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Vereinigung von Städten, Gemeinden und Schutzvereinen gegen die schädlichen Auswirkungen des Luftverkehrs; gegründet 1967; Amtsgericht Darmstadt VR
50441; Sitz des Vereins: Mörfelden-Walldorf; vom Umweltbundesamt anerkannte Umweltvereinigung nach § 3 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG); Vorstand:
Präsident und 1. Vorsitzender: Dipl.-Oec. Helmut Breidenbach, Potsdam; Vizepräsidenten und stellvertretende Vorsitzende: Dr.-Ing. Berthold Fuld, Bad Homburg,
Helmar Pless, Essen, Rainer Teschner-Steinhardt, Berlin; Schatzmeisterin: Dipl.-Kfm. Christine Jäckel, Bremen; Pressesprecherin: Ina Hauck, Frankfurt/Main;
Webmaster: Dipl.-Ing. Karsten Schulze, Hallbergmoos; Bank: Commerzbank Düsseldorf, Bank: Commerzbank Düsseldorf, BLZ 300 400 00, Konto-Nr. 85 500
3000; IBAN: DE83 3004 0000 0855 0030 00; BIC: COBADEFFXXX
Geschäftsstelle: . Grupellostrasse 3, 40210 Düsseldorf,
Telefon (0211) 668 5071, Fax (0211) 668 5073
e-mail: [email protected]
Website: www.fluglaerm.de
Geschäftszeiten: Mo, Mi, Fr: 9 - 15 Uhr
24.05.2016
Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Bauen, Wohnen, Stadt-
entwicklung und Verkehr am 31. Mai 2016
„NRW braucht ein Landesluftverkehrskonzept!“ – Antrag der Fraktion der PIRATEN
(Drucksache 16/9584) in Verbindung mit
„Stillstand in der Luftverkehrspolitik beenden – NRW-Luftverkehrskonzeption 2010
endlich fortschreiben“ – Antrag der Fraktion der FDP (Drucksache 16/9599)
Stellungnahme der Bundesvereinigung gegen Flug-
lärm (BVF) e.V. vertreten durch Helmar Pless
Frage 1
Was sind Ihrer Meinung nach zurzeit die bestimmenden Trends im
Luftverkehr?
Trend 1: Liberalisierung und anhaltende Subventionierung des Luftverkehrs
Die Liberalisierung des Luftverkehrssektors in der Europäischen Union hat in den letz-
ten zwei Jahrzehnten für deutlich gesunkenen Ticketpreise gesorgt und das rasante
Wachstum von Low-Cost-Fluggesellschaften beflügelt. Eine weitere wesentliche Ursa-
che für den Wachstumsboom ist eine umfassende Subventionierung des Luftverkehrs.
Während Dieselloks, Autos und Busse selbstverständlich versteuerten Kraftstoff tanken,
zahlen Fluggesellschaften keine Kerosinsteuer. Bei Flügen ins Ausland verzichtet der
deutsche Fiskus sogar auf Einnahmen aus der Mehrwertsteuer. Die Steuerbefreiungen
des Luftverkehrs erreichen laut Subventionsbericht des Umweltbundesamtes jährlich
eine Höhe von 6,9 Milliarden Euro für die Kerosinsteuerbefreiung und 3,5 Milliarden Eu-
ro für die Befreiung der internationalen Tickets von der Umsatzsteuer (Bezugsjahr
2010).
Trend 2: Zunehmende Verwischung der Unterschiede zwischen Low-Cost-
Fluggesellschaften und traditionellen Linienfluggesellschaften
Das Geschäftsmodell der klassischen europäischen Linienfluggesellschaften steht im
innereuropäischen Flugverkehr unter Druck. Hier ist der Anteil der Low-Cost-Carrier von
unter 20 Prozent im Jahr 2004 auf über 40 Prozent im Jahr 2014 gewachsen. Allerdings
- 2 -
verwischt die ursprüngliche klare Trennung zwischen den „Billigfliegern“ einerseits und
dem traditionellen Linienverkehr zunehmend.1 Stattdessen hat sich auch bei den traditi-
onellen Linienfluggesellschaften ein stark differenziertes Angebot verschiedener Quali-
täts- und Preisstufen ausgebildet. Eine anhaltende Effizienz- und Leistungssteigerung
der Branche sowie ein Konzentrationsprozess im internationalen Luftverkehr gehen
damit einher. In Zukunft werden nicht mehr traditionelle und Low-Cost-Unternehmen
miteinander konkurrieren, sondern Nischen- und Universalanbieter. Universalanbieter
decken die gesamte differenzierte Bandbreite an Preis- und Qualitätsstufen ab. Dabei
helfen Tochtergesellschaften und Kooperationen. Währenddessen spezialisieren sich
Nischenanbieter auf bestimmte Segmente.
Trend 3: Wachsende Anforderungen an den Klimaschutz beim Flugverkehr
Der Luftverkehr ist einer der am schnellsten wachsenden Treibhausgasquellen. Der
europäische Luftverkehr wird voraussichtlich um weitere 45 Prozent zwischen 2014 und
2035 ansteigen. Dies hat eine weitere Steigerung der CO2-Emissionen in Höhe von 45
Prozent und der Stickoxide um 43 Prozent bis zum Jahr 2035 zur Folge.2 Laut der Ver-
kehrsprognose für den Güter- und Personenverkehr rechnet die Bundesregierung für
das Jahr 2030 mit einer Steigerung des Luftverkehrs um ca. 65 Prozent gegenüber dem
Basisjahr 2010.3
Die Zunahme des Flugverkehrs gefährdet die Einhaltung der Klimaschutzziele Deutsch-
lands sowie der Europäischen Union. So wird vom Verkehrssektor innerhalb der EU
eine Verringerung der Treibhausgase um 20 Prozent bis 2030 verglichen mit dem Jahr
2008 und um 70 Prozent bis zum Jahr 2050 erwartet.4
Das Protokoll von Kyoto zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über
Klimaänderungen aus dem Jahr 1997 verlangt, dass bis 2016 ein globales marktbasier-
tes Instrument zur Minderung von Emissionen beschlossen werden soll, um auf dessen
Grundlage ab dem Jahr 2020 die CO2-Emissionen des internationalen Luftverkehrs, der
etwa 65 Prozent des weltweiten Luftverkehrs ausmacht, zu stabilisieren.
Im Jahr 2012 wurden alle Flüge, die auf einem in der Europäischen Union sich befin-
denden Flugplatz enden oder von dort abgehen, in das bereits bestehende System für
den europäischen Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten einbezogen. Bis 2020
werden den Luftverkehrsunternehmen 82 Prozent der festgelegten Emissionszertifikate
kostenfrei zugeteilt, weitere benötigte Zertifikate müssen am Markt erworben werden,
zu aktuell unter 8 Euro pro emittierter Tonne CO2.
Die Europäisch Union hat außerdem eine beständig steigende Beimischungsquote von
CO2-neutralen oder CO2-armen alternativen Treibstoffen (Biokerosin, BtL-, PtL-Kerosin)
auf 16 Prozent für Flüge innerhalb der EU bis zum Jahre 2030 festgelegt.
1 Vgl. Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt: Low Cost Monitor 2/2015 - . Der aktuelle Markt der Low Cost
Angebote von Fluggesellschaften im deutschen Luftverkehr, Herbst 2015, Seite 2. 2 Dies steht im ersten Umweltbericht zur europäischen Luftfahrt, den die Europäische Kommission am 29.01.2016
veröffentlicht hat (EASA, EEA, EUROCONTROL, European Aviation Environmental Report 2016). 3 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Bundesverkehrswegeplan 2030 – Entwurf März 2016,
Seite 68. 4 Europäische Kommission: Weissbuch - Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum – Hin zu
einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem (KOM(2011) 144 endgültig) vom 28.3.2011, Seite 3 ff.
- 3 -
Trend 4: Zunehmende Sensibilität der Bevölkerung gegenüber Fluglärm
Zwar sind neue Flugzeuge in den letzten Jahrzehnten deutlich leiser geworden, doch
der rasante Anstieg des Luftverkehrs und der lange Einsatz älterer Flugzeugtypen ha-
ben zur Folge, dass die Lärmbelastung für die Bevölkerung trotzdem nicht signifikant
sinkt, sondern teilweise weiter zunimmt. Die Lärmwirkungsforschung hat nachgewiesen,
dass die Belästigungsreaktionen bei den Betroffenen in den letzten Jahrzehnten deut-
lich angestiegen sind. Gründe hierfür sind die zunehmende Häufigkeit der Fluglärmer-
eignisse mit Wegfall von Lärmpausen und die Ausweitung des Flugbetriebs auf lärm-
sensiblere Zeiten am frühen Morgen, am späten Abend, am Wochenende und in der
Nacht. In der Zukunft könnte sich diese Entwicklung verstärken. Immerhin geht die Eu-
ropäische Union davon aus, dass bei einem Wachstum des Luftverkehrs um weitere 45
Prozent zwischen 2014 und 2035 künftig 15 Prozent mehr Menschen in der Europäi-
schen Union mit Fluglärm belastet werden.5
In der jüngeren Rechtsprechung verlangt das Bundesverwaltungsgericht eine erhöhte
Rechtfertigung für einen Nachtflugbetrieb und unterstreicht somit die besondere Bedeu-
tung einer nächtlichen Kernruhezeit. Der Trend geht hier klar zu einem Nachtflugverbot
zum Schutz der gesetzlichen Nachtruhe. Nur eine durchgängige Ruhezeit von mindes-
tens acht Stunden erfüllt die Anforderungen des § 29b des Luftverkehrsgesetzes, der
sich auf Artikel 2 Abs. 2 des Grundgesetzes (Recht auf körperliche Unversehrtheit)
stützt.6
Frage 2
Welche Auswirkungen haben die Entwicklungen im Luftverkehrs-
markt auf die Flughafenstruktur global und national?
In den letzten Jahren sind sehr große Flughäfen außerhalb Europas (Dubai, Doha und
Abu Dhabi) entstanden bzw. entsteht ein sehr großer Flughafen in Istanbul. Diese neu-
en Hubs schalten sich in den internationalen Wettbewerb um Passagiere ein. Europäi-
sche Fluggesellschaften und traditionelle Hubs, wie die Flughäfen Frankfurt am Main
und München, empfinden die neuen Wettbewerber als Bedrohung. Aus Sicht der Rei-
senden sind sie dagegen eine interessante Ergänzung des Luftverkehrsangebotes. Es
spricht deshalb wenig dagegen, die Flughäfen in NRW stärker als bisher mit bestehen-
den sowie den neu entstehenden Hubs mit attraktiven Verbindungen zu verknüpfen.
