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Staunendes Sehen, gelehrtes Wissen: zwei Beschreibungen römischer Amphitheater aus dem letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts Author(s): Arnold Esch Source: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 50. Bd., H. 3 (1987), pp. 385-393 Published by: Deutscher Kunstverlag GmbH Munchen Berlin Stable URL: http://www.jstor.org/stable/1482387 . Accessed: 07/12/2014 20:42 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Deutscher Kunstverlag GmbH Munchen Berlin is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Zeitschrift für Kunstgeschichte. http://www.jstor.org This content downloaded from 128.235.251.160 on Sun, 7 Dec 2014 20:42:12 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Staunendes Sehen, gelehrtes Wissen: zwei Beschreibungen römischer Amphitheater aus dem letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts

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Staunendes Sehen, gelehrtes Wissen: zwei Beschreibungen römischer Amphitheater aus demletzten Jahrzehnt des 15. JahrhundertsAuthor(s): Arnold EschSource: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 50. Bd., H. 3 (1987), pp. 385-393Published by: Deutscher Kunstverlag GmbH Munchen BerlinStable URL: http://www.jstor.org/stable/1482387 .

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Arnold Esch

Staunendes Sehen, gelehrtes Wissen: zwei Beschreibungen romischer Amphitheater aus dem letzten

Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts

>>Auferhalb der Stadt baute [Kaiser Karl] bei ei- nem Brunnen fur sich selbst einen Palast, der steht noch ganz in seinem Mauerwerk, denn das Holz- werk ist verfault. Der Palast ist ganz rund und so weit, dagf ein Miher das wohl nicht in einem Tag abmaihen k6nnte, wenn es inwendig voll Gras stiinde. Und steht unten ganz auf Schwibb6gen [Rundb6gen], die sind sehr hoch und stark, und auf denselben Schwibb6gen abermals sehr starke

Schwibb6gen ringsherum, und darauf abermals

grolSe und starke und hohe Schwibbdgen, so dafs es drei Stockwerke hoch ist von Schwibb6gen, wohl so hoch wie kein Haus in Luzern. Und unten in der Erde ist es ganz gew6lbt gewesen, dagf sie im Sommer darunter waren wegen der Hitze; das ist nun ganz eingefallen. Darin hat man vor Zeiten ge- stochen [turniert] und alle Freude gehabt.<< Was hier in unbeholfenen Worten umstandlich

beschrieben wird, ist nichts anderes als ein romi- sches Amphitheater aus der Sicht, der geistigen Augenh6he eines Mannes, dem so ein Anblick noch nie zugestofgen war: der Luzerner Ratsherr Hans Schiirpf, 1497 auf Jerusalemfahrt', steht vor dem Amphitheater von Pula auf Istrien und ringt treuherzig nach Worten, um sich und anderen die- sen befremdlichen und iiberwiltigenden Anblick begreiflich zu machen.

Ungefihr gleichzeitig, wohl 1493, entsteht die Beschreibung eines weiteren Amphitheaters - und die fillt ganz anders aus, weil gesehen aus der Per- spektive eines mit der Antike wohlvertrauten Hu- manisten: des Veroneser Notars Pietro Donato Avogaro (ca. 1446 - 1517), Verfasser von einem guten Dutzend meist kleinerer Schriften, etwa: hi- storisch-antiquarische Abhandlungen fiber seine Heimatstadt (Die friihesten Bisch6fe von Verona; Beriihmte Veroneser; vielleicht auch eine Stadtge- schichte), aber auch Aktuelles (Lob des neu ge- griindeten Monte di Pieti; Beschreibung einer be-

nachbarten lindlichen Villa), Gelegenheitsrheto- rik, und viel Geistliches (Betrachtungen iiber die Dornenkr6nung; JTber einen Vers aus dem Hohen Lied, usw.). Also keine rein humanistische The- matik, und im iibrigen ein iiberaus durchschnittli- cher Autor, kein Flavio Biondo der Lokalarchio- logie - und eben das erlaubt den fairen Vergleich mit dem Luzerner. In seiner um 1493 verfaf8ten Schrift De viris illustribus antiquissimis qui ex Ve- rona claruere2 versucht er den Beweis zu fiihren, zu diesen beriihmten Veronesern sei auch Plinius der Altere zu zihlen. Dagi unter den Wunderbau- ten im 36. Buch seiner Naturalis Historia gleich- wohl das Amphitheater von Verona fehle, erklire sich allein daraus, dagf dieses Bauwerk damals eben noch nicht existiert habe (worin er iibrigens irrte); wie gut es sich sonst in dieses 36. Buch eingefiigt haben wiirde, das zu zeigen ist der eigentliche Sinn von Avogaros ausfiihrlicher Baubeschreibung. Den Unterschied zweier Perspektiven kann man

nicht besser ausmessen, als wenn man, wie in einer Versuchsanordnung, die unterschiedlichen Be- trachter den gleichen Gegenstand in den Blick nehmen li8tt: ein Amphitheater wie hier, oder die- selben Erlebnisse unter denselben Bedingungen wie bei parallelen Reiseberichten3. In dem hier

Dieser Aufsatz wurde Thomas Gelzer zum 6o. Geburtstag iiberreicht.

