Stasi in Bstu

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    Prof. Dr. Hans H. KleinProf. Dr. Klaus SchroederUnter M itarbeit von Dr. Steffen A lisch

    Gutachtenber die Beschft igung ehemaliger

    MfS-Angehriger bei der BStU

    im Auftrag des BKM

    VERTRAULICHpersonenbezogene Daten, unbefugte Weitergabe nach

    203 A bs. 2 StGB strafbar -

    Berlin, im Mai 2007

    http://dejure.org/gesetze/StGB/203.htmlhttp://dejure.org/gesetze/StGB/203.html
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    Gliederung

    Historischer Abriss: Auflsung des MfS/AfNS undEntstehung des BStU 51 . Erste Sch ritte zur Stasi-Auflsung 52. Ve rsuch e zur Rettung" von MfS-Re ssourcen.. 73. Institutionen zur Stasi-Auflsung 1 04 . Die Rolle des neuen DDR -Innenministers Diestel 1 15. Kontroversen um den Umgang mit MfS-Akten 126. Zugangsrege lungen zu den MfS-Archiven 157. Die juristische n Grundlagen der BStU 1 5

    II . Die Rekrutierung ehemaliger MfS-Angehriger durchden BStU und ihre Arbe itsverhltnisse 201 . Die Einstellungspraxis whrend der Frhzeit der BStU 202. Der Aufb austa b des Bundesinnenm inisteriums 223. Typ olog ie ehemaliger M fS-Mitarbeiter und ihreuntersch iedliche Ttigkeit 234 . BStU-inteme Diskussionen um die Beschftigungehe ma liger MfS-Angehriger 295. Initiativen der Behrdenleitung zur Entfristung derVe rtrg e ehemaliger MfS-Mitarbeiter 306. Ein So nderfall" in Frankfurt/Oder 357. Die ehem aligen Angehrigen der MfS-Hau ptabteilungPersonenschutz 358. Ehe ma lige Systemtrger" in der BStU 419. Schem atisierter berblick ber Einstellungsvorgn ge 421 0. BMI-Anweisungen zum Umgang mit ehemaligen MfS-Mitarbeitern 451 1 . Die Sicherheitspartnerschaft" mit ehemaligen MfS-Angehrigen 48

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    III. Arbeitsfelder der ehemaligen hauptamtlichen MfS-Ang ehrige n und ihr W irken in den Perso nalrten 501 . Die ehemaligen Wachschtzer imHaussicherungsdienst 502. Sonstige Beschftigungsfelder ehemaliger MfS-Angeh riger in den neunz iger Jahren 513. Ausgesch iedene ehemalige Stasi-Mitarbeiter 534 . Die heutigen Beschftigungsfelder ehemaliger MfS-Ang ehriger in der BStU 545. Aktivitten ehem aliger MfS-M itarbeiter in d en

    Personalrten 57

    IV. Interne berprfungen ehem aliger MfS -Ang ehrige r 591 . Das berprfun gsverfahren 592. berprfungsergebnisse 61

    V. ffentliche und interne Diskussionen ber dieBeschftigung ehemaliger MfS-Angehriger beidem /der BStU 661 . Der Auslser der aktuellen Diskussion: Ein WELT-Artikel 662: Reaktionen der" ffentlichkeit auf d as Aus m a derBeschftigung ehem aliger MfS-M itarbeiter 673. Rckblick: Der Diskurs in den neunziger Jahre n 734 . Eine exemplarische Kritik aus Sicht der Brgerrechtler:Jrgen Fuchs' Magdalena" 805. Die Ause inande rsetzung en im Beirat der BStU 826. Diskussionen im Bunde stag 857. Resmee der Diskussionen im Beirat und derBeantwortung von Anfragen 90

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    VI. Auswirkungen der Beschftigung ehemaliger MfS-Ang eh riger auf die BStU-Arbeit 921 . Entwend ung von Unterlagen? 922. Verh arm losun g der MfS-Ttigkeit? : 943. Falsche Bewertung der MfS-Belastung prominenterPolitiker? 96

    VII. Zusammenfassung 98

    VIII. Empfehlungen 107

    IX. Schrifttum 1 1 2

    VERTRAULICH- personenbezogene Daten, unbefugte Weitergabenach 203 Abs. 2 StGB str af ba r-

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    Die Unterzeichner sind von der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durchden Beauftragten der Bundesregierung fr Kultur und Medien, beauftragt wor-den zu klren, warum (bei dem Bundesbeauftragten fr die Unterlagen desStaatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR - BStU) ehemalige MfS-Mitarbeiter und IM eingestellt wu rden , wie sie derzeit verwendet werden und obin dieser Verwendung der Anschein der Befangenheit entstehen kann. Es solleine Em pfehlung gege ben werde n, ob Handlungsbedarf besteht".Fr die Erstellung des Gutachtens wurden zahlreiche Gesprche mit ehemali-gen M itgliedern des Aufbaustabes des B MI und anderen M itarbeitern der erstenStunde sowie mit Angehrigen des BMI gefhrt, Personalrte und heutige Ver-antwortungstrger wurden ebenfalls interviewt. Hinzu kam die Auswertung deruns zur Verfgung gestellten anonymisierten Personalakten des zu untersu-chenden Personenkreises, Vermerke der BStU und des BMI, Protokolle derBeiratssitzungen der BStU sowie deren Ttigkeitsberichte. Schlielich wurdendie Tagespresse und die einschlgige Sekundrliteratur gesichtet. Auf dieserGrundlage entstand der nachstehende Bericht.

    I. Historischer Ab riss: Auflsu ng des MfS/AfNS und En tste-hun g des BStU

    1 . Erste Schritte zur Stasi-AuflsungDer Prozess der Auflsung des - von der Regierung Modrow in Amt fr Natio-nale Siche rheit" (AfNS) umbe nannten - Ministeriums fr Staatssicherheit (MfS)1in den ersten Wochen des Jahres 1990 ist von mannigfachen, bis heute nichtvll ig aufgeklrten Turbulenzen gekennzeichnet.2 Gegenstand heftigster Ausei-nandersetzungen war insbesondere der Umgang mit den Aktenbestnden desMfS und die zuknftige Versorgung seiner Mitarbeiter. Noch whrend der Amts-zeit des jahrzehntelang als Minister fr Staatssicherheit agierenden Erich Miel-ke, der der seit dem 13. November 1989 amtierenden (ersten) Regierung Mod-

    Zu Entstehung, Organisation und Aufgaben des MfS s. Geiger/Klinghardt, EinleitungRdnrn. 1 ff.Vgl . nur: Erster Ttigkeitsbericht, S. 4 f.; Fnfter Ttigkeitsbericht, S. 8 f.; . Schroeder1998, S. 335 ff.; Richter 1 996, S. 1 68 ff.; Worst 1 99 1 , S. 23 ff. Schumann 1997, S. 4 ff.

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    row nicht mehr angehrte, wurden erste Anweisungen zur Vernichtung von Do-kumenten erteilt, die fr die knftige politisch-operative Arbeit... keine operati-ve Bedeutung mehr haben".3 Nach dem Regierungsantritt Modrows nahm dieAktenvernichtung trotz der Proteste aus den Oppositionsgruppen ihren Fort-gang. Obschon der Leiter des AfNS auf Weisung des Ministerprsidenten am 4.Dezember offiziell den Stopp der Vernichtung jeglicher Akten und anderer Un-terlagen des MfS anordnete,4 ging die Aktenvernichtung w eiter und wurde sogarmit einer auf Vertuschung angelegten Verordnung des Ministerrats vom 7. De-zember 1989 fortgesetzt. In einem internen Fernschreiben an die Rte der Be-zirke wurden die Leiter des Amtes fr Nationale Sicherheit angewiesen, dieunberechtigt a ngelegten Dokumente unverzglich zu vernichten".5Angesichts der Verffentlichungen ber Amtsmissbrauch, Korruption undMachtflle von SED und MfS verbreitete sich in der Bevlkerung, spezieil in derOpposition, rasch ein generelles Misstrauen gegenber den neuen", faktischaber a lten SE D- un d M fS-Kadern. Ab dem 4. D ezember in Erfurt begannen Op-positionskrfte, Bezirksstellen des MfS zu besetzen, um den Aktenbestand zusichern.6 Auf der zentralen Ebene in Ost-Berlin setzten sich vermutlich die Ak-tenvernichtungen fort. Die Brgerrechtsbewegung vermochte ihnen - insbeson-dere durch die Erstrmung der MfS-Zentrale in der Normannenstrae am 15.Januar 19907 - nur teilweise Einhalt zu geb ieten. Der - von nicht wenigen anden Machenschaften des Staatssicherheitsdienstes beteiligten Personendurchsetzte 8 - Zentrale Runde Tisch9 fasste zwar am 22. Januar 1990 den Be-schluss, in der Normannenstrae eine Forschungs- und Gedenksttte zum Sta-linismus in der DDR einzurichten - was die Aufbewahrung der Akten voraus-setzte - , er verfg te aber andererseits am 1 9. Februar 1 990 die Vernichtungderjenigen magnetischen Datentrger des MfS, die personenbezogene Datenenthielten, sowie der dazu gehrenden Anwendersoftware. Dieser Beschlusswurde weitgehend befolgt1 0 und in erstaunlicher Geschwindigkeit umgesetzt.11Stefan Wolle und Armin Mitter, zwei Wissenschaftler des neu gegrndeten Un-abhngigen Historikerverbandes, schildern in ihrem Beitrag Triumph und Alb-

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    Zitiert nach Schroeder 1998, S. 335.Arnold 1 995, S. 1 51 .W o r s t 1 9 9 1 , S. 26.Vgl. Richter 1996, S. 73 ff.; Worst 1 991 , S. 26 f f .Ob das MfS den Sturm selbst (mit)inszeniert hat, ist bis heute ungeklrt: Schumann1997, S. 5.Eine berprfung der Teilnehmer des Runden Tisches auf MfS-Mitarbeit wurde von demGremium gege n nur zwei Stimmen abgelehnt: Schroeder 1998, S. 340 f.Dazu Schroeder 1998, S. 344 ff.; U. Thaysen, Der Runde Tisch. Oder. Wo blieb das Volk,1990, passim.Vernichtet wu rde u. a. die komplette lM-Kartei: Geiger/KHnghardt, Einleitung Rdnr. 18.Schroeder 1998 , S. 343 f.

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    trum", wie die Beauftragten des Brgerkomitees am 23. Januar 1990 zum ers-ten Mal das MfS-Archiv und die Zentralregistratur in Augenschein nehmen durf-ten. Whrend Mitglieder des Brgerkomitees einen Passierschein bentigten,um den Gebudekomplex des MfS betreten zu drfen, gingen laut Wolle/Mitterehemalige MfS-Mitarbeiter unbeaufsichtigt und unkontrolliert dort ein und aus.Als Begrndung wurde angegeben, diese Kollegen wrden fr die technischeSicherheit" bentigt. So blieb auch das Archiv weiterhin in den .bewhrten'Hnden der alten Mitarbeiter, die uns nun halb widerwillig, halb diensteifrig dieTren ffneten."1 2 Die ehemaligen MfS-Bediensteten versicherten ihnen, dassim Archiv strengste Sicherheitsvorkehrungen herrschten. Niemals htte ein Un-befugter eindringen knnen. Darber hinaus behaupteten die Stasi-Archivare,sie seien reine Befehlsempfnger gewesen. Sie htten entsprechend ihrenAnweisungen Akten von hier nach dort getragen, aber niemals einen Blick hi-neingeworfen." Frher htten sie der Partei gedient und jetzt den Leuten ausdem Brgerkomitee.1 3Barbara Timm, eine Angehrige des Brgerkomitees, beschreibt, in welchemChaos die ersten Schritte zur Kontrolle des MfS-Archivs unternommen wur-den.1 4 Wenige Mitstreiter aus den Brgerkomitees standen dabei etlichen ehe-maligen oder Immer-noch-MfS-Mitarbeitem gegenber. Sie berichtet von denSchwierigkeiten des Brgerkomitees, den Verbleib von MfS-Unterlagen zu -berprfen: So werden wir vom Brgerkomitee in vielen Fllen als .berhauptnicht kompetent' ignoriert. Vom Staatlichen Komitee (von der Regierung derDDR eingesetzt- d.A.) meistens in wichtigen Entscheidungen bergangen."

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    2. Versuche zur Rettung" von MfS-RessourcenParallel zu den teils von der Regierung Modrow gesteuerten, teils von einigenDienststellen aus eigener Init iative betriebenen Aktenvemichtungsaktionen lie-fen die Bemhungen um eine berleitung des Personals des MfS in das Ziville-ben des heraufziehenden stasifreien" Gemeinwesens.1 6 Mitarbeiter des MfSwurden in zivile Dienststellen (z. B. Polizei, Kreismter, Zollorgane) umgesetzt,Geschftsbereiche des MfS ausgelagert und in private Rechtsformen bergelei-tet und - um aus den Diensten des MfS ausscheidenden Mitarbeitern den We gin die Zukunft zu bahnen - fr diese legendierte" Nachweise ihres beruflichenWerdegangs hergestellt. Anderweitig nicht verwendbaren Beschftigten des12 Wolle/Mitter 1993, S. 2.1 3 E b d .1 4 Timm 1992, S. 32.15 Ebd ., S. 33.16 Zum Folgenden: Schroeder 1998, S. 340 f. sowie Jrgs 1997, S. 112 ff. und vor allemRichter 1 996, S. 192 ff.

