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DAS DEUTSCHE SEIN URSPRUNG UND MYTHOS EIN ETYMOLOGISCH-HISTORISCHER REPORT VON KARL HEINZ STOLL

Stoll Karl Heinz. Das Deutsche Sein Ursprung Und Mythos

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DAS DEUTSCHE

SEIN URSPRUNG UND MYTHOS

EIN ETYMOLOGISCH-HISTORISCHER REPORT

VON

KARL HEINZ STOLL

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Das Deutsche in Kurzform

Im Anfang war das Wort.

Das Deutsche kam als ein Kunstwort in die Welt. Geschaffen wurde es von einem christlichen Missio-

nar Wulfilas1 der es kreierte um damit die Herrschaft des christlichen Gottes Theos in die Sprache der

Goten zu übertragen. Das in den alt-griechischen Texten der Bibel, der Septuaginta so heiß ersehnte

Herrscher-tum Gottes und sein göttliches Reich auch auf Erden benannte der gotische Missionar und

Bibelübersetzer mit iudin-assus und iudan-gardi. Mit einem von ihm neu geschaffenen und >goti-

schen< Alphabet tuschte er die von den Christen erhoffte Gottesherrschaft etwa um 350 n.Chr. auf

Pergament.

Gott Jahwe selbst in seiner Funktion als Herrscher und kosmischer König wurde im Gotischen zu

> iudans< ( = th, = Thiud), seine nur ihn als einen König (= iudans ) anerkennende Ge-

folgschaft zum iuda, seinem besonderen Volk, dem >thiuda< der Linguistik. Damit aber erhielt im

Umkehrschluß iudisk auch eine ethnisch definierende Funktion. Dieses iuda-volk war ein goti-

sches - also waren diese Goten iudisk. Da meine These behauptet gotisches iudisk/thiutisch sei

der semantische Kern, das Etymon alles >Deutschen< sind diese iuda-goten zugleich auch als erste

Deutsche definiert. Als ein adjektivisches Attribut ist dieses >deutsch< aus der Bewertung > iudisch<

zu sein entstanden.

Nur wenige Jahrzehnte nach der epochalen Bibelübersetzung des Wulfilas‘ verkörperte ein römischer

Kaiser in Funktion (=dominus et deus) Person und Name auch das Göttliche (gr.=Theos) auf Erden.

Dieser Caesar und Augustus Theodosius2 wurde durch sein Wirken und seine spezifischen Gesetze

für die gotischen Völker und in ihrer Sprache zum Inbegriff und Synonym des Herrschers und iudans

allgemein. Seine Person und sein Name wurde den Goten zur Verkörperung all dessen was in ihrer

Sprache zu Herrschaft und Gott-Königtum ( iudans) gehörte. So wurde Wulfilas‘ zuerst ein Göttli-

ches meinende mit kaiserlich-irdischem Inhalt gefüllt. Gleichermaßen wurden die westlichen Thervin-

gen-goten (=Theu-ingen?) durch eine >lex Gotica< dieses Gott-Kaisers erneut zu einem besonderen

Volk unter allen germanischen = den Theodosianischen iuda.

In der Person des ostro-gotischen Königs Theoderich der Große3 wurde Herrschendes dann mit ihm

identifiziert. Sein eigenes Volk sowie die von ihm geschirmten germanischen Stämme wurde als seine

Gefolgschaft zu Theoderichs Leute, sprachgeschichtlich zu „theodisce“ und >diete lit<4. Nur diese

wurden als Teil der germanischen Völker dann wirklich zu >Deutschen<.

Um 700 diente dann ein grecco-latinisiertes >theodisce< um als Definition sprachlich wie realpolitisch

einen Gegensatz zu den ripuarischen und >walhiscen< Franken von der Waal5 zu benennen. Dieses

theodisce gilt der Sprachwissenschaft als Fundament der Deutsch-werdung6.

1 Er lebte etwa von 311 bis 381/82 n.Chr. 2 379 bis 395 3 475 bis 526 4 So werden sie im ober-deutsch lautverschobenen Lied der Gibelungen um 1200 benannt. 5 Dies ist der niederländische Name für jenen Rheinarm den Julius Caesar mit >vacalus< benannte und der später zum >vahalis< mutierte. 6 L.Weisgerber, Deutsch als Volksname

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Im Jahr 801 spricht Kaiser Karl der Große erstmals die theodisc/deutsche Sprache zu seinen lango-

bardischen Untertanen in Italien, einheimische Chronisten bezeichnen hingegen Langobardisch als

>todisca<. Vier Jahrzehnte später wird vor Straßburg für ein aus Bayern stammendes Heer ein Eid in

deutscher Sprache, der >theudisca lingua< formuliert (842). Im folgenden Jahr wird im langobardi-

schen Trient >teutisci< als eine ethnische Definition verwendet. Deutsch erscheint in jener Epoche als

durch zwei Bedingungen definiert. Einmal ist es die Zugehörigkeit zu den >Leuten des Theoderich<

und zum anderen durch die oberdeutsch-lautverschobene Sprache der sogenannten Elb-germanen im

Alpenraum.

Um 918 versuchte ein >Fürst von Gottes Gnaden<, Arnulf, in Baiern erstmals ein Königreich der

Deutschen, sein >regnum Teutonicorum< zu etablieren. Er scheitert und erst im Jahre 1038 wird Kö-

nig Heinrich der Dritte seine Herrschaft im noch immer Ost-fränkischen Reich als ein >regnum Teuto-

nicorum< benennen. Als Herzog von Baiern war er zuvor Mit-könig seines Vaters Konrad II. sowie

Herzog von Schwaben und Kärnten gewesen. Durch ihn erst konnte teutisc/deutsch allmählich zum

Oberbegriff auch für Franken, Friesen und Sachsen unter seiner und seiner Nachfolger Herrschaft

werden. Sein als >deutsch< definiertes Königtum ließ auch jene seiner Untertanen die einst nicht

>diete lit< waren erst zu >Deutschen< werden.

Kaiser Friedrich der Erste, Rotbart genannt, ließ dann sein regnum Teutonicorum nördlich der Alpen

zu einem insgesamt tiutisch/diuten/düdeschen werden. Erst durch ihn und mit ihm wurde Oster-

Franken wirklich deutsch. Er wurde zur Inkarnation des Deutschen. Seine Erben und Nachfolger zer-

störten jedoch für immer die von ihm als Möglichkeit vorgegebene Einheit des Deutschen zu einem

Nationalstaat. Deutsches definierte sich in der Folgezeit ausschließlich über Sprache und Kultur sowie

den Barbarossa-Mythos. Weder eine Ethnie, noch ein Territorium oder ein Staat und eine Herrschaft

war je als eine Deutsche Gesamtheit vorhanden. Ausschließlich als eine Sprach- und Kulturnation

blieb Deutsches existent.

Martin Luther brachte diese Sprachkultur dann mit seiner Bibelübersetzung die ja gleichzeitig auch

eine neue Sprachschöpfung war zur vollen Blüte. Was mit Wulfilas begann – Luther hat es vollendet.

Der Nach-Napoleonische Nationalmythos7 des Deutschen war zu sehr völkisch-nationalistisch und

rassistisch-chauvinistisch verseucht als daß er politisch erträgliche Früchte zu tragen vermocht hätte.

Die braunen Nazibarbaren als idelle Erben der germanophilen Hohenzollern-epoche brachten auch

dieses Pseudo-Nationale zu einem makaberen Finale.

Die unbegrenzten und digitalen Weiten des virtuellen Cyberspace reduzieren nun das Deutsche zur

Hausnummer im global vernetzten Dorf - .de. Was einst seine neuzeitliche Identität erst hervorbrachte

wird dabei zu einem jetzt eher behindernden Dialekt.

7 O. W. Johnston

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Inhaltsverzeichnis: Einleitung I. Buch Ursprung

1. Germanen- Eine Erfindung des Caesar? 2. Goten- Eine skandinavische Reisewelle zum Schwarzmeer 3. Hunnen- Treiber des Deutschen 4. Wulfilas Bibelübersetzer und Schöpfer der ersten germanischen Schriftsprache 5. Attanarich Ein alt-testamentarischer Richter wird zum Deutschen 6. Der Große Theodosius Gott-Kaiser und Goten-liebchen

II. Buch Theodosier und Theodosianer

1. Theodisce Wisi-Goten Von Alarich I. zu Alarich II. 2. Theodosiche Vandalen Von Geiserich bis Hilderich 3. GemischteTheodos-ier und –ianer Wie auch Attila versuchte ein Theodosier zu werden 4. Theodorich-ische Purpur-Goten Der Große Theoderich alias Dietrich von Bern

III. BUCH Das Deutsche im Reich der Merovinger-Franken

1. Theudische Kaiser-Franken Augustus Chlodovech und das Reich des Theuderich 2. Vom Ende des antik–kaiserlichen Theodesianisch zum fränkisch-Theudischen Mittelalter 3. Theodisc-theudische Alamannen und Schwaben Verschobene Laute und -ing-Orte 4. Die Jüngeren Theude-Franken

- Chilperich und das Böse Eine frühe deutsche Rechtschreibreform - Schönbraunglänzende-Gabe und Glänzender Sigi

5. Putschisten von 613 fordern Ihren Anteil 6. Auster Vom Reich des Theuderich zu Oster franken

IV. BUCH Die Franken unter der Herrschaft walcher Karolinger

1. Ripuarische Pipiniden 2. Walche Carlo-inger theodisce versus walhisce 3. Der Waal-hisce Hammer Carlo 4. Theoto Deutscher Herrscher in bairischem Gebiet ? 5. Die Walchen werden Königliche und Eid-genossen 6. Der west-römische Kaiser Karl der Große und das Deutsche 7. Die walhiscen Erben des Großen Karl 8. Oster-Franken nach den Karolingern Deutsches Stammes-Getümmel 9. Die Baiern Frühe Deutsche an Donau und Inn

V. BUCH Die Renaissance des Deutschen

1. Das regnum Teutonicorum Von Princeps Arnulf zu König und Kaiser Heinrich III. 2. Das deutsche unter hessischer Krone Heinrich III. und das Deutsche Königtum 3. Wie Kaiser Rotbart lobesam ins Lied der Gibelungen kam 4. il Stupor – der Staufer

Ausklang Literatur-Liste

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EINLEITUNG

Deutsch. Ein Wort ebenso fordernd wie unpräzise. Was aber ist >das Deutsche< ?

Es begegnet uns im Ablauf von Zeit und Geschichte in unterschiedlichster Sprachgestalt und

Schreibweise: thiuth - thiudi – theyde - tieis - theude - theutisca – todisca - teuto – diot - thiade - tiu-

tisch - diete - dutsch - düdesch sind alles variable Notierungen für stets dasselbe und meinen alle

deutsch. In latinisiertem Griechisch zeigt es sich auch als >theodisce<. Dieser grecco-lateinische

Terminus führt ebenfalls weit zurück in die Entwicklungsgeschichte unseres Deutsch.

Um 700 n.Chr. dokumentiere sich unser Objekt der Neugier erstmals in seiner lateinischen Schreib-

weise als „theodisce“ um sich so als der Gegenpol zu einem „walhisce“ selbst definieren zu können.

Dies sagt uns jedenfalls die Sprachhistorik8. In Wirklichkeit jedoch gibt die Zeitebene um 700 lediglich

den Blick frei auf eine Sprosse jener Entwicklungsleiter des Deutschen die noch weitere vier Jahrhun-

derte tiefer in den historischen Raum hinabführt.

Die Karriere der Definition deutsch beginnt vor mehr als eintausend und sechshundert Jahren. Und sie

beginnt mit einem Wort. Dieses Wort ist 9, es wird mit lateinischen Buchstaben allgemein als

Thiud geschrieben. aber ist das innerste Wahre, das Etymon unseres Deutsch. Ihm gilt unser

Interesse.

Der Schriftzug 10 diente einst einem Goten Wulfilas um die von Jesus, dem jüdischen Gottes-

sohn aus Nazareth verheißene Herrschaft seines göttlichen Vaters über den Himmeln in gotischer

Sprache und Schrift zu formulieren. Mit iudin-assus11 benannte er jenes Herrscher-tum Gottes wel-

ches von den frühen Christen so heiß ersehnt wurde und durch welches sie ihre Befreiung aus irdi-

scher Not und Sklaverei erhofften. Diesen göttlichen Staat, das regnum, die civitas als das gepriesene

wie auch erhoffte Reich Gottes aber nannte er iudan-gardi. Im Ablauf geschichtlicher Prozesse wur-

de aus diesem gotischem iud dann unser Deutsch.

So spannt sich von Wulfilas der als frühchristlicher Priester und Bischof zum Missionar, Bibelüberset-

zer und Schöpfer sowohl des gotischen Alphabets wie auch der gotischen Schrift-sprache geworden

ist bis zu Adolf Hitler und dessen drittem Deutschen Reich ein Bogen über die Namensliste derer die

Inhalt, Bedeutung und Erscheinungsbild des Deutschen jeweils entscheidend mitgeprägt haben. Was

jedoch in der gotischen Sprachlandschaft einst als ein Gepriesenes und gleichermaßen Göttliches

begann veränderte sich im Verlauf dessen was wir Geschichte nennen mehrmals in Bedeutung und

Sinngehalt bis es zu dem geworden ist was wir heute mit deutsch zu benennen meinen. Da sein Ur-

sprung aber im Gotischen gründet und dieses wiederum nur einen Teil jenes historischen Gesamt-

komplexes repräsentiert den wir üblicherweise als germanisch definieren wenden wir uns zuerst letz-

terem zu.

8 L. Weisgerber, Deutsch als Volksname, u.a. 9 In gotischer Schrift. 10 =>th< 11 Das Suffix >assus< wird von R. E. Keller als sprachliches Mittel germanischer Sprachen zur Bildung von sog. Nominal-abstrakta benannt. Im Englischen blieb es als -ness ( z.B. good-ness, god-li-ness) erhalten. Im Deut-schen ist es häufig durch -schaft oder -tum ersetzt worden.

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I. Buch

1.Die Germanen

Als solche wurden sie von Gaius Iulius Caesar als eine kategorisierende Kennzeichnung vor etwas

mehr als zweitausend Jahren in die Geschichtsschreibung eingebracht.

Als er im letzten vor-christlichen Jahrhundert mit seinen römischen Legionären die Völker und Länder

nordwestlich der Alpen erobert hatte schrieb er darüber ein Buch. In diesem Bericht vom Gallischen

Krieg an die Daheimgebliebenen benannte er, und er erstmals, jene Germanii die fortan Rom zum

Problem und der deutsch-preussischen Historik sehr viel später zum Lieblingsobjekt werden sollten.

Vor allem jene Völke, die von östlich des Rheins unter dem Svebenkönig Ariovist12 gegen Caesar

mobil gemacht hatten erhielten von ihm das Attribut Germanen angeheftet. Warum und weshalb er sie

gerade so benamte hat die Historik jedoch nie geklärt.

Zuvor und vor allem aus dem Blickwinkel der Griechen war der nordwestliche Teil Europas von den

Keltoi bewohnt gewesen. Der lateinische Name für sie war Gallier.

Schon Strabo, ein griechischer Geograph und noch Zeitgenosse des Caesar kam mit dessen Definiti-

on nicht zurecht. Für den kenntnisreichen Griechen waren und blieben Kelten, Gallier und Germanen

stets zum verwechseln ähnlich. Deren spezifische Eigenschaften unterschieden sich nach seiner Mei-

nung lediglich dadurch dass die einen noch etwas blonder, noch grösser gewachsen und von noch

ausgeprägterer Wildheit waren als die anderen. Deshalb vermutete er die Römer hätten das Echte

und Ursprüngliche mit germanisch zum Ausdruck bringen wollen, „denn echt heisst in der römischen

Sprache germanus“13. Die Germanen demnach als die urigen und eigentlichen echten Kelten? Na

denn.

Was jedoch weder Strabo (=der Schieler ) noch andere Historiographen in den Blick nahmen ist eine

andere Bedeutung welche dem lateinischen germanus zukommt. Es benennt auch eine Verwandt-

schaft im Sinne von geschwisterlich ebenso wie eine Gemeinschaft als Verbrüderung oder Bruder-

schaft. Wer also gemeinsam und im Bund mit Ariovist gegen Caesar und dessen Legionen in den

Kampf zog zählte zur Germanitas des Sveben-Fürsten und wurde so zum Germanen. Caesar selbst

schrieb von einer „Vereinigung der Feinde“ 14 in diesem Zusammenhang.

Zu Zeiten des noch real existierenden Sozialismus wurden derartige Bündnispartner des Ostblocks als

Bruder-völker definiert. Caesar setzte dafür offensichtlich den Begriff Germanii15.

Dieses Attribut lies sich dann sehr schlüssig auch auf jene Völker übertragen die entlang des Rheins,

jedoch unter eigenem Kommando, ebenfalls gegen die römischen Legionäre in die Schlachten stürm-

ten. Sie wurden sprachlich der feindlichen Bruderschaft, der >Germanitas< des Ariovist zugeschlagen,

12 12 =Stark wie Ares, Ares=griechischer Gott des Krieges, lat. vis = Stärke-Mut-Tapferkeit etc. 13 Geogr.VII,1 14 Der Gallische Krieg, II,5, nach Ph.L. Haus 15 Auch die spätere fränkische Geschichtschreibung hält ein analoges Beispiel parat. Carlo Martelus wird in späten Jahren von Chronisten völlig unvermutet ein >Bruder< zugeordnet. Doch dieser >germanum< Hilde-brand aber ist wohl ein nur > brüder-licher< Waffen- und Adoptions-bruder und Neffe des mit Carlo verbrüder-ten Langobarden-königs Liut-brand (712-744) und war dessen Mitregent und Erbe (=Paulus Diakonus Kap.53 sow. a. d. Leben d, Papst Zacharias 21,sow. Fredegar 20).

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sie alle waren Feinde Roms. Ein bißchen mehr oder weniger echt spielte dabei wohl keine allzugrosse

Rolle.

Wie dem auch sei, nach C. I. Caesar lebten östlich des Rheins sowie nördlich der Donau Germanen

indes ihre westlichen Nachbarn unter der Herrschaft römischer Legions-Adler als Gallier in die Ge-

schichte eingingen. Getrennt wie unterscheidbar waren sie jedoch mehr durch ihr jeweiliges Verhältnis

zu Rom als durch rassische Merkmale. Durch Tacitus und seine Germania wurden die dort Lebenden

dann unter ihrem römischen Namensbild zum unverzichtbaren Kulturgut des Abendlandes verfestigt.

Wer auch immer von östlich des Rheins kam war und blieb ein Germane. Trotzdem blieben auch

Zweifel. Cassius Dio schrieb nochmals ein Jahrhundert später in seiner>Römische Geschichte<:

„Denn einige von den Kelten die wir Germanen nennen ...“16 ! Ja was denn nun ?

Als kulturhistorischer Hintergrund für diese doch wohl inner-keltische Differenzierung mag auch der

unterschiedliche Kontakt einzelner Keltenvölker mit der Kultur der Griechen gewirkt haben. Schon

lange bevor römische Legionen an oberer Donau und Rhein auftauchten hatten die dort siedelnden

Keltoi vielfältigste Verbindungen zum antiken Griechenland und dessen Kultur. Entlang von Rhone

und Saone waren Griechen von Marseilles (Massilias) aus stromaufwärts gezogen. Ihr Einfluß er-

streckte sich dann Rhein abwärts bis zur Nordsee und selbst die Britische Insel wurde von ihm noch

erfaßt. Im Verlauf von Zeit und Geschichte vermischte sich dann Griechisches mit dem sich ebenfalls

ausbreitenden Kulturgut der Etrusker. Es war wohl deren Alphabet und ihre Schriftzeichen welche

Caesar dann bei den Helvetii vorfand17 und die danach zum Vorbild der germanischen und mystifizier-

ten Runen wurden.

Keltische Söldner aber waren den umgekehrten Weg gegangen. Um in den Heeren des Großen Ale-

xander oder seines Vaters, Philipp von Makedonien Ruhm und Beute zu gewinnen waren Keltoi über

Marseilles und zu Schiff in den Orient gezogen. Selbst entlang der Donau hatten sie den Weg zum

Schwarzen Meer, den griechischen Heiligtümern und sogar hinüber in die Türkei nach Kleinasien als

Galater gefunden. Ihr im Osten erworbener Sold in Form von griechischen Münzen bereichert nördlich

der Alpen noch das archäologische Fundgut der Neuzeit. Nach griechischem Vorbild prägten dann die

keltischen Juweliere in der goldreichen Helvetia und den Nachbarländern ihre Goldfunde zu handli-

chem Taschengeld um18.

Eine Kulturgrenze die entlang von Rhein und Donau verlief und dabei die dort lebenden Stämme un-

terscheidbar machte ist sehr gut vorstellbar. Wer schon ein bischen von Zeus und Herakles geprägt

war blieb Kelte wenn auch latinsiert als Gallier. Die anderen aber blieben die >echten< Barbaren und

wurden durch Caesar zu Germanen gemacht. Doch als gleichermaßen blond, schön, hünenhaft und

wild wurden sie auch weiterhin gemeinsam beschrieben. Wie wenig der von Caesar creierte Name

den damit Ausgestatteten jedoch selbst gefiel zeigt sich schon allein darin, daß keiner der so Gekenn-

zeichneten sich jemals selbst als Germane benannte. Dieser Begriff war und blieb ein von außen auf-

gesetztes Attribut der römischen Sieger- und Herrschaftssprache. Selber war man stets Semnone,

Cherusker, Sueve, Sachse, Langobarde, Hermundurer, Franke oder Alamanne. Einige von diesen

wurden später auch >Deutsche<. Dies gilt auch für die Goten.

16 Kap. 12 17 In Kap.I, 29 Beschreibt Caesar daß die von ihm besiegten Helvetier in >griechischer< Schrift sogar ein präzi-ses Bevölkerungsverzeichnis geführt hatten. 18 S. Katolog Gold der Helvetier, 1991

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2. Die Goten

Ihrer eigenen Herkunftslegende zufolge entstammen die Goten der „umfangreichen Insel Scandza“ im

nördlichen Eismeer. Von dort setzten sie einst zum Festland über wo sie im heutigen Polen an Land

gingen. An den Ufern der Weichsel (Vistula) etablierten sie ihre zweite Heimat – Gothi-scandza19.

Das archäologische Fundgut bestätigt die Saga20. Der gotische Umzug nach Polen steht in einer ver-

blüffenden Zeitparallele zu jener gewaltigen Reisewelle die vor Zeiten auch die Kimbern, Ambronen

und Teutonen aus dem Norden nach Süden spülte. Beide Auswanderungswellen datieren in die Zeit

kurz vor dem Ende des zweiten vor-christlichen Jahrhunderts. Während die Cimbri von der Nordspitze

Dänemarks loszogen verließen die Goten offenbar zeitgleich ihre südschwedische Heimat in Vester-

und Öster-gotland und/oder auf der Insel Gotland.

Cimbri und Co. Wurden nach ihrem epochalen Gewaltmarsch von den Legionen Roms in Südfrank-

reich und Norditalien um 104 v.Chr besiegt und vernichtet. Die Goten aber hatten ein besseres Los

gezogen. Entlang von Weichsel und Dnjestr gelangten sie durch weniger dicht besiedelte Landschaf-

ten an den Gastlichen Pontus der Griechen, das Schwarze Meer. Wenn auch Zeitpunkt und genaue

Route dieser Wanderung nicht exakt bestimmbar sind, die Präsenz der Goten am Schwarzmeer ist

geschichtliche Realität. An dessen Nordküste errichteten sie zwischen Donau und Don (Tanao) eine

machtvolle und weitreichende Herrschaft. Ihr späterer Chronist Jordanis erwähnt ihre Oberhoheit auch

„über ... Völker Germaniens“21. Allein diese Formulierung zeigt deutlich daß sich die Goten selbst nicht

als Germanen definierten. Es war erst die spätere Geschichtsschreibung die aus ihnen Ost-germanen

machte. Griechische wie römische Autoren hefteten ihnen statt dessen gerne das Attribut >skytisch<

an.

Ihr Expansionsdrang brachte die Goten oft und gut documentiert mit den Römern in Konflikt. Ihre ei-

gene Chronik bemerkt dabei mit Stolz dass es den römischen Legionen jedoch nie gelungen sei die

aus Skandinavien stammenden blonden und hochgewachsenen Krieger zu unterwerfen und von Rom

abhängig zu machen22. Ihr König Amala wird um 200 n.Chr. zum Stammvater einer ruhmreichen Kö-

nigsdynastie – die Amaler. Als Amelungen wird ihnen noch ein Jahrtausend später im Lied der Gibe-

lungen ein literarisches Denkmal gesetzt werden.

Schon dem römischen Autor Tacitus war aufgefallen daß die Goten bereits in Polen eine weit straffere

Königsherrschaft als andere Germanen-völker ausgebildet hatten23. Am Schwarzmeer wurde dieses

Königtum dann offenbar weiter ausgeformt und entwickelt. Unter einem Amaler-König Ostro-Gota

erreichte die gotische Herrschaft um 240 n.Chr. wohl ihre Blütezeit. Einen „glücklichen Frieden, ... für

das Gotenvolk notierte dazu ihr Chronist24. Nach diesem Herrscher wurde danach das von ihm regier-

te Gotenvolk insgesamt als die Ostro-Goten benannt. Dieses Attribut hatte jedoch mit Osten noch

keinerlei Sprachverwandschaft. Ostrum bedeutet in griechischer Sprache die Farbe der Purpur-

schnecke (=ostrea) mit welcher kaiserliche Textilien eingefärbt wurden (=Ostrinus). Dieser Purpur war

gleichzeitig das Synonym für kaiserlich und blieb deshalb stets nur dem allerhöchsten Herrscherhaus

19 Jordanis, Gotengeschichte, I + IV 20 Die sogenannte Wielbark-Kultur in Polen 21 XXIII 22 Jordanis sow. Isidor v. S. = Bericht z. Lobe d. Goten, 67 23 Germania, 44

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vorbehalten. König Ostro-Gota war somit ein Kaiser-gleicher Herrscher der Goten aus der Dynastie

der Amaler, ein Kaiser- oder eben Purpur-Gote. Der für ihn geprägte Titel blieb dann auch an der ihm

zugehörigen Gefolgschaft, seinen Ostro-Goten haften. In den römischen Annalen werden sie auch als

Greuthungen genannt25.

In Rivalität zu ihnen erscheinen später die westlich der Karpaten siedelnden Thervingen-Goten26. Im

einst römischen Dacien östlich der Donau und an der Theiß hatten sie die Vandalen vertrieben und

dort selbst ein machtvolles Königtum etabliert. Von den ostro-gotischen Purpurträgern waren sie dabei

offensichtlich unabhängig geworden. Mit Roms Kaisern standen sie seit Konstantin der Große (324-

37) in wechselhafter Beziehung. Krieg, Friedensverträge und Bündnisse wechselten sich dabei in

regelloser Folge ab. Doch ihre Nähe zum ersten christlichen Kaiser-haus der Römer kamen auch sie

mit dem Christentum in Kontakt. König Rothestes und sein Sohn Attanarich sind die zuletzt bei ihnen

genannten und regierenden Fürsten.

Während die Römer in jenen Tagen der eintausendjährigen Existenz ihrer Metropole wie auch ihres

Staates ehrend gedachten überfiel der kaisergleiche Ostro-Gota mit seinen Heerscharen die römi-

schen Provinzen Moesien und Trakien an Donau und Schwarzmeerküste (um 248 n.Chr.). Sein Erbe

und Nachfolger Kniva vernichtete kurz danach ein ganzes Heer der Römer wobei auch deren Kaiser

Decius getötet wurde (251). Diese Ostro-Goten waren in der Tat zu machtvollen Gegnern und Rivalen

der römischen Purpur-träger herangewachsen. Es war wohl auch ein Zeichen ihres Selbstbewußt-

seins welches sie mit dieser ihrer Eigendefinition im Namen zum Ausdruck brachten. So kaiserlich wie

die römischen Augusti waren die gotischen Purpur-Herrscher und Könige allemal ! Trotzdem fand

deren kaisergleiches Imperium ein jähes Ende. Doch nicht die Legionen Roms sondern Reiterkrieger

aus der asiatischen Steppe vernichteten um 375 n.Chr. Herrschaft und Reich der Purpur-Goten.

Im Zenit ostro-gotischer Machtentfaltung stand König Hermanerich27. Jordanis, ein Chronist der goti-

schen Völker beschreibt den kaisergleichen Herrschaftsberreich dieses vorläufig letzten Amaler-

Königs Hermanerich. Ausgreifend von seinem Machtzentrum in der südlichen Ukraine hatte er eine

Vielzahl anderer Völker unter seine Oberherrschaftt gezwungen. Bis zu den >Aesten< an der Ostsee

reichte sein starker Arm. Alle Slawen (Veneter, Anten, Sklavenen ) waren unter sein Szepter geraten.

Ebenso alle Völker Germaniens28. Dieser machtvolle Gotenkönig soll gar mit dem Grossen Alexander

verglichen worden sein. Als er einhundertzehnjährig (!) starb wurde sein Imperium zur Beute der Hun-

nen.

Die Epoche der sogenannten Völkerwanderung hatte begonnen.

24 Jordanis XVII 25 J.v. Aschenbach u.a. 26 Dieser Name wird jedoch äußerst widersprüchlich überliefert. Ganz offensichtlich war diese Bennenung kei-nesfalls gesichertes Namensgut. Die unterschiedliche Bedeutung von griech. >y< im Vergleich zum lat. >u< mag dabei eine Rolle gespielt haben = They- statt Theu-inger. Um nicht drei aufeinanderfolgende Vokale zu schrei-ben (e+υ+i) wurde vielleicht ein >r< eingefügt =Theru- statt Theui-? 27 Hermin / Irmin ist nach Tacitus einer der drei mythischen und göttlichen Stammväter aller Germanen – Her-mane-rich ist demnach ein >reiks< (=rex) des Gottes Hermin/Irmin, ein Gott-könig. (In griechischer Schrift wird >H< durch den sog. Spiritus asper ( ` ) dargestellt und geht deshalb beim Übersetzen häufig verloren.) 28 XXIII, Man erkennt dabei deutlich wie auch Jordanis einen Unterschied zwischen dem germanischen Territo-rium und den dort lebenden Völkern sieht.

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3. Die Hunnen- Treiber des Deutschen

In den Jahren um 375 n.Chr. und danach veränderten sich die politischen, ethnischen wie auch

Macht-Verhältnisse an der Schwarzmeerküste und der unteren Donau dramatisch. Aus den unbe-

grenzten Weiten der zentralsiatischen Grassteppe tauchte ein bis dahin völlig unbekanntes Reiter-

und Nomadenvolk in das Blickfeld der am schwarzen Meer siedelnden Völker. Wegen ihres fremden

und dunklen Erscheinungsbildes und ihrer hoch differenzierten Kriegstechnik verbreiteten diese Hun-

nen Panik und Entsetzen unter den Schwarzmeeranrainern. Selber waren diese düsteren Nomaden

zuvor von chinesischen Kaisern besiegt und aus ihrer Heimat vertrieben worden. Danach hatten Ava-

ren sie auch aus der euro-asiatischen Steppe verscheucht. Seitdem waren sie unterwegs und auf der

Suche nach einem neuen Lebensraum. Go West war dabei offensichtlich ihre Parole.

Nun hatten sie den Don (Tanaos) und die mäotischen Sümpfe in seinem Mündungsgebiet durchquert.

Orientiert am Polarstern der ihnen als Mittelpunkt und zugleich spiritueller Nabel der Welt galt waren

sie im Sattel um diese Welt bis an alle ihre vier Ecken zu erkunden. Nur wenige Jahrzehnte nach ihrer

Ankunft am Schwarzen Meer welches bis dahin pontus euxinos, das Gastliche Meer genannt worden

war, galoppierten ihre Pferde bereits vor den Toren der spanisch-aquitanischen Stadt Narbonne (437)

und bei Paris (451) oder trugen ihre Reiter in Richtung Rom (453).

Die ohnmächtige Angst, die sie erzeugten spiegelt sich in den ihnen zugefügten Attributen der damali-

gen Chronisten wieder: Schwärzliche29 und düstere „Geisel Gottes“30, Zweibeinige Tiere (=bipedes),

die anstelle eines Gesichtes einen abscheulichen Klumpen auf dem Halse tragen31, so und ähnlich

wurden sie stigmatisiert und diffamiert. Hunnisch zu sein wurde zum deklassierenden Schimpfwort 32.

Entlang der Donau, von ihrer Einmündung in das nun Schwarze Meer bis hinauf zu den Quellen im

Schwarz-wald und dem Morsianischen, dem >schwarzen<33 Bodensee etablierten dieses schwärzli-

che Reitervolk später seine Herrschaft34. Es errichtete seine Dominanz über „fast alle Völker Skytiens“

(Jordanis). Die Donau wurde durch sie zum Skytischen Strom von ihren Quellen bis zur Mündung. Die

Skyten aber waren ein Volk der Antike nördlich des Schwarzmeeres und der unteren Donau beheima-

tet, dort wo wir gewohnt sind von Südrußland und der Ukraine zu sprechen. Ein nomadisches Reiter-

volk von Griechen wie Persern (Dareios) einst gleichermassen gefürchtet. Als Adjektiv gebraucht wur-

den alle vergleichbaren Völker dieser Region nachfolgend als >skytisch< bezeichnet. Die Thraker

wurden zuerst mit diesem Attribut belegt, von diesen ging es dann auch auf die Goten über. Nicht als

germanisch sondern für skythisch wurden auch sie von ihren Zeitgenossen eingestuft. „Die Griechen

nämlich hielten die Goten für Thraker“ so beschrieb schon Strabo vor zweitausend Jahren antiken

Historienschmäh35. Nomade und Reiterkrieger in den südrussischen Steppen zu sein reichte aus um

skytisch zu werden.

Herr über die skytischen Lande und Bewohner entlang der Donau und nördlicher Schwarzmeerküste

wurden nach 375 nun die Hunnen. Auch sie werden in oströmisch-griechischen Texten als Skythen

29 Jord.XXIV 30 Isidor v. S., 29 31 Jord.XXIV 32 z B. im Hildebrants-lied 33 lat. morus = tiefschwarz 34 Jord. V.

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benannt36. Das Zentrum ihres gewaltigen Groß-Reiches findet sich später in der Großen Ungarischen

Tiefebene an der Theiß (Tisa), dem Parthiscus der Römer. Attila (ca.441-453), der Etzel des Gibelun-

genliedes wurde in der Spätphase dann sein „alleiniger Beherrscher“37. Att-ila ist die gotische Kose-

form von Atta, dem Vater, >ila< macht ihn zum >chen<. Väter-chen Att-ila ist uns demnach in goti-

scher Sprache überliefert.

Doch zurück in die Jahre um 375 n.Chr. Auf ihrem Zug in die westliche der vier Ecken der Welt trafen

die Hunnen zunächst auf die Alanen38 (374). Diese gelten als ein iranisches Volk39 doch Jordanis,

selbst Gote mit alanischen Vorfahren benennt sie als ein Teilvolk der Goten. Dies muß kein Wider-

spruch sein denn die Alanen finden sich als Assimilanten unter einigen anderen Völkern wieder. Ob-

wohl ebenfalls zu den Reitervölkern gezählt und als solche den Krieg sogar mit Panzerreitern führend

unterlagen die Alanen als erste dem Ansturm der dunklen hunnischen Reiter. Wer konnte floh nun

selbst nach Westen. Auf ihrer Flucht rissen die Fliehenden entlang der Donau noch die Vandalen aus

Ungarn (Pannonien) ebenso die Donau-Sveben (Quaden, Buren?) und wohl auch die Bur-gunder mit

bis zum Rhein und von dort weiter durch Gallien bis hinüber nach Spanien. Die Verbleibenden aber

wurden zu Vasallen und Untertanen der Hunnen-Chane und mußten diesen willkommene Heeres-

folge auf deren weiteren Kriegszügen leisten.

In dem darauffolgenden Jahr (375) traf die Streitmacht der Hunnen unter ihrem Groß-Chan Balamber

auf das Volk und Heer der Ostro-Goten und ihres Königs Hermanerich aus der Sippe der Amaler.

Auch in dieser Schlacht bleiben die schwärzlichen Reiternomaden siegreich.

Die mächtige Herrschaft dieses Purpur-goten Hermanerich welches bis zur Ostsee und in die Germa-

nia reichte findet ihr Ende, sein Imperium wechselt den Besitzer. Seine besiegten Ostro-Goten wurden

ebenfalls zu Untertanen der Hunnen sofern sie dem nicht eine Flucht nach Westen vorgezogen hat-

ten. Der Zenit gotischer Machtentfaltung am Schwarzen Meer war überschritten.

„Wie eine Art Völkerwirbelwind rissen die Hunnen auf ihrem Kriegs- und Wanderungszug andere Völ-

ker mit sich fort“ so beschreibt Jordanis einhundertundachtzig Jahre später die Folgen der hunnischen

Eroberung.

Die Völkerwanderung war am laufen.

35 Geogr. III,2 36 W.Pohl, Kat. Hunnen und Avaren 37 Jordanis, XXXIV 38 Auch sie ein Opfer des nicht übersetzten spiritus Asper – als Halanen werden sie nur ganz selten wiedergege-ben. 39 P. Tomka, Kat. Hunnen und Avaren

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4. Wulfilas Bibelübersetzer und Schöpfer der germanischen Schrift-sprache

Schon etwa zwei Jahrzehnte bevor die schwarzen Hunnenreiter Europas Völker in Panik und Völker-

wanderung trieben hatte ein gotischer Bischof begonnen das Deutsche in die Welt zu bringen. Wulfi-

las40, ein frühchristlicher Priester und Missionar aus dem Volk der Goten hatte sich vor-genommen die

heiligen Schriften der Juden und Christen aus dem Griechischen in seine und die seines eigenen Vol-

kes Muttersprache zu übertragen. Mit zwei Begriffen mit denen er die von den Christen so ersehnte

Herrschaft des himmlischen Vater-Gottes auf Erden definierte gab er zugleich auch dem später sich

entwickelnden Deutsch seinen Namen. Mit der gotischen Wortsilbe >thiuth< = iu ( =th41), welche

in Zusammengefügtem zu >thiud< = wird42 benannte dieser Apostel der Goten seinen christli-

chen Gott-Vater in der Funktion als Herrscher und kosmischer König > iudans<. Mit > iudan-gardi<

definierte er das räumliche König-reich Gottes während > iudin-assus< das ideelle Herrscher-tum,

das regnum des göttlichen Vaters beschrieb43.

Aus diesem gotischen Thiud = welches zuerst das in der Bibel verheißene Herrscher-tum und

König-reich des christlichen Vater-Gottes benennt erwächst in langem geschichtlichen Prozess dann

jene Definition >deutsch< welcher unser Interesse gilt. aber ist ihr innerstes Wahres, ihr Ety-

mon.

Formuliert und in die geschriebenen Texte gebracht hat es der Gote Wulfilas – das Wölf-chen44, ein

Mensch den seine Zeitgenossen seiner sprach-kulturellen Bestleistung wegen als einen zweiten Mo-

ses rühmten45. Dieser in der Antike so gerühmte Übersetzer wurde etwa um 311 n.Chr. in den daki-

schen Provinzen (=westliches Bulgarien) des römischen Reiches geboren. Er gilt als ein Nachfahre

kriegsgefangener und damit unfreier jedoch christlicher Eltern. Dem eigenen Sklavendasein entzog er

sich wohl durch seinen Eintritt in den geistlichen Stand der frühen Kirche der Christen. Schon in jun-

gen Jahren, er war um die Zwanzig, diente er einer gotischen Gesandtschaft beim Römischen Kaiser

Konstantin der Große als Dolmetscher. Im Jahre 341, als etwa Dreißigjähriger wird er in Antiochia

zum christlichen Bischof geweiht. Diese Hauptstadt der römischen Provinz Syria ist zugleich Kirchen-

metropole und Hochburg der sogenannten >arianischen< Christen. Dort gilt wie auch im Patriarchat

Konstantinopel der Bibeltext des Lukian von Antiochia46 der durch seine Exegetenschule auch zum

Lehrer des Arius wurde47. Dieser Arianos war ein frühchristlicher Priester im ägyptischen Alexandria,

er starb um 336 n.Chr.. Er vertrat die Lehrmeinung daß Jesus von Gott dem Vater geschaffen und

deshalb weder ewig noch dem Vater-Gott wesens-gleich sein könne. Auch dem Hl. Geist (=Logos)

40 Da sowohl dem griechischen wie auch dem lateinischen Alphabet zur adäquaten Wiedergabe typisch germani-scher Sprachlaute entsprechende Schriftzeichen fehlen mußte auch für >W< oder >hv< eine Hilfkonstruktion gefunden werden. So wurde dieser Name auch als Gulfilas, Hulfilas, Ulphilas, Urphilas o.ä.geschrieben. = z. n. J.v. Aschenbach. 41 In Wulfilas‘ gotischen Schriftzeichen 42 Im Inlaut wird >th< zu >d< 43 Alle Zitate aus gotischem Text sind bis auf =th mit lateinischen, nicht mit >gotischen< Schriftzeichen wie-dergegeben 44 got. >-ila< ist >-chen<, (Diminutiv) 45 nach F. Dahn 46 Fr.v d.Leyen 47 Siehe Patrologie

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wies er einen deutlich nachgeordneten Rang zu. Damit aber stand er in polarem Gegensatz zur ortho-

doxen, der katholischen Fraktion innerhalb der frühen Christenheit. Diese hatte sich für die Lehre des

Athanasius entschieden. Er hatte jene Wesens-Gleichheit und Einheit der göttlichen Dreieinigkeit von

Vater – Sohn – Hl. Geist postuliert welche dann für alle Christen zum zwingenden und >katholischen<

Dogma wurde.

Die römischen Kaiser favorisierten jedoch im vierten Jahrhundert die arianische Lehre, sie wurde un-

ter Konstantinus II. (337-361) sogar für die Gesamtkirche als verbindlich erklärt. In diesen Jahren wur-

de auch Wulfilas zum arianischen Bischof geweiht – zum Verkünder der kaiserlich sanktionierten

Lehrmeinung innerhalb der frühen Christenheit. Als solcher begann er nun seine Missionsarbeit unter

den gotischen Völkern an der unteren Donau und den Ufern des Schwarzen Meeres. Als gläubiger

Christ und Verkünder des Neuen Evangeliums will er seinem eigenen Volk das Heil48 des einen und

wahren Gottes übermitteln. Um dies jedoch nicht in einer fremden Sprache tun zu müssen beginnt er

die heiligen Bücher der Juden und Christen zu übersetzen. Die >Septuaginta<, das in Alt-Griechisch

geschriebene und von Lukian redigierte Buch der Bücher und den darin als >Theos< (= Θεος ) be-

nannten einzigen und wahren Gott will er in die Muttersprache seiner Goten übertragen.

Schon Jahrzehnte bevor Hieronymus49 seine lateinische Bibelübersetzung, die sogenannte >Vulgata<

zustande bringt ist das gotische Wölfchen bereits am Werk. Seine Goten-Bibel repräsentiert somit die

erste Gesamt-übersetzung der griechisch-sprachigen Bibel in eine andere Sprache.

Noch bevor die Lateiner diese Heilige Schrift in einer allgemein verbindlichen Übertragung in ihrer

eigenen Sprache zur Verfügung hatten war es einem Barbaren gelungen die Worte Jesu und das Alte

Testament dem Volk der Goten in deren eigener Sprache zu übermitteln! Die sprachschöpferische

Leistung die dieser arianische Apostel der Goten mit seiner Bibelübersetzung dabei vollbrachte ist

kaum mehr nachvollziehbar. Seine Aufgabe war noch um einiges schwieriger als jene die Martin Lu-

ther zwölf (!) Jahrhunderte später zu bewältigen haben wird. Für die von ihm gewollte Übersetzung

stand Wulfilas weder eine ausgeprägte gotische Hoch-sprache mit entsprechender Begriffsbildung

noch ein gotisches Alphabet zur Verfügung. Und doch mußte er die göttlichen Wahrheiten unver-

fälscht aus dem Griechischen in die Dialekte der Goten transponieren. Nicht literarischer Ehrgeiz son-

dern die religiöse Authentizität der Worte Jahwes und Jesus war dabei unverzichtbarer Maßstab – das

Seelenheil nicht nur des Übersetzers hing von einer wortgetreuen Übertragung ab.

Nun war jedoch weder das Alphabet der Griechen noch jenes der Lateiner in der Lage spezifische

germanisch-gotische Sprachlaute (sog. Phoneme) adäquat abzubilden. Weder das fundamental be-

deutsame >w< noch ein >hv< waren beispielsweise vorhanden. Für manche Sprachlaute gab es in

Latein kein entsprechendes Schriftzeichen (gr. Θ = th) für anderegab es solche nur dort (= >h< oder

>u<). Einige Grapheme wiederum sind beiden Schriften geläufig jedoch von unterschiedlicher Bedeu-

tung (z.B. >X< und >H<). Andererseits werden ähnlich klingende Phoneme völlig unterschiedlich no-

tiert (>ch<, >k<, >X<). Selbst >i< und >j< oder >g< werden unterschiedlich interpretiert50.

48 Schon in dieser frühen Zeit ist >hails< das gotische Wort dafür. 49 Er lebte von 345 - 420 n.Chr. 50 Wulfilas‘ Zeichen für >j< führte dann später im wisi-gotisch gewordenen Spanien offensichtlich zur Verwir-rung. Die Ortsansäßigen Lateiner hatten damit Konkurrenz für ihr >i< erhalten. Ihre Badebucht=baia war im Schriftbild anscheinend nicht mehr vom >baja< mit wesentlich anderer Aussprache zu unterscheiden. Ein gelehr-

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Nun gab es zwar andererseits auch Runen, jene geritzten und geschnittenen Zeichen welche die Et-

rusker und wohl auch die gallischen Kelten zu Caesars Erstaunen schon benutzt hatten und deren

Ursprung in Griechenland (Euböa) liegt51. Zur Formulierung und Wiedergabe eines hochdifferenzier-

ten griechischen und religiös-philosophischenTextes waren sie jedoch ungeeignet52.

Also formte der gotische Missionsbischof sein eigenes und >gotisches< Alphabet. Vielleicht lag ihm ja

auch daran seinen eigenen Namen endlich korrekt auf Papyrus getuscht zu sehen53. Wir können da-

bei sichtbar nachvollziehen, und dies ist einmalig in der gesamten Menschheitsgeschichte, wie ein

Einzelner eine Schrift, ein neues Schreibsystem entwickelte und es zur Anwendung brachte. Nicht ein

Prozeß der als kulturelle Entwicklung über lange Zeitspannen hinweg ein Schriftsystem entstehen ließ

sondern die geniale Einzelleistung eines Menschen wird auf Wulfilas‘ Pergamenten mit Tusche sicht-

bar dokumentiert.

Die Frühgeschichte der Kulturen weist allgemein die Erfindung von Schriftzeichen den Göttern selbst

zu. Den Ägyptern schenkte ihr Urgott Thot die sacralen Zeichen des Schreibens und Germaniens

Götterboss Wotan hing einst neun lange Nächte leidend im Weltenbaum Yggdrasil um seinen Gläubi-

gen die Runen als Schreibhilfe erfinden zu können. Vielleicht entsprach sein Leiden auch dem Frust

ständig erleben zu müssen was griechische wie lateinische Schreiber mit ihren Schriftzeichen aus

seinem Namen stets machten54.