Sein Reisebericht in: Luzerner und Innerschweizer Pil- gerreisen zum HI. Grab in Jerusalem vom 15. bis 17. Jahrhundert, hrsg. von J. Schmid (Luzern I957); die hier behandelte Stelle: S. 5; zur Person des Verfassers ebda S. XIVff. R. Avesani u. B. M. Peebles, Studies in Pietro Donato Avogaro of Verona, II: R. Avesani, Ii >>De viris illustri- bus antiquissimis qui ex Verona claruere<<, in: Italia me- dioevale e umanistica 5 (I962), S. 48ff. (die hier behan- delte Stelle: S. 77f.). Zur Person und seinen anderen Schriften ebda I, B. M. Peebles, S. 9ff.

3 Zum methodischen Aspekt (der Vergleich von Parallel- berichten ist eine Versuchsanordnung, die Individuali-

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vorgefiihrten Fall haben wir Gelegenheit, die un- terschiedliche Sehweise und Auffassung zweier Menschen in Erfahrung zu bringen, die, wiewohl Zeitgenossen, durch Welten voneinander getrennt sind. Auf der einen Seite der schlichte Biirger von n6rdlich der Alpen, der in einfachen aber eigenen Worten beschreibt, was vor Augen ist: wie formu- liert sein (mit archiologischer Fachsprache noch unvertrauter) Mund, was sein (antiquarisch noch ungeschultes) Auge wahrnimmt? Auf der anderen Seite der gelehrte, von Wissen und Sprache seiner Autoren durchtrinkte Humanist, dem bei einem solchen Monument die Bewiltigung des Ein- drucks kein Problem ist, und der sich iiber die ar- chitektonischen Details mittels einer Fachsprache leicht mit seinesgleichen verstandigt. In Auffassung und Vorgehen beider ist uns der

Humanist selbstverstandlich der Vertrautere: darin erkennen wir uns wieder. Aber wir sollten dariiber doch nicht die Tugend des naiven Hinse- hens, der Neugier, des schlichten Beschreibens verachten und deren Stellenwert fur die weitere Entwicklung verkennen: Anschauung und Pri- gnanz, wie sie etwa in spitmittelalterlichen Reise- berichten aus dem Kreis der Bettelorden entgegen- tritt, hat ihre eigene Wiirde und einen unerh6rten, geradezu modern anmutenden Realititsbezug. Wie farblos und bequem wirken dagegen oft Be- schreibungen aus der Feder von Humanisten (und zumal solchen vom Mittelmagf eines Avogaro), de- nen ihre Gelehrsamkeit und die Abbreviaturen ei- ner Fachsprache bisweilen das Selber-Hinsehen ersetzen. Nein, fiir die weitere Entwicklung wis- senschaftlicher Wahrnehmung geh6rt beides kom-

plementir zusammen: neugieriges, staunendes Se- hen - und gelehrtes Wissen. Doch sehen wir uns die beiden Texte nun niher

an: wie nehmen sie ein solches Monument auf, was erscheint ihnen wichtig, und wie versuchen sie dem Leser Unvergleichliches vergleichlich zu ma- chen? Wir konnen heute davon ausgehen, daft beim blo-

fGen Begriff >Amphitheater, unserem Gesprich-

spartner sogleich Folgendes vor Augen ist: Bau- werk mit elliptischem Grundrif8, aufien mehrere Bogenstellungen jibereinander, im Innern ringsum

Sitzstufen, die sich zur Mitte hin absenken. Und auch jener Veroneser Humanist durfte - nur bei seinem humanistischen Leserkreis natiirlich - be- reits ein solches antiquarisches Grundwissen vor- aussetzen und gleich zum Eigentiimlichen iiberge- hen, weil er das genus bereits durch den Begriff er- klirt wuflte. Anders der Schweizer Ratsherr. Bei ihm und sei-

nen Lesern ist nichts dergleichen vorauszusetzen, er mugf beim Nullpunkt beginnen, bei der Grund- frage: wie sag ich's meinen Luzernern? Was dieser Pilger tut, ist zunichst das OTbliche: er nimmt die lokale Benennung des Bauwerks zur Kenntnis und beim Wort: es ist ein Palast Karls des Grogfen (mit dessen Namen sich eben viel unerklirlich Monu- mentales erkliren liegf, ohne auch nur Geschichte und Mythos voneinander scheiden zu miissen) - also ein nachantikes Bauwerk in einer Stadt, die ausdriicklich als antik

(>>heidnisch,) erkannt wird.