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    MfS wurde grozgig der Weg in die Frhverrentung geebnet. Die verbiiebenenMitarbeiter wurd en bis zum 31 . Mrz 1 990 zwar nahezu vollstndig aus dessenDiensten entlassen, zu groen Teilen jedoch noch unter Modrow in das Ministe-rium fr Innere Angelegenheiten bernommen. Einige arbeiteten bis zum 2. Ok-tober 1990 im Staatlichen Komitee zur Auflsung des MfS/AfNS", das von derRegierung Modrow eingesetzt worden war.17 Seit dem 8. Februar 1990 unter-stand dieses Komitee einem Gremium von vier Regierungsbevollmchtigten,die der Regierung und dem Runden Tisch rechenschaftspflichtig sein sollten.Letzterer konnte seine Kontrollfunktion ber das Staatliche Komitee, das sicherst im Laufe des Mrz richtig konstituierte, nicht wahrnehmen, da er am 12.Mrz letztmalig tagte.1 8Im Staatlichen Komitee waren 261 Mitarbeiter ttig, etwa zur Hlfte ehemaligeAngehrige des MfS/AfNS. Aus den Brgerkomitees, die sich seit Anfang De-zember in den verschiedenen Bezirken der DDR konstituiert hatten, stammtennur 25 Personen, wobei 10 von ihnen zuvor in der operativen Gruppe des Zent-ralen Runden Tisches aktiv waren.1 9 Der letzte DDR-Ministerprsident aus denReihen der SED, Hans Modrow, setzte den frheren Abteilungsleiter im DDR-Finanzministerium und langjhrigen Kampfgruppen-Kommandeur, Gnter Eich-horn, als Leiter des Komitees ein. Ihm zur Seite standen Georg Bhm von der' Demokratischen Bauernpartei Deutschlands, Werner Fischer von der Initiativefr Frieden und Menschenrechte sowie Generaloberst der NVA a.D. Fritz Peter.Aus den Reihen der Brgerkomitees wurden Zweifel geuert, ob angesichtsder hohen Zahl ehemaliger MfS-Offiziere das Komitee arbeitsfhig wre. Jelnger das Staatliche Komitee wirkte, desto deutlicher zeigte sich, wie berech-tigt die Einwnde der Brgerkomitees waren. Trotz der formalen Einbindung derArbeit der Runden Tische und der Brgerkomitees blieb es ein ungleiches Ren-nen. Die Vertreter des Staates nutzten ihre Dominanz aus und sicherten sichmit Hilfe ihrer Stellung im Staatlichen Komitee Gelder, Gter und Positionen.Auch in anderer Hinsicht nutzten die Vertreter der Regierung die politische Un-erfahrenheit vieler Mitglieder der Brgerkomitees aus. So erreichten sie zumBeispiel, dass die Taschen ehemaliger Mitarbeiter des MfS/AfNS, die im Staat-lichen Komitee ttig waren, beim Verlassen ihrer ehemaligen Dienstgebudenicht kontrolliert wurden. Auf diese Weise konnten wichtige Unterlagen undWerte zur Seite geschafft werden. Wie in fast allen diesen Fllen standen die

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    Dem Komitee gehrten berwiegend ehemalige MfS-Mitarbeiter an, Vertreter der Brger-komitees blieben in der Minderzahl: Schroeder 1 998, S. 368.Vgl . Worst 1991 , S. 43.Richter 1996, S. 176 ff.

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    Vertreter der Brgerkom itees und der Runden Tische dem Treiben der Ve rtreterdes untergehenden SED-Regimes hilf los gegenber."20Gnter Eichhorn, der dem Staatlichen Komitee zur Stasi-Auflsung vorstand,konnte kaum eigenstndig agieren, da er immer in Gefahr stand, dass seinezwischen 1985 und 1989 erfolgte Zusammenarbeit mit dem MfS unter demDecknamen Adler" auffliegen knnte. Obschon er laut Frster mehrfach umseine Ablsung gebeten habe, htte ihn Innenminister Diestel gleichsam alsvorgeschobenen Sndenbock im Amt belassen.21Auch der ehemalige MfS-General Edgar Braun bekam eine Anstellung im Staat-lichen Auflsungskomitee. Er war der Kontaktmann zur frheren MfS-Fhrung.Laut Frster agierte Braun als eigentlicher Regisseur der Stasi-Auflsung. DerGruppe um Braun gehrten einige hochrangige ehemalige MfS-Offiziere an, dieden Auftrag geha bt h tten, Akten, die westliche Geheimdienstleute und Ve rfas-sungsschtzer belasteten, aus dem MfS-Archiv herauszuholen und westdeut-schen Diensten zu bergeben. Als besonders aktiv erwies sich Klaus Eichler,einer von Eichhorns Stellvertretern, der frher Sicherheitsbeauftragter" derVereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe war.22 Trotz der Proteste des dama-ligen Koordinators des Brgerkomitees, David Gill, htte Eichler wiederholt Un-terlagen aus dem Archiv besorgt". Dabei handelte es sich um Akten derHauptabteilung XXII (Terrorabwehr). Hierunter befanden sich Berichte berAusbildungslehrgnge der Stasi fr die Abu-Nidal-Organisation Fatah-Revolutionsrat".Die Gruppe B raun versuchte in den folgenden Mo naten , die M itglieder des Br-gerkomitees zu diffamieren und schlug eine personelle Umbesetzung desStaatlichen Komitees vor. Der damalige Ministerialrat Werthebach, einer derBerater, die Innenminister Diestel vom BMI zur Seite gestellt worden war, ver-weigerte indes seine Zustimmung zur Entlassung von aus dem Brgerkomiteekommenden Querulanten". Gleichwohl warnten die MfS-Leute weiterhin vor derFhrungsgruppe des Brgerkomitees um Schult, Heise und Schwenke. Diesehtten inzwischen das Staatliche Komitee zurckg edrngt.23Vor allem der Leiter des Komitees, Gnter Eichhorn, der nach dem 3. Oktober1990 in die Treuhand wechselte, geriet schon bald in Verdacht, zusammen mithochrangigen MfS-Offizieren Besitzstnde des MfS verschoben" zu haben.24

    20 Richter ^[996, S. 178 f.21 Frster 1997, S. 31 .22 Ebd., S. 32 .23 Ebd., S. 33.24 Vg l . Richter 1996 , S . 1 7 9 u n d Worst 1 9 9 1 , S. 61 f .

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    Der ebenfalls fr die Stasi-Auflsung verantwortliche Brgerrechtler WernerFischer bekundete im Nachhinein, angesichts der geringen Zahl von Brgerko-mitee-Angehrigen und immerhin noch ber 30.000 offiziellen Stasi-Mitarbeiternseien Missbrauch und Verschiebungen nicht zu verhindern gewesen. Und diehaben uns an der Nase herumgefhrt. Mit Sicherheit waren auch Stasi-Leute inunseren eigenen R eihen."253. Institutionen zur Stasi-AuflsungDas Berliner Brgerkomitee Normannenstrae konstituierte sich nach dem Vor-bild der schon gebildeten Brgerkomitees in Erfurt, Dresden und Leipzig unmit-telbar nach d er Besetzung der Stasi-Zentrale am 1 5. Januar 1 990. Jeder konnteMitglied werden, der sich in eine Liste eintrug. Am 13. Februar 1990 unter-schrieben 65 Personen eine Satzung, die die selbst gestellten Aufgaben desBrgerkomitees umrissen.

    26Zum Koordinator des Brgerkomitees wurde der24-jhrige Theologiestudent David Gill gewhlt. Auerdem wurde auf Empfeh-lung beratender Mitarbeiter des in Auflsung befindlichen Amtes fr NationaleSicherheit auf der Grndungsversammlung des Brgerkomitees eine Gruppefr Quellenschutz gebildet, die in einigen Fllen Stasi-Mitarbeitern Siegelvoll-macht erteilte, so dass sich Abteilungen unkon trolliert selbst auflsen konnten.27

    Bis zur Wa hl der Volkskammer im Mrz 1 990 und der anschlieenden Konstitu-ierung der ersten frei gewhlten Regierung der DDR waren drei verschiedeneInstitutionen an der Auflsung des MfS mageblich beteiligt:1) die Brgerkom itees, die sich durch die Proteste gegen die SED -Diktaturund d en Machtmissbrauch von SE D und MfS dem okratisch legitimiert fhl-ten;2) der vom SED-gelenkten Ministerrat der DDR eingesetzte Reg ierungsbe -auftragte, der mit drei vom Zentralen Runden Tisch eingesetzten Regie-rungsbevollmchtigten kooperieren sollte, sowie3) das vom Ministerrat konstituierte Staatliche Komitee zur Auflsung des

    Ministeriums fr Staatssicherheit/Amtes fr Nationale Sicherheit", das vonehem aligen hochrangigen MfS-Mitarbeitern dom iniert wurde.228

    25 Zit. nach: Richter 1996, S. 180.26 Gill 2003, S. 70 ff.27 Links 1991, S. 76.28 Vgl. Gill 2003, S. 72.

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    4. Die Rolle des neuen DDR-Innenministers DiestelDie nach den einzigen freien Volkskammerwahlen am 18. Mrz 1990 gebildeteRegierung de Maiziere bertrug dem neuen Innenm inister Pe ter-Michael Diestel(DSU) die Verantwortung fr die Auflsung des Staatssicherheitsdienstes. Dieneue Regierung bernahm das Staatliche Komitee zur Stasi-Auflsung perso-nell nahezu unverndert; dabei wurde das Staatliche Komitee InnenministerDiestel nicht direkt unterstellt, sondern nur zugeordnet, weil es ein unabhngi-ges Organ bleiben sollte. Faktisch jedoch - so sah es das H anseatische Ober-landesge richt Hamburg in einem Urteil vom Juli 1 995 im Nachhinein - lag dieVerantwortung fr die weitere Auflsung des MfS/AfNS bei Innenminister Dies-tel.29Ob das Staatliche Komitee Innenminister Diestel nun zugeordnet oder unter-stellt wurde, die Vernichtung von Akten des MfS/AfNS wurde jedenfalls auchunter der Regierung de Maiziere fortgesetzt.30 Diestel sah die Verantwortunghierfr bei den Brgerkomitees, die indes nach seiner Ernen nung an B edeutungeinbten. Der Innenminister erklrte den Brgerrechtlern bei einem Treffen am17. April 1990, er messe ihnen zuknftig nur noch eine Beraterfunktion zu. DieAuflsung w rde fortan von seinem Ministerium durchge fhrt. Dabei kndigte erdie Einrichtung einer Regierungskommission zur Aufklrung und Auflsung desMfS/AfNS und zur Aufklrung ber dessen Arbeit sowie die Beendigung derArbeit der Brgerkomitees an. Deren Mitglieder knnten die Organe der demo-kratisch gewhlten Volksvertretung freiwillig untersttzen.31Ein Ministerratsbeschluss vom 16. Mai 1990 beendete die Ttigkeit der Regie-rungsbevollmchtigten und unterstellte das Staatliche Komitee nun direkt demInnenminister. Beschlossen wurde zudem die Bildung einer Regierungskom-mission fr den weiteren Auflsungsprozess. Das personenbezogene Archivgutdes MfS/AfNS wurde nun grundstzlich gesperrt", weitere Vernichtungen un-tersagt.32 Diestel geriet im weiteren Verlauf unter heftigen ffentlichen und poli-t ischen Druck, weil er nicht nur die von Modrow in das Innenministerium umge-setzten mehreren tausend ehemaligen Mitarbeiter des MfS weiterbeschftigte,33sondern Markus Wolf, den ehemaligen Mielke-Stellvertreter und Leiter derHauptverwaltung Aufklrung, als Berater der Regierungskommission zur Stasi-Auflsung berufen wollte. Auerdem pldierte er fr die Vernichtung aller Stasi-

    29 Vgl. Richter 1 996, S. 208 ff.30 Richter 1996, S. 214 ff.31 Richter ^96, S. 212.32 Vgl. Richter 1996, S. 218.33 Vgl. Schumann 1997, S. 6 ff.; Schroeder 1998, S. 367 ff. sowie Richter 1996, S. 219.

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    Akten, damit das vereinte Deutschland nicht weiter mit verbrecherischem Ma-terial" belastet wrde.34Aufgrund seiner umstrittenen Personalpolitik, die ehemalige SED- und MfS-Kader in wichtigen Bereichen einbezog, verlor Diestel nicht nur das Vertrauender an der Groen Koalition beteiligten Sozialdemokraten, sondern auch dereigenen Partei. Ende Juni 1990 trat er aus der DSU aus und in die CDU ein,blieb aber weiterhin Innenminister.35 Nachdem ffentlich wurde, dass er eineVielzahl von Offizieren im besonderen Einsatz (OibE) in seinem Ministeriumbeschftigte, forderten Abgeordnete aller Fraktionen jenseits der PDS seineAbberufung. Die Mehrheit der Volkskammer-Abgeordneten stimmte dennochgegen seine Entlassung. Um den Konflikt zu entschrfen, entband Ministerpr-sident de Maiziere Diestel von der direkten Verantwortung der Stasi-Auflsungund bergab diesen Bereich seinem Staatssekretr Eberhard Stief, der gleich-zeitig verpflichtet wurde, mit dem inzwischen gebildeten Volkskammer-Sonderausschuss zur Auflsung der Staatssicherheit eng zusammen zu arbei-ten.365. Kontroversen um den Umgang mit MfS-AktenAm 21.Juni 1990 konstituierte sich der schon im Mai in der Volkskammer ge-forderte Sonderausschuss der Volkskammer zur Kontrolle der Auflsung desMfS/AfNS" unter demVorsitz des Abg. Joachim Gauck von der Fraktion Bnd-nis 90/Grune. Das elfkpfige Gremium wurde von sechzehn Vertretern der Br-gerkomitees untersttzt, die mit beratender Stimme im Ausschuss mitarbeite-ten. Zu dessen Sekretr wurde David Gilt ernannt.37Dem Ausschuss oblag nicht zuletzt die Vorbereitung des am 24. August 1990von der Volkskammer beschlossenen Gesetzes zur Sicherung und Nutzungder personenbezogenen Daten des ehemaligen MfS/AfNS" (GBI DDR vom 7.September 1990, S. 1419).38 Hiernach sollten die MfS-Akten auch nach derVereinigung auf ehemaligem DDR-Gebiet verbleiben, die politische, historischeund juristische Aufarbeitung geregelt und ein Auskunftsrecht fr Betroffene ga-rantiert werde n.39 Jedem DDR-Bewohner, der vom MfS bespitzelt, eingeschch-tert oder verfolgt worden sei, sollte ermglicht werden, sich darber zu infor-

    34 Worst 1 9 9 1 , S. 48.35 V g l .R /ch fe r 1996 , S.2 2 6 f.36 V g l . Worst 1 9 9 1 , S. 48sowie Richter 1996 , S. 2 2 9 ff.37 Richter 1 9 9 6 , S. 2 2 7 f. u n d Gilt 2003 , S. 77.33 A b g e d r u c k t b e i Schumann 1997 , S. 1 9 7 ff.; s. a. Geiger/Klinghardt, Ein le i tung Rdnrn. 19f.39 WorsM991,S. 49.

