sich von den Prägungen durch ihr Ge­

burtstrauma und ihre ersten Lebensjahre befreien konnten und tie­

fe transpersonale Erfahrungen gemacht haben. Die intensive, er­

lebnisorientierte innere Arbeit in dieser Form hat tiefe Auswirkungen

auf die Art und Weise, wie wir unser Leben führen.

Es ist wohl keine Frage, dass Intelligenz - die Fähigkeit zu

lernen und zu erinnern, zu denken, vernünftig zu überlegen und

uns mit unserer materiellen Umgebung angemessen auseinander­

zusetzen - generell eine wichtige Vorbedingung für ein gelungenes

Leben ist. Neuere Forschungen betonen außerdem die Wichtigkeit

einer »emotionalen Intelligenz« und meinen damit die Fähigkeit,

uns auf unser menschliches Umfeld adäquat einzulassen und uns

in zwischenmenschlichen Beziehungen kompetent zu verhalten

(Goleman 1997). Darüber hinaus bestätigen Beobachtungen aus

der Erforschung holotroper Zustände die Grundsätze der er­

wähnten ewigen Philosophie, die besagen, dass unsere Lebensqua­

lität letzten Endes abhängt von dem, was wir »spirituelle Intelli­

genz« nennen können.

Spirituelle Intelligenz ist die Fähigkeit, unser Leben so zu le­

ben, dass darin ein tiefes philosophisches und metaphysisches Ver­

ständnis der Wirklichkeit und unseres eigenen Wesens zum Aus­

druck kommt, welches wir bei der systematischen spirituellen

Page 417: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Epilog 417

Suche durch persönliche Erfahrungen gewonnen haben. In bud­

dhistischen Schriften heißt diese Form von spiritueller Weisheit

prajna paramita (transzendentale Weisheit). Anders als die Dogmen

der organisierten Kirche ist spirituelle Intelligenz - durch erlebnis­

orientierte Selbsterforschung erworben - imstande, die Weitsicht

der materialistischen Wissenschaft über den Haufen zu werfen.

Und ebenso effektiv wehrt sie fundamentalistische Missverständ­

nisse und Verzerrungen der spirituellen Botschaft ab. Der Gedanke

des »Intelligent Design« ergänzt die wissenschaftlichen Entde­

ckungen über die Evolution des Kosmos und des Lebens und ist

keine primitive und einfältige Alternative zu diesen.

Eine systematische und verantwortungsvolle Selbsterforschung

durch holotrope Zustände fördert die emotionale und psychoso­

matische Heilung und eine positive Persönlichkeitstransformation.

Ich hatte das Privileg, diesen Prozess im Laufe der Jahre bei vielen

Menschen zu beobachten, die ernsthaft auf der spirituellen Suche

waren. Manche von ihnen meditierten regelmäßig; einige machten

psychedelische Sitzungen oder praktizierten andere Formen von

erlebnisorientierter Psychotherapie; einige wenige gingen den scha-

manistischen Weg. Auch bei Menschen, die in ihren spontan auf­

tretenden spirituellen Krisen angemessene Unterstützung beka­

men, konnte ich oftmals tiefe positive Veränderungen beobachten.

Bei Menschen, die ihren psychospirituellen Tod und ihre Wie­

dergeburt erleben und die konkrete Erfahrungen mit Erinnerungen

an positive postnatale oder pränatale Erlebnisse machen, führt das

meist zu einer Reduktion irrationaler Triebe und Ambitionen. Das

wiederum bewirkt eine bemerkenswerte Abnahme von Aggression

zu Gunsten von innerem Frieden, Selbstakzeptanz und Toleranz

gegenüber anderen Menschen.