Auch Mose hatte einst die Gebote des HERRN in Stein gemeißelt – ob er dazu eigens ein semitisches

Alphabet erfinden mußte oder sich dabei der in Ägypten kennengelernten Hieroglyphen bediente ist

nicht überliefert. Doch der altägyptische und erste Ein-Gott der Geschichte, Jati (= Aton)55 wurde

trotzdem zum Jahwe des Volkes Israel und der Bibel. Dieser hebräische Jahwe wurde im Griechi-

schen dann zu Theos während die lateinische Version ihn deus benennt. Zu >Guth< (th= ) wurde er

danach in gotischen Texten.

Nun aber formte Wulfilas in ästhetisch höchst ansprechender Weise sein eigenes, ein gotisches Al-

phabet. Er griff dabei auch auf die griechischen Schriftzeichen zurück doch im Wesentlichen erfand er

eigene und neue Buchstaben. Auch einen für Wotan und für sich selbst. Aus dem Alphabet der Grie-

chen nahm er klein-gamma >γ< und definierte es mit seiner Nachbildung >Y< als ein >w<. Damit die-

ses jedoch nicht mit einem behauchten >hv< zu verwechseln war gab er dem in gotischer Sprache

benötigten Laut das Zeichen >Ο< (muß noch mit einem Punkt in der Mitte ergänzt werden). Der

sprachgeschichtlich wirkungsmächtigste Graph aber ist wohl sein für den stimmlosen Reibelaut

ter Isidor von Sevilla sah sich deshalb genötigt aus der lateinischen >baia< seine goto-spanische >bahia< zu machen um sie so von einem wisi-gotischen >baja< unterscheidbar zu machen. 51 G. Camp, Kat. Etruscer 1993 52 Es ist im Gegenteil eher zu fragen ob der Gebrauch dieser Runen in Nord-osteuropa nicht einen Versuch dar-stellt manche der von Wulfilas‘ geschriebenen und runde Zeichen linear in Holz und Stein zu ritzen. Die Blüte und der Massengebrauch von Runen fällt in jene Epoche in der die gotisch-arianische Schriftkultur bereits zer-stört war. Die Ähnlichkeit mancher Runen mit Graphemen des Goten im zeitlichen Ablauf betrachtet ergibt daß nicht Wulfilas die Runen übernahm sondern die Runenschneider eher das Goten-alphabet teilweise nachahmten. 53 Da weder das lateinische nach das Griechen-Alphabet ein >W< kennen wurde Wulfilas als Ulphilas, Urhpilas, Hulfilas, Gulfilas oder ähnlich notiert. 54 Wegen des fehlenden >W< reicht auch Wotans Name von Guodan und Godan bis Odin. Daß der im Gotischen verwendete Begriff >guth< bzw. >gudis< für Gott/Gottes sich dabei aus Godan = Wotan herleitet wäre durchaus vorstellbar.

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>th< der bei den Griechen als Θ (=theta) notiert ist. Jedem Sprachschüler der sich mit der Ausspra-

che des englischen >th< (lautspr.=θ) abmühen mußte ist der Klang dieses Zeichens vertraut. Dies war

nicht immer so. Nachdem Wulfilas‘ gotische Schriften zum Vergessen verurteilt waren bemühten sich

angelsächsische Schreiber erneut für diesen un-lateinischen Sprachlaut ein spezielles Zeichen neu zu

erfinden. Es war wohl die Gelehrsamkeit iro-schottischer Mönche die auf Grund ihrer Kenntnis des

Griechischen und vielleicht auch der Runen zum neuen Zeichen > < für Wulfilas‘ > < fanden56.

Wir können uns wohl nur noch annäherungsweise eine Vorstellung davon machen was für eine Auf-

gabe dieser Gotenapostel zu bewältigen hatte als er begann die Griechen-Bibel Septuaginta zu einer,

seiner gotischen werden zu lassen. Da wir diesen gotischen Missionsbischof durch seine Überset-

zungsarbeit jedoch zugleich für den Schöpfer der Definition deutsch halten verdient seine Mühe

durchaus unsere Aufmerksamkeit.

Die Goten werden als Halbnomaden und Reitervolk beschrieben und deshalb den Skyten und Thra-

kern beigesellt. Zu Ost-germanen wurden sie erst durch die deutsch-völkische Geschichtschreibung

gemacht. Ein kriegerisches Volk das sich auch mit Kriegs- und Beutezügen den eigenen Lebensstan-

dard aufbesserte. Eine territorial-staatliche-Organisation war ihnen völlig fremd. Auch für sie galt statt

dessen die personale Bindung an einen Fürsten und/oder dessen Sippe. Eine stets neu zu vereinba-

rende Gefolgschaft oder auch Unterwerfung bildete deren Reich, ihr regnum. Soweit die Fürstenge-

walt über Gruppen und/oder Völker sich erstreckte entstand seine Herrschaft, sein regnum und Reich.

Starb der regierende Fürst zerfiel meist auch sein Reich. Der Begriff Reich (got.= reiks) trägt dabei

eine zweifache Bedeutung. Zum einen beschreibt er die territoriale Ausdehnung einer Herrschaft wäh-

rend er zugleich auch die ideelle Herrschergewalt über Menschen und Dinge benennt. Denn nicht ein

Land sondern die Menschen bildeten die Basis für die Herrscher-macht. Als einen „Personen-

verbandsstaat“57 bezeichnet die historische Wissenschaft diese Art der Staats- und Herrschaftsgebilde

früher Germanen. Mit dem Imperium und dem institutionalisierten Staat der Römer war dies in keiner

Weise vergleichbar.

Wie hätte nun ein Missionar seinem Gotenvolk Begriffe wie ein Reich Gottes oder die Herrschaft Got-

tes mit römisch-lateinisch definierten Staats- und Herrschaftstermini vermitteln sollen? Von einem

Imperium Gottes als dem christlichem Gegenpol zu jenem alle bedrohenden der Römer erzählen?

Wie einem kriegsfreudigen und durch die Mythen von Heldentaten geprägten Krieger-volk die dulden-

de Hinnahme von Leid und Not als den Willen Gottes (got.=Gudis) entsprechend vermitteln? Der

Chronist gotischer Geschichte, Jordanis erzählt uns dazu passend daß Wulfilas das Buch der Könige

nur deshalb nicht aus der Bibel übertragen habe um die ohnehin kampffrohen Goten nicht zusätzlich

anzureizen! Wie also diese heldenhaften Gotenkrieger zur Gefolgschaft für einen gewaltlosen Fürsten

Jesu überreden der zudem noch fordert selbst Feinde als Menschen-Brüder zu achten, ja zu lieben?

55 Jati entspricht nach W. Seipel und E. Hornung dem ursprünglichen Namen des ägyptischen Lichtgottes sehr viel mehr als das bekanntere Aton. 56 Wie ein halbiertes griechisches Φ (= Phi) wirkt deren > < für stimmloses >th< ( ). Auch ihr > < wel-ches sie für ein stimmhaftes >dh< benützten kann seine griechische Herkunft aus >δ< wohl kaum verbergen. Im Gegensatz zu den Briten versuchten die Festlands-schreiber mit den lateinischen Graphemina zurecht zu kom-men und machten >th< wie > < zu >dh<, >d<, >t< oder gar >Z<. 57 Deutsche Rechtsgesch.

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Wie ihnen einen Vater-Gott (got.=Atta) verständlich machen der seinen geliebten Sohn den irdischen

Mördern so einfach überlies ?

Wie einen feigen und Verräter Petrus als geistig-spirituelles Oberhaupt dieser christlichen Kirche und

Stellvertreter des Gottessohnes auf Erden glaubwürdig machen ? Die Apostel insgesamt erschienen

kriegsfreudigen und gefolgschafts-fixierten Goten wohl nicht nur als zahnlose Tiger sondern wie ehrlo-

se Feiglinge und Verräter zugleich. Und diese dann als Nachfolger Jesu auch noch zu verehren?

Der alt-sächsische Heliant gibt noch um 830 n.Chr. ein bildhaftes Beispiel für diese sozio-kulturell

bedingten Probleme bei der Vermittlung christlich-gewaltloser Glaubensinhalte an kriegsgewohnte und

von heldischem Mythos geprägte Barbaren. Der Gotenbischof aber wirkte fast ein halbes Jahrtausend

zuvor! Noch waren die Hunnen nicht im Blickfeld der Balkanbewohner aufgetaucht, noch bindet das

persönliche Großreich des Hermanerich viele Völker, nicht nur gotische in den Zugriff dieses Ostro-

Goten. Am Rhein und der oberen Donau werden Alamannen und Franken von den römischen Legio-

nären noch immer zu Paaren getrieben. Noch ist Gallien römische Präfektur, von Tanger und den

Landspitzen Südspaniens bis zu den Schotten und dem Hadrianswall auf der Britischen Insel sich

erstreckend. Die Franken haben gerade ein Fleckchen Erde in Ost-Belgien und an der Schelde

(=Toxandrien) als Foederaten (= Hilfstruppen) vom römischen Kaiser zugestanden erhalten. Die Völ-

kerwanderung läßt noch auf sich warten. Das Imperium der römischen Gott-Kaiser58 hat seine größte

räumliche Ausdehnung erreicht. Aus dieser Epoche entstammt die Goten-bibel des Wulfilas.

In jenen Tagen hatte er sich entschlossen seinen kriegstapferen Goten vom Gewaltverzicht fordern-

den Jesu und dessen Atta=Vater und seinem kosmischen Königtum iudin-assus nicht nur zu erzäh-

len sondern diese frohe Botschaft ihnen auch in ihrer eigenen Sprache zu übermitteln. Wie sollte, ja

mußte er die biblischen Texte welche in der höchst entwickelten Hoch- und Kultursprache jener Zeit,

dem Griechischen formuliert waren, wie konnte er diese in einen bisher nur gesprochenen Germanen-

dialekt transportieren ? Von der verheißenen göttlichen Herrschaft, dem versprochenen Gottes-tum

auf Erden und einem ebenfalls göttlichen Reich auf derselben hatte der christliche Bote zu künden.

Doch mit welchen Begriffen ?

Wie rex, Dominus et Deus, Basileus, Imperium oder ähnliche jedoch durch römisch-lateinische

Staatspraxis geprägte Begriffe in annehmbare Worte für die Goten übertragen? Auch der römische

Kaiser war ja ein Gott, war ein >Guth<59, Deus und Theos in einer Person, er war der HERR (latei-

nisch Dominus genannt oder >Fraujins< in Wulfilas‘ Sprache). Wie also Gottesbegriffe in die Vorstel-

lungswelt der Goten umsetzen die alle zugleich auch identisch mit der römischen Kaiserschaft waren?

Martin Luther konnte zwölf Jahrhunderte später auf völlig andere Grundlagen bei seiner Bibelübertra-

gung zurückgreifen. Er übertrug dieselben griechischen Texte wie Wulfilas für ein staatstheoretisch

schon erfahrenes Volk mit bereits hochentwichelter Schrift- und Kultursprache. Selbst die christliche

Glaubenserfahrung wollte Luther ja nur reformieren, nicht sie an ein kriegerisches Barbarenvolk erst-

mals und neu übermitteln. Auf all dies konnte Wulfilas nicht zurückgreifen.

Bot der germanische Götterhimmel einen Ausweg für seine Übertragung? War er zu entfremden und

gleichzeitig aufzufüllen mit christlichen Inhalten?

58 Dominus et Deus, Herr und Gott war ihr Titel 59 =got für Gott

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Die Götterwelt der Griechen war diesen Weg gegangen. Hesiod, ein antiker Dichter der Griechen zog

etwa 500 Jahre vor der Geburt des Jesus aus Nazareth ein Fazit seiner Götterwelt. Damals präsidier-

te noch Zeus/Dio als Vorstandsvorsitzender des göttlichen Aufsichtsrates im Olymp. In seiner Theo-

gonie versammelte Hesiod an die 300 griechische Götter die den Ablauf der Menschheitsgeschichte

ihren eigenen Vorlieben entsprechend beeinflussten. Im Verlauf der sprach- und kulturhistorischen

Entwicklung wird aus Theo-gonie der eine und wahre Gott Theos (=gr. Θεος ) aller Juden und Chris-

ten. Doch soviel Zeit hatte Wulfilas nicht zur Verfügung.

Als Präsident aller germanischen Götter „der immer bei allen Germanenstämmen“ gekannt und ver-

ehrt wurde60 gilt der Historikerzunft >Ziu<. So wird er in alt-hochdeutsch auf Pergament getuscht. Tiuw

oder Tiv schrieben ihn die frühen Angelsachsen, Tyr machten die Skandinavier aus ihm. Seine in-

doeuropäische (ie.) Sprachwurzel gilt als rück-erschlossenes *Teiwaz61. Doch ob dieser Tei-

waz=Tiuw=Ziu tätsächlich jener heidnische Götterboss war den unsere germanophile Historik im letz-

ten Jahrhundert aus ihm machte ist äußert zweifelhaft. Daß ihn Wulfilas kannte wohl ebenso.

Tacitus wiederum berichtet von einem Erd-entsprossenen Germanengott Tuisto von welchem die

germanischen Menschen (got. =Mannans) nach deren eigenem Glauben abstammen würden. Aus

ihm durch bloße Vokalumstellug Tiusto und Thiuth (got.= iu ) werden zu lassen wäre als sprachli-

che Veränderung nichts ungewöhnliches62. Doch kannte Wulfilas dieselben Mythen wie Tacitus ?

Julius Caesar hingegen lernte bei den Galliern den Vater-Gott Dis (= Dispater) kennen. Selbst er kä-

me für eine Sprachtransformation in Frage. Aber war er auch Wulfilas bekannt ?

Alle diese Götter-namen deuten trotz ihrer unterschiedlichen Schreibweise auf eine gemeinsame und

indoeuropäische Sprachverwandschaft hin. Doch war einer von ihnen zur Übersetzung des grie-

chisch-christlichen Theos tauglich und für Wulfilas zu gebrauchen? Besaß einer von ihnen die göttli-

che Potenz um auch als Gefäß für die christliche Gottes-vorstellung zu dienen? War der um ihn wirk-

same Mythos und seine Wort-aura ausreichend um die imperial kontaminierten Gottes- und Herr-

schaftsbegriffe der Römer in gotischer Sprache ersetzbar machen zu können?

Hatte All-Vater63 Godan=Wotan die allumfassende Bedeutung um zum christlichen *guh64 und >Guth<

werden zu können?

Ein etwa fünf Jahrhunderte nach Wufilas entstandenes Beispiel läßt uns einiges erahnen von jenen

Schwierigkeiten mit welchen sich auch der Gotenbischof abzuplagen hatte um den einen und wahren

Gott aller Christen seinen Heiden zu vermitteln. Zur Zeit Karl der Große (768-814) wurde die lateini-

60 E. Nack 61 R.E. Keller 62.Diese Deutung führt aber dann geradezu zwangsläufig zur Frage ob nicht jener von der deutsch-germanophilen Historik so hochgeschätzte und vermeintlich bei allen Germanenstämmen bekannte und verehr-tete Thing-Gott Ziu (s. E. Nack) nicht ein übrig gebliebenes Sprachrelikt von Wulfilas‘ arianisch-ketzerisch definiertem thiuth = iu repräsentiert. Nicht ein vermeintlich indo-europäisch erschlossener *teivas son-dern Wulfilas‘ iu wäre demnach mit oberdeutscher Lautverschiebung zum vermeintlich >heidnischen< Ziu geworden. Noch verwerflicher als ein Heidentum war den katholischen Christen stets die Ketzerei – ein heidni-scher Ziu war wohl deshalb weit weniger brisant als ein gotisch-arianischer iu! Bei einem der mittelaterli-chen Autoren, bei Gregor von Tours lassen sich Hinweise für eine solche Vermutung finden. Doch davon an anderer Stelle. Falls die deutsch-preußisch-völkische Historik tatsächlich auf den Leim der entstellenden Praxis mittelalterlich-katholischer Chronisten hereingefallen sein sollte darf Schadenfreude erlaubt sein. 63 F. Dahn 64 Die Linguistik benent *guh als das indoeuropäisch >Angerufene< Göttliche und Etymon für >Gott<

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sche Sprache in breiter Front in germanische Dialekte übersetzt. Auch der Gottesbegriff wurde dabei

muttersprachlich neu definiert. Im Wessobrunner Gebet jener Zeit ist er bereits stilsicher als >Cot<

geschrieben. In Fulda war man offensichtlich noch nicht ganz soweit. Das dort gefundene Hildebrants-

lied vertraut dem neuen Gottes-Namen noch nicht so ganz. In diesem Heldenepos sind der lateinische

Deus wie auch der griechische Theos auf Pergament noch vergesellschaftet mit dem sächsischen

Heiden-Gott Irmin. Dieser Irmin aber ist wiederum identisch mit jenem Hermin den Tacitus als einen

der drei Götter-söhne des Tuisto benannte65. Karl der Große selbst hatte während seiner Eroberungs-

kriege gegen die Sachsen deren Heiligtum, die Irmin-sul zerstört (772). Ein christlicher Schreiber ver-

suchte nun seinen Gott durch eine direkte Begriffsverknüpfung mit diesem Heidengott zu überrmitteln.

Als >Irmin-deot< sollte diese Wortbildung offensichtlich den Übergang vom gewohnten Heidnischen

zum Neuen der Christen erleichtern helfen66. In einem nächsten Schritt wird dann >Irmin-got< notiert

um dann im dritten Versuch nurmehr von >got< allein zu schreiben67. Die pädagogischen Schritte zur

Bekehrung liegen dabei offen zutage. Irmin + deot also ist got (=Gott). Nur mit dieser tautologischen

Wortschöpfung glaubte der fromme Mönch ganz offensichtlich seinen christlichen Gott den Heiden

rüber bringen zu können. Der von ihnen gekannte Gott ìst Irmin, er wird gleichgesetzt mit christlichem

deot, deot aber ist germanisch got (=Gott).

Doch nun zurück zu Wölfchen und seinen Problemen. Oder hatte er solche gar nicht? War sein Wort

für Gott =>guth< als das substantituierte >Angerufene<68 seinen Goten sprachlich bereits so vertraut

daß für sie >thiudan-gardi gudis<69 mit dem >König-reich Gottes< in christlicher Bedeutung indentifi-

zierbar war? Beschreibt Wulfilas‘ thiuth (= iu ) dassselbe wie Tacitus‘ Tuisto70? Gotisches iu- für

lateinisches Tui- ? ( iudan-gardi dann als ein Gottes- statt dem König-reich und iudin-assus als ein

Gottes-tum?) Hat der Gotenmissionar diese Begiffe selbst geprägt oder konnte er sie aus dem Ge-

sprochenen als bereits bekannt übernehmen? Um es zu erfahren wäre Wulfilas selbst zu befragen.

Wie dem auch sei, guth / gudis setzte sich als der christliche Gott in gotischer Sprache und und als

germanische Entsprechung für griechisches Theos und lateinischen deus durch. Trotzdem aber blieb

in gotischen Texten >Atta< (=Vater) die bevorzugte und weit häufigere Benennung für den jüdisch-

christlichen Vater-Gott über den Himmeln.

Wulfilas‘ gotische Begriffsbildungen und deren Sinngehalt waren entstanden im östlichen Kultur-

umfeld der Griechen und deren Sprache. Sie waren geprägt worden noch bevor Kaiser Theodos zum

Inbegriff der Goten für kaiserlich-irdische Herrschaft und > iudans< geworden war. Dies sollte be-

dacht sein. Vor allem auch bei jenen Begriffen zu >thiuth<( iu ) und davon abgeleitetem > iud-<

welches wir zum ältesten Dokument des Deutschen erklärt haben.

Wenn wir einen Vergleich mit Luthers Wortprägungen aus dessen Übertragung der griechischen Bi-

bel-texte heranziehen, so wird unverkennbar daß anstelle des von ihm gesetzten >loben< und preisen

Wulfilas stets ein >thiuth< ( iu ) notierte. Beide aber schöpfen aus der gleichen Quelle. “Hosian-

na, gelobet sei ...“ übersetzt Luther (Mark.XI, 9+10) wo Wufilas‘ Text

65 Germania 66 Als Fußnote sei gefragt weshalb der Schreiber in Fulda pseudogriechisches und lautverschobenes deot (=theos) statt des lateinischen Deus schrieb. 67 n. E. Nack 68 So deutet die Etymologie das Gemeinte von guth=Gott, erschlossen aus *ghu. 69 Als Inlaut wird >th< = meist zu >d<, z.B. Guth zu Gudis oder Thiuth zu Thiudan- etc. 70 Wobei zu beachten wäre daß stimmloses >th< den Lateinern nicht vertraut war.

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„Osanna thiuthida sa ...“ lautet71.

„Gelobet sei das Reich unseres Vaters Dauid“ schreibt Luther,

„Thiuthido so qiandei Thiudangardi in Namin Attins unsaris Daweidis“ steht dafür im Gotischen. Auch

bei Lukas (I:,64+65) findet sich >lobete< und >gelobt sei< als identisch mit „thiuthjands“ und „thi-

utheigs“. An anderer Stelle ist >das Gute< mit „thiuth“ definiert während das Böse als „unthiuth“ (Un-

gutes) benannt wird (Mark.III.,4). Bei Markus (X.,17+18) wird Jesus richtig zornig als ihn ein Frommer

mit >Guter Meister< in gotisch >Laisari thiutheiga< anspricht. Was heißt du mich >gut< = „thiutheiga-

na“ – niemand ist >gut< = „thiutheigs“ außer Gott gibt er unwirsch zurück. Gut oder gelobt sei sind

demnach bei Luther jene Bibelworte die Wulfilas mit „thiuth“ (= iu ) übersetzte. Moses >gelobtes<

Land ist demnach als ein gutes und gleichfalls gepriesenes zu verstehen.

Gotisches thiuth = iu aber erscheint jedoch auch als die zur Person gewordene und gepriesene

Gut-heit, die Güte, der Gute – als iudans. Er ist wohl das substantivierte Gepriesene oder Gelobte

und zugleich die Güte. Zuerst wohl Attribut eines myhtischen Herrschers und/oder Gottes (der Geprie-

sene?) wurde es danach als ein Verbalabstraktum zum Titel = iudans. Folgt man der Sprachwissen-

schaft so ergibt sich daß sowohl >guth< als das >Angerufene< wie auch >thiuth< als ein Gutes und

>Gepriesenes< göttliche Eigenschaften verkörpern. Für Wulfilas mag diese ursprüngliche Beteutung

noch erkennbar gewesen sein als er sein iudin-assusund iudan-gardi formulierte um damit die

ersehnte Herrschaft des biblischen Vater-Gottes zu benennen. In diesem >gelobten< Reich (= iu-

dan-gardi) des unsterblichen Vaters = Atta über den Himmeln wird (endlich!) das Gute, die Güte (=

iu ) und die Gut-heit (= iudin-assus) Gottes (=gudis) herrschen.

Dieser wortimanente Sinn von Wulfilas‘ Begriffsprägungen mit iud-wäre demnach nicht bloß auf

einen irdischer >reiks<72 als König und rex (= iudans) sondern auf die gepriesene Güte (= iudin-

assus) des göttlichen wie auch >gütigen< Vaters bezogen. Wulfilas‘ Wortschöpfungen implizieren

dieses Göttliche. Sein iudin-assus benennt nicht ein beliebiges König-tum und dessen Macht-

bereich sondern definiert die >gelobte< Herr-schaft des einen und wahren Gottes aller Juden und

Christen. Auch wenn iudin-assus als ein König-tum zu übersetzen ist so meint es doch auch das

Gottes-tum des ewigen und kosmischen Vaters Atta. In Wulfilas-gotisch repräsentiert iu = thiuth

im Ursprung ein zu preisendes Gutes und nicht bloß ein irdisch Königliches. Dabei ist für unser Thema

ist nicht so sehr von Bedeutung in welchen mythischen Tiefen die von Wulfilas erstmals geschriebe-

nen Worte gründen sondern vielmehr daß und wie sie zum adjektivischen >deutsch< werden konnten.

Was über das erhoffteund göttliche Herrscher-tum gesagt wurde gilt gleichermaßen für das ersehnte

>Reich< Gottes. Hätte der Gotenbischof nur einen irdisch-territorial definierten Macht-bereich oder

Imperium sinngemäß übertragen wollen so hätte er wie alle die ihm Jahrhunderte später nachfolgen-

den germanischen Schreiber wohl ebenfalls ein gotisches >reiks< geschrieben. Doch an die Stelle

dieses Wortes welches in den unterschiedlichsten germanischen Dialekten als ein Identisches zufin-

den ist73 setzte Wulfilas jedoch sein >gards<. Dieses Wort aber verkörpert ein ganz Persönlich-

71 V.d.Leyen §32 72 Dieser Begriff für einen Herrschenden kennen die gotischen Bibeltexte ebenfall, er wird zu >rikos< und >rich<. 73as. =riki, ahd. =richi, al. =rice, alam.= rihki, n. E. Keller

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intimes. Es impliziert eher Haus und Hof74 als ein >Reich< im Sinn von regnum und/oder gar Imperi-

um. Dafür kennt das Gotische ein >reiks<.

Sehr häufig findet sich dort wo Martin Luther in seiner Übersetzung ein Heim, das Zuhause oder im

Haus des ... notierte, im Gotischen dafür ein >gards<75. Der gotische Hausherr ist als ein >garda-

waldands< benannt, sein Wein-garten ist der >weina-gards<. Diese Art von Reich als den persönli-

chen Wirkungsbereich des unsterblichen Vater-Gottes Atta meint wohl auch Wulfilas‘ > iudan-gardi

Attins<. Selbst die Poesie kommt dabei nicht zu kurz. Der gotische Hausbereich >gards< gilt als ur-

verwandt mit dem >chortos< und Garten der Griechen. Ein gotisches iudan-gardi als ein Gottes-

garten und Verweis auf den göttlichen Garten Eden aus der eben übersetzten Bibel! Die Herrschaft

des göttlichen Vaters Atta als ein Paradies auf Erden mit gleichzeitig emotionalem Appell an das ver-

gangene und goldene Zeitalter vor dem Sündenfall. Darauf zielte wohl die Worterfindung des goti-

schen Wölfchen. Als gleichermaßen poetisch wie kongenial würde eine solche Übersetzung heute

gefeiert werden.

Um wieviel nüchterner liest sich dagegen der von Augustinus für Dasselbe gebrauchte Begriff des

civitas Deii – Gottes-staat. Der katholische Kirchenlehrer und noch Zeitgenosse des Wulfilas hatte in

lateinischer Sprache und wurzelnd im römischen Begriffs- und Bildungskanon mit seiner Definition

formuliert was der gotisch-arianische Bischof mit eigenen Schriftzeichen als iudan-gardi benannte.

Dessen Vorstellungswelt und die seiner Goten war eine deutlich andere als die der Römer. Doch es

ist der gleiche jüdisch-christliche Gott – im Griechischen Theos, lateinisch als deus benannt, dessen

Reich und Herrschaft auf Erden im biblischen Gebet als ein gotisches iudan-gardi und iudin-

assus ersehnt werden. Nicht ein heidnisches As-gard76 oder ein unverbindliches König-reich sondern

das christliche Gottes-reich definiert Wulfilas‘ Worterfindung. Es ist deshalb zu fragen ob das frühgoti-

sches Thiud- = dieses genialen Übersetzers und Worterfinders mit Königs- wirklich sinnent-

sprechend übertragen wird.

Zu dem Wenigen was uns an Schriften von Wulfilas erhalten und überliefert ist zählt das sogenannte

>Vater unser< aus dem Mattheus-Evangelium das als Codex argenteus in Upsala gut verwahrt wird.

Schon allein das Zitieren dieses biblischen Gebets wirft ein trübes Licht auf die übersetzende Sprach-

historik. Was in Latein mit >Pater noster< formuliert ist wird bei Wulfilas zu >Atta unsar< (Martin Lu-

ther notiert zwölfhundert Jahre später >Unser Vater<). Insgesamt fünfmal wird allein in dem kurzen

Text des Kapitel VI der göttliche >Vater< über den Himmeln als >Atta< benannt. In allen erhaltenen

gotischen Bibeltexten wird Fadar jedoch nur ein einziges Mal und dabei als Vokativ erwähnt77 ansons-

ten wird immer (!) von Atta geschrieben. Trotzdem aber vermittelt die Linguistik >fadar< als das goti-

sche Wort für >Vater<78! Doch für Wulfilas war dies eindeutig >Atta< gewesen79. Auch mit diesem

74 Analog dem lat. Civis, dem Hauswesen 75 Die Edda wiederum trennt die Welt in drei Zonen. Ut-gard ist das Außen, bewohnt von Riesen und allem sonstigen Schlimmen. Es umschließt Mit-gard die Heimat der Menschen75. Aus ihr heraus erhebt sich As-gard die Stadt75 der Götter welche Asen genannt werden. Christlich-gotisches iu des Wulfilas aber hatte die heidnischen Asen aus ihrem gard verdrängt 76 Die Edda wiederum trennt die Welt in drei Zonen. Ut-gard ist das Außen, bewohnt von Riesen und allem sonstigen Schlimmen. Es umschließt Mit-gard die Heimat der Menschen76. Aus ihr heraus erhebt sich As-gard die Stadt76 der Götter welche Asen genannt werden. Christlich-gotisches iu des Wulfilas aber hatte die heidnischen Asen aus ihrem gard verdrängt. 77 F.v.d. Leyen 78 Beliebiges etymol. Wörterbuch

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Wort erweist sich der Übersetzer als höchst inspiriert. Athanasie benennt im Griechischen die

Unsterblichkeit. Den ebenso un-geborenen wie auch un-sterblichen Gott-Vater in einer

offensichtlichen Lehnübersetzung zum gotischen >Atta< werden zu lassen zeugt von Intuition. Atta

(=Atha) erhält so die Doppelbedeutung von Vater und >der Ewige<, sein Etymon, sein innerstes

Wahres wird so ein zweifaches.

Der Begründer der katholischen Lehrmeinung Atha-nasius trägt ebenso einen väterlich-unsterblichen

Namen wie Att-ila (=Väterchen) der große Hunnen-chan dessen Name uns nur in seiner gotischen

Sprachform überliefert ist. Auch die Goten-Könige Atta-narich und Atha-nagild beziehen sich ebenso

wie Ata-ulf ganz offensichtlich auf den Unsterblichen Vater und Atta der arianischen Christen jener

Epoche80.

Nun lehrt uns die Linguistik auch >thiuda< (= iuda ) sei in gotischer Sprache das Stammwort für

>Volk<. Würde dies so gelten dann wäre das von Wulfilas als ein himmlisches Gottes-reich definierte

iudan-gardi mit >Volks-Staat< zu übersetzen. Bei aller frühchristlichen Kommunität – doch der Go-

tenmissionar hatte sicherlich anderes im Sinn als er sein Wort prägte.

Wie schon am Beispiel Fadar-Atta aufgezeigt so gibt es auch für iuda (=das Volk) als gedachte

Gesamtheit von Menschen in Wulfilas‘ Texten keinerlei Hinweis. Fast überall dort wo Luther den grie-

chischen Urtext mit >das Volk< übertrug findet sich in gotischer Schreibung dafür >mana-gei< oder

>mana-seths< welches eine Gesamtheit von Menschen repräsentiert. Diese Menge der >mannans<,

nicht ein > iuda< (=das Lobenswerte?) definiert in der gotischen Bibel >das Volk<. Ebenso ist der

>Knecht< noch keinesfalls unter seinem althochdeutschen Namen >thiud/diot< anzutreffen. Er wird

>skalks< oder >anbahta< genannt. Dort wo er als ein >magus< auftaucht ist er stets sehr familiär ein-

gebunden81 und wird wohl auch deshalb einmal als ein Thiu-magus (=guter-magus) genannt.

Die Zeit als solche hat dann das Meiste von Wulfilas Schriften zerstört. Hinzu kommt daß die Verfol-

gung der arianischen Christen durch die katholische Mehrheitsfraktion ebenso grausam wie systema-

tisch betrieben worden ist. Es galt auch die geistige Hinterlassenschaft dieser Ketzer auszulöschen.

Nicht nur ihre Schriften auch das Alphabet in welchem ihre Häresie fest gehalten war wurde ausge-

tilgt. Selbst die Sprache der Goten wurde im Westreich der Römer in lateinischen Schriftzeichen fi-

xiert. Zum Wenigen das in Wulfilas-gotisch erhalten blieb zählt eben sein Vater unser, das Atta unsar

in Upsala. Gefunden wurde es einst im Kloster Werden in Westfalen82. Wie es dorthin geriet ist völlig

ungeklärt. Auch die Entstehungszeit dieses silbernen Codex‘ wird erst für etwa zwei Jahrhunderte

nach Wulfilas datiert. Während der Regierungszeit des Großen Goten Theoderich könnte er auf pur-

pur gefärbtes Pergament getuscht worden sein.

Die mit und durch Wulfilas‘ Bibelübersetzung geschaffene Schrift-sprache der Goten aber begründete

einen sprachkulturellen Vorsprung dieses Volkes gegenüber allen anderen germanischen Völkern.

Was bis dahin gleichwertige Sprachvarianten gewesen waren wurde nun zum Idiom, zum Dialekt.

Germanische Schrift- wie auch Hoch-sprache war allein das Gotische. Dies galt nicht nur für den

79 Der Begriff selbst repräsentiert antikes griechisches Namensgut. Athanasie ist die griechisch formulierte Un-sterblichkeit, wohl davon abgeleitet regierten im antiken Pergamon die Atha-Attaliden. Attalos der Dritte hinter-ließ nach seinem Tod 133 n.Chr. ihr Königreich den Römern die daraus ihre Provinz Asia werden liesen (129 n.Chr.). 80 Ihre gotischen Namen werden von lateinischen Schreiber meist als Atha- od. Ata- wiedergegeben. 81 Mag-schaft ist die althoch-deutsche Blutsverwandtschaft – die Nach-kommen und Vor-fahren. 82 J.v. Aschenbach

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Sprachraum der gotischen Sprachfamilie und ihren Völkern selbst. Auch den anderen germanischen

Stämmen Mitteleuropas gegenüber fiel den Goten eine sprachkulturelle Dominanz zu. Sie waren unter

allen Germanen die Einzigen die nun ihre Sprache auch in schriftlicher Form differenziert abzubilden

und zu dokumentieren in der Lage waren. Nur sie vermochten ihre Sagen und Lieder, ihre Mythen und

Gesetze, die Sitten und Gebräuche in eigener Sprache auf Pergament und Papyrus zu tuschen. Nur

sie konnten eigene Worte in eigener Schrift in Steine und Gemmen schneiden. Als Einziges unter

allen germanischen Völkern waren sie es die den Sprachkulturen der Griechen und Lateiner Gleich-

wertiges und Ebenbürtiges in Wort und Schrift entgegenzustellen hatten. Sie allein konnten die alles

umwälzenden Ereignisse der Völkerwanderungszeit in ihrer eigenen Schrift und Sprache aufzeich-

nen83. Dies galt auch und vor allem für die Vermittlung der neuen und umwälzenden Religion der

Christen. Während weltreichsweit die katholischen Christen bei ihren Gottesdiensten die Lesungen

aus der Bibel noch in griechischer Sprache vortrugen konnten die gotischen Priester und Lektoren in

ihrer eigenen Sprache und der ihrer Zuhörer aus der Heiligen Schrift vorlesen. Eine gotische Volkskir-

che konnte so entstehen und sie entstand ! Nur die antiken Griechen selbst hatten sonst noch das

Privileg der Eigensprachlichkeit beim Hören des Evangeliums.

Ein Weiteres kam hinzu. Mit der Übertragung der Bibel aus dem Griechischen in seine Muttersprache

mußte Wulfilas der höchst entwickelten Sprachstruktur seines Vorbildes gerecht werden. Sein neues

Schrift- und Hoch-gotisch mußte ebenso differenzierungsfähig und ausdrucksstark sein wie es die

Sprache der Griechen war. Nur so konnte er eine adäquate Wiedergabe ewig gültiger wie auch heili-

ger Texte formulieren. Seine Goten-Bibel mußte den Sprachbau und die Strukturen der griechischen

Septuaginta wortgetreu und sinnentsprechend widerzuspiegeln in der Lage sein. Dies verlangte die

göttliche Wahrheit des Textes nicht der literarische Ehrgeiz des Übersetzers. Somit darf vorausgesetzt

sein daß jene von Wulfilas geprägte Schrift-sprache der Goten sich vom Gesprochenen zumindest

ebenso deutlich unterschied wie dies später auch bei Luthers Bibelübertragung der Fall sein wird.

Beide Übersetzer aber hatten dasselbe Vorbild zum Maßstab. Das Griechische war ihnen das heraus-

fordernde Beispiel für ihre jeweils neu zu schaffende Kultur- und Hochsprache. So wurde das Schrift-

gotische des Wulfilas zur dominierenden und prägenden Kultursprache nicht nur der Goten. Durch sie

und mit ihr wurde die revolutionierende neue Religion und der christliche Gott wie auch seine iudin-

assuss unter die Völker nicht nur Südosteuropas getragen. Das geschriebene Gotisch wurde zum

Träger der neuen Religion und ihres christlich-universalen Wahrheitsanspruches in der germanischen

Welt. Sprache und Inhalte waren dabei sich wechselseitig bedingend, waren reziprok. Auch hierbei ist

ein Vergleich mit Martin Luther erlaubt. Dessen neues und lautverschobenes Neu-hoch-deutsch war

für Friesen und Sachsen wohl auch nicht einfach zu verstehen oder gar zu sprechen. Trotzdem aber

verbreitete sich seine reformierte Theologie nur mit und durch dieses Luther-deutsch auch und gerade

nördlich der >Benrather< Sprachgrenze im sogenannten Nieder-deutschen Sprachraum. Neue Hoch-

sprache und neuer Inhalt waren dabei sich ebenfalls gegenseitig bedingend.

83 Wobei es erstaunt wieviele Begriffe dieses frühen Gotisch heute noch verständlich sind vor allem für alaman-nisch Sprechende: aflets=Ablaß, aigin=Eigenes, ains=eins, akrs=Acker, alds=Alter, arbaidjan=arbeiten, ar-bi=Erbe, asts=Ast, augo=Auge, bauan=bauen, baurgs=Stadt/Burg, bloma=Blume, boka=Buch, dags=Tag, daur=Türe/Tor, dulths=Fest, eisarn=eisern, fimf=fünf, fisks=Fisch, freihals=Freiheit, fula=Füllen, ga-baurths=Geburt, galga=Galgen, gasts=Gast, gawi=Gau, graba=Graben, gras=Gras, groba=Grube, usw.

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Daß diese sprach-kulturelle Überlegenheit dann auf die antiken Träger dieser Sprache und deren

eigenes Selbstbewußtsein auch zurück wirkte ist nahezu selbstverständlich. Wenn ihr Chronist Jorda-

nis schrieb daß “die Goten stets gebildeter als fast alle anderen Barbaren und ... nahezu den Griechen

gleich“ gewesen seien84 so ist dies sicherlich mehr als nur Eigenlob. Für ein halbes Jahrtausend war

und blieb Hoch-gotisch die einzige Schrift und Kultursprache aller Germanen. Dies blieb nicht ohne

Auswirkungen. Falls die sprachliche Verwandschaft und damit die Nähe der frühen >gemein-

germanischen< Dialekte tatsächlig so eng waren wie dies von der Linguistik vermutet wird dann war

>Hoch-gotisch< auch für Träger anderer germanischer Idiome als Hoch-sprache verständlich und

nutzbar. Da auch die Goten einst aus Skandinavien kamen mag ihre Sprache in der von Wulfilas ge-

prägten Form selbst anderen und nördlichen Germanen vielleicht so fremd gar nicht erschienen sein.

Möglicherweise kaum fremder als den Friesen und Sachsen später das Luther-deutsch.

Uns aber bleibt gedanklich wohl kaum mehr nachvollziehbar was dieser Mensch zu leisten sich vor-

genommen hatte als er begann die jüdisch-christliche Glaubenswelt welche zudem in der höchstent-

wickelten Kultursprache jener Epoche ausformuliert war in die Sprache und Religionstradition seiner

gotischen Barbaren zu übertragen und dabei gleichzeitig dazu sein eigenes und neues Goten-

alphabet zu creieren. Ihn nach geglücktem Experiment als einen zweiten Moses zu rühmen erfolgte

nicht ohne tiefere Ursache.

84 Jord.V

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Atta unsar Vater unser 85 Atta unsar thu is in himinam weihnai namo thein qimai thiudinassus theins UNSER VATER IN DEM HIMEL . DEIN NAME WERDE GEHEILIGET. DEIN REICH KOME wairthai wilja theins swe in himina jah ana airthai DEIN WILLE GESCHEHE / AUFF ERDEN / WIE IM HIMEL . Hlaif unsarana thana sinteinan gif uns himma daga Jah aflet uns thatei skulans si-jaima UNSER TEGLICH BROT GIB UNS HEUTE. UND VERGIB UNS UNSERE SCHULDE / Swa swe jah weis afletam thaim skulam unsaraim. WIE WIR UNSERN SCHÜLDIGERN VERGEBEN: Jah ni briggais uns in fraistubnjai ak lausei uns af thamma ubilin. UND FÜRE UNS NICHT IN VERSUCHUNG. SONDERN ERLÖSE UNS VON DEM UBEL: Unte theina ist thiudangardi jah mahts jah wulthus in aiwins amen DENN DEIN IST DAS REICH / UND DIE KRAFT / UND DIE HERRLICHKEIT IN EWIGKEIT AMEN Unte jabai afletith mannam missadedins ize afletith jah izwis atta izwar sa ufar himinam Denn so jr den Menschen jre feile vergebet / So wird euch ewer himlischer Vater auch vergeben. Ith jabei ni afletith mannam missadedins ize ni thau atta izwar afletith missadedins izwaros. Wo jr aber den Menschen jre feile nicht vergebet / So wird euch ewer Vater ewre feile auch nicht vergeben. Ath than bithe fastait ni wairthaith swa swe thai liutans gaurai Wenn jr fastet / solt jr nicht sawr sehen / wie die Heuchler.

85 Text d. >Atta unsar< zit. n. R.E. Keller und E.Nack. >Vater unser< aus der Luther-bibel von 1545, Reprint

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5. Attanarich- Ein alt-testamentarischer Richter wird Deutscher

Betroffen vom hunnischen Wirbelwind und der dadurch in Gang gesetzten Völkerwanderung wurden

auch jene Goten die sich westlich der Karpaten dem Herrschafts- und Vormachtsanspruch der Osto-

Goten offensichtlich hatten entziehen können. Im westlichen Rumänien und der Großen Ungarischen

Tiefebene östlich der Donau und entlang der Theiß hatten sich als >Thervingen<86 genannte Goten im

einst römischen Dakien festgesetzt und behauptet. Die vor ihnen dort ansäßig gewesenen Vandalen

hatten sie besiegt und vertrieben worauf diese im westlichen Ungarn (=Pannonien) unter römischen

Adlern eine neue Heimat suchten und fanden. Unter eigenen Königen waren die nun östlich der Do-

nau lebenden Goten wechselweise Kriegsgegner oder auch Verbündete römischer Kaiser geworden.

Ihre Könige standen schon zur Regierungszeit des ersten christlichen Kaisers Konstantin der Große

mit Rom in direkter Verbindung. Krieg und Friedensverträge folgten dabei einem unübersichtlichen

Ablauf. Zuletzt unterstützten 40.000 Gotenkrieger den Großen Konstantin dem sie auch bei der Errich-

tung seiner neuen Reichshauptstadt in Byzantion tatkräftig zur Hand gingen.

Etwas weiter Fluß abwärts und westlich der Donau erstreckte sich Roms Provinz Moesia (=Serbien) in

welcher ebenfalls Goten siedelten. Diese Moeso- oder auch Klein-Goten galten zwar als ein „unzähli-

ges“ jedoch friedliches und Ackerbau treibendes Volk87. Sie waren seit langem Roms Untertanen und

zumeist Sklaven (servii) römischer Provinzial-Bürger. Bei ihnen hatte auch Wulfilas als christlicher

Priester und Bischof seine Heimat gefunden und war zu ihrem geistlichen Führer geworden.

Wohl um einen der gotisch-kaiserlichen Verträge hilfreich zu begleiten war der junge Moeso-Gote

Wulfilas um 330 als Dolmetscher einer Thervingisch-gotischen Gesandtschaft am neuen Kaiserhof bei

Konstantin in Byzanz gewesen. Ob er schon als ein Christ zum Emmissär oder erst durch die Begeg-

nung mit dem christlichen Kaiser dazu wurde ist nicht überliefert. Doch auch nach Wulfilas Sprach-

vermittlung blieben Konflikte zwischen Rom und den Thervingen-Goten auf der Tagesordnung. Wäh-

rend eines inner-römischen Thronfolge- und Bürgerkrieges hatten diese westlichen Goten und ihr

König Rothestes auf‘s falsche Kaiser-Pferd gesetzt. Ihr Kandidat Procopius den sie mit einer Kompa-

nie Gotenkrieger aktiv unterstützt hatten galt zwar als ein Konstantinischer Verwandter, trotzdem aber

verlor er Kaiserdiadem und Leben durch Valentinian und dessen Bruder Valens ( 368 ). Die beiden

siegreichen Brüder von „niederer Abkunft“ und aus Pannonnien stammend 88 teilten sich anschließend

die Herrschaft über die Römer und deren Weltreich. Valens wurde Caesar des Ostens während

Valentinian als Augustus sich mehr den Reichsangelegenheiten des Westens zuwandte. In drei

aufeinanderfolgenden Kriegszügen versuchte nun der östliche Valens Rache an den Thevingen-Goten

für ihre Waffenhilfe an Prokopius zu nehmen (366/67). Bei diesen hatte inzwischen Rothestes‘ Sohn

Atta-na-rich89 Szepter und Herrschaft übernommen. Er erwies sich den über die Donau eindringenden

Legionären des Valens militärisch durchaus gewachsen. Deshalb setzte der Caesar des Ostens statt

eines vierten Feldzuges nun auf einen vertraglich gesicherten Frieden mit Attanarich. Dieser aber war

86 Dieser Name ist äußerts unterschiedlich wie ungenau überliefert. Es ist durchaus möglich in dem von Latei-nern gebrauchten Theru... eine Nachbildung für griechisches They- zu sehen welches wiederum gotisches Thiu... wiedergibt. Jene Theru- oder Therv-inger wären dann auch als erste Thiu-inger zu definieren. 87 Jord. 88 F.Dahn

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durch einen fürchterlichen Eidschwur daran gehindert jemals römischen Boden zu betreten90. Er wuß-

te ganz offensichlich um die Heimtücke der Römer bei solchen Gelegenheiten und kannte wohl auch

das Schicksal des Quaden-Königs Gabinius. Dieser war zu Verhandlungen über die Donau gegangen

und dabei hinterhältig und kaiserlich-römisch ermordet worden. So mußte sich Roms östlicher Regent

nun per Ruderboot zur Mitte des Grenzstromes bequemen wohin sich der Gotenfürst ebenfalls hatte

schippern lassen. Sanft gewiegt von den Donau-wellen brachten Valens und Attanarich dort einen

Friedensvertrag zustande. Die Thevingen Goten stellten dem Kaiser Geiseln als Bürgen und Rom

bezahlte jährliche Tribute (sog. Annonarien) zum Schutz der Donau-Grenze und Festigung des Frie-

dens.

Zwei Besonderheiten sind es die im Umfeld dieses Vertragsabschlusses besonders auffallen. Zum

einen ist es die offensichtliche Unabhängigkeit der Thevingen-Goten von ihren östlichen Nachbarn

den Ostro-Goten und ihres so gepriesenen Amala-Königs Ermanerich. Zu Attanarich und an die Theiß

reichte dessen starker Arm wohl doch nicht mehr. Diese westlichen Goten schlossen offensichtlich in

völliger Eigenständigkeit ihre eigenen Verträge mit Rom.