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    mieren, was die Stasi ber ihn gespeichert und mit welchen Methoden sie ihmgeschadet hatte".40 In den Entwurf des Einigungsvertrages fand die Intentiondieses Gesetzes freilich keinen Eingang, im Gegenteil: Hier war ein weitgehendrestriktiver Umgang mit den Stasi-Akten vorgesehen, die dem Bundesarchiv inKoblenz unterstellt werden sollten. Die Unterlagen sollten zwar nicht dorthinverbracht, aber der Umgang mit ihnen streng reglementiert werden. 41 Sonder-beauftragter fr die MfS-Akten sollte der Prsident des Bundesarchivs werden.Fr den dreikpfigen Beirat war nur ein ehemaliger DDR-Bewohner vorgese-hen.42Gegen diesen Entwurf protestierten nicht nur Brgerrechtler, die in den vergan-genen Monaten aktiv fr die Offenlegung der MfS-Akten gekmpft hatten, son-dern auch zahlreiche Volkskammer-Abgeordnete, die ihr nahezu einstimmigesVotum ignoriert sahen, sowie Teile der DDR-Bevlkerung, die sich eine rck-halt lose Aufklrung ber die SED-Diktatur und den Beitrag des MfS zu ihrerAufrechterhaltung wnschten. Am 4. September 1990 besetzten 21 Vertretervon Oppositionsgruppen die ehemalige MfS-Zentrale in der Berliner Norman-nenstrae/Ruschestrae und forderten mit Verweis auf die ihrer Meinung nachgescheiterte Vergangenheitsbewltigung nach dem Zweiten Weltkrieg u.a. diesofortige Offenlegung der Ak ten , die Entlassung aller Stasi-Archivare, die Aufl-sung des Komitees zur Auflsung des MfS/AfNS, den Rcktritt Diestels sowiedie Erffnung von Gerichtsverfahren gegen MfS-Fhrungskader wegen Versto-es gegen die Menschenrechte und anderer Verbrechen.43 Entgegen der For-derung Diestels, die Besetzerwegen Hausfriedensbruchs anzuzeigen,44 pldier-te die Prsidentin der Volkskammer, Sabine Bergmann-Pohl, fr die Unterstt-zung der Ziele der Besetzer, die inzwischen in einen unbefristeten Hungerstreikgetreten waren, und verhinderte eine Rumung. Angesichts der breiten Unter-sttzung der Brgerrechtler in der Volkskammer und der Bevlkerung be-schlossen die Unterhndler der Bundesrepublik und der DDR am 18. Septem-ber 1990 eine Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag, die den Forderungender DDR-Seite weitgehend Rechnung trug.45Stefan Wolle charakterisiert die Besetzer als milde gestimmte Sieger". SeinerMeinung nach wollten sie keine Macht, keine ffentlichen mter, schon garkeinen materiellen Gewinn. Fr sie waren ein Leben lang der Staat, der Macht-

    40 Gauck 1991, S. 101.41 Vgl. roer1995, S. 8.42 V g l . Richter 1 9 9 6 , S . 2 4 3 .43 V g l . Worst 1 9 9 1 , S. 5 4 f f ., Broer 19 9 5 , S. 1 1 f f. sowie Richter 1 9 9 6 , S. 24 4 f f.44 Vgl. WorsM991,S. 55.45 Dazu: Schumann 1997, S. 20 ff.; Erster Ttigkeitsbericht, S. 5 f.; Fnfter Ttigkeitsbericht,S. 9 f. Vgl. Ullmann 2003, S. 48 ff.

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    apparat, die Brokratie, die Inkarnation des Bsen gewesen. Die Macht lag imJanuar 1 990 a uf der Strae, so wie im Juli 1 789 in Paris oder im Oktober 1 917in Petrograd. Doch die Oppositionellen hoben sie nicht auf. Sie waren keineJakobiner und schon gar keine Bolschewiki."46 Wolle berichtet auerdem, derDDR-Militrstaatsanwalt habe, angeblich zur Vorbereitung des Prozesses ge-gen Mielke, Akten einsehen und beschlagnahmen lassen wollen. So geschahes, dass die Vertreter der Staatsanwaltschaft sich aus dem Keller des Hauses 1alles holten, was ihnen wichtig war. Wie viele Akten damals verschwanden,vermag nieman d zu sagen."47Der Streit mndete schlielich in einen die im Einigungsvertrag (Anlage l Sach-gebiet B Abschnitt II Nr. 2) getroffene Regelung konkretisierenden Kompromiss,der in der Vereinbarung ... zur Durchfhrung und Auslegung des am 3 1 . Au -gust 1990 in Berlin unterzeichneten Vertrages zwischen der BundesrepublikDeutschland und der Deutschen Demokratischen Republik ber die Herstellungder Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag -" vom 18. September 1990 (BGBIII S. 1239) festgehalten wurde.48 Die Vereinbarung bestimmte u. a., dass dergesamtdeutsche Gesetzgeber die Grundstze, wie sie in dem von der Volks-kammer am 24. August 1990 verabschiedeten Gesetz ber die Sicherung undNutzung de r personenbezogenen Daten des- ehem aligen M inisteriums frStaatssicherheit/Amtes fr Nationale Sicherheit zum Ausdruck kommen, umfas-send bercksichtigt" (Art. 1 Nr. 1). Im Einigungsvertrag (s. o.) war vorgesehen,dass die Unterlagen des ehemaligen MfS/AfNS durch einen Sonderbeauftrag-ten der Bundesregierung in sichere Verwahrung zu nehmen" sind. Dieser Son-derbeauftragte war auf Vorschlag des Ministerrats der Deutschen Demokrati-schen Republik, der der Zustimmung der Volkskammer bedarf, bis sptestenszum 2. Oktober 1990 von der Bundesregierung (zu) berufen". Das Amt desSonderbeauftragten wurde nach Magabe dieses Verfahrens mit Wirkung vom3. Oktober 1990 Joachim Gauck bertragen. Der hiermit eingeschlagene Wegzum Aufbau einer Behrde, die sich anhand der archivalischen Hinterlassen-schaften des MfS mit den dunklen Seiten der SED-Diktatur beschftigen sollte,resultierte aus dem Bestreben der ostdeutschen Seite, keinen schnellenSchlussstrich zu ziehen.

    4 6 Stefan Wolle in seinem Beitrag Mutt i, Mutt i ! Er ha t ga r nicht gebohrt, oder D e r Preis d e rf r iedl ichen Revolut ion", in : Horch u n d Guck, Hef t 2 8 (4/99),S. 6 2 f f.4 7 Ebd., S. 6348 D a z u : Wolfgang Schuble, D erVer t rag. Ak tua l is ie r te Taschen buchausga be, 1993, S . 2 7 2ff.

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    6. Zuga ngsrege lungen zu den MfS-ArchivenZwischen dem Tag der Erstrmung der MfS-Zentrale am 15. Januar 1990 unddem Beginn der Arbeit des Sonderbeauftragten fr die Stasi-Unterlagen, Joa-chim Gauck, am 3. Oktober 1990 blieb das zentrale MfS-Archiv weitgehend un -ter der Kontrolle ehemaliger Stasi-Mitarbeiter. Frhere MfS-Archivare sorgten inZusammenarbeit mit den Fhrungskadern des Staatlichen Komitees dafr, dassPersonen aus dem Brgerkomitee nur sehr restriktiv Zugang zu den Archivalienerhielten. Vor allem Unterlagen, die das MfS belastende Umstnde enthielten,mit Sperrvermerken aus jngster Zeit versehen waren oder die HVA betrafen,wurden von den Archivaren nicht herausgegeben.49 ber die Zusammenarbeitmit ehemaligen MfS-Angehrigen whrend dieser Zeit wurden uns in den Ge-sprchen verschiedene Einschtzungen vorgetragen. Whrend einige ehedemim Brgerkomitee arbeitende Personen ber den sachlichen Charakter der Zu-sammenarbeit, die vorwiegend pragmatisch geprgt gewesen sei, berichteten,betonten andere die ungleiche Behandlung von Personen aus dem B rgerkomi-tee und ehemaligen MfS-Angehrigen durch die Archivare. Den Wach- undPersonenschtzern, die zuvor beim MfS beschftigt waren, wurde von einigenvorgeworfen, sie htten insbesondere Angehrige des Brgerkomitees umfas-send kontrolliert. Die ehemaligen Mitglieder des Brgerkomitees werteten vorallem dieses Verha lten als eine erneute Demtigung. Unbestritten scheint, dassfrhe re Stasi-Angeh rige - nach Angaben von Direktor Dr. Geiger 18 ehe ma li-ge MfS-Offiziere50 - Mitgliedern des B rgerkomitees an die Seite gestellt wu r-den. Diese Personen wurden im Zuge des Auflsungsprozesses von derMfS/AfNS-Fhrung zur Beratung" abgestellt.In der Anfangs zeit arbeitete der SB StU vielfach unter sehr behelfsmigen U m-stnden. Um bestehende Unsicherheiten mit den Stasi-Akten zu beseitigen,erlie er im Dezember 1990 eine Benutzungsordnung, die bis zum Erlass desStasi-Unterlagengesetzes die wichtigste Arbeitsgrundlage der Behrde bildete.7. Die juristischen Grun dlagen der BStUa) Nach umfnglichen Beratungen und kontroversen Debatten 51 innerhalb wieauerha lb des D eutschen Bu ndestages wurde das Stasi-Unterlagen-Gesetz am28. Dezember 1991 verkndet (BGBI I S. 2272); es trat am darauffolgenden

    49 Vgl. WorsM 991, S. 182 ff.50 Vgl. Broer 1995, S. 123.51 Vgl. Engelmann 2003, S. 88 ff.

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    Tag in Kraft.52 In 1 Abs. 1 StUG sind die Aufgaben des BStU und seiner Be-hrde in beispielhafter Prgnanz"53 zusammengefasst:Dieses Gesetz regelt die Erfassung, Erschlieung, Verwaltung und Verwendung derUnterlagen des Ministeriums fr Staatssicherheit und seiner Vorlufer- und Nachfol-georganisationen (Staatssicherheitsdienst) der ehemaligen Deutschen Demokrati-schen Republik, um1 . dem einzelnen Zugang zu den vom Staatssicherheitsdienst zu seiner Person ge-

    speicherten Informationen zu ermglichen, damit er die Einflussnahme desStaatssicherheitsdienstes auf sein persnliches Schicksal aufklren kann,

    2. den einzelnen davor zu schtzen, dass er durch den Umgang mit den vomStaatssicherheitsdienst zu seiner Person gespeicherten Informationen in seinemPersnlichkeitsrecht beeintrchtigt wird,

    3. die historische, politische und juristische Aufarbeitung der Ttigkeit des Staatssi-cherheitsdienstes zu gewhrleisten und zu frdern,

    4 . ffentlichen und nicht-ffentlichen Stellen die erforderlichen Informationen fr diein diesem Gesetz genannten Zwecke zur Verfgung zu stellen.

    Die Vorschrift blieb von spteren nderungen des Gesetzes unberhrt.Nach 354Abs. 1 StUG ist der BStU eine Bundesoberbehrde im Geschftsbe-reich der fr Kultur und Medien zustndigen obersten Bundesbehrde" - zuvor:des Bundesministers des Innern. Nach 35 Abs. 5 StUG ist er in Ausbungseines Amtes unabhngig und nur dem Gesetz unterworfen. Er untersteht derRechtsaufsicht der Bundesregierung. Die Dienstaufsicht fhrt die fr Kultur undMedien zustndige oberste Bundesbehrde".54 Die BStU und ihre Behrde un-terliegen mithin keiner Fachaufsicht, eine Bindung an fachliche Weisungen an-derer Behrden besteht nicht. Die Rechtsaufsicht obliegt der Bundesregierung.