Typisch für diese Menschen ist, dass sie weniger auf Vergan­

genheit und Zukunft als vielmehr auf den gegenwärtigen Augen­

blick ausgerichtet sind und mehr Lebensfreude empfinden - sie

können simple, alltägliche Aspekte des Lebens wie Essen, das Lie­

Page 418: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

418 Epilog

besspiel, Natur und Musik mehr genießen und mehr Befriedigung

daraus ziehen. Ein weiteres wichtiges Resultat dieser Entwicklung

besteht darin, dass diese Menschen eine universelle, mystische und

allumfassende Spiritualität entwickeln, die nicht konfessionsge­

bunden ist.

Dieser Prozess der spirituellen Öffnung und Transformation

vertieft sich meist durch transpersonale Erfahrungen wie Identifi­

zierung mit anderen Personen, ganzen Gruppen von Menschen,

Tieren und Pflanzen. Weitere transpersonale Erlebnisse verschaffen

uns einen bewussten Zugang zu Ereignissen, die in anderen Län­

dern, Kulturen und historischen Epochen stattfinden und bringen

uns sogar in Berührung mit mythologischen Reichen und archety­

pischen Wesen aus dem kollektiven Unbewussten. Durch Erleb­

nisse von kosmischem Einssein und mit der eigenen Göttlichkeit

können wir uns in wachsendem Maße mit der gesamten Schöp­

fung identifizieren, was uns Gefühle wie Staunen, Liebe, Mitgefühl

und inneren Frieden schenkt. Was als psychologische Erforschung

der unbewussten Psyche für therapeutische Zwecke beginnt, wird

schließlich zu einer philosophischen Suche nach dem Sinn des Le­

bens und zur spirituellen Entdeckungsreise.

Eines der verblüffendsten Resultate verschiedenster transper­

sonaler Erfahrungen ist auch das spontane Auftreten und die Ent­

wicklung einer tiefen humanitären und ökologischen Anteilnahme

sowie des Bedürfnisses, dem Gemeinwohl zu dienen. Dieses Phä­

nomen beruht darauf, dass wir nahezu bis in unsere Zellen hinein

ein Bewusstsein davon haben, dass die Grenzen im Universum

willkürlich sind und jede und jeder von uns mit dem gesamten

Lebensnetz identisch ist. Dabei wird deutlich, dass wir der Natur

nichts antun können, ohne uns selbst zu verletzen. Menschliche

Unterschiede sind für uns dann eher interessant und bereichernd

als eine Bedrohung, ganz gleich ob sie nun Geschlecht, Rasse,

Hautfarbe, politische Überzeugungen oder die religiöse Ausrich­

tung betreffen.

Page 419: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Epilog 419

Menschen, die diese Transformation erleben, empfinden sich eher

als Planetenbewohner und nicht als Bürger eines bestimmten

Landes oder Mitglieder einer bestimmten Rasse, einer sozialen,

ideologischen, politischen oder religiösen Gruppierung. Natürlich

würde eine solche Transformation unsere Lebenschancen erheblich

vergrößern, wenn sie entsprechende Kreise zöge.

Wir befinden uns heute in einem dramatischen Wettlauf mit der

Zeit, wie es ihn in der gesamten Geschichte der Menschheit bislang

nicht gegeben hat. Nichts Geringeres als die Zukunft des Lebens

auf diesem Planeten steht dabei auf dem Spiel. Wenn wir mit un­

seren alten, extrem selbstzerstörerischen Strategien weitermachen

wie bisher, wird die Menschheit wahrscheinlich nicht überleben.

Würden aber genügend Menschen die oben geschilderte, tiefe in­

nere Transformation erleben, dann wüchsen unsere Chancen, den

großen Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, pro­

duktiv zu begegnen. Und so ließe sich das enorme kreative Poten­

zial, das unserer Spezies angeboren ist, nutzen, um eine bessere

Zukunft zu schaffen.