Soviel hat er geh6rt. Doch dann schaut er selbst hin. Was fillt ihm vor allem auf? Zunichst einmal: das Bauwerk ist rund (korrekter: eine Ellipse, und zwar deutlich: 132 zu o05 Meter)4, jedenfalls nicht eckig, und gerade das ist fremdartigs: auf mittelal- terlichen Bildern wird >>heidnische

Stadt,, >>orien-

talische Stadt,,

>>exotische Stadt< gewohnlich durch Rundbauten gekennzeichnet. Weiter: der Bau hat mehr B6gen neben- und iibereinander, als unser Mann je beisammen gesehen hatte: Arkaden nicht als dekoratives Element einer Fassade, son- dern Arkade total: drei Bogenstellungen iiberein- ander (was nicht ganz richtig gesehen ist: das 3. Geschogf hat in Pula nicht B6gen, sondern rechteckige Fenster). Aus allem spricht sein Stau- nen fiber das Unbegreifliche der technischen Machbarkeit; dagf ihn die bautechnische Seite zu-

tit freisetzt) vgl. A. Esch, Gemeinsames Erlebnis- indi- vidueller Bericht, in: Zs. f. histor. Forschung I i (1984), S. 385ff.

4 Zum Amphitheater von Pula A. Gnirs, Pola. Ein Fiihrer durch die antiken Baudenkmiler und Sammlungen (Wien 1915) S. 33ff. und (mir gegenwartig nicht zu- ginglich) M. Mirabella Roberti, L'Arena di Pola (Pola I939). 5 Zu mittelalterlichen Beschreibungen von Rundbauten R. Krautheimer, Introduction to an "Iconography of Mediaeval Architecture", in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 5 (1942), S. Iff.

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tiefst beschiftigte, diirfen wir voraussetzen, da Schiirpf in Luzern immerhin einige Jahre lang das Amt des Stadtbaumeisters ausiibte6. DagS auch die cavea, die Zuschauer-Mulde, mit

ihren Substruktionen ganz aus Stein gewesen sein k6nnte (sie verschwand durch systematische Spo- lien-Entnahme vor allem seitens der Venezianer, die im i6. Jahrhundert dann angeblich sogar das ganze Monument Stein fiir Stein nach Venedig transferieren wollten), iiberstieg wohl seine Vor- stellungskraft: er dachte sich Tribiinen aus Holz7 (>>denn dz holtzwerch ist

erfulet,), so wie er es bei

Turnierplitzen n6rdlich der Alpen wohl gesehen haben mochte. Dag] er sich Turniere in diesem Bauwerk dachte, war naheliegend, zumal er es ja fiir nachantik hielt - niherliegend jedenfalls als die turnierenden Ritter, mit denen noch die (wohl auf Cyriacus von Ancona zuriickgehenden) friihhu- manistischen Rom-Rekonstruktionen im Codex des Giovanni Marcanova das r6mische Kolosseum fiillen!8 (Abb. i). Um eine Vorstellung von den nie gesehenen Di-

mensionen dieses Bauwerks zu geben, iibersetzt der Luzerner Pilger sie in Gr6flenordnungen der Innerschweizer Wirklichkeit: fiir die Grundfliche nimmt er das Tagwerk des Heumihens zu Hilfe, fiir den Aufrifl die H6he von Hiusern in Luzern. Man mugf sich vor Augen halten, dagf die Ver-

gleichsmagfstabe n6rdlich und siidlich der Alpen damals noch durchaus verschieden waren, und dagf solch ein Theater mafg-los grogf wirkt, wenn man es, wie dieser Eidgenosse, an biirgerlicher Wohn- architektur miflt und nicht an h6fischer Palast- architektur. Ganz anders nihert sich einem solchen Monu-

ment der Humanist. Zunichst der Text, Pietro Avogaros Beschreibung des Amphitheaters von Verona (das dem von Hans Schiirpf beschriebenen Amphitheater von Pula iibrigens eng verwandt ist):9

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i. R6misches Amphitheater in der Vorstellung des Friihhumanismus (Codex des Giovanni Marcanova,

um 1465, Ausschnitt)

>>... Noch heute sehen wir jenes edle Amphithea- ter, das gr6ifte Werk von allen die je von Men- schenhand geschaffen und fiir die Ewigkeit be- stimmt waren. Mit ihm k6nnen weder die Wunder der Pyramiden (nicht einmal jene Pyramide, an der in Agypten 36000ooo Menschen 20 Jahre lang gebaut

6 Schmid (wie Anm. i) S. XVIII. 7 Doch stand er damit nicht allein, vgl. P. Stancovich, Dello Anfiteatro di Pola... (Venezia 1822), art. I: Opi- nioni che l'interno fosse di legno (mit Beispielen bis ins 18. Jh.).

8 Chr. Hiilsen, La Roma antica di Ciriaco d'Ancona (Roma 1907), tav. XVIII. Im Amphitheater von Verona

wurden im 16. Jh. nachweislich Turniere geritten, s. Coarelli/Franzoni (wie Anm. 9) S. 88 u. 94.