    52 Zur Entstehungsgeschichte: Schumann 1997, S. 26 ff.; Geiger/Klinghardt, EinleitungRdnr. 24 .53 So der Erste Ttigkeitsbericht, S. 4.54 Die Dienstaufsicht oblag zunchst dem Bundesminister des Innern. Sie wurde, zunchstohne Vernderung der gesetzlichen Grundlage, mit Wirkung vom 1. Januar 2005 ausdem Geschftsbereich des Bundesministers des Innern in den der Beauftragten fr Kulturund Medien (BKM) - Staatsministerin im Bundesk anzleram t - verlagert. Dieser - gesetz-widrige (vgl. Geiger/Klinghardt, 35 Rdnr. 4) - Organisationsakt erhielt erst durch dasSiebente Gesetz zur nderung des S tasi-Unterlagen-Gesetzes vom 21 . Dezember 2006(BGBI I S. 3326) die notwendige gesetzliche Grundlage (vgl. Art. 1 Nr. 13 b und Nr. 21dieses Gesetzes).

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    Eine rechtsaufsichtl iche Beanstandung oder Weisung kann mithin nur durchKabinettsbeschluss ergehen. Gegenstand der Rechtsaufsicht ist ausschlielichdie Rechtmigkeit des Handelns der BStU. Die Dienstaufsicht ber die BStUfhrt der BKM. Sie erstreckt sich auf den Aufbau, die innere Ordnung, die all-gemeine Geschftsfhrung und die Personalangelegenheiten" der Behrde.55Der bei der BStU gebildete Beirat (vgl. 39 StUG) besteht aus neun von denLndern Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anha lt und Thringen zu benennenden und acht vom Bundestag zu whlendenMitgliedern; sie werden vom BKM (frher BMI) fr die Dauer von 5 Jahren be-stellt.56 Die Aufgaben des Beirats sind beratender Natur. Die BStU hat ihn bergrundstzliche und wichtige Ange legenheiten zu unterrichten und diese mit ihmzu errtern. Der Beirat bert die Ttigkeitsberichte nach 37 Abs. 3 S. 1 StUGvor. In einer seiner ersten Sitzungen unterrichteten sich die Mitglieder ... berden Stand des Aufbaus der Behrde, insbesondere ber die Personalgewin-nung".57Der BStU ist gegenber dem Bundestag auf dessen Ersuchen, im brigen min-destens alle zwei Jahre, berichtspflichtig. Die Behrde kann sich jederzeit anden Bundestag wenden ( 37 Abs. 3 StUG). Zustndig ist der Ausschuss frKultur und Medien.b) Diese Konstruktion begegnet verfassungsrechtl ichen Bedenken.58 Der BStU- Teil der unmittelbaren Bundesverwaltung - ist in einem weitgehend ministeri-al-tmd parlamentsfreien Raum angesiedelt. Seine Selbstndigkeit geht ber diedes Bundesbeauftragten fr den Datenschutz59 und die des Wehrbeauftragten60noch hinaus. Der BStU unterliegt nicht nur keinen fachaufsichtl ichen Weisun-gen, indem die Rechtsaufsicht der Bundesregierung als Kollegialorgan (das alssolches nicht parlamentarisch verantwortlich ist) obliegt, ist auch sie praktischwirkungslos. Die Berichtspfl icht gegenber dem Bundestag gibt diesem zwarGelegenheit, sich mit den Angelegenheiten des BStU zu befassen und uers-tenfalls im Wege der Gesetzesnderung eine Reorganisation oder gar eine Auf-55565758

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    So die (verallgemeinerungsfhige) Definition der Dienstaufsicht in 12 des nordrhein-westflischen Gesetzes ber die Organisation der Landesverwaltung.Die M itglieder des ersten Beirats sind im Ersten Ttigkeitsbericht, S. 75, aufgefhrt.Erster Ttigkeitsbericht, S. 75. Nheres in Kapitel V.S. schon Peter Badura in seiner schriftlichen Stellungnahme zur ffentlichen Anhrungvon Sachverstndigen durch den Innenausschuss des Bundestages zu den Entwrfeneines Stasi-Unterlagengesetzes am 27. August 1991, Protokoll Nr. 12, S. 490 ff. (513 f.).So hat 22 Abs. 5 S. 4 und 5 BDSG im StUG keine Parallele: der BStU ist hinsichtlichseiner Personalpolitik an den BKM nicht rckgebunden.Zur Rechtsstellung des Wehrbeauftragten im Verhltnis zum Bundestag und zum V ertei-digungsausschuss s. Hans H. Klein, in: Maunz/Drig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 45b, Rdnrn. 42 ff.

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    lsung des BStU zu veranlassen. Es liegt aber auf der Hand, dass derartigeOptionen dem Parlament keinen realen Einfiuss auf die Amtsfhrung des BStUverschaffen knne n.Ministerialfreie Rume" sind mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzesgrundstzlich nicht vereinbar. Denn dieses verlangt, da ss das Volk einen effek-tiven Einfiuss auf die Ausbung der Staatsgewalt ... hat. Deren Akte mssensich auf den Willen des Volkes zurckfhren lassen und ihm gegenber ver-antwortet werden. Dieser Zurechnungszusammenhang zwischen Volk undstaatlicher Herrschaft wird vor allem durch die Wahl des Parlaments, durch dievon ihm beschlossenen Gesetze als Ma stab der vollziehenden Gew alt, durchden parlamentarischen Einfiuss auf die Politik der Regierung sowie durch diegrunds tzliche Weisungsgeb undenheit der Verwaltung gegenb er der Regie-rung hergestellt". Eine hinreichende sachlich-inhaltliche Legitimation setzt vor-aus, dass die Amtstrger im Auftrag und nach Weisung der Regierung ... han-deln knnen und die Regierung damit in die Lage versetzen, die Sachverant-wortung gegenber Volk und Parlament zu bernehmen" (Hervorhebungennicht im Original).61Diese Regel kennt Ausnahmen: bei verfassungsgebotener Weisungsfreiheit(Beispiele: Bundesbank, Rechnungshfe) oder geringer politischer Tragweiteder von der weisungsfrei gestellten Einrichtung zu treffenden Entscheidungen.62Haben die Aufgaben eines Amtstrgers einen besonders geringen Entschei-dungsge halt, so mag dafr eine demokratische Legitimation ausreichen, bei de reinzelne Legitimationselemente zurcktreten.63 Das kann jedoch nur in Betrachtkommen, wenn Kompetenzen gegenstndlich im einzelnen und auch ihremUmfang nach eng begrenzt sind und die zu treffenden Entscheidungen inhalt-lich sow eit vorstrukturiert sind, dass sie sich etwa auf die messbar richtige Plan-oder Gesetzesdurchfhrung beschrnken".64 Davon kann beim BStU keine Re-de sein: Seine Entscheidungen haben keinen geringfgigen Entscheidungsge-halt und ihre politische Tragweite ist je nach den Umstnden erheblich. Die ex-zessive Verselbstndigung der BStU wird - funktionell - dam it gerechtfertigt,dass die effektive Wahrnehmung ihrer Aufgaben eine gewisse S taatsferne (poli-tische Neutralitt) erfordere. Eine solche R echtfertigung hat das BVerfG be i derBundesprfstelle fr jugendgefhrdende Schriften anerkannt,65 dazu allerdingsangemerkt, die dieser Stelle bertragenen Aufgaben seien nach Art und Um-6162636465

    BVe rfGE 93, 37 (66 f.); ebenso BVe rfGE 1 07, 59 (87 f.).Vgl . BVerfGE 9, 268 (281 f.); 83, 1 30 (15 0).Legitimationselemente" sind die institutionelle, funktioneile, sachlich-inhaltliche und diepersone lle Legitimation.BVerfGE 83, 60 (74).BVerfGE 83,130. Auch die Bundesprfstelle ist eine selbstndige Bundesoberbehrde.

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    fang nicht von einer solchen polit ischen Tragweite, dass unter dem Gesichts-punkt eines ,ministerialfreien R au m es '... Bedenken bestnden".65Da die Voraussetzung fehlender polit ischer Tragweite schon angesichts derAufgabe nflle des BStU nicht besteht, ist Anlass gegeben, die derzeitige Re ge-lung im Blick auf ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung zu berdenken. DieKontrollfunktion des Parlaments wie der Regierung beides ist nicht deckungs-gleich - erscheint der Strkun g bedrftig. Durchbrechungen des G rundsatzesder Weisungsgebundenheit sind nicht dem polit ischen Ermessen des Gesetz-gebers anheim gegeben; das Parlament kann auf seine Kontrollkompetenznicht nach seinem Belieben verzichten. Die Herausnahme einer Einrichtung derExekutive aus dem demokratischen Legitimationszusammenhang ist akzepta-bel nur auf der Grundlage eines auf der Ebene der Verfassung selbst angesie-delten Rechtfertigungsgrundes. Ein solcher ist fr den Aufgabenbereich desBS tU nicht ohne weiteres e rsichtl ich.

    6 6 BVerfGE83, 130(150).

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    II. Die Rekrutierung ehemaliger MfS-Angehriger durch denBStU und ihre Arbeitsverhltnisse

    1. Die Einstellungspraxis whrend der Frhzeit der BStUDer Sonderbeauftragte der Bundesregierung, Joachim Gauck, begann am 3.Oktober 1990 mit zunchst 52 Mitarbeitern (25 in der Berliner Zentrale und 27in den Auenstellen) seine Arbeit. Wie viele ehemalige MfS-Bedienstete sichhierunter befanden, lsst sich nicht mehr genau ermitteln. Laut Angaben derjetzigen Behrdenleitung waren im Jahre 1990 elf ehemalige MfS-Angehrigebeim BStU beschftigt. Bis zum Ende d es Ja hr es 1990 setzte sich d as Personalaus den Mitarbeitern um Gauck, abgeordneten westdeutschen Beamten undeinigen, vornehmlich auf befristeter Basis neu eingestellten ostdeutschen Mitar-beitern zusammen. Bis zur Jahresmitte 1991 stieg laut Erstem Ttigkeitsberichtdie Mitarbeiterzahl auf ca. 500 Personen; darunter waren - nach Angaben derBehrdenieitung vom 26. Januar 2007 - 72 ehemalige MfS-Angehrige (67hauptamtliche und 5 inoffizielle Mitarbeiter).67Im Oktob er 1 990 wu rde Dr. Hansjrg Geiger zum Direktor beim Sonderbeau f-tragten berufen. Das Bundesministerium des Innern errichtete zur gleichen Zeitmit Zustimmung des Sonderbeauftragten einen aus elf Personen bestehendenAufbaustab,68 dem es oblag, fast aus dem Nichts, unter hchst unklaren Vor-aussetzungen eine Behrde aufzubauen".69 Die Rekrutierung des Personalsgestaltete sich schwierig - ein Jahr nach Grndung der Behrde belief sich dieZahl der bei ihr Beschftigten auf knapp 600, zur Zeit der Erstattung des ErstenTtigkeitsberichts (1993) waren die meisten der im Bundeshaushaltsplan aus-gewiesenen 3355 Planstellen besetzt.70 Nach dem Ersten Ttigkeitsbericht wa-ren bei der Gewinnung des Personals dominierende Kriterien ... Lebenserfah-rung und Qualifikation. Die knftigen Mitarbeiter sollten berwiegend aus denneuen Bundeslndern kommen, da es um ihre Geschichte in erster Linie geht",und vorwiegend ltere, erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" gewonnenwerden.71

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    Nach unseren Recherchen ergab sich im Mrz 2007, dass zu dem genannten Zeitpunktzwei weitere BStU-Mitarbeiter ehemalige hauptamtliche MfS-Angehrige waren. Einerschied schon Ende September 1991, der andere 1997 aus dem Dienst der BStU wiederaus .Vorsitzender des Aufbaustabs war Dr. Rainer Frank, stellvertretender Vorsitzender Jr-gen Staschik.Erster Ttigkeitsbericht, S. 6.Ebd.; s.a. S. 19.Ebd., S. 6.

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    Im E rsten Ttigkeitsbericht wird zude m auf den hohen Frauenanteil - ber z weiDrittel der Beschftigten sind weiblichen Geschlechts - sowie auf das hoheDurchschnittsalter der Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen hingewiesen. Gerade imAuskunftswesen, zum Teil auch im Archivwesen und der Abteilung Bildung undForschung, sind Lebenserfahrung in der DDR, Einfhlungsvermgen und hoheMotivation wesentliche Voraussetzungen." Der Bericht weist darauf hin, dassdie Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen aus unterschiedlichen Berufen (kamen), diehufig nichts (Eisenflechter, Schreiner u.a.) oder nicht viel mit ihrer neuen T-tigkeit zu tun hatten".72Der Ttigkeitsbericht erwhnt allerdings nicht, dass in den Ausschreibungstex-ten u.a. der Passus Darber hinaus werden allein erziehende und ltere Ar-beitnehmer (ber 50 Jahre) aus abgewickelten ffentlichen Einrichtungen derehemaligen DDR bei gleicher Eignung bevorzugt bercksichtigt" enthalten warund insofern viele neu Eingestellte aus dem ehemaligen Staatsapparat derDDR ka me n. Diese verstanden sich - nach bereinstimm enden B erichten - mitden aus dem Westen gekommenen oder abgeordneten Beamten erheblichbesser als mit ehemaligen Brgerrechtlern bzw. Personen, die in den Brger-komitees aktiv waren. Letztgenannter Personenkreis hatte es zudem wesentlichschwerer, eine Arbeitsstelle in der Behrde zu erhalten. Ein ehemaliges Mitglieddes Brgerkomitees schildert, wie es sich im Oktober 1990 als einer von fnfehemaligen Archivbesetzem beim Aufbaustab des BMI fr eine Mitarbeit beimSonderbeauftragten der Bundesregierung bewarb. Am 18. Januar 1991 erhielter ebenso wie seine Mitstreiter eine Absage. Erst nach vielfltigen Interventio-nen fand man sich im August 1991 bereit, den fnf Kandidaten einen auf einJahr befristeten Arbeitsvertrag anzubieten. Zur selben Zeit wurden von diesemAufbaustab hunderte Vertrge ohne bzw. mit deutlich lngeren Befristungszei-ten abgeschlossen. Eines war klar, bei der Auswahl der Mitarbeiter der neuenBehrde wurde lieber auf DDR-Verwaltungserfahrung gesetzt, als auf die politi-sche Motivation von berzeugungsttern. So entstand die paradoxe Situation,dass eine jahrelange SED-Mitgliedschaft oder sonstige Systemnhe einer Ein-stellung in die Behrde weniger hinderlich war als das aktive Engagement frdas Entstehen derselben."73Diese Einstellungspraxis galt vor und nach dem Inkrafttreten des Gesetzes berdie Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen De-mokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz - StUG) am 29. Dezember1 9 9 1 . Dem Ersten Ttigkeitsbericht zufolge ergaben sich fr die zgige Perso-nalgewinnung Probleme auch dadurch, dass sich bereits ausgewhlte Bewer-7273 Ebd. S. 6/7.Konopatzki 2000, S. 9.