Page 420: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

420 Dank

Dank

ieses Buch zeichnet ein reiches Bild der bemerkenswerten

Abenteuer in meiner inneren Welt und meiner Alltagsrealität,

die ich im Laufe der fünfzig Jahre erlebte, in denen ich außerge­

wöhnliche Bewusstseinszustände erforschte, die durch psychede­

lische Substanzen und zahlreiche drogenfreie Methoden ausgelöst

wurden oder mitten im Alltag spontan auftraten. Diese Suche hat

mich in Reiche und Dimensionen der Realität geführt, die laut mei­

ner Kultur und der Aussagen meiner Berufskollegen gar nicht exis­

tieren, außer im Geist schwer gestörter psychiatrischer Patienten.

Ich musste jahrelange intellektuelle Kämpfe ausfechten, bevor ich

zu der Gewissheit gelangte, dass die normalerweise unsichtbaren

Wesen, denen ich begegnete, und die Gebiete, die ich bei meinen

inneren Reisen besuchte, im kollektiven Unbewussten objektiv

existieren und sich übereinstimmend bestätigen lassen. In den

meisten Fällen war für diese Bestätigung erforderlich, dass es Indi­

viduen gab, die Gelegenheit hatten, solche Realitäten in außerge­

wöhnlichen Bewusstseinszuständen persönlich zu erleben.

Diese Reise der Entdeckungen und Selbstentdeckung, die vol­

ler Herausforderungen war, wäre unvergleichlich schwieriger ge­

wesen, wenn ich sie allein hätte unternehmen müssen. Es war ex­

trem hilfreich, geistig aufgeschlossenen Individuen zu begegnen,

die das neue Verständnis vom menschlichen Bewusstsein, von der

Wirklichkeit und der menschlichen Psyche teilten und bestätigten,

D

Page 421: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Dank 421

das sich beim Studium außergewöhnlicher Bewusstseinszustände

abzeichnete, oder die zumindest offen dafür waren. Ich bin zutiefst

dankbar für die Ermutigung und Unterstützung, die ich von ähn­

lich gesinnten Kolleginnen und Kollegen erfahren habe, die unab­

hängig, das heißt auf der Grundlage ihrer eigenen Forschungen

und persönlichen Erfahrungen zahlreiche Aspekte des neuen Ver­

ständnisses der Wirklichkeit, das aus meiner Arbeit hervorging,

bestätigt haben. Die Zahl dieser Menschen nahm im Laufe der Jah­

re kontinuierlich zu, und heute sind es zu viele, um sie hier alle

anerkennend aufzuführen. So nenne ich nur einige, deren Unter­

stützung für mich von besonderer Wichtigkeit und Bedeutung

war.

Unmittelbar nach meinem Eintreffen in den Vereinigten Staa­

ten war es Joel Elkes, Leiter des psychiatrischen Fachbereichs an

der Johns-Hopkins-University, der mir ein Stipendium für Experi­

ment und Forschung verschafft hatte und mir später die Position

eines Assistenzprofessors für Psychiatrie anbot. Als brillanter Wis­

senschaftler mit untadeligen akademischen Referenzen war Joel

geistig sehr aufgeschlossen und höchst interessiert an der neuen

Sicht der menschlichen Psyche und Realität, die sich in der psy­

chedelischen Forschung abzeichnete. Seine intellektuelle und ad­

ministrative Unterstützung war für unser Team am Maryland-Psy-

chiatric-Research-Center in Catonsville, Maryland, wo wir von

Ende der 1960er- bis zu Beginn der 1970er-Jahre das letzte in den

Vereinigten Staaten noch erhalten gebliebene psychedelische For­

schungsprojekt durchführten, von unschätzbarem Wert. Es fällt

mir schwer, die richtigen Worte zu finden für die Dankbarkeit, die

ich Albert Kurland, Direktor des Maryland-Psychiatric-Research-

Center, und den Mitgliedern unseres Forschungsteams gegenüber

empfinde, vor allem Sandy Unger, dem verstorbenen Walter Pahn-

ke, Charles Savage, Bill Richards und seiner verstorbenen Frau Ilse,

Bob und Karen Leihy, Sidney Wolf, Rieh Yensen, dem verstorbenen

Franco di Leo und Nancy Jewel, die mich in ihrem Berufs- und

Page 422: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

422 Dank

Privatleben mit offenen Armen aufnahmen. Ihre Familien wurden

für mich zu einem zweiten Zuhause.