Als Zweites ist es ein Titel der Attanarich in römischen Annalen angeheftet wurde. Dieser ist absolut

einzigartig in der antiken Geschichtsschreibung. Als „iudex“, also >Richter< wird dieser Goten-Fürst

benannt91! Nicht als ein rex, regulus, phylarch oder mit einer der sonst üblichen Definitionen Roms für

barbarische Stammes-Fürsten wird Attanarich attributiert sondern als Richter !

Allein im Buch der Bücher werden die Führer des Volkes Israel nach ihrem Einzug in das gelobte

(got.= thiutheiga) Land als Richter, nicht als Könige bezeichnet. War Richter Attanarich ebenfalls ein

Führer seines Goten-Volkes der sich biblische Tradition und Herrschaftstermini schon ganz bewußt zu

eigen gemacht hatte ? Weder einem Kaiser untertan noch selbst ein König zu sein weil dieser Titel nur

dem biblischen Gott als iudans allein zukam? Ein Richter nur und damit Diener jenes unsterblichen

wie göttlichen Atta =Vater über den Himmeln dem allein das König-tum (= iudin-assus) zustand?

War dies bereits die sichtbare Auswirkung der missionarischen Bemühungen jenes Goten-Apostels

Wulfilas von jenseits der Donau? Dann aber erwiese sich dieser Richter alttestamentarischer Prägung

nicht als jener Christen-verfolger den eine katholische Überlieferung später aus ihm werden lies. Nicht

>die Christen< allgemein sondern allenfalls deren katholische Fraktion wäre dann vermutlich das Op-

fer des christlich-fundamentalistischen Arianers Attanarich gewesen. Auch sein Name, nicht nur sein

wohl selbstgewählter Titel verweist auf solch einen Zusammenhang. Atta ist Wulfilas‘ Benennung für

den biblischen Gott als Vater, -rich wiederum gilt der Semantik verkürzt als >mächtig<92. Atta-na-rich

89 Als ein >Herrscher des himmlischen Vaters< ist sein Name wohl zu deuten. Atta=der Vater, reiks= der Mäch-tige/der Herrscher 90 F.Dahn 91 F.Dahn 92 Als Endsilbe früher germanischer Name ist sehr häufig >-rich< zu lesen. Auffällig dabei ist daß dieses Suffix fast ausschließlich den Namen herrschender Personen ziert. Bei Gregor von Tours der um 590 n.Chr. eine fränki-sche Geschichte schrieb bleibt -rich bis auf seltene Ausnahmen nur dem Königshaus der Merovinger vorbehal-ten. In seiner Bedeutung wird -rich mit >mächtig<, reich o. ä. gleichgesetzt. Ausgehend von seiner Funktion und Verteilung im Namensbild handelnder Personen erscheint diese Deutung jedoch zu kurz zu greifen. >rex< ist der lateinische >König< während >rix< als Endsilbe gallo-keltischer Namen ebenfalls den königlichen Rang seines Trägers zum Ausdruck bringt (Duval, P.M. Gallien). Cäsars Gallischer Krieg zeigt ausreichend Beispiele zum Beleg dieser These = Vercingeto-rix, Dumno-rix und ähnliche. In gotischen Texten wiederum findet sich >reiks< als ein Synonym für Herrschende welches griechisch als >rikos< wiedergegeben wird.. Allein aufgrund der Art

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demnach im Geburts-namen als ein rex /reiks des biblischen Vater-Gottes ausgewiesen, sich selbst

jedoch nur als ein Richter benennend?

Die Bibel selbst würde für diese Haltung das Vorbild zeigen. Nach ihrem Auszug aus Ägypten wurde

das Gottesvolk der Hebräer im gelobten (=thiutheiga) Land Canaan zunächst von den Richtern über

das göttliche Gebot regiert. Doch bald wollten auch die Juden „...einen König wie ihn die Heiden ha-

ben“. Der biblische Richter und Prophet Samuel geriet darüber so in Zorn und Verzweiflung daß Gott

selber ihn mit den Worten:“denn sie haben nicht dich sondern mich verworfen daß ich nicht sol König

über sie sein...“ trösten mußte93. Danach aber befahl Gott-Vater seinem Propheten aufzuzeigen was

es bedeuten würde als Untertanen eines irdischen Königs auch dessen Knechte (got.=Skalks) sein zu

müssen. Ist es denkbar daß Attanarich vom Bekehrungswerk des Wulfilas bereits so beeindruckt war

daß er als ein nun christlicher Fürst seine Goten nurmehr als ein Richter führen wollte? Attanarich als

ein Stammes-Fürst dem nur der ewige Gott-Vater =Atta als der alleinige König und iudans galt.

Dieser Richter somit als der Repäsentant einer frühen gotischen Theokratie und seine Goten ebenfalls

nur diesem kosmischen iudans wirklich untertan und somit ein iuda-volk94? Weder die Vorherr-

schaft des Ostro-gotischenen Königs Ermanerich noch ein Untertanen-verhältnis zum römischen Kai-

ser käme dann noch in Frage (hatte nicht auch Jesus einst die Frage für Gott oder für den Kaiser zu

beantworten?). Die fundamentalistische Konsequenz eines Neu-Bekehrten ließe ein derartiges Ver-

halten als durchaus glaubhaft erscheinen. Dazu würde auch jene Überlieferung passen nach welcher

dieser Richter dann später am Kaiserhof des Großen Theodosius ausrief: „Gewiß ist dieser Kaiser

Gott auf Erden“95. Wenn er diesen Gott-Kaiser Theo-dos als wirklichen Gott akzeptierte konnte er ihm

huldigen ohne dabei die Bibel zu verraten oder seinen Schwur zu brechen, dann hatte er ja Theos‘

Reich, von Wulfilas als iudan-gardi definiert, betreten ! Gott Theos und Gott-Kaiser Theo-dos waren

in Person und Name zu Einem geworden, das lateinische Dominus et Deus im griechischen Theo-

dosius personifiziert.

Auch eine persönliche Verbindung zwischen Wulfilas und Attanarich wäre sehr gut denkbar. Jener Job

als Übersetzer der Wulfilas wohl im Auftrag von Attanarichs Vater Rothestes an den christlichen Kai-

serhof nach Byzanz führte könnte sehr wohl auch eine Begegnung mit dem gotischen Erb-Prinzen

herbeigeführt haben. Mehr noch. Auch die Missionstätigkeit Wulfilas‘ bei den Thevingen-Goten mag in

diese Zeit fallen. Daß dabei gerade das Vorbild des Kaisers Konstantin dessen treue Foederaten sie

wurden bei ihnen eine entsprechende Wirkung zeigte ist geradezu als zwangsläufig vorauszusetzen.

So wie auch dieser Kaiser gleichfalls Christ zu sein war nicht nur eine Frage des Glaubens sondern

vielmehr eine des Status’und der Kultur. Das Christentum war ja auch die Verkörperung der Moderne

jener Epoche. Ihr anzugehören aber war stetes Streben gerade der als Barbaren diffamierten Völker

seiner Verwendung kann für >-rich< seine Bedeutung von König oder Herrscher angenommen werden. Ein gotisches >reiks< war lautsprachlich von einem lat. >rex< ohnehin wohl kaum zu unterscheiden falls es nicht sogar dessen lautmalerische Lehnübersetzung verkörperte. Je nach Erstsilbe des Namens läßt sich unter dieser Annahme eine sehr inhaltsstarke und charismatische Bedeutung alter Königs-namen erkennen. Ein Chil-de-rich zeigt sich so in seiner Erstsilbe als der Führer und Oberst einer römischen Militäreinheit (=Chiliarch) und zu-gleich als ein König seiner Volksgruppe, Chiliarchus-rex = Chil-de-rich. Im Zusammenhang unseres Themas wäre Atta-na-rich/rex als ein christlich-arianischer >König des himmlischen Vaters< zu übersetzen, während Hermane-rich seinen heidnischen Gegenpol repräsentierte (Hermin/Irmin ist nach Tacitus einer von drei germa-nischen Stammgöttern und –vätern). 93 Sam.VIII, Luther-text 94 Gr. als They-oi =Θευ-οι (= Thai-fali?)

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und Nachbarn Roms. Ohne die Anerkennung dieser christlichen Zugehörigkeit wäre dem Thevingen-

Goten-König Rothestes wohl auch kaum seine Bildnis-Statue an der kaiserlichen Kurie in Byzanz er-

richtet worden96. Wie sehr die Bindung an das christliche Haus97 Konstantin bei diesen westlichen

Goten verankert war zeigte sich dann als es um dessen Nachfolge im Reich der Römer ging. Gegen

Valentinian und dessen Bruder Valens unterstützten Rothestes und sein Sohn Attanarich den Gegen-

Kaiser Procopius nur deshalb weil er sich als ein Konstantinischer Verwandter ausgewiesen hatte98.

Nun wirft aber dieses gotische Teilvolk der Thevingen-Goten weitere Fragen auf. Ihr Name scheint

äußerst ungenau und auch unsicher überliefert zu sein99. Waren sie wirklich schon ein iuda-volk das

nur den biblischen iudans als einzigen König über sich hatte. Ein Gottes-Volk also wie auch Attana-

rich nur ein alt-testamentarischer Richter dieses unsterblichen Atta war? Wenn ja dann hätte ein grie-

chischer Schreiber statt Thiu- wohl They- notiert. Ob ein Lateiner dann daraus

Thiu-ingos - Theo-ingos - Theu-ingos, Thai-fali oder Therv-ingos (u=v) gemacht hätte kann nur vermu-

tet bleiben100. Es gibt jedoch weiter auseinanderklaffende Wiedergaben zwischen gesprochenem

Klang in einer Sprache und dem in einer Anderen aufgeschriebenem Wort als dies hierbei auftritt.

Auch für jene Thor-ingos die Sidonius Apollinaris um 480 n.Chr. in die Geschichtsschreibung ein-

brachte101 und die danach zu Thür-inger wurden käme eine diesbezügliche Zuordnug in Frage. Schon

J.v. Aschenbach verweist darauf daß diese ebenfalls mit den Theru-ingos identisch sein könnten.

Diese Thervingen/Theruingen als Theu-inger und iud-inger in der Bedeutung einer durch Wulfilas‘

Bibeltexte geprägten Volksgruppe wäre so absurd nicht. Ihr König war allein jener kosmisch-

göttliche iudans über den Himmeln und sie waren seine >-ingas<102, die iud-inger! Nur der römi-

sche Autor hatte dann wohl wie auch seine Übersetzer noch einige Schwierigkeiten Wulfilas‘ neues

= Thiud- richtig einzuordnen. Um durchaus mögliche iud-inger als They-fali, Theru- / Ther-

vingen sowie Tho--und Thü-ringer könnte sich so ein identitätsstiftendes Sprachband schlingen wel-

ches selbst die Tor-kilingen des Jordanis103 mit einbinden würde.

Doch noch sind wir bei Richter Attanarich und den valentinianischen Brüdern und ihrer Dynastie wel-

che für zwei Jahrzehnte das Imperium Romarorum regieren wird. Als Valentinian, dem Pannonier

niederer Abkunft die Krone und das Reich der Römer zugefallen waren ernannte er seinen Bruder

Valens zum Mit-Kaiser und Caesar der östlichen Provinzen. In dessen Regentschaft fällt der Ansturm

der dunklen Reiternomaden aus Asiens Steppen. Es war sein östlicher Reichsteil der durch den hun-

nischen Wirbelwind um 375 direkt bedroht wurde. Wer auch immer auf der Flucht vor dem Chagan der

Hunnen war versuchte hinter die schützenden Grenzen des römischen Imperiums zu gelangen. Nicht

nur die Alanen (gr.=Halanen) und Ostro-Goten sondern ebenfalls die westlichen iu-/The-vingen des

95 Jord. XXVIII 96 F.Dahn 97 =got. gards 98 F.D. 99 Darauf verweisen u.A. J.v.Aschenbach und F. Dahn gleichermassen 100 Die Problematik der fehlenden Differenzierung zwischen >w<, >v< und >u< tritt auch hierbei zutage. Mög-lich erscheint so daß jene ominösen >Thai-falen< aus griech. They-fali mangelhaft übersetzt und durchaus mit Thiu-fali identisch waren. 101 n. F. Dahn 102 Dieses >patronymische< Suffix benennt eine Zugehörigkeit wie z.B. Leute des ... u.ä. 103 Er benannte 551 n.Chr. Odoacar als einen König der Torkilingen und Rugier welch an der norischen Donau siedelten.

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Attanarich suchten ihr Heil in einem Umzug zu den Römern. Sein Volk und die Clan-Chefs hatten

beschlossen den Kaiser um Asyl und Einreisegenehmigung zu bitten. Dafür waren sie bereit auf ihre

angestammten Sitten und Bräuche zu verzichten und sich den römischen Gepflogenheiten unterzu-

ordnen. Zunächst aber verweigerte Valens einen gotischen Zuzug. Er hatte wohl noch nicht vergessen

wer ein Jahrzehnt zuvor seinen Gegen-Kaiser Procopius mit einer Schar104 Krieger unterstützt hatte.

Doch Staatsräson ging letztlich vor Gefühlen. Die schwarzen Hunnen wurden auch zur Gefahr für das

Imperium der Römer. So erlaubte der östliche Caesar den westlichen Goten doch noch den Grenz-

übertritt (376). In der Provinz Moesia die ihrem alten Siedlungsgebiet an der Donau fast gegenüber

lag wurden sie neu angesiedelt. „sozusagen eine Mauer seines Reiches gegen die übrigen Völker“

sollten sie dort für Kaiser Valens bilden105. Richter Attanarich aber blieb seinen Überzeugungen und

seinem Eid-schwur treu. Kein anderer iudans als der unsterbliche und ewige Atta über den Himmeln

sollte sein König werden. Mit einer ihm treu ergebenen Gefolgschaft zog er sich in das Hoch-

land(=hauha-land) der Karpaten und Siebenbürgens zurück.

Dux also Herzog und damit oberster Militärbefehlshaber in der Grenzprovinz Moesia in welcher sich

nun östliche Ostro-goten und westliche The-/ iu-vinger unter die Klein-Goten des Wulfilas mischten

war in jenen Jahren der Jüngere Theodosius. Der Jüngere deshalb um ihn so von seinem gleichnami-

gen Vater zu unterscheiden. Dieser Ältere Theo war für den westlichen Augustus Valentinian als römi-

scher Heerführer auf der Britischen Insel tätig. Er wurde dort zum Begründer von Wales und Corn-

wales, dem Horn dieser Provinz (lat. cornu = Horn und/oder Landzunge). Als kaiserlicher Feldherr

hatte er einen Aufstand der Bemalten Picten und Scotten so erfolgreich niedergekämpft daß er sei-

nem Gott-Kaiser danach eine weitere, die fünfte Provinz in Britannien etablieren konnte. Zu Ehren

seines majestätischen Herrn Valentinian benannte er diese mit Valentia 106. Übrig blieb davon im Lauf

der Jahrhunderte Wales und seine südliche Spitze, das Horn von Wales, Corn-wales. In diese einst

römische und wohl auch schon christianisierte Provinz107 mußte sich dann später der sagenumwobe-

ne König Artus vor den erobernden Angeln und Sachsen zurück ziehen.

Doch zurück an die Donau. Dort unterstanden dem Jüngeren Dux Theo in der Moesia nun auch jene

gotischen Neubürger die unter Verzicht auf ihre angestammten Volksrechte und Könige als Unterta-

nen des östlichen Valens hier lebten. Schlechte Versorgung und materielle Ausbeutung trieben die

Umsiedler schon bald in eine Hungerrevolte. Sie erschlugen römische Offiziere und Soldaten und

verhielten sich gar „... nicht mehr als Fremdlinge und Ausländer sondern, als Bürger und Herren über

die Besitzer des Landes“ die „den gesamten Norden“ des römischen Balkan „bis an die Donau“ unter

ihre Kontrolle brachten. Daraufhin rückte Ost-Kaiser Valens mit einem großen Heer aus Syrien gegen

die gotischen Rebellen heran. Doch nach einer „jammervollen Schlacht“ verlor der Kaiser nicht nur

seine Provinzen ander unteren Donau sondern auch noch sein Leben (378n.Chr.). Er ist der zweite

Römer-kaiser der durch gotische Krieger das Leben verliert. In einem Bauerndorf bei Hadrianopolis

hatte er sich schwer verwundet versteckt. Als die siegreichen Goten danach Haus und Hof in Brand

104 >Hansa< ist schon damals der Terminus dafür! 105 Jord. XXV 106 Im Jahr 369 n.Chr, F.Dahn.). 107 Der römische Ammianus berichtet von >Arianern< die bereits unter dem Älteren Theo auf der Insel aktiv waren.

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steckten verbrannte auch Valens mitsamt „seinem Königlichen Pomp“108. Seine Leiche wurde nie ge-

funden. Katholische Autoren des Mittelalters versäumten es nur selten dieses unrühmliche Kaiser-

ende als eine Strafe Gottes für den arianischen Glauben dieses Ketzer-Kaisers Valens zu interpretie-

ren. Nach ihrem Siegesruhm über die Römer betrachteten die Goten Moesien und Thrakien

(=Bulgarien und östliches Yugoslawien) als ihr eigenes Land. Die innenpolitische Situation im Reich

der Römer geriet ihnen dabei zum Nutzen. Schon drei Jahre vor Valens‘ schmachvollem Tod war sein

Bruder Valentinian I. gestorben (375). Dessen ältester Sohn und Nachfolger Gratian war noch jung an

Jahren (ca. zwanzig) und der Zweite Valentinian noch ein Kind. Die Macht des Imperiums schwächel-

te deutlich. Wohl auch deshalb erhob Jung-Kaiser Gratian nach dem Tod seines Onkels Valens den

schon einigemale siegreich gewesenen Dux von Moesien, jenen Jüngeren Theodosius zum Mit-Kaiser

und Regenten über den Osten (379). Mit diesem neuen Caesar des Ostens aus der Familie der Got-

tesgaben109 wird iud- als das Deutsche seine geschichtsformende Dimension erhalten. Auch Richter

Attanarich wird daran beteiligt sein.

6. Der Große Theodosius Gott-Kaiser und Goten-liebchen

Nach dem wenig heldenhaften Tod des römischen Kaisers Valens im Jahr 378 ist dessen Neffe Grati-

an der starke Mann und Gott-Kaiser des römischen Imperiums. Sein Bruder, Valentinian der Zweite,

ist noch ein Kind und deshalb nicht in der Lage als Mit-Kaiser aktiv im Reich mitzuwirken.

Hunnen und Alanen wie auch fliehende Goten bedrohen die römischen Provinzen an der unteren Do-

nau und am Schwarzen Meer. Der gesamte Balkan ist gefährdet. So erhebt Kaiser Gratian 379 seinen

Dux (= Militärchef einer Grenzprovinz) Theodosius aus der Provinz Moesia zum Mit-Kaiser des Ori-

ens und des Illyricum. Dieses Ilyricum umfaßte den oberen Balkan diesseits der Donau von Wien bis

hinab nach Belgrad und im Westen bis zu den dalmatinischen Küsten der Adria. Sirmium, in der Nähe

von Belgrad gelegen, war seine Hauptstadt und zeitweise auch Kaiserresidenz.

Römischer Titel für ihre Kaiser in der Antike war zunächst Augustus. Als Ceasar hingegen bezeichne-

ten sie gerne und oft die Mit- oder Teil-Regenten ihrer Augusti. Auch vorbestimmte Thronfolger wur-

den so benannt. Seit Aurelian (270-275 n.Chr.) einem der sogenannten Soldatenkaiser, tragen sie

auch den Titel >Dominus et Deus<, also Herr und Gott. Noch Martin Luther übersetzte aus der Bibel:

„Ich bin der HERR - Dein Gott“. Dieses Dominat, die HERR-schaft des Gott-Kaisers wird unter Diocle-

tian (284-305) zur absolutistischen Monarchie verfestigt. Der Große Constantin (324-337), obwohl

erster der christlichen Kaiser hält an der heidnischen Gleichsetzung Kaiser = Gott fest. Er führt in sei-

ner neuen Reichshauptstadt Konstaninopolis (=Byzanz) sogar ein neues Hofzeremoniell ein welches

die Göttlichkeit dieses Augustus und HERRN auch entsprechend sichtbar werden läßt - die sogenann-

te Proskynese, ein entwürdigender Fußfall vor dem göttlichen Herrscher110. Dieses Erbe tritt nun im

Jahre 379 Theodosius der Jüngere an. Er wird zum Mit-Kaiser, zum Ceasar des Ostens ernannt. Die

Präfekturen Oriens und das Illyricum unterstehen jetzt seinem Gebot.

108 Jord. XXVI 109 Theo = Gott, do = Gabe, ius = Familienzugehörigkeit 110 Allein diese Überlieferung macht schon erkennbar wie sehr ein vom Biblischen Königtum Gottes und dessen >Thiudin-assus< überzeugter Goten-Christ in Konflikt mit diesen römischen Gott-Kaisern geraten mußte.

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Für die Goten, sowohl für jene die innerhalb der römischen Reichsgrenzen siedeln wie auch für jene

welche außerhalb derselben und nördlich der unteren Donau verblieben waren wird dieser Ceasar

zum fundamentalen Ereignis werden. Er und seine Dynastie, vor allem aber sein Name wird die Ge-

schichte, Sprache und das Selbstverständnis gotischer Völker prägen bis zu ihrem Ende. So wie einst

der Name des göttlichen Caesar zum Titel und Kaiser wurde wird auch Theodos als iudans zur In-

karnation des Herrschers und Königs in gotischer Sprache werden.

Der neuernannte Regent für den Osten war zuvor oberster römischer Militärbefehlshaber in eben je-

ner Provinz Moesia gewesen in welcher die vor den Hunnen geflüchteten Goten von Kaiser Valens

angesiedelt wurden (376). Sowohl manche Ostro-Goten des Hermanerich wie auch die iu-/Theu-

ingischen Untertanen des Richters Attanarich hatten dort eine neue Heimat gefunden. Die sogenann-

ten Klein- oder Moeso-Goten mit ihrem geistigen Führer Wulfilas waren schon seit Jahrzehnten hier

ansässig.

Theodosius und diese Goten waren demnach alte Bekannte als dieser Sproß aus einer Familie der

Gottesgaben zum Caesar über die Ostprovinzen des Reiches erhoben wurde. Er wußte sicher von

Attanarich und dessen Schwur römischen Boden niemals zu betreten. Er wußte um dessen Flucht vor

den Hunnen Balambers in das Hochland der Karpaten. Sicherlich wußte er auch um die Rolle die

Attanarich im Jahre 364 und danach gespielt hatte als er den Gegen-kaiser Procopius (gest. 368)

gegen den rechtmäßigen Valens unterstützt hatte. Als kaiserlicher Dux in Moesia konnte Theodos den

Untergang seines Kaiser Valens und dessen Heer aus nächster Nähe miterleben (378). Er hatte die

Raubzüge der gotischen Neuansiedler unter ihrem Fürsten (nicht rex !) Fridigern durch den Balkan

mitverfolgt. Hatte Ala-theus (ein Alan-ischer?) und Safrak mit den Goten Pannonien (Ungarn) aus-

plündern gesehen.

Nun ist dieser Jüngere Theodosius vom Dux zum Mit-Kaiser und Ceasar des Ostens aufgestiegen,

zum > iudans< jener Goten die innerhalb römischer Grenzen leben. So verschmilzt der Name dieses

jungen Kaisers Theodosius in der von Wulfilas gerade erschaffenen Schriftsprache der Goten mit

jenem mythischen und zu preisenden iu und himmlischen iudans zur symbiotischen Einheit.

Nicht nur als der römische Caesar wird er zum gotischen iudans sondern er verkörpert in auch in

seinem Namen Theo-dos = Θεοδος (fast) denselben Namen Θεος =Theos der den Gott aller Juden

und Christen von seinen heidnischen Rivalen unterscheidbar macht. Entsprechend römischer Traditi-

on ist er ja bereits Kaiser und Gott in seiner Person (lat.= Dominus et Deus), ist griechisch Basileus

und Theos. Nun verkörpert er auch mit seinen Namen den erstmals ein römischer Kaiser trägt auch in

griechischer Terminologie christlich Göttliches und irdisch Regierendes zugleich.

Dieser Herrscher ist ein Theos, er ist iudans und >Guth<111 in gotischer Sprache und Schrift, König

und Gott in einem. Gott Theos, Kaiser Theodos und biblisch gepriesener iudans verweben sich so

zu einem synonymischen Sprachklang der nicht mehr aufzulösen ist. Nun wird Theodos statt eines

religiös-Mythischen zur Personifizierung des iudans in gotischer Sprache. Das kosmische König-tum

und iudin-assus des ewigen Vater-Gottes wird ersetzt durch das gott-kaiserliche dieses Theodosi-

us.

111 =got. für >Gott<

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Gott-Vater Attas verheißenes König-reich iudan-gardi ist urplötzlich sprachidentisch mit dem Imperi-

um dieses Gott-Kaisers. Es ist dieser christliche Kaiser und Gott Theodos der gotische Worte mit neu-

en, mit seinen semantischen Inhalten neu anfüllt. Nicht mehr ein gepriesenes und göttliches Königtum

sondern das Kaiserliche dieses gottgleichen iudans Theodos definiert nun iudi-. Nun herrscht

(= iudanon) er an stelle des alleinigen und kosmischen Königs und iudans Theos auch über das

christlich-arianische Volk der iuda-Goten.

Wie dabei sprachlich noch unterscheiden zwischen dem ewigen Vater-Gott als universalem iudans

und einem ebenfalls gottgleichen Augustus und iudans auf Erden der zudem noch den Namen des

Einen Christengottes Theos in gotischem iu- mit sich trägt? Dies hatte der geniale Übersetzer der

Bibel wahrlich nicht verdient.

„Gewiß ist dieser Kaiser ist Gott auf Erden ... “ so läßt später Jordanis den Goten-Fürsten und Richter

Attanarich ausrufen als dieser am Hof in Byzanz der Gott-Kaiserlichen Pracht dieses iudans Theo-

dos ansichtig wurde112. Dieser Theodos-Kaiser ist nicht wie Gott, sondern er ist Gott - ist Guth

und iudans in der Sprache des Wulfilas. Nicht wie einst Caesars Name durch Wirken und Person

zum Titel und Kaiser wurde sondern in Umkehrung dessen wird Theodos zur Verkörperung, zur Inkar-

nation gerade erstmals in gotisch und schriftlich formulierter Begriffe und deren Bedeutung. Theodos

wird zwar iudans doch als Rückwirkung seiner Herrschaft wird iudans nun eine Theodosische.

iudans wird Theodans, iudin-assus zu Theodin-assus und das gemeinte Gottesreich zu Theodan-

gardi. Selbst herrschen ist nun nicht mehr göttliches iuda- sondern irdisches Theoda-non. So wird

gotisch-göttliches iudisk nun zu kaiserlich-römischen Theodosisch.

Gäbe es nicht schriftliche Texte der Goten welche in die Zeit vor diesen Theodos verweisen so könnte

iudans und das gesamte um herrschen gruppierte Wortfeld der gotischen Sprache wie eine Ablei-

tung aus diesem Theodosischen Kaisertum erscheinen.

Dieser kaiserlich-theodosianische Trieb an der etymologischen Wurzel des iudi- und deutsch be-

ginnt alsbald kräftig zu wachsen. Doch nicht mehr göttlich sondern durchaus irdisch ist seine nun se-

mantisch gewandelte Bedeutung.

Es ist wiederum Jordanis der beschreibt wie der neuerhobene Ceasar-Gott Theodos den Goten-

Fürsten und bibliophilen Richter Attanarich umwarb und „ihn aufs freundlichste einlud“ nach Konstan-

tinopel zu kommen. Hinter diesem großzügigen Reiseangebot verbirgt sich ein geschicktes Machtkal-

kül dieses Theodo/ iuda-Kaisers. Als ehemaliger Grenz-Dux hatte er die wechselhaften Beziehun-

gen Roms zu den westlichen Donau-Goten selbst hautnah miterlebt. Schon als sehr junger Mann und

noch „im ersten Flaumbart“ hatte er um 374 die Grenzprovinzen an der Donau gegen die gemeinsa-

men Angriffe der grenznahen Quaden, Sarmaten und Goten (= Limi-ganten) aus höchster Gefahr

errettet113. Ihm war der Ruhm und die Machstellung des Attanarich und seiner kriegstüchtigen Goten

aus eigener Ehrfahrung also bestens vertraut. Wenn es ihm nun gelang diesen Richter Attanarich aus

jener Bergregion in welche er sich vor den Hunnen zurückgezogen hatte wieder hervorzulocken so

konnte ihm dies äußert nützlich werden. Dieser Gotenfürst repräsentierte wohl als Einziger das Anse-

hen und geblütsrechtliches Königs-Heil114 um von allen Goten die nun innerhalb der römischen

Reichsgrenzen siedelten als unbestrittener und und gemeinsamer Führer und Repräsentant anerkannt

112 Kap.XXVIII 113 F.Dahn

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zu werden. Dadurch aber war zu erhoffen daß auch die Beziehungen zwischen den rebellischen Neu-

bürgern des Reiches und seinem östlichen Regenten und Caesar besser und friedvoller würden. Der

historische Ablauf ließ diese Hoffnung zur Realität werden. Richter Attanarich lies sich von iudans

Theodos nach Byzanz locken. Doch nicht Gott-kaiserlicher Befehl sondern eine „freundliche Einla-

dung“115 haben den Richter an den Kaiserhof geführt. Dort traf er vermutlich auch den Bischof und

zweiten Mose Wulfilas. Dessen Anliegen war es während eines kirchlichen Konzils in der Hauptstadt

auch den neuen Mit-kaiser des Ostens von der arianischen Lehrmeinung der Christen zu überzeugen.

Vergeblich wie die Geschichte zeigt. Schon ein Jahr nach seiner Inthronisation zum Mit-Kaiser verbot

Theodos im Ostreich die arianische Interpretation des christlichen Gottesbildes116. Nun wurde der

Katholizismus, das Dogma des Athanasius zur allein seligmachenden Lehre der Christen im Ost-reich

kaiserlich verordnet. Noch immer aber war Ober- und Chef-Kaiser jener Jahre Gratian. Er war ein

Sohn des 375 gestorbenen Valentinian. Die kaiserliche Dynastie dieser Valentinianer aber zählte zu

den Arianern, so bestand für die Anhänger des Arius noch Hoffnung. Doch das zweite ökumenisches

Konzil in Byzanz zu dem auch Wulfilas angereist war bestätigte dann 381 auch innerkirchlich die

Mehrheit für Atha-nasius aus dem unsterblichen Stamm und dessen Lehre. Wohl kurz danach starb

Wulfilas (381 oder 383). Ob er schon geahnt hatte was aus seiner Bibel, seinem Alphabet und iu

werden würde ist nicht überliefert. Doch der geniale Schrift- und Sprachschöpfer und Bibelübersetzer

der Septuaginta stirbt als ein bereits verfemter Ketzer und Häretiker. So mußte er nicht mehr erleben

daß die katholische Lehre im Jahr 391 zur einzigen und offiziellen Staats-religion im Gesamt-Reich

der Römer sanktioniert wurde. Selbst die olympischen Spiele wurden ab diesem Datum weil heidnisch

eingestellt. Die Kirche verbot bei Höllenstrafe ihren eigenen Gläubigen das Lesen heidnischer Schrif-

ten117. Auch Wulfilas‘ Schriften verfallen der Ächtung und böswilligen Diffamierung durch die katholi-

sche Mehrheit der Christen. Häresie war ja noch gefährlicher als ein Heidentum! Sein Name, die Erin-

nerung an ihn und sein Werk wird später (beinahe) ausgelöscht.

Im Gegensatz dazu pflegte iudans Theodos die Freundschaft zum Volk und dem weltlichen Führer

der Goten sehr. Ein neuer Friedens- und Freundschaftspakt zwischen Richter Attanarich und dem

Gottgleichen Theodo brachte den Goten 380/382 einen völlig neuen Ansiedlungs- und Foederatensta-

tus. Nie zuvor hatte das Römische Reich etwas Vergleichbares vereinbart. Allen gotischen Völker-

schaften innerhalb des römischen Reiches (=universa gens Gothorum) wurde von Kaiser Theodosius

in einer >lex gotica< das Recht auf eigene und autonome Könige (=sua regis) und iudans einge-

räumt. Trotzdem blieb Atta-narich weiterhin nur ein Richter. Den Goten wurde römisches Reichsland

zur Ansiedelung formell übergeben und überlassen (=se traditerunt). Dort lebten sie nicht nach römi-

schem, sondern nach ihrem eigenen und gotischen Recht und arianischer Glaubens-lehre. Ein auto-

nomer gotischer Staat, wenn auch unter Oberherrschaft des Kaisers und seines iudin-assus, so

doch mit eigener monarchischer Verfassung und Kulturhoheit innerhalb der römischen Reichsgrenzen

wurde damit allen gotischen Völkern zugestanden118. Diese Goten mußten nicht Romanen werden

sondern konnten weiterhin nach eigenem Recht und gotischer Sitte innerhalb des Imperium Roma-

114 Got.=hails 115 Jord. 116 Edikt von Thessaloniki, 380 n.Chr. 117 Patrologie 118 n.L.Boehm, in: Die Burgunder

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num leben. Ihr Oberherr war nicht der römische Staat sondern nur dieser Kaiser und iudans Theo-

dos als Person und sein Haus, sein gards119. Da er zugleich ein Gott war konnte Attanarich auch ihm

als ein Richter dienen. Die Autonomie dieser Goten betraf auch und gerade die gleichzeitig verbotene

Lehre des Arius. Die iuda-Goten konnten auch weiterhin nach eigenem Brauch arianische Christen

mit eigensprachlicher Volkskirche bleiben, konnten weiterhin zu Atta beten und sein heiß ersehn-

tes iudan-gardi preisen. Christ zu sein aber verlangte das eigene Selbstverständnis. Dadurch war

man nicht mehr nur Barbar sondern wurde ein Teil der Kulturgesellschaft jener Zeit. Das Christliche

verkörperte auch die Moderne jener Epoche. Doch der Erz-Bischof von Konstantinopel oder später

der von Rom hatten keinen Zugriff auf den gotisch-arianischen Klerus und dessen eigensprachliche

Lithurgie. Auch dies war etwas sensationell Neues und erwies sich gleichfalls als ein geschichtsprä-

gendes Faktum.

Die Gegenleistung der Goten für ihre Privilegierung bestand in einer treuen Bundesgenossenschaft für

ihren Kaiser und iudans Theodos und seine Dynastie. Gemeinsam mit den römischen Soldaten bil-

deten nun die verbündeten Goten „gleichsam einen Körper gegen die Feinde des Theodosius“. Für

immer die „treuen Freunde“120 dieses iudans und seiner Nachfolger zu sein war nur selbst-

verständlich. Theodosius aber hatte mit seinen Goten einen unverzichtbaren Verbündeten für inner-

römische Machtkonflikte gewonnen. Den zweideutigen Ehrentitel Goten-liebchen121 den er sich wegen

seiner lex gotica bei den Römern eingehandelt hatte hielt ihn nicht davon ab dem im Jahr 381 verstor-

benen Richter Attanarich allerhöchste Ehren zu erweisen. Er selbst schritt der Bahre des toten Freun-

des im Leichenzug voran122 und ließ ihm eine Ehrensäule im Palastbezirk errichten123. Welch ein Un-

terschied zu Wulfilas der etwa gleichzeitig verstorben war und von dem weder Zeitpunkt noch Um-

stände seines Todes bekannt sind.

Zu ihrem bisherigen Sonderstatus als einziges der Barbaren-völker der christlichen Religion und Kul-

tur des Theos-Gottes anzugehören, unter seiner iudan124 zu stehen und somit ein iuda-Stamm und

zugleich noch Träger einer eigenen Hoch- und Schrift-sprache zu sein kam nun die unerhörte Aus-

nahme ihrer Rechte und Privilegien aus der lex gotica ihres iudans Theodos. Nun gab es Goten und

Barbaren im Reich der Römer. Die diesem Kaiser untertanen und zugleich befreundeten Goten wer-

den so noch einmal zum besonderen weil nun Theodosianischen Volk unter allen Skytischen und

Germanen. Sie stehen gleichermaßen unter Gottes iudan wie auch unter dieses Kaisers und iu-

dans Theodos‘ Herrschaft, sie sind seine >Theodisken< Goten. Ein iuda-volk bleiben sie weil auch

ihr himmlischer Atta und Vater spirituell-religiöser iudans bleibt. Da wir iud/thiud jedoch als den

sprachlichen Kern des Deutschen betrachten sind sie zugleich auch deutsche Goten, und insofern als

die ersten Deutschen mit einer ethnischen Komponente zu sehen – iudisch wie auch Theodosia-

nisch und gotisch zugleich.

Diese westlichen und Theodosianisch- iudischen Goten erhalten jetzt auch einen neuen Namen.

Nicht mehr Thevinger, nicht mehr Klein- oder Moeso-Goten sind sie nunmehr - als Wisi-Goten, die

119 Ein ideeller >Staat< war Germanischem Denken fremd. Nur die persönliche Bindung an einen Herrscher und eine Sippe galt als verbindlich =>Personen-verbands-staat< 120 Jord. XXVIII 121 >amator< n.L.Boehm ?? 122 Jordanis)XXVIII 123 Felix Dahn 124 =got Herrschaft

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rechtschaffenen und guten Goten gehen sie ab jetzt in die Geschichte ein. Gotisches >wisi< bedeutet

>gut< und entspricht dem lateinischen >pius<125 welches rechtschaffen, pflichtgemäß handelnd,

fromm, gottgefällig, treu und ähnliches benennt. Diese braven Goten des christlichen Gott-Kaisers der

Römer und gotischen iudans sind fromme Christen wenn auch arianische und treue Freunde dieses

Theodosius. Ihr Anspruch auf römisches Land und ihr Siedlungsrecht wie ihre Privilegien sind recht-

mäßig erworben. Nur sie sind auch in dieser Hinsicht das besondere, das Theodosianische iuda-

Volk unter allen anderen Barbaren

Deutlich ge- wie auch unter-schieden von diesen iuda-oder Wisi-Goten sind ihre Stammesverwand-

ten jenseits der Donau. Sie dienten einst König Hermane-reiks und sind nun zu Vasallen des Hunnen-

Chagan Balamber geworden. Sie, die einst selbst einem purpur-tragenden iudans zur Gefolgschaft

verpflichtet waren bleiben zwar auch weiterhin die Königs- oder Ostro-Goten - Purpur-Goten sind sie

jedoch nur noch dem Namen nach. Ihr kaiser-gleicher Herr ist jetzt ein Groß-Chan der Hunnen.

Wer auch immer sich in der Folgezeit auf die Rechte aus der lex gotica des Gotenfreundes Theodos

berief tat dies als ein Theodos-ianer – Theode-red - Thiudi-mir – Theude-rich126. Dies ist ebenfalls ein

Teil jenes etymologischen Wurzelstranges der zum Deutschen führen wird. Er wird sich bald im Na-

mensbild herrschender Goten deutlicher zeigen.

Noch aber ist die Mitwirkung des gott-kaiserlichen iudans Theodosius an der Sprachwurzel des

Deutschen nicht beendet. Der allerchristlichste Kaiser des Ostens, dieser Nachfahre einer Gottesgabe

ist noch nicht Allein-herrscher im Gesamt-Reich der Römer. Im Westen des Reiches hat noch immer

die Arianer-freundliche und Valentinianische Dynastie der auch Valens angehörte Macht und Herr-

schaft inne. Gratian ihr Chef-Kaiser wurde 383 n.Chr. ermordet. Der Zweite Valentian, letzter Sproß

dieser Sippe wird 392 ebenfalls umgebracht. Es ist ein fränkischer Heerführer des Theodosius der

diesen Mord begeht, Arbo-gast. Nun pocht Theodos auf die alleinige Macht und iudan im Reich der

Römer. Sein fränkischer Kriegsheld hatte seine Schuldigkeit als Theodosianischer Mohr im West-reich

offensichtlich getan. Als er danach jedoch versuchte nach dem Mord an Valentinian II. einen eigenen

Kaiser Eugenius für den Westen zu inthronisieren war es um beide geschehen. Die pflichtbewußten

Wisi-goten ziehen als treue Freunde ihres irdischen iudans und Kaisers Theodos erstmals gen Wes-

ten. Wie sehr auch diese Goten durch die Wulfilas-Bibel bereits geprägt sind zeigt erneut ihre Na-

menswahl. Anführer des theodisc / iudisken Heeres ist Saulus. Im biblischen Buch der Richter (Sa-

muel) ist Saul erster König des auserwählten Gottes-volkes Israel nach der Epoche der Richter. Im

Namen ihres Fürsten sichtbar ist nun auch bei den Wisi-goten die Zeit des Richters Attanarich vor-

über. Auch bei ihnen ist die Ära der eigenen Könige (=sua regis) innerhalb des Römischen Imperiums

angebrochen. Die frommen und Wisi-goten des zweiten Mose Wulfilas wie des Richters Attanarich

scheinen ihr >gelobtes< (= iu eiga) Land durch die kaiserliche Übergabe römischer Provinzen nun

ebenfalls erreicht zu haben. Der gotische Heerführer >Saulus< trägt seinen Namen auch als ein deut-

lich sichtbares Zeichen des ihm aus dem Vertrag mit Theodosius zustehenden Königs-rechtes. Doch

den Purpur, den Ostrum trägt nur sein Ober-Herr und Kaiser nur er ist der iudans auf Erden127.

125 ., n.Brucker, die Spache der Langobarden 126 Griechische Schreiber, z.B. Procop v.C. schrieben iu-/thiu- als They- (=Θευ) welches latinisiert zu Theu- wurde. 127 Solange Theodosius lebte nahm keiner der Goten-Fürsten das ihm aus der lex Gotica zustehende Königs-recht formell in Anspruch. Erst Ala-reiks trägt nach dem Tod dieses Kaisers als erster auch den Titel >rex<

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In einer blutigen Schlacht bei Aquileja vernichten dieses Kaisers treue Goten im Jahr 394 n.Chr. das

Heer des Arbogast und seines Titular-Kaisers Eugenius. Sie „...besiegten diesen Tyrannen“ und be-

straften ihn128. Der Anmaßer stirbt noch auf dem Schlachtfeld, der Franke Arbogast stürzt sich selbst

in sein Schwert. Theodos ist nun alleiniger iudans und Herrscher im Weltreich der Römer, er ist der

Große Theodosius geworden.

Um die Herrschaft für sein Haus und seine Dynastie zu sichern bestimmt der jetzt Große iudans die

dynastische Thron-, Erb- und Nach-folge mit einem Testament. Darin teilt er das eine Imperium Ro-

manorum in zwei je eigenständige Kaiser-reiche auf. Der Osten wie auch der Westen sollen je ein

selbständiges und zugleich römisches Imperium werden. Dadurch kann jeder seiner beiden Söhne

Kaiser und Augustus eines eigenen Römer-Reiches sein. Der eine im Okzident (West), der andere im

Orient (Ost). Mit diesem Teilungs-Testament zerstört Theodosius formalrechtlich die Einheit des anti-

ken Imperium der Römer für immer. Er ist es der die Dualität der römischen Reiche endgültig begrün-

det. Zwar hatten auch schon zuvor andere Augusti und Caesaren die Machtausübung im Reich aufge-

teilt und regionalisiert, doch das Imperium als solches wurde dabei trotzdem stets als ein Ganzes ge-

sehen. Doch als iudans Theodos im Jahr 395 n.Chr. stirbt gibt es zwei römische Kaiser-Reiche, zwei

Theodosianische iudan-gardis. Wer auch immer nach seinem Tod nun jemals auf ein separates

Kaiserreich des Westens pochen wird kann dies als ein legitimer Erbe des Theodosianischen Erb-

Rechtes tun. Auch er wird so und in dieser Bedeutung zu einem Theodosianer.

Zugleich aber starb mit diesem göttlichen Kaiser auch der letzte wirkliche Universal-herrscher des

Römischen Reiches. Seine Herrschaft und iudan markiert das Ende der imperialen Größe Roms. Mit

seinem Tod begann der endgültige Zerfall. Im Westen wird es nach dem Erlöschen seiner Dynastie

niemals wieder einen durch Tradition legitimierten kaiserlichen Herrscher und iudans geben. Für die

Zeitgenossen jener Epoche mag dieser gott-gleiche iudans Theodos in verklärendem Rückblick

letzter wirklich Großer Römer-kaiser gewesen sein. Sein Zwei-Kaiserrecht im Römischen Imperium

repräsentiert eine andere wenn auch kleinere Hälfte des Theodosianisch - iudisch-kaiserlichen An-

spruchs im westlichen Reich der Römer nach 395. Der Rückgriff auf das Teilungs-testamentes des

Theodosius und des daraus hergeleiteten Rechtes zweier Imperien aber war allen möglich, auch den

Franken. Dies wird sich später als ein ganz spezifischer Drive für das Deutsche erweisen.

Die >lex Gotica< aber und durch sie das Recht römisches Land durch Übergabe (se traditerunt) statt

Eroberung zu besetzen129 verbunden mit dem Privileg aller gotischen Völker (universa gens Gotho-

rum) auf eigene Könige und iudans (suo reges) und eigene Kultur innerhalb der römischen Reichs-

grenzen, dies ist das Theodosianisch - iudische Erbe allein der Wisi-Goten und macht sie schon

allein deshalb zum besonderen und gelobten iuda-Volk. Trotzdem konnte die Semantik dem Irrtum

verfallen Thiuda sei ein gemein-germanisches Wort für >Volk< im allgemeinen. Doch iudisch-

theodisce waren nur die guten und treuen Wisi-Goten des Kaisers und iudans Theodosius.

Wulfilas – Attanarich – Theodosius, dies ist die Trias der handelnden Personen die das Deutsche in

die Welt und auf den Weg gebracht hat. Wulfilas schuf jenes Göttliches verheißende Wort =

128 Jordanis 28). 129 Dies verkörperte einen polaren Gegensatz zu den späteren Eroberungen anderer Völker und besonders in Gallien.

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Thiud, Theodosius der Große aber band es als irdischer iudans an seine Person und verhalf ihm so

zu seiner kaiserlich-Theodosianischen Dimension. Richter Attanarich brachte dazu die ethnische Sub-

stanz seines iudisken Volkes der The-vingen-Goten als das Thiuda mit ein. Das Deutsche als

ein iudisch-Theodosianisches Attribut war somit etabliert.

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II. Buch

THEODOSIER UND THEODOSIANER

1. Theodisce Wisi-Goten Vom Ersten bis zum Zweiten Alarich (395 - 507)

„Nachdem aber Theodosius, welcher den Frieden und das Gotenvolk lieb hatte, aus dem Leben ge-

schieden war, begannen seine Söhne durch ihr üppiges Leben beide Reiche zugrunde zu richten.

Daraufhin wurden die Goten ihrer überdrüssig. Und da sie fürchteten, in der langen Friedenszeit ihre

Tapferkeit einzubüßen, machten sie Alarich zu ihrem König“. So beschreibt Jordanis in seiner „Goten-

geschichte“ von 551 n.Chr. den Fortgang der Entwicklung im Reich der Römer.

Das Sensationelle an dieser Notiz wird dabei gerne übersehen. Erstmals in der Geschichte des Impe-

rium Romanorum wurde innerhalb seiner Grenzen von einer fremden Volksgruppe ein eigener rex und

König ausgerufen130! Dies bedeutet de facto einen autonomen und gotischen Staat im Staat der Rö-

mer! Die lex Gotica des Theodosius zeigt ihre Wirkung.