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    ber bei der berprfung in nicht unerheblicher Zahl als MfS-belastet erwiesenund ihnen daher abgesagt werden musste"74 eine missverstndliche Formulie-rung: Sie musste bei jedem nicht mit Insiderwissen ausgestatteten Leser desBerichts den Eindruck entstehen lassen, die fr den Aufbau der Behrde Ver-antwortl ichen htten groe Sorgfalt aufgewendet, um die Einstellung MfS-belasteter" Personen zu verhindern. Das Gegenteil war der Fall: Die Zahl derehemaligen hauptamtlichen Mitarbeiter des MfS, die (zunchst) befristete Ar-beitsvertrge erhielten, belief sich nach gegenwrtigem Kenntnisstand 1991 aufmindestens 72 Personen. Hinzu kamen fnf ehemalige Inoffizielle Mitarbeiter(IM) des MfS, von denen gegenwrtig noch zwei in der Behrde ttig sind (de-ren inoffizielle Mitarbeit der Behrdenleitung bei Einstellung bekannt war). Da-bei ist festzuhalten, dass von den Personen, die trotz offizieller Mitarbeit beimMfS eingestellt wurden, keiner die fr die Einstellung Verantwortlichen ber ihreMfS-Vergangenheit im Unklaren gelassen hat. Wer bei der Einstellung einevorherige Ttigkeit fr das Ministerium fr Staatssicherheit nicht angab, wurdedurch Kndigung oder Auflsungsvertrag aus dem Dienst entfernt, sobald dieMitarbeit bekannt wurde.Daneben darf nicht bersehen werden, dass eine groe Zahl von Mitarbeiternder BStU zuvor im Staatsapparat der DDR beschftigt war, darunter ehemaligeAngehrige des Ministeriums des Innern, der Volkspolizei, der NVA oder desGeneralstaatsanwaltes. Laut Erstem Ttigkeitsbericht hatten etwa 80 Mitarbei-ter zuvor in Brgerkomitees gearbeitet,75 was angesichts der Zuflligkeit ihresEntstehens und ihrer Zusammensetzung a priori noch nichts ber die politischeEinstellung dieser Personen sagt, zumal das MfS und andere systemnahe Or-ganisationen/Krfte dort Sympathisanten platzieren konnten. Darber hinausbeendeten einige ehemalige Mitglieder von Brgerkomitees sehr schnell ihreMitarbeit oder ihnen wurde gekndigt, weil sie sich nicht den formalen Prozedu-ren einer Brokratie unterwerfen wollten bzw. sich weiterhin in erster Linie ei-nem Aufklrungsauftrag verpfl ichtet fhlten.2. Der Aufbaustab des BundesinnenministeriumsAm 16. Oktober 199076 begann der vom Bundesminister des Innern (BMI) ein-gesetzte Aufbaustab mit der Gewinnung von Personal fr die Behrde desSonderbeauftragten (SBStU). Von den elf im Aufbaustab ttigen Personen ge-hrten zwei dem hheren, fnf dem gehobenen und vier dem mittleren Dienstan. Sie kamen aus verschiedenen dem BMI nachgeordneten Behrden, bei-

    747576

    Erster Ttigkeitsbericht, S. 19.Erster Ttigkeitsbericht, S. 1 1 .Vgl. Fnfter Ttigkeitsbericht, S. 16.

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    spielsweise dem Bundesve rwaltungsamt. Der Chef des Aufbaustabs, Dr. Frank,hatte zuvor im Bundesamt fr Zivilschutz gearbeitet. Aufgrund seiner frherenArbeit im Bundesinnenministerium wurde er von diesem ausgewhlt, den Auf-baustab zu bernehmen. Ohne Vorbereitung flog er nach Berlin und begannzusamm en mit zehn Kollegen mit der Arbeit.ber spezifische Kenntnisse der ehemaligen DDR, zumal des Staatssicher-heitsdienstes, verfgte zu dieser Zeit kein Mitglied des Aufbaustabs, dessenArbeitsbedingungen anfnglich sehr bescheiden waren. Man fand zwar Rum-lichkeiten (in der Ruschestrae Haus 1), verfgte aber zunchst weder berFernsprechanschlsse noch ber Arbeitsmaterialien. Der fr Haushaltsangele-genhe iten zustndige Beamte war mit 20.000 DM in bar ausgestattet worden.77Sechs der elf Mitglieder des Aufbaustabs waren mit der Personalgewinnungbefasst, die wegen der zu bewltigenden Anzahl von Bewerbungen - ca.12.000 in den ersten Wochen 78 - einen auerordentlichen Einsatz erforderte.Zu dieser Zeit schtzte man den Personalbedarf der neuen Behrde auf etwa850 S tellen. Erst 1 991 ergab sich im Zuge der Vo rbereitung des StUG , dass derPersonalbedarf ein wesentlich hherer sein werde. Die groe Mehrzahl der zurZeit der Erstattung des Ersten Ttigkeitsberichts (1993) in der Behrde Be-schftigten wurde im Lauf des Jahres 1 992 eingestellt.3. Typologie ehem aliger MfS-M itarbeiter und ihre unterschiedli-

    che TtigkeitDie Personen, auf die sich unser Untersuchungsauftrag bezieht, sind bis aufwenige Ausnahmen smtlich schon 1990 oder zu Beginn des Jahres 1991 inden Dienst beim SBStU b ernomm en w orde n. Dabei ist zu unterscheiden:a) Einige wenige aus dem genannten Personenkreis waren im Archivdienst desMfS beschftigt gewesen (Nr. 3, 5, 7, 8, 9, 10, 11) Um ausgebildete Archivarehandelte es sich dabei auer Nr. 5 nicht. Ihre Orts- und Sachkenntnis galten derBehrdenleitung gleichwohl als unentbehrlich. In der Zeit der ihrem Ende ent-gegentreibenden DDR hatten sie sich teilweise gegenber den Aktivisten in denBrgerkomitees, die sich einer mglichen Vernichtung der Aktenbestnde hin-dernd in den Weg stellten, nach Meinung der damaligen Behrdenleitung alsentgegenkommend und hilfreich erwiesen. Innerhalb des MfS hatten sie Offi-ziersrnge bekleidet (u.a. Oberleutnant, H aup tman n, Major).

    7778 Ebd.Ebd.

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    Ein B eispie l ist Nr. 1 1 ; Er war in den sechziger Jahre n als operativer Hilfsarbei-ter in der Bezirksverwaltung Halle ttig, und zwar als Sachbearbeiter Personal-kartei, Sachbearbeiter Sonderauswahlkartei, Referatsleiter Personalkartei, Re-feratsleiter Archiv und Referatsleiter Erfassung/Registrierung. Seine Fachschul-abschlussarbeit verfasste er ber das Thema: Die weitere Vervollkommnungder operativen Beauskunftung zur Untersttzung der Arbeit am Feind beson-ders im grenzberschreitenden Reiseverkehr". In der Personalkartei erfolgte,wie Nr. 11 in einer Darstellung meiner Ttigkeit im ehemaligen MfS" am 5. Au-gust 1991 schrieb, die berprfung, Auskunftserteilung und Erfassung vonPersonen, die immer im Auftrag der operativen Diensteinheiten durchzufhrenwaren". Nr. 11 bekleidete zuletzt den Rang eines Majors. Seit dem 1. Mrz1990 arbeitete er im Staatsarchiv Magdeburg, Beschftigungsort war Halle. In-folge seiner langjhrigen Ttigkeit in diesen Bereichen verfgte Nr. 11 nach ei-gener Aussage ber umfassende Kenntnisse ber die Archivierung von Aktenund Aktenteilen, ber die Klassifizierung von archivierten Vorgngen, ber dieVerfilmung der Archivbestnde und ber die Kassation von Aktenteilen". In Hal-le blieb Nr. 11 auch weiterhin ttig. Er erhielt mehrfach befristete Arbeitsvertr-ge . Am 9. Jun i 1 997 wurde sein Arbeitsverhltnis entfristet.Ande re Personen w aren in den verschiedenen Dienststellen des MfS im techni-schen Bereich ttig (Nrn. 1, 6, 14). Sie wurden schon beim SBStU beschftigt.Gleiche s gilt fr einen Kraftfahrer (Nr. 4).b) Eine weitere, bei blo zahlenmiger Betrachtung nicht ins Gewicht fallendeGruppe des vom Auftrag erfassten Personenkreises bilden diejenigen, die inder Recherche des BStU zum Einsatz kamen. Zu nennen sind insbesonderezwei fr die Behrdenleitung besonders wichtige ehemalige MfS-Offiziere, die inder ZAIG gearbeitet haben:aa) Nr. 62 trat 1965 in den Dienst des MfS in der MfS-Bezirksverwaltung Cott-bus im Bereich Spionageabwehr. Von 1968 bis 1971 absolvierte er ein Studi-um " an der Stasi-Hochschule und firmierte fortan als Diplom-Jurist". Seine Ab-schlussarbeit wurde uns nicht vorgelegt. In der Zeit von 1971 bis zum 3 1 . Mrz1990 arbeitete Nr. 62 als Kontroll-Offizier" in der Zentralen Auswertungs- undInformationsgruppe (ZAIG), dem braintrust" des MfS, zuletzt als deren stellver-tretender Leiter im Dienstrang eines Obersten. Am Zentralen Runden Tisch derDDR trat er als Vertreter des MfS auf. Vom 1. April bis 2. Oktober 1990 wirkteNr. 62 bei dem Staatlichen Komitee zur Auflsung des MfS/AfNS. Am 3. Okto-ber 1 990 trat er in den Dienst beim SBStU ein, wo er - rckwirkend zum 1 . No-vember 1990 - in ein - spter mehrfach erneuertes - befristetes Arbeitsverhlt-nis bernommen wurde, das am 9. Juni 1997 entfristet wurde. Seit dem 1. Juli1991 wa r Nr. 62 im Referat AU 5 beschftigt, seine Ttigkeit war b eschrieben:

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    Grundsatz; Recherche in besonderen Fllen". In einer vom damaligen Leiterdes Personalreferats, Fahrland, unterzeichneten Beurteilung zur Begrndungder Erneuerung des befristeten Arbeitsverhltnisses vom 26. Juni 1994 heites: Aufgrund seines umfangreichen Wissens ber die Zusammenhnge derArbeitsweise der verschiedenen Hauptabteilungen des ehemaligen MfS undseiner im Verlaufe der Zusammenarbeit bewiesenen hohen Arbeitsbereitschaft,Gewissenhaftigkeit, Verschwiegenheit und Loyalitt wrden in Zukunft wichtigeWissensquellen verloren gehen bzw. Ausknfte an Qualitt verlieren."bb) Nr. 2 war seit dem 1. April 1974 als Oberleutnant des MfS operativer Mitar-beiter der Hauptabteilung VII, die 1989 einen Personalbestand von 357 Mitar-beitern aufwies und mit folgenden Aufgaben betraut war:79 Abwehrmige Si-cherung und Abschirmung des Mdl und dessen nachgeordneter Organe undDienstzwe ige - insbesondere der Deutschen Volkspolizei (DV P), der Vo lkspo li-zei(VP)-Bereitschaften, des Stabes der Zivilverteidigung und der Kampfgruppender Arbeiterklasse - sowie der zivilen Einrichtungen (wie Schulen des Mdl,Staatliche Archivverwaltung); Zusammenwirken mit dem Arbeitsgebiet I derKriminalpolizei; abwehrmige Sicherung der Organe der Verwaltung Strafvoll-zug des Mdl sowie operative Arbeit" (Anwerbung) unter Strafgefangenen undHaftentlassenen; abwehrmige Sicherung des Zentralen Aufnahmeheimes(ZAH) Rntgental und Abwehrarbeit unter Rckkehrern und zuziehenden Aus-lndern; Fhrung von IM und Arbeit mit OibE. Nr. 2 war in der Abteilung 1 ttig,der die Spionageabwehr im Mdl oblag. Ihm war die Organisation der politisch-operativen Abwehrarbeit bertragen. Von Januar bis August 1976 fungierte Nr.2 als stellvertretender Referatsleiter 1 in der Abteilung 1 . In dieser Zeit stellte er(laut einer dienstlichen Beurteilung) seine operative Beweglichkeit mehrfachunter Beweis". Besonders hervorgehoben wurden seine bestndig guten Leis-tungen in der Zusammenarbeit mit IM/GMS, in der Bearbeitung von Schwer-punkt-OPK und in der Klrung von Vorkommnissen unter VP-Angehrigen".Seine intensiven Anstrengungen bei der Bearbeitung eines BRD-Brgers we-gen staatsfeindlichen Menschenhandels ..., die zu dessen Inhaftierung fhrten",wurden lobend erwhnt. Es folgten ein einjhriges Direktstudium an der Be-zirksparteischule der SED in Leipzig und ein Hochschul-Fernstudium an derJuristischen Hochschule des MfS. Seine Abschlussarbeit wurde uns nicht vor-gelegt.80Am 1. Februar 1978 wurde Nr. 2 Referatsleiter und am 7. Oktober 1981 zumMajor ernannt. Ab dem 1. November 1982 war Nr. 2 im Bereich 2 (Kontrolle,7980 Vgl. Wiedmann, S. 252.Stattdessen erhielten wir die Diplomarbeit eines Studenten der Humboldt-UniversittBerlin gleichen Namens.