9 S. o. Anm. 2. Ober das Bauwerk vgl. F. Coarelli u. L. Franzoni, Die Arena von Verona. Zwanzig Jahrhun- derte ihrer Geschichte (Verona 1972), mit materialrei- cher Darstellung der nachantiken Geschichte S. 67ff. (jedoch ohne Kenntnis von Avogaros Beschreibung). Die Amphitheater von Verona und Pola im Vergleich: ebda S. 32.

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haben sollen) verglichen werden noch die staunen- erregenden Werke menschlichen Erfindungsgei- stes, die Labyrinthe, auch die [Labyrinthe bzw. Amphitheater] nicht, die man in Rom und Pola se- hen kann. Das Ganze ist nimlich, wie man sieht, aus Naturstein gearbeitet, wobei die Baumasse so kompakt und so gefiigt ist, dagf ihr die Jahrhun- derte nicht einmal im Verein mit menschlicher

Nachlissigkeit etwas anhaben konnten. Das [Ganze] ist mit Gew6lben gedeckt, und im Innern der Baumasse mit Kanalstollen, durch die das Re- genwasser gefiihrt wird, derart durchzogen, dag sich bis heute noch nicht leicht erkennen lift, von wo es herkommt. Umgeben ist es von Saulen, ohne sogenannte atti-

sche Basen, 284 Stiick von 20 Fufg H6he, die [Siu- len] eingerechnet, die es, den Resten nach zu

schlietgen, an der Augenmauer gegeben haben

muf. Das gr6fte Wunder aber ist das pteron, das

heit8t: das Gebiudeelement, das draugen um die Cavea das ganze Bauwerk umgab [= die Augen- fassade]. Um die Dimensionen dieses Wunderbaus zu veranschaulichen'o, zihle ich auf: fast die ganze Stadtmauer, 3 gewaltige Festungen, 3 prachtvolle Briicken", die auf 15 B6gen und mit mehreren zu ihrer Sicherung im Flug errichteten Tiirmen die Etsch-Ufer miteinander verbinden, und noch an- dere aus den Ruinen [des Amphitheaters] erbaute

6ffentliche Gebiude, die sichtlich aus Stein von hier " gewesen sind. Was soll ich iiber das unentwirrbare Durcheinan-

der der Gew6lbeginge sagen mit ihren vielen Zu-

gingen, um Gegenwege vorzutiuschen oder auf dieselben falschen Wege zuriickzulenken? Was iiber die Kryptoportiken, was iiber die unterirdi- schen Wege in Stollen und Gingen? Was soll ich das IUbrige aufzihlen, das kaum in einem dicken Buch Platz finde? Der Umfang des gesamten Baus betrigt I152 Fuf. Auf die H6he der Cavea geht man - rechnet man nur die, die jetzt iiber der Erde sind - auf 42 im Kreise angeordneten Stufen, wo- bei in ihnen einige Treppen so verteilt sind, daf man leicht hinaufsteigen kann. Auf mittlerer Hohe dieser Sitzstufen befindet sich der sogenannte 14. Rang, von den anderen nur in der Form und nicht in der Breite unterschieden, auf dem nach der Lex

Roscia nur der sitzen durfte, dessen freigeborener Groivater und Vater 400000 Sesterzen besaf. Die Cavea k6nnte I ooooo Menschen fassen, wih-

rend die [des Kolosseums] in Rom nur fiir 40000 reichen wiirde. Die weitere Ausstattung dieses Bauwerks liMt sich nicht beschreiben, weil es durch Zerfall und Vernachlissigung verkommen ist. Bei keinem Autor ist zu erfahren, von wem es gebaut ist oder welcher Architekt den Bau geleitet hat: auch sonst sind ja Sch6pfer von so Grofem in Vergessenheit geraten, nicht so sehr aus Vernach- lissigung, glaube ich, sondern eher, weil das Ge- wicht stidtischer [politischer] Geschifte [nego- tium] alle davon abhilt, sich fiir so etwas zu inter- essieren - denn so etwas zu bewundern ist ge- wahnlich Sache von Leuten, die dafiir Zeit [otium] haben.<< Soweit die Beschreibung des Humanisten. Es

fingt schon ganz anders an. Waihrend der Luzer- ner Pilger das Gebiude zunichst einmal einer Ge- stalt aus Sage oder Geschichte (,keyser Karolus<< ist das eine wie das andere, umso leichter macht er es dem mittelalterlichen Autor) zuordnet und dann gleich zur staunenden Beschreibung des Au- genfilligen, nie Gesehenen iibergeht, beginnt der Humanist mit der Einordnung in das antiquari- sche Begriffsgefiige: Pyramiden, Labyrinthe, Am- phitheater im allgemeinen, die Fille Rom und Pula im besonderen, dazu Kaskaden von riihmenden Attributen: gr6fte... je... Ewigkeit... unver- gleichlich... Bewundernde Worte gelten auch ei- nem bestimmten bautechnischen Detail: dem (tat- sichlich imposanten' 3) Entwisserungssystem. Daf das beschriebene Bauwerk rund sei (das er-

ste, was der Luzerner sich und seinem Lesepubli- kum vor Augen stellt), ist in diesem Text einfach vorausgesetzt: mit dem gleich eingangs eingefiihr- ten Fachbegriff >amphitheatrum< ist fiir einen Hu- manisten und seine Adressaten die Gestalt des Bauwerks schon hinreichend umschrieben; ein

0o d. h. um die urspriingliche antike, durch mittelalterliche Steinentnahme dann stark reduzierte Masse vor Augen zu fiihren.