Zutiefst dankbar bin ich auch Michael Murphy, der mich einlud,

als Dozent am Esalen-Institut in Big Sur, Kalifornien, zu lehren

und zu wohnen, dem einzigartigen Zentrum für die Erforschung

des menschlichen Potenzials, das er zusammen mit Dick Price

gründete. Mein Aufenthalt in Esalen von 1973 bis 1989 war für

mich eine äußerst positive und bestätigende Erfahrung. Dank des

erstaunlich reichen Programms an Workshops, die das Institut an-

bot, hatte ich Gelegenheit, die meisten Pioniere und Pionierinnen

der Wissenschaft vom neuen Paradigma, die Begründer zahlreicher

verschiedener Schulen erlebnisbedingter Psychotherapie und be­

kannte spirituelle Lehrerinnen und Lehrer, die hier unterrichteten,

persönlich kennenzulernen. Meine Frau Christina und ich führten

in Esalen dreißig einmonatige Workshops durch, was uns Gelegen­

heit gab, diese bemerkenswerten Menschen als Gastdozentinnen

und -dozenten einzuladen, uns mit ihren Lehren bekannt zu ma­

chen und mit diesen Menschen anzufreunden. Esalen bot uns auch

einen idealen Rahmen für die Entwicklung des Holotropen Atmens,

einer tiefgreifenden, erlebnisbedingten Methode der Selbsterfor­

schung und Therapie.

Mit Hilfe der Verbindungen, die wir in Esalen zu den Lehre­

rinnen und Lehrern knüpften, die hier zu Besuch kamen, konnten

Christina und ich eine Reihe von großen transpersonalen Konfe­

renzen veranstalten, die in verschiedenen Teilen der Welt stattfan­

den - Nord- und Südamerika, Europa, Australien und Asien. Die

Starbesetzung dieser Treffen und ihr reiches interdisziplinäres Pro­

gramm waren eine weitere Bestätigung für die neue Sicht der Wirk­

lichkeit und das neue Verständnis von Psyche, Bewusstsein und

menschlicher Natur, die sich abzeichneten. Besonders ermutigend

war, dass die meisten Referentinnen und Referenten bei diesen

Konferenzen, die diese neue Sicht teilten, einen soliden Ausbil­

Page 423: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Dank 423

dungshintergrund hatten, außergewöhnlich intelligent waren und

beeindruckende akademische Referenzen vorweisen konnten.

Mein besonderer Dank gilt dem Kreis unserer engsten Freunde

und Mitsuchenden in der Bay Area, der sich, seit wir von Big Sur

nach Mill Valley gezogen sind, regelmäßig getroffen hat - Angeles

Arrien, Michael und Sandra Harner, Jack und Liana Kornfield, Bo-

kara Legendre, Ram Dass, Frances Vaughan und Roger Walsh. Un­

sere gemeinsamen Essen, Meditationen und unser Informations­

austausch über zahlreiche, verschiedene Themen sind für mich

eine Schatzkiste voller neuer Ideen, Anregungen, nützlicher Hin­

weise und kritischer Kommentare gewesen. Vor allem aber boten

uns diese Zusammenkünfte viel Unterstützung und Bestätigung,

die auf unserer generellen Übereinstimmung in Bezug auf die

grundlegenden Aussagen der transpersonalen Sicht und spiritu­

ellen Weltanschauung beruhen. Rick Tarnas, ein weiterer enger

Freund, ein brillanter Astrologe und archetypischer Psychologe,

hat mir in zahlreichen Diskussionen, Kursen und Workshops, die

wir im Laufe der Jahre zusammen geleitet haben, enorm geholfen,

die Astrologie schätzen und würdigen zu lernen; eine Disziplin, die

- mehr als jede andere - meine gedanklichen Grenzen und meinen

intellektuellen Horizont erweitert hat. Unabhängig davon habe ich

auch viel Inspiration, Bestätigung und Unterstützung von Ervin

Laszlo und Ralph Metzner erfahren.