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    dienstliche Bestimmungen, Planung) der ZAIG in der Kontrollgruppe ttig, alsderen Leiter damals Nr. 62 fungierte.81 Dort erhielt Nr. 2 am 7. Oktober 1985seine Befrderung zum Oberstleutnant. Seit Februar 1987 arbeitete Nr. 2 alsLeiter der Kontrollbrigade 3. Geplant war, Nr. 2 daraufhin auszubilden, dass erme hr und mehr in der Lage ist, bei dessen Abwesenheit den Leiter der Ko ntroll-gruppe ZAIG" zu vertreten". Von 1985 bis 1989 gehrte Nr. 2 nach seinen An-gab en zur Abteilungsparteileitung der SED. Vom 1 . April bis 2. Oktober 1 990war er, wie er in seinem Lebenslauf berichtet, Mitarbeiter beim Staatlichen Ko-mitee d es M fS/AfNS. Nachdem er vom 3. bis 31 . Oktober 1990 einen Arbeits-vertrag mit dem BMI zur Abwicklung erhalten hatte, wurde er seit dem 1. No-vember 1990 mit befristeten Arbeitsvertrgen beim (S)BStU beschftigt; dieEntfristung erfolgte am 9. Juni 1997.c) Unter den ehemaligen inoffiziellen Mitarbeitern des MfS seien nachfolgendzwei, die derzeit immer noch in den Diensten der BStU stehen, nher charakte-risiert. Whrend der eine bei der Einstellung angab, nicht freiwillig fr das MfSttig geworden zu sein, erklrte der andere, er habe von sich aus die Zusam-me narbe it mit dem MfS bzw. seine Ausbildung dort abgebroch en. In beiden Fl-len lagen uns keine schriftlichen Belege fr diese Angaben vor.aa) Nr. 12 war 1972/73 IMS. Nach seinen Angaben wurde er zur Zusammenar-beit mit dem MfS gezwungen. Whrend seiner IM-Ttigkeit erhielt er etwa denAuftrag, in der W oche vom 1 1.9. bis 1 7.9.1973 sch riftlich zu berichten ber diemit ihm eingesetzten Postenfhrer bzw. Vorgesetzten w hrend des G renzdiens-tes". Die Ttigkeit als IM, zu der sich Nr. 12 nach der Abschlusseinschtzungdes operativen Mitarbeiters Leutnant Fritzsch vom 12. November 1973 auffreiwilliger Basis verpflichtet" hatte (Verpflichtungserklrung liegt vor), wurde mitder Entlassung von Nr. 12 aus dem Wehrdienst beendet, da er als inaktiv ein-geschtzt wurde. Ihm wurde bescheinigt, nicht fhig gewesen zu sein, Erschei-nungen der politisch-ideologischen Diversion" zu erkennen.In der Folgezeit war Nr. 12 - mit einer Unterbrechung zwischen 1977 und 1 980- bei der Volksp olizei" beschftigt, wo er zuletzt den R ang eines Hau ptman nsinnehatte. Vom 1. September 1987 bis 27. Juli 1989 studierte er an der Hoch-schule der DVP und beendete sein Studium als Diplom-Staatswissenschaftler.Seine Ab schlussarbeit wurde uns nicht vorgelegt. In einer Z wischenbeu rteilungder Hochschule vom November 1988 hie es: Genosse ... hat ein klaresFeindbild und setzt sich konsequent mit der brgerlichen Ideologie auseinan-der." S eit Mai 1990 diente Nr. 1 2 als Schichtleiter O bjektschutz bei der Ve rwa l-tung Personen- und Objektschutz der Polizei, seit dem 28. September 1990 als81 Zum Aufgabenbereich der Kontrollgruppe s. Wiedmann, S. 43.

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    Leiter der Sicherungskrfte Archiv Ruschestrae. Vom 3. Oktober 1990 an hat-te er einen Zeitvertrag beim Bundeskriminalamt. Zum 1. Februar 1991 wurde ermit Vertrag vom 18. Februar 1991 als Leiter des Wachdienstes Berl in unbefris-tet beim SBStU eingestellt. Seine unbefristete Einstellung wurde von den Mitar-beitern der Behrde Ladwig und Gill ausdrcklich befrwortet und vom Leiterdes Aufbaustabes, Dr. Frank, umgesetzt.82bb) Nr. 13 trat nach eigenen Angaben bereits mit 18 Ja hren in die S ED ein.Nach dem Abitur studierte er von 1967 bis 1971 marxistisch-leninistische Phi-losophie" an der Karl-Marx-Universitt Leipzig. Bereits whrend seines Studi-ums wurde er 1969 als IM der HV A registriert und ab Sommer 1971 auf einenEinsatz als Resident" der HV A im westl ichen Ausland vorbereitet, wobei diegenauen Umstnde nicht geklrt sind. .Nach seinen Angaben beendete er die-se Ttigkeit 1973 aus eigenem Antrieb. Das MfS archivierte den Vorgang imNovember 1973, die Arbeitsakten wurden verfi lmt, die Originale vernichtet unddie Ab lage gesperrt. Seitens des MfS legte man Nr. 13 denno ch keine Steine inden Weg, er begann bereits im Frhjahr 1973 eine Ttigkeit als Mitarbeiter derWestabteilung des Zentralrats der FDJ, was gegen den Willen des Mielke-Ministeriums schwerlich mglich gewesen wre. Wenige Monate spter bean-tragte der FDJ-Zentralrat, Nr. 13 vom 2 7 .11 . bis 4.12.1973 auf Vortragsreise indie Bundesrepublik schicken zu knnen. Die Hauptabteilung XX des MfS gabdazu am 12.10. 1973 folgende Stellungnahme ab: Oben genannte Person ar-beitete bis 1973 inoffiziel l mit dem MfS zusammen. Im Rahmen dieser operati-ven Ttigkeit fhrte sie mehrere Reisen in die BRD sowie das weitere NSWdurch. Sie lernte dabei operative Methoden und Mittel kennen, welche zur Zeitnoch praktiziert werden bzw. im Einsatz sind. Deshalb halten wir den Zeitpunkteiner Reise des ... in die BRD im Hinblick auf seine zurckliegende operativeTtigkeit noch fr verfrht. Wir bitten, bis Mitte 1974 davon noch Abstand zunehmen. Grundstzlich gibt es von Seiten unserer Diensteinheit keine Einwn-de gegen eine Reisettigkeit des Genossen ... in die BRD. Leiter der AbteilungKD, Oberstleutnant Keindorf".Die Anga be n von Nr. 13 zu seiner MfS-T tigkeit knnen a ufgrund des uns durchdie BStU verweigerten Aktenzugangs nicht berprft werden. Fragen bleiben.Die Beendigung der MfS-Ttigkeit aus politisch-moralischen Grnden" er-scheint nherer berprfung bedrftig. Falsch ist die Anga be einer knapp zwei-jhrigen Ttigkeit fr das MfS: es waren w ahrscheinlich etwa vier.Statt der erhofften Westreise wurde Nr. 13 im November 1973 zum achtzehn-monatigen Grundwehrdienst in der NVA eingezogen. Danach arbeitete er nochB2 Zur weiteren internen berprfung dieses Falls vgl. Kap. IV.

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    wenige Wochen fr die FDJ, bevor er im Sommer 1975 eine Ttigkeit als wis-senschaftlicher Assistent fr Geschichte der Philosophie" an der Karl-Marx-Universitt aufnahm, die er 4 Jahre lang ausbte.V om 1 . August 1979 bis 1 5. Apri l 1990 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter ander Akademie der Wissenschaften. Hier war er bis Oktober 1989 Mitglied dervon der SED im Frhjahr 1953 gegrndeten Kampfgruppen der Arbeiterklas-se", die im Falle eines Brgerkrieges gegen Aufstndische und im Kriegsfall zurHeimatverteidigung" eingesetzt werden sollten, und wurde sogar Parteisekretreiner Einheit. Die in der Tradition der proletarischen Hundertschaften und desRot-Front-Kmpferbundes der KPD zweckmig ausgersteten und militrischgut ausgebildeten Einheiten" erlebten bei der Abriegelung der DDR ab dem 13.August 1961 ihren ersten (und einzigen) groen Einsatz. Ihre Ausbildung erfolg-te durch die Deutsche Volkspolizei, ihr Einsatz durch die Bezirks- bzw. Kreis-einsatzleitungen. In den turbulenten Tagen des Herbstes 1989 standen dieseKam pfgruppe n der Arbe iterklasse" - allerdings unbew affnet in vielen S tdtenzum Einsatz gegen Demonstranten bereit.83Nachdem Nr. 13 im September 1989 zu den Mitbegrndern des Robert-Havemann-Kreises" gehrt hatte, war er im Oktober 1989 einer der Initiatoreneines offenen Briefes, in dem zur Beendigung jeglicher Ttigkeit der Kampf-gruppen aufgerufen wurde; im Dezember 1989 trat er aus der SED aus. Vom1 6. April bis zum 2. Oktober 1990 arbeitete Nr. 13 als Geschftsfhrer der Frak-tion Bndnis 90/GR NE der Volkskammer un d war danach bis zum 31 . De-zember 1990 Mitarbeiter der Fraktion DIE GRNEN des Deutschen Bundesta-ges. Mit Schreiben vom 10. November 1990 bewarb er sich beim SBStU - erkannte Joachim Gauc k aus der Zeit bei der Volkskamm er - um eine Stelle.Gauck untersttzte die Bewerbung in einer Aktennotiz vom 8. Januar 1991 .84Auf dieser Grundlage wurde Nr. 13 am 18. Februar 1991 als stellvertretender

    8384 Vgl. Schroeder 1998, S. 456.Aktennotiz vom 8.1.1991 zur Anstellung (Nr. 13): Bereits in einem ersten Vorstellungs-gesprch im Oktober 1990 bei Herrn Gauck und Herrn Dr. Geiger berichtet ... (Nr. 13)

    ausfhrlich ber seine nach zwei Jahren abgebrochene Ausbildung als Resident fr dieHauptverwaltung Aufklrung des ehemaligen Ministeriums fr Staatssicherheit. DieseAusbildung war zu keinem Zeitpunkt fr eine inoffizielle Ttigkeit innerhalb der DDR bzw.fr eine normale Ttigkeit fr das Ministerium der Staatssicherheit vorgesehen. ... (Nr.13) hat aus eigenem Bestreben die Ausbildung als Resident abgebrochen. ber einesptere inoffizielle Ttigkeit fr das MfS/AfNS gibt es keinerlei Hinweise. Im Sommer1989 war ... Mitbegrnder des Havemann-Kreises. Im Dezember 1989 trat er als einerder ersten seines Institutes mit einer ffentlichen Erklrung aus der SED aus. Seine en-gagierte selbststndige Ttigkeit als Geschftsfhrer der Fraktion Bndnis 90 in derVolkskammer seit April 1990 bewies seine Loyalitt zum demokratischen Aufbau desOstteils Deutschlands und dokumentierte seine Fhigkeiten zum eigenstndigen souve-rnen Arbeiten. Die Anstellung von ... (Nr. 13) wre fr die Behrde ein Gewinn."

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    Referatsleiter/Sachbearbeiter eingestellt, zustndig fr Recherchen in beson-deren Fl len".d) In den verbleibenden Fllen, insbesondere den im Archivdienst und alsHaushandwerker Ttigen, wurden ebenso wie bei den zuvor genannten Perso-nen die befristeten Arbeitsverhltnisse in der Folgezeit mehrfach erneuert, dasich entgegen ursprnglichen Erwartungen ein alsbaldiges Ende der Behrden-ttigkeit infolge Aufgabenerledigung nicht abzeichnete, aus arbeitsrechtl ichenGrnden sodann im Jahr 1997 in unbefristete Beschftigungsverhltnisse ber-geleitet. Da die befristeten Vertrge keinen rechtl ich tragfhigen sachlichenGrund fr die Befristung enthielten, war schon frhzeitig abzusehen, dass Ar-beitsgerichte eine Entfristung der Beschftigungsverhltnisse fr zwingend er-achten wrden .