Dies kann auch über attraktive Schnellverbindungen auf der Schiene erreicht werden.
Frage 3
Welche Probleme, Herausforderungen und Perspektiven sehen Sie
speziell für kleinere Verkehrsflughäfen?
Europaweit lässt sich an den kleineren Flughäfen ein Rückgang bei Fluggastzahlen und
Flugbewegungen erkennen. Da Airlines Kostenvorteile durch Konzentration erzielen
5 EASA, EEA, EUROCONTROL, European Aviation Environmental Report 2016, Seite 8.
6 Vgl. Sachverständigenrat für Umweltfragen: Fluglärm reduzieren: Reformbedarf bei der Planung von Flughäfen
und Flugrouten – Sondergutachten, März 2014, Seite 25.
- 4 -
wollen, ziehen sich viele Fluggesellschaften von diesen Standorten zurück. Dieser
Trend ist auch in Nordrhein-Westfalen zu beobachten. Regionalflughäfen konnten sich
lange dank massiver staatlicher Subventionierung behaupten. Diese Flughäfen hängen
in der Regel sehr stark oder ausschließlich vom Low-Cost-Angebot ab. Künftig verlieren
kleinere Flughäfen jedoch an Attraktivität für Low-Cost-Flugverkehre, während größere
deutsche Verkehrsflughäfen einen wachsenden Anteil an Low-Cost-Verkehrszahlen
aufweisen.7
Das Geschäftsmodell der auf Low-Cost-Angebote spezialisierten Regionalflughäfen
wird inzwischen auch durch die neue „Leitlinie für staatliche Beihilfen für Flughäfen und
Luftverkehrsgesellschaften“ der EU-Kommission8 massiv in Frage gestellt. Betriebsbei-
hilfen für Regionalflughäfen (zwischen 200.000 und 3 Mio. Passagiere pro Jahr) werden
demnach von der EU-Kommission lediglich nur noch für einen Übergangszeitraum von
zehn Jahren (beginnend ab April 2014) gewährt. Diese dürfen maximal 50% der durch-
schnittlichen Betriebskosten des gesamten Zeitraums betragen. Bei kleineren Airports
(bis 700.000 Passagiere pro Jahr) kann die maximale Beihilfeintensität für die ersten
fünf Jahre nach Beginn des Zeitraums bis zu 80% betragen. Im Umkehrschluss bedeu-
ten diese Regelungen, dass sämtliche Airports nach der Übergangszeit von zehn Jah-
ren ihre Betriebskosten komplett selbst decken müssen. Die EU-Kommission unter-
scheidet bei der Beihilfe-Regelung zwischen Finanzierungs- und Anlaufbeihilfen. Erste-
re sind Hilfen für den Flughafen (Zinsen, Gutachten, Bürgschaften, direkte Mittel, preis-
werte Grundstücke, Steuernachlässe, ...). Anlaufbeihilfen werden Fluglinien gewährt
(Marketingzuschüsse, nicht kostendeckende Abfertigungspreise, Rabatte, ...).
Die Auswirkungen dieser neuen Beihilfe-Regelung auf die deutschen Regionalflughäfen
werden von der Deutschen Bank folgendermaßen beschrieben: „Werden die hier skiz-
zierten Leitlinien in den nächsten Jahren mit Leben erfüllt, bedeuten sie für die Finan-
zierung von Regionalflughäfen eine hohe Hürde. Die jeweils zuständigen Gebietskör-
perschaften, die etwaige Beihilfen gewähren, müssen sich künftig versichern, dass die
begünstigten Flughäfen einen großen Teil ihrer Kapitalkosten und langfristig auch ihre
Betriebskosten verdienen können. Dazu könnte es z.B. notwendig werden, die Gebüh-
ren für die Airlines nach oben anzupassen, neue Fluggesellschaften als Kunden zu ge-
winnen, neue sonstige Einnahmequellen zu erschließen und/oder Rationalisierungs-
maßnahmen zu ergreifen. […] Angesichts der zuletzt sinkenden Passagierzahlen an
jenen Airports sowie ungünstiger Prognosen zur künftigen Verkehrsentwicklung wird es
den Flughafenbetreibern aber schwer fallen, ihre Umsätze zu steigern.“9
Die neue Beihilfe-Regelung kann insbesondere für den Flughafen Dortmund existenz-
bedrohend werden. Der Flughafen Dortmund muss künftig seine operativen Verluste
berechnen und innerhalb der kommenden 10 Jahre abbauen. Die Berechnungen müs-
sen in Brüssel genehmigt werden, ebenso der 10-Jahres-Plan. Es besteht auch eine
maximale Beihilfeintensität von 50%, die sich wie folgt berechnet: angenommener Ope-
rativer Verlust 4 Mio. x 10 Jahre x 50% = 20 Mio. Euro. Wenn also ein Flughafen mit 4
7 DIW Econ, MKmetric, Uniconsult, Waldeck Rechtsanwälte, TU Darmstadt, Ludwig-Bölkow-Systemtechnik:
Grundlagenermittlung für ein Luftverkehrskonzept der Bundesregierung, Schlussbericht vom 30. 11. 2015, Seite 25. 8 Vgl. EU-Kommission: Leitlinien für staatliche Beihilfen für Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften. Amtsblatt
der Europäischen Union 2014/C 99/03. Brüssel. 9 Deutsche Bank Research: Regionalflughäfen politisch und wirtschaftlich unter Druck, 2. Juli 2015, Seite 11, 12.
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Mio. operativer Verlusten pro Jahr die ersten 5 Jahre einfach verschläft und kein syste-
matischer Abbau stattfindet, kann der 10-Jahres-Plan schon zuvor sichtbar nicht mehr
aufgehen. Für Dortmund gibt es einen 10-Jahres-Plan 2014- 2014, der in Brüssel vor-
liegt, aber noch nicht genehmigt wurde.
Am Dortmunder Flughafen belaufen sich die operativen Verluste im Sinne des EU-
Beihilferechts auf ca. 3 bis 6 Mio. Euro pro Jahr. Der Rest der Verluste von ca. 13-16
Mio. Euro Verluste sind "Nachwirkungen" aus der Zeit, in der die EU-Kommission Flug-
häfen als förderfähige öffentliche Infrastruktur eingestuft hat. Beihilfen für den Bereich
Sicherheit (Polizei, Zoll, Luftaufsicht, ...) sind keine Beihilfen im Sinne des EU-
Beihilferechts.
Auch für den Flughafen Niederrhein wird die Beihilferegelung der EU zum Problem
werden, denn in Abhängigkeit von der Flughafengröße sind künftig Investitionen nur
noch quotal durch die öffentliche Hand förderfähig. Hier müssten dann private Investo-
ren einspringen. Der Flughafen Weeze zeigt jedoch, dass in der Vergangenheit nicht
der private Investor sondern die öffentliche Hand (Kreis Kleve und Stadt Weeze) finan-
ziell eingestanden ist (siehe unten!).
Air Berlin, die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands, steckt in einer schweren Kri-
se. 2015 wies die Airline einen Rekordverlust in Höhe von 446 Millionen Euro auf (Vor-
jahr: 376 Mio. Euro), das negative Eigenkapital liegt mittlerweile bei 799 Mio. Euro
(nach 415 Mio. Euro in 2014), die liquiden Mittel liegen nur noch bei 150 Mio. Euro.10 Air
Berlin ist angesichts dieser Entwicklung auf Gedeih und Verderb vom größten Anteils-
eigner Etihad Airways aus Abu Dhabi angewiesen, der Air Berlin zuletzt im Frühjahr
2016 erneut massiv finanziell unter die Arme gegriffen hat. Mit einem Wechsel seines
Geschäftsmodells vom Low Cost- und Ferienflieger hin zur Netzwerk-Airline mit ver-
stärktem Premiumsegment und mehr Langstreckenangeboten will die Airline wieder in
die schwarzen Zahlen kommen. Das Streckennetz soll sich immer mehr auf Düsseldorf
und Berlin konzentriert werden. Das macht sich auch an den NRW-Regionalflughäfen
bemerkbar. Mitte 2012 hat Air Berlin mehrere Verbindungen vom Flughafen Pader-
born/Lippstadt gestrichen. Ende 2012 hat Air Berlin den Dortmunder Flughafen komplett
aus seinem Streckennetz gestrichen. Auch am Flughafen Münster/Osnabrück wurde
das Angebot von Air Berlin deutlich zurückgefahren. Im aktuellen Sommerflugplan bietet
Air Berlin am Flughafen Münster/Osnabrück nur noch zwei Hin- bzw. Rückflugverbin-
dungen pro Tag nach Palma de Mallorca an.
Frage 4
Welche Probleme, Herausforderungen und Perspektiven sehen Sie
speziell für größere Verkehrsflughäfen?
Die Anzahl der Starts und Landungen ist an den großen deutschen Flughäfen in den
meisten Fällen leicht zurückgegangen, während die Fluggastzahlen leicht gestiegen
sind. Wichtigste Ursache hierfür ist der Einsatz von durchschnittlich immer größeren
Flugzeugen durch die Fluggesellschaften, weil diese geringe Kosten je Sitzplatz aufwei-
sen. Es werden im Linienluftverkehr kaum noch Flüge mit Flugzeugen, die maximal 70
Sitzplätze haben, angeboten.
10
Süddeutsche Zeitung vom 29. April 2016, Seite 20.
- 6 -
Die Lufthansa, Deutschlands größte Fluggesellschaft, betreibt eine Ausflottung kleinerer
Flugzeugmuster. Flugverkehr mit Flugzeugen unter 100 Sitzplätzen findet zumeist als
Drehkreuzzubringerverkehr statt. Flüge unter der Marke Lufthansa finden künftig fast
ausschließlich ab den beiden Drehkreuzen Frankfurt und München statt. Dezentrale
Europaverkehre werden aus der Kernmarke „Lufthansa“ herausgelöst und ausschließ-
lich durch eigene, systematisch ausgebaute Low-Cost-Verkehre bedient (Germanwings
bzw. Eurowings).
Frage 5
Wie bewerten Sie die derzeitige Flughafenlandschaft in NRW und ihre
Entwicklung?
In Nordrhein-Westfalen gibt es die zwei landesbedeutsamen Flughäfen Düsseldorf und
Köln/Bonn sowie die Regionalflughäfen Dortmund, Münster/Osnabrück11, Niederrhein-
Weeze und Paderborn/Lippstadt. Die Verkehrslandeplätze Essen/Mülheim, Möncheng-
ladbach und Siegerland verfügen über keinen Linienflugverkehr. Schließlich gibt es
noch acht Schwerpunktlandeplätze für den Geschäftsreiseverkehr (Aachen-Merzbrück,
Bonn-Hangelar, Arnsberg-Menden, Porta Westfalica, Bielefeld, Stadtlohn-Vreden, Marl-
Loemühle und Dinslaken-Schwarze Heide). Damit verfügt Nordrhein-Westfalen über
eine europaweit einzigartige Flugplatzdichte. Hinzu kommt, dass auch die von NRW gut
erreichbaren Flughäfen in Amsterdam, Brüssel, Eindhoven, Maastricht und Lüttich mit
den NRW-Flughäfen um Streckenangebote und Flugpreise konkurrieren.