Der neu erhobene Gotenkönig und >reiks<131 mußte sich bei seiner Gefolgschaft noch profilieren. Er

„schlug ihnen vor, lieber durch eigene Arbeit Reiche zu erobern, als Fremden untertan zu sein“.

Die Goten fanden diese Idee von Arbeit (!) echt geil und Ala-reiks der Erste „nahm daraufhin das Heer

und rückte in Italien ein“132. Damit demonstrierte der neue >rex Gotorum< wohl auch seinen Anspruch

auf dem Fundament des Theodosischen Ansiedlungsvertrages nach 395 in beiden römischen Rei-

chen Heimatrecht zu besitzen.133 Doch die schiere Lust am Krieg war offensichtlich ein ebenso trei-

bendes Agens.

Die beiden Söhne des Großen Theodosius deren üppiges Leben nach dem Tod ihres Vaters den Ver-

fall des Römerreiches voran brachten waren noch Knaben als sie zu Augusti wurden. Arkadius zählte

130 Obwohl Theodosius in seiner lex Gotica ihnen dieses Recht ja eingeräumt hatte nahm zu seiner Lebenszeit kein Gotenfürst den Titel >rex< für sich in Anspruch.. 131 Die gotische Srache kennt >reiks< in der Doppelbedeutung von >Reich< und >Herrscher<= der >reiks< re-giert sein >reiks<! Deshalb wäre ein gotischer –rich wohl auch passender mit –reiks zu benennen. Als Endsilbe früher germanischer Namen ist sehr häufig >-rich< zu lesen. Auffällig dabei ist daß dieses Suffix fast ausschließ-lich den Namen herrschender Personen ziert. Bei Gregor von Tours der um 590 n. Chr. eine fränkische Ge-schichte schrieb bleibt -rich bis auf seltene Ausnahmen nur dem Königshaus der Merovinger vorbehalten. In seiner Bedeutung wird -rich mit mächtig, reich o.ä.gleichgesetzt. Ausgehend von seiner Funktion und Verteilung in Namensbild handelnder Personen erscheint diese Deutung jedoch zu kurz zu greifen. >rex< ist der lateinische >König<, >-rix< als Endsilbe keltischer Namen bringt ebenfalls den königlichen Rang seines Trägers zum Ausdruck (s. P.M. Duval). Cäsars Gallischer Krieg zeigt ausreichend Beispiele zum Beleg dieser These – Vercingeto-rix, Dumno-rix und ähnliche. Allein aufgrund der Art seiner Verwendung kann für -rich ebenfalls seine Bedeutung von König angenommen werden. Je nach Erstsilbe eines Namens läßt sich unter dieser Annahme ein sehr bedeutungsstarke und charis-matische Bedeutung alter Königs-Namen erkennen. Ein „chil-de-rich“ zeigt sich so in seiner Erstsilbe als der Führer und Oberst einer (römischen) Militäreinheit (Chili-arch) und zugleich als ein König seiner Volksgruppe, Chiliarchus rex = Chil-de-rich 132 Jord. XXIX 133 Jordanis betont außerdem ausdrücklich daß vor Theodosius die hinter die Reichsgrenzen geflüchteten Goten >statt der Könige< von >Fürsten und Herzogen< regiert wurden (Kap. XXVI). Einer von diesen war ebenfalls ein >Ala-< doch nicht ein >-rich< sondern eben nur ein Ala-theus, ein Ala-isker. Die königliche Bedeutung des Suffix‘ >-rich< zeigt sich hierbei sehr deutlich. Innerhalb der Grenzen Roms ist Ala-reiks der erste Germane der dieses Macht verheißende Suffix trägt.

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etwa acht Jahre als er 396 n.Chr. Kaiser des nun selbstständig gewordenen Ost Reiches wurde, sein

Bruder Honorius trug als Zehnjähriger das Kaiserdiadem des autonomen Westens. Mächtige Heerfüh-

rer übernahmen deshalb als Regenten die reale Macht in beiden römischen Reichen. Stiliko, ein Van-

dale führte zuerst in Mailand und danach ab 404 in Ravenna die Geschäfte des westlichen Römerrei-

ches. Er war schon bei Theodosius in höchstem Ansehen gestanden und von diesem noch selbst zum

Vormund und Regenten für die noch kindlichen Kaisererben bestimmt worden134. Schon bald aber

gelang es Rufinus Einfluß auf den östlichen Kaiserknaben Arkadius und seine Regierung zu bekom-

men. Da er somit zum machtvollen Rivalen des Stiliko wurde ist es sehr wohl möglich daß der Goten-

rex Ala-rich mit dessen wohlwollender Duldung oder auch mehr nach dem Westen aufgebrochen war.

Doch nicht nur die Goten des Ala-reiks wurden kriegsreise-lustig. Auch an Donau und Rhein machten

die Germanen mobil. An den Küsten des Schwarzen Meeres und der unteren Donau reiten die skythi-

schen Hunnen. Auch sie gierig nach Beute und Land. Nachdem sie bereits die Goten aus Skytien

vertrieben hatten setzten sich nun auch die Völker Süd-Germaniens aus Furcht vor diesem dunklen

Reitervolk nach Westen ab. Alanen und Vandalen ziehen bei ihrer Völkerwanderung auch svebische

Stämme mit über den Rhein (406 n.Chr.). Die Burgunder siedeln sich dort an während die Schwaben

gemeinsam mit den anderen bis nach Spanien weiter wandern. Südlich der Alpen waren wie schon

erwähnt die Theodosianischen Wisi-goten auf Achse und Pferd.

Schon zuvor hatten sie als römische Neu-Bürger plündernd und raubend den Balkan bereist. Bis nach

Athen führte sie dabei ihr Kriegszug. Die Stadt der Hellenen war dabei zu ihrer Beute geworden135.

Aus dem Westen kam damals unter Stilikos Führung ein Hilfsheer aus dem Westen angerückt worauf

Alarich mit seinen Goten sehr in die Defensive geriet (396). Ein gut ausgehandelter Friedensvertrag

brachte danach jedoch beiden Seiten etwas ein. Der östliche Kaiserhof vergab an den reiks der Wisi-

Goten Alarich den Rang und Titel eines Militärbefehlshabers in einer römischen Grenzprovinz und

machte ihn zum dux der Römer. Damit hatte einst auch der Große Theodosius begonnen (um 376).

Als „dux per Illyricum“ war Ala-reiks nun zum amtlichen Macht- und Würdenträger des römischen Ost-

kaisers auf dem Balkan geworden136.

Da aber auch dieses Illyricum vom Teilungstestament des Theodosius zweigeteilt war wurde Alarich

zum kaiserlichen Heerführer in einer Region die zwischen Ost und West noch umstritten war. Eine

famose Ausgangsposition für den Goten-reiks und seine arbeits-geilen Krieger. Als kaiserlicher dux

hatte er nun den Zugriff auf alle Militärdepots der Römer in den illyrischen Provinzen. Von dort bes-

tens ausgerüstet brachen die Wisi-goten alsbald zu neuer Heerfahrt nach Westen und Italien auf. Im

Herbst 400 n.Chr. überschritten sie bei Aquileia den Timavus (Isonco). Sie durchzogen die Poebene,

Ligurien und die Toscana. Im Januar 401 waren sie bereits in der Campagna von Neapel angekom-

men. Erst ein Jahr später konnte ein west-römisches Heer die nun gar nicht mehr so guten Wisi-goten

besiegen und einschließen. Dies geschah wiederum durch jenen Regenten und Heerführer Stiliko der

auch schon fünf Jahre zuvor Alarich in Griechenland überwunden und von dort wieder verdrängt hatte.

Nun besiegte er die iuda-Goten auch in Italien und trieb sie nach Illyrium und dem Balkan zurück.

Stiliko war als Vandale den Goten und ihrem Ala-reiks sprach- und kulturverwandt da die Vandalen

ebenfalls zur Gruppe der gotischen Völker zählten. Dies brachte die beiden Heerführer trotz aller Riva-

134 F.Dahn 135 Felix Dahn

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lität einander doch nahe. Stiliko als der mächtigste Mann im Westreich gewann den besiegten Alarich

für einen Kriegszug nach Gallien. Dort sollten die Rechte und die Herrschaft des West-kaisers Honori-

us, dem zweiten Sohn des Theodosius wieder hergestellt werden. Vierzig Zentner Gold war der west-

römische Senat bereit den Goten und ihrem reiks dafür zu bezahlen. Außerdem sollte die Diözese

Pannonien (Westungarn/Jugoslawien) Alarichs Wisigoten als Siedlungsland überlassen werden. Ein

gotischer Pfufferstaat wäre so zwischen römischem Ost- und Westreich entstanden.

Doch Stiliko wurde wohl auch wegen dieses Vertrages von den Römern ermordet (408). Seine Nach-

folger im Amt annullierten sowohl den Vertrag als auch das abgeschlossene Bündnis. Noch einmal

versuchte der alte römische Adel die Barbarisierung der Herrschaft im römischen Reich zu verhindern.

Ewiger Krieg den Goten wurde zum verpflichtenden Fahneneid der Legionäre137.

Auch nach dem Tod Stilikos pochte Alarich auf seinen Vertrag mit West-Rom. Für dessen Nicht-

erfüllung verschaffte er sich eigenhändig Ersatz. Wieder brach er mit einem Heer in Italien ein. Die

Gefolgschaft des ermordeten theodosianischen Regenten lief zu ihm über und wie „im Triumphzug“

eroberte er den italienischen Stiefel138. Die Stadt Rom, bis zu Konstantin der Große Metropole und

Zentrum des gewaltigen Imperiums wurde zu Ala-reiks Beute. Mit fünftausend Pfund Gold, dreißigtau-

send Pfund Silber, viertausend Seiden- und dreitausend Purpur-gewändern, sowie dreitausend Pfund

Pfeffer konnten sich die Römer von der Eroberung und Plünderung ihrer Stadt freikaufen. In der Tat

ein gepfeffertes Lösegeld und um einiges mehr als Stiliko zuvor angeboten hatte. Zusätzlich mußten

die Römer auch alle ihre barbarischen Knechte und Sklaven freilassen. Auf die Frage, was ihnen denn

so noch bliebe, soll der Goten-reiks lakonisch geantwortet haben: „das Leben“139.

Als kostbarstes Beutegut aber fiel Alarich die Tochter des Großen Theodosius und Schwester der

beiden Jung-Kaiser Honorius und Arcadius in die Hände. Diese Placidia die zuvor noch mit Stilikos

Sohn Eucherius verlobt gewesen war begleitete nun als geschätzte und hoch geehrte Geisel den Zug

der Wisi-goten durch das Westreich. Ihr Bruder und West-kaiser Honorius hielt sich in jenen Jahren

sicher verborgen in der Hafenstadt Ravenna die so zur neuen Kaiser-residenz des Westens aufstieg.

Erneut versuchte Alarich für seine Wisigoten einen Ansiedelungsvertrag im West-reich zu erhalten.

Statt der Eroberung eine friedliche Übergabe (se traditerunt) durch Vertrag so wie Theodosius ihn

schon 382 im Orient gewährt hatte war sein Ziel nun auch für den Westen. Venetien, Dalmatien oder

das Noricum sollten gotische Provinzen im Westreich werden. Als letzte Forderung bestand der Go-

tenreiks nurmehr auf dem Noricum. Doch auch dieses wurde ihm verweigert.

Nun zog Alarich erneut gegen Rom. Der Stadt-Senat mußte Honorius für abgesetzt erklären und statt

seiner einen römischen Patrizier als Atta-lus zum neuen Kaiser des Westreiches ausrufen140. Für

prächtige Purpur-gewandung zu diesem Festakt war zwei Jahre zuvor ja schon ausreichend vor-

gesorgt worden. Der neue Kaiser mußte sich danach öffentlich zum arianischen Christentum der Go-

ten bekennen. Dies zeigt daß auch Kirchenleute auf der Kriegsreise der iuda-goten mit dabei waren.

Der neue Kaiser ernannte Ala-reiks nun zum „Magister Militium“ und damit zum obersten Feldherrn

136 F.D. 137 dto 138 Felix Dahn 139 Felix Dahn 140 ullus= irgendeiner, Atta= Vater,= irgendeiner der Alten Roms?).

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des römischen West-Reiches. Seinen Schwager Atta-ulf141 und Gemahl seiner Schwester wird zum

„comes domesticorum“, dem Chef der kaiserlichen Leibgarde ernannt. Damit war formal alles bestens

unter Kontrolle. Doch das römische Italien blieb widerspenstig. Frustriert brechen die Goten daraufhin

erneut in Rom ein und rauben einige Tage lang planvoll die dort noch zurückgebliebenen Wertsachen

zusammen. Danach machen sie sich auf den Weg nach Süden um von dort aus nach Nordafrika ü-

berzusetzen. Karthago galt als die Kornkammer des Römerreiches - sie wurde zum neuen Ziel der

einst guten Wisi-goten. Ein Sturm zerschlug jedoch ihre bereitgestellten Schiffe, die geplante Über-

fahrt war damit gescheitert. Kurz danach starb Alarich. Dieser reiks der Goten wurde wohl in jenem

poetisch überhöhten Grab im Busento142 wirklich begraben. Seine Herrschaft aber ging geblütsrecht-

lich durch seine Schwester auf deren Ehemann und comes domesticum Atta-ulf über. Als neuer König

und reiks führte er nun die Goten wieder nordwärts. Im Jahre 412 n.Chr. überquerte er mit seinem

Volk die See-alpen und betrat Gallien. Dort regierte ein gallischer Gegen-kaiser, Jovinus. Dies gab

Atta-wolf die Möglichkeit mit dem legitimen und Theodosischen iudans Honorius ins Geschäft zu

kommen. Für die Köpfe der gallischen Rebellenkaiser (es waren inzwischen derer zwei geworden)

sowie der Rückgabe der Kaisertochter und Schwester des Honorius, Placidia, forderte Atta-ulf Getrei-

de und Land. Der Vertag kam zustande.

Auf der Basis der lex Gotica des Theodosius von 382 wurde erneut ein Foedus-Vertrag abgeschlos-

sen und die guten iuda-goten in Gallien neu angesiedelt. Jeder dort ansässige Landbesitzer mußte

nun ein Drittel seines Besitzes einem Goten überlassen143. Diese hatten dafür dem West-kaiser Hono-

rius Heeresfolge und Kriegsdienste zu leisten. Nun wurden Valencia und Narbonne von Atta-wolf für

den legitimen iudans und West-Kaiser zurückerobert und die Köpfe seiner besiegten Rivalen nach

Ravenna geschickt. Honorius erfüllte jedoch seinen Anteil des Vertrages auch diesmal nicht. Deshalb

verblieb auch Placidia bei Atta-ulf in Gallien. Sie erwies sich als ein guter Trumpf im Poker um die

Theodosianische Herrschaft im West-reich. Es gelang diesem König und reiks der Goten die schöne

Kaisertochter als Ehefrau zu gewinnen. Nach römischen Recht, Sitte und Brauch wurde im Jahr 414

die Hochzeit zwischen reiks Atta-ulf und der Tochter des Ersten Theodosius, Placidia, in Narbonne

glanzvoll gefeiert. Zum zweiten Mal144 ist dies der Versuch eine germano-theodosische Dynastie zu

begründen. Der iudische Wisi-Gote war durch seine Heirat zum genealogisch legitimierten Erben

des toten Kaisers Theodosius aufgestiegen, er war selbst zum Theodosianer geworden.

Seinen Zeitgenossen erschien dieses Ereignis so spektakulär daß sie es mit der biblischen Prophe-

zeiung aus dem Buch Daniel (XI, 6) gleichsetzten. Die dort beschriebene mysthische Verbindung des

Herrschers im Mittag mit dem König aus Mitternacht galt mit dieser Ehe als vollzogen145. Trotzdem

setzten die echten Theodosier nach. Vor ihren Heeren mußten die Wisi-Goten über die Pyrenäen und

nach Spanien ausweichen. Dort, in Barcelona, gebar Placidia ihren ersten Sohn der, wie könnte es

anders sein, Theodosius genannt wurde. Dieser Erbe und Stammhalter starb jedoch schon als Säug-

ling. Kurz nach seinem Tod wurde sein Vater ermordet. Eine römer-feindliche Gruppe übernahm jetzt

das Zepter bei den guten iuda-Goten. Der Rest von Atta-ulfs Sippe wurde ebenfalls ermordet - die

141 Ein >Wolf< des göttlichen und unsterblichen Vaters< ? 142von Platen 143 Die Angaben über die genauen Verteilungsquoten variieren. 144 nach Stiliko 145 Felix Dahn.

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Römerin Placidia und Kaisertochter öffentlich gedemütigt. So war auch dieser zweite Versuch einer

theodosisch-barbarischen Dynastie gescheitert.

Von den nachrückenden Legionen des West-kaisers und Theodos-sohnes Honorius wurden die wisi-

Goten in den Süden Spaniens abgedrängt. Erneut versuchten sie deshalb nach Afrika überzusetzen,

diesmal von Cadiz aus. Doch wieder zerschlug ein Sturm zuvor ihre Schiffe (um 416). So blieb ihnen

keine Wahl, sie mußten sich mit Honorius und dessen Feldherr Constantius arrangieren. Gegen eine

große Getreidelieferung und neu ausgehandeltes Ansiedelungsrecht geben sie Placidia frei und zu-

rück (418). Sie ziert fortan als Galla Placidia die Geschichtsbücher.

Im Dienst des westlichen Kaisers und Theodosischen iudans Honorius ziehen nun die guten Goten

als Föderati 146durch Spanien. Dort waren inzwischen die Vandalen, Alanen und Sveben eingereist.

(413). Ihre Tour vom Rhein (406) bis an die Badestrände Hispaniens hatte doch etwas gedauert. Nun

wurden sie dort von den Wisigoten und ihrem König Walia im Auftrag des West-Kaisers erbarmungs-

los bekämpft. Die in Spanien gefangenen Vandalenkönige schickten die siegreichen Goten an den

theodosischen Kaiserhof nach Ravenna147. Auch einen weiteren der sogenannten gallischen Sonder-

kaiser bekämpften sie erfolgreich. Wegen ihrer guten und treuen Dienste dürfen die Wisigoten nun in

der Gallia heimisch werden(na endlich!). Auf der Basis der alten lex Gotica werden sie Bürger der

römischen Aqutiania, Tolosa (Tolouse) ihre Königsresidenz und eigenes iudan-gardi.

In der Folgezeit errichten sie jenes gewaltige >reiks< von Tolosa welches von Marseilles bis Bor-

deaux, von Orleans bis zu den Pyrenäen und Barcelona reichte. Die Loire wurde seine nördliche

Grenze. Der erste König der nach dem Tod des Walia (419) in diesem durch theodosianischen Ver-

trag gesicherten Land in der Gallia gewählt wird trägt den Namen Theude-red148 auch als Theodo-rid

überliefert. Zwar ist er kein geblütsrechtlicher Theodosier doch seine spätere Rück-bindung an das

Haus Theodosius machte auch ihn zum Theodos-ianer. Als erster aller gotischen reiks oder iudans

trägt er einen Theod-isken Namen der sowohl auf das gotische iudans wie auch auf Kaiser Theodo-

sius verweist. Er hatte auch als erster der Goten-reiks im Westen sein eigenes iudan-gardi nicht

mehr allein von der Gunst des Westkaisers abhängig gemacht – er war aus eigener Kraft ein macht-

voller Herrscher und iudans in Gallien geworden. Er ist jener rex bei welchem das iuda-gotische

durch eine gezielte und königliche Namensgebung mit dem Erbe des Großen Kaisers der Römer

Theodos verschmilzt. Mit ihm und durch ihn wird Theodos-ianisch als Synonym eigenen Machtan-

spruchs der Goten-reiks innerhalb des römischen Reiches auch im westlichen Teil heimisch.

Das iudische wurde damit auch dort zum Theodosianischen.

Theude-red begründete eine Theodisc - iudische Dynastie welche länger als ein Jahrhundert die

Könige der iuda- oder Wisi-goten stellen wird149. Der Begründer dieses Theudischen Herrrscherhau-

ses läßt sogar sein Leben für die kaiserlichen Theodosier und deren iudans. Für Kaiser Valentinian

III., einem Enkel des Großen Theodos zieht er gegen Attila in den Krieg nach Gallien. Auf den mauria-

cischen Feldern nahe Orleans fällt er im Kampf. So machte er seinem Namen, ein zum Haus des

Theodos Zurückgekehrter zu sein alle Ehre. Die Saga will es daß er dort von einem Ostro-Goten der

146 =Vertaglich gebundene Hilfstruppen Rom 147 Obwohl den Goten in Sprach, Kultur und arianisch-christlicher Religion eng verwandt sind Vandalen kein wisi-gutes iuda-volk! 148 red-eo ist lat. zurück- wiedergekehrt, zur Besinnung kommend. Theude- steht für grecco-latinisiertes iudi. 149 bis zu Amal-rich, getötet 531 n.Chr.

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im Gefolge der Hunnen mitkämpfte getötet worden sei. Sein eigenes Königs-geschlecht aber bildet

einen ethnisch-dynastischen Zweig der iudisch-theodiscen Wurzel auf dem Weg zum Deutschen.

Als das Reich, das iudan-gardi dieser wisi-gotischen Theodosianer um 506/07 von den Franken

erobert wird nennt sich deren siegreicher König Clodevech danach selber Augustus und seinen schon

„stattlichen Sohn“ einen iudi-reiks = Theude- rich150! Er übernimmt damit deutlich sichtbar den theo-

dosianischen Herrschaftsanspruch der iudischen Wisigoten wie auch deren Rechte und Privilegien

aus der lex Gotica in Gallien. Das Deutsche kam so auch zu den Franken

2. Theodosische Vandalen - Von Geiserich bis Hilderich

Die Vandalen sind ein Volk das mit jenen Luier / Lugiern gleichgesetzt wird welches Strabo, Tacitus

und auch Ptolemaios unter diesen Namen in die Geschichtsschreibung einbrachten. Sein ursprüngli-

cher Siedlungsraum erstreckte sich nördlich des Erz- und Riesengebierges von der Elbe „bis zur Quel-

le der Weichsel“151. Als ein großes und zahlreiches Volk zwischen Sveben und Goten siedelnd wird es

genannt. In den Markomannen-Kriegen des Marc Aurel (165-81) wird es bereits als Vandalen und an

der Donau gegen Rom kämpfend bezeichnet. Unter diesem ihrem neuen Namen werden sie danach

in Kultur, Sprache und Religion den ost-germanisch gotischen Völkern zugeordnet. Wie diese wurden

sie ebenfalls arianische Christen. So hofften auch sie auf das von Wulfilas so formulierte iudin-

assus, das Gottes-tum und auf iudan-gardi, das Gottes-reich auf Erden. Ob auch sie ihre Könige

und >reiks< mit iudans benannten ist nicht überliefert.

Nach ihrem Aufbruch aus Schlesien und der darauf folgenden Wanderungszüge über Pannonien (Un-

garn) und Raetien zum Rhein (405/406 n.Chr.), von dort weiter durch Gallien und über die Pyrenäen

landen sie zunächst in Spanien (409). Dort wird die eine Hälfte ihres Volkes, die Si-linger, von

den iudischen Wisi-Goten und deren König Walia besiegt und dezimiert. Ebenso ergeht es den mit-

gereisten Alanen die sich daraufhin dem König der As-dinger Vandalen unterordnen. Zwanzig Jahre

später setzen diese Asdingischen Vandalen und Alanen gemeinsam über nach Afrika (429) und er-

obern das römische Karthago in Libyen (439). Ihnen glückte was den Wisi-goten zweimal mißlang. In

der römisch-afrikanischen Provinz seßhaft geworden etablierten die Vandalen dort schon bald ein

mächtiges Land- und Seereich am westlichen Mittelmeer, ihr eigenes iudan-gardi.

Aus vandalischen Landratten wurden bald gefürchtete Seeräuber152. Das westliche Mittelmeer wurde

nun zu ihrem mare nostrum. Auch die Inseln darin wurden sämtlich vandalische. In Griechenland wur-

den ihre Piratenzüge ebenso gefürchtet wie in der galizischen Nord-West-Ecke Spaniens an der Bis-

caya. Geise-rich war ihr >reiks< und König von 428 bis 477 und zugleich auch Herr153 der mitgezoge-

nen Alanen. Er selbst nannte sich stolz „König des Festlandes und der See“154. Von seinen Zeitgenos-

sen wurde er gleichermaßen gehaßt wie bewundert.

150 Gregor von Tours 151 Ptolemaios 152 Schreiber 153 =got >fraujins< 154 Felix Dahn

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Procop von Ceasareia, ein oströmischer Kriegsberichterstatter und Historiker nennt ihn um 550 „den

neben Theuderich dem Goten, größten König der Barbaren“155. Jordanis, Verfasser der Gotenge-

schichte meinte etwa zur gleichen Zeit dieser Vandale „habe bisweilen schneller gehandelt als andere

gedacht“156.

König Geise-reiks hatte auch mit dem Theodosischen Kaiser Valentinian III. seine maritimen Konflikte.

Diese aber waren mit einem Ehe- und Bündnisvertrag um 442/445 beendet worden. Seit jenen Tagen

trug ein Sohn des Vandalenkönigs den Namen Theodo- richos157. Im Namensbild der Vandalen war

ein Theo- bis dahin noch nie vorgekommen. Doch schon eine Verlobung mit dem Haus Theodosius

hatte einen Vandalen-Prinzen offensichtlich zum Theodos-ianischen reiks werden lassen! Auch dies

belegt die prägende Wirkung die iudans Theodosius auf die gotischen Vöker des Westens ausübte.

Offensichtlich war Mann als reiks innerhalb des römischen Imperiums nur als ein Theodosianischer

auch legitimiert.

Nach dem Kaisermord an Valentinian im Jahr 455 benützte der Vandalenkönig seine Heiratsansprü-

che an das Theodosische Kaiser-Haus im West-reich um als dessen Rächer in Italien einzugreifen.

Am 16. März 455 wurde der Dritte Valentinian ermordet, schon am letzten Mai-tag desselben Jahres

landete Geise-reiks gewaltige Flotte „zum Entsetzen der Römer“ vor ihrer Stadt158.

Der frischerhobene West-Kaiser Maximus verläßt dabei in schändlicher Flucht das Schlachtfeld und

wird deshalb von seinen eigenen Soldaten gesteinigt. Er war nach Valentinians Tod zum Kaiser auf-

gestiegen und hatte dazu die kaiserliche Witwe Eudoxia in sein Bett gezwungen159. Mit dieser Verge-

waltigung hatte er sich wohl selber zum Theodosianer zu machen gehofft.

Nach Geiserichs militärischem Landgang geschieht etwas für die Menschen jener Zeit geradezu Sen-

sationelles. Nicht wie sonst und gerade auch bei den Römern selbst üblich wurde die Stadt verheert

und verbrannt, die Menschen abgeschlachtet und geschändet. Das Kriegsrecht des Siegers galt in

jenen Zeiten ja als ein absolutes, uneingeschränktes und war bei den Siegern und Verlierern glei-

chermaßen unbestritten. Doch Geise-reiks erzwang von seinen Vandalen, Alanen und maurischen

Hilfsvölkern absolute Disziplin. Noch planvoller als dies der Wisigote Ala-reiks ein halbes Jahrhundert

zuvor schon getan hatte (409) wurde Rom jetzt erneut ausgeplündert.

„Mit der professionellen Ruhe moderner Mafiosi“ wurde der Alten Welt ruhmreichste Metropole zwei

Wochen lang systematisch nach Wertvollem abgesucht und ausgeräumt160. Was sich seit Alarichs

Raubzügen in fünf Jahrzehnten an Wertvollem in Rom wieder angesammelt hatte wurde nun zur Beu-

te der theodosianischen Vandalen. Selbst Säulen und vergoldete Bronzeziegel wurden abmontiert und

zusammen mit römischen Statuen in die Schiffe der Sieger umgeladen. Frauen und Töchter aus edlen

Häusern wurden als kostbares Beutegut für spätere Lösegelder gepfändet.

Der wertvollste Schatz aber der Geiserich in die Hände fiel waren drei (!) Theodosische Erbtöchter aus

dem westlichen Kaiserhaus. Die inzwischen zweifache Kaiser-witwe Licinia Eudoxia und ihre Töchter,

Placidia die Jüngere (nicht zu verwechseln mit der Galla-Placidia!) und Eudoxia die Jüngere wurden

155 Vandalenkrieg. Es war wohl auch dieser Chronist der gotisches iud mit griechischem Theyd = Θευδ wie-dergab. 156 Zit. n. H.Schreber, Die Vandalen, S.165 157 Schreiber 158 Felix Dahn) 159 F.D. 160 Schreiber

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als Kriegs-Beute des Siegers nach Afrika verschifft. Eine der drei kaiserlichen Damen wurde später

gegen ein hohes Lösegeld wieder abgegeben, eine zweite aus politisch verwertbarer Großmut bar-

geldlos freigelassen.

In Karthago wurde nun die zehn Jahre zuvor schon vereinbarte Hochzeit geschlossen. Doch nicht

Theodo-richos sondern sein jüngerer Bruder ist jetzt der Bräutigam. Die Jüngere Eudoxia wird mit

dem vandalischen Erb-prinzen und auserwählten Thron-Nachfolger vermählt. Dieser nimmt nun eben-

falls einen theodosianischen Namen an und wird zum theodiscen Erbfolger. Er nennt sich nach des

Großen Theodos‘ Sohn Honorius selber Honor-richos161, ein Honorianischer reiks und iudans also.

Als ein Königlicher und zugleich Theodosisch-Honorianischer Herrscher will sein Name ihn auswei-

sen. Zu Hune-rich verstümmelt aber geht er in die Geschichtsschreibung ein. Vermutlich war die Ver-

folgung der katholischen Christen die er als ein Arianer sehr grausam betrieb die Ursache dafür daß

er als ein hunnischer reiks und allgemeiner >Christen<-verfolger diffamiert wurde162. Der andere The-

odosianische Sohn des Geiserich, Theodo-richos, starb noch bevor er Theodosisches Herrschererbe

antreten konnte um 481.

Durch den in jeder Hinsicht äußerst erfolgreichen See-Räuberzug der Vandalen nach Rom war ihre

Königssippe nun zu einer geblütsrechtlich sanktionierten Theodosischen geworden. Eine gotisch-

iudische war sie bereits durch ihre arianisch-christliche Tradition gewesen. Nun aber war ihre Herr-

schaft, ihre iudan durch das Geblütsrecht der Jüngeren Eudoxia auch Theodosisch legitimiert. Mann

hätte sich jetzt völlig legal um einen Job als römischer Kaiser bewerben können.

Dieser dritte Versuch einer barbaro-Theodosischen Dynastie hatte Erfolg. Kein anderes germanisches

Volk und deren Herrscherfamilie hat in der Epoche der Völkerwanderung je eine gleichwertige oder

eben-(ge)bürtige und Theodosische Legitimation erreicht als dieser Honorianische Zweig des Vandali-

schen Königshauses. Setzt man auch ihr >Theodisces< zu deutsch in Beziehung waren sie die Deut-

schen unter den Vandalen. Sie regierten in Karthago bis zum Jahr 530 n.Chr. Als eine Palastrevolte

diese kaiserlich-theodisce Linie der Königs-Dynastie aus Macht und iudan vertreibt gibt dieser Vor-

gang dem Ost-römischen Kaiser Justinian den willkommenen Anlaß wegen dieser gestürzten Theo-

dosier seinen Vernichtungskrieg gegen die Vandalen insgesamt zu beginnen163. Sie wurden dabei

zum ersten Opfer des Justitian auf dessen Weg zur (Rück-)Eroberung des Ein-Kaiser und Ein-Reich

Status‘ der Römer. Justinian hatte begonnen das Teilungstestament des Theodosius von 395 einzu-

kassieren.

Im Jahr 533 vernichten seine ost-römischen Heere das Reich der Vandalen in Nordafrika. Ihre aria-

nisch - iudische Religion, ihre Sprache und Kultur werden ausgelöscht. Die Überlebenden werden

als Beute zu Sklaven des Siegers gemacht und nach Konstantinopel verschleppt. Unter ihnen waren

auch jene Theodosier welche zuvor durch den Putsch gegen ihren theodiscen König Hilde-reiks (-rich)

aus der Herrschaft gedrängt worden waren. Wie sehr aber selbst noch dieser Ost-Kaiser die geblüts-

rechtliche Tradition der Theodosischen Vandalen anerkannte zeigt sein Kriegsberichterstatter und

Geheimschreiber Procopius von Cäseraia. Die nach Byzanz verbrachten Theodosier erhielten dort

161 Schreiber 162 Die Analogie zu Attana-rich ist deutlich sichtbar, auch er gilt als ein >Christen-< und nicht Katholiken-verfolger. 163 Hermann Schreiber und Procop v. Caesaria

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kaiserliche Privilegien. Justinian „beschenkte die Töchter Hilderichs und alle die noch vom Kaiser Va-

lentinian abstammen reichlich“ so schrieb er.

Valentinian aber war wie wir wissen letzter männlicher Sproß aus dem Hause des Großen Theodosius

gewesen und ein Jahrhundert zuvor schon ermordet worden (455). Noch in seinen vandalisch-

barbarischen Nachfahren aber ehrte der Sieger Justinian deren kaiserlich-dynastische Abkunft. In

luxuriösem Gewahrsam lies er diese theodisce Nachkommenschaft dann aussterben. Damit war auch

dieser hoffnungsvolle etymologische Trieb an der Wurzel des Deutschen für immer abgehackt.

Bevor wir uns nun jenem Wurzelstrang zuwenden der das Deutsche am Leben halten und weitertra-

gen wird sollen zuvor noch die italischen Theodosier und –ianer kurz gewürdigt sein. Auch sie ver-

suchten durch eine Rückbindung an den Großen Theodos zu Vor-Deutschen zu werden. Denn noch

bedeutet Theodosianisch nur sehr begrenzt eine ethnische Definition, in der Hauptsache definiert er

den dynastisch-kaiserlichen Rückbezug auf den Großen Theodosius.

3. Gemischte Theodos-ier und –ianer oder wie auch Attila versuchte ein Deut-

scher zu werden

Beginnen wir mit Stiliko. Er war ebenfalls ein germanischer Vandale. Als auffallend gut gewachsen,

groß164 und blond wird er beschrieben. Im römischen Heer hatte er Karriere gemacht. Im Jahr 383

wurde er von Kaiser Theodosius zu Friedensverhandlungen an den persichen Hof (got.= >gards<)

entsandt. Erfolgreich von dort zurückgekehrt wurde der schöne Vandale zum Objekt der Lust einer

Kaiser-nichte. Serena war eine Tochter von Theodos‘ Bruder Serenus. Sie gilt als Lieblung des häufig

ruppigen Kaisers, sie durfte mit dessen Erlaubnis den vandalischen Barbaren heiraten. Dieser stieg

nun hoch auf. Zuerst zum Kommandanten der Palastwache dann nach erfolgreicher Niederschlagung

einer Meuterei des Balkan-heeres wurde er zum obersten Reichsgeneral befördert (=magister militum,

393). Sein kaiserlicher Gönner stirbt zwei Jahre später in Mailand der westlichen Kaiserresidenz. Zu-

vor jedoch übertrug er selbst noch Stiliko die Vormundschaft über seine beiden Erbsöhne Arkadius

und Honorius. Damit war der Vandale zugleich Regent oder Reichsverweser des Imperium Romano-

rum in beiden Teil-reichen geworden. Doch schon bald entschied sich der östliche Erbe Arkadius für

den Präfekten des Oriens Rufinus als seinen Ratgeber und Regierungschef. Stilikos Macht blieb da-

durch auf das West-reich beschränckt. Er verheiratete seine Tochter Maria nun mit dem noch kindli-

chen West-Kaiser Honorius und als Maria schon bald danach starb mit deren jüngeren Schwester

Thermantia165.

Stilikos Sohn Eucherius aus seiner Ehe mit der Theodosischen Kaiser-nichte Serana aber wurde ver-

lobt mit der Tochter Placidia166 des toten Kaisers Theodos. Stiliko tat demnach sein möglichstes um

selber eine vandalo-theodosische Dynastie zu begründen. Seine Regentschaft (noch nicht iudan) im

Westen war geprägt durch den Kampf gegen jene Völker die auf der Flucht vor den Hunnen oder aus

schierer Lust an der Kriegs-Arbeit auf dem Weg in den Westen waren. Alanen, Vandalen, Sveben und

164 >stilus< ist ein spitzer Pfahl, Stili-ko die (Bohnen-)Stange oder >lange Latte< ? 165 F.Miltner , Germanische Führer der AntikeFr 166 Sie ist die spätere >Galla< Placidia

Page 47: Stoll Karl Heinz. Das Deutsche Sein Ursprung Und Mythos

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Burgunder überrollten das italische Noricum und Rhaetien und bedrohten die Grenzen am Rhein und

damit Gallien (406). Südlich der Alpen war Ala-reiks mit seinen iudischen Wisi-goten auf Achse und

Pferd um in Italien selbst durch die Arbeit des Krieges fette Beute zu machen.

Die unter den Romanen sich ausbreitende Germanen-feindschaft führte dann zum Sturz des macht-

vollen Vandalen. Er stürzte letzlich über seinen Versuch mit dem Gotenkönig Ala-rich zu einen Kom-

promiß und sogar Bündnisvertrag zu gelangen. Dies wurde ihm als Verrat römischer Interessen aus-

gelegt. Stiliko und seine Familie wurden nach einem Putsch im Jahr 408 n.Chr. ermordet.

Er war der erste Germane gewesen der versucht hatte durch Einheirat in die kaiserlich- theodosische

Familie selber eine germano-römische Herrscher- und wohl auch Kaiser-dynastie zu begründen. Den

Namen Flavius eines uralten römischen Kaiseradels hatte er sich dafür bereits selbst zugelegt. Flavius

Stiliko zeigte sich so als ein erster Theodosianer unter den sogenannten Ost-Germanen sowohl im

eigenen Machtanspruch wie auch durch seine Heiratspolitik. Er war auf dem besten Weg gewesen

eine vandalo-römische Seitenlinie des Hauses Theodosius im Westreich zu etablieren. Doch mit sei-

ner Ermordung war dieses erste barbaro-theodosische Experiment gescheitert.

Von Atta-wulf dem reiks der Wisigoten der nach ihm den zweiten Versuch unternahm ist schon an

anderer Stelle berichtet.

Constantius, ein Feldherr des westlichen Kaisers Honorius wurde später ebenfalls durch Einheirat

bei den Theodos‘ mächtig und groß. Als Führer des west-römischen Heeres hatte er die römerfeindli-

chen Wisi-Goten nach Atta-ulfs Ermordung in Gallien bekämpft. Nachdem er dessen gedemütigte

Witwe Placidia zurück erobert hatte wurde sie in zweiter Ehe Gemahlin dieses siegreichen Constanti-

nus. Er avancierte daraufhin 421 zum Mit-Kaiser des westlichen Honorius. Was die Skyto-Germanen

Atta-ulf und Stiliko vergeblich versucht hatten gelang nun Constantius. Nach dem Tod Kaiser Honori-

us‘ wurde sein Sohn aus der Ehe mit Galla Placidia als der Dritte Valentinan Kaiser des Westens und

in cognastisch-weiblicher Linie legitimer Erbe der Theodosischen Herrschaft und iudan (423-55). Als

Augustus hatte er es dann des öfteren mit den Seepiraten des Vandalenkönigs Geiserich zu tun. Die-

se beherrschten mit ihren Seglern nicht nur die Küsten des westlichen Mittelmeeres. Valentinian III.

bot dem vandalischen König Karthagos und des Meeres wie er sich selbst nannte einen Friedensver-

trag an (442). Um dieses Stillhalte-Bündnis zu bekräftigen wurde ein Sohn des Vandalen-reiks mit der

Tochter des Theodosischen Valentinian III. verlobt (um 442- 445). Damit begann sich jene dritte ger-

mano-theodosische Connection anzubahnen die noch ein Jahrhundert nach ihrem Beginn vom östli-

chen Kaiser Justinian respektiert werden soltte.

Auch Väterchen Attila167 der Beherrscher aller skytischen Lande und Völker entlang der Donau vom

Schwarzen Meer bis zu ihren Quellen im Schwarz-wald168 hatte vor seinem Zug nach Gallien 451

versucht durch Ein-heirat ein Theodosianischer zu werden. Um seine Vorzugsstellung als Verbündeter

der theodosianisch-kaiserlichen Dynastie zu betonen hatte der Chan-Chan aller Hunnen vergeblich

die kaiserliche Honoria als Braut für sich verlangt. Sie war eine Schwester des Dritten Valentinian,

167 got. Atta = Vater - ila =got. Dimin. 168 Jordanis

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47

Tochter der Gallischen Placidia und damit auch Enkeltochter des Großen Theodosius. Doch Attilas

Brautwerbung wurde vom westlichen Kaiserhof abgelehnt. Zeitgenössische Autoren haben damals

gemeint diese Ablehnung sei der direkte Anlaß für den Kriegszug des Hunnen nach Gallien gewor-

den169. Dort hatten die schwarzen Reiter zuvor schon öfters in römischem Dienst gekämpft. Die Wege

und Heerstrassen der Römer vom Balkan an die Loire waren ihnen also bestens vertraut. Wie meist

war nördlich der Alpen und entlang der Donau im norisch-rhaetischen Korridor auch für die hunni-

schen Reiter der Weg von Pannonien nach Gallien vorgegeben170. Im Fall der Hunnen hatte dies mit

sich gebracht daß sie entlang der gesamten Donau bis hin zum Rhein ihr eigenes als skytisch be-

nanntes Reich etabliert hatten. Nun versuchte Attila im Jahr 451 ganz offensichtlich auch noch die

Gallia seiner skytho-hunnischen Herrschaft zu unterwerfen. Doch nachdem der Hunnenkönig schon in

seinem Bemühen durch Ein-heirat ein Theodosianer zu werden gescheitert war mußte er nun zusätz-

lich noch seine Niederlage bei der Völkerschlacht auf den mauriacischen (=schwarzen ?) Feldern

nahe Orleans in Gallien verkraften. Sein kriegsentscheidender Gegner dort war der Theodosiani-

sche iudans der guten Wisi-goten, Theude-red.

Statt der verweigerten Braut aus West-Rom führte Väterchen Attila danach die germanische Prinzes-

sin Hildiko seinem Harem zu. Während der Hochzeitsfeier betrank sich der Hunnen-Chagan dann

anscheinend derart daß er noch in der Hochzeitsnacht an einem Blutsturz erstickte (453 n.Chr.). Der

mächtige Chan aller Chane hatte sich schlicht zu Tode gesoffen. Auch dies ist Geschichte.

Ein weiterer Kriegsheld der Römer versuchte nun ebenfalls Theodosianer zu werden. Nach seinem

Sieg über Attila und dessen Heere in Gallien verlangte der erfogreiche Feldherr und Stratege Roms,

Aetius, als Lohn für sein Heldentum des Kaisers Valentinian edle Tochter zur Gemahlin. Auch er woll-

te seine militärische Karriere mit kaiserlich-theodosischem Glanz krönen, wollte zum Theodosianer,

zum Vor-Deutschen werden. Doch Braut-vater Valentinian war offensichtlich anderer Meinung. Im

Streit über die Anmaßung des Aetius erstach der aufgebrachte West-Kaiser seinen siegreichen Feld-

herrn eigenhändig (453). Diese Tat blieb jedoch nicht ohne Folgen. Nur ein Jahr später wurde der

Kaiser selber aus Rache wie es hieß von zwei germanischen Legionären des toten Aetius ebenfalls

erdolcht (455). Mit Valentinan III. aber starb zugleich auch der letzte männliche Erbe des Hauses

Theodosius.

Anstifter dieses Kaisermordes war Petronius Maximus gewesen. Nach dem erfolgreichen Attentat ließ

er sich selbst zum neuen Kaiser der West-römer ausrufen. Zu seiner Theodosianischen Legitimation

zwang er die Kaiser-witwe Liciania Eudoxia in sein eigenes Bett171. Mit dieser Vergewaltigung hatte

sich der römische Patrizier offensichtlich die Theodosianische Aura zu erzwingen erhofft. Eudoxias

gleichnamige Tochter, die Jüngere Eudoxia vermählte er mit seinem Sohn Palladius. Ganz deutlich

sichtbar wird dabei daß nicht nur germano-skytische Barbaren dem Geblütsrecht in der römischen

Thronfolge allerhöchste Priorität zumaßen. Theodisce zu sein war auch unter Römischen in !

Doch des Maximus‘ theodisces Glück währte nicht lange. Noch im selben Jahr wurde er von seinen

eigenen Soldaten wegen Feigheit vor dem Feind zu Tode gesteinigt (455).

169 Felix Dahn 170 Durch Italien selbst durften barbarische Hilfsvölker der Römer nur selten ziehen.

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Zu einer weiteren Theodisc-deutschen Dynastie hatte es auch in diesem Fall nicht gereicht.

An dieser Stelle sei in kurzer Blick in das östliche Reich der Römer gelenkt. Denn nicht nur im Westen

versuchten ehrgeizige Helden und Aufsteiger durch Einheirat vom Theodosischen Kaiserglanz und

dieser Herrschaft etwas abzubekommen. Im Ost-reich war die Theodos-Sippe mit dem Zweiten Theo-

dosius schon 450 in männlicher Linie ausgestorben. Marcianos, der einst als Sklave am Hofe des

Vandalen-reiks Geiserich in Karthago gelebt hatte wurde von diesem eines Orakels wegen freigelas-

sen. Der vandalische Herrscher und iudans über Land und Meer hatte beobachtet wie ein Adler über

seinem schlafenden Sklaven schwebte um ihm so mit seinem Schatten vor der glühenden Sonne

Tunesiens zu schützen. Dies war dem Vandalischen König und reiks als ein verheißungsvolles Omen

erschienen worauf er Marcian freiließ. Dieser war danach zum mächtigen Heerführer im Ost-reich

aufgestiegen. Als solcher wurde er dann Ehemann der Pulcheria, einer Schwester des Zweiten Theo-

dos. So war auch er zum Theodosianer geworden. Legitimiert durch das Geblütsrecht seiner kaiser-

lich-Theodosischen Gemahlin übernahm er dann selber die kaiserliche Herrschaft und Krone in By-

zanz (450-457). Eine Tochter aus seiner Ehe mit Pulcheria trug dann ihrerseits die Theodosisch-

kaiserlichen Erbrechte weiter. Ihr Gemahl wurde ein Anthemius. Doch ihm wurde die Nach- und

Tronfolge nach dem Tod seines Schwiegervaters durch einen Löwen172 verwehrt. Statt seiner wurde

Leo / Leon zum Kaiser der östlichen Römer erhoben. Er hatte dazu der Theodosischen Legitimation

nicht bedurft.