    4. BStU-interne Diskussionen um die Beschftigung ehem aligerMfS-Angehrigera) Die befristete Einstellung dieses Personenkreises ist von der Behrdenlei-tung immer offensiv vertreten worden. Joachim Gauck schreibt in seinem imMai 1991 erschienenen Buch Die Stasi-Akten": Bewusst beschftigten wirauch eine betont kleine Gruppe von ehemaligen Mitarbeitern der Staatssicher-heit weiter. Es sind ausnahmslos Personen, die seit Monaten bei der Auflsunghilfreich waren. Wir knnen auf ihre Spezialkenntnisse in bestimmten Abteilun-gen und im Archivwesen des MfS nicht verzichten, denn nicht selten gleichendie langwierigen Forschungen im ungeordneten Material der sprichwrtl ichenSuche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Besonders bei komplizierten ber-prfungsfllen, bei der Interpretation von Informationen aus Unterlagen und beider Verknpfung von Informationen aus unterschiedlichen MfS-Bereichen istihre Mitarbeit wichtig. Wir brauchen sie, um dem gesetzlichen Auftrag in ausrei-chender Qualitt entsprechen zu knnen. Diese ehemaligen Stasi-Mitarbeiterhaben aber nicht die Mglichkeit, eigenstndig mit den Akten zu arbeiten odergar Manipulationen vorzunehmen. Wir sind uns bei diesen Kollegen auch si-cher, dass sie derartige Manipulationsversuche nicht vornehmen wrden, wennsie Gelegenheit dazu htten. Sie verhalten sich uerst kooperativ und loyalund sind sich bewusst, dass sie mit ihrer jetzigen Ttigkeit eine Mglichkeit zueinem Neuanfang haben."85b) In den Gesprchen mit uns gaben'Gauck, Dr. Geiger und Dr. Gill, aber auchandere Personen, gleichermaen an, Brgerrechtler, die positive Erfahrungenmit diesen ehemaligen Stasi-Angehrigen gemacht htten, htten sich nach-8 5 Gauck 1 991 , S. 104.

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    drcklich fr deren Einstellung eingesetzt; Gauck dagegen hatte anfnglich ge-zgert. Diese Sichtweise findet sich auch in der Literatur. Auf direkte Nachfragewurden uns jedoch keine Brgerrechtler genannt, sondern nur zwei ehemaligeMitglieder aus Brgerkomitees in Berlin und Schwerin. Das ehemalige Mitgliedim Brgerkomitee Normannenstrae erinnerte sich freilich nur, einen Archivarem pfohlen zu habe n, der wenig spter entlassen wurde, weil er MfS-Unterlagengegen Geld dem Verfassungsschutz anbot. Diese Empfehlung zur Einstellungeines ehemaligen Stasi-Angehrigen habe sich jedoch nur zufllig, anlsslicheiner Begegnung auf dem Flur, ergeben. Seitens der Behrdenleitung oder dermit de r Einstellung befassten Personen sei er nicht geso ndert hierzu, gefragtworden.Da ehemalige Brgerrechtler, die sich an der Besetzung der Normannenstraeim September 1990 beteiligten, ausdrcklich forderten, keine ehemaligen Stasi-Leute einzustellen, und angesichts der nicht mehr bekannten Personen, diesich hierfr eingesetzt haben sollen, scheint uns die Begrndung, Brgerrecht-ler htten sich fr die Einstellung dieses Personenkreises eingesetzt, eine vor-geschobene. Nach unserem Erkenntnisstand ist unstreitig, dass sich jedenfallsdie Behrdenleitung und ihr engeres Umfeld nachdrcklich fr eine Einstellungdieses Personals verwendet haben.5. Initiative n der Beh rdenleitung zur En tfristung der Vertrgeehemaliger MfS-Mitarbeiter

    iUnsere Einschtzung sehen wir durch die Initiative der Behrdenleitung vomAu gu st 1 991 besttigt. Schon nach wenigen Monaten forderte sie vom BMI eineEntfristung der Arbeitsverhltnisse von 17 ehemaligen MfS-Angehrigen. Indem von Dr. Geiger unterschriebenen Brief an das BMI vom 26. August 1991heit es zur allgemeinen Begrndung: Die aus der Anlage ersichtlichen Mitar-beiter unseres Hauses haben befristete Arbeitsvertrge bis 31.12.1991, weil sieehemalige Mitarbeiter des MfS gewesen sind. Ihre bisherige Einsatzbereitschaftund Loyalitt gegenber meinem Hause veranlasst mich schon jetzt, an Sie mitder Bitte heranzutreten, die Arbeitsvertrge in Dauerarbeitsvertrge ab 1.1.1992umwandeln zu drfen."86 Es folgt eine Charakterisierung der Ttigkeiten der 17ehem aligen MfS-Angehrigen.Fr die Weiterbeschftigung ehemaliger MfS-Angehriger setzte sich sehrnachdrcklich auch die Leiterin der Auenstelle Schwerin ein, die zuvor im dor-tigen Brgerkomitee aktiv war. In einem Vermerk vom 19. Mrz 1991 argumen-tierte sie, die drei in ihrer Auenstelle beschftigten ehemaligen Mitarbeiter des86 Schreiben von Dr. Geiger an das BMI (Z2) vom 26.8.1991.

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    MfS seien aus fachlichen Grnden unverzichtbar. Sie bringen ihr Wissen undihre Erfahrungen vorbehaltlos, ohne etwas zu verschleiern oder zu beschni-gen, von sich aus in die Arbeit mit ein." Darber hinaus verbrgte sich die Au-enstellenleiterin persnlich dafr, dass von diesen drei Herren keinerlei Ge-fahr fr die Behrde des Sonderbeauftragten ausgeht".Diese Initiative der Behrdenleitung konnte sich zumindest hinsichtlich dreierPersonen auf einen Antrag des Leiters des Aufbaustabs vom 1 1 . April 1 991beziehen. Hier schlug dieser vor, von den in Rede stehenden 17 ehemaligenMfS-Angehrigen drei ab dem 1. Mai 1991 unbefristet und die restlichen 14 be-fristet bis zum 3 1 . Dezember 1 991 zu beschftigen. Laut Verm erk von Dr. Frankerfolgte dieser Antrag im Einvernehmen mit dem Sonderbeauftragten".87 DemSchreiben liegen befrwortende Stellungnahmen des Sonderbeauftragten bei.Dabei argumentierte Joachim Gauck in einem Fall mit dem Argument, dass mitder bernahme in ein Dauerarbeitsverhltnis wir einen Beitrag zur Integrationvon u nbelasteten MfS-M itarbeitern leisten wrden".88In den meisten Fllen pldierte Gauck fr eine Weiterbeschftigung", ohnedurchblicken zu lassen, ob diese befristet oder unbefristet gestaltet werde n soll-te . Allen ehemaligen MfS-Angehrigen attestierte er eine engagierte Mitarbeitund hilfreiche Untersttzung" und betonte ihre Loyalitt zur Arbeit des Sonder-beauftragten". Zwei ehemalige MfS-Angehrige aus dem Referat AU 4 Recher-chen/Sonderrecherchen, die beim MfS in der ZAIG gearbeitet haben (Nrn. 2und 62), htten laut Gauck ein umfangreiches, abteilungsbergreifendes Wis-sen" und seien fr die weitere Arbeit der Behrde von entscheidender Bedeu-tung. Sie htten zudem bei Zuarbeiten fr Ermittlungen des Bundeskriminalam-tes und der Generalbundesanwaltschaft wichtige Dienste getan". An ihrer Loya-litt und engagierten Mitarbeit lie er keinen Zweife l.Nach der Zurckweisung der Initiative der Behrdenleitung auf Entfristung derArbeitsverhltnisse dieser 17 Personen durch das BMI beantragte der SBStUerneut mit Schreiben vom 27. September 1991 eine Weiterbeschftigung aufDauer. Da s BMI lehnte dieses Ansinnen erneut ab - beide Erlasse des BM I lie-gen uns nicht vor-, so dass alle Personen auf befristeter Basis vorerst bis zum31 . Dezember 1994 weiterbeschftigt wurden.Angesichts des Auslaufens der befristeten Vertrge zum Ende des Jahres 1994wurde die Personalabteilung anscheinend gebeten, eine erneute befristete Wei-terbeschftigung dieses Personenkreises vorzubereiten. In diesem Kontext ver-

    8788 Vgl. Schreiben Dr. Frank vom 11.4 .1991.Vermerk von Joachim Gauck vom 9.4.1991.

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    fasste der damalige Referatsleiter ZV, Jrg Pietrkiewicz, gemeinsam mit einerMitarbeiterin seines Referats ZV 1.1. einen Vermerk, in dem vor einer nochma-ligen Fortsetzung der Arbeitsverhltnisse" gewarnt wird.-Erneut befristete Ar-beitsverhltnisse wrden den Rechtswirksamkeitsgrundstzen des BAG zumThema Befristete Arbeitsvertrge nicht standhalten. Ein sachlicher Grund istnicht mehr gegeben. Sich bei der dritten Verkettung wiederum auf das Spezial-wissen und die besonderen Kenntnisse der MfS-Mitarbeiter zu beziehen, wrenach vier Jahren kein ausreichender Rechtfertigungsgrund mehr." Nachdrck-lich wird darauf hingewiesen, dass ein erneuter Vertragsabschluss auch des-halb nicht geboten erscheint, weil die Frage der Zulssigkeit der Befristung derNachprfbarkeit der Gerichte unterliegt. Sollte in einem solchen Verfahren dasFehlen des sachlichen Grundes fr die erneute Befristung festgestellt werden,so wren die abgeschlossenen Vertrge unwirksam und wrden ab diesemZeitpu nkt als unbefristete Arbeitsverhltnisse fortbestehen ."Jenseits der arbeitsrechtlichen Einwnde gegen eine befristete Weiterbeschf-tigung wird jedoch auch politisch-moralisch argumentiert: Auch im Hinblick aufdas Behrdenimage wird von dem Abschluss unbefristeter Arbeitsvertrge mitden hauptamtlichen Mitarbeitern des MfS dringend abgeraten. Gerade der BStUkann sich bei seiner ohnehin schwierigen gese llschaftspolitischen Aufgabe nichtdadurch der Kritik der Medien und der Gesellschaft aussetzen, dass ehemaligeAngehrige des MfS durch den Abschluss unbefristeter Arbeitsvertrge einenStatus erlangen, der anderen Mitarbeitern der Behrde verwehrt wird. Dadurchknnte dar Eindruck einer Vorzugsbehandlung fr diesen Personenkreis ent-stehen."Aus den genannten Grnden pldierte Pietrkiewicz dafr, die Arbeitsvertrgealler 16 betroffenen Mitarbeiter mit Ablauf der Befristung ohne weitere Verln-gerung und ohne Abschluss unbefristeter Arbeitsvertrge zum 31.12.1994 aus-laufen zu lassen".89Dieser Vorlage fr die Behrdenleitung liegen ausfhrliche Einzelfallprfungenbei, die alle zu d em Ergebnis gelangen, die befristeten Arbeitsvertrge zum 3 1 .Dezember 1994 auslaufen zu lassen. Von den in Frage stehenden 16 haupt-amtlichen Mitarbeitern (der 17. hatte inzwischen die Behrde verlassen) wurdenin der Entscheidungsvorlage von ZV 1.1. neun als hoch MfS-belastet, einer so-gar als extrem hoch belastet, zwei als gering belastet beschrieben, vier bliebenohne Einordnung ihrer MfS-Ttigkeit. In diesen Fllen wurde damit argumen-tiert, dass ihre Weiterbeschftigung, die eine unbefristete nach sich ziehen wr-de, eine Bevorzugung von ehemaligen hauptamtlichen Mitarbeitern des MfS8 9 Entscheidungsvorlage von ZV 1 .1. vom 1 1 .2.1994 .

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    bedeuten wrde. In einem Fall wird konkret darauf hingewiesen, dass der Ab-schluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages mit Herrn X einem anderen, unbe-lasteten und ebenfalls bewhrten Mitarbeiter der Behrde die Chance auf denAbschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages nehmen wrde. Diese Perso-nalmanahme knnte als eindeutige Bevorzugung von ehemaligen hauptamtli-chen Mitarbeitern des MfS angesehen werden und den Betriebsfrieden gefhr-den. Fr den ausgeschriebenen Dienstposten eines Hausmeisters haben sichneben Herrn X 15 weitere Mitarbeiter des Hauses beworben, so dass es beiAuslaufen des AV von Herrn X zum 31.12.1994 jederzeit mglich ist, die Stelledurch einen geeigneten, unbelasteten Mitarbeiter zu besetzen. Von daher wirddas Auslaufen des befristeten Arbeitsvertrages zum 31.12.1994 vorgeschla-gen."Die Behrdenleitung nahm diesen Vorschlag zur Kenntnis, ohne ihn jedoch zubernehmen, im Gegenteil: Mit Schreiben vom 8. Mrz 1994 wurde das BMIaufgefordert, weitere befristete Anschlussvertrge fr 16 ehemalige Mitarbeiterdes MfS zu genehmigen. In der Begrndung heit es u.a.: Alle betroffenenMitarbeiter zeichnen sich durch eine hohe Arbeitsbereitschaft sowie uneinge-schrnkte Loyalitt meinem Hause gegenber aus. Es zeigt sich immer deutli-cher, dass das vorhandene Spezialwissen dieser Mitarbeiter fr die Aufgaben-erfllung der Behrde nach wie vor einen sehr hohen Stellenwert hat."90 In demSchreiben an das BMI werden die Bedenken von ZV 1 .1 . nicht erwhnt, so dassdavon ausgegangen werden muss, dass die Entfristung, die ja schon im Jahre1991 von der Behrdenleitung beantragt worden war, durch den Abschluss ei-nes erneut befristeten Beschftigungsverhltnisses wissentlich herbeigefhrtwurde. Die Behrdenleitung ging damit auch ber die Schlussbemerkungen inder Entscheidungsvorlage von ZV. 1.1. hinweg. Dort heit es: Das MfS galtund gilt fr die Mitarbeiter aus den neuen Bundeslndern als Unterdrckungs-apparat eines Unrechtsstaates, der in diametralem Gegensatz zu einer rechts-staatl ichen Verwaltung stand. Aus diesem Grunde sind dessen Mitarbeiter nurin Ausnahmefllen fr den ffentl ichen Dienst tragbar. Ich verweise auf 54,Satz 3 BBG. Fr die Behrde des Bundesbeauftragten fr die Unterlagen desStaatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR gilt dies in ganz besonderemMae. Eine Weiterbeschftigung von MfS-Angehrigen beim BStU wrde inerheblichem Mae das Vertrauen der Mitarbeiter in eine rechtsstaatliche Ver-waltung erschttern."91 Diese Einschtzung ist von der Behrdenleitung seiner-zeit offensichtl ich nicht geteilt worden. Von den behrdeninternen Bedenkenscheint das BMI keine Kenntnis erlangt zu haben.