Der Flughafen Düsseldorf ist der einzige NRW-Flughafen, der in den letzten Jahren ein
kontinuierliches (wenn auch nur moderates) Wachstum bei den Passagieren vorweisen
kann (siehe Grafik).12
Bei den Regionalflughäfen Münster/Osnabrück und Paderborn gab es in den letzten 10
Jahren einen kontinuierlichen Sinkflug bei der Zahl der Fluggäste. Der Flughafen Wee-
11
Die Einstufung des Flughafens Münster/Osnabrück als „landesbedeutsam“ im Entwurf des Landesentwicklungsplans hat historische Gründe, ist sachlich aber nicht nachvollziehbar. 12
Die Verkehrsdaten basieren auf den ADV-Monatsstatistiken, welche von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen. auf Monatsbasis veröffentlicht werden.
- 7 -
ze hat 2015 rund 1 Mio. Passagiere gegenüber dem Rekord-Jahr 2010 eingebüßt. Auch
der Flughafen Dortmund hat schon deutlich mehr Fluggäste gehabt (siehe Grafik).
Somit hat sich auch die prozentuale Verteilung aller Passagiere auf den NRW-
Flughäfen zugunsten des Düsseldorfer Flughafens und zulasten der Regionalflughäfen
verschoben (siehe Grafik).
Prozentuale Verteilung des Fluggast-Aufkommens in NRW
Flughäfen 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
Düsseldorf 52,3% 53,0% 55,7% 57,7% 58,4% 59,5% 58,7%
Köln/Bonn 28,6% 27,5% 26,4% 25,7% 25,0% 25,7% 27,0%
Weeze 7,1% 8,1% 6,6% 6,1% 6,8% 4,9% 5,0%
Dortmund 5,0% 4,9% 5,0% 5,3% 5,3% 5,4% 5,2%
Münster/Os. 4,1% 3,7% 3,6% 2,8% 2,3% 2,4% 2,1%
Paderborn/Lip. 2,9% 2,9% 2,7% 2,4% 2,2% 2,1% 2,0%
NRW gesamt 34.017.448 35.843.146 36.504.502 36.118.039 36.366.594 36.732.510 38.298.941
Die Steigerung der Passagierzahlen am Flughafen Düsseldorf ist allerdings von der
Entwicklung der Flugbewegungen entkoppelt. So gibt es am Düsseldorfer Flughafen
seit 2011 einen kontinuierlichen Rückgang bei den Flugbewegungen. Die aktuelle Zahl
(2015: 210.200) liegt deutlich unter der Maximalzahl von 229.500 Flugbewegungen im
Jahr 2008 (siehe Grafik).
- 8 -
Der einzige Flughafen in NRW, der regelmäßig deutliche Gewinne abwirft, ist der Düs-
seldorfer Flughafen.13
Der Dortmunder Flughafen ist hingegen seit vielen Jahren für seine Eigentümer (74%
gehören den Dortmunder Stadtwerken und 26% der Stadt Dortmund) ein Dauersubven-
tionsgrab (siehe Grafik).
Auch die Betreibergesellschaft des Flughafens Münster/Osnabrück (Stadtwerke Müns-
ter: 35,1%, Kreis Steinfurt: 30,3%, Stadt Osnabrück: 17,2%, Stadt Greven: 5,9%, Land-
kreis Osnabrück: 5,1%, Kreis Warendorf: 2,4% u.a.) hat in den letzten Jahren (bis auf
2011) teilweise erhebliche Defizite eingefahren (siehe Grafik).
13
Die Flughafen Düsseldorf GmbH hat in den Jahren 2005 bis 2013 im Jahresergebnis regelmäßig einen deutlichen Jahresüberschuss von durchschnittlich 35,8 Millionen Euro erzielt, wozu insbesondere das Non-Aviation-Geschäft beigetragen hat.
- 9 -
Die Flughafen Niederrhein GmbH unterscheidet sich von den anderen Regionalflughä-
fen in NRW durch den Umstand, dass es einen privaten Investor gibt. Während bei den
Flughäfen in Trägerschaft Subventionen durch die öffentliche Hand relativ offen erfol-
gen, ist die Subventionierung des Flughafens Niederrhein viel verdeckter gelaufen. Der
Kreis Kleve und die Gemeinde Weeze haben der Flughafengesellschaft zwischen 2002
und 2004 ca. 26,8 Mio. Euro an Investitionskrediten gegeben. Der Kreis Kleve und die
Gemeinde Weeze „verschenkten“ in 2001 ihre Anteile an der 1993 gegründeten Flugha-
fen Niederrhein GmbH (FN) an den niederländischen Investor. Sie hielten seitdem nur
noch eine „Kleinst“-Beteiligung an der FN von weit unter 1% und einige Sonderrechte.
Zwischen August 2004 und Dezember 2010 verzichten der Kreis Kleve und die Ge-
meinde Weeze über ihre Entwicklungsgesellschaft Laarbruch (EEL) auf die Zahlungen
von Zinsen durch die FN. Die Zinsen wurden der Darlehenssumme (4 Kredite) in Höhe
von 26,835 Mio. Euro Jahr für Jahr zugeschlagen. Ende 2010 belief sich die Gesamt-
schuld der FN gegenüber der EEL nebst Zinsen auf ca. 34,5 Mio. Euro. Demnach ha-
ben die EEL bzw. der Kreis Kleve und die Gemeinde Weeze bis 2010 auf rechnerisch
ca. 7,7 Mio. Euro Zinszahlungen verzichtet. Die Laufzeiten der 4 Darlehen wurden 2005
und 2010 verlängert und sind derzeit am 31.12.2016 fällig. Zwischen 2007 und 2013
verkauft die FN Flächen an eine eigens gegründete Tochtergesellschaft. Dabei erzielte
die FN ab 2007 Jahr für Jahr Buchgewinne in Höhe von insgesamt 25,4 Mio. Euro. Oh-
ne diese Verkäufe wären auch ab 2007 Jahr für Jahr – wie vor 2007 - Verluste bei der
FN angefallen, auch mit der Gefahr der Überschuldung. Verluste wurden auf diese Wei-
se vermieden oder besser, sie wurden kaschiert. Die FN hätte zur Vermeidung einer
Überschuldung laufend ihr Eigenkapital erhöhen müssen, eigentlich eine Aufgabe des
Investors. Politisch wurde ab 2007 das Erreichen der Gewinnschwelle als Erfolg ver-
kauft, obwohl die Grundstücksverkäufe nur zur Schönung der Jahresabschlüsse statt-
fanden. Der Investor zog daraus seinen Vorteil, denn er war zum Ausgleich der realen
Verluste der FN vertraglich verpflichtet. Seit 2011 verzichtet der Kreis Kleve bzw. die
EEL auf die Zahlung der jährlich ca. 1,393 Mio. Euro Zinsen von Seiten der FN. Dafür
erhielt der Kreis statt der Zinsen Anteile an der FN. Im ersten Jahr (2011) erhielt der
Kreis Kleve auf diesem Weg für seinen Zinsverzicht ca. 1,88% Anteile an der FN. Infol-
ge dessen wurden die Ergebnisse der FN nicht mehr mit den Zinsen belastet und die
- 10 -
Verluste fielen geringer aus. Der Kreis Kleve verzichtete zwischen 2011 und 2014 be-
reits auf 4 x 1,393 Mio. Euro, also ca. 5,5 Mio. Euro.
Flughafen Niederrhein GmbH, Berechnungen korrigierte Jahresergebnisse
alle Zahlen in 1.000 Euro 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Summe
Ergebnisse gem. öffentlichem Ausweis
-7.914
-4.821 663 707 426 35 367 312 -18.203 590 -27.838
Hebung stiller Reserven durch Grundstücksverkauf 6.753 5.200 3.200 1.700 700 2.200 2.000 3.650 25.403
Einmalertrag Photovoltaikan-lage 2.000 2.000
Zinsverzicht der EEL/Kreis Kleve 1.393 1.393 1.393 1.393 5.572
Ergebnisse korrigiert um versteckte Effekte
-6.090
-4.493
-2.774
-1.665
-3.726
-3.281 -21.596 -4.453 -60.813
Bei genauer Betrachtung kann daher von einem privat finanzierten Flughafen kaum die
Rede sein, auch wenn das politisch gern derart verkauft wird. Insgesamt addieren sich
die (teilweise verdeckten) Subventionen des Kreises Kleve und der Gemeinde Weeze
für den Flughafen Niederrhein seit 2001 auf ca. 70 Mio. Euro.
Die Betreibergesellschaft Flughafen Paderborn/Lippstadt GmbH (Eigentümer: Stadt Pa-
derborn: 56,4%, Stadt Soest: 12,3%, Stadt Gütersloh: 7,8%, Kreis Lippe: 7,8%, Stadt
Bielefeld: 5,9%, Stadt Höxter: 4%, Hochsauerlandkreis: 4 % u.a.) erzielte im Zeitraum
von 2005 bis 2008 noch Jahresüberschüsse von durchschnittlich mehr als 1 Million Eu-
ro. Seit dem Jahr 2009 hat das Unternehmen regelmäßig Verluste von bis zu -1,5 Milli-
onen Euro gemacht.
Die nicht eingehaltenen bzw. nicht kostendeckungspflichtigen Entgeltsysteme sind eine
Hauptursache für die Verluste an den NRW-Regionalflughäfen. Die Einnahmen eines
Flughafens bestehen zu einem großen Teil aus den Gebühren, die von den Airlines ge-
zahlt werden (sollten). Es geht dabei um Lande- bzw. Startentgelte, Abstellentgelte,
Passagierabfertigung, Lichtsicherheitsgebühren, Luftsicherungsgebühren, Bodendiens-
te usw. Bei den Bodendiensten sind die Konditionen frei vereinbar zwischen Flughäfen
und Fluggesellschaften. Für die Lande- bzw. Startentgelte, Abstellentgelte und die Pas-
sagierabfertigungsgebühren ist das nicht der Fall. Hier gilt §19 b LuftVG (ex §43 a Luft-
VZO) und der erfordert eine Kostendeckung und eine behördliche Prüfung. Zwar verfü-
gen alle Flughäfen über eine genehmigte Entgeltordnung, nur stimmen an den regiona-
len Flughäfen die faktischen Gebühren nicht mit den genehmigten und höheren Gebüh-
ren überein oder die genehmigte Entgeltordnung ist schon sehr alt. Hier tragen die Be-
hörden durch eine unzureichende Prüfung der Entgeltordnungen bei. Besonders an den
Regional-Flughäfen geben die Airlines die Preise vor. So zahlt eine WizzAir genehmi-
gungspflichtige Gebühren von 3 Euro pro Einsteiger. Kostendeckend wären je nach
Regional-Flughafen ca. 18 bis 25 Euro pro Passagier. Was im Übrigen an den großen
Flughäfen auch gelingt, aber die schreiben auch keine derart schlechten Zahlen. Aber
die großen Airports sind auch in einer besseren Marktposition.