Zurück in den Westen. Dort rauften und mordeten inzwischen unterschiedlichste Heerführer und Patri-

zier um das Theodosische Kaisererbe und die Herrschaft im Westreich. Rici-mer (=Recke und be-

rühmt) ein Svebe aus Spanien und cognatischer Enkel des wisi-gotischen Königs Walia hält als Mili-

tärchef und Kaisermacher die Fäden der Macht in seinen Händen173. Er enscheidet jetzt darüber wer

den kaiserlichen Purpur und das Diadem des West-reiches tragen darf. Gegen ihn schickt der Ost-

kaiser Leo nun seinen Theodosianer, den Schwiegersohn von Marcian und Pulcheria, Anthemius ins

Rennen. Sollte der sich doch in Italien seine Theodosianischen Ansprüche erkämpfen! Ricimer, der

berühmte Recke erwies sich jedoch als ebenso clever wie ruhmreich. Dem kaiserlichen Ostimport

setzte er nun seinerseits einen Theodosianischen Trumpf entgegen - Ancinius Olybris einen Römer

aus dem Senatorenstand. Er hatte um 462 die Jüngere Placidia aus vandalischem Beutegut freige-

kauft und geheiratet. So war auch er zu einem Theodosier geworden. Recimer besiegte den aus dem

Ost-reich stammenden Anthemius und ließ ihn danach ermorden (472). Anschließend ließ er seinen

Olybris zum Titular-Kaiser des Westens erheben. Noch einmal regierte also für kurze Zeit und letztma-

lig ein geblütsrechtlich legitimierter Theodiscer Herrscher in West-rom. Doch die Pest machte dieser

theodosianischen Kaiserherrschaft ein baldiges Ende. West-kaiser Olybris starb durch sie ebenso wie

sein Protektor Recimer noch im Jahr 472. Damit aber war Theodosisch legitimierte Kaiser-Herrschaft

in der Italia wie auch im West-reich der Römer endgültig zu Ende.

Zuvor jedoch hatte der goto-svebische Recke noch einen Coup gelandet. Er hatte die Tochter des von

ihm ermordeten Anthemius geheiratet und mit ihr einen Sohn gezeugt174. Gregor von Tours der erste

171 F.Dahn 172 got.=Liuva 173 F.D. 174 H. Schreiber

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fränkische Geschichtsschreiber berichtet um 590 n.Chr. in seiner Fänkische Geschichte wie er in „rö-

mischen Konsularlisten“ gefunden habe „daß der Frankenkönig Theudo-mer ein Sohn Recimers und

seine Mutter Ascyla mit dem Schwert hingerichtet worden seien“175. Ascyla aber war die Tochter des

Anthemius und mütterlicherseits wohl eine geblütsrechtliche Theodosierin gewesen.

Hermann Schreiber erwähnt in seinem Buch „Die Vandalen“ ebenfalls eine Tochter (N.N.) des von

Ostrom geschickten Theodosianischen Anthemius als Gemahlin des Ricimer. Aus dem historischen

Kontext um diesen Recken zeigt sich deutlich daß auch dieser Svebo-Gote mit allen Mitteln versucht

hatte seine Regentschaft in Italien durch das geblütsrechtliche Erbe des Hauses Theodosius zu legi-

timieren. Daß er dabei seinen Sohn aus einer Theodosischen Ehe Theodo-mer (= Glänzender Theo-

do) benannt haben soll ist mehr als nur wahrscheinlich. Nach Gregor von Tours soll dieser dann zwar

ein König der Franken aber trotzdem hingerichtet worden sein. Entspricht Gregors Hinweis der Reali-

tät so wäre dies zugleich auch der erste Theodo/Theude bei den Franken gewesen. Doch auch er trug

seinen Namen im Rückbezug auf den Großen Kaiser der Römer Theodosius.

Diese insgesamt doch etwas verwirrenden Personalia sollen jedoch nicht dazu dienen die Spätzeit

des untergehenden West-Römischen Reiches zu erhellen. Sie sollen lediglich aufzeigen wie wichtig

die Theodosianische Legitimation im Niedergang des Imperiums für Regenten, Usurpatoren und an-

dere Machthaber gewesen ist. Und dies nicht nur bei goto-germanischen Barbaren. Wer auch immer

in jener frühen Ära der Völkerwanderungszeit das römische Erbe dieses untergehenden Weltreiches

an sich zu reißen versuchte tat dies auch als ein Theodosianer, als ein Nachfolger des Großen Theo-

dosius und seiner Kaiserdynastie - sprachgeschichtlich als ein theodiscer und damit Vor-Deutscher!

Diese Vor-Deutschen Theodosianer aber bilden die unverzichtbare Brücke auf welcher die antike

Sprachwurzel dieser Definition in das Mittelalter und von da in die Neuzeit herüber wachsen konnte.

Ohne antike Theodos-ier und –ianer keine Deutschen!

Doch bis in die Zeit um 500/555 n.Chr. definierte diese Bezeichnung einen dynastisch-

geblütsrechtlichen Rück-Bezug und noch nicht eine ethnische Benennung. Theodisce, also deutsch

zu sein ist bis zu diesem Zeitpunkt bezogen auf den Großen Kaiser Theodosius I., seine iudan und

auch seine Gesetze176. Im Bewußtsein der Zeitgenossen endet seine Theodosische Dynastie, das

Kaiser-Haus Theodosius erst mit der Vernichtung des Theodosich-vandalischen Königshauses durch

Kaiser Justitian im Jahr 533 n.Chr.177.

Das Römische wiederum wurde nach dem Erlöschen der Theodosianischen Herrschaft im West-reich

allein durch die katholischen Bischöfe von Rom und deren Klerus weitergetragen. Diese römische

Kirche nahm schon sehr früh für sich in Anspruch im Westreich einzig wahrer Erbe und Nachfolger

des ermordeten und letzten Theodosiers Valentinian III. zu sein. Der Vatikan kolportierte es sei noch

Valentinian selbst gewesen der die Herrschaft im Westen dem Heiligen Stuhl Petri übertragen habe.

Der römische Papst wurde so nicht nur zum ideellen Bewahrer des antiken Römertums im Abendland.

Bei den gotischen Völkern aber führte der Rückbezug auf Theodosius zu einer entsprechend theodis-

cen Namensbildung bei ihren jeweils herrschenden Königs-dynastien. Das Kaiserlich-

Theodosianische überlagerte dort das gotisch - iudische. Dies ist verständlich wenn man beachtet

175 II 9 176 Lex Gotica und Teilungs-Testament von 395

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daß deren Existenzrecht auf überlassenem Land als autonome Volksgruppen unter eigenen Königen

und innerhalb des römischen Imperiums sich allein auf die lex Gotica des Großen Theodosius be-

gründete. So wurde er in Sprache und Bewußtsein dieser Völker zum Herrscher und iudans

schlechthin, auch sein Name zum Titel – iudans wurde so zu Theodans.

In seiner ethnischen Definition aber erwuchs das Deutsche aus dem Theodosianischen Erbe dauer-

haft erst aus einem ostro-gotischen iuda-zweig aus Pannonnien. Dessen König Theode-rich der

Große wird erneut einen semantisch-etymologischen Bedeutungswechsel herbeiführen. Wirklich zu

Deutsch geworden ist nur seine und Theodorich-ische Hinterlassenschaft.

An dieser Stelle sei ein kurzer Blick auf iudisches wieTheodosianisches dieser Jahre im Römerreich

insgesamt gelenkt.

In Ost-Rom ist die Theodosianische Herrschaft seit Marcians Tod 457 engültig zu Ende.

In der Italia sind die Verhältnisse weitaus chaotischer. Der letzte männliche Theodosier wurde dort

455 ermordet - Valentinian III. Das als heilig geltende Geblüts-recht der Theodosichen Kaiser-

Dynastie war durch drei edle Frauen weitergetragen worden. Doch im Jahr 455 hatte der Vandalen-

könig diese drei Prinzessinen als Kriegsbeute aus Rom nach Karthago ausgeführt. Eine von ihnen

hatte dort einen Theodosisch-Honorianischen Familien-zweig im Vandalischen Königshaus begründet

der lebendig geblieben war.

In Gallien regierte seit 419 mit Theude-red eine sich auf Theodosianische Rechte und Privilegien be-

rufende Dynastie der iudischen Wisi-Goten.

In Pannonien (=West-Ungarn, Slovenien, Jugoslawien) regiert nach dem Zerfall des hunnischen Impe-

rium des Attila eine ostro-gotische Königssippe, die Amaler, welche sich zur Legitimation ihrer Rechte

und Ansiedlung im Reich der Römer auf das theodosische Kaiserhaus beruft und sich nach diesem

auch benennt - iudi-mir ist ihr König, Theyde-richos178 der Erbprinz.

177 s.Procop 178 So benennt ihn Procop

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4. Theodosianische Purpur-Goten- Der Große Theoderich alias Diet rich

von Bern

Langsam aber stetig verbreitete sich der Name ihres Protektors Theodosios in den germano-

gotischen Königsfamilien des Westreichs. Doch auch im Ost reich hatte sich inzwischen Theodisces

formiert.

Nachdem der Chan aller Chane in einer wilden Hochzeitsnacht sein Leben gelassen hatte gab es kein

Halten mehr im Großreich des Attila. Fast alle der von ihm beherrschten Nicht-Hunnen verweigerten

seinen Nachfolgern und den Erben die Gefolgschaft. Angeführt vom Gepiden-könig Arda-reiks kam es

zu einem gewaltigen Befreiungskrieg durch welchen das hunnische Imperium in Trümmer zerbarst.

Auch jene Ostro-goten die nach 375 n.Chr. unter die Oberherrschaft der Hunnen-Chane gerieten und

deshalb keine iudi-Goten geworden waren erkämpften sich in mehreren Kriegen ihre Unabhängig-

keit zurück. Drei Brüder aus dem uralten Königshaus des Amala179(auch sie zuvor noch Vassallen

Attilas) teilten sich die Königsherrschaft der nun wieder befreiten Ostro-Goten – Wala-mir, Widi-mir

und iudi-mir. Nomen est omen auch hier. Die berühmten oder auch ruhmvollen (germanisch = mar -

mer – mir) Gotenkönige tragen ihre Namen als ein bedeutungsvolles Signal. Wala- und Widi- zeigen

ihre traditionell gotische Bezugnahme während iudi- das Neue unter ihnen repräsentiert. Er trägt

sein Namenskleid zwar noch in der von Wulfilas einst geschaffenen gotischen Schreibweise (goti-

sches iudi wird grecco-lateinisch zu Theude180), doch der Verweis auf das Theodosische Kaiserhaus

und dessen iudan-gardi in Byzanz ist trotzdem unverkennbar. Als ruhmreich und Theodos-ianisch

zugleich weist sich iudi-mir mit seinem gotischen Namen aus - als erster aller ostro-gotischen Herr-

scher bezieht er sich auf Kaiser Theodosius!

Die Unabhängigkeitskriege der Ostro-Goten nach 453 fallen noch in die Regierungszeit des Ost-

Kaisers Marcianos (450- 457). Seine Kaiserkrone verdankt dieser iudans der Ehe mit Pulcheria ei-

ner Schwester seines Vorgängers Theodos II. Die Ehe mit ihr brachte dem einstigen Sklaven und

späteren Feldherrn Marcian die theodosianische Legitimation zur Kaiserherrschaft im Ostreich.

Mit diesem Erben und Nachfolger der Theodiscen knüpfte der ostro-gotische Teil-König iudi-mir nun

erste Kontakte. Er bittet das oströmische Reich um Land anstatt dort gewaltsam und auf eigenes

Kriegsrecht gestützt zu siedeln. Der Erste Theodosius hatte ja einst allen Gotenvölkern (=universa

gens Gotorum) das Gastrecht im römischen Reich zugesichert, de jure also auch den Purpur-goten.

An ihn und seine Patronage erinnernd trägt iudi-mir seinen bisher unter Ostro-Goten nicht gebräuch-

lichen Namen. Auch für diese einstigen Purpur-Goten verwob sich nun ihr eigensprachliches iudans

für den Herrscher mit dem Namen des toten Kaisers Theodosius synonymisch.

Die von Wulfilas ein Jahrhundert zuvor geschaffene Schrift-sprache der Goten und die darin formulier-

ten Begriffe mögen dabei ebenfalls ihren Ausdruck nun auch bei den von hunnischer Herrschaft gera-

de Befreiten finden.

Vom herrschenden Kaiser Marcian „sehr freundlich aufgenommen“ erhielten die Ostro-Goten iudi-

mirs und die seiner Brüder Pannonien als neue Heimat zugewiesen (=West-Ungarn und Ex-

Jugoslawien. In drei Stämme aufgeteilt „doch einig im Sinn“ siedeln sie jetzt im theodosianisch-

179=ein mythischer König um 200 n.Chr.

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kaiserlichen Pannonien und etablieren dort ihr iudan-gardi, iudi-mir und die Seinen am ungari-

schen Pelsois (=Plattensee). In der Folgezeit wurde Pannonien von Wien bis Belgrad zwischen Donau

und Drau ostro-gotisch iudischer Besitz181.

Zeitgleich regierte in Gallien eine stammesverwandte Dynastie der iudisch-Theodosianischen Wisi-

goten bereits seit 419. Sie hatte sich schon früher mit der Theodosischen Dynastie im West-reich ar-

rangiert. Ihr Zweiter Theode-reiks hatte dort gerade das Sagen. In Karthago schmückten sich gar zwei

Vandalen-prinzen und reiks ebenfalls mit Theodosianischen Namen. Nun ziehen die Ostro-Goten und

die Königssippe der Amaler nach. König iudi-mir wird in der Puszta ein Sohn geboren den er, wie

könnte es auch anders sein, iudi-reiks - Theyde-richos182 benennt. Als Theode-rich wird er später

berühmt und mächtig werden. Zu einem theodosianisch legitimierten reiks/richos/rich und iudans

über die Ostro-Goten innerhalb des Römerreiches aber hat der Vater diesen Knaben durch seine Na-

mensgebung schon sehr früh bestimmt.

Kurze Zeit später stirbt auf dem östlichen Kaiserthron der letzte Theodosianer, Marcian (457). Nur

zwei Jahre zuvor war im Westen Valentinian III. ermordet worden. Die Theodosische Herrschaft, ihre

iudan im Reich der Römer neigt sich dem Ende zu. Nun bleiben auch „die gewohnten Gaben“183

vom östlichen Kaiserhof an die Goten aus. Eine Gesandtschaft wird vom Plattensee nach Byzanz

geschickt um dort nach dem Rechten zu sehen. In der Residenz, dem >gards< angekommen entdeckt

sie daß ihr iudi-König gelinkt wurde. Am Hof des neuen Kaisers Leo I. (457-474) hatte ein anderer

Gote „aber nicht aus dem Blute der Amaler“ die kaiserliche Gunst samt Jahresgaben einkassiert. Auch

er nannte sich (welch eine Anmaßung!) zur Legitimation Theodo-richos. Strabo - der Schieler - war

sein Zweitname. Nun machten die echten theodosianischen Goten Randale. Sie „durchzogen, plün-

derten und verheerten fast ganz Illyricum“. Der neue Kaiser sah daraufhin seinen Irrtum ein, „er kam

wieder zur alten Freundschaft zurück“, und zahlte gleichzeitig „die zurückliegenden wie auch bevor-

stehenden Geschenke“184 an die richtigen iudi-Goten aus. Allerdings mußte im Gegenzug der echte

Theude-reiks, ein Knabe von inzwischen sieben Jahren als Bürge und Geisel für die neue Freund-

schaft an den Kaiserhof zu Leo nach Byzanz umziehen (um 461).

Der Ost-Kaiser hatte seinen Frieden mit Goten gemacht (wohl machen müssen! ). Die lex Gotica des

Theodosius hatte auch ihm dazu die Basis geboten und zugleich wohl auch seine Grenzen aufgezeigt.

„Nach dem so der Frieden mit den Römern sichergestellt“185 war begannen die iudischen Ostro-

Goten ihren Besitz und iudan-gardi entlang der Donau auszuweiten. Auch der heilige Severin mach-

te so die Bekanntschaft mit ihnen. Er missionierte in jenen Jahren am norischen Donauufer zwischen

Passau und Wien und versuchte gleichzeitig das spät-römische Chaos dort etwas zu organisieren

(nein, Baiern gab es dort noch keine - lediglich einen >Ort Bojotro<186 vor den Toren der Stadt Pas-

sau).

180 Procop von Caesaraia übersetzte wohl als erster Thiudi- mit gr. Theyde- woraus dann lat. Theude- wurde 181 Jord. LII 182 So nennt ihn Procop wobei er andererseits stets darauf achtete kaiserlich-römische Namensträger mit Theo- zu benennen. 183 gemeint sind Jahres-gelder, sog. Annonarien 184 Jordanis,LII 185 LIII 186 Vita St. Severini

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Bald aber hatten die tapferen Purpur-Goten ihre Nachbarvölker derart „ausgeplündert“ daß kaum noch

Beute zu machen war187. Es wurde knapp an Allem bei den theodosianischen Ostro-goten. Das Volk

bedrängte deshalb seinen iudi-König, „er möge doch irgendwo hin zum Krieg ausziehen- wohin er

auch wolle“. Die Ähnlichkeit zur Stimmungslage der Wisi-goten des Alarich ein halbes Jahrhundert

zuvor ist frapierend. Offensichtlich sollte in beiden Fällen Kriegsbeute den eigenen Lebensstandard

aufbessern helfen! In zwei getrennten Heeren brachen die Ostro-Goten auf. Die eine Schar Kriegshel-

den zog mit König Widi-mir nach Westen und „verschmolz“ später dort wieder mit den wisi-gotischen

„Stammesverwandten zu einem Volk, so wie es früher gewesen war“. Der zweite Heerbann zog nach

Griechenland und „bemächtigte sich dort durch Kriegsrecht“ einiger Städte. Der ost-kaiserliche Statt-

halter bekam es daraufhin mit der Angst, schloß einen Friedensvertrag mit den iudischen Ostro-

Goten „und übergab ihnen freiwillig einige Orte zum Wohnen“188 ab.

Kurz darauf starb König iudi-mir (um 471) der erste aller ostro-gotischen Theodos. Sein Sohn über-

nahm nun Krone und Herrschaft des Vaters, der Kaiser hatte ihn dazu eigens nach Hause entlassen.

Griechische Kultur und Sprache am Kaiserhof hatte inzwischen aus einem iudi-reiks Theyde-richos

werden lassen.

Drei Jahre später stirbt auch Ost-kaiser Leo I. und Zenon wird sein Nachfolger (474-491).

Im Westreich erhebt das römische Heer welches überwiegend aus Herulern rekrutiert ist einen Odoa-

car zum König und rex der Italia. Er setzt im Jahr 476 n.Chr. den letzten West-kaiser Romulus Au-

gustustulus ab und schickt die kaiserlichen Insignien des Westreiches dem Ost-kaiser in Byzanz zu-

rück. Nur ein rex in Italien unter der Ober-herrschaft des römischen Kaisers will Odoacar sein. Den

Historikern, jedoch nur ihnen gilt dieses Datum als das Ende des West-römischen Reiches. Im Be-

wußtsein der Zeit aber konnte von einem Tyrannus Odoacar die Reichsteilung des Großen Theodo-

sius von 395 gar nicht rückgängig gemacht werden. Wer auch weiterhin auf zwei römischen Reichen

bestand wurde allein schon deshalb zu einem Theodosianer. Eine weitere Bedeutung floß damit in

diesen Begriff ein. Sie wird für die Franken entscheidend und prägend zugleich werden.

Für die Beziehung zwischen dem Ostkaiser und dem jungen König der iudischen Ostro-goten in

Pannonien, Theyderichos, blieben die Vorgänge im Westen zunächst ohne Auswirkung. Nachdem er

die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte wurde er in Byzanz hoch geehrt. Als Waffensohn wurde

er von Kaiser Zenon adoptiert, zum Konsul ernannt und sein Reiterstandbild vor dem kaiserlichen

Palast aufgestellt. Als Höhepunkt seiner Wertschätzung wurde ihm zu Ehren ein Triumphzug durch

die Hauptstadt des Ost-reichs veranstaltet189.

So wie einst Attana-rich von Theodosius wurde nun auch Theyde-rich von Kaiser Zenon hoch geehrt

und gehätschelt. Erst jetzt nahm der so ausgezeichnete Goten-reiks den Westen ins Visier. Rom,

„jene Stadt, das Haupt und die Herrin der Welt“ wurde beherrscht von der „Tyrannis“ des Odoacer,

dem „König der Torcilinger und Rugier“. Es ist Jordanis, der bei dieser Gelegenheit die Torcilinger in

die Literatur einführt. Ob er damit die Thüringer meinte bleibt jedoch unklar.

Theyderichos hielt den Zustand im Westen für die Ehre des Reiches und seines Kaisers für unerträg-

lich. Er wollte dem Ostkaiser Hesperien, das Abendland, wieder hinzu erobern. Es ist also zuerst die-

ser Gotenkönig der wenigstens einen Teil des West-Reiches für Byzanz zurückgewinnen will. Gleich-

187 Jordanis 188 LVI

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zeitig würde dadurch auch die „schwere Kostenlast“ der Geschenke und Jahresgelder an seine Ostro-

Goten hinfällig! Dem Kaiser gefiel der Vorschlag190. Im Jahre 488 bricht Theyderichos mit seinem Volk

und anderen germanischen Stämmen in Pannonien auf. Die Gepiden, ebenfalls ein gotisches Volk,

versperren den Weg nach Westen. Sie werden besiegt, Theyderich erobert Italien, hier wird aus ihm

>Theode-rich<. Später ermordet er eigenhändig den Tyrannen und rex Herulorum Odoacar (492 ).

Zuvor noch hatte Kaiser Zenon dem reiks der Goten den Rat erteilt die Tracht seines Volkes und die

Kleidung eines Untertanen gegen den kaiserlichen Purpur (=gr. Ostrum) einzutauschen. Nun war er

selber ein Purpur- oder Ostro-Gota geworden. Ausgestattet mit dem kaiserlichen Schmuck191 wurde

Theoderich nun auch zum König und iudans der Römer Italiens.

In das römische Italien kommt dieser Gotenkönig nicht als ein Eroberer. In kaiserlichem Auftrag nimmt

er die Präfektur Italia in Besitz. Und diese Italia umfaßt noch immer das vandalische Nordafrika, Sizi-

lien, Sardinien und Korsika. Seine Westgrenze zur Gallia bildet die Rhone. Dort beginnt die Herrschaft

der Theodosianischen Wisi-goten sowie der Burgunder. Italien erstreckt sich jedoch auch nördlich der

Alpen bis hin zur der Donau. Rhaetien wie auch Noricum sind stets Teil dieser Italia, dort war nie Gal-

lien.

Nach kaiserlich-römischem Recht wird das Volk der Ostro-Goten in Italien angesiedelt. Ein Drittel

(manche Autoren meinen auch zwei) von Haus, Hof, Acker und Sklaven müssen die ansässigen Italo-

Römer den neu ankommenden Italo-Goten nun übergeben. Dies fordert nicht gotisches sondern das

kaiserlich-römische Recht.

Für die Goten im Land läßt ihr König das eigene Volksrecht nun kodifizieren192. Es wird bestimmend

auch für die übrigen Germanen (z.B. Heruler) Italiens. Römer und Goten leben so nach getrenntem

und jeweils eigenem Volksrecht unter seiner Herrschaft. Der Dienst im Heer ist jedoch nur den Goten

und ihren Stammesverwandten erlaubt. Nicht miteinander sondern nebeneinander leben so Italo-

Goten und Italo-Romanen als gemeinsame Untertanen des Theoderich in einem Land, der Italia.

Von dieser Präfektur ausgehend baut Theoderich sehr schnell eine eigene Macht- und Einfluß-Sphäre

von wahrhaft imperialem Zuschnitt auf, er wird >der Große<. Mit allen gotisch-germanischen Königs-

häusern die rund um das westliche Mittelmeer herrschen knüpft Theoderich Bündnis- und Heiratsver-

träge. Der Zweite Alarich, Erbe und König der theodosiansichen Sippe der Wisi-goten in Gallien erhält

seine Tochter iudi-goto zur Frau. Ostro-goto, eine zweite Tochter wurde Gemahlin des Burgunder-

königs Sigismunt. Amala-freda, die Schwester des Goten-reiks wird First Lady der Vandalen in Nord-

afrika bei König Thrasimunt. Rodulf, König der Heruler an der mittleren Donau wurde von ihm als Waf-

fensohn adoptiert (so hatte der Kaiser einst Theoderich selber geadelt).

Auch über die Alpen hinüber erstreckte sich der patronyme Zugriff Theoderichs. Thüringens König

Irmin-fried (auch als Hermine-fred geschrieben) erhielt eine Nichte Amala-berga zur Ehegattin. Dieses

Thüringen ist bereits ein Teil der Germania und als solches nicht Teil des römischen Reiches und der

Präfektur Italia. Dorthin erstreckte sich zuvor jenes skytische Reich des Attila und seiner Hunnen. Der

189 Jordanis 190 LVII 191= „vestis regia“, F. Dahn 192 Edictum Theodorici

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55

Name Thoringoswird erstmals erwähnt als eine Gefolgschaft dieses Hunnen-Chagans bei seinem Zug

(451) nach Gallien193. Der hunnische Einfluß in Thüringen ist auch archäologisch gut belegt194.

Der König der Thüringer Hermin-frid trägt denselben Gott Hermin im Namen den auch jener große

und machtvolle Ostrogote Hermane-rich mit sich trug und dessen Imperium die Hunnen im Jahr 375

zerstört hatten. Auch er hatte zuvor über Völker >Germaniens<(=Thüringer?) geherrscht. Die Hunnen

übernahmen danach sein Reich. Für den später nachfolgenden Attila ist die Herrschaft über Thürin-

gen, ja selbst bis zum Rhein hin ebenfalls historisch wie archäologisch belegt195. Thuringos wie auch

Ostro-Goten waren einst gemeinsame Vasallen Attilas gewesen. Theoderichs Vater iudi-mir war

selber noch ein Untertan des Hunnen-Chans gewesen. Mann kannte sich wohl noch immer. Unter

diesem Aspekt hätte das Heirats-bündnis des Großen Goten mit Thüringen lediglich alte Bindungen

neu gefestigt. Es ist durchaus denkbar daß König Hermin-frid ostro-gotisch hunnischer Herkunft war.

Eindeutig Gotisches findet sich ebenfalls ausreichend in Thüringens Erde. Es gibt jedoch keinerlei

Belege dafür daß dieses archäologische Fundgut erst mit der Nichte des Großen Theoderich an die

Saale kam. Andererseits brachten Historiker den Namen der gotischen Ther-vinger mit jenem der

Thor-inger in Zusammenhang196 wozu dann auch jene Tor-cilinger des Jordanis gezählt werden müß-

ten. Bedenkt man dabei die Unsicherheit spätantiker Schreiber beim notieren eben erst üblich gewor-

dener und neuer Stammes-namen so erscheint eine mögliche Gemeinsamkeit dieser unterschiedli-

chen Namen als so unwahrscheinlich nicht mehr.

Doch zurück zu Theoderich. Allein die Aufzählung seiner Heirats-Bündnisse zeigt auf, wie sehr dieser

Goten-König seine Machtfülle, seine iudan im ehemals theodosianisch west-römischen Reich aus-

gedehnt hatte. Ihm entgegen standen im noch immer römischen Westen nur die Franken unter ihrem

König Chlodovech (482-511). Dieser hatte sich inzwischen zum Alleinherrscher aller fränkischen

Stämme empor gemordet und danach den letzten römischen Statthalter Galliens dux Syagrius ver-

nichtet (486 ). Seine eigene Macht erstreckte sich danach von der Nordsee bis zu Loire und östlich bis

zum Rhein. Dort, bei Zülpich zwischen Bonn und Aachen trafen um 500 (496 od. 506?) Franken und

Alamannen zu einer blutigen Schlacht aufeinander. Der gerade noch rechtzeitige Wechsel zum katho-

lischen Christengott und dessen Klerus brachte dem Frankenkönig den Sieg197. Der rex der Alaman-

nen fiel im Kampf. Unerbittlich vertrieb und verfolgte Chlodovech in der Folge die besiegten Alaman-

nen am Rhein. Um 506 wurden deren Herrschaftssitze am Hochrhein und auf der schwäbischen Alp

zerstört198. Nur das Eingreifen und nachfolgende Patronat Theoderichs rettete die Alamannen vor ihrer

völligen Unterwerfung und Verknechtung durch die Franken.

Wie in Reaktion darauf wendet sich Chlodovech nun nach dem Süden jenseits der Loire. In einem

gewaltigen Eroberungszug vernichtet er das mächtige Tolosanische Reich, das iudan-gardi der Wi-

si-goten und ihres Theodosianischen Königs Ala-rich II. (506/507). Ala-reiks wird getötet, mit ihm stirbt

193 von Sidonius Appolinaris, n. F. Dahn 194 z.B. künstlich umgeformte Schädelknochen 195 Die auf Hunnische Sitte zurückführende Verformung des Schädelknochens findet sich entlang der Donau bis zum Rhein bei Mainz. Auch die von dort umgesiedelten Burgunder beerdigten am Genfer See noch Menschen mit künstlich umgeformten Köpfen 196 s. J.v. Aschbach 197 Gregor v. Tours

198 Z.B. Runder Berg bei Urach, Schloßberg bei Freiburg

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der letzte große Herrscher und iudans aus der wisigotisch-theodosianischen Königs-dynastie des

ersten Theude-red. Auch jetzt rettet nur das Heer Theoderichs unter Führung des Ybbas die Reste

der besiegten westlichen Goten. Die Franken werden aufgehalten - sie erreichten das Mittelmeer

nicht! Ein Küstenstreifen zwischen Barcelona und Marseille bleibt weiterhin gotisch. Die geschlagenen

Wisi-goten wandern über die Pyrenäen nach Spanien ab und gründen dort ihr neues >reiks< von To-

ledo. Der Amala-herrscher Theoderich von Italien übernimmt für den noch unmündigen Sohn seines

toten Schwiegersohnes Alarich und dessen Witwe Theodo-Goto die Regentschaft nun auch über die

Wisi-goten. Seinem Enkel Amal-rich (=ein reiks der Amaler) traute er wohl noch nicht zu der fränki-

schen Expansion wirksam standhalten zu können. Doch ihm selber gelang dies eindeutig. „Nie wich

der Gote vor dem Franken, so lange Theoderich lebte“ zieht Jordanis in seiner Gotengeschichte das

Fazit aus dieser Epoche199. Nach den Jahren 506/507 steht Theoderich unbestritten auf der Höhe

seiner Machtentfaltung. Nun wird gotisches iudan auch zu seiner Theodan, er selber der Große.

Außer den Franken stehen alle germanischen Könige im westlichen Abend-land unter seinem Patro-

nat. Als Kaiser des Westens tritt er jedoch nur indirekt auf. Gegenüber dem kaiserlichen Hof in Byzanz

gibt er sich stets als untergeordneter Statthalter und bleibt Patrizius der Römer. Doch de facto ist er

der Beherrscher des Westens zumindest rund um das westliche Mittelmeer, auch wenn er sich selbst

zurückhaltend nur >rex< nennt. Seinen germanischen Königskollegen und Patronats-schützlingen

jedoch macht er den Rangunterschied ihrer königlichen Herkunft im Gegensatz zu seinem eigenen

und „kaiserlichen Geblüt“ sehr deutlich klar200. Den Titel Augustus (= Kaiser) jedoch überläßt er dem

Gallo-Franken Chlodovech.

Es ist diese unumschränkte wie auch als gerecht empfundene und kaisergleiche Herrschaft welche

die iudan dieses Theodo-rich und seinen Namen nun bei den gotischen Völkern zum Synonym für

Herrscher und iudans werden läßt. Nicht mehr der Große Theodosius sondern der ebenfalls Große

Theodo-rich wird jetzt in Person und Name zur Verkörperung des Herrschers, läßt auch seinen Na-

men zum Titel werden. Er wird zum personalen Symbol des gotischen iudans als der Herr-

scher. iudin-assus wird jetzt zu seiner Herr-schaft, dem König-tum des Theodo-rich. Sprachlich

wandelt sich iudan als die Herrschaft zur >theodan< des Theode-rich201. Mit Theoderich, durch ihn

und seine Herrschaft erhält das theodisce nun seinen entscheidenden Bedeutungswandel in zweierlei

Weise. Der gotische Begriff iudans für Herrschaft welcher durch und mit Theodosius zu bei den

gotischen Völkern zum Synonym für römisch-Theodosianische Kaiser-herrschaft geworden war wech-

selt durch die kaisergleiche Machtstellung die auch Theode-rich erreichte auf diesen über. iu-

dan/Theodan wird nun auch durch die Herrschaft des Theode-rich definiert. Er ist der Goten eigener

Theodans, der Herrscher und König und iudans in ihrer eigenen Sprache. Zugleich wird er auch die

Ursache für ein ethnisch definierendes theodisce welches das iudisch in sich aufnimmt. Seine Ostro-

Goten sind nich mehr Theodosianisch sondern Theodorich-isch – theodisce. Doch dieses theodisce

ist zugleich auch ein gotisches! Dadurch unterscheidet es sich von anderen Germanen. Zwar sind

auch die Goten Germanen – doch nur einige Germanenvölker zählen zur Gefolgschaft dieses Großen

Königs und sind Theoderichs Leute, sind theodisce. Durch die Person dieses Theoderich beginnt so

das Deutsche den uns vertrauten Inhalt zu bekommen. Durch ihn wird das iudische erst wirklich

199 LVII 200 F. Dahn

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deutsch. War es bisher verknüpft mit der arianischen Bibel des Wulfilas und deren Wortprägungen

sowie den Privilegien aus der lex Gotica so bezieht sich theodisce nun auf die Person des Großen

Goten Theoderich. Er gibt der politisch-historischen wie auch ethno-kulturellen Definition des >theo-

disce<, dem Deutschen und seiner Ethnogenese den entscheidenden Drive.

In zweifacher Weise geschieht dies. Alle diejenigen die unter seinem Patronat, unter seinem Schutz

und Schirm, seiner Munt stehen werden zu Theodorich-ischen, zur theodiscen und damit deutschen

Gruppe. Dies gilt für die sogenannten Rest-Alamannen (nach 496/506), die Wisi-goten (nach 506), die

Thüringer (bis 531) sowie Teile der Burgunder (bis 534). Überreste ebenfalls gotischer Völker wie

Rugier, Heruler, Teile der Gepiden u.a. zählten gleichermaßen zu dieser theodiscen Gemeinschaft,

sind Theodorichisch und damit deutsch. Als „diete lit“ wird das Lied der Gibelungen sie alle sie sieben

Jahrhunderte später sehr präzise definierend besingen. >diete< weil Gefolgschaft des Diet-rich von

Bern wie Theode-rich aus Verona inzwischen genannt wurde. Ganz besonders galt dies für jene die in

den Italischen Provinzen Rhaetien und Noricum nördlich der Alpen bis zur Donau siedelten - dort wo

Alamannen, Schwaben und später auch die Baiern leben. Auch die Thüringer sind diete lit.

Einen weiteren theodiscen Keim legte der Große Gote mit seiner Gesetzgebung (=edictum Theoderi-

ci) in Italien. Indem er dort zwei unterschiedliche Rechtsverfassungen etablierte, eine für Goten (und

andere Germanen) sowie eine andere für römische Italiker trennte er seine Untertanen in der Präfek-

tur Italia zugleich in zwei ethnisch unterscheidbare Gruppen. Den Römern/Romanen stehen Theode-

richs eigene Stammesverwandte, die Theodorici - Theodisci - Tedesci, also die Deutschen im Land

gegenüber. Es ist die Italia welche die Unterscheidung in Romanen und gotisch-Theodorich-ische

Deutsche quasi naturwüchsig hervorbrachte.

Mit diesem klassifizierenden Begriff wurden jedoch nicht die Germanen im Allgemeinen sondern eben

nur jene >Leute des Theoderich< zuerst benannt. Über diese Goten hinaus hat dann dieser Name

auch die Alamannen, Schwaben und Thüringer als Juniorpartner dieses Gotenkönigs besonders be-

troffen. Die Franken hingegen blieben was sie schon immer waren – fränkische Germanen in der Gal-

lia – Gallo-Franken. Sie selbst machten in ihrem Dialekt iudisch-theodisces zu >tieis<.

506/507 n.Chr. hatte der Franke Clodwig das Theodosianische Reich der Wisigoten jenseits der Loire

zerschlagen. Mit deren erobertem Reich, ihrem iudan-gardi übernahm er auch die dort üblichen und

gotisch - iudischen Herrschaftsbegriffe. Seinen ältesten Sohn der an der Unterwerfung der iuda-

Goten schon kampfkräftig mitgewirkt hatte nannte er nun ebenfalls iudi-reiks - Theude-rich. Erst-

mals trägt damit ein Franke diesen Namen der zugleich auch ein Titel in gotischer Sprache ist. Den

unterworfenen Wisi-goten sollte er in deren eigener Sprache wohl signalisieren wer nun der

neue iudans und Herrscher im iudischen Land ist.

Es ist dieser erste fränkische Theude-rich der später auch das mit Theoderich verbündete Thüringen

unterwirft. Seinen Erbteil im Reich der Franken wird Gregor von Tours noch um 590 als das „Reich

des Theuderich“ definieren. Theude-richs Sohn und Erbe war Theude-bert (534- 548). Er führte ein

Eroberungsheer der Franken über die Alpen und besetzte Nord-Italien bis zum Po (538/539). Unter

dem Vorwand den bedrohten Ostro-goten des Theoderich gegen den Kaiser des Ostens Justitian

beizustehen betrieb er die Eroberung Italiens in eigenem Interesse. Theude-berts Sohn wurde dann

Theude-bald genannt. Auch er schickte ein Heer von Franken und Alamannen nach Italien welches

201 Von den Langobarden Italiens wird Theodan für >Herrschaft< ebenfalls übernommen. Bruckner

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dort wegen seiner barbarischen Rohheit Panik und Entsetzen verbreitete. Nach ihren jeweiligen Herr-

schern benannt wären auch diese Franken iudisch Theodisce Theud-inger gewesen. Aus italo-

römischem Blickwinkel mag es dabei sekundär gewesen sein welchem Stamm diese alles verheeren-

den Barbaren jeweils zugehörig waren. Ob Goten, Alamannen, Schwaben oder Franken – theodis-

ce/theudisch waren sie allesamt - gli Tedesci und ein Theudischer Horror. La Germania hingegen

blieb stets eine völlig andere Sache!

So wurde in Italien dem iudisch-theodiscen Deutsch endgültig sein herrscherbezogenes Etymon als

ein adjektivisches eingewoben – Theodorich-isch! Nicht eine Ethnie oder Rasse sondern allein die

Zugehörigkeit zum Großen König der Ostro-goten Italiens definierte so >die Deutschen<. Einmal mehr

erwies sich das Deutsche dabei zugleich auch als ein gotisches!

Die Franken übernahmen diese Definition dann wohl auch für ihren Eigengebrauch jedoch in modifi-

zierter Weise. Die Theud-inger in ihren eigenen Reihen blieben dabei stets ein ungeliebter Wechsel-

balg. Nur wer ein Gefolgsmann des Großen Theoderich gewesen war und blieb auch für sie ein Theo-

disk, Theutisk und tieis202, ein iud und diot - ein Deutscher. Als >diete lit< überlebte die ganze Grup-

pe im kollektiven Gedächtnis der Völker - in Saga und Mythos.

202 Diwald. >tieis< darf wohl als westfränkische Formulierung für gotisches thiud gelten.

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III. Buch

Das Deutsche im Reich der Merovinger Franken

1. Theudische Kaiserfranken - Augustus Chlodowech und das Reich des Theu-

derich

Ein völlig anderes Selbst- und Machverständnis als es uns von den Goten überliefert wird tritt uns bei

den Franken gegenüber. Als Überwinder der römischen Grenzlinien am Niederrhein tauchen sie erst-

mals und gemeinsam mit den ersten so genannten Alamannen in das Licht der Geschichtsschreibung.

Während die „Frakkr“, so ihr epischer Name203, die römische Belgica erobern ziehen die Alamannen

zum Oberrhein und Neckar. Die dortigen ebenfalls römischen „agri decumates“204 werden später ihre

neue Heimat. Allerdings berichtet ein römischer Chronist daß auch Utrecht, das römische munimen-

tum Trajani, in Holland auf „alamannischem“ Boden läge und die Stadt auch von diesen zerstört wor-

den sei205. Demnach waren die ersten Alamannen entlang des gesamten germanischen Rheins un-

terwegs und aktiv. Waren sie also doch geflügelte206 weil >berittene< Mannen?

Das Gallo-römische Land aber überließen sie offenbar den Franken. Bei diesen kam 482 n.Chr. Chlo-

dovech an die Macht. 486 zerschlug er die Reste römischer Herrschaft in Gallien. Römisches Rest-

Reich samt dazugehörigem dux Syagrius wurden seine Beute.

Dieser Franke der seine Sippe auf einen Meeresgott zurück führte und wohl deshalb ein >Salier<207

war ist beispiellos grausam, machtgierig, skrupellos und erfolgreich. Mord um Mord beseitigte er alle

übrigen Stammes-könige bis er zum Alleinherrscher aller Franken geworden war. Die Alamannen am

Rhein und die Wisi-goten jenseits der Loire waren danach die Ziele seiner Machterweiterung. Die

iudischen Wisi-goten der Aquitania hielten ihm zunächst noch stand (494). Den Alamannen fügte er

um 496 bei Zülpich zwischen Bonn und Aachen eine vernichtende Niederlage zu. Seinen eigenen,

unerwarteten Triumph führte er auf den Gott der katholischen Christen zurück den er in der bereits

verloren geglaubten Schlacht verzweifelt um Hilfe angefleht und die eigene Taufe gelobt hatte. Er hielt

sein Gelübde. Nachdem er danach auch den König der fränkischen Sigambrer, den Hinkenden Sigis-

bert von Köln der ihm bei Zülpich noch zum Sieg verholfen hatte mitsamt dessen Sohn hinterhältigst

hatte ermorden lassen208 konnte er nun ungefährdet rheinaufwärts die Ala-manni treiben. Um 506

wurden deren Residenzburgen auf dem Schloßberg bei Freiburg am Hochrhein sowie auf dem Run-

203 n. W. Bruckner. >frango< benennt im Lateinischen eine Vielzahl von Wörtern mit der Bedeutung von zerbre-chen, zerstören, zermalmen,zerstören, überwinden, entmutigen und ähnlich. Setzt man hinzu daß die gefürchtete Schleuderwaffe der Franken eine Wurf- und Streitaxt, die sog. Franzisca war, dann könnte >Frakkr> durchaus im Sinne von >die mit der Axt Zerschmetternden< gedeutet werden. 204 So wurde das Land am Neckar zwischen Bodensee/Hochrhein und dem Ober-germanischen Limes bis zum Main definiert 205 Felix Dahn 206 lat.>ala<, dies war sowohl der >Flügel<eines Heeres wie auch eine Reitereinheit. Als >Alarii< wurden ver-bündete Reitertruppen benannt. In antiken Berichten wird häufig die ganz besondere Reiterklasse und Pferde-zucht svebischer Germanen erwähnt. Auch die ersten so genannten Ala-mannen werden oft wegen ihrer >Schnelligkeit< erwähnt. 207 lat. salsi potens = >Meerbeherrscher< und Beiname des Neptun)

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den Berg bei Urach auf der schwäbischen Alb zerstört. Dort stoppte ihn dann der Große Gote Theode-

rich. Er nahm die besiegten Alamannen unter seinen Schirm und Schutz und bot ihnen innerhalb sei-

ner eigenen Präfektur Italia in Rhaetien und dem Noricum eine neue Heimat.

Das Ziel der fränkischen Expansion liegt sichtbar offen - es war die noch immer römische Gallia. Zu

dieser römischen >Präfektur< zählten auch Britannien und Spanien. Vom nordafrikanischen Tanger

bis zum Hadrianswall an Schottlands Grenzen erstreckte sich einst die Herrschaft des gallischen Prä-

fekten. Ostroms Geheimschreiber Procopius berichtet daß die Franken sehr wohl auch „für sich ge-

wisse Ansprüche auf die Insel“ der Briten ableiten würden. Um „den Glauben zu erwecken“ daß Brita-

nien bereits unter ihrer Oberherrschaft stehe hatte „kurz zuvor der Frankenkönig“ einer Gesandtschaft

an Kaiser Justinian „einige Angeln“ von der Insel hinzugesellt209. König Chlodovech hatte seine Ziele

erkennbar weit gesteckt. So wie der Ostro-gote Theoderich die Präfektur >Italia< mit all ihren Provin-

zen beherrschte will der Franke Chlodovech Herr über die gesamte Gallia werden.

So ist es nur logisch daß nach den Alamannen die Wisi-goten und ihr >reiks< von Tolosa jenseits der

Loire zum nächsten Opfer fränkischer Expansion wurden. Wohl im Jahr 507 fallen die Heere Chlodo-

vechs in die wisi-gotische Aquitania ein, vernichten Reich und iudan-gardi von Tolosa und töten den

theodiscen Gotenkönig Ala-rich der Zweite. Dessen Sohn Amal-rich (=reiks) aus der Ehe mit Theode-

richs Tochter Ostro-goto entkommt den fränkischen Eroberern nach Spanien.

Nach dem Tod des Zweiten Alarich aus der theodosianischen Königs-Sippe deren Begründer Theo-

de-red (419-451) gewesen ist, übernahm nun der Franke Chlodevech auch deren Rechte und Privile-

gien aus der lex Gotica in Gallien. Er und seine Franken waren im Gegensatz zu den besiegten Goten

nicht durch theodosianischen Vertrag mit Übergabe sondern durch kriegerische Eroberung Besitzer

und Bewohner der Gallia geworden. Dies blieb ihnen stets bewußt. In einer für sie günstigen Situation

muß der Ost-Kaiser später ihre dortigen Erwerbungen legalisieren210.

Die völlige Unterwerfung und damit Verknechtung der Wisi-goten verhinderte wiederum nur der Ostro-

gotenkönig Theoderich. Sein aus Italien kommendes Heer stoppte die Franken und versperrte ihnen

erfolgreich den Weg zum Mittelmeer. Die Südküste Galliens blieb weiterhin gotisch. Die besiegten

Wisi-goten aber siedelten um nach Spanien und gründeten dort ihr zweites Reich, das von Toledo am

Tajo. Entlang der Mittelmeerküste, von Barcelona bis Marseille verband ein Landstreifen die Ostro-

goten Italiens ungehindert und direkt mit ihren stammesverwandten Wisi-goten auf der Iberischen

Halbinsel. Der Große Theodorich in Verona wurde nun für zwei Jahrzehnte zum Allein-Herrscher und

iudans über beide gotischen Völker. Damit wurde wohl in der Sprache der Goten iudan endgütig

durch >Theodan< ersetzt211.

Nach seinem Sieg über Alarich II. kehrte Frankens König Chlodovech nach Norden zurück. Das römi-

sche Paris wurde nun seine Residenz und Hauptstadt. Er selbst legte sich dort „den Purpurrock und

Mantel an und schmückte sein Haupt mit einem Diadem“. Damit hatte sich Chlodovech selbst zum

Kaiser gemacht denn der Purpur stand noch immer nur dem Kaiser zu, ebenso das Diadem.

Danach stieg er auf sein Pferd und „streute mit eigener Hand Geld und Silber unter das Volk“.

208 s. Gregor v. Tours 209 Gotenkrieg, IV, 20 210 Procop 211 Auch bei jenen Langobarden die nach den Ostrogoten in Itallien seßhaft wurden blieb >Theodan< das Wort für >Herrschaft<. Zit. n. Bruckner

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Diese gesamte Schaustellung ist eine Kopie der in Byzanz herrschenden Kaiserkrönungszeremonie.

Folgerichtig verlangt Chlodevech für sich nun ebenfalls die Anrede „Augustus“212. Der ihm aus Ost-

rom verliehene Titel Konsul genügte seinen eigenen Intentionen ganz offensichtlich nicht mehr. Mit

seiner Selbst-krönung hatte sich Frankenkönig selber zum letzten der so genannten gallischen Son-

der-kaiser erhoben. Er konnte dies auch auf Grund des Reichs-Teilungstestamentes des Großen

Theodosius von 395 legitimiert tun. Vor allem aber war ihm dies möglich geworden durch seinen Ü-

bertritt zum katholischen Zweig des Christentums. Nur dadurch war er legitimiert auch zur Herrschaft

über die rechtgläubigen Staatschristen sowie über >die Römer< im Land.