11 Die drei Stadtfestungen und drei Briicken identifiziert bei Avesani Anm. 214.

x2 S. u. Anm. 23. 3 Coarelli/Franzoni S. 23f-

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Hinweis auf die runde bzw. elliptische Form folgt denn auch erst spat, und beiliufig'4 (fiir italieni- sche Leser begniigte man sich friih auch mit dem vergleichenden Hinweis auf das Kolosseum in Rom'5). Und natiirlich kennt dieser Humanist sei- nen Vitruv und seinen Plinius, weif er die Fachaus- driicke auch en detail: spyrae quae atticae appel- lantur, sogenannte attische Basen'6; cavea Zu- schauermulde; pteron (das hat er aus Plinius, ge- briuchlicher wire die lateinische Bezeichnung ala) Fassade des iufgeren Giirtels; cryptoporticus Kryp- toportikus, usw.

Wihrend die Mafe beim Luzerner in heimische Vergleiche iibersetzt werden, sind sie hier in abso- luten Zahlen angegeben: Umfang I 52 Fug (das ist, bei Durchmessern von tatsichlich 520:420 FuI'7, zu niedrig angesetzt- aber nicht darum geht es uns hier); Zahl und Hbhe der Pilaster'8; und na- tiirlich - danach wiirde man auch heute sofort fra- gen, denn damit verstandigt man sich am leichte- sten - das Fassungsverm6gen: die Schitzung von 1ooooo Zuschauern ist natiirlich grotesk fehlge- griffen, mit knapp 30000 Zuschauern'9 steht Ver- ona hinter dem Kolosseum und Pozzuoli unter den Amphitheatern in Italien immerhin an dritter Stelle. Unser Humanist sieht wenig, aber er weifg viel -

und das hat er mit so manchen Humanisten ge- mein, deren Zugang auch zu den antiken Monu- menten, auch zur antiken Topographie, oft nicht iiber die eigenen Augen, sondern iiber die antiken Autoren geht20. Bei der vorliegenden Baubeschrei- bung wird das besonders deutlich, da der Verfas- ser, den das Fehlen des Amphitheaters von Verona in Plinius' Naturalis Historia so geniert, in be- fremdlicher Weise for die eigene Beschreibung dieses Monuments doch just aus diesem Text eine Fiille von Zitaten entnimmt: est autem saxo na- turali elaborata; molibus compositis, quas dissol- vere ne saecula quidem possint; perveniunt ad viarum illum inexplicabilem errorem; crebris fori- bus inditis adfallendos occursus redeundumque in errores eosdem und vieles andere mehr"I. Oder - mit kennzeichnender Abwandlung - inter omnes eos non constat, a quibusfactae sint, iustissimo casu obliteratis tantae vanitatis auctoribus.

Bei Plinius beziehen sich diese Stellen nun keines- wegs auf Amphitheater, sondern durchweg (da simtlich Kap. 12 und 13 von Buch 36 entnommen) auf Labyrinthe (und allenfalls Pyramiden)! Der Vergleich mit Labyrinthen ist zwar nicht abwegig, fiir humanistischen Anspruch aber doch unzulis- sig, selbst wenn im lokalen Sprachgebrauch seiner Zeit das Amphitheater von Verona vielfach als La- byrinth bezeichnet wurde.22

Jedenfalls erweist sich so einiges, das wie selbst beobachtet wirkt, als w6rtlich aus Plinius iiber- nommen und aneinandergereiht - denn die Huma- nisten, die auf die Autoritaitsgliubigkeit mittelal- terlicher Autoren so sehr herabsehen, sind ihrer- seits nicht davor gefeit, Autorititen anheimzufal- len, nur eben: anderen Autorititen. Daf Avogaro bei bestem Verstandnis seiner antiken Autoren doch dabei auch einmal in die Irre geht, ist verzeih- lich in einer Zeit, die schlieglich noch nicht iiber eine Realencyclopidie oder kritische Editionen verfiigte: wenn er im mittleren Umgang des Am- phitheaters einen privilegierten Rang fiir den Rit- terstand zu erkennen glaubte23, so war das ein Mifgverstindnis der Lex Roscia, die nicht eine 14. Sitzstufe, sondern die ersten 14 Sitzstufen fiir die- sen Stand reservierte.

'4 in girum; ambire; ambitus. 'S So etwa bei der Erwihnung des Amphitheaters von Pula

1345 schon Niccol6 da Poggibonsi, Libro d'Oltramare (ed. A. Bacchi della Lega, Bologna 1881) I S. 12.