Die NRW-Flughäfen zeichnen sich durch einen teilweise sehr hohen Anteil an Low
Cost-Angeboten aus. Die Flughäfen Weeze und Dortmund werden nahezu vollständig
von „Billigfliegern“ dominiert (siehe Grafik). Allerdings hat selbst am Flughafen Düssel-
- 11 -
dorf der Anteil der Low Cost-Passagieren am Gesamtpassagieraufkommen zwischen
dem Jahr 2006 (22,6%) und dem Jahr 2015 (47%) deutlich zugenommen.
Der Anteil von Low-Cost-Passagieren an den Gesamtpassagieren betrug im Jahr 2016
an allen deutschen Flughäfen im Durchschnitt hingegen nur 31,6 %.14 NRW kann daher
als eine Art „Flugzeugträger für Billigflieger“ bezeichnet werden.15
Die Zahl der Originär-Passagiere aus NRW stagniert seit Jahren bei ca. 36-38 Millio-
nen. Offenbar führen immer billigere Tickets nicht zu einer weiteren Steigerung der
Nachfrage, die gesättigt scheint. Die einzige Folge ist ein Kosten- und Umweltdumping.
Das Beispiel Air Berlin zeigt, wohin Überkapazitäten führen. Nahezu alle Airlines sitzen
in der Zwickmühle: entweder sie verlangen kostendeckende Ticketpreise, dann aber ist
der Flieger nicht voll, oder sie versuchen – wie Air Berlin und andere Billigflieger – den
sog. „Sitzladefaktor“ so hoch wie möglich zu schrauben. Dies aber geht offenbar nur mit
nicht-kostendeckenden Preisen. Air Berlin hat inzwischen Schulden von weit über 1
Mrd. Euro angehäuft.
Frage 6
Wie bewerten Sie die Inhalte und die Wirksamkeit des letzten Bundes-
Flughafenkonzeptes aus 2009?
Die Standortfindung und Ausbauplanung von Flughäfen unterliegen keiner bundeswei-
ten Gesamtplanung. Denn die Planung, Bau und Unterhaltung von Flughäfen liegt in
14
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt: Low Cost Monitor 1/2016 - . Der aktuelle Markt der Low Cost Angebote von Fluggesellschaften im deutschen Luftverkehr, Frühjahr 2016, Seite 13. 15
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband NRW: NRW-Luftverkehrskonzept – Eckpunkte für einen zukunftsfähigen und umweltverträglichen Luftverkehr in Nordrhein-Westfalen, August 2015, Seite 7.
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den Händen der Länder, Kommunen oder privaten Betreiber. Laut dem Raumord-
nungsgesetz des Bundes kann der Bund zwar ein Raumordnungsplan für Flughäfen
erstellen. Die Länder sind an diesen jedoch nicht gebunden (vgl. § 17 Absatz 2 Satz 2
Raumordnungsgesetz). 16
So kommt es, dass das letzte Flughafenkonzept der Bundesregierung aus dem Jahr
2009 nur wenig Steuerwirkung entfaltet hat. 17 Zwar hat die Bundesregierung darin ge-
warnt, dass ein Ausbau von Regionalflughäfen ohne Rücksichtnahme auf bestehende
benachbarte Flugplätze dazu führen könne, dass sich im Ergebnis keiner der Flugplätze
selbständig betriebswirtschaftlich tragen kann.18 Derartige Aussagen sind jedoch fol-
genlos geblieben.
Als Folge dieser ungesteuerten Flughafenplanung sind viele deutsche Regionalflughä-
fen nur mäßig ausgelastet. Ein besonders drastisches Beispiel hierfür ist der Flughafen
Kassel-Calden. Dieser nur rund 60 Kilometer vom Flughafen Paderborn entfernte Flug-
hafen, wurde für rund 270 Millionen Euro ausgebaut, wobei das Land Hessen den
Großteil der Ausgaben übernahm. Drei Jahre nach Fertigstellung des Ausbaus verfügt
der Flughafen über im Schnitt weniger als einen Linienflug am Tag.
Immerhin ermächtigt § 17 Absatz 2 Raumordnungsgesetz den Bund, die „verkehrliche
Anbindung“ der Flughafenstruktur mit der von ihm verantworteten Verkehrsinfrastruktur
(Bundesfernstraßen und Schienennetz des Bundes) planerisch zu gestalten. So soll die
Anbindung von Regionalflughäfen an die Verkehrsinfrastruktur des Bundes laut dem
Flughafenkonzept 2009 künftig davon abhängig gemacht werden, dass ein Bedarf für
den Ausbau oder Umbau eines Flughafens festgestellt wird. Während dieser Bedarf bei
den größeren Flughäfen in dem Konzept unterstellt wird, soll der tatsächliche Bedarf bei
Regionalflughäfen im Einzelfall anhand bestimmter Kriterien nachgewiesen werden.
Diese Maßgabe hindert die Länder zwar nicht an einer eigenständigen Flughafenpla-
nung, sie müssen aber damit rechnen, die Anbindung an die bodenseitige Infrastruktur
gegebenenfalls ausschließlich mit eigenen Mitteln bewältigen zu müssen.19
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur erarbeitet derzeit ein neu-
es Luftverkehrskonzept des Bundes. Dessen Ziel ist es unter anderem auch, die Rolle
des Bundes bei der Planung eines deutschlandweiten Flughafennetzes zu stärken.20
16
§ 17 Absatz 2 Raumordnungsgesetz lautet: „Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur kann Raumordnungspläne für das Bundesgebiet mit Festlegungen zu länderübergreifenden Standortkonzepten für See- und Binnenhäfen sowie für Flughäfen als Grundlage für ihre verkehrliche Anbindung im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung als Rechtsverordnung aufstellen, soweit dies für die räumliche Entwicklung und Ordnung des Bundesgebietes unter nationalen oder europäischen Gesichtspunkten erforderlich ist. Die Raumordnungspläne nach Satz 1 entfalten keine Bindungswirkung für raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen der Länder.“ 17
Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU): Fluglärm reduzieren: Reformbedarf bei der Planung von Flughäfen und Flugrouten – Sondergutachten, März 2014, Seite 48 f. 18
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Flughafenkonzept 2009 der Bundesregierung vom 27. Mai 2009, Seite 8. 19
Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU): Fluglärm reduzieren: Reformbedarf bei der Planung von Flughäfen und Flugrouten – Sondergutachten, März 2014, Seite 49. 20
Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Bundesverkehrswegeplan 2030 – Entwurf März 2016, Seite 65.
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Frage 7
Wie bewerten Sie die Inhalte und die Wirksamkeit der letzten NRW-
Luftverkehrskonzeption aus dem Jahr 2000?
Erklärtes Ziel der Landespolitik ist es, das luftverkehrspolitische Handeln auf die NRW-
Luftverkehrskonzeption zu stützen. Auch der neue Landesentwicklungsplan, der sich
gerade in der Aufstellung befindet, bezieht sich auf diese Luftverkehrskonzeption.21
Eine NRW-Luftverkehrskonzeption sollte eigentlich alle 10 Jahre von der Landesregie-
rung aufgestellt und vom Landtag verabschiedet werden. Die letzte NRW-
Luftverkehrskonzeption22 stammt allerdings aus dem Jahr 2000.
Die Luftverkehrskonzeption ist allerdings nicht rechtsverbindlich, sondern lediglich eine
politische Willensbekundung. Rechtsverbindlich wird das Handeln der Landesregierung
erst durch den Erlass von Planfeststellungs- und Genehmigungsbescheiden oder die
Verabschiedung von Haushaltsplänen zur Finanzierung von Luftverkehrsinfrastruktur.
Die NRW-Luftverkehrskonzeption 2010 enthält insgesamt 29 Handlungsoptionen, die
von den dafür zuständigen Trägern des Luftverkehrs ergriffen werden können bzw. soll-
ten. Nur in den wenigsten Fällen ist die Landesregierung selbst Träger dieser Maßnah-
men.
Soweit die Umsetzung einzelner Handlungsoptionen in die Zuständigkeit und Verant-
wortung Dritter, z.B. Flugplatzhalter, Luftfahrtunternehmen, Flugsicherungsorganisatio-
nen, Luftfahrtbehörden, Bundesregierung, internationale Organisationen u.a. fällt, hat
die Luftverkehrskonzeption für deren Entscheidung nur empfehlenden Charakter. Inso-
weit stehen die Handlungsoptionen unter dem Vorbehalt noch vorzunehmender Abwä-
gungen der unterschiedlichen Belange und ihrer rechtlichen Realisierbarkeit.
Von den im Jahr 2000 festgesetzten 29 Handlungsoptionen der NRW-Luftverkehrs-
konzeption 2010 sind einige bereits umgesetzt worden, wie etwa der Anschluss des
Flughafens Köln/Bonn an das S-Bahn-Netz und an den Schienenfernverkehr, die Fer-
tigstellung des Kabinenbahnsystems (sog. „Sky Train“) am Flughafen Düsseldorf oder
die Konversion des Militärflugplatzes Weeze-Laarbruch zu einem zivilen Regionalflug-
hafen.
Auch die Verlängerung der Start- und Landebahn des Flughafens Paderborn/Lippstadt
(Handlungsoption 14n der Luftverkehrskonzeption) ist inzwischen erfolgt. Allerdings
wurde die um 390 Meter verlängerte Start- und Landebahn trotz eines gewonnenen
Rechtsstreites noch nicht genutzt. Der Flughafen kann sich aus finanziellen Gründen
derzeit eine Inbetriebnahme dieser Startbahnverlängerung nicht erlauben, da das Ge-
richt auch eine gleichzeitige Verlegung der Landeschwelle zur Auflage gemacht hatte.