Der neue gallo-fränkische Augustus war damit ebenfalls zu einem kaiserlichen Theodosianer gewor-

den. Er beanspruchte für sich selbst die Attribute jenes autonomen West-reichs welches Theodosius

hinterlassen hatte. Mit seinem Sieg im Jahr 507 hatte Chlodovech auch zugleich die Rechtsnachfolge

der iudisch-Theodosianischen Wisi-gotenkönige in Gallien angetreten. Sein eigener Machtanspruch

jedoch reichte wohl über die Präfektur Gallia hinaus.

Das Ganze aber war ein Affront sowohl gegen den Ost-kaiser wie auch die römisch-katholische Kir-

che. Für beide galt bereits die These ein Kaiser – ein römisches Reich. Wie sehr der Franken-könig

die Eintracht zwischen Kirche und Kaiser störte kann man in Gregor von Tours Fänkische Geschichte

deutlich nachlesen. Hatte er Chlodovech ob seiner katholischen Taufe noch als „ein neuer Constantin“

gepriesen verhält er sich dem selbsternannten „Augustus“ gegenüber äußerst kühl213. Die Ein-Kaiser

These war zu Gregors Lebenszeit längst zum unbestritten gültigen Dogma auch im Westen geworden.

Chlodowechs Eigen-krönung zum West-Kaiser paßte deshalb absolut nicht in das Weltbild des Bi-

schofs von Tours.

Sei es nun daß er gotische Herrschaftstermini und Königs-Titel übernahm, sei es daß er aus theodo-

sianischem Kaisermachtanspruch dazu kam, seinen ältesten Sohn jedenfalls nannte Augustus Chlo-

dovech nun iudi-reiks = Theude-rich! Er ist der erste Franke der diesen gotisch-theodosianischen

Namen trägt214. Er hatte im Krieg gegen die Wisigoten schon tatkräftig mitgekämpft und sich dabei

eigene Gaue in der Auvergne und der Aquitania erobert. Gotische Provinzen wurden dadurch zu sei-

ner persönlichen Beute und eigenem Besitz. Offensichtlich auch deren Wort für den Herrscher = iu-

dan, von Grecco-lateinern als >Theude-< notiert215.

Die Zwangsläufigkeit der theodiscen Namenswahl in Zusammenhang von Legitimation eigenen

Machtanspruches im untergehenden Römer-reich des Westens ist dabei auch bei diesen Franken

unübersehbar. Denn noch immer ist Gallien ja römische Präfektur.

Wer dort als Germane in die römischen Fußstapfen der Theodosianischen Dynastie treten wollte muß-

te wohl auch Theodo- zumindest aber Theude- heißen und damit zu einem Vor-deutschen werden.

Die skytischen Goten hatten dafür das Vorbild gesetzt216. Immer ist dabei die Rückbindung an jenen

Großen Kaiser Theodosius überdeutlich. iudi-, Theude-, Theodo ist dabei stets mehr als nur ein

Name. Es ist der in gotischer Sprache zum Titel gewordene Anspruch auf Theodosianische Herrschaft

212 Gregor v. Tours, II 38 213 II 31 214 Von jenem ebenfalls von Gregor erwähnten Theudo-mer und > Sohn Ricimers< abgesehen. 215 Procop schreibt Θευ=They was lat. zu Theu-wird 216 Wisi-goten 419, die Vandalen um 443/45 und erneut 455, Ostro-goten nach 453 und nun 507 die Franken.

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und deren Legitimation zugleich. Theodans ist als der Herrscher bereits an die Stelle des iudans

gerückt.

Ab dem Jahr 507 stehen sich nun zeitgleich zwei solcher germanischer Theodo-Herrscher mit ihrem

Theodosianischen Macht- und Nachfolgeanspruch im römischen West-reich gegenüber: Der Ostro-

Gote Theyde-richos217 in der Italia und sein fränkischer Titel- und Namens-rivale Theude-rich in Gal-

lien218.Vielleicht war es diese Namensgleichheit die den Goten dann zu Theo-derich werden ließ. Bei-

de >reiks< aber werden sie zu einer personalen Brücke über welche das antike Vor-deutsch mit sei-

nem kaiserlich-theodasianischen Rückbezug hinüber wechseln konnte in das Mittelalter um dort zu

einer pseudo-ethnischen in Wirklichkeit jedoch Herrscher-bezogenen Definition zu werden.

Im Jahr 511 n.Chr. stirbt Augustus Chlodovech. Sein Reich welches nun vom Rhein bis zum Atlantik,

von der Nordsee bis zu den Pyrenäen reicht wird unter vier seiner Söhne aufgeteilt. Drei von ihnen

stammen von der burgundischen Königstochter Chrotechildis, der Roten Gabe ab219. Sie repräsentie-

ren im Sinne Gregor von Tours das wahre, das eigentliche Franken. Nur ihnen steht auch die Herr-

schaft über Burgund zu als dieses 534 von den Franken erobert wird. Sie sind katholisch-christlich

und scheinen die Ein-Kaiser These bereits akzeptiert zu haben.

Ganz anders jedoch der Erste fränkische Theude-rich und Theodosianer im Hause Meroving. Er ent-

stammte noch der heidnischen oder bestenfalls arianisch-christlichen Ära der Franken. Seine Mutter

wird von den katholischen Chronisten als Nebenfrau oder >Kebse< tituliert. Er herrschte mehrheitlich

über unterworfene und iudische Wisi-goten220 und nach 531 auch über die zuvor Theodorich-ischen

Thüringer. Die sicambrischen Franken vom Rhein unterstanden ebenfalls seinem Dominat. Seine

Hauptresidenz, sein >gards< ist die Stadt Metz an der Mosel. Gregor von Tours bezeichnet sein Reg-

num, sein iudin-gardi abgesondert von der eigentlichen Francia als das „Reich des Theuderich“.

Dieser Theude-reiks selbst hatte für sein Teilreich das Volksrecht der Salischen Franken für seine

eigene Herrschaft, für sein iudan modifizieren und abändern lassen221.

Dieses theudisch-theodisce Teilreich der Franken wird unter diesem Namen noch im Jahre 561 an

König Sigibert I. (561-575) vererbt. Die Merovinger-Franken hatten also nun auch in ihrer eigenen

Königs-sippe eine Theodosianisch-deutsche Linie. Später erfindet Gregor von Tours für sie den Beg-

riff >Austrasii<. Sie werden aus dem „Reich des Theuderich“ >Austrasien< werden lassen.

Wie sehr dem frommen Chronisten der einst iudisch-wisi-gotische und jetzt Theude-fränkische

Reichsteil der Franken jenseits der Loire jedoch suspekt war zeigt er einmal ganz unabsichtlich. Er

bezeichnet die Aquitania des wisi-gotischen Königs Eurich (466-484) versehentlich als „Germanien“222

was ihm Historiker als einen Irrtum auslegen. In Wirklichkeit war dieser Ver-schreiber wohl eher eine

echt Freud‘sche Fehlleistung des katholischen Gotenfeindes Gregor. Germane galt auch den Gallo-

Romanen als Synonym für Barbar. Gregor von Tours aber war Gallo-Romane. Nie hätte er einen

Franken Germane genannt. Germanische Barbaren waren in seinem gallischen-Franken nur die iu-

217 Nach Procop 218 Die sächsischen Chronisten werden ein halbes Jahrtausend später beide in der Person eines >Thiadrich< zu-sammenbinden. 219> Chrot< wird sprachgesetzlich zu Rot – >Child< steht für latinsiertes >gild< welches im Gotischen eine (Ab-)>Gabe< benennt. Bruckner 220 Die Franken hatten 506 die Aquitania zwar erobert doch eine fränkische >Übersiedlung< fand danach nicht statt. Es gab schlicht nicht genug Franken für ein derartiges Unternehmen. 221 Die >Recensio Theuderica<, in Deutsche Rechtsgeschichte

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63

da-Goten und deren iudisch wisi-gotischer Teil der Gallia wird ihm dabei versehentlich zu Germa-

nien.

Dort herrschen (= iudanon) nun die fränkischen Theude-Könige in ihrem Teil-Reich des Theuderich.

Aus dem Blickwinkel des geistlichen Chronisten Gregor repräsentieren sie dabei offensichtlich auch

das gotisch-germanisch-barbarische Element im Reich seiner Gallo-Franken. Doch gleichzeitig sind

es diese Theude-fränkischen Herrscher welche den Theodosianisch-kaiserlichen Machtanspruch des

Augustus Chlodovech weiterführen. Theude-richs Sohn und Nachfolger Theude-bert wird dabei zu

einem Glänzender Herrscher wahrhaft kaiserlich-imperialen Zuschnitts. Schon 531 geht er seinem

Vater bei der Unterwerfung des mit dem Goten Theoderich verbündet gewesenen Thüringen bewaff-

net zur Hand. Danach entriß er seinen Oheimen (Vatersbrüdern) das väterliche Erbe. Nach fränkisch-

germanischem Brauch wäre das Erbteil seines Vaters an dessen Brüder als Sippen- oder Haus-

eigentum zurückgefallen223. Doch Theude-bert der strahlende iudans beschenkte das Heer und

„seine Mannen“ worauf sie ihm die Treue schworen und seine Machtstellung sowie das väterliche

Erbe sicherten224.

Die Nachfolger des Großen Theoderich in Italien können in dieser Zeit den Schutz und Schirm über

die Alamannen nördlich der Alpen nicht mehr aufrecht erhalten. Ost-Roms Kaiser Justinian führte seit

Jahren seinen Rück-eroberungskrieg gegen die Ostro-Goten in der Italia. Diese überliesen deshalb

536 freiwillig den Franken und Theude-bert Rhaetien sowie das Noricum und die Provence an Rhone

und Durance. Für einen Zweifrontenkrieg reichten ihre Krieger nicht aus. Der Alpenkamm wurde erst

damals zur Grenzlinie sowohl zur Germania wie auch zwischen Italien und Fränkisch-Burgund. Dies

ist der Zeitpunkt zu dem der Ostkaiser dem Franken-König Theude-bert dessen Besitz in Gallien ver-

traglich bestätigen muß. Nachdem er von den Goten die Provence übernommen hatte lies dieser Kö-

nig der Franken in Arles, dem >gallischen Rom< Münzen aus Gold die noch dazu mit „eigenem Bild-

nis“ geschmückt waren prägen und führte außerdem selber den Vorsitz bei den römischen Zirkusspie-

len in Galliens römischer Metropole. „Das aber darf allein der Kaiser“ mokierte sich deshalb auch Ost-

roms Chronist Procop von Ceasareia225. Dieser zweite fränkische Theude-Herrscher machte durch die

Tat seinem Namen ein Glänzender (=bert) zu sein alle Ehre. Um 538/39 führte er ein fränkisches Er-

oberungsheer über die Alpen nach Oberitalien. Klein-Italien nennt es Gregor von Tours. Die von Ost-

rom hart bedrängten Goten hatten sich dabei die Waffenhilfe der Franken erhofft doch diese eroberten

das Land statt dessen auf eigene Rechnung. Bis zum Padus (=Po) wird das Land nun Theude-

fränkisch, ebenso Venetien östlich der Etsch. Allein Ravenna kann sich als kaiserlich-ost-römische

Festung behaupten. Kurz danach rühmte sich der Franken-könig (um 539/540) in einem Brief an den

Ost-kaiser Justitian daß sein Reich sich jetzt >von den Grenzen Pannoniens< (=Ungarn) und >den

nördlichen Ebenen Italiens< entlang von Donau und Rhein bis zu >den Gestaden des Ozeans<

erstrecke. In diesem Brief an den kaiserlichen Herrscher-Kollegen in Byzanz schmückt sich der König

der Franken ebenfalls mit eindeutig kaiserlichem Titel – er nennt sich selber >Majestät<226.

222 II 25 223 Deutsche Rechtsgeschichte. 224 III;23 225 Gotenkrieg, III,33 226 zit.n. Menghin

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Der oströmische Chronist Agathias berichtet dieser majestätische Theude-bert habe einen Krieg ge-

gen Byzanz und dessen Kaiser Justinian bereits geplant und vorbereitet und nur der Tod des Fran-

ken-königs habe dieses Vorhaben noch vereitelt. Der Glänzende Theude-Franke und Augustus-Enkel

wollte ganz offensichtlich dem Machtanspruch des Ost-kaisers auf alleinige Kaiserwürde auch im We-

sten mit Waffengewalt entgegentreten und hier selbst die Theodosianisch-kaiserlich-römische Macht

dort ausüben. Italien war nicht allein des Ost-kaisers! Im Kampf um das Erbe der Theodosischen Kai-

serdynastie im Westen hatte auch dieser Theude-franke ein gewichtiges Wort mitzureden. Nach dem

Tod dieses Strahlenden Herrschers übernimmt dessen Sohn Theude-bald (=kühner Theude) Krone

und Reich des Theuderich (548). Auch er schickt „ein stattliches Heer von 75 000 tapferen Kriegern“

der Franken und Alamannen über die Alpen227. Diese Kriegszüge der Theudischen Frankenkönige

nach Italien lösen dabei aus der Sicht romanischer Italiker wohl die Goten des Großen Theoderich

übergangslos ab. Beide waren gleichermaßen barbarische Eindringlinge im römischen Italien und

hatten stets Theodisc-Theudische Herrscher. Dies mag durchaus dazu geführt haben daß aus

italischem Blickwinkel auch ein Teil der Franken zu Theodiscen wurden - gli Tedesci !

Die Franken ihrerseits übernahmen diese verallgemeinernde Wortprägung nur für ihre nicht-

fränkischen Untertanen im Süden und Osten des Reiches. So wie die Italo-Romanen zuerst wohl nur

die gotischen Bewohner ihres Landes als Theodisci definierten praktizierten dies nun die Franken mit

demselben Begriff für ihre nicht-fränkischen Knechte und gotischen >skalks<228 in ihrem eigenen

Herrschaftsbereich. Nur ihre wisi-gotischen Untertanen sowie all jene die zuvor der Gefolgschaft des

Ostro-Goten Theoderich angehört hatten und danach von den Franken Theude-rich und Theude-bert

unterworfen wurden (Goten, Alamannen, Schwaben, Thüringer) waren aus fränkischer Sicht Theode-

richs Leute –>diete lit<, also Deutsche. Sie alle hatten einst der iudan, der Herrschaft des Großen

Theoderich angehört nun aber ist ein Franke ihr iudans und Herr, sie seine >tieis<, iudische

Skalks und Knechte. Im Sprach-laut etwas verschoben später als diet oder diot formuliert229. Die La-

teiner hingegen notieren >theodise< dafür. Kein Franke aber ist je iudisk-theodisce! Selbst wenn

dann galt dies nur sehr eingeschränkt und bis 555 n.Chr. dem Todesjahr Theude-balds und dem Ende

dieser kaiserlich-Theudischen Linie der Merovinger-dynastie im Reich der Franken. iudisk-thiud-diot

wurde zu einem neuen Begriff der Herabminderung in der Trias Germane - Barbar - iud230 mit der

doppelten Bedeutung von gotisch und Knecht. Ober-deutsch und lautverschoben begegnet er uns

später >diot< geschrieben.

227 Agathias, Hist. I.8 228 0got. für Knecht 229 An dieser Stelle sei kurz auf ein Phänomen früher Begriffe der (gotisch-)deutschen Sprache eingegangen : Einerseit benennt die Linguistik >Thiudans< als >König< und/oder >Herrscher<. Gleichzeitig aber ist seine lautverschobene und spätere Schreibweise >diot/diet< das Synonym für >Knecht<. Dies erscheint nur auf den ersten Blick als ein Widerspruch. Im >gotischen< Sprachgebrauch war und blieb iudans der Herr. Auch die Langobarden Italiens übernahmen ihn als Theodan. (Es ist offensichtlich daß auch ein Theoto in Baiern um 700 diese Wortbedeutung trägt.) Doch nach der Unterwerfung und damit Verknechtung der Gotischen durch die Franken wurde derselbe Begriff in deren Wortschatz zum Synonym für zunächst gotisch-thiudischer Knecht. Da aber sowohl fränkische Dialekte wie auch die gotische Hoch-Sprache in das Deutsche einflossen wurde auch die Doppeldeutigkeit des Thiudans-Diot in unserer frühen Sprache verankert. Was so als ein inhaltlicher Gegensatz erscheint spiegelt dabei lediglich einen Wechsel von Herrschaft und den Ablauf von Zeit wieder. 230 Das west-fränkische >tieis< darf wohl in Analogie dazu gelten.

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Dies läuft als Beipack dem semantischen Bedeutungswandel des deutschen Etymons vom Theodosi-

anisch-kaiserlichen zu einem pseudo-ethnisch definierenden thiudisch mit. Das Deutsche ist dabei

endgültig auf dem Weg zu sich selbst.

2. Vom Ende des antiken und kaiserlichen Theodosianisch zum fränkisch-

theudischen- Mittelalter

Justitian I., Kaiser des oströmischen Reiches von 527 bis 565 n.Chr. wie auch die Franken-Könige

Chlodovech, Theude-rich I. und Theude-bert I. sind gleichermaßen Vernichter einer Sprachkultur und

arianischen Religionswelt die sich auch als eine Früh- oder Vor-deutsche definieren ließe. Ebenso gut

aber ließe sie sich als die Gotische bezeichnen. Beginnend mit der Bibelübersetzung des Goten Wulfi-

las um 350 entwickelte sich eine gotische Schrift- und Literatursprache die den Goten eine kulturelle

Sonderstellung unter allen germanisch sprechenden Völkern eintrug. Mit dieser Wulfilas-Bibel über-

nahmen alle gotischen Stämme und nicht nur sie die christliche Lehre in der Ausformung des Arius

von Alexandria - sie wurden Arianer.

Ähnlich den orthodoxen und/oder Lutherischen Kirchen war auch die arianische eine Volkskirche die

ihre religiösen Akte in der eigenen Sprache, dem Gotischen vollzog231. Nicht Latein oder Griechisch

sondern die gotische Sprache des Volkes war auch die Kirchensprache arianischer Christen. So

wuchsen Sprache, Religion und Volk symbiotisch zusammen und bildeten eine ethno-kulturelle Ein-

heit. Ein Vergleich mit Martin Luther und der Wirkung seiner Reformation ist dabei durchaus ange-

bracht.

Mit dem Zug der gotischen Stämme und Völker nach Westen, der so genannten Völkerwanderung,

brachten diese auch ihre arianische Kultur dorthin mit. Schon Alarich der Erste zwang seinen Titular-

Kaiser Attalus 406 dazu sich öffentlich zur Lehre des Arius zu bekennen. Während die im römischen

West-reich ansässigen Romanen der offiziellen römisch-katholischen Staatsreligion verpflichtet waren

blieben die Neuankömmlinge aus dem Osten Arianer. Sie mußten sich auch im Westen nicht der offi-

ziellen Staatsreligion der Römer unterwerfen. Der Haß den katholisch-orthodoxe Christen gegenüber

ihren arianischen Glaubens-rivalen enwickelten ist dabei ebenso erschreckend wie symptomatisch.

Ein römischer Heide, Ammianus Marcellinus schrieb darüber: „Kein Tier ist dem Menschen so gefähr-

lich als in ihrer todbringenden Wut gegeneinander die meisten Christen“232.

Gleichgültig ob Vandalen und Alanen in Spanien oder Nordafrika, iudiske Wisi-goten in Gallien und

Spanien, Rugier an der Donau, Gepiden an der Theiß - sie alle waren falls überhaupt arianische

Christen und nannten ihren unsterblichen Vater-Gott Atta und dessen ersehntes Reich auf Erden

iudan-gardi. Selbst jene Sveben die aus Germanien gemeinsam mit den Alanen und Vandalen nach

Spanien umgesiedelt waren pflegten dort das arianische Christentum. Auch der suebo-gotische Kai-

sermacher Italiens, Rici-mer, war entschieden Arianer. Die Burgunder kamen ebenfalls als Arianer an

die Rhone233. Alle die Völker welche die Historik als Ost-germanen definiert sind Arianer. Doch nicht

231 F. Dahn 232 zit. n. F. Dahn 233 L. Boehm

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nur ihre Religion war durch Wulfilas‘ geprägt. Da im germanischen Sprachraum allein in der von ihm

geschaffenen Schrift-sprache die heiligen Texte der Bibel transportiert wurden formte dieses Schrift-

gotische in einer Art Rückkoppelung auch die übrigen germanischen Dialekte der Gläubigen mit. Die

arianische Kirche war eine eigen-sprachliche was mit sich brachte daß Wulfilas-gotisch zur Kirchen-

sprache aller germanischen Arianer wurde. Schrift- und Hoch-gotisch konnte so quasi zu einer Stan-

dard-sprache innerhalb des arianisch-christlichen Kulturkreises aller Germanen werden.

Erneut sei hierbei der Vergleich mit Luther erlaubt. Auch sein Luther-deutsch überwölbte in der Funk-

tion als Kirchensprache der Reformierten die Dialekte von Rhein-franken, Friesen, Sachsen, Thürin-

gern, Brandenburgern und Süd-deutschen und lies so Lutherisches Neu-hochdeutsch zum sprachli-

chen Kultur-standard seiner Anhänger werden.

Wulfilas-gotisch aber war und blieb die einzige germanische Hoch- und Schrift-sprache während der

Antike und des frühen Mittelalters. Sein Einfluß auf auf die anderen Dialekte der Germanen war derart

prägend daß ein neuzeitlicher Linguist den Eindruck formulierte die deutsche Sprache wirke wie ein

gotisiertes (!) West-germanisch234. Da die Franken ihrerseits zugunsten römisch-katholischer Latinität

sowohl auf die arianische Kirchensprache wie auch die Entwicklung eigener fränkischer Sprachkutur

verzichteten mag diese Bewertung so falsch gar nicht sein. Denn um germanische Texte in germani-

scher Sprache notieren zu können gab es über Jahrhunderte hinweg nur das Wulfilas-gotische. Erst

als diese Schrift-sprache zugleich mit der gotisch-arianischen Kultur ausgelöscht war erlebten die

>Runen< im germanischen Europa ihre Blütezeit. Im zeitlichen Ablauf wirkt dies gerade so als hätten

diese Runen eine Ersatzfunktion für die geächteten gotischen Schriftzeichen des Wulfilas übernom-

men.

488 n.Chr. ziehen die Ostro-goten mit ihrem König Theoderich nach Italien. Auch sie waren wie mit-

gewanderte Heruler, Gepiden oder Rugier Arianer. Schrift und Sprache des Wulfilas und seiner Bibel-

übersetzung hatte sie alle sprachkulturell wie auch religiös geprägt. Diese ihre arianische Kultur mach-

te alle gotischen Völker die in das Westreich zogen dort zu Fremden in doppeltem Sinne. Als Barba-

ren waren sie in allem den ansässigen Romanen, den römischen Provinzialen fremd, sie waren ein

völlig anderes Volk. Als Christen unterschieden sie sich durch ihre arianische Ketzerei von den ansäs-

sigen römisch-katholischen Staatschristen (noch Theodosius hatte das katholische Dogma zur alleini-

gen Staatsreligion dekretiert235). Im Umkehrschluß ergibt sich aus diesem Sachverhalt auch eine eth-

nisch-rassistische Be- und Verurteilung des Arianismus. Weil alle gotischen Völker Arianer sind ist

demzufolge der Arianismus selbst etwas Gotisches, skytisch und barbarisch zugleich. Und als Födera-

tii der Kaiser erhielten diese Barbaren auch noch ein oder gar zwei Drittel der Ländereien von den

Einheimischen Römern! Zwei Kulturen lebten so unversöhnlich nebeneinander in den west-römischen

Provinzen. Der römische Klerus steht dabei immer auf der Seite der romanischen Provinzialen. Dies

ist so im vandalischen Nordafrika, dem iudisk-wisi-gotischen Gallien und Spanien und ebenso im

ostro-gotischen Italien des Großen Theoderich. Nur die Burgunder an der Rhone wechseln „um 500

n.Chr.“ gerade noch rechtzeitig in das offizielle Staatschristentum hinüber und werden katholische

234 Zit. n. E.R. Keller 235 seit 391 n.Chr.

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Christen236. Aus der Namensgegung für einen der damaligen Täuflinge, Sgis-munt, läßt sich als sein

Taufpate der Hinkende Sigambrer-könig Sigi-bert von Köln vermuten237.

Von Burgund aus wird dann die Sippe des salischen Frankenkönigs Chlodovech römisch-katholisch

missioniert. Seine burgundische Braut Chrotechilde hatte das richtige Dogma mit an die Seine ge-

bracht. Der König der Franken wird um 500 ebenfalls katholisch getauft. Mit Chlodovechs Taufbad

werden nun die Franken zu wahren, zu echten Christen. Dies ist eines jener so geschichtsträchtigen

Ereignisse im Abendland. Während die gotischen Völker in der Düsternis ihrer arianisch - iudischen

Ketzerei verharren werden die Burgundo-Franken nun zu den wahren Erben Roms. Spirituell wie auch

machtpolitisch. Allein dieser König der Franken Clodovech ist unter allen Germanen-Königen des

West-reiches ein Katholischer so wie es auch der Kaiser in Byzanz ist! Er allein erhält in der Folgezeit

die Unterstützung des gebildeten päpstlich-kaiserlich-römischen Klerus und damit die unerläßliche

Hilfe und Zusammenarbeit der geistig-intellektuellen Elite jener Epoche. Ohne diese intelektuell tra-

gende Mitarbeit der römischen Kirchenmänner aber sind und bleiben die Barbaren im Westen nur

kulturlose Kriegsherren und Gewaltherrscher – Tyrannii eben. So steht allein dieser König der Fran-

ken im lichthellen Glanz des einzigen und wahren Glaubens. Verhaßte Ketzer hingegen sind alle aria-

nisch-gotischen iud-inger, i theodisci, die Deutschen. Die Kehrseite dieser Entwicklung besteht im

Verzicht der Franken auf einer Entwicklung und Ausformung ihrer eigenen kulturellen Identität. Der

Staat dieser Merovingischen Salier-Franken bleibt ein römisch-lateinischer. Seine Verwaltungs- wie

auch Kultur- und Hochsprache, auch seine Kirchensprache bleibt Latein. Fränkisch hingegen bleibt als

ein Dialekt, ja Soziolekt der Barbaren und ungebildeten Volksmehrheit auf einer archaischen Stufe

zurück. In welch erbärmliche Verfassung diese fränkischen Idiome absanken läßt sich allein schon

daraus ersehen daß es den Linguisten nicht möglich ist merovingisches Fränkisch darzustellen oder

gar zu rekonstruieren. Auch so bildete sich heraus was iudiske Goten von rechtgläubigen Franken

unterschied. Doch unter machtpolitischem Aspekt war die Entscheidung des Franken Chlodowech für

Katholizismus und damit Latinität die einzig erfolgreiche. Wie der Verlauf der Geschichte erwies war

Assimilation oder Untergang die Alternative im nach-römischen Abendland.

Im Jahre 527 n.Chr., nur ein Jahr nach dem Tod des Großen Goten Theoderich wird in Ost-rom By-

zanz Justinian zum Kaiser erhoben. Er treibt die schon von seinem Oheim Justin I. begonnene Aria-

236 L. Boehm 237 a: Als am Knie verletzt bei der Alamannenschlacht bei Zülpich um 500 und seitdem hinkend benennt in Gre-ogor v. Tours so in II,37. b: Mit >Munt< wird sowohl eine Vor-munt-schaft als auch die Haus-gewalt und der verplichtende Schutz über Sippe und Gefolge im germanischen Recht benannt. Ein Schwaben-König >Hun-i-munt< weist sich in seinem namen als nicht mehr unter der Vor-herrschaft, der Munt des Attila stehend aus. (n. Bruckner). Sigis-munt von Burgund stand unter dem Schutz, der Munt eines Sigi-.Entsprechend dem um 500 präsenten Namensbild gallo-germanischer Herrscher jener Jahre bietet sich allein der Hinkende Sigi-bert von Köln als Taufpate und damit auch Schutz-patron an. Dies aber würde ein Bündnis zwischen dem Burgunder-König Gundobad (418-516) implizieren. Gundobald war jedoch mit dem Großen Goten Theoderich verbündet und erklärter Gegner des Franken Chlodeovech. Ein Tauf-bündnis des Hinkenden von Köln mit den Burgunden könnte somit die Mit-Ursache für seine und seines Sohnes Ermordung durch den Franken-könig gewesen sein. c: Unter diesem Aspekt ergäbe sich auch ein Zusammenhang zwischen jenen Alamannischen >Goldgriff-spatas< aus jenen Jahren. Als Schenker dieser regional wie zeitlich eng begrenzten Besonderheit am Hochrhein würde sich ebenfalls Gundobald anbieten. Als spätrömischer >Patrizius< ließe sich dieser machtbewußte Burgunder durchaus als ein Gefolgschafts-herr alamannischer Regional-Fürsten entlang des Oberrheins bis hinab zu den ihm verbündeten Sigambrischen Franken um Köln denken.

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nerverfolgung im Bündnis mit Papst und römisch-katholischem Klerus voran. Die Arianer im römi-

schen Reich werden entrechtet, ausgeplündert und verfolgt. Der Codex Justinian schreibt dazu deutli-

che Worte. Gleichzeitig wird im Gleichklang mit Roms Bischof die These ein Reich - ein Kaiser - ein

Papst- eine Kirche zur verbindlichen Staatsräson. Eine beispiellose „Rekonquista“238, eine Rück-

eroberungspolitik Justitians beginnt nun ebenfalls. Als erstes fallen ihr die Vandalen und Alanen Nord-

afrikas zum Opfer. Im Jahr 533 wird deren Reich von Karthago vernichtet, ihre arianische Kultur und

Sprache dort ausgetilgt, die Überlebenden zu Sklaven des Ost-kaisers gemacht und in den Osten

abtransportiert. Unter ihnen befinden sich auch die letzten Theodosischen Abkömmlinge aus der ein

Jahrhundert zuvor geschlossenen Ehe zwischen der Jüngeren Eudoxia und dem Vandalenprinzen

Honor-reiks.

In einem zwanzigjährigen Krieg werden danach die Ostrogoten Italiens besiegt. 553 sind auch diese

am Ende. Ihre Sprachkultur und Religion in Italien werden ebenfalls ausgelöscht. Die Überlebenden

vertrieben oder versklavt. Fränkische Heere und Könige erobern und besetzen Norditalien bis zum Po

und hinüber nach Friaul und nach Kärnten.

In Spanien benützt Justitian im Jahr 554 Nachfolgerkämpfe unter den Wisi-goten um Teile Spaniens

entland der Süd- und Ostküste zu besetzen. Nur im gotisch gebliebenen Land kann sich die ariani-

sche Religion und Kultur weiterhin behaupten. Doch um 550 n.Chr. ist die arianische Kulturwelt von

Justitian unter Mithilfe des päpstlichen Klerus und der fränkischen Könige weithin vernichtet. Besiegt

und ausgelöscht sind dadurch zugleich auch jene die ihre Autonomie und Ansiedlung im römischen

West-reich auf Theodosianisches Recht zurückgeführt hatten. Zerstört ist damit ebenfalls das antike

Fundament dessen was wir als Vor-deutsch benennen.

Gotisch-arianisch - iudisk wird nun zum Synonym für Besiegte und underdogs. Der iud und ties

fristet fortan sein Leben als ein rechtloser Knecht der Franken.

Mit dem Tod des Franken Theude-bald erlischt 555 auch der fränkische Anspruch auf eine Theodo-

sianische Zwei- Kaiser- und Reichsteilungs-Praxis endgültig. Theodos-ianisch als ein Kaiserliches und

Theodorich-isch als das Gotische haben gleichermaßen ihre realpolitische Wirkung verloren. Die Anti-

ke ist vorbei. Das iudisch-theodisce Deutsch ist im Keller.

Was blieb war ist ein >theodisce< als Definition für die nicht-romanische Bevölkerung der Italia und

deren germanische Nachbarn an ihrer Nordgrenze. Die Reste der Goten, Alamannen, Schwaben und

auch Thüringer bleiben als Leute des Theoderich im kollektiven Gedächtnis der Völker verankert. Als

>diete lit< werden sie sechs Jahrhunderte später besungen werden.

Doch dieses theodisc-diete hatte allen Glanz verloren. >Göttliches< iudi- des Goten Wulfilas war

zuerst durch die Person des römischen Gott-Kaisers Theodosius zur >irdischen< Herrschaft säkulari-

siert worden (=Theodan für iudan) um danach im Großen Goten Theoderich zur Verkörperung nur

mehr >gotischer< Macht domestiziert zu werden. Auch deren Weiterführung und Übernahme durch

die Theude-Franken hatte nur ein halbes Jahrhundert überdauert.

Ob göttlich, kaiserlich, bloß noch Theodorich-isch oder Theude-fränkisch definierend, mit iude war

es nach 555 vorbei. Die neue Sprosse auf der etymologischen Leiter zum Deutsch zeigt sich so als

eine deutliche Wertminderung. iudisch-Theodisce wird niemals mehr werden können, was es zuvor

einmal war. Sein Göttliches verboten Kirche und Papst - das Kaiserliche der nunmehr wieder einzige

238 L. Boehm

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Augustus in Byzanz. Die Allianz dieser beiden Mächte wird halten bis zum Jahre 800 n.Chr. Erst vier

Jahrhunderte nach dem Teilungstestament des Großen Theodosius wird erstmals wieder ein anderer

Großer die Kaiser-würde des Westens erlangen.

iudisch – theutisk - theodisce - todisca - diot lebte inzwischen weiter als eine Reminiszenz an Ver-

gangenes. Im Reich der Franken blieb Theudisches als ein Territorialbegriff zurück (= Reich des

Theuderich ) während in Italien todisca-teutisca für die nicht-romanische Bevölkerung des Landes als

Sammelbegriff lebendig blieb (= Leute des Theoderich).

In diese verallgemeinernde Definition wurden dann auch dort jene Langbärte eingeordnet die ab 568

in die verheerte und teils entvölkerte Italia eingedrungen waren. Wie acht Jahrzehnte vor ihnen Theo-

derich und seine gotischen Stämme so siedeln jetzt auch die Langobarden von „Pannonien“ kommend

nach Oberitalien um. Auch sie, falls überhaupt, arianische Christen – geprägt durch die gotische Bibel

des Wulfilas. Auf den Spuren der Goten erobern sie Stadt um Stadt in Venetien (Forojulii, Verona) und

Ligurien (Mailand, Pavia u.a.).

Historiker versichern glaubhaft daß um jene Zeit noch zahlreiches gotisches Volk im Alpenraum gelebt

habe. So wurden wohl auch diese einst Theodorich-ischen Goten zu Untertanen der Langbärte. Dies

mag ihnen leichter gefallen sein als unter der Kaiserherrschaft des Justinian und seines Nachfolgers

Justin II. zu leben. Waren die Langobarden durch Bündnis-Vertrag und Eidschwur noch mit Justinian

verbündet gewesen so waren nach dessen Tod 565 auch Bündnis und Treue-eid erledigt. Man war

nicht Staaten sondern nur Personen verpflichtet. So werden die Langbärte als Gegner und Feinde des

neuen Kaisers in Byzanz zu Herren des wieder kaiserlich gewordenen Italien. Daß sie dort als Erben

der Goten auch deren Herrschaftsdefinition übernahmen ist dabei offensichtlich denn gotisches iu-

dan, wird als „Theodan“ auch im langobardischen Sprachgebrauch das Wort für „Herrschaft“239. Auch

bei ihnen ist Göttliches, Theodosios und Theodorich in symbiotischer Einheit verschmolzen. Doch ihre

Wurzel und und sprachlicher Ursprung waren ihnen dabei wohl nicht mehr bewußt. Sie okupierten

jedoch mit der Herschaft im Land auch den Namen dafür von ihren ostro-gotischen Vorgängern. In

ständigem Krieg gegen Kaiser und Papst erobern die Langobarden Italiens Städte und Provinzen. Sie

dehnen ihre „Theodan“ fast über das gesamte Land aus. Nur das päpstliche Rom und die Kaiserstadt

Ravenna widerstehen ihnen erfolgreich. Aus dem Blickwinkel des romano-italischen Volkes war es

dabei wohl secundär welchem Stamm sich diese germanischen Barbaren jeweils selbst zuordneten.

Seit Theoderich sind sie alle theodisce – todisce, i Tedesci – die Deutschen.

La Germania aber bleibt als eine territoriale Definition dabei etwas völlig anderes!

Verwandt in Sprache und Kultur waren die Langbärte den Schwaben und Alamannen jenseits der

Alpen näher als den Goten Italiens. Wie auch andere Sveben werden die Langobarden den soge-

nannten Elb-Germanen zugeordnet. Schon Tacitus und Strabo hatten sie als ein Teil-volk der Sueben

benannt. Wie diese sprachen und schrieben auch sie ein sogenannt >lautverschobenes< Idiom. Die-

ser elb-germanische Dialekt beiderseits der Alpen wird dann zur Grundlage jener ersten >theutisc<-

deutschen Sprache die sich vom Fränkischen ebenso unterscheidet wie von Alt-Sächsisch oder Alt-

Friesisch. Von „theutisca lingua“ als der Muttersprache eines bairisch-alamannischen Heeres schrei-

ben die Franken um 842. Ein Mönch von Salerno benennt die Sprache der Langobarden als „lingua

todesca“. Zwei regional unterschiedliche Schreibweisen benennen jedoch dasselbe - die Sprache der

239 Bruckner, Die Sprache der Langobarden

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Deutschen in der ehemals römischen Italia. Diese erstreckte sich über die Alpen hinweg bis zur Do-

nau. Auch das alamannisch gewordene Rhaetien und das schwäbische (bairische) Noricum waren ein

Teil dieser Italia geblieben. Der Große Gote Theodorich hatte dies um 506 n.Chr. bekräftigt, der eben-

falls Große Karl wird es im Jahr 806 erneut bestätigen.

Doch nicht nur in diesem einst theodiscen und trans-alpinen Italien begann das Deutsche seine neue

Existenz als ein ethno-kulturell definierender Begriff. Doch weil die dort lebenden Alamannen und

Schwaben (auch >norische<!) an dem so entstehenden Deutsch einen herausragenden Anteil haben

sei zuerst ihnen ein Kapitel gewidmet.

3. Theodisc-theudische Alamannen und Schwaben

Verschobene Sprach-laute und ing-Orte

Was die Schwaben von Alamannen differenziert, was sie unterscheidbar machte und macht ist bis

heute nicht geklärt.

Als Julius Caesar vor zweitausend Jahren Gallien und die Rheinufer eroberte, trennte er die hier le-

benden Völker in Gallier (= Kelten) und Germanen. Die Germanen wiederum teilte er in Sueben und

andere auf. Beide Namen kennen wir erst durch ihn. In einhundert Gaue gegliedert nennt er die Sve-

ben als das „ohne Vergleich“ mächtigste und kriegerischste Volk in ganz Germanien. Ihre Lebenswei-

se und Ernährung mache sie „stark und ungeheuer groß“. Besonders hervor hebt Caesar ihre Reiter-

künste. „Einheimische, aber kleine Pferde“ brächten sie „durch tägliche Übung ... zu höchster Leistung

und Gehorsam“. „Ein ganz schwacher Trupp ihrer Reiter“ habe den Mut „ein römisches Korps Sattel-

reiter anzugreifen, wie stark es auch sein mag“240.

Strabo, ein Grieche und Zeitgenosse Caesars scheint dessen gallischen Krieg zu kennen. Er schreibt

jedoch von „Soeben“241 weil das griechische Alphabet kein >u< kennt.

Tacitus, ein Römer übernimmt und bestätigt in seiner „Germania“ ein Jahrhundert später Cesars Be-

richte. Vom Rhein bis zu der Ostsee, die er ein „Mare Suebicum“ nennt, erstreckt sich das svebische

Siedlungsgebiet. Rund um dieses Schwäbisches Meer und selbst auf den Inseln darin leben mehrere

germanische >Sve-<-stämme.

Den Römern unterworfene Sveben lebten in der „Civitas Ulpia Sueborum Nicretium“ deren Hauptstadt

„Lapodunum“ das heutige Ladenburg bei Mannheim war242. Die Neckar-Schwaben waren so entstan-

den.

Im Jahre 213 n.Chr. wird zum ersten Mal eine „gens Alamanorum“ von Kaiser Caracalla besiegt und

genannt243. Ein neuer Stamm war geboren. Der etymologische Kern dieser Neuschöpfung ist umstrit-

ten. Ein Stamm berittener Mannen (analog zu den Marco-Mannen, den Grenz-menschen), ja selbst

rebellierende Bundesgenossen(=Alarii) könnten durchaus mit den ersten Ala-mannen gemeint sein.

Zieht man in Betracht was sowohl Caesar wie auch Tacitus über Bedeutung und Wertschätzung der

240 IV, 1+2 241Geographica, IV, 3 242 Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 243R. Christlein

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71

Reiterei bei Sveben und auch Tenkterer berichten244 erscheint ein Zusammenhang mit Ala- Mannen

und ihrer häufig herausgehobenen Reitere (=röm. ala) als durchaus denkbar.

Wie dem auch sei, mit dem Auftauchen dieser Alamannen verschwinden die Sveben allmählich aus

der Geschichtsschreibung West- Roms. Um 590 n.Chr. berichtet Gregor von Tours über jene „Sue-

ben, das heißt die Alamannen“245 welche im Jahr 406 von Germanien über den Rhein kamen und

danach in Nordwest-Spanien heimisch wurden. Er setzte so erklärend die Sveben und Alamannen in

eins.

Ost-römisch griechische Chronisten bleiben hingegen weiterhin bei Schwaben. Dabei fällt auf, daß sie

es sind die aus Sveben die Svawen machen. Es ist Jordanis, ein Gote der 551 in Byzanz die Ge-

schichte seines Gotenvolkes verfaßte und darin auch vom „Übermut der Svawen“ schreibt246 obwohl

diese doch längst Alamannen geworden sind. Ihm sind die Svawen von Slovenien, jene am Rhein

oder in Spanien die Gleichen. Bischof Gregor schreibt in Gallien von Alamannen welche Jordanis in

Byzanz als Schwaben benennt.

Ala-mannen waren von verschiedenen römischen Kaisern nach Pannonien (Westungarn/Jugoslawien)

umgesiedelt worden247. Procop von Caesereia, ein oströmischer Geschichtsschreiber lokalisiert diese

von ihm um 537 ebenfalls genannten Schwaben sehr genau. Unterhalb, also südlich der Karnier

(Kärnten) und Noricer sowie nördlich aber landeinwärts der Veneter siedeln die Schwaben ! Östlich

grenzen dann Pannonier und Daker an248. Das heutige Slowenien, durchflossen von der Sava und das

Burgenland sind also jene schwäbischen Lande die Procop so benennt Ihn bestätigt sein Zeitgenosse

Jordanis, der Svawien als Dalmatien >benachbart< und „nicht weit entfernt von Pannonien“ liegend

beschreibt249.

Den Römern galt diese westliche Region Pannoniens als >Savia< benannt nach dem Fluß Savus. Ihr

östlichster Punkt war wohl Savaria jetzt Szombat-hely oder Stein-am-Anger genannt250. Dieser Ort war

für römisch-christliche Gallier und Gallo-Franken gleichermaßen bedeutsam und heilig. Er gilt als Ge-

burtsort des gallo-fränkischen Nationalheiligen St. Martin. Tours (Torones) in Gallien war Bischofssitz

und Begräbnisort dieses Heiligen und zugleich spirituelles Herz des gallo-fränkischen Reiches gewor-

den. Noch Augustus Chlodovech selbst hatte Martin zum Nationalheiligen der Franken erhoben.

So fügt sich eins zum anderen. Nach 536 war der kaiserliche Franke Theude-bert zum Herrn der rö-

mischen Provinzen Raetia und Noricum geworden. Dort hatte nach 506 der Große Gote Theoderich

die vor den Franken auf der Flucht befindliche „Gesamtheit Alamnniens“251 neu angesiedelt. Um

539/540 schreibt die erhabene Majestät Theudebert seinem kaiserlichen Kollegen in Byzanz jenen

Brief in dem er sich seiner Macht bis in die nördlichen Grenzen Pannoniens rühmt und daß sich der

Stamm der >Norischen Schwaben< (=Norsavorum gente) mit seiner Majestät versöhnt hätten252. Er

war es dann wohl auch der bis nach Savaria dem Geburtsort seines Nationalheiligen die fränkische

244 Germania, XXXII 245 II, 2 24634 247 z.B. Procopius, Honorius u.a. 248 Goenkr. I, 15 249 249 L III 250 =an der Grenze Burgenland - Ungarn 251 (Ennodius von Pavi 252 n. Menghin

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72

Herrschaft ausgedehnt hatte. Auf dem Weg dorthin etablierte er entlang der Drau offenbar auch drei

>fränkische< Bischofssitze - Aguntum,Tiburnia und Virunum.

Savaria, Savia, Savus und die Sveben dort und an der Grenze des Noricum verschmolzen wohl so in

einem Namen – die Svawen. Unter Theude-berts fränkischer Herrschaft wurde dann Nor-savorum,

das Norisch-Schwäbische daraus.

Doch an Rhein und Neckar war Alamanne inzwischen längst zur Eigen-benennung dieses svebischen

Stammes geworden.

Versuchen wir nun zu klären woher die erwähnten >norischen< Schwaben einst kamen.

Aus der Frühzeit römischer Geschichtsschreibung sind svebische Stämme stets der nördlichen Do-

naugrenze gegenüber anzutreffen. Hermunduren, Naristen, Marco-mannen, Quaden und Buren

(=Bur-gunder?) werden als solche aufgezählt. Selbst die Ostsee wird von Tacitus als ein >schwäbi-

sches< Meer (=Mare Suebicum) definiert. Ab dem dritten Jahrhundert werden dann Alamannen und

Juthungen genannt. Ein römischer Kaiser, Probus (276-282) verpflanzte alamannische Krieger in das

ungarisch-österreichische Grenzgebiet von Pannonien. Westkaiser Honorius siedelte nach 395 eben-

falls svebische Alamannen als Foederati in Pannonien an253. Ihnengegenüber und jenseits der Donau

lebten seit langem die >svebischen< Quaden.

St. Severin, der heilige Mann am norischen Donauufer zwischen Passau und Wien erlebte zwischen

455 und 482 wie die Alamannen Donau abwärts das einst römische Rhaetien überrollten. Auch im

Noricum bemerkte er die Verwüstungen welche „eine zahllose Menge Alamannen“ dort anrichtete254.

Bruchlos geht dieser Bericht über in die Geschichtsschreibung des ostro-gotischen Königs Theoderich

in Italien. In den Jahren nach 506 wurden die Alamannen an Rhein und Neckar von den Franken be-

siegt und vertrieben. Der Große Theoderich stellte daraufhin die alten Grenzen der Römer an Donau,

Bodensee und Hochrhein wieder her. Die geschlagenen Alamannen durften sich nun unter dem

„Schutz und Schirm“ des Goten in den Provinzen Rhaetia und Noricum der Präfektur Italia neu ansie-

deln. Statt wie bisher in den italischen Provinzen durch „Plünderung sich auszutoben“ wurden die

Alamannen nun unter ihrem eigenen König zur „Wächterin des lateinischen Reichs“ an seiner Nord-

grenze 255. So wie einst auch die Goten auf ihrer Flucht vor den Hunnen Aufnahme unter eigenen

Königen im Reich der Römer gefunden hatten gibt nun der Große Theoderich den Alamannen unter

ihrem eigenen rex in seiner römischen Präfektur eine neue Heimat. Den norischen Bauern empfahl er

nebenbei ihre kleinwüchsigen Kühe von den weit größeren Stieren der Alamannen aufpeppen zu las-

sen256.