'6 Vgl. Avesani zu Zeile 210o. '7 Coarelli/Franzoni S. 23. 18 Die Zahl von 284 ist nicht recht erfindlich; oder sie

meint die Pilaster von i. und 2. Stockwerk in i. und 2. Giirtel: 4 X 72.

'9 Coarelli/Franzoni S. 32. 20 Dazu R. Krautheimer, Humanists and Artists, in: ders.

(in collab. with Tr. Krautheimer-Hess), Lorenzo Ghi- berti (Princeton 1956), Kap. XIX.

21 Zusammengestellt bei Avesani zu Z. 200-205, 205-230, 230-232 (aus Plinius auch die Konstruktionsdaten der Pyramide): Naturalis Historia (edd. L. Ian - C. May- hoff, V, Leipzig 1897) XXXVI, 77, 86, 87, 85-

22 Ebda. zu Z. 203; Coarelli/Franzoni S. 72. 23 Eine gliedernde Stufe ungefiihr auf halber H6he der ca-

vea war noch bis ins 16. Jh. zu sehen, verschwand dann aber bei Erneuerung der Stufen (Coarelli/Franzoni S. 84); s.a. Avesani zu Z. 226-227; doch darf man, ge- gen Avesani ebda., vielleicht davon ausgehen, dagf Avo- garo den klassischen Sprachgebrauch kannte und mit se- stertia (unter Auslassung von milia) je tausend Sesterzen bezeichnete.

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2. Giovanni Bellini oder Schule, Vinzenz Ferrer-Altar Venedig, Predella, Ausschnitt: Ruine eines Amphi-

theaters (um 1465)

Wihrend der Luzerner sein Amphitheater nur in einer einzigen Zeitebene begreifen konnte (wobei die Nennung Karls des Grotfen natiirlich nicht eine Datierung ,,zweite

Hilfte des 8. Jahrhun- derts<< meint, sondern, der Lokaltradition folgend, einfach einen der grotfen iiberzeitlichen Stifterhe- roen ins Spiel bringt), vermag der Humanist sein Monument durchaus in seiner historischen Tiefen- dimension zu sehen - und wie sollte er nicht, da er sich doch aus seiner erleuchteten Gegenwart, iiber die bedauerliche Episode eines finsteren Mittelal- ters hinweg, auf den antiken Ursprung dieses Mo- numents bezog? Worin er diesen Durchgang er-

fihrt, ist als Beobachtung bemerkenswert: es ist die Spoliierung, die Stein-Entnahme, die im Laufe des Mittelalters die antike Bausubstanz betricht- lich reduziert hatte zu dem Zwecke, mit diesem Material Stadtmauern, Briicken und andere 6ffent- liche Bauten zu errichten. Was der Luzerner fiber- haupt nicht erkannt hitte: der Humanist bemerkt Spoliierung bzw. Wiederverwendung sogar an- hand gew6hnlicher, nicht ornamentierter Bau- stiicke, also etwa blotter Quader, wie seine Bei- spiele vermuten lassen24. Das bringt in die sonst rein antiquarische Auffas-

sung eine andere, eigentlich historische Kompo- nente, wie sich auch sonst fir diese Zeit zeigen litt, etwa in der Darstellung >historischer< Mauern bei Andrea Mantegna25, dem iibrigens auch die Al- tertiimer Veronas nicht unbekannt waren. Die Ge- schichte des Monuments, und was die Zeit ihm seit seiner Errichtung angetan hat, wird (mit elegi- schem Unterton natiirlich) eben auch von Avo-

garo wenigstens kurz zur Kenntnis genommen. Roland oder Theoderich oder die Riesen, so etwas hat da keinen Platz mehr, ja wird von Humanisten damals ?Dunkelmainnern<< in den Mund gelegt, da diese den grandiosen Eindruck des Amphitheaters von Verona eben nicht fassen k6nnen: >,Dort [in Verona] sahen wir das Haus des Dietrich von Bern, wo er selbst wohnte und wo er viele Riesen, die mit ihm kimpften, iiberwand und t6tete(26. So hat zu schreiben, wem Humanisten jedes Antiken-

verstindnis absprechen. Noch gegen I6oo wird der Basler Andreas Ryff

mit dem blofgen Begriff ,alttes theatrum oder spill-

hau&,< bei sich und seinen Lesern eine verbindliche

Vorstellung von der Gestalt nicht voraussetzen kbnnen und bei der Beschreibung des Amphithea- ters von Verona umstindlich vorgehen miissen: er sieht ein ofaal (Oval) - und da er seinen Begriffen mifgtraut (mit Recht, eine Ellipse ist kein Oval) oder sie nicht allgemein voraussetzen mag, litft er uns noch deutlicher wissen, das Amphitheater sei in einem verdruckten zirckel gebouwen, in Form eines zerdriickten Kreises7. Wihrend also dieser Basler noch um i 6oo von der

unbeholfenen Beschreibung des Augenscheins ausgehen mug3, um den Begriff ,antikes