Einige Handlungsoptionen haben sich dagegen inzwischen überholt oder werden ab-
sehbar nicht mehr vor einer Fortschreibung der Konzeption realisiert werden. Dazu
mehrere Beispiele:
21
So heißt es im überarbeiteten Entwurf des Landesentwicklungsplans Nordrhein-Westfalen vom 22.09.2015 unter Ziel 8.1-6: „Die Sicherung und Entwicklung der regionalbedeutsamen Flughäfen und sonstigen Flughäfen erfolgt im Einklang mit der Luftverkehrskonzeption des Landes und der Entwicklung der landesbedeutsamen Flughäfen.“ 22
Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen: NRW-Luftverkehrskonzeption 2010, Dezember 2000.
- 14 -
a.) In der Handlungsoption 04n der NRW-Luftverkehrskonzeption 2010 steht: „Verlän-
gerung der Start- und Landebahn des Flughafens Münster/Osnabrück auf eine Ge-
samtlänge von 3.600 m“.
Zwar gibt es seit Ende 2004 einen noch nicht rechtsgültigen Planfeststellungsbe-
schluss für eine derartige Verlängerung der Start- und Landebahn. Nach einer Klage
des Naturschutzbundes (NABU NRW) vor dem Oberverwaltungsgericht Münster und
dem Bundesverwaltungsgericht einigte sich der Flughafen und der NABU, dass die
Start- und Landebahn zumindest auf 3000 m verlängert werden kann, wenn der El-
tingmühlenbach nicht mehr unter die Start- und Landebahn verlegt werden soll, son-
dern um sie herum geleitet wird. Angesichts seit Jahren rückgängiger Fluggastzah-
len und Flugzeugbewegungen haben die Flughafengesellschafter jedoch große
Probleme, diesen über 60 Mio. Euro teuren Ausbau zu finanzieren.
b.) In der Handlungsoption 03n wird die „Privatisierung des Landesanteils an der Flug-
hafen Köln/Bonn GmbH“ empfohlen.
Dieses Ziel wird inzwischen aber weder von der Landesregierung bzw. Bundesregie-
rung noch den kommunalen Anteilseignern23 verfolgt. Die Stadt Köln besteht bei-
spielsweise darauf, dass beim Flughafen die öffentlichen Gesellschafter in der
Mehrheit bleiben.
c.) In der Handlungsoption 12n der Luftverkehrskonzeption steht: „Intensivierung der
Zusammenarbeit der Flughäfen Düsseldorf GmbH und der Flughafen Köln/Bonn
GmbH auf vertraglicher Grundlage“.
Alle Versuche der Landespolitik in dieser Richtung müssen wegen der unterschiedli-
chen Gesellschafter24 und Interessenslagen der beiden Flughäfen bislang als ge-
scheitert angesehen werden. Dies mag aber auch daran liegen, dass beide Flughä-
fen wenig Notwendigkeit für eine Kooperation gesehen haben und auch derzeit se-
hen, weil jeder für sich ja nahezu immer nahezu alles genehmigt bekam, was er
wünscht.
d.) Die Handlungsoption 15n (Verlängerung der Start- und Landebahn des Verkehrs-
landeplatzes Mönchengladbach auf 1.440 m Gesamtlänge durch Umwidmung und
Mitbenutzung der jeweils vor Kopf liegenden 125 m langen Stoppbahnen) wird nicht
mehr weiter verfolgt. Im Dezember 2009 erklärte die Düsseldorfer Flughafengesell-
schaft, die 70 % der Anteile an der Flughafengesellschaft Mönchengladbach GmbH
hält, dass sie künftig auf einen Ausbau des Mönchengladbacher Verkehrslandeplat-
zes verzichten will.
e.) Auch die Handlungsoption 17n (Erhaltung des Flughafens Essen/Mülheim (status
quo) für den Geschäftsreiseluftverkehr, solange noch Rechtsansprüche der Flugha-
fennutzer bestehen) darf als überholt angesehen werden. Inzwischen verfolgt die
Landesregierung entsprechend den Vorgaben des Koalitionsvertrages von SPD und
Grünen das Ziel, die Flughafengesellschaft aufzulösen und den Landeplatz in einen
23
Die Flughafen Köln/Bonn GmbH als Betreibergesellschaft gehört der Stadt Köln zu 31,12 %, der Bundesrepublik Deutschland zu 30,94 %, dem Land Nordrhein-Westfalen zu 30,94 %, der Stadt Bonn zu 6,06 %, dem Rhein-Sieg-Kreis zu 0,59 % und dem Rheinisch-Bergischen Kreis zu 0,35 %. 24
Gesellschafter der Betreibergesellschaft Flughafen Düsseldorf GmbH sind zu 50 % die Stadt Düsseldorf und zu 50 % die Airport Partners GmbH. Diese wiederum gehört zu 40 % der AviAlliance GmbH, zu 40 % Aer Rianta plc (hierbei handelt es sich um eine mittelbar über die Muttergesellschaft Dublin Airport Authority plc zu 100 % in irischem Staatseigentum stehende Gesellschaft) und zu 20 % der AviAlliance Capital KGaA.
- 15 -
reinen Sonderlandeplatz zur ausschließlichen Nutzung für den Motorsportflug-, den
Motorsegelflug-, den Motorschleppflug- und den Segelflugbetrieb durch den privaten
Aero-Club sowie den Luftschiff-Betrieb der Firma Wüllenkemper umzuwandeln.
f.) Die Handlungsoption Handlungsoption 19n (Im Falle der Aufgabe des Militärflugplat-
zes Gütersloh als NATO – Reserveflugplatz und Räumung des Militärflugplatzes o-
der der teilweisen Freigabe geeigneter Betriebsflächen Konversion des Militärflug-
platzes zu einem zivilen Sonderflughafen für den Geschäftsreiseluftverkehr) ist in-
zwischen ebenfalls überholt. Der Militärflugplatz Gütersloh ist seit November 2013
geschlossen. Am 7. Mai 2012 sprach sich der Rat der Stadt Gütersloh einstimmig
gegen eine Wiederaufnahme des privaten Flugverkehrs auf dem britischen Militär-
Flugplatz aus. Sowohl die hohen Investitions- wie auch die Betriebskosten sprächen
gegen eine Wiederaufnahme des Flugbetriebs, zumal in erreichbarer Entfernung
genügend Flugplätze diese Option für den Geschäftsreiseverkehr abdeckten. Der-
zeit läuft ein Konversionsprozess zur Nachnutzung des Flugplatzgeländes.
g.) In der Handlungsoption 20n der Luftverkehrskonzeption wird die Verlängerung der
Start- und Landebahnen an den sog. Schwerpunkt-Verkehrslandeplätzen Aachen-
Merzbrück, Arnsberg, Bielefeld-Windelsbleiche, Bonn-Hangelar, Dinslaken-
Schwarze Heide, Marl-Loemühle, Meschede-Schüren, Münster-Telgte, Porta West-
falica und Stadtlohn-Wenningfeld entsprechend den JAR-OPS 1-
Sicherheitsvorschriften gefordert. Tatsächlich verfolgen die Halter der vier Verkehrs-
landeplätze Aachen Merzbrück, Bonn-Hangelar, Marl-Loemühle, Meschede-Schüren
und Münster-Telgte nicht mehr den Ausbau ihrer Start- und Landebahnen.
Generell lässt sich sagen, dass die Landesregierung bei der Verabschiedung der letz-
ten Luftverkehrskonzeption im Jahr 2000 von Prämissen ausgegangen ist, die sich aus
heutiger Sicht als falsch herausgestellt haben. Das Konzept setzt auf den Ausbau von
Regionalflughäfen. Dabei wurde unterstellt, dass die Luftverkehrswirtschaft dort Flüge
anböte, wo eine entsprechende Infrastruktur sei.
Angetrieben wurden solche Ausbauvorhaben von Wachstumsprognosen, die sich in der
Rückschau als völlig überzogen herausgestellt haben. So basierte der Planfeststel-
lungsbeschluss aus dem Jahr 2004 zur Verlängerung der Start- und Landebahn am
Flughafen Münster/Osnabrück auf einer gutachterlichen Bedarfsanalyse der Gesell-
schaft zur Förderung der Verkehrswissenschaften an der Universität Münster e.V. (Au-
tor: Dr. Werner Allemeyer), die von 4,5 Millionen Fluggäste am Flughafen Müns-
ter/Osnabrück im Jahr 2015 ausging. Tatsächlich sind an diesem Flughafen im Jahr
2015 lediglich 817.000 Fluggäste registriert worden.
Die Luftverkehrskonzeption 2010 hat die spätere Abkehr der Luftverkehrswirtschaft von
den kleineren Flughäfen nicht prognostiziert. Der Trend hin zu größeren Flugzeugen
wurde zwar erkannt, aber weit unterschätzt.
Frage 8
Wo sehen Sie vor dem Hintergrund des gültigen Rechtsrahmens die
Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes und des Landes bei der Flug-
hafenentwicklung?
- 16 -
Hinsichtlich einer nachhaltigen Gestaltung und Nutzung des Flughafennetzes in
Deutschland bedarf es dringend einer besseren länderübergreifenden Abstimmung,
Vernetzung und Planung. Eine Standortkonzeption ist notwendig, denn nicht selten wird
die Notwendigkeit eines Flughafenausbaus allein aus lokaler bzw. landespolitischer
Sicht beurteilt, ohne die Auswirkungen auf bereits bestehende Flugplätze in der Nach-
barschaft zu berücksichtigen. Im Flughafenkonzept der Bundesregierung aus dem Jahr
2009 wurde bereits festgestellt: „Dies kann dazu führen, dass sich von mehreren be-
nachbarten Flugplätzen keiner betriebswirtschaftlich selbständig tragen kann und von
den – meist öffentlichen – Eigentümern bezuschusst werden muss.“
Andererseits sind maßgebliche Entwicklungen im Bereich der Luftverkehrswirtschaft nur
bedingt durch die die öffentliche Hand beeinflussbar. Die Entwicklung von Flug-
zeuggrößen, Unternehmensstrategie, wettbewerbliche internationale Entwicklungen
sowie Marktgewichtungen müssen im Wesentlichen als Ergebnis der Marktkräfte ver-
standen werden.25 Die Personalkosten der Deutschen Fluggesellschaften aber auch der
deutschen Flughafenbetreiber unterliegen der Tarifautonomie der Verhandlungspartner
Fluggesellschaft/ Flughafen und der jeweiligen Gewerkschaft.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat zwar keine Gesetzgebungskompetenz auf dem Ge-
biet der Luftfahrt – diese liegt ausschließlich beim Bund – wohl aber eine Finanzie-
rungs- und Verwaltungskompetenz. Im Rahmen seiner Finanzierungskompetenz ist das
Land zusammen mit den Kommunen insbesondere verantwortlich für die Vorhaltung der
Luftfahrtinfrastruktur. Beispielsweise finanziert das Land NRW Luftsicherungseinrich-
tungen und ist Anteilseigner des Flughafens Köln/Bonn.26 Im Rahmen der Verwaltungs-
kompetenz ist das Landesverkehrsministerium in Auftragsverwaltung für den Bund u.a.
Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde für die Flugplätze.
Frage 11
Welche Erwartungen haben Sie im Hinblick auf verkehrs- und um-
weltpolitische Fragestellungen an die zu erstellenden Luftverkehrs-
konzeptionen des Bundes und des Landes? Was sind Ihrer Meinung
nach die wesentlichen Herausforderungen?
Wesentliche verkehrs- und umweltpolitische Fragestellungen
Fliegen ist die klimaschädlichste Fortbewegungsart, denn Flugemissionen wirken sich
besonders nachteilig auf die Atmosphäre aus. Nicht nur Kohlendioxid spielt hier eine
Rolle – in großer Höhe tragen auch Rußpartikel, Wasserdampf und Stickoxide zur Er-
derwärmung bei. Und das drei- bis fünfmal mehr als der Kohlendioxidausstoß allein.
Beim Flug von Berlin nach Gran Canaria und zurück entstehen beispielsweise pro Pas-
sagier Schadstoffe, die rund anderthalb Tonnen Kohlendioxid (CO2) entsprechen. Das
25
Zu diesem Ergebnis kommt auch das vom Bundesverkehrsministerium im Rahmen Grundlagenermittlung für ein Luftverkehrskonzept der Bundesregierung beauftragte Gutachterkonsortium (DIW Econ, MKmetric, Uniconsult, Waldeck Rechtsanwälte, TU Darmstadt, Ludwig-Bölkow-Systemtechnik), vgl. Schlussbericht vom 30. November 2015, Seite 3. 26
Das Land NRW ist auch zu einem Drittel Anteilseigner des Flughafens Essen-Mülheim. Allerdings drängt die Landesregierung auf eine Schließung dieses defizitären Verkehrslandeplatzes ohne Linienflug. Derzeit gibt es einen Rechtsstreit vor dem Landgericht Duisburg, bei dem das Land seinen Ausstieg aus der gemeinsamen Betreibergesellschaft mit den Städten Essen und Mülheim/Ruhr gerichtlich durchsetzen möchte.
- 17 -
ist etwa so viel, wie ein Mensch in Indien im ganzen Jahr verursacht. Der Kerosinver-
brauch bei innerdeutschen Flügen liegt im Durchschnitt bei 8,0 Litern je 100 Passagier-
kilometern, bei Flügen ins Ausland bei 5,0 Litern je 100 Passagierkilometer. Im Ver-
gleich dazu verkehrt die Bahn mit 0,5 Litern je 100 Passagierkilometer.27
Nach der repräsentativen Befragung „Umweltbewusstsein in Deutschland“ des Bundes-
umweltministeriums fühlen sich 4,8 Millionen Menschen in Deutschland von Fluglärm
mittelmäßig bis stark belästigt. Fluglärm kostet die Gesellschaft enorme Summen bei-
spielsweise durch hohe Gesundheitskosten, Leistungsminderung am Arbeitsplatz oder
Wertverluste von Immobilien. Dass Fluglärm die Gesundheit gefährdet, ist inzwischen
unumstritten und wissenschaftlich gut belegt. Zahlreiche Studien aus Medizin und
Lärmwirkungsforschung zeigen, dass insbesondere durch nächtliche Lärmbelastungen
und die damit verbundenen Störungen des Schlafes gesundheitliche Folgeschäden auf-
treten können.28 Eine dauerhafte Lärmbelastung führt zu einem erhöhten Risiko für
Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Neben gesundheitlichen Schäden verursacht Fluglärm
vor allem ein Belästigungsgefühl, also Beeinträchtigungen des körperlichen und seeli-
schen Wohlbefindens. Bei Kindern kann zu viel Lärm die Sprachentwicklung und die
mentale Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. So hat die NORAH-Studie ergeben, dass
mit einer Zunahme der flugverkehrsbedingten Exposition um 10 Dezibel die Leseleis-
tung von Grundschulkindern um einen Monat statistisch signifikant verzögert ist.29 Es ist
auch erwiesen, dass gestörter Nachtschlaf eine Leistungsminderung am Arbeitsplatz
verursacht.
Während Dieselloks, Autos und Busse selbstverständlich versteuerten Kraftstoff tanken,
zahlen die Fluggesellschaften keine Kerosinsteuer. Bei Flügen ins Ausland verzichtet
der Fiskus sogar auf Einnahmen aus der Mehrwertsteuer. Dies verschafft dem Luftver-
kehr einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen Verkehrsträ-
gen. Die Luftverkehrssteuer ist daher ein erster wichtiger Schritt dahin, die Subvention-
spraxis im Luftverkehr zu beenden.
Beim Flughafenausbau fehlt es an einer gesamtstaatlichen Bedarfsplanung, die sich an
den Maßstäben der Minimierung von Folgen für die Umwelt sowie der verkehrliche Ef-
fektivität orientiert. Außerdem gibt es für Strecken, die für den Flugverkehr von Bedeu-
tung sind, keine Abstimmungen mit anderen Verkehrsträgern wie der Bahn.
Erwartungen an eine Luftverkehrskonzeption des Bundes
Der Bund sollte die Kompetenz zu einer bundesweiten Bedarfsplanung für den Luftver-
kehr und damit für die Flughafenstandorte erhalten. Benötigt wird eine Verkehrsmittel
übergreifende Planung durch den Bund, die den Gesamtbedarf berücksichtigt und
Überkapazitäten verhindert. Dabei sollte die Planung von Flughäfen eng mit der Ver-
kehrsplanung für die Straße und insbesondere die Schiene verkoppelt werden.
27
Weitere Angaben zum Umweltvergleich der Verkehrsmittel bei BUND, Brot für die Welt, BVF u.a.: NGO-Luftverkehrskonzept – Schritte zu einem zukunftsfähigen und um-weltverträglichen Luftverkehr in Deutschland, Juli 2015, Seite 11 ff. 28
Vgl. Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU): Fluglärm reduzieren: Reformbedarf bei der Planung von Flug-häfen und Flugrouten – Sondergutachten, März 2014, Seite 40 f. 29
Guski, Rainer; Schreckenberg, Dirk: Verkehrslärmwirkungen im Flughafenumfeld, Band 7: Gesamtbetrachtung des Forschungsprojekts NORAH, Oktober 2015. Die NORAH-Studie ist die umfangreichste und aufwändigste Studie zu Verkehrslärmwirkungen, die im deutschen Sprachraum bis heute durchgeführt wurde.
- 18 -
Das Luftverkehrskonzept des Bundes sollte die Raumordnungs- oder Bedarfskriterien
der Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO-Beschlüsse 2008)30 und die im Rah-
men des Bundesverkehrswegeplanes 2015 erstellte Raumwirksamkeitsanalyse zu ei-
nem bundesweiten, tatsächlich nutzerfinanzierten Flughafensystem weiterentwickeln
und die Überversorgung mit Flughäfen abbauen.31
Weiterhin gehören in eine nationale Luftverkehrskonzeption folgende Maßnahmen des
Klimaschutzes und zum Abbau ungerechtfertigter Subventionen:
Schaffung einer Konzeption zur besseren intermodalen Anbindungen der internatio-
nalen Flughäfen in Deutschland, um die Verlagerung von Kurzstreckenflügen auf die
Schiene zu fördern.
Beibehaltung der Luftverkehrssteuer. Allerdings sollte diese Steuer ökologischer
ausgestaltet werden, indem die Steuersätze nach Streckenlängen, Kerosinver-
brauch und Ticketpreis stärker ausdifferenziert werden. Außerdem sollten auch
Frachtflüge bei der Luftverkehrssteuer einbezogen werden.
Generell sollten keine Umsteige- und Umladeverkehre zwischen Drittländern geför-
dert werden. Diese führen zu einer erheblichen zusätzlichen Lärmbelastung - bei je-
dem Umsteigeflug entsteht doppelter Lärm -, haben aber nur geringe wirtschaftliche
Bedeutung.
Erwartungen an eine Luftverkehrskonzeption des Landes NRW
Mittlerweile verfügt NRW über derart viele Landebahnen und Abfertigungskapazitä-
ten, dass von einer erheblichen Überversorgung mit Infrastruktur gesprochen wer-
den kann. Es gibt daher keinen weiteren Bedarf für den Ausbau von Flughäfen in
NRW.
Es sollte auch generell keine dauerhafte Subventionierung von Flughäfen durch die
öffentliche Hand geben. Wenn Flughäfen auf die Dauer nicht rentabel zu betreiben
sind, muss auch eine Schließung eines derartigen Flughafens erwogen werden.
Durch Kooperationen von Flughäfen untereinander können Synergien genutzt und
Kosten gesenkt werden. Mit Hilfe von Kooperationen kann der Luftverkehr in NRW
besser auf die verfügbaren Flughäfen gesteuert werden.
Kleinere Flughäfen könnten im Rahmen einer abgestimmten Flughafenpolitik Ver-
kehre übernehmen, die aufgrund von Kapazitätsengpässen nicht abgewickelt wer-
den können. Diese Aussage trifft insbesondere für den Flughafen Düsseldorf zu,
dessen Umweltkapazität bereits durch die bestehende Belastung überschritten ist.
30
Die MKRO stellt fest, dass die Bundesrepublik Deutschland „heute über ein dichtes Netz von internationalen und regionalen Verkehrsflughäfen sowie Verkehrslandeplätzen verfügt, so dass ein Neubau in beiden Kategorien aus raumordnerischer Sicht nicht erforderlich ist. Nahezu 97 % der Bevölkerung erreichen heute im motorisierten Individualverkehr innerhalb von 90 Minuten einen Flughafen dieser Kategorien. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen innerhalb von 90 Minuten knapp 78 % der Bevölkerung einen Verkehrsflughafen der Kategorie 1. Aus Sicht der Raumordnung wird das betrachtete Flughafennetz somit den Anforderungen an ein intermodales Ge-samtverkehrssystem gerecht.“ 31
BUND, Brot für die Welt, BVF u.a.: NGO-Luftverkehrskonzept – Schritte zu einem zukunftsfähigen und um-weltverträglichen Luftverkehr in Deutschland, Juli 2015, Seite 23.