Sowohl die Archäologie wie auch das sprach-geographische Erbe der –ing/-ingen Orte belegen diese

alamannische Eingliederung entlang der Donau und ihrer Nebenflüsse östlich der Iller. Selbst durch

die norischen Alpentäler laßt sich ihre –ingen-Spur sichtbar verfolgen.

An der mittleren Donau stießen diese Über-siedler dann auf die Langobarden die sich damals noch im

einstigen Rugilanda, dem österreichischen Weinviertel und demTullner Feld häuslich niedergelassen

hatten. Die neue Nachbarschaft der Alamannischen wurde ihnen wohl zu heiß weshalb sie weiter

nach Pannonien ins Feld >campus patentibus< zogen.

253 W. Menghin 254 Vita St. Severin, 25 255 Ennodius von Pavia, gestorben 521 n.Chr. 256 Katalog Die Alamannen, 1997

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Die Angaben der Vita des St. Severin wie auch der Text des Ennodius von Pavia werden gestützt

durch die nachfolgende „Gotengeschichte“ des Jordanis. Er läßt seine Goten um 469/470 gegen die

Svawen kämpfen welche “damals“ mit den Alamannen verbündet waren. Letztere hatten Jordanis

zufolge allerdings „ganz auf den Gipfeln der Alpen“ gewohnt257. Über Alamannen wußte er offensicht-

lich nur Ungenaues. >Svawien< hingegen liegt für ihn „... Dalmatien benachbart und auch nicht weit

von Pannonien entfernt, besonders von jenem Teil, wo damals die Goten wohnten.“258. „Damals“ sie-

delten die Goten am Plattensee (See Pelsois) und an der Raba in Pannonien (Ungarn), iudi-mir war

einer ihrer Könige. Sie waren den Svawen tatsächlich benachbart.

Jordanis seinerseits wird bestätigt durch den oströmischen Chronisten Procop von Caesereia. Er sie-

delt die Schwaben nördlich der Veneter und südlich der Karnier und Nonicer an. Ihre unmittelbaren

östlichen Nachbarn sind Pannonier und Daker259. Das heutige Slowenien, Kärnten sowie das Burgen-

land repräsentieren demnach jene noch nich fränkisch gewordenen „schwäbischen Landschaften“ in

welchen die Goten um 537 ein „gewaltiges Barbarenheer“ (!) für den Krieg gegen den Ostkaiser Justi-

tian rekrutierten260. Ihre einstige Anwesenheit dort dokumentieren noch heute -ing-Orte wie z.B. Victr-

ing, Tigr-ing, Edl-ing und andere. Während also die Alamannen und ihre Krieger nach 506 donauab-

wärts im italischen Rhaetien und Noricum ihre -ing-Orte gründen sitzen südlich der Alpen bereits die

Schwaben.

„Verbündet“ aber waren sie laut Jordanis bereits um 469/470. Die ost-alpinen Schwaben wurden nach

dem Tod des Großen Theoderich (526 ) offenbar „... unter die Herrschaft der Langobarden ... ge-

beugt“261. Die sogenannten Rest-Alamannen in Rhaetien und dem Noricum gerieten unter die Herr-

schaft des Franken-königs Theude-bert (nach 536). Bereits 539/540 dokumentierte dieser dann seine

Herrschaft auch über die Schwaben entlang der pannonischen Grenze. Diese norischen Schwaben

hatten sich mit seiner kaiserlichen Majestät ja versöhnt wie er selbst schreiben ließ. Deren zuvor er-

folgte Beugung unter die langobardische Herrschaft darf in der Folgezeit jedoch nicht mehr erwähnt

werden262. Es ist also der kaiserlich-theudische Franke Theude-bert I. (534-548) der Alamannen und

Schwaben nach 536 unter seiner Herrschaft vereint und ihnen zugleich höchstes Ansehen im Reich

der Franken verschaffte. Allerdings wurden sie dabei auch bis zur Unkenntlichkeit vermischt. Bis heu-

te ist es nicht mehr gelungen Kriterien zu finden nach welchen die Alammannen von den Schwaben

zu unterscheiden wären. Als dann im achten Jahrhundert ein wohl langobardischer Waffen-Bruder

Hildeprant des Carlo Martelus die Chronik der Franken weiterschrieb meinte er irrtümlich das von ihm

>Schwaben< genannte Land wäre erst „jetzt“ zur Alamannia geworden263. Für die fränkischen Schrei-

ber vor ihm hatte es jedoch immer nur Alamannen und deren Alamannia gegeben.

Wie es dann öfter geschah so wurden nun die jeweils nächsten Anrainer zum Namensgeber auch für

dahinter liegende Regionen und Bewohner. Aus französischer Sicht sind alle Deutschen Alamanni, für

die Schweizer Schwaben und aus italienischem Blickwinkel alle Bewohner der Germania i Tedesci.

257 LV 258 L II 259 I, 15 260 16 261 Diese nur von P. Diakonus erwähnte Unterwerfung ist wohl im Zusammenhang mit jener >Schenkung< des Noricum zu sehen die Kaiser Justinian den Langobarden zukommen leiß. =Proc. Gotenkr. III,33 262 Paulus Diakonus 263 Chronik des Fredegar

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Auch weiter nördlich galt dasselbe – von aussen betrachtet waren dieselben Leute alles Sachsen,

ebenso all jene die als Untertanen des sächsischen Königs und Kaisers Otto VI. nach Siebenbürgen

kamen.

Wer also zwischen Wien und Mainz siedelte war für die Franken >Alamanne< währemd er von By-

zanz her gesehen ein >Schwabe< blieb. Noch Paulus Diakonus, ein Chronist der Langobarden und

Zeitgenosse des Großen Karl schrieb von >Suevien< welches von >Alamannen< bewohnt sei. Eine

treffendere Beschreibung hat es wohl auch danach nie mehr gegeben – schwäbisch das Land, Ala-

mannen seine Bewohner !.

Burg-hard, ein Mark-graf von Rhaetien war danach konsequent. Nach dem Aussterben der ost-

fränkischen Karolinger wandelte er deren verwaistes Klein-königtum Alamannia nach 911 zielgerichtet

in sein eigenes Fürstentum >Schwaben< um. Als ein Herzog darin wurde er von seinem überlegenen

Rivalen König Heinrich I. von Sachsen auch anerkannt. Als Herzogtum Schwaben blieb danach die

einstige Alamannia in der deutschen Geschichtsschreibung fest verankert.

Die Ortsnamensendung -ing

Eine sprach-geographische Hinterlassenschaft die Schwaben und Alamannen ebenfalls bis zur Un-

kenntlichkeit vermischt ist ihre Namensgebung für Orte und Siedlungen.

Die Ortsnamensendung > –ing< gilt der Historik im Besonderen als ein bairisches Phänomen. Es wird

als sprach-geographisches Erbe jener vermeintlichen Baiwaren gedeutet die ebenso vermeintlich aus

Böhmen in das einst römische Rhaetien eingewandert sein sollen um dort vermeintlich Baiern zu

gründen. Ihre übersiedelnde Landnahme soll sich in Orts-namen wie Erd-ing und ähnlichen -ing-

Siedlungen noch heute dokumentieren. Als ein „patronymisches Suffix“ entstand -ing aus „ingas“ was

wiederum wie >Leute des < oder ähnlich gedeutet wird. Erd-ing, um am Beispiel zu bleiben, wird so

als Siedlung eines Ardeo und seiner Leute, eben als Ardeo- ingas gedeutet264. Semantisch ist diese

These absolut unbestritten.

Besieht man sich jedoch eine gewöhnliche Landkarte so zeigt sich daß >-ing< keinesfalls nur als bai-

rische Spezialität in Erscheinung tritt. Ausgehend von der Gegend um Wien (z.B. Grinz-ing, Mödl-ing

etc.) erstreckt sich Donau aufwärts bis zum Rhein und diesen entlang bis zu seiner Einmündung in die

Nordsee (Vlies-ingen bei Rotterdam,) ein deutlich eingrenzbares Siedlungsband von-ing-Orten. Die -

ingen an der holländischen Nordseeküste zwischen Maas- und Ems-mündung sind zwar dünn gesät

trotzdem aber präsent.

Der Lech scheidet ganz akkurat die bairischen -ing von den -ingen an seinem schwäbischen Ufer. An

der oberen Donau hat es dann jeder andere Ortsname schwer sich gegen ein -ingen zu behaupten.

Gemessen an der Verteilungsdichte erscheint die schwäbische Alb als Kernland, ja als Heimat und

Ursprung der -ing bzw. -ingen Siedlungen. Am Oberrhein finden sich die -ing/inglinge fast ausschließ-

lich auf badischer Seite doch bei Straßburg überqueren sie dann den Strom und ziehen hinüber zur

Saar und an die Mosel. Dort, im Saarland und dem Plateau Lorraine verdichtet sich ingen-Land wieder

und breitet sich aus. Nördlich und östlich der Mosel-metropole Metz erstreckt sich ein ing-Feld wel-

ches dem bairischen in nichts nachsteht. Während im deutschsprachigen Raum dort die -ingen Zu-

hause sind haben sie sich in französischer Sprache zu -ange entwickelt (z.B. Bell-ange statt Bell-

264 Bai. Kat.

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ingen). Was aber ist das Gemeinsame das diese -ingen-Orte, die >Leute des< zwischen Wien und

Metz bis Rotterdam verbindet ?

Es ist ihre svebisch-alamannische Herkunft die sie eint. Diese ließe sich auch als eine elb-

germanische definieren. Diese These gilt es zu begründen:

Utrecht, eine Stadt im friesischen Holland war einst eine Römerstadt. Benannt war sie nach Kaiser

Trajan als „munimentum Traiani“. Ein ebenfalls römischer Chronist, Ammianus Marcellinus, schrieb im

vierten Jahrhundert sie liege auf „alamannischem Boden“ und sei von Ala-mannen auch zerstört wor-

den 265. Dazu erzählt korrespondierend Das Leben des heiligen Eligius (gestorben um 660) von

„Flandnern, Andoverpen, Frisionen und Sveben ..., welche an der Küste des Meeres wohnen“266. In

Andoverpen kämpfte dieser Heilige besonders „vorzüglich“ und „tapfer“ gegen die Heiden und „be-

kehrte viele Sveben von ihrem Irrwahn“267. Die Schwaben von Antwerpen wurden so katholisch. An

der Existenz alamannischer Schwaben an der holländischen Küste ist wohl kaum zu zweifeln. Ihre

sprachliche Hinterlassenschaft ist in Ortsnamen wie Vlies-ingen, Gron-ingen oder Hard-ingen bis heu-

te bewahrt.

Wie aber erklärt sich die schwäbisch-alamannische Präsenz im Saarland und Lothringen (Plateau

Lorraine)? „Diese beiden Männer waren Brüder, Alamannen von Geburt. Sie standen bei den Franken

im höchsten Ansehen, so daß sie auch Herzöge ihres Landes geworden waren. Eine Würde, die ih-

nen Theodebert selbst verliehen hatte“ - so beschreibt Agathias, ein griechisch- römischer Chronist

und Kriegsberichterstatter die Theude-fränkisch-alamannnischen Beziehungen für die Zeit um 550

n.Chr. Derselbe Autor berichtet wie diese schwäbischen Alamannen-herzoge „ein stattliches Heer“ der

Franken und Alammanne von 75.000 Mann über die Alpen nach Italien geführt hatten. Jedoch nicht

Franken sondern das alamannisches Brüderpaar waren dabei die Heerführer! Der erwähnte Theude-

bert ist der Sohn jenes ersten fränkischen Theude-Königs und Enkel des Augustus Chlodovech. Er ist

jener kaiserliche Franke der gegen den Ost-kaiser Justitian einen Kriegszug vor dessen Haustür in

Byzanz plante und sich in einem Brief an diesen Rivalen der eigenen Macht berühmte. Die Residenz,

(sein >Gards<) dieses glanzvollen Theude-bert war Metz, die Stadt an der Mosel. Was lag also näher

als daß die alamannischen Heerführer Butelin und Leutharis „die in höchstem Ansehen standen“ samt

ihrer Leute den -ingas im Umfeld der Königsresidenz anzusiedeln. Die räumliche Nähe zum fränki-

schen Königshof in Metz war für diese Alamannen geradezu zwingend. Ihr sprach-geographisches

Erbe sind dort Orte wie Evr-ange oder Ebr-ingen (=Ebero-ingas ) und viele, viele gleichartige.

Blieben noch die schwäbisch-alamannischen -ing-Orte im Noricum und in Kärnten.Doch ihre Existenz

erklärt sich aus den bereits oben erwähnten Um- und Übersiedlungsaktionen von selbst. Sowohl unter

dem Goten Theoderich wie auch dem Franken Theudebert übersiedelten Alamannen die norisch-

pannonische Grenzregion.

Dieser Stamm der norischen Schwaben (=Norsavorum gente) an der Grenze zu Pannonien hatte sich

mit der ruhmreichen und kaiserlichen Majestät des Theude-bert – „nobis maiestate“ - deshalb ver-

söhnt weil dieser zuvor die Thüringer „glückhaft“ unterworfen und deren Könige „ausgelöscht“ hatte268.

Diese Versöhnung aber hatte spezifische Konsequenzen. Nach Recht und Brauch jener Zeit wurden

265 Felix Dahn 266 Vita “ (II,3). 267 II, 7 268 nach W. Menghin

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durch Krieg unterworfene Völker und Menschen zu Sklaven der Sieger, waren Beute und als solche

rechtlos wie Vieh. Freiwillige Unterwerfung oder eben Versöhnung brachte einen völlig anderen

Rechtsstatus mit sich als eine kriegerische Verknechtung. Stamm und Einzel-Personen blieben

Rechts-, Kriegs-, Vermögens-, und Heiratsfähig. Nur ihre Reisefähigkeit wurde eingeschränkt, sie

blieben an die Scholle des Besitzers gebunden. Die Versöhnungs-bereitschaft der norischen Schwa-

ben machte sie so zwar zu abhängigen Juniorpartnern des kaiserlichen Franken Theudebert, doch sie

wurden seine Untertanen und nicht völlig Unfreie und rechtlose Knechte ihres neuen Herrn269. Darin

unterschied sich ihr Schicksal völlig von jenem der besiegten und durch Krieg unterworfenen Thürin-

ger wie auch den Wisi-goten der Aquitania. Wie sehr diese versöhnten alamannischen Schwaben im

Reich und Heer der Franken gebraucht werden konnten zeigt der römische Chronist Agathius auf.

Dieser bevorzugte Status der schwäbischen Alamannen konnte dann sechs Jahrzehnte später bereits

in einen „Pactus legis Alamanorum“ einmünden mit welchem diesem doppel-namigen Stamm im ge-

samten Reich der Franken ihre Autonomie und Staatsbürgerschaft mit einem Rechtsakt gesetzlich

bestätigt und verbrieft wurde270.

Verschobene Laute

Doch nicht nur die sprach- geographische Hinterlassenschaft des -ingen-Landes zwischen Metz, Ant-

werpen und Wien zeugt von jenem Aufstieg der theudischen Alamannen und Schwaben.

Zeitgleich und geographisch deckungsgleich trifft mit der Theude- fränkischen Herrschaft über die

Schwaben und Alamannen eine neue Sprachvariante in den Texten des Mittelaltes auf. „Einsetzend

etwa 550 n.Chr. und ... offenbar im Alpenraum ausgehend“271 macht sich eine sogenannte zweite

Lautverschiebung der germanischen Sprache bemerkbar. Sie unterscheidet die ober-deutschen Dia-

lekte von ihrer nieder-deutschen Sprachverwandtschaft.

Überall dort wo -ingen-Land ist wird auch ober-deutsch und lautverschoben geschwätzt.

Im Saarland, der südlichen Pfalz, in Baden- Württenberg und im Elsaß, in der Schweiz, Österreich und

in Baiern. Thüringen und das bairische Franken gelten nurmehr als etwas lautverschoben. Doch

selbst die Niederländer notieren noch Reste verschobenen Spracherbes272.

Ausgehend vom Alpenraum schieben sich die verschobenen Konsonanten >P + T + K< bis zu einer

>Benrather Linie< nach Düsseldorf, Kassel, Magdeburg und Frankfurt an der Oder vor. Sowohl die

Merovinger Franken als auch die Friesen und die Sachsen verweigerten sich dieser Verschiebung.

Sie blieben bei Water-pipe und Appel statt Wasser und Apfel in der Pfeife zu kochen. Sie hatten of-

fensichtlich Gründe dafür.

Was als zweite germanische Lautverschiebung definiert ist war jedoch wohl keine erst um 550 n.Chr.!

Dies ist lediglich der Zeitpunkt zu dem die Sprache jener Alamannen und der Schwaben die nach 536

unter die Herrschaft des Theude-bert gerieten in die Texte der fränkischen Schreiber des frühen Mit-

telalters kam. Als höchst angesehene Gefolgsleute der Theude-Franken konnten sie auch ihre eigene

Sprache behaupten. Ihr verschobener Slang geriet dabei erstmals in Geschriebenes. Doch verscho-

ben war ihr Idiom wohl schon vorher geewsen. Ihre vom Fränkischen wie auch Sächsisch und Frie-

269 Lehrb.Rechtsgeschichte 270 =nach 613 durch Chlothar II. 271 H.J. Störik 272 R.E. Keller

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sisch gleichermaßen unterscheibaren Dialekte war die gemeinsame Sprache der als >Elb<-germanen

definierten Völker Germaniens – vielleicht auch die aller Sveben273.

Im Dienst der fränkischen Könige trugen alamannische Schwaben dann ihre verschobene Mutterspra-

che überall dort hin wo sie als Krieger und/oder als Siedler gefragt waren. Zum Beispiel nach Thürin-

gen. Dort hatten die Theude-Franken 531 tabula rasa gemacht. Den unterworfenen Thuringos blieb

nur noch ein Dasein als Unfreie und Knechte der Franken möglich. Die Franken selbst aber hatten zu

wenig Leudes um in den unterworfenen Kolonien durch Ansiedlung selber seßhaft zu werden. Für

Schwaben und Alamannen hingegen war in fränkischem Dienst die thüringische Nachbarschaft be-

gehrtes Expansionsland. Zu diesem fränkischen Thüringen zählte auch das heute bayrische Franken.

Würzburg gilt als die Residenz des fränkisch-thüringischen Statthalters und Herzogs. Selbst Regens-

burg wird als eine in Thüringen liegende Stadt genannt274. So ist es weiter kein Wunder daß eine

Landbrücke von -ingen-Orten noch heute vom Neckar über den Main zur Unstrut und an den Harz

führt. Die dort lebenden alamannischen >Ingas< aber brachten auch ihren verschobenen Dialekt als

Herrschaftssprache dorthin mit. Nach dort umgesiedelt waren sie um 570 in größerer Zahl im Auftrag

ihres Königs Sigibert I. von Theudisch-Franken. Sie hatten dabei von Sachsen verlassene Gebiete in

Besitz genommen275. Nun verschoben sie auch dort >etwas< die Thüringischen Dialekte zu ihren

Gunsten.

Noch ein anderer Stamm aus der elb-germanischen Sprachfamilie wird etwa um 550 im Alpenraum

seßhaft. Es sind die elb-germanischen Langobarden die ab 568 Oberitalien und die südlichen Alpen-

hänge und Täler eroberten und übersiedelten. Auch ihre Sprache enthält die elb-verschobenen Kon-

sonanten. Sie sind den Schwaben und Alamannen verwandt in Sprache und Herkunft. Auch sie wer-

den von antiken Autoren dem svebischen Volk zugezählt. Sie prägen nun das verschobene Ober-

deutsch im Alpenraum und den lateinischen Texten ebenso mit wie die rhaetischen Alamannen und

die norischen Schwaben. Seit 536 die Einen, ab 568 die Anderen „Etwa 550 n.Chr.“ bezeichnet dabei

ziemlich exakt die Mitte beider Daten ab welcher die alpine Sprache als verschoben sichtbar wird.

Was als lautverschobenes Ober-deutsch gilt ließe sich demnach ebensogut mit Elb-germanisch be-

nennen. Es ist dieses leicht verrutschte Sprachmedium der Alamannen, Schwaben, Bayern und

Langbärte welche die gemeinsame Grundlage für die spätere deutsche Sprache, die >theudisca<

oder >todesca lingua< bilden wird. Doch davon später.

Nur nördlich der Alpen und an ihrem Ostrand aber ist -ingen-Land auch deckungsgleich mit laut-

verschoben. In Nord-italien war die Siedlungs-landschaft schon lange vor den einwandernden Lango-

barden durch latino-romanische Städte- und Dorfnamen geprägt. Neues -ingas hatte deshalb dort

kaum mehr eine Chance276.

273 Immerhin hat auch die Sprache jener Regionen in Spanien in welcher sich ebenfalls Sueben angesiedelt hatten eine eigene Entwicklung genommen – Portugiesisch ist nicht Spanisch. 274 Geograph von Ravenna, Bai.Kat. 275 Gregor v. Tours u.a. 276 Ob dieses Suffix ...ingas, das auch zur Bildung von dynastischen Verbänden - den ...ingern und Stämmen

diente - dabei ebenfalls auf eine spezielle Sprachgruppe unter den Germannen beschränckt blieb ist nicht völlig

geklärt.(=Ingä-vonen ?)

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4. Die Jüngeren Theude -Franken 561 bis 613

Waren 553 (Untergang der Goten) und 568 (Einreise der Langobarden) wichtige Daten Italiens so sind

555 und 561 bedeutsame Jahreszahlen im Reich der Franken. Gemeinsam aber ist ihnen der Bezug

zum werdenden Deutsch.

Theude-bald, der letzte jener Merovinger und Frankenkönige welche die kaiserlich-theodosianische

Linie repräsentiert starb im Jahr 555. Sein Theudisches Teil-reich fiel als Erbe an seinen Oheim

Chlothar aus der burgundo-fränkischen Linie der >salischen< Merovinger-dynastie. Er war der letzte

noch lebende Sohn des Augustus Chlodowech. Auch wenn nach dem Aussterben der Theudischen

die eigene kaiserlich-theodosianische Tradition der Franken vergessen und vom Klerus verdrängt

wurde so blieb doch ein Faktum bestehen: Nach dem Untergang der Ostro-Goten Italiens waren und

blieben die katholischen Franken dominierende Großmacht des Abend-landes. Auch der Burgundo-

Franke Chlothar I. (=511-561) repräsentiert diese Vormachtstellung. Er führt Kriege gegen Thüringen

und Sachsen, unterwirft sich Burgund, interveniert in Spanien. Seine Tochter Chlodo-svinda277 verhei-

ratet er mit dem Langobardenkönig Alboin. Als ein gewohnt machtorientierter fränkischer König prä-

sentiert sich auch er. Er stirbt im Jahr 561, ein halbes Jahrhundert nach seinem schon zur Legende

gewordenen Vater Chlodovech. Nun wird auch sein Reich nach fränkischem Erbrecht unter vier seiner

privilegierten Söhne verteilt.

Chilperich und das Böse Eine frühe Deutsche Rechtschreibreform

Von den vier Brüdern die das Erbe des Ersten Chlothar im Reich der Franken antreten ist einer der

aus den Berichten des Bischofs Gregor von Tours als eine ganz außergewöhnliche Persönlichkeit

hervor scheint. Sein Name ist Chilpe-rich. Aus dem was der Chronist des Frankenreichs jener Jahre

über ihn berichtet läßt sich ein abgrundtiefer Haß des frommen Schreibers auf sein Objekt der Be-

schreibung ablesen.

Doch solange Chilperich als einer der vier Teilkönige im Reich der Franken noch am Leben und somit

zu fürchten war ist Gregors Meinung über ihn zurückhaltend reserviert. Nach dem Tod dieses Herr-

schers aber kann der Chronist jede Vor-und Rücksicht beiseite lassen. Ohne Angst vor möglichen

Folgen formuliert er seine Abscheu über diesen König. Als einen „Nero und Herodes.unserer Zeit“ der

“dem Trunke ergeben“ und dessen „Gott der Bauch“ war beschrieb der fromme Kirchenmann nun

seinen toten Herrn. Als dieser nach einem Attentat “seine schwarze Seele“ ausgehaucht hatte meinte

Gregor das Opfer habe diesen Mord selber „lange heraufbeschworen“278! Über keinen der Franken-

fürsten, weder über jene die er selber nur aus alten Schriften kannte noch für seine Zeitgenossen hatt

er je ein solches Urteil gefällt279 obwohl die Geschichte der Franken dazu durchaus Anlaß böte.

277 Ein häufig vor kommender Frauen-Name trägt eine Endsilbe >suinda< meist als svinda wiedergegeben. Im Zusammenhang mit ihrer jeweiligen Herkunft er gibt sich die Frage ob diese Namens-silbe nicht eine Übernah-me aus dem lateinischen darstellt. >sui< stellt reflexiv eine Zugehörigkeit her. Im Gotischen benennt >swe< ebenfalls ein >eigen<. In Verbindung mit dem Namen ihres Vaters Chlot-har wäre Chlodo-svinda so als eine des Chlothar erkenbar oder auch als Eine aus der Sippe des Chlodo- entstammend. Ebenso Alb-suinda als Tochter des Alb-oin, Got-suinda eine der Goten, Chrot-suinda die der (Ch-)Roten usw. 278 Buch VII,2 sowie 278 VI, 46 279 Lediglich eine >Austre-gilde, eine >Gabe des Südens< gab mit ihrem letzten Atemzug ebenfalls eine „ver-ruchte Seele“ frei.

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Mit der Auflistung kirchenfeindlicher Handlungen dieses Königs versucht Gregor auch dessen christli-

ches Andenken zu schmälern: “Nichts haßte er mehr als die Kirchen“ und das Klagen welches in den

Kirchen seinetwegen ertöne sei schrecklicher “als zu den Zeiten der Verfolgung des Diocletianus“

notierte der Bischof. In grassem Gegensatz dazu stehen jedoch andere Bemerkungen von ihm über

diesen König. Von „geistliche Lieder und Messen“ welche dieser gescholtene Kirchenhasser verfaßt

habe erfahren wir ebenso wie von „einige Bücher in Versen“ und „andere Werke“ aus der Feder des

Chilperich. Höchst erstaunlich aber ist eine Rechtschreibreform welche dieser Herrscher in seinem

fränkischen Teil-reich befahl. Doch selbst zur theologischen Diskussion über die Natur Gottes hatte

dieser Franken-herrscher „eine kleine Schrift“ herausgebracht. Wegen der darin vertretenen Ansicht

wurde er von Bischof Gregor jedoch der „Irrlehre“280 bezichtigt – dieser König war offensichtlich ein

hoch gebildeter Häretiker, kein Kirchen-feind ! Doch was daran ist >deutsch<?

Chilperich war von einer anderen Mutter als seine drei miterbenden Halbrüder Guntramn, Chairebert

und Sigibert geboren. Nach dem Tod des gemeinsamen Vaters hatte er 561 zunächst versucht als

Alleinerbe die Herrschaft über die Franken zu erlangen. Für die Regentschaft über den >theudischen<

Reichsteil hatte er seinem ältesten Sohn bereits den entsprechen charismatischen Titel-Namen Theu-

de-bert gegeben. Er sollte offensichtlich als > iudans < im einstigen >Reich des Theuderich< Chilpe-

richs Machtanspruch sichern. Ein gemeinsamer und erfolgreicher Kriegszug seiner düpierten brüderli-

chen Rivalen zwang ihn jedoch zur Herausgabe der Hauptstadt Paris wie auch des fränkischen

Staatsschatzes. Danach entschied das Los wer von den vier Erben welchen Teil des Frankenreiches

er jeweils erhielt. Dabei zog nun der zuvor Besiegte das kürzere Hölzchen. Ihm fiel das kleinste wenn

auch feinste Reichsteil der Franken zu. Auf das Stammland der salischen Merovinger zwischen Paris,

der Maas sowie der Ostseeküste mit der Residenz Soissons wurde seine Macht nun begrenzt. Für

eine Expansion aber war ihm so jede Möglichkeit genommen da die Herrschaftsbereiche seiner Brü-

der wie ein Kranz sein eigenes Territorium umschlossen. Im Westen setze ihm Chairebert von Paris,

im Süden Guntramn in Orleans und Burgund sowie im Osten Sigibert im >Reich des Theuderich< mit

der Metropole Reims die Grenzen. Mit klein aber fein konnte sich Chilperich zuerst wohl nicht abfin-

den. Sowohl das Theudische Reims und die Champagne als auch Tours und Poitiers mit den umlie-

genden Provinzen jenseits der Loire versuchte er mit seinem Theudischen Sohn zu erobern, blieb

dabei jedoch erfolglos.

Als dann sein Rivale und Bruder Sigibert, ihm war durch das Los jenes >Reich des Theuderich< zuge-

fallen, aus Spanien die Schönbraunglänzende wisi-gotische Königstochter Brunichilde als Gabe und

Braut erhielt sah auch Chilperich seine Chance. Er holte sich deren ältere Schwester Gal-suinta als

Ehegemahl in sein Teilreich und den Hof nach Soissons. Dort aber verfiel der Frischgetraute so sehr

den erotischen Reizen seiner Unfreien und Magd Fredegundis daß er ihretwegen seine spanisch-

gotische Ehefrau ermorden ließ (eine Scheidung verstieß wohl gegen Kirchenrecht). Deren >Morgen-

gabe< und Mitgift gotischer Städte und Gaue im nördlichen Vorland der Pyrenäen aber behielt er für

sich. Der unversöhnliche Haß der danach zwischen Brunichilde und Fredegunde und dem ihr hörigen

Chilperich aufbrach und der die Geschichte des Frankenreiches mitprägte ist gedanklich nachvollzie-

bar281.

280 V,44 281 In die Saga floß dieses Thema wohl auch als Todeskonflikt Kriemhild-Brunhilde ein

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80

Doch nicht dem Bauch des Chilperich und seinen erotischen Gelüsten sondern seinem Anteil am

deutsch gilt unsere Neugier. Dieser aber erschöpfte sich nicht in der Theudischen Namensgebung für

zwei seiner Söhne282. So sehr der fromme Bischof von Tours auch die Verruchtheit dieses königlichen

Merovingers betont – aus seiner Chronik scheint trotz allem die intellektuelle Sonderstellung dieses

Herrschers unter den Frankenkönigen jener Zeit hervor. Er war der Kulturstar unter seinen Kollegen!

Er schrieb Gedichtbände und >andere Werke<, verfaßte geistliche Lieder und Messen und beteiligte

sich am theologischen Diskurs seiner Kirche. Letzteres scheint auch des Kirchenmannes Gregor ab-

grundtiefen Haß auf seinen seinen königlichen Herrn zu begründen. Denn was dieser literarisch so

produktive Herrscher zum Wesen von Gott-Vater, Sohn und Hl. Geist formuliert wurde von seinem

Chronisten als „Irrlehre“ verdammt. Die Ansicht über denkbare Form und das Wesen der göttlichen

>Dreifaltigkeit< zu der sich der König geoutet hatte trennte auch und gerade arianische Ketzer von der

Fraktion der katholischen Christen.

War mit Chilperichs wisi-gotischer Gemahlin Galsuinta auch die arianische Wulfilas-Bibel an den Kö-

nigshof dieses gebildeten Wüstlings geraten ? Er selbst gar arianisch infiltriert? Immerhin wird der

Vater dieser Ehefrau, Attanagild, als ein entschiedener Verfechter der Arianischen Lehre geschildert.

Einer derartigen Vermutung bietet Gregor selbst in seiner Fränkische Geschichte ein starkes Funda-

ment. Zu dem worüber der fromme Chronist zu berichten weiß gehört auch eine Bildungs- zumindest

aber Rechtschreib-reform welche dieser Intellektuelle unter Frankens Königen in seinem eigenen Teil-

reich befahl. Mit dieser Forderung aber berührt er unser Deutsches.

Neue Buchstaben sollten auf seinen Befehl hin dem lateinischen Alphabet hinzugefügt werden. Dazu

notiert der Bischof: „nämlich ω wie bei den Griechen, ae, the, wi, wofür die Schriftzeichen folgende

sind: ω Ο, ae ψ, the Z, wi ∆ ... “283. Selbst in Gregors verzerrender Wiedergabe welche wohl durch

Kopisten noch zusätzlich entstellt wurde ist noch eindeutig zu erkennen daß sich dieser Franken-könig

mit dem Alphabet des Wulfilas beschäftigt hatte! Als stärkstes Indiz dafür mag ein Zeichen gelten wel-

ches Chilperich nur aus Wulfilas‘ Schriften kennengelernt haben konnte - es ist dessen Bezeichnung

für den germano-spezifischen Sprachlaut >hv<, vom Gotenbischof als Ο notiert. Doch auch Gregors

Notiz daß >the< (got.= ) durch ein >Z< ersetzt wurde ist hochbedeutsam. Denn damit wurde das

> iu-< (=Thiu) des Goten-bischofs Wulfilas zu jenem germanischen Primär-gott >Ziu< den die

deutsch-völkisch verseuchte Geschichtsschreibung so mystifiziert. Zieht man dazu noch jenes griechi-

sche Zeichen > ψ < hinzu welches dem > < des Wulfilas so verdächtig ähnelt und ebenfalls zur

Diskussion stand dann wird deutlich: Chilperich ließ gotisches > iu < zum alt-hochdeutschen >Ziu<

werden!

Daß zusätzlich auch noch der so typisch >germanische< Sprachlaut >wi< (=w) aktualisiert wurde ver-

liert sich dabei fast völlig in Gregors Text.

282 Nachdem sein Sohn Theudebert in einem Bruderkrieg gegen Sigibert den Heldentod starb nannte er einen anderen Buben den im Fredegunde gebar >Theude-rich<. 283 V,44

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Exakt jene Sprachlaute für welche Wulfilas zwei Jahrhunderte zuvor in seinem eigenen Goten-

alphabet neue Schriftzeichen creiert hatte beschäftigten auch Frankens hochgebildeten Teilkönig

Chilperich. Er hatte dabei wohl versucht wenn schon nicht dem Fränkischen zur Schrift-sprache zu

verhelfen so doch zumindest dem >Merovinger-Latein< einige iudisch-gotische und damit deutsche

Spracheigenheiten einzuverleiben. Trotz seines Scheiterns sollte deshalb sein Wirken am Deutschen

gewürdigt sein.

Die Frage ob das Wenige was uns von Wulfilas Schriften erhalten blieb seinen Weg über die wisi-

gotische Königstochter Gal-svinta zu Chilperich und durch diesen dann in das Kloster Werden an der

Ruhr kam muß trotzdem Spekulation bleiben. Geben wir uns statt dessen zufrieden mit dem bislang

frühesten Beleg für die Konversion des gotisch-arianischen > iu-< zu jenem >bei allen Germanen

gekannten und verehrten< Götterboß >Ziu<.

Schönbraunglänzende Gabe und Glänzender Sigi

Das einst Theudische Teilreich, jenes „Reich des Theuderich“ fiel im Jahr 561 als Erbe an Sigibert,

König Chlothars Sohn aus seiner Ehe mit Ingundis. Er trägt denselben Namen wie jener Hinkende

König der Sigambrer an Rhein und Sieg den sein Großvater ein halbes Jahrhundert zuvor hatte er-

morden lassen. Sigibert I. wird auch Herr über Rhaetien und das Noricum, jene norischen Schwaben

die sich einst Theude-bert freiwillig unterworfen hatten wurden nun zu seinen Untertanen. Ob die noch

zahlreich im Alpenraum verbliebenen Rest-Goten des Theoderich ebenfalls dazu gehörten ist unge-

klärt jedoch wahrscheinlich. Noch immer waren ja Einflußgebiete und Grenzen im Ost-alpengebiet je

nach Machtlage variabel und instabil.

Jenseits der norisch-pannonischen (=österreich-ungarischen) Grenze ist Sigiberts Schwester Chlodo-

svinda Königsgemahlin des Langobarden Alboin. Eine Tochter Alb-svinda existiert aus dieser lango-

bardisch-fränkischen Ehe bereits. Die dynastisch-politischen Beziehungen der Franken entlang der

Donau sind noch immer lebendig284 Doch kaum hatte König Sigibert sein Theudisches Erbe angetre-

ten drohte in diesem Südosten den Franken höchste Gefahr. Statt schwarzer Hunnen des Attila stie-

ßen 562 n.Chr. sogenannte weiße Hunnen, die Avaren entlang der Donau über den Rhein bis nach

Gallien hinein vor. (Gregor von Tours). Sigibert glückte ein Gegenschlag, er vertrieb diese vermeintli-

chen Hunnen wieder aus Gallien. Seine Brüder nutzten inzwischen diese Situation um auf seine Kos-

ten ihren eigenen Erbteil zu vergrößern. Fränkischer Bruder- und Bürgerkrieg war die Folge. Doch

auch gegen seine brüderlichen Rivalen blieb Sigi-bert ein glänzender Sieger. nomen blieb omen auch

für diesen Glänzenden Sigi. Als solcher holte er sich nun eine Gemahlin aus Spanien. Brunichilde, die

Schönbraunglänzende Gabe ist eine Tochter des wisi-gotischen Königs Attana-gild in Spanien285.

Dieser franko-gotischen Ehe entstammen drei Kinder. Childi-bert der Erbsohn hat zwei Schwestern,

Chlodo-svinda II. und Ingundis. Dies sind alle vertraute Merovinger-Namen. Ein Jahrzehnt nach seiner

Hochzeit wird Sigibert ermordet (575). Nur der Mut und die Schnelligkeit eines Gundoalt (=Kampf +

Walt) retten seinen Sohn vor dem gleichen Schicksal. Anstifter des blutigen Attentats war allem An-

284 Zur Erinnerung: sowohl Theude-bert I. als auch Theude-bald hatten je eine langobardische Königstochter zur Ehefrau. Langobardische Quellen berichten daß die Witwe Walderada des 555 verstorbenen Theude-bald nun als Gemahlin des Frankenherzog Garibald im Noricum residierte. Paulus Diakonus 285 Bruni-brune ist der Glanz der Brünne, des Brustpanzers, child wohl latinisiertes >gild < derGoten bei denen es Gabe/Geld bedeutete. Atta-na-gild =Gabe das göttlichen Vaters Atta und Childi-bert =Glanz und Gabe?

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schein nach der bereits erwähnte Chilperich, der Halbbruder des Ermordeten. Nun beginnt ein tödli-

cher und erbarmungsloser Kampf um das Erbe des toten Sigibert. Mord und Totschlag beherrschen

das Haus Meroving und das Reich der Franken. Die Witwe des Sigibert, die Schönbraunglänzende-

childe kämpft als Regentin des Theudischen Teilreiches einen fast aussichtslosen Kampf gegen die

Brüder ihres ermordeten Gemahls. Gau um Gau, Stadt um Stadt, ja sogar ihre eigene Mitgift gotischer

Städte am Fuß der Pyrenäen werden ihr entrissen. Als einzige Stütze verbleibt ihr im innerfränkischen

Machtkampf nur die elterliche Sippe in Spanien. Nachdem ihr Vater Attana-gild dort gestorben war

hatte ihre Mutter Gote-svinda in zweiter Ehe einen Bruder des Verstorbenen geheiratet286.

Es ist dies Liuvi-gilt, die Gabe der Löwen, der dem dritten Bruder Liuva (got.= Löwe) die Macht ent-

reißt und so zum Alleinherrscher und iudans der spanischen Wisi-Goten wird. Mit dem Königshaus

dieser gotischen Löwen verbindet sich nun Brunichilde durch Ehebündnisse. Ihre beiden Töchter,

Ingundis und Chlodo-suinda werden Ehefrauen der Söhne Liuvi-gilts. Childebert, Brunichildes und

Sigiberts Erbsohn ist ebenfalls verheiratet mit einer Löwen-Katze. Fai-Leuba oder Fai-Liuva wird sie

bei Gregor von Tours genannt287. Zweifelsohne auch sie eine wisi-gotische Liuva Prinzessin. Childe-

bert und Fai-leuva haben zusammen drei Kinder - zwei Söhne und eine Tochter. An ihnen zeigt sich

nun höchst Bemerkenswertes. Alle diese Kinder tragen einen gotisch-Theudischen Namen: Theude-

bert II., Theude-rich II. und Theude-lane. Nichts burgundo-fränkisches ist offenbar des Namens mehr

würdig. Daß mit dieser Namensgebung auf die einstige Theodosianisch-kaiserliche Tradition der ers-

ten Theude-Franken und deren west-römische Kaiser-ambitionen zurückgegriffen werden sollte ist

dabei auszuschließen. Brunichilde war eine fromme Tochter der Römischen Kirche, mit Kaiser und

Papst gleichermaßen befreundet. Für ihre Ehe war sie vom gotisch-arianischen zum franko-

katholischen Bekenntnis übergetreten. Die Ein-Kaiser-These ist auch von ihr unwidersprochen, ihre

Enkel sollten sicher nicht Theodosianisches Kaiserrecht im Westen wiederbeleben. Ihre Namensaus-

wahl für die Enkel zeigt etwas anderes. Sie ist der zeichensetzende Rückgriff auf jenes von Gregor

von Tours so bezeichnete „Reich des Theuderich“ welches Sigibert 561 vom Vater Chlothar geerbt

hatte und das nun für seine Erben verloren zu gehen drohte288. Gleichzeitig aber ist dies auch ein wohl

bewußter Rückgriff auf die >gotischen< Herrscher- und Königstermini und iudans der hierbei zum

Ausdruck gebracht wird. So sind es diese Jüngeren Theud-inger im Reich der Franken die erstmals

ihre charismatische Namensgebung nicht mehr in zeichensetzendem und absichtsvollem Rückgriff auf

den Großen Römerkaiser Theodosios vornehmen. Sie sind keine kaiserlichen Theodosianer mehr.

Auch das Vorbild des Großen Ostro-Goten Theyderichos/Theoderich als Namenspatron ist wohl aus-

zuschließen. Allein der inner-fränkische Rückgriff auf die ersten fränkischen Theude-Könige und deren

Theudisches Teil-Reich genügen jetzt als Bezugspunkt für die Theudische Namenswahl selbst wenn

dabei gotisches Spracherbe mit einfließt und verkörpert wird. Diese Jüngeren Theude-prinzen sind

nurmehr fränkische Theud-inger. An die Stelle des kaiserlich-dynastisch-Theodosianischen Rückbe-

zugs verfestigt sich nun ein pseudo-ethnisch definierender Inhalt langsam auch bei den Franken. Die

286 .P.d.Palol / G.Ripoll, Die Goten 287 lat. faeles = feles = weibl. Wild-Katze = Fähe. 288 Noch bevor Sigibert den Theudischen Reichsteil zugesprochen erhielt hatte sein Halbruder und vermutlicher Mörder Chilperich seinen Erbsohn schon Theude-bert benannt. Gemeinsam mit diesem versuchte er dann nach 561 wesentliche Teile von Sigiberts Theudischem Erbe für sich zu erobern (z.B. die Champagne und Reims oder Tours und Portiers). Gr.v.Tours

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von Gregor von Tours als die eigentlichen und echten definierten weil Burgundo-Franken stehen dem

gotischen Familienzweig der Theude-Franken in Feindschaft und Rivalität gegenüber.

Nun erst ist die kaiserliche Antike im Reich der Franken wirklich zu Ende, das fränkische Mittelalter ist

präsent. Das Deutsche ist dabei sich auch dort zu etablieren.

Durch Brunichildes spanisch-gotische Heiratspolitik sowie durch ihre eigene gotische Herkunft erhält

auch dieses zweite Theudische Regnum im Reich der Franken unverkennbar und verstärkt eine goti-

sche Komponente. Schon der erste fränkische Theude-rich (506-34) hatte seinen Namen durch die

Eroberung des Wisi-gotischen iudan-gardi in Gallien erhalten. Sein Sohn Th-bert hatte dann nach

531/536/539 zuvor ostro-gotisches Land und Leute des Großen Theoderich für sich erobert. Der goti-

sche Anteil im Reich der Merovingischen Franken-könige war dann als >Reich des Theuderich< zu

einem eigenen Teil-reich innerhalb des fränkischen Imperiums institutionalisiert worden. Nun hatte

Brunichilde das Gotische innerhalb ihres Reichsteiles nochmals verstärkt und ausgeweitet. Die Fran-

cia drohte iudisch zu werden.

Auffällig ist daß gerade jetzt Gregor von Tours seinen Begriff der >Austrasii< prägt. Diese Austrasii

sind Gefolgsleute Brunichildes. „Auster“ bedeutet im lateinischen „südlich“, „düster“ und/oder „von

herbem Wesen“. Mit Düsternis aber wird auch die (arianische) Ketzerei apostrophiert. Meinte Gregor

mit seinen Austrasii die Düsteren und Südlichen in Familie und Gefolge der Brunichilde - gar diese

selbst auch ? Austrasii als Deckname für ein unaussprechliches >die Gotischen< der Theudischen

Liuva- und Löwen-bande ?

Wie sehr alles Gotische im Reich der Franken jedoch verpönt war, erzählt ebenfalls Gregor. Er schil-

dert das Grauen welches fränkische Große befällt als sie den Befehl erhalten eine Tochter des Königs

Chilperich als Brautgefolge ins gotische Spanien begleiten zu müssen. „Viele sollen in dieser bitteren

Not...durch den Strick ihrem Leben ein Ende bereitet haben“. „Es war ein solches Jammergeschrei in

der Stadt Paris, daß es verglichen wurde mit dem im Aegyptenland“. Andere machten ihr Testament

„und sobald sie über die gotisch-fränkische Grenze kämen, dieses eröffnet werden sollte, gleich ob sie

tot und begraben seien“289. Es ist dieser verhaßte gotische Touch der auch die jüngeren Theude-

Franken um Brunichilde umweht. Trotzdem aber führt ihr Weg im Reich der Franken zunächst steil

nach oben.

Guntchramn, ein Bruder Sigiberts hatte nach dem Mord an seinem Bruder dessen Erbe Stück um

Stück an sich gebracht. Der Witwe Brunichilde stand er in entschiedener Feindschaft gegenüber. Da

im Laufe der Jahre auch die anderen Brüder starben wurde Guntchramn realiter zum Alleinherrscher

der Franken. Doch alle seine Söhne starben noch vor ihrem Vater. So war der alte König im Alter oh-

ne einen männlichen Erben. Nun änderte er seine Politik. Ein Versöhnungsprogramm lief an. Er adop-

tierte seines toten Bruders Sigiberts Sohn Childebert. Ihm und dessen Mutter Brunichilde gab er die

zuvor entrissenen Gebiete peu a peu wieder zurück. Ein gegenseitiges Testament setzte Childebert

und Guntchramm zu wechselseitigen Erben im Todesfall ein290. König Guntchramn stirbt 592291 – sein

289 VI 45 290 Vertrag von Andelot 587 n.Chr. 291 Mit dem Tod dieses von Gregor von Tours stets favorisierten und bevorzugten Königs stellt der Bischof seine Arbeit an der >Fränkische Geschichte< ein. Die weitere Entwicklung seiner Francia unter Theudischem Re-giment ist ihm keine Zeile mehr wert !

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Neffe Childebert erbt nun wie vereinbart auch das burgundo-fränkische Teilreich hinzu. Nur drei Jahre

später stirbt auch er (595).