Theater? mit Anschauung zu fiillen, geht ein Venezianer schon um 1470 den umgekehrten Weg, vom Be- griff zur Anschauung, als er das Stadion von Athen beschreibt: theatro non in forma rotunda ma longa!28 Wenn man, wie dieser antiquarisch und epigraphisch interessierte jiingere Zeitgenosse des Cyriacus von Ancona, bei seinesgleichen voraus- setzen durfte, dafg sich mit dem blofgen Begriff the-

24 Saxum domesticum darum wohl in dem Sinne: >Stein von

hier,, >>in unserem Stadtbereich

gefunden,, nim-

lich: wiederverwendet (vgl. Cicero, Orator 132: uterer exemplis domesticis, ,Beispiele von mir

selbst,). 2s A. Esch, Mauern bei Mantegna, in: Zeitschrift fiir Kunstgeschichte 47 (I984), S. 293 ff.

26 Epistolae obscurorum virorum II 12 (hrsg. von A. B6- mer, Heidelberg 1924).

27 A. Ryff, Reisebiichlein hrsg. von F. Meyer, in: Basler Zeitschrift fiir Geschichte und Altertumskunde 72 (1972), S. 63.

28 E. Ziebarth, Ein griechischer Reisebericht des i . Jhs., in: Mitteilungen des Deutschen Archaolog. Instituts, Athen. Abt. 24 (1899) S. 75.

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3. Codex Escurialensis: das Kolosseum (um 1490) 4. Pieter Bruegel d.A.: Turmbau zu Babel, oberer Abschlufg (I563)

atro bereits eine Vorstellung von der Gestalt ver- band, dann war >>lingliches Theater<< fiir die Be- schreibung eines Stadions wirklich eine treffende Kurzformel. Denn es ist dies ja auch die Zeit, in der aus neuem

Verstandnis fiir die Eigenheiten r6mischer Bauten und fiir die historischen Verletzungen antiken Mauerwerks auch in der Malerei Amphitheater erstmals in ihrer Ruinenhaftigkeit angemessen dargestellt werden, wie sie da in ihre monumenta- len, die cavea konzentrisch tragenden Mauergiirtel zerfallen (die Darstellung intakter Amphitheater ist friiher und einfacher): man denke an das Am- phitheater auf Giovanni Bellinis Vinzenz Ferrer- Altar in Venedig von etwa 1465 (Predella, links) oder an den Blick in die Substruktionen des Kolos- seums schon im Codex Escurialensis (um 1490); und noch der obere Abschlugf von Pieter Bruegels >>Turmbau zu Babel<< ist ohne Anschauung einer Amphitheater-Ruine schwer zu denken29 (Abb. 2 - 4).

Wihrend sich fiir den Luzerner und seinesglei- chen das Vakuum des Unerklirlichen und Unver- standenen immer sogleich mit Sagenhaftem auf- fiillt, li~ft der Humanist Fragen, auf die er aus den antiken Autoren oder aus dem Befund eine Ant- wort nicht erhalten hat, als offene Fragen stehen (und nicht anders gehen wir heute vor): non con- stat. So sucht er, beispielsweise, in seinen Autoren vergeblich Nachrichten iiber den Erbauer (Schiirpf suchte nicht, er wuflte: Kaiser Karl). Noch in Avogaros Erklirungsversuch fiir diese Oberlieferungsliicke zeigt sich der tiefe Unter- schied beider Autoren: die Gegeniiberstellung von negotium (politische Geschifte im Dienste der Stadt, die alle Gedanken absorbieren) und otium (Mufle, oder Abk6mmlichkeit, ohne die man sich antiquarisches Interesse gar nicht leisten k6nne) ist

29 Zwei Darstellungen des Amphitheaters von Verona aus der i. Hilfte des i6. Jhs. (Bonifacio de' Pitati, Sacra Conversazione; Marcello Fogolino, Geburt Christi) bei Coarelli/Franzoni S. 8of.

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ein Gedanke, den unser Luzerner Ratsherr nicht - gerade noch nicht - niedergeschrieben hitte, ob- wohl er, immer wieder in verantwortungsvollen Amtern seiner Stadt, vom 6ffentlichen negotium doch noch mehr betroffen war als der Veroneser Humanist! Freilich: er empfand diese Spannung

eben so auch nicht, verstand unter Freizeit etwas, das der Humanist nicht als otium hiitte gelten las- sen, und hatte auch nicht die Worte dafiir. Nicht mehr lange, so sollte auch ihm und seinesgleichen Cicero dazu die Worte leihen.