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Bei der Ausgestaltung von Entgeltordnungen für Start- und Landeentgelte sollte die
hohe Auslastung von Flugzeugen belohnt werden. Anreizprogramme mit Rabatten
bei großer Passagierzahl sind hingegen abzulehnen. Es sollte auch die Genehmi-
gung von Entgeltordnungen versagt werden, die das Ziel haben, durch besonders
niedrigere Preise für Transferpassagiere Umsteigeverkehre zu akquirieren. Eine Er-
höhung der Preise für Umsteigepassagiere wäre - bei gleichem Entgeltvolumen - mit
einer Absenkung der Preise für Lokalpassagiere verbunden. Belastet würden also
nur Flüge mit hohem Umsteigeranteil, während für das Land wichtige Flüge mit ei-
nem hohen Anteil Lokalpassagiere entlastet würden.
Aufgrund der in weiten Teilen überholten NRW-Luftverkehrskonzeption 2010 macht es
keinen Sinn, jetzt durch ein neues Planfeststellungsverfahren am Flughafen Düsseldorf
Fakten zu schaffen, die erst mit einem neuen Luftverkehrskonzept sinnvoll überprüft
werden können. Daher sollte das Planfeststellungsverfahren so lange ausgesetzt wer-
den, bis ein neues Luftverkehrskonzept vorliegt.
Am 27. Februar 2015 hat die Flughafen Düsseldorf GmbH beim Ministerium für Wirt-
schaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr des Landes NRW als zuständiger Ge-
nehmigungsbehörde einen Antrag auf Kapazitätserweiterung aufgrund einer behaupte-
ten kontinuierlichen Übernachfrage nach Starts und Landungen gestellt. Der Antrag
sieht eine Erhöhung der planbaren Flugbewegungen von 45 auf 60 pro Stunde in den
Zweibahnstunden vor. Der Antrag basiert auf einer „Potentialanalyse“, wonach am
Flughafen Düsseldorf im Jahr 2030 ca. 40 Mio. Passagiere starten und landen sollen
(2015: 22,5 Mio.). Dies entspricht einem Wachstum von über 80 %. Der Anstieg der
Flugbewegungen soll mit 314.300 (2030) gegenüber 210.000 (2015) um ca. 50% höher
ausfallen. Dies ist eine Kampfansage an die Bewohnerinnen und Bewohner in den An-
rainerstädten und an die anderen NRW-Flughäfen. Denn einerseits würde dieser Mehr-
verkehr zu einer unzumutbaren Mehrbelastung der Bevölkerung durch Fluglärm führen.
Im Nahumfeld dieses innerstädtischen Flughafens befinden sich aber bereits heute die
am stärksten fluglärmbelasteten Siedlungen Deutschlands. Andererseits würde dies zu
einer Kannibalisierung des Angebotes an den anderen NRW-Flughäfen führen. So zeigt
das Bedarfsgutachten, dass das mit der Kapazitätserweiterung mögliche Wachstum
zum erheblichen Teil zu Lasten des Flughafens Weeze, Dortmund, Köln-Bonn und den
niederländischen Flughäfen Eindhoven und Maastricht gehen werde. Die Gutachter
kommen zu dem Ergebnis: „Bei der Mehrheit der Wettbewerbsflughäfen ist das Ergeb-
nis des Passagier- und Flugbewegungsaufkommens für das Jahr 2030 verglichen mit
dem Basisjahr [2014] niedriger. Dies resultiert aus der Verlagerung von Kernsegmenten
des Angebots nach Düsseldorf.“32
Offensichtlich teilt auch Lufthansa-Chef Karsten Spohr die Skepsis an einer Notwendig-
keit einer Kapazitätserweiterung am Flughafen Düsseldorf. So zitiert ihn die Westdeut-
sche Zeitung (WAZ) am 19.5.2016 mit den Aussagen: „Geschäftsflüge haben nur einen
Anteil von einem Viertel. „Der Markt ist gesättigt“. […] Ob der Ausbau wirklich nötig ist,
überlasse ich den Experten. Zusätzliche Kapazitäten könnten auch nach Köln/Bonn ge-
hen. […] „Düsseldorf hat die höchsten Kosten. Vielleicht hat Air Berlin so große Proble-
me, weil sie so oft aus Düsseldorf abfliegen“, sagt Spohr mit einem Augenzwinkern. Er
32
Airport Research Center: Flughafen Düsseldorf – Planfeststellungsverfahren zur Kapazitätserweiterung: Prognose des Verkehrsaufkommens für das Jahr 2030 für ein engpassfreies Szenario (Potentialanalyse), November 2015 Seite 118.
- 20 -
vermute, dass dem Flughafen Düsseldorf nach der Privatisierung Rendite wichtiger sei
als Wachstum.“
Frage 13
Welche Erwartungen haben Sie im Hinblick auf Fragen des Fluglärms
an die zu erstellenden Luftverkehrskonzeptionen des Bundes und des
Landes? Was sind Ihrer Meinung nach die wesentlichen Herausforde-
rungen?
Die gesetzliche Regelung der Fluglärmproblematik im Luftverkehrsrecht ist unterentwi-
ckelt. Das Luftverkehrsgesetz enthält keine Grenzwerte für Fluglärm. Das Bun-
desimmissionsschutzgesetz (BImSchG) ist auf Flugplätze ausdrücklich nicht anwend-
bar. Anders als bei Lärm durch Straßen- und Schienenverkehr, der mit der Verkehrs-
lärmschutzverordnung zum BImSchG (16. BImSchV) eine Regelung erfahren hat, exis-
tieren für Fluglärmimmissionen keine vergleichbaren Vorgaben.33
Bei der Flugroutenfestlegung fehlt es im Luftverkehrsrecht an lärmfachlichen Vorgaben,
nach welchen Kriterien die Flugrouten festzulegen sind. Es ist insbesondere unklar, in
welchem Verhältnis kapazitätsbezogene Belange („Flüssigkeit“ des Luftverkehrs) und
der Lärmschutz stehen.34 Die Umweltauswirkungen von Flugrouten werden nur im
Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens für neue oder wesentlich geänderte Flughä-
fen anhand der unverbindlichen Prognose untersucht. Werden die Flugrouten am Ende
abweichend von der Prognose festgelegt oder nachträglich geändert, findet keine Um-
weltverträglichkeitsprüfung statt. Im Übrigen erfolgt das Verfahren zur Festlegung der
Flugverfahren ohne verbindliche Einbeziehung der Betroffenen.
An zahlreichen Flughäfen weichen die Flugzeuge in der Praxis regelmäßig und in gro-
ßem Umfang von den festgelegten Flugrouten ab, weil ihnen die Flugsicherung eine
entsprechende Erlaubnis erteilt. Heute werden abweichende Einzelfreigaben teilweise
so regelmäßig erteilt, dass neben den festgelegten Flugrouten alternative „faktische“
Flugrouten entstehen.35
Nach dem Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm aus dem Jahr 2007 haben Eigentü-
mer von Wohnimmobilien und sonstigen schutzwürdigen Einrichtungen in Schutzzonen
um den jeweiligen Flughafen auf der Basis von Lärmgrenzwerten Anspruch auf Kosten-
erstattung für passiven Schallschutz sowie Entschädigung für die lärmbedingte Beein-
trächtigung des Außenwohnbereichs. Das Fluglärmgesetz (FluLärmG) regelt also nur
den nachsorgenden Schallschutz an Gebäuden und im Außenwohnbereich. Das Flug-
lärmgesetz enthält hingegen keinerlei Regelungen zum aktiven Lärmschutz an der
Quelle. Das FluLärmG differenziert zwischen neuen oder baulich wesentlich erweiterten
Flugplätzen einerseits und bestehenden Flugplätzen andererseits sowie zwischen mili-
33
Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU): Fluglärm reduzieren: Reformbedarf bei der Planung von Flughäfen und Flugrouten – Sondergutachten, März 2014, Seite 23. 34
Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU): Fluglärm reduzieren: Reformbedarf bei der Planung von Flughäfen und Flugrouten – Sondergutachten, März 2014, Seite 26. 35
Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU): Fluglärm reduzieren: Reformbedarf bei der Planung von Flughäfen und Flugrouten – Sondergutachten, März 2014, Seite 27.
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tärischen und zivilen Flugplätzen. Eigentlich müsste jedoch das Schutzniveau bei allen
Flughäfen gleich sein, um vor Gesundheitsschäden zu schützen.
Die meisten Flughäfen erheben bereits nach Lärm gestaffelte Gebühren. Die Beträge
entsprechen aber in keiner Weise den tatsächlichen Schäden. Zudem werden die ein-
genommenen Beträge nicht den Lärmbetroffenen ausbezahlt. Eine volle Internalisierung
der externen Effekte, hier also des Fluglärms, ließe sich nur durch eine derartige
Lärmabgabe erzielen.
Das Umweltbundesamt hat aus der Lärmwirkungsforschung Zielwerte abgeleitet. Dem-
nach sollten die Lärmgrenzwerte zur Vermeidung erheblicher Belästigungen bei einem
Mittelungspegel von 55 dB(A) tagsüber und 45 dB(A) nachts liegen. Optimaler Schutz
ist bei Werten von 50 dB(A) tagsüber und 40 dB(A) nachts gegeben, wie die Weltge-
sundheitsorganisation in ihren „Night Noise Guidelines for Europe“ von 2009 bestätigt.
Laut dem Umweltbericht der Europäischen Kommission zur europäischen Luftfahrt
konnte der Flugzeug-Geräuschpegel alle zehn Jahre im Schnitt um 4 Dezibel gesenkt
werden. Der Fortschritt bei der Senkung des Geräuschpegels verlangsamte sich zuletzt
auf 2 Dezibel pro Dekade und diese Rate einer Lärmreduzierung an der Quelle wird
auch für die Zukunft erwartet.36 Da Flugzeuge von den Airlines in der Regel für 20 bis
30 Jahre angeschafft werden, dauert es sehr lange, bis sich technologische Neuerun-
gen (lärm- und verbrauchsärmere Flugzeuge) spürbar durchsetzen.
Erwartungen an eine Luftverkehrskonzeption des Bundes beim Lärmschutz
Aus Sicht der Bundesvereinigung gegen Fluglärm sollte die Bundesregierung in ihrer
Luftverkehrskonzeption eine umfassende Lärmminderungsstrategie für den Luftverkehr
verankern. Zu einer derartigen Lärmminderungsstrategie gehören nach Auffassung der
BVF:
Schaffung von Regelungen im Luftverkehrsrecht, die wie für alle anderen Verkehrs-
träger im Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) auch, aktivem Schallschutz
vor passivem Schallschutz Vorrang einräumen.
Einführung von Lärmgrenzwerten (für Dauerschall- und Spitzenpegel) zum Schutz
und zur Vorsorge vor Fluglärm, die die Belastungen durch Fluglärm nach oben hin
begrenzen und dadurch aktive Schallschutzmaßnahmen aufwerten (z.B. durch eine
Beschränkung des Flugbetriebs mittels Bewegungs- und Lärmkontingenten).