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    Schreiben von Dr. Geiger an das BMI (Arbeitsgruppe Z 2) vom 8.3.1994 .Entscheidungsvorlage von ZV 1.1. vom 11.2.1994.

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    Im Sommer 1996 war immer noch ungeklrt, ob es zu einer weiteren Verlnge-rung der Arbeitsvertrge bzw. einer Entfristung kommen wrde. Der Bundesbe-auftragte, der rtliche Personalrat Berlin sowie der Gesamtpersonalrat ver-schickten de shalb im Juli ein gemeinsames Schreiben an alle Besch ftigten desBStU mit befristeten Arbeitsvertrgen, in dem die Behrdenleitung nochmalsverspra ch, s ich fr eine befriedigende Lsung" einzusetzen.92 Am 7. November1996 schlielich wurden zum fnften Mal Zeitvertrge mit dieser Gruppe abge-schlossen (vom 1 . Januar 1 997 bis 3 1 . Dezember 1 998), wobe i hier schon aufeine eventuelle Entfristung nach der Entscheidung der Arbeitsgerichte hinge-wiesen wurde.93Zur lang e rwarteten Entfristung kam es schlielich am 9. Juni 1 997.

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    Verlngerun g der Arbeitsvertrge.Die Beh rdenleitung steht zu ihrer Aussage, dass neue Ze itvertrge ber mindestens einJahr fr a l l e Mitarbeiter mit befristeten Arbeitsvertrgen ange boten werd en. Eine Ver-lngerung mit einer Zeitdauer, die ber ein Jahr hinaus geht, ist abhngig von der Stel-lungnahme des Bundesrechnungshofes und der darauf basierenden Entscheidung desBundesministeriums der Finanzen. Diese Stellungnahme des Bundesrechnungshofesliegt noch nicht vor. Daher ist die von der Behrdenleitung im Rahmen der Personalver-sammlung des PR Berlin am 23.11.1995 angedeutete Bereitschaft, im Frhsommer be-reits neue Ve rtrge anzubieten, nicht aufrecht zu h alten. Die B ehrdenleitung ist sich dergroen persnlichen Belastung, der jeder betroffene Mitarbeiter derzeit ausgesetzt ist,bewusst und wird sich weiterhin fr eine befriedigende Lsung einsetzen. Dennoch wirdmit einer Entscheidung zur Dauer der Vertrge ber 1997 hinaus nicht vor September zurechnen sein. Unverzglich nach dieser Entscheidung werden Vertrge mit der entspre-chenden Zeitdauer den Mitarbeitern angeboten. Behrdenleitung und Personalrte beab-sichtigen, im September Personalversammlungen fr alle Mitarbeiter des BStU mit befris-teten Arbeitsvertrgen einzuberufen. Unabhngig davon bleibt es jedem Mitarbeiter ber-lassen, Folgerungen aus dem Urteil des Schsischen Landesarbeitsgerichts fr die indi-viduelle arbeitsrechtiiche Situation zu treffen. Hierzu haben sich die Personalrte bereitsnher geuert." 1 Herr ... wird ab dem 1.1.1997 als vollbeschftigter Arbeiter fr die Zeit bis zum31.12.1998 auf der Grundlage der Stellungnahme des Bundesrechnungshofes vom18.9.1996 zum knftigen Personalbedarf des BStU zur Erledigung von Aufgaben von be-grenzter Dauer beschftigt." 5 Dieser Vertrag wird unter dem Vorbehalt geschlossen,dass er keine rechtliche Wirkung entfaltet, wenn rechtskrftig festgestellt wird, dass dieim Arbeitsvertrag vom 7.7.1994 vereinbarte Befristung (Fristende 3 1 . Dezember 1996)rechtsunwirksam ist und daher bereits aufgrund dieses vorangegangenen Vertrages einunbefristetes Arbeitsverhltnis besteht." 6 Der Arbeitgeber verpflichtet sich, dem Ar-beitnehmer den Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages anzubieten, wenn inmindestens zwei der drei anhngigen arbeitsrechtlichen Verfahren LAG Sachsen-Anhalt8 Sa 715/96, LAG Berlin 15 Sa 102/96, AG Neustrelitz 2 Ca1405/96 rechtskrftig die Un-wirksam keit der Befristung bis zum 3 1 . Dezemb er 1996 u nd dam it das Bestehen einesDauerarbe itsverhltnisses festgestellt wird." 7 Soweit bereits Klage auf Feststellung,dass das Arbeitsverhltnis ber den 31. Dezember 1996 hinaus fortbesteht, eingereichtist, verpflichten sich der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, den Antrag auf Ruhen desVerfahrens gem 46 Arbeitsgerichtsgesetz i.V.m. 251 Zivilprozessordnung bis zurrechtskrftigen Entscheidung der in 6 nher bezeichneten Ve rfahren zu stellen."

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    6. Ein Son derfall" in Frankfurt/OderDer Fall von Nr. 75, jahrelang Leiter des Magazindienstes in der AuenstelleFrankfurt/Oder, stellt einen besonders instinktlosen Einstellungsvorgang dar.Nr. 75 wurde im April 1966 als Elektromonteur in der MfS-BezirksverwaltungFrankfurt/Oder eingestellt und zum Feldwebel ernannt. 1981 wurde er techni-scher Leiter fr Schutzbauwerk" und zum Leutnant befrdert, seinen hchstenDienstgrad erreichte er 1988 (Hauptmann). Nach dem Ausscheiden aus demMfS fungierte er ab 1 . Ap ri l 1 990 berraschenderweise als Magazinverwalter imbrandenburgischen Landeshauptarchiv, Auenstelle Frankfurt/Oder, und wurdeam 1 . Februar 1 991 durch de n Aufbaustab bei der BStU eingestellt, obwohl d asgngige Argument der Altkompetenz" nun wirklich nicht zutrifft, da er erst imFrhjahr 1990 seine Magazinttigkeit begonnen hat. Ab 1. Oktober 1992 wurdeer sogar Leiter des Magazindienstes. Die Begrndung von Frau Nowotzki, Au-enstellenleiterin in Frankfurt/Oder, verdient ebenfalls Erwhnung: Herr ... istseit dem 1.2.1991 im Archiv der Auenstelle Frankfurt/Oder beschftigt. Als,erster Mitarbeiter' des Auenarchivs Frankfurt/Oder trgt er wesentlich zurWeiterentwicklung des Archivs unserer Auenstelle bei. Zunchst mit Aufru-mungs- und Transportarbeiten und Aus- und Umlagerungen befasst, wurdenzunehmend andere Aufgaben wie Registrierung nicht erschlossener Materia-l ien, Erschlieungsarbeiten, Bereitstellung von Materialien aus dem erschlos-senen und unerschlossenen Bestand, Mitwirkung bei Sonderrecherchen durchHerrn ... wahrgenommen. Infolge dessen besitzt Herr ... auerordentlich guteKenntnisse fr Nachweise und Lagerung der Bestnde in unserer Auenstelle.Neben seinem archivspezifischen Wissen verfgt Herr ... ber sehr guteKenntnisse von der Organisationsstruktur und Arbeitsweise des MfS. Er ist we-gen seiner Sachlichkeit, Korrektheit und einem gesunden Gerechtigkeitsemp-finden als Leiter Magazindienst besonders geeignet. Herr ... wird als Persn-lichkeit von allen sehr gesc htzt und voll anerkannt."Nr. 75 erhielt die blichen Zeitvertrge und am 9. Juni 1997 wurde sein Vertragebenfalls entfristet, wobei er allerdings am 30. September 1997 nach Vollen-dung de,s 65. Lebensjahrs ausschied. Besonders zu erwhnen ist, dass die E-xistenz dieses Mitarbeiters uns wochenlang verschwiegen wurde und uns dieentsprechende A kte erst nach mehrfachem Insistieren ausgehndigt wurde. I47. Die ehemaligen Angeh rigen der MfS-Hauptabteilung Perso-nenschutzDie grte Gruppe der zuvor hauptamtlich beim MfS Beschftigten, die in deiDienst des SBStU bernommen wurden, entstammt der Hauptabteilung Perso-nenschutz (HA PS) des MfS. Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der BStU aus

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    der Abteilung Bildung und Forschung, der sich seit Jahren ausfhrlich mit denhauptamtlichen Mitarbeitern des MfS beschftigt, charakterisiert diese Dienst-einheit wie folgt:1 . Entgegen der Bezeichnung hatte die HA PS keineswegs nur den Auftragdes .Personenschutzes' im Sinne einer klassischen Leibwchteraufgabe. Hinzukam eine Flle von Funktionen im Umfeld der poli t ischen Fhrung der DDR:Objektschutz an wichtigen Gebuden, zum Beispiel Palast der Republik, ein-schlielich ggf. Festnahme von Demonstranten etc., Betreiben der Waldsied-lung Wandlitz einschlielich aller dortigen Mitarbeiter, Anwerben von IM an denProtokollstrecken und im Umfeld der zu sichernden Objekte, Eingreiftruppe bei.gesellschaftl ichen Hhepunkten'...2. Es war mithin generell neben dem Schutz vor Attentaten - Aufgabe der PS -Mitarbeiter, die fhrenden Reprsentanten der SED-Diktatur vor unkontrolliertenBegegnungen mit den Einwohnern der DDR zu bewahren und letztere im Fallevon unbotmigem Verhalten ggf. festzunehmen bzw. anderweitig, zur Notauch gew altsam daran zu hindern. Klassische Beispiele fr die Vorgeh enswe isesind der gescheiterte Versuch, vor dem Erfurter Hauptbahnhof Zustimmungs-bekundungen fr Bundeskanzler Willy Brandt im Jahre 1970 zu unterbinden ...3. Aus diesem Auftrag ergibt sich mithin, dass die HA PS eine geheimpolizeili-che Aufgabenstel lung hatte, die naturgem Gem einsamkeiten mit den Arbeits-techniken und Einsatzgrundstzen anderer Polizeikrfte hatte, aber deutlichdarber hinaus ging. Die spezifische Rolle der HA PS als Teil des MfS lag inder Aufga be, auch in der persnlichen physischen Begegnung bzw. rumlichenNhe von Spitzenfunktionren mit der Bevlkerung die diktatorische Ordnungaufrechtzuerha l ten."9 4Da die uns vorgelegten Personalakten dieses Personenkreises keine MfS-Kaderakten enthielten, sondern nur die so genannte Kaderkarteikarte, konntenwir die Angaben der BStU und der Betroffenen selbst, sie wren nur in Abtei-lungen ttig gewesen, denen keine operativen" Aufgaben oblagen, nur formalprfen. Wahrscheinl ich war niemand unter den von uns untersuchten Angehri-gen der Hauptabteilung Personenschutz in die tatschliche geheimpolizeilicheTtigkeit des MfS (zum Beispiel Fhren von IM oder Bearbeiten von OperativenVorgngen) eingebunden, auch wenn aufgrund des inflationren Gebrauchsdes Wortes operativ" durch das MfS einige aus diesem Klientel eine Dienststel-lung als Offizier fr politisch-operative Sicherungsaufgaben" einnahmen (Nrn.

    94 Vermerk Jens Gieseke vom 2.2.2007. Vgl. dazu auch Wiedmann 1995, S. 152 ff. DerPersonalbestand der HA PS wird hier mit 3.762 angegeben. Konkrete Schiiderungen derArbeit dieser Abteilung finden sich in dem Buch von Fraumann 2006 sowie in Grimm2004 un d Schmidt 1999.

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    1 8, 22 , 26, 29, 33, 34, 39, 44 , 55). In der Regel gehrten sie zur Abteilung II derHA PS, die fr Wach- und Objektschutz zustndig war und im Gegensatz etwazu den Abteilungen IX (Sicherung der zentralen Objekte und Freizeitbereiche)und XI (Sicherung der tglichen Fahr- sowie der Protokollstrecken) keine IMfhrte.95 Eine Durchsicht der Gehaltsunterlagen des Personenkreises ergab au-erdem, dass niemand von ihnen einen Zuschlag fr operative Ttigkeit" er-hielt. Mehr Klarheit knnte evtl. die uns verweigerte personenbezogene Sach-aktenrecherche im MfS-Archiv bringen, doch auch dies nur, wenn sich darausein schlssiges Bild der Ttigkeit der betreffenden Personen ergibt.Trotz wiederholten Nachfragens l ie sich der Verbleib der Kaderakten n icht kl-ren. Einige von uns befragte ehemalige MfS-Personenschtzer gaben an, ihreStasi-Kaderakte auch nach dem Modrow-Erlass nicht eingesehen und vern-dert zu haben. In zwei Personalakten konnten wir Hinweise darauffinden, dassdie Auenstelle Berlin-Lichtenberg des Bundesverwaltungsamtes ber Informa-tionen verfgt, die aus den Kaderakten stammen knnten: So stellte das BVAunserer Nr. 17 am 1. Mrz 1991 folgende Bescheinigung aus: Herr ... nahmwhrend seiner Zugehrigkeit zum ehemaligen MfS/AfNS, Bereich Personen-schutz, regelmig, an der militrischen A usbildun g - einschlielich Schiea us-bildung - teil." Diese Information konnte definitiv nicht aus den Kaderkarteikar-ten entnommen werden.Das von uns angesch