Sehr dankbar bin ich Michael Marcus, Janet Zand, John

Buchanan, Bokara Legendre und Betsy Gordon für ihre Freund­

schaft und die großzügige Unterstützung, die sie unserer Arbeit im

Laufe der Jahre zuteil werden ließen. Mein Bruder Paul, der sich

als Psychiater auf die Erforschung affektiver Störungen spezialisiert

hat, repräsentiert eine einzigartige Mischung aus ausgezeichnetem,

gründlichen Intellekt, wissenschaftlicher Leidenschaft und außer­

ordentlicher Großzügigkeit. Er ist immer mein enger Freund, Ver­

trauter, begeisterter Fan sowie aufrichtiger und ernst zu nehmender

Page 424: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

424 Dank

Kritiker gewesen. Mein besonderer Dank geht an Tav und Cary

Sparks, unsere lieben Freunde, die über zwanzig Jahre unsere Mit­

arbeiter waren. Beide haben als Co-Direktoren des Grof Transper­

sonal Training (GTT) und Mitorganisatoren von Workshops und

internationalen transpersonalen Konferenzen, die wir in verschie­

denen Teilen der Welt veranstalteten, in unserem Leben eine ent­

scheidende Rolle gespielt. Tav war viele Jahre lang mein Reisege­

fährte und Co-Leiter und Cary die Seele all unserer gemeinsamen

Projekte.

Die normalerweise unsichtbaren, außergewöhnlichen Dimensi­

onen der Wirklichkeit wären mir verborgen geblieben ohne die

Epoche machenden Entdeckungen und das Lebenswerk von Al­

bert Hofmann, der der Welt bemerkenswerte Werkzeuge für die

Erforschung der menschlichen Psyche geliefert hat - LSD, Psilocy-

bin, Psilocin und Monoethylamin von Lysergic Acid. Ich möchte

diese Gelegenheit nutzen, um ihm meine tiefe Dankbarkeit für all

die Entdeckungen auszudrücken, die er in mein persönliches und

berufliches Leben und das Leben unzähliger anderer Menschen

brachte, die seine Gaben mit dem Verantwortungsbewusstsein und

Respekt nutzen, welche diese außergewöhnlichen Werkzeuge ver­

dienen.

Ich hatte das Privileg, Albert persönlich zu kennen und ihm

bei zahlreichen Gelegenheiten zu begegnen. Ich habe im Laufe der

Jahre eine große Zuneigung und tiefe Bewunderung für ihn entwi­

ckelt, nicht nur, weil er ein erstaunlicher Wissenschaftler ist, son­

dern auch ein bemerkenswertes menschliches Wesen. Nach einem

über hundertjährigen erfüllten, gesegneten und produktiven Leben

strahlt er noch immer eine erstaunliche Vitalität, Neugier und

Liebe für die gesamte Schöpfung aus. Als er vor wenigen Monaten

einen Tag mit der Gruppe unserer Teilnehmer am Ausbildungstrai­

ning in Gruyeres, in der Schweiz, verbrachte, hatten wir alle das

Gefühl, keinem wissenschaftlichen Vortrag zu lauschen, sondern

Page 425: Stanislav Grof - Impossible Wenn Unglaubliches Passiert

Dank 425

Darshan bei einem spirituellen Lehrer zu haben. Wir hatten kei­

nerlei Zweifel daran, dass Albert - wie Albert Einstein und Isaac

Newton - zu den großen Wissenschaftlern gehört, deren unbeirr­

bares Verfolgen ihrer Disziplin die Erkenntnis der wunderbaren

göttlichen Ordnung mit sich brachte, die der Welt der Materie und

der natürlichen Phänomene zugrunde liegt. Er wird mir mein gan­

zes restliches Leben lang Vorbild und leuchtendes Beispiel sein.