Anhang

Hans Schiirpf

Demnach kament wir jn ein porten, die statt heist Pola. Pola jst ein hejdische statt gesin vnd ist wol anderhalb mal als grog gewesen, als Vened?. Vnd wart zerst6rtt ein mal von den Kriechen, zuom andern mal vom kiing von Vngern, so das sy jetz nit gr6sser ist, den Lucern; zum dritten mal als keyser Karolus dz gantz Kriechen- land gewan, do gwan er ouch das gantz land Ystria, das jetz alls der Venediger ist. Do satzt er sinen bruoder, hiegf Rolandt, darjn vnd macht jnn zuo eim hovptman i?ber beyde landt vnd liegf jnn buwen ein schlos, des ge- miirs noch vil stat, das nit gloublich ist, wie starck es ist vnd vie witt vnd hoch. Vsserhalb der statt buwt er einen balast sim selb, zuo einem brunen, der statt noch gantz von den muren, denn dz holtzwerch ist erfulet. Der ba- last ist gantz sinwel vnd so witt, das ein mider das nit m6cht wol eins tags abmeygen, wenn es jnwendig an gragf stiindt; vnd statt vnder gantz vff schwibogen, sind vast hoch vnd stark; vnd vff denselben schwibogen aber vast starck schwibogen ze ringvmb; vnd darvff aber grogf vnd starck vnd hoch schwibogen, so das es drier gmachen hoch ist von schwibogen, wol als hoch, alf kein hugf jn Lucern. Vnd vndenn jm herdt ist es gantz gewelpt gsin, das s jm summer darvnder waren fiir die hitz; dz ist nun gantz jngefallen. Darjn hatt man vor zit- ten gestochen vnd alle fr6iid gehept.

Merck wo vor zjtten ist der bipschtlich stuel gesin.

Jn den zitten, als die stitt jn eren ist gestanden, so ist der bipstlich sitz da gesin vnd nit ze rom; denn die Heyden wurdent gar darvi geriit vnd vertriben. 1---1 Wir heind ouch gesechen vor der statt ein halb mil schi- benwifg vmb die statt jn holtz, veld, acker vnd jn win- garten ob iijc sch6ner greber jn stein gehuwen vnd vff jetlichem ein teckel von marmelstein. Sindt dasselb alle heydengreber gsin vnd sind noch der merteil vol ge- beins.

Pietro Avogaro

...nostrae magnificentiae vera admiratio, quod vide- mus amphitheatrum illud nobile, opus maximum om- nium quae unquam fuere humana manu facta aeternita- tis etiam destinatione, cui neque pyramidum miracula, ne illius quidem quam in Aegypto trecenta sexaginta hominum milia annis viginti contruxisse produntur, neque labyrinthorum portentosissima humani ingenii opera, neque eorum quae Romae et Polae visuntur, comparari possunt. Totum nanque, ut videmus, e saxo naturali elaboratum est, molibus ita compactis atque compositis, ut dissolvere saecula ne hominum quidem desidia potuere. Fornicibus tectum est, aquaeductibus ita inclusis [ut], cuniculis per molem actis, quibus aquae pluviae cursus agitur, ut unde derivetur usque in hoc tempus dinosci non facile possit. Cingitur autem columnis absque spyris quae atticae appellantur .cclxxxiiii. viginti pedum altitudine, illis additis, quas in mole quae extra caveae murum est ex vestigiis fuisse constat. Summa miracula pteron, hoc est aedificii moles ipsa, quae extra murum caveae totum opus ambire cer- nebatur. Ad quorum miraculorum declarandam ampli- tudinem, omnia fere civitatis moenia >commemoro<, tres arces maximas, tres pontes nobilissimos, qui Athe- sis ripas arcubus .xv., pluribus etiam turribus in flumine locatis, ne laxatis arcuum molibus cedere possent, co- niungunt, aliaque publica opera eius ruinis facta, quae ex saxo domestico fuisse videmus. Quid inexplicabilem fornicum errorem, crebris foribus inditis, vel ad fallen- dos occursus, vel ad redeundum in errores eosdem? Quid cryptoporticus? Quid fossis, cuniculis subterra- nea itinera? Quid reliqua commemorem, quae vix ma- gno volumine complecti possent? Universae moli am- bitus pedum mille centum quinquaginta duorum. Ad caveae summitatem gradibus in girum, ex iis qui nunc a terra supersunt, quadraginta duobus itur, scalis in eis aliquibus ita dispositis, ut facilis ascensus esset; in ip- sorum autem graduum medio ille est qui quartusdeci- mus appellabatur, ab aliis non ambitu sed forma tantum discretus, in quo, iuxta Roscii Othonis legem, nisi cuius avo patrique ingenuo quadringenta sextertia fuissent,

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sedebat. Cavea ipsa hominum centum milia capere pos- set, quom ea quae Romae est ad quadraginta tantum mi- lia sufficeret. Caetera eius molis ornamenta, quom rui- nis atque desidia neglecta et desolata sit, describi non possunt. Inter omnes vero auctores non constat a qui- bus factum sit, vel qui praefuerit architectus, oblittera-

tis alias tantae magnificentiae auctoribus, quod nego- tiorum civitatis magnitudine magis, quae omnes a con- templatione talium abducit, quam aliqua desidia factum esse crediderim: quoniam ociosorum admiratio talis esse solet.

Aufnahmen: I Hiilsen, Roma antica di Ciriaco d'Ancona. - 2 Postkarte. - 3 Egger, Codex Escurialensis.- 4 Kass/ Varga, Turmbau zu Babel.

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