Verankerung eines Lärmminderungsgebotes im Luftverkehrsgesetz, welches die
Luftfahrtbehörden und die Flugsicherungsorganisationen dazu verpflichtet, Fluglärm
(etwa bei der Festlegung von Flugrouten) grundsätzlich und insbesondere während
der Nachtstunden zu reduzieren.
Schaffung einer Rechtsverordnung, wonach Flugrouten grundsätzlich auch von den
Fluglotsen zu beachten sind und Einzelfreigaben die Ausnahme bleiben.
Einführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung, wenn Flugrouten an einem Flugha-
fen nachträglich geändert werden, sofern diese Änderung wesentlich ist.
Die konkrete Festlegung von Flugrouten (Flugverfahrensplanung für die An- und
Abflüge) muss in das Planfeststellungsverfahren nach § 6 LuftVG fest integriert wer-
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EASA, EEA, EUROCONTROL, European Aviation Environmental Report 2016, Seite 29.
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den. Derzeit müssen in der Planfeststellung die Lärmfolgen eines Flughafenstand-
orts nur grob ermittelt, beschrieben und bewertet werden, die konkrete Verteilung
des Fluglärms erfolgt aber erst mit der Festsetzung der An- und Abflugverfahren
durch das Bundesamt für Flugsicherung.
Schaffung eines Gesetzes, um eine Kodifizierung der Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts zum Schutz der gesetzlichen Nachtruhe vorzunehmen.37 Es
sollte ein generelles Nachtflugverbot eingeführt werden, von dem Ausnahmerege-
lungen gewährt werden können. Die Nachtflugbeschränkungen müssen eingehalten
und dürfen nicht durch eine Vielzahl von Einzelgenehmigungen ausgehebelt wer-
den.
Verschärfung des Fluglärmgesetzes durch Anpassung der Lärmwerte an die neuen
Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung, Angleichung der Lärmwerte bei den ver-
schiedenen Flugplatztypen (zivile oder militärische bzw. bestehende oder neue und
wesentlich erweiterte Flugplätze) sowie Streichung der Regelung, die den Anspruch
auf Aufwendungsersatz für passive Schallschutzmaßnahmen regelmäßig erst im
sechsten Jahr nach der Ausweisung der Lärmschutzzone entstehen lässt.
Verankerung von bundesweit verbindlichen Mindestkriterien für die verursacherge-
rechte lärm- und emissionsbezogene Differenzierung der Entgelte im Luftverkehrs-
gesetz. Die derzeitigen Entgeltordnungen zeigen systembedingt keine ausreichen-
den Anreize für den Einsatz besonders lärmarmer Flugzeugmuster. Dazu müssten
die Spreizungen zwischen lauten und lärmarmen Flugzeugmustern sowie zwischen
Tag und Nacht mindestens verdreifacht werden. Lärmzuschläge dürfen dann auch
nicht Teil gedeckelter Entgelte sein, sondern müssen auf diese aufgeschlagen wer-
den können. So gibt es in den Niederlanden auf den Ticketpreis drauf eine Lärmab-
gabe von 1 bzw. 2 Euro, die für den Lärmschutz verwendet wird.
Schaffung die gesetzlichen Voraussetzungen zur Internalisierung der Lärmkosten in
den Ticketpreis. Ziel muss dabei sein, dass der Flughafen Geldbeträge an die ge-
schädigten Menschen entsprechend des marktgerechten Wertes der Schädigung
zahlt.
Überarbeitung der Bonusliste des Bundesverkehrsministeriums zum Ausschluss
besonders lauter Flugzeuge nach dem Stand der Technik. Die vorliegende Bonuslis-
te, die dazu dienen soll, lärmärmere Flugzeugmuster für den Nachtflug zuzulassen,
ist seit dem Entstehen vor weit mehr als zehn Jahren niemals aktualisiert worden
und bedarf dringend einer Novellierung.
Die Bundesregierung muss als Anteilseigner des Flughafens Köln/Bonn endlich den
Widerstand gegen das vom Landtag NRW einstimmig beschlossene und von der
Landesregierung unterstützte Verbot nächtlicher Passagierflüge am Flughafen
Köln/Bonn zwischen 0.00 Uhr und 5.00 Uhr aufgeben.
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Insoweit sollte allerdings der Schutz der gesamten Nachtzeit (22 bis 6 Uhr) gewährleistet bleiben. Die von der Rechtsprechung vorgenommene Flexibilisierung, die zwischen „Kernnacht“ und „Randzeiten“ unterscheidet, muss vor dem Hintergrund der staatlichen Schutzpflicht für die menschliche Gesundheit aus Grundrechten eine besonders rechtfertigungsbedürftige Ausnahme bleiben, die nicht zu einer Entwertung des Schutzes der Nachtruhe während dieser Randzeiten führen darf (vgl. Sachverständigenrat für Umweltfragen: Fluglärm reduzieren: Reformbedarf bei der Planung von Flughäfen und Flugrouten – Sondergutachten, März 2014, Seite 25.)
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Förderung der Forschung zur Entwicklung lärmreduzierender und energiesparender Flugzeugtechnik sowie von lärmarmen Flugverfahren.
Erwartungen an eine Luftverkehrskonzeption des Landes beim Lärmschutz
Einführung einer Kernruhezeit von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr an allen NRW-Flughäfen.
Am Flughafen Köln/Bonn wird dies aufgrund der bis zum Jahr 2030 fortgeschriebe-
nen Nachtflugregelung allerdings frühestens ab 2030 möglich sein. Für die Zeit zwi-
schen 22:00 und 23:00 Uhr muss zumindest eine Lärmreduktion für alle Anwoh-
ner/innen gewährleistet sein.
Abschaffung der Home-Base-Carrier-Regelung am Flughafen Düsseldorf.
Frage 14
Welche Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten sehen Sie
speziell in der Frage der Verlagerung von Flugangeboten auf die
Schiene? Was müssten die Akteure dafür verstärkt tun?
Bahnreisen von vier Stunden zwischen zwei Städten sind konkurrenzfähig zu Kurzstre-
ckenflügen der gleichen Relation. Die üblicherweise gerechneten reinen Flugzeiten ver-
gleichen Äpfel mit Birnen. Bezieht man die Anreise zu den Flughäfen mit ein, die Zeit für
das Einchecken und Boarden, die Rollzeiten auf den Flughäfen, das Auschecken und
die Fahrt in die Innenstädte realistisch mit ein, hat der Kurzstreckenflug keine zeitlichen
Vorteile mehr gegenüber einer ausreichend schnellen und qualitativ hochwertigen
Bahnreise.38
Die NRW-Flughäfen bieten aufgrund ihrer geografischen Lage in der Mitte Westeuropas
und ihren guten Schienenanbindungen hervorragende Chancen für eine Verlagerung
von Kurzstreckenflügen auf die Schiene. Nach Angaben des Bund für Umwelt und Na-
turschutz Landesverband NRW könnten in NRW 70.000 Flüge bzw. 6 Millionen Flugrei-
sen in NRW pro Jahr sofort auf die Schiene verlagert werden, da die Flugziele in maxi-
mal vier Stunden erreicht werden könnten.39
Das Air-Rail-System der Deutschen Bahn und Lufthansa („AlRail“) bietet einen guten
Ansatz für die Verlagerung von Kurzstreckenflügen auf die Schiene: Air-Rail verbindet
die Hauptbahnhöfe von Köln, Dortmund, Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim und Düssel-
dorf, den Bahnhof Siegburg/Bonn sowie den Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe mit dem
Flughafen Frankfurt als Zubringer-Alternative zum Flugzeug. Air-Rail-Züge tragen eine
Flugnummer der Lufthansa und sind dadurch in den Buchungssystemen wie Flüge zu
buchen. In den Zügen steht den Reisenden ein Air-Rail-Zugbegleiter zur Verfügung,
dabei sind bestimmte Sitzplätze primär für Lufthansa-Gäste vorgesehen. Nach der Ein-
führung von Air-Rail in Köln wurden ab 2007 die Flugverbindungen von Köln/Bonn nach
Frankfurt eingestellt. Dagegen wurde auch nach Etablierung der Air-Rail-Verbindung
Frankfurt-Düsseldorf die Lufthansa-Flugverbindung Düsseldorf-Frankfurt beibehalten,
38
Vgl. BUND, Brot für die Welt, BVF u.a.: NGO-Luftverkehrskonzept – Schritte zu einem zukunftsfähigen und um-weltverträglichen Luftverkehr in Deutschland, Juli 2015, Seite 28 ff. 39
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband NRW: NRW-Luftverkehrskonzept – Eckpunkte für einen zukunftsfähigen und umweltverträglichen Luftverkehr in Nordrhein-Westfalen, August 2015, Seite 21.
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obwohl die Bahnfahrt nur 72 Minuten dauert und trotz schlechter Auslastung dieser Flü-
ge. Ein Air-Rail-Angebot der Lufthansa ab Dortmund gibt es seit April 2016. So wird der
Frankfurter Flughafen mit bis zu 7 täglichen Air-Rail-Verbindungen ab Dortmund Haupt-
bahnhof verbunden.
Notwendig ist daher ein landespolitischer Anstoß zur Ausweiterung der Kooperation von
Bahn, Airlines und Flughäfen. NRW ist dafür mit seinem dichten Bahnnetz und den gu-
ten Bahnanschlüssen der Flughäfen Düsseldorf und Köln/Bonn besonders geeignet.
Das Air-Rail-System sollte auch Münster und Paderborn (Fahrzeit nach Düsseldorf:
1:30 h bzw. 1:53 h) einbeziehen. Die Politik wird als Moderator gebraucht, um dieses
System für weitere Airlines (insbesondere Air-Berlin) neben der Lufthansa zu öffnen in
neue Internet- und Buchungsplattformen zu integrieren.
Völlig kontraproduktiv für die ökologische notwendige Verlagerung auf die Schiene ist
hingegen, dass die Deutsche Bahn AG derzeit plant, zum Ende des Jahres 2016 ihren
gesamten Schlaf- und Liegewagenverkehr einzustellen. Der vorgesehene Ersatz –
nächtliche ICEs, ICs und Fernbusse – kann mit dem Komfort eines Schlaf- oder Liege-
wagens keinesfalls mithalten. Dabei waren die Fahrgastzahlen zuletzt stabil: rund 2,5
Millionen Passagiere pro Jahr nutzen den Nachtzug. Die Landespolitik sollte sich daher
an die Bundesregierung als Eigentümers der Deutschen Bahn AG wenden, um die DB-
Nachtzüge zu erhalten.
Helmar Pless
Vizepräsident der BVF