Meine Liste wäre unvollständig, wenn ich nicht Christina, meiner

Frau, Geliebten, besten Freundin, Mitarbeiterin und Mitsuchenden

meinen tiefen Dank aussprechen würde für all die Inspiration, die

ich von ihr im Laufe der Jahre bekommen habe und für all das,

was sie zu meinem Leben und zu unseren gemeinsamen Projekten

beigetragen hat. Unter anderem hat sie das Spiritual Emergence-

Netzwerk (SEN) gegründet, einzigartige Beiträge zum Verständnis

der Beziehung zwischen Sucht, Abhängigkeit und spiritueller Su­

che geliefert und zusammen mit mir das Holotrope Atmen entwi­

ckelt. Die Workshops und Trainings für die Atemarbeit, die wir

überall in der Welt zusammen durchgeführt haben, waren die

Quelle der außerordentlichen Beobachtungen, die den Stoff für

viele der Geschichten in diesem Buch lieferten. Christina spielt in

zahlreichen dieser Geschichten eine wichtige Rolle und war prä­

sent, »wenn das Unglaubliche passierte«. Mir ist bewusst, dass das

Schreiben dieses Buches und vieler weiterer früherer Bücher unser

Privatleben oft beeinträchtigt hat. Ich möchte diese Gelegenheit

nutzen, Christina für ihre Geduld und ihr Verständnis zu danken

und mich bei ihr zu entschuldigen.

Mein besonderer Dank geht an zwei Menschen, die für die Veröf­

fentlichung der Originalausgabe dieses Buches eine wichtige Rolle

gespielt haben: Tami Simon, die ich sehr bewundere und schätze,

hat völlig selbstständig Sounds True gegründet, einen Audio-, Video-,

Buch- und Musikverlag, der von einem Ein-Personen-Betrieb in

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426 Dank

nur einem Raum zu einer Firma angewachsen ist, die ihre eigenen

technischen Einrichtungen besitzt und über fünfzig Personen be­

schäftigt. Durch die Aufnahmen von Sounds True konnten Hun-

derttausende von Hörerinnen und Hörern Bekanntschaft schließen

mit dem Gedankengut spiritueller Lehrerinnen und Pioniere der

Wissenschaft des neuen Paradigmas, alternativen Heilungsmetho­

den, Bewusstseinsforschung und transpersonaler Psychologie. Ich

weiß es sehr zu schätzen, dass Tami beschlossen hat, das vorlie­

gende Buch im Rahmen ihres neuen Verlagsprojektes herauszu­

bringen. Dankbar bin ich auch Alice Feinstein für das Fachwissen

und die Begeisterung, mit der sie das Manuskript lektoriert hat,

und für ihren Rat und ihre hilfreichen Vorschläge, wie ich für die

Geschichten, die ich meinen Leserinnen und Lesern hier erzähle,

die passendste Form finden kann.

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Bibliographie 427

Bibliographie

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Kontakt zum Autor

Für Informationen über das Holotrope Atmen und über das Aus­

bildungstraining zur Begleiterin/zum Begleiter wenden Sie sich

bitte an:

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Internet: www.holotropic.com

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Tel.: 001-415 383 8779

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Dieses aufregende Buch enthält Geschichten über außergewöhnliche Bewusstseins­erfahrungen sowie frappierende Erkenntnisse aus der Transpersonalen Psychologie und lässt uns die Welt mit neuen Augen sehen. Eine spannende Reise durch den Kosmos, hin zum unglaublichen Potenzial menschlicher Existenz!

» Durch Erlebnisse von kosmischem Einssein und mit der eigenen

Göttlichkeit können wir uns in wachsendem Maße mit der gesam­

ten Schöpfung identifizieren, was uns Gefühle wie Staunen, Liebe,

Mitgefühl und inneren Frieden schenkt.«

Stanislav Grof

Realität ist anders, als wir denken!