Nun erben seine Söhne Theude-bert II. und Theude-rich II. das Reich der Merovinger-Franken. Den

Theudischen Teil (Auster) ebenso wie den burgundo-fränkischen. Ein Zweiter Chlothar, schon seit

seiner Geburt als ein legitimer Merovinger angezweifelt292 kann lediglich ein Restgebiet von „zwölf

Gauen zwischen Eser (=Oise), Segona (=Seine) und dem Meer“ für sich behaupten293. Die Theudi-

schen Brüder sind quasi zu Alleinherrschern über die Franken geworden. Doch gerade diese Theudo-

gotische Dominanz im Reich der Franken führte danach zu Revolte und Staatsstreich. Regentin für

ihre Enkel ist jedoch noch immer Brunichilde – die Braunglänzende Gabe aus dem gotischen Südspa-

nien. Aus ihrer Position der Stärke heraus schließt diese Theudische Herrscherin mit den Langobar-

den Italiens nun einen Friedens-und Ehevertrag. Langobardiens König Agil-ulf und seine bairische

Gemahlin Theude-linda294 werden zu Bündnispartnern der Theudischen-Franken. „Und die Tochter

des Königs Theudebert wurde mit dem königlichen Knaben (=der Langbärte, Anm.) verlobt und ewiger

Frieden mit den Franken geschlossen.“ Theudische Franken und todisce295 Langobarden hatten so im

Jahre 605 n.Chr. zum Ausgleich und Frieden gefunden. Vergessen waren die vorausgegangenen

Schlachten und Kriege zwischen Franken und Langbärten. Mit einem prachtvollen Volksfest wurden in

Mailand Verlobung und Friedensvertrag öffentlich gefeiert296.

Im Jahre 612 führten im Frankenreich die beiden Theude-Brüder einen erbitterten Krieg um das Rest-

reich ihres Cousins Chlotar II. Gegeneinander. Der jüngere Theude-rich besiegte seinen brüderlichen

Rivalen Th-bert und ließ danach ihn und dessen Sohn töten. Zu seinem eigenen burgundo-

fränkischen Teil-reich übernahm Th-rich nun auch noch den Theudisch-austrasischen Reichsteil sei-

nes ermordeten Bruders. Nur ein Jahr später starb jedoch auch er (613). Großmutter Brunichilde führ-

te darafhin erneut die Regentschaft im Frankenreich allein, war stellvertretend iudans für ihre vier

Ur-Enkel. Doch nun machte sie einen offensichtlich entscheidenden Fehler. Statt wie bisher im Reich

der Franken immer üblich das Erbe und Reich nach dem Tod eines Königs unter dessen Söhnen real

aufzuteilen setzte die alleinige Regentin in Metz einen ihrer Ur-Enkel als Sigibert der Zweite zum Uni-

versalerben und Allein-herrscher über alle Franken ein.

Daraufhin verbündeten sich ein Pipin und der Bischof von Metz, Arnulf. Der Name >Pipin< fließt in

diesem Zusammenhang erstmals aus der Feder eines schreibenden Chronisten auf Pergament. Der

geistliche Oberhirte der Königsresidenz Metz war schon vor seiner kirchlichen Karriere ein machtvoller

und >reich begüterter< Mann gewesen. Zu seinem Kirchenamt hinzu war ihm dann noch der Job des

„Haushofmeisters“ bei dem noch jugendlichen Theude-bert II. Übertragen worden297 – Erz-Kanzler

wird diese seine Funktion später genannt werden.

292 Als Sohn einer >Unfreien< und Magd wurde er erst nach dem Tod seines Vaters Chilpe-rich geboren. Nur der Eid einer Gruppe von Großen die als >Eides-helfer< für seine Mutter Fredegundis eintraten hatte für seine Legi-timität gebürgt. (Gr. v. Tours) 293 Chronik des Fredegar 294 =Schild der Theudischen ? 295 Ein Mönch von Salerno wird wird die Sprache der Langobarden später als >Todisca lingua< definieren. 296 P:Diakonus,IV 50 297 Vita d. Hl. Arnulf. Adler (=Aar) und Wolf (=ulf

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Durch einen gut vorbereiteten Staatsstreich wird die Theudische Herrschaft der Bruni-childe und ihrer

Theudischen Enkel im Reich der Franken zerbrochen. Aus seinem neptrischen Rest-reich an der

Somme riefen Pipin und Arnulf jenen in seiner Legitimität als ein Merovinger stets angezweifelten und

Zweiten Chlothar als ihren König ins Land. Mit einer beispielhaften Konspiration gelang es ihnen auch

die Burgundischen und Über-rheinischen Untertanen der Brunichilde zum Verrat an ihrer Herrin und

dem noch kindlichen Tronfolger Sigibert II. zu bewegen. Deren Heer ging ebenfalls zu Chlothar, Arnulf

und Pipin über. In beispiellos grausamer Weise wird die theude-fränkische Sippe der Brunichilde er-

mordet und ausgetilgt. Chlothar der Zweite wird daraufhin zum Allein-herrscher über alle Franken

ausgerufen. Wohl notgedrungen denn außer ihm war jetzt kein Meroving mehr am Leben. Einzig ein

Childebert war dem Familien-massaker entkommen doch er „erschien niemals wieder“298.

Brunichilde selbst wird als alte Frau noch gefoltert und zur Demütigung auf einem Kamel durch das

Heer getrieben. Als Africanerin und/oder gotisch-vandalische Wilde aus Spanien (wo Kamele als Nutz-

tiere gezüchtet wurden und Verwendung fanden) sollte sie damit wohl verhöhnt werden. Ihr >Bruni-<

war offenbar doch mehr als bloße Poesie! Mit Armen und Haaren wurde sie anschließend an den

Schweif eines wilden Pferdes gebunden welches sie im davonsprengen in Stücke zerschlug. Diese

Hinrichtungsart ist von Goten und Vandalen überliefert. Mann wollte ganz offensichtlich die iudisch-

spanische Gotin Brunichilde einem ebenso entehrenden wie bestialisch-grausamen Tod ausliefern

und sie dabei als eine Nicht-fränkische denunzieren. Dieser Abstieg des Theudischen im Reich der

Franken war wohl der schmerzlichste auf seinem langen Weg zum Deutsch. Doch einmal mehr zeigt

sich dabei Theudisches auch als das Gotische.

Wer sich dem Staatsstreich von 613 nicht angeschlossen hatte wurde besiegt und unterworfen. Das

Recht des Siegers machte auch ihn zum Knecht und Unfreien. Jetzt wurden auch Theudische im

Reich der Franken zum theudischen Knecht des Siegers, dem > iud <. Die Bedeutung dieses Wor-

tes als der Knecht wurde in der Sprache der Franken verstärkt. Nicht mehr nur des Großen Theode-

rich einstige Leute führen nun eine verknechtete Existenz im Reich der Freien und Franken, auch

besiegte Gefolgsleute der >gotischen< Brunichilde und ihrer Theudischen Enkel gesellen sich ihnen

jetzt zu. Theudischer Glanz und Würde aber verschwinden für lange Zeit aus der fränkischen Herr-

schaftsgeschichte.

Nach dem erfolgreichen Putsch von 613 wird aus dem zuvor Theudischen Reichs-Teil der Franken

am Rhein in der Provence sowie der Aquitania jenseits der Loire, dem einstigen >Reich des Theude-

rich<, nun >Auster<. Das Deutsche verliert somit im Reich der Franken selbst in der Sprache seine

Identität. Dieser Wechsel von Theudisch zu Auster markiert gleichzeitig auch das Ende der gesamten

Ära des Vor-Deutschen. Diese gesamte Entwicklungsepoche auf dem Weg zum deutsch aber wird als

sein konstitutives Element von der Historik völlig negiert. Deutsches formuliert sich für sie erst um 700

n.Chr. als der >theodisce< Gegenpol zu einem >walhisce<.

5. Die Putschisten von 613 fordern ihren Anteil

298 =“Neptricum“. Fredegar, 42

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Wie alles so hatte auch der Staatsstreich von 613 seinen Preis. Der neue König Chlothar II. sollte

nicht alleiniger Kriegsgewinnler sein. Er der vor dem Umsturz gerade noch zwölf Gaue an der Somme

besessen hatte war nun zum Allein-herrscher aller Franken aufgestiegen. An seinen Theudischen

Vettern hatte er grausamste Rache geübt und deren Nachkommen mit Sproß und Samen ausgetilgt.

Von Paris bis zu den Pyrenäen, entlang der Rhone bis nach Marseille sowie bis zu den lautverschie-

benden Alpenbewohnern erstreckte sich nun seine Herrschaft. Doch die Initiatoren des Umsturzes

und Mitputschisten von 613 verlangten nach einem Anteil zumindest aus der theudisch-austrasischen

Beute. Der Zweite Chlothar mußte ihnen und ihresgleichen deshalb die Erblichkeit ihrer Güter, Rech-

te, Privilegien und königlichen Ämter garantieren. Er mußte außerdem auf das Recht verzichten seine

königlichen Amtsträger und Grafen von außerhalb in die entsprechenden Amtsbezirke zu schicken.

Nur aus dem dort ansässigen Adel durften zukünftig die Beamten des Königs in einem Amtsbezirk

rekrutiert werden. Herzoge und Grafen mußten nun einheimische und landsässige Bewohner sein.

Zusätzlich mußte der König in den Reichsteilen Auster, Burgund sowie Neuster-Franken jeweils einen

>major domus< als königlichen Statthalter, Hausmeier und Palast-Ersten akzeptieren. Wie Vizekönige

regierten diese erlauchten Fürsten fortan in den jeweiligen Teilreichen der Franken.

Mit diesen Zugeständnissen, festgehalten und codifiziert im Edictum Chlotarii von 614 war die bisher

absolute und unbeschränkte Königsmacht der Frankenherrscher, ihre Willkür, gebrochen 299. Der frän-

kische Feudal-Staat konnte entstehen.

Eine weitere und ebenfalls höchst bedeutsame Zugabe wurde dem neuen König abverlangt. Galt bis-

her das fränkische Recht der >Lex Salica< unbestritten und unangefochten überall im Reich der Fran-

ken so änderte sich nun auch dies. Nicht mehr nur das Herrenrecht der Salier-Franken sollte weiterhin

im Frankenreich allein gelten. Auch den Alamannen sollte von nun ab das Recht zustehen im gesam-

ten fränkischen Herrschaftsbereich nach ihrem eigenen und alamannischen Rechtsbrauch ge-, be-

und ver-urteilt zu werden. Sie die schon beim Ersten Theude-bert in höchsten Ansehen standen er-

hielten nun das Privileg der eigenen Rechts-autonomie. Durch einen „Pactus Legis Alamanorum“ des

Königs Chlothar II. wurden die Alamannen so zu (fast) gleichberechtigten Staatsbürgern im Reich der

Franken. Ihre Rechte waren dabei nicht territorial gebunden sondern jeweils an die einzelne Person

sofern sie als alamannisch definiert war. Wo immer nun ein Alamanne auf seiner ethno-kulturellen

Herkunft bestand hatte er durch diese Lex Alamanorum den legitimierten Anspruch nach seinem ei-

genen Volksrecht beurteilt zu werden. Dies galt vor allen Richtern innerhalb des gesamten Franken-

Reiches ! (Diese mussten sich wohl neue und zusätzliche Rechtsbücher besorgen) Die Alamannen

hatten mit der lex Ala ihre eigene Staatsbürgerschaft und Autonomie im fränkischen Großreich aner-

kannt und gesetzlich garantiert erhalten. Als eigenständige Volksgruppe mit eigener Verfassung wa-

ren sie zu Bürgern im Reich der Franken geworden. Ihr Anteil am Umsturz von 613 muß dementspre-

chen hoch gewesen sein.

Eine andere Völkerschaft pochte ebenfalls auf solche Rechte. Doch bei ihr war die Sache etwas kom-

plizierter. Nicht wie die svebischen Alamannen waren sie seit Alters zu einer ethnischen und kulturel-

len Einheit, dem ominösen Stamm zusammen gewachsen. Ihre Gemeinsamkeit war keine ethno-

kulturelle, kein gemeinsamer Brauch und einheitliche Sitte verband sie. Was sie zusammen brachte

299 Lehrbuch Deutsche Rechtsgeschichte

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war ihr gemeinsamer Lebensraum, ein Territorium. Die Küsten und Uferzonen der nord-östlichen

Grenzregion Frankens an Nordsee und dem Rheindelta, lateinisch mit >ripa<300 benannt, war ihre

gemeinsame Heimat – machte sie zu Rip-varen. Gleich-gültig ob „Flandrer, Andoverper, Frisionen,

Sueven“ oder andere „Barbaren die an den Küsten des Meeres“ wohnten301 sie alle waren Küsten-

oder Ufer-bewohner und gleichzeitig vermischtes (lat.= varia) Volk – Ripa-varier eben. Die „Lex Ripva-

ria“ welche für sie und vor allem wohl für den ersten Pipin und zeitgleich mit der lex Alamannorum

etabliert wurde zeigt auch im Namen diese terretoriale Bezugnahme auf (nicht mit -orum sondern als -

ia ist sie definiert). Nicht eine gens, der Stamm sondern die Küsten einer Grenz-region ist ihr konstitu-

tives Fundament. Diese Ripa-varier wurden erst durch die entsprechende Lex zur ethno-kulturellen

Einheit und zugleich unter eine regional-territoriale Herrschaft gebracht. Ihr ripvarischer Gau war war

mit der entsprechenden lex ebenfalls erst entstanden.

Die Pipiniden waren die Herren dieses Gaues zwischen Maas, Nieder-rhein und der Nordseeküste.

Die üblicherweise vertretene Interpretation diese Ripvarier seien die Franken von Rhein, Sieg, Lahn

und Köln gewesen führt sich selbst ad absurdum. Denn weshalb hätten >Franken< deren absolute

Herren-stellung im Reich schon allein im synonymen Frank = Frei formuliert wird, weshalb hätten sie

für sich einen trotz allem zweitrangigen und minderen Status durch Gesetz und eine Lex Ripvaria

etablieren sollen? Für alle Franken galt ja die lex Salica und deren Vorzugsrecht bereits unein-

geschränckt !

Die lex Ripvaria hingegen faßte ein Territorium und die unterschiedlichsten darin lebenden Volksgrup-

pen zu einer gemeinsamen Herrschaft zusammen. An deren Spitze steht der Erste Pipin als ein Mitini-

tiator des Putsches von 613. Diese lex ist sein Anteil an der theudisch-austrasischen Beute nach dem

Sturz der Königin Brunichilde. Diese Ripvarier sind zugleich auch die Pipiniden. Ihre lex aber ist eine

territorial definierende. Aus unerfindlichen Gründen wollten sie nicht nach ihrer ethnischen Herkunft

genannt sein - Ripuarier erschien ihnen ganz offensichtlich als wertneutraler. Wer auch immer im nun

ripvarischen Gau und Herrschaftsbereich dieser Pipiniden lebte unterstand nun ihrer lex und wurde so

ebenfalls zum Ribvaren, gleichgültig ob er Gote, Schwabe, Sachse, Friese oder ein sonstiger Küsten-

Barbar war. Nicht jedoch die Franken – sie lebten weiterhin nach ihrer eigen >lex Salica<! Auch inner-

halb Pipins neuem Rip-varien.

Aus dem Nachfolgenden heraus läßt sich die Deutung Pipiniden = Ripvaren gut belegen. Die Rechts-

stellung der Rip-varen zu verbessern war stets ein Anliegen aller Nachfahren des ersten Pipin. Grimo-

ald302 ein Sohn Pipins wird eine erste Edition dieser Familien-lex vornehmen und dabei die Rechte

seiner Ripvarier dem sal-fränkischen Vorbild annähern. Der Zweite Pipin303 wird die lex Ripuaria völlig

neu fassen304. Zur Zeit des Großen Karl wird dann sein ribvarisches Recht in seinem fränkischem

Groß-Reich dominieren. Erst mehr als zwei Jahrhunderte nach ihm wird salisch-fränkisches Recht in

Oster-franken wieder zum herrschenden Prinzip eines Königshauses werden305.

300 Nicht nur das Ufer sondern insbesondere eine Küstenregion an der Grenze ist damit definiert, analog dem Limes. 301 So i.d.Vita St. Eligius 302 = der grimme Walt, 642 - 662 303 ca. 680 - 714 304 Rezensio Pippina 305 Die sog >Salier< von1024-1125

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Diese Pipinidischen Ripvaren werden zu unserem deutsch noch in eine besondere Beziehung treten.

Doch zuvor soll noch jener Begriff >Auster< kurz erläutert werden der nach 613 zum sprachlichen

Standard historischer Texte wurde und das Deutsche ebenfalls betrifft.

6. Auster Vom Reich des Theuderich zu Oster-vranken

>Auster< ist eine eingrenzende Benennung von Herrschaft und der von ihr beherrschten Region. Als

ein territorial definierender Begriff kennzeichnet er jenes merovingisch-fränkische Teilreich welches

Gregor von Tours zuvor als das „Reich des Theuderich“ benannt hatte. Es umfaßt sowohl die >fränki-

schen< Gebiete an Rhein, Maas und Mosel wie auch die Provence an Rhone und Durance. Die zuvor

wisi-gotische Aquitania >jenseits<, also südwestlich der Loire zählte ebenfalls zum regnum, der iu-

dan des ersten fränkischen Theuderich. Nach dem großen Staatsstreich von 613 wurde dann aus

dem zuvor Theudischen Reichsteil der Franken >Austrasien<.

Der Begriff selbst wurde creiert und geprägt von Bischof Gregor v. Tours (gest. um 594). Er hat in

seiner Fränkische Geschichte die „Austrasii“ als so definierte Gruppe in die Historik eingebracht und

verankert. Als Einzelpersonen benannte Gregor eine Gemahlin seines Lieblingskönigs Guntramn

„Austre-childe“ (eine Gabe des Südens?)306. Ihr Zweitname Bob-ila (=kleine Kuh?) lässt auf ihre goti-

sche Herkunft schliessen307. Laut Gregor hatte sie eine verruchte Seele308.

Einen „Austra-pius“ (pius=fromm ) nennt er als Herzog und Bischof bei Poitiers und danach irgendwo

auf seiner Burg an der Donau zu Tode kommend309.

„Austrin-us“ (der Südliche ?) war Bischof von Orleans310.

„Austad-ius“ (aus einer südlichen Familie ?) desgleichen in Nizza311.

„Austro-vald“ (Walt des Südens?) war erst Graf dann als Herzog der Walt des Königs Guntramn in der

theudischen Gascogne312 (ein Walt ist der Wahrer und Vollzieher des Rechts im germanischen

Staatswesen313).

„Austre-gisel“ (ein Bürge des Südens?) lebte bei Tours314.

Als Gruppe treten die „Austrasii“ erstmals auf als sie ihrer Herrin Brunichilde einmal die Gefolgschaft

verweigern 315.

Das lateinische Wortfeld „auster“ umfasst Begriffe wie „düster“, „dunkel“, „herb“, „unfreundliches We-

sen“, „von dunkler Farbe“, vor allem aber „südlich“. Gregor war Lateiner, er wußte also um den Inhalt

und die Bedeutung seiner Wortschöpfung. Mit Osten hatte sie bei ihm sicher (noch) nichts zu tun.

Wen er jedoch als die düsteren, unfreundlichen aus dem Süden speziell benannte bleibt verborgen,

darf jedoch vermutet werden.

306 IV 25f. 307 ila=got.Dimn. 308 V,35 309 IV 18 310 IX 18 311 VI 6 312 VIII 45 u.a. 313 Lehrb.Recht. 314 VII 47

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Innerhalb des Frankenreichs war das Reich des Theuderich südlich gelegen und von Wisi-Goten be-

wohnt. Die Aquitania und Provence waren Theudisch. Als düster und dunkel galt auch die Ketzerei,

vor allem die arianische jener Tage. Herb oder unfreundlich mag eine abgelehnte Gruppe kennzeich-

nen. Die verhaßte Brunichilde stammte selbst aus dem gotischen Süden und einer arianischen Kö-

nigssippe, sie trug einen Namen der die Farbe einer glänzenden Rüstung oder von Kastanien impli-

ziert. Ihre Kinder hatten alle Ehegemahls aus dem spanisch-gotischen Süden. Ihre Enkel waren mehr

südliche Wisi-Goten als Franken.

Nach Gregors Tod erscheint der von ihm geprägte Begriff in den fränkischen Chroniken als ein reg-

num, als Herrschafts-region und fränkisches Teil-reich >Auster<. Aus dem Zusammenhang einer

Chronik des Fredegar ergibt sich eindeutig daß mit Auster jenes vergangene >Reich des Theuderich<

gleichzusetzen ist. Noch kurz zuvor hatte es Gregor als den Erbteil König Sigiberts I. selbst noch mit

diesem Namen benannt. Aus uns nicht mehr erkennbaren Gründen erfand er jedoch wenig später den

neuen Begriff Auster dafür. Auster benennt demnach synonymisch die Theudische Herrschaft im

Reich der Franken. Die Ausrasii wären demnach wohl auch als Theud-inger zu übersetzen.

Territorial ist Auster ebenfalls klar abgrenzbar. Es repräsentiert die fränkischen Reichsteile jenseits,

also südöstlich der Loire, ferner die Provence sowie die an Maas, Mosel, Schelde und Rhein liegen-

den Landschaften der Franken. Dazu zählten auch westlich von Vogesen und Ardennen liegende

Provinzen oder Gaue wie die Champagne um Reims.

Mit >Osten< des fränkischen Reiches hat dieses Auster um 600 n.Chr.demnach nur zur Hälfte zu tun.

Zum Putsch von 613 rückte Chlothar der Zweite in „Auster“ ein. Der große Gewinner und Nutznießer

dieses Staatsstreiches machte „...im 39. Jahr seiner Herrschaft...“ (=um 623 ) seinen Sohn Dagobert

zum Mit-regenten. Chlothar II. „setzte ihn als König über Austrasien ein, wovon er jenen Teil für sich

behielt, welchen die Ardennen und Vogesen nach Neustrien und Burgund zu ausschieden“316 (der

Papa behielt die Champagne wohl auch ihres Getränkes wegen für sich). Dabei wurde Auster nun

erstmals auf seinen östlichen Teil reduziert und erhielt dadurch seine Bedeutung Auster = Oster-

franken. Zwei Jahre später (625) gab es Knatsch zwischen Chlothar II. und seinem Sohn Dagobert

der nun „alles, was zum Königreich der Austrasier gehört“317 für sich haben wollte. Die gesamte Theu-

dische Herrschaft im einstigen Reich des Theuderich wollte der Kronprinz übernehmen, auch das

Auster jenseits der Loire.

Arnulf von Metz, einer der Mit-putschisten von 613 wurde zum Vermittler zwischen Vater und Sohn.

Der König zeigte sich kompromißbereit. „Chlothar trat seinem Sohn alles Gebiet ab, was zum Reich

der Austrasier gehörte“, er behielt nur jenes „Gebiet, welches jenseits der Loire und in der Provinz lag,

unter seiner Herrschaft“318. Ganz eindeutig wird hier noch die Aquitania, die Auvergne (Clermont Fer-

rand) sowie die Provence als ein Teil von Auster genannt. Die endgültige Aufteilung in ein Auster

West- und sein Ost-austrasisches Pendant erfolgte dann um 630 n.Chr.

Papa Chlothar II. war 529 gestorben, sein Sohn Dagobert hatte zuvor schon die Alleinherrschaft im

Reich der Franken übernommen. “Durch Mitleid“ ließ er sich nun bewegen seinem nachgeborenen

Bruder auch etwas vom fränkischen Reichskuchen abzugeben. „die Gaue und Städte jenseits der

315 V 14 f. 316 Fred 47 317 Fred.53 318 FR.53

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Loire bis zur spanischen Grenze“ überlies der große Bruder dem jüngeren Chairebert319. Dies waren

die einst wisi-gotischen und zugleich Theudischen Gebiete in der austrasischen Aquitania.

Vier Jahre vor seinem Tod wollte König Dagobert zwar noch einmal Auster „in seiner ganzen Ausdeh-

nung“ und „alles, was vormals zu Auster gehört hatte“ wieder und auf „ewig“ vereint seinem Sohn

Sigibert der Dritte vererbt wissen. Doch die „Großen“ des Reiches setzten sich über dieses Testament

Dagoberts hinweg320. Nun erst war Auster endgültig in einen Ost- und einen West-teil zerfallen, es

blieb für immer geteilt. Die einst Theudisch-austrasische Aquitania jenseits der Loire wie auch die

Provence wurden romanisch und französisch. Das ebenfalls Theudische Auster-Franken-Ost aber

wurde über Oster-vrancen später zu Deutsch-land. Doch bis dahin war es noch ein langer Weg.

319 57 320 76

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IV. Buch

Die Franken unter der Herrschaft walcher Karolinger

1. Ripvarische Pipiniden

Ihr Eintritt in die Geschichte ist zugleich der Beginn einer Familienkarriere.

Pipin der Ältere zählte im Jahr 613 zu jenen Großen im Theude-fränkischen Teilreich Auster die ge-

gen die Regentschaft der Brunichilde König Chlothar II. ins Land holten. Mit dieser Tat treten die Pipi-

niden in das Licht der Geschichtsschreibung. Zum Lohn für seinen Hochverrat an der Königin und

ihren Ur-enkeln erhält der erste Pipin die Lex Ripuaria, die Privilegien aus dem Edictum Chlotarii und

später die Hausmeier-würde (=major domus) bei der neuen Königs-sippe in Auster321. Pipin stirbt im

Jahr 640, kurz nachdem Chlothars II. Sohn und Nachfolger Dagobert verstorben war. Unter diesem

war Pipin zuletzt in Ungnade gefallen und „zurückgehalten“ also wohl inhaftiert gewesen322.

Pipins Erbe und Nachfolger als Major Domus in Auster-Franken wurde sein Sohn Grimoald, der grim-

me Walt323. Dieser konnte seine Machtstellung erheblich ausweiten. Als Palast-erster am Hof des

Dritten Sigibert von Austrasien (638 - 657) führte er die Regierungsgeschäfte bereits als dessen Re-

gent. Die Pipinidische lex ripuaria erhielt durch ihn, nicht durch den König eine erste Neuauflage. Der

Prozeß >ripuarisches< Recht dem der Franken zu assimilieren hatte begonnen. Als der noch jugendli-

che König starb übernahm der grimme Walt selber die Herrschaft in Auster. Von seinem Sohn be-

hauptete er dieser sei noch von König Sigibert III. adoptiert worden. Er gab ihm deshalb den merovin-

gischen Königsnamen Childibert und beförderte ihn unter diesem Namens-plagiat zum König der Aus-

ter-Franken. Dem legitimen jedoch noch „unmündigen“ Thronerben Dagobert II. ließ er die königlichen

Locken scheren und verbannte ihn „in die Ferne nach Scocia.“ Mit dieser geblütsrechtlich nicht legiti-

mierten Königserhebung aber hatte der grimme Walt den Bogen weit überspannt. Der alte Adel revol-

tierte. Der Grimme Walt wurde überlistet, gefangengesetzt und mitsamt seinem falschen Königssohn

in das neustrische Franken geschafft. Dort wurde er (wohl auch sein Sohn) um 661/62 seiner Verbre-

chen wegen „...mit heftigen Qualen hingerichtet...“ 324. Aufallend ist wie auch in diesem Zusammen-

hang stets von >die Franken> und andererseits von >Auster< geschrieben wurde. Gerade so als sei-

en Auster und seine Pipinidischen Herren nicht als >fränkisch< eingeordnet gewesen !

Der jähe Absturz nach diesem fehlgeschlagenen Staatsstreich325 läßt die Familie für zwei Jahrzehnte

völlig aus den Chroniken der Franken verschwinden. Ein Zweiter Pipin erscheint erst wieder um 680

n.Chr. Er gilt als ein Enkel des Ersten und betreibt mit Geschick und Entschlossenheit den Wiederauf-

321 321.Wann genau ist ungeklärt anscheinend um 624 als Chlothar seinen Sohn Dagobert zum Mitregenten über Auster einsetzte, Fredegar, 47 322 Fredegar, 85, es mag sein daß Pipin durch die Abtrennung westlich der Ardennen liegender Gebiete vo >Aus-ter< ebenfalls Güter verloren hatte und so mit seinem König in Konflikt geraten war 323 Ein >Walt< ist im germanischen Rechtsgebrauch der Wahrer des Rechts – quasi der Justizminister germani-scher Völker. 324 Taten der Frankenkönige, 43 325 Nach des Ersten Pipin Putsch von 613 war dies Revolte Zwei des Hauses.

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stieg des ripuarischen Hauses Pipin in Auster-Franken voran. Ihm gelingt es den einzig noch leben-

den Merovinger-erben und König Theuderich III. in seine Gewalt zu bekommen. Dieser ist ein Sohn

jenes Chlodoveus der zwanzig Jahre zuvor Grimm-walt und dessen Sohn foltern und hinrichten

ließ326. In Theudischem Namen regiert nun der erlauchte Mensch (=vir illustris) und Zweite Pipin in

fast unumschränkter Herrschaftsgewalt sowohl über Auster wie auch über >die Franken<.Auch er

versäumte es nicht die lex ripuaria dem fränkischen Recht weiter anzugleichen.

Die seinem eigenen, dem ripvarischen Gau benachbarten Friesen besiegt und unterwirft er. Nicht der

König sondern er, Pipin, verbindet danach seine Familie durch Friedens- und Ehevertrag mit der frie-

sischen Königsfamilie des besiegten Radbod. Aus Angelsachsen stammende Missionare christianisie-

ren unter seinem Schutz die Unterworfenen. Mit Utrecht als Metropolitansitz etabliert er im eroberten

Gebiet ein friesisches Erzbistum. Dies ist seine Kirchenprovinzmit eigener Metropolitan-kirche. Beina-

he schon hat er um 700 erreicht womit der Erste Pipin 613 begonnen hatte - die absolute Macht im

Reiche der Theudisch-austrasischen Franken für sich zu erobern. Abgeschreckt und gewarnt durch

das Beispiel seines Oheim Grimoald hält er sich jedoch einen Merovinger als Titularkönig anstatt

selbst nach königlichem Titel zu greifen.

Am Namen seines Königs, Theuderich III., wird deutlich daß Theudisch noch nicht endgültig nur zum

Synonym für Knecht und unfrei geworden war. Er taugte noch immer auch als ein Königs-name.

Austrasien, das Reich Pippins und seines königlichen Attrappen war damit noch immer, oder wieder

auch ein Theudisches regnum. Allerdings war es in jenen Jahren bereits auf seinen östlichen Teil an

Rhein und Maas geschrumpft wobei >die Franken< stets als ein deutlicher Gegensatz zu >Auster<

definiert sind.

Theudisch wird nun auch das Namensbild der Pipiniden. Ein Zweiter Grimoald und Sohn des Zweiten

Pipin wird mit einer Friesen-prinzessin vermählt. Diese erhält den Namen Theude-suinda. Der Sohn

aus dieser Ehe wird als Theud-oald ein Theude-Walt.

Der Zweite Grimoald war von seinem todkranken Vater bereits zum Erben und Nachfolger als Haus-

meir ernannt worden als er in Lüttich einem Mordanschlag zum Opfer fiel. Ein zweiter Sohn war zuvor

schon gestorben. So designierte der greise Pipin II. nun kurz bevor er starb noch seinen Enkel Theu-

doald zum Nachfolger und major domus aller Franken (714). Dieser waltete somit über das Gesamt-

Reich des bereits ebenfalls verstorbenen Königs Theuderich III. Fast scheint es als hätte sich das

Theudische im Reich der Franken seit der Vernichtung im Jahr 613 wieder etwas erholt gehabt. Zu

einer neuen Gruppenbildung hatte es jedenfalls gereicht.

Theudoald, besser gesagt seine Großmutter Plectrudis führte nach dem Tod Pipins zusammen mit

oder für ihren Enkel die Reichsgeschäfte in „kluger Weise“327. Trotzdem aber revoltierten nun „die

Franken“(wieder einmal), Theudoald und „die Leute Pippins und Grimoald“ sowie die kluge Plectrudis

verloren nach einer Schlacht im „cocischen Wald“ Amt, Macht und Reichtum328. Erneut scheint es mit

der Vormachtstellung des Hauses Pipin im Reich der Franken vorbei zu sein.

Es sind dies jene Jahre um 700 in welchen die Sprachforschung einen polaren Gegensatz zwischen

>theodisce< gegen >walhisce< als Basis zur Deutsch-werdung vermutet.

326 Taten 44 327 Taten / 51 328 Fortsetzer d. Fredegar,. 8

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2. Walche Carlo-inger „theodisce“ versus „walhisce“

Unser Deutsch hat also nun jene Zeitschicht erreicht in welche von der Linguistik die etymologische

Wurzel des Deutschen in seiner ethno-kulturellen Definition plaziert wird. „Walhisce“ in seinem unver-

zichtbaren Gegensatz zu „theodisce“ soll dabei „um 700“ das Deutsche in die Welt gebracht haben.

So die These der Sprachhistorik329.

Doch auf dieser Zeitebene hatte sich thiudisch-theodisc Deutsches ja längst formiert. Unser Objekt

der Neugierde war um 700 eine bereits gereifte Persönlichkeit. Was einst bei Wulfilas als ein göttli-

ches verheißendes iudi- begonnen, durch Theodosios zum Inbegriff weltlicher Kaiser-herrschaft

(= iudans) in gotischer Sprache geworden, danach durch den Großen Theoderich zum Idol goti-

schen Herrschertums wurde und zuletzt die kaiserlichen Theude- von den frommen Franken unter-

schied soll als bloßes Unterscheidungsmerkmal und bi-polarer Gegensatz walhisce versus theodisce

um 700 existent sein !

Die gesamte Epoche der sogenannten Völkerwanderung würde somit als ein treibendes Agens für

das Deutsche völlig negiert werden. Weder die epochale Bibel-übertragung des Wulfilas noch die

geschichtsprägende lex Gotica oder das Teilungstestament des Großen Theodosius gelten der Lingu-

istik wie auch der Historik als ein Treibendes für das deutsche Etymon, sein innerstes Wahres. Nicht

gotisch göttliches iudan-gardi, noch kaiserliches Theodosianisch, kein Theodorich-isches theodisce

auch nicht ein fränkisches Augustus-Theudisch wird dem Deutschen so als ein konstituiver Bestand-

teil zugebilligt.

Allein schon daraus läßt sich ersehen wie gründlich und konsequent die katholische Mehrheits-fraktion

im Christentum die Erinnerung an Gotisch-arianisches und Kaiserlich-fränkisches ausgetilgt hat. Gre-

gor von Tours und die ihm geistesverwandten Geschichtsschreiber des katholischen Mittelalters ha-

ben fast ganze Arbeit geleistet. Statt der antiken Wurzel des Deutschen gilt ein >theodisce< in seinem

Gegensatz zu >walhisce< aus der Zeit >um 700< als frühestes Dokument der Deutsch-werdung. Mehr

als drei Jahrhunderte Entwicklungsgeschichte wird dabei unserem Deutsch schlicht vorenthalten.

Doch während im Reich der Franken theodisce die Bewohner Frankens in zwei gegensätzliche ethno-

kulturelle Fraktionen aufspaltet und dabei vermeintlich erstmals Deutsche benennt geht in Spanien

bereits letztes Gotisch- iudisches als ein Vor-deutsches zu Grunde. Das arianische Erbe war auch

dort schon lange zuvor zugunsten des katholischen Dogmas aufgegeben worden330. Nun im Jahre

711 n.Chr. verliert der wisi-gotische König Roderich in einer Schlacht gegen die muslimischen Araber

Reich, Krone und Leben. Die letzten freien Goten des einst römischen West-reiches werden zu Skla-

ven der Mauren. An die Stelle des iudin-assus tritt nun die Herrschaft Allahs. Die letzte Spur des

antiken Vor-Deutsch verschwindet damit endgültig aus der Geschichte.

Doch im Reich der Franken soll ja zeitgleich ein latinisiertes theodisce dem Deutschen helfen sich zu

finden. Blicken wir also wieder nach dort.

Um 700 hatte sich Auster als ein territorial definierender Begriff im Reich der Franken fest etabliert.

Aus dem einstigen >Reich des Theuderich< welches sowohl die Landschaften am Rhein und der

Maas als auch die Provence sowie die Aquitania jenseits der Loire umfaßt hatte war nach dem Putsch

329 Weißgerber u.a. 330 III. Konzil von Toledo, 589 n.Chr.

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von 613 >Auster< geworden. Um 623 wurden von Auster dann endgültig jene Gebiete abgetrennt

welche jenseits der Loire und in der Provence liegen. Selbst westlich der Ardennen liegende austrasi-

sche Gebiete blieben umstritten. >Auster< war nach 629 endgültig auf die Provinzen am Rhein, Mo-

sel, Maas und Schelde reduziert. Es wurde so zum östlichen Grenzgebiet des fränkischen Gesamtrei-

ches. Auster wurde sprachlich so zu Oster und Osten (=Oster-Franken). Das Land an der Donau war

jedoch noch nicht Franken sondern lediglich ein Teil der über-rheinischen Kolonien.

Liest man die Texte jener Zeit so gewinnt man den Eindruck >Auster< sei dabei nicht nur eine geo-

graphische Definition sondern ebenso eine ethno-dynastische gewesen. Mit >die Franken< werden

stets jene benannt die außerhalb des Teil-reiches Auster leben und wirken. Es ist als würden die

>Austrasier< und insbesondere die Machthaber aus dem Hause Pipin nicht unter >die Franken< ge-

zählt. Meist stehen den ripuarischen Pipiniden diese >Franken< als Rivalen um die Herrschaft im

fränkischen Gesamt-reich gegenüber.

Doch auch innerhalb des austrasischen Reichsteiles kämpften um 700 rivalisierende Gruppen um

Autonomie oder Vorherrschaft in Oster-franken. Nachdem die Herrschaft der Merovingischen Fran-

ken-könige sich zum Ende neigte war auch die Gefolgschaftsverpflichtung regionaler und Edler Fürs-

ten hinfällig geworden. Pipin und die Seinen waren weder von königlichem Geblüt noch durch beson-

deren Adel zur Herrschaft gekommen – ihre Macht gründete sich allein auf Gewalt. Diese Pipiniden

hatten keinerlei legitimierten Anspruch auf die Vorherrschaft im Reich der Franken. Als Tyrannis wür-

de ihre Herrschaft mit einem lateinischen Begriff definiert.

Ein Princeps Theoto und die durch Heirat mit ihm verschwägerten Alamannenfürsten Gotfrid und

Theude-bald versuchten an Neckar und Donau eine eigene Herrschaft, ihr >regnum< zu etablieren.

Dieser theodisce Süden des austrasischen Frankenreichs stand dabei dem Machtanspruch des Zwei-

ten Pipin und der Seinen vom Niederrhein, der holländischen Waal, abweisend entgegen. Theodisce

versus walhisce ist demnach nicht nur ein allgemein-semantischer sondern vielmehr ein durchaus zu

personalisierender Gegensatz in der Zeit um 700 n.Chr. Er verkörperte nicht nur eine sprachliche

sondern ebenso sehr eine durchaus realpolitische und wohl auch ethnisch-dynastische Gegnerschaft

in den Jahren um 700. Sowohl theodisce wie auch walhisce sind dabei personal deutlich faßbar.

„Die Mosa entspringt in dem Land der Lingonen auf dem Berge Vosegus, und nachdem sie sich mit

einem Rheinarm, dem Vacalus, vereinigt hat, bildet sie die Insel der Bataver und nicht weiter als 80

000 Schritte vom Ozean entfernt, fließt sie in den Rhein“. So schreibt Gaius Julius Caesar in seinem

Gallischen Krieg331.

Damit sind wir mitten in >walhisce< gelandet. Jene Zeilen sind die Gründungsurkunde, das Funda-

ment alles Walhiscen, Walchen, Welschen, Wallonisch und Welsischen. Selbst der bairische Waller

und sein schriftdeutscher Kollege der Wels finden dort und nirgendwo sonst ihre etymologische Flos-

se. Auch sie sind keine ur-keltischen Schwimmer in bayrischen Flüssen und Seen. Allem ur-

völkischen Gethümel deutscher Historik zum Trotz. Das Kelten-gethümel um Walches und Welsches

als dem vermeintlichen Sprachrest mediteraner >Volcae< ist selbst ein Überbleibsel der völkisch ver-

seuchten deutsch-preussischen Geschichtsinterpretation des 19. Jahrhunderts.

331 IV, 10

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95

Aus Caesars >vacalus< wurde sprachentwicklungsgeschichtlich >vahalis<, darauf folgte jenes >val-

hisce< woraus die Holländer dann ihre >Waal< als einen Unterlauf des Rheins und insgesamt die

>Valen< in Mehrzahl gebildet haben. Wer von dort stammt, besonders aber von der Waal, dem Vaha-

lis, ist ein Valhiscer, ein Walch, Wallone und Welscher. Nicht längst vergessene Kelten von der Mit-

telmeerküste aus dem Stamm der Volcae sind dabei ihre Namensgeber sondern der val-hisce Mün-

dungsarm des Rheins, die Waal.

Ein fast noch antiker Autor, Sidonius Appolinarus schrieb um 480 n.Chr. von den „Barbaris ad Vaha-

lim“ 332 und meinte damit die frühen Franken am Niederrhein, an der Waal.

Diese durchfließt den >ripuarischen< Gau der Franken. Dort wo einst Caesar die Bataver und Apolli-

naris die fränkischen Barbaren lokalisierte sind nun >um 700< die Pipiniden zu Hause. Köln, in jener

Epoche die größte Stadt nicht nur in Auster-Franken war ihre Metropole.

Doch nicht nur am waal-hiscen Niederrhein besaß diese Sippe Ländereien, Klöster und Städte. Auch

an anderen Valen waren sie seit langem und reich begütert. Entlang der oberen Maas und ihrer Zu-

flüsse erstreckte sich das Stammland des Hauses Pipin. Nach seinen Gütern Herstal um Lüttich und

Landen nahe Brüssel wurde der Zweite Pipin auch >von Landen< oder >von Herstal> genannt. In

Stavelot am Hohen Venn in den Ardennen stand ihr Hauskloster Stablo. Grund und Landgüter zur

Gründung des Klosters Echternach an einem Zufluß der Mosel konnte Pipin von Landen großzügig

aus eigenem Besitz verschenken. Aachen, die spätere Kaiserstadt liegt inmitten Pipinischer Besitzun-

gen. Auch Tongern die vermutliche Heimatstadt des düsteren Hagen von Tronege im >liet der Gibe-

lungen< liegt in Pipinischem Stammland.

Doch waren die ribwarischen Pipiniden deshalb auch die Valhiscen und Walchen ?

3. Der walhisce Hammer „Carlo“

Der mittlere Pipin war als sogenannter Hausmeier zum nahezu unumschränkten Herrscher der Fran-

ken aufgestiegen333. Ein Jahrhundert war inzwischen seit dem großen Putsch seines gleichnamigen

Großvaters vergangen. Sein Auster unterschied sich inzwischen sehr fundamental von jenem welches

Gregor von Tours einst definiert hatte und war nun auf seine östlichen Provinzen reduziert. >Die Fran-

ken< werden dabei stets wie im Gegensatz zu ihm und seiner Herrschaft erwähnt. Zur formellen Legi-

timation seiner Macht hielt sich der Zweite Pipin die Nachfahren der Merovinger-Könige als Titular-

attrappen in deren Namen er vorgab zu regieren. Er setzte auch jeweils bei >den Franken< deren

Palast-ersten ein. Einer von diesen trug den poetischen Namen Glanz des Nordens – Norde-bert. Er

wahrte bei den Franken in Paris die Interessen des austrasischen Pipin. Dessen Verbindung mit den

nördlichen Angelsachsen scheinen häufig durch die Berichte der Chronisten.

Mit Pipins Tod im Jahr 714 geriet die Vormachtstellung seiner Sippe jedoch in Gefahr. Noch auf dem

Sterbebett hatte der greise major domus und „vir illustris“334 dem Enkel Theodoalt die Macht und die

332 zit.n. J.v. Aschenbach 333 ca. 680- 714 n.Chr. 334 Dies ist einer der Titel den dieser Fürst ohne ruhmvolle und alt-edle Ahnen trug.

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>Walt< 335 über das Recht im Reich der Franken „...auf Befehl“ übertragen336. Dies galt sowohl für

Auster als auch für >die Franken< womit stets das andere Teil-reich Neuster-Burgund gemeint war.

Der illustris Pipin hatte seinen aus einem g’schlampeten Verhältnis stammenden Sohn Carlo in der

Erb- und Nachfolge dabei ausdrücklich übergangen. Dieser „schöne, treffliche und tapfere“ Sohn337

erschien dem Vater offensichtlich nicht geeignet um seine Nachfolge als Palast-Erster im Reich der

Franken anzutreten. Weshalb wissen wir nicht. Wir können nur spekulieren.

Er war ein illegitimer Sohn des toten Pipin und entstammte einem Konkubinat, einer sogenannten

Friedelehe oder Ehe zur linken Hand. Vielleicht war es eine nicht-fränkische Herkunft der Mutter des

Carlo vielleicht auch seine illegitime Kindschaft die ihn von der Erbfolge ausschloß. Nach dem

Rechtsverständnis jener Zeit galt der uneheliche Sohn einer Freien mit seinem Vater als nicht ver-

wandt. Nur die Sippe der Mutter, die sog. Spindel-magschaft konnte ihm deshalb auch Rechtsbeistand

und damit Rechtsschutz verbürgen338. Den Namen „Carlo“ hatte ihm sein Vater „nach der Mutter

Sprache“339 gegeben. Dies aber legt nahe daß diese Frau keinen fränkischen Dialekt sprach, diese

Notiz ergäbe sonst keinen Sinn. Mit >Ceorl< wurden die freien Krieger der Angel-sachsen benannt,

Karl/Kerl ist seine deutschsprachige Entsprechung. Der Freie als Carlo läßt demnach auf eine säch-

sich sprechende Mutter schließen. Gelegenheit für eine sächsische Liaison hatte Pipin während seiner

Kämpfe mit diesem Volk am Rhein vermutlich ausreichend gehabt. Auch seine Verbindung zu den

Angelsachsen sind evident. Vielleicht war auch jener Günstling Norde-bert ein verschwägertes Clan-

mitgliedvon der nördlichen Insel. Weshalb sollte Pipin nur angel-sächsische Missionare in sein Erzbis-

tum Utrecht und zu den Sachsen nach Nordhessen geholt haben? Auch Carlos Mutter Chal-paida340

könnte durchaus eine edle Angel-Sächsin gewesen sein.

Nach dem Tod des Zweiten Pipin übernahm seine Witwe Plectrudis „mit ihren Enkeln und dem König

die gesamte Regierung in kluger Weise“. So beschreibt die Chronik Taten der Frankenkönige den

Fortgang der Geschichte im Jahr 714341. Wieder ist eine Frau zur Regentin der Franken aufgestiegen,

ein Jahrhundert nach der bestialischen Ermordung Brunihildes. Auch sie führt die Regierungsgeschäf-

te für ihre(n) Enkel. Eine der ersten Taten dieser klugen Frau scheint darin bestanden zu haben den

„trefflichen“ und „schönen“, jedoch illegitimen Carlo einzubunkern.

Doch >die Franken<, damit sind jene außerhalb des austrasischen Reichsteiles gemeint, revoltierten

zur selben Zeit gegen die kluge und edle Frau Plectrudis und ihre Herrschaft. Nicht jedoch jene ent-

lang der Waal im ripuarischen Gau und in Köln. Im ausbrechenden Bürgerkrieg unterliegt Plectrudis

und ihres Enkels Heer den rebellierenden >die Franken< und deren neu gewähltem Hausmeier Ra-

gamfred. Nur die Flucht rettete den Pipiniden ihr Leben. Dies ist die Chance für den eingelochten Car-

lo. „ In diesen Tagen entkam Karl durch Gottes Beistand aus der Haft, in der er bis dahin von der Frau

335 Der >Walt< ist der Whrer des Rechts, der Justizminister der germanischen Gesellschaft. =Deutsche Rechtsge-schichte. 336 Taten d. Fr.-Kön. 50 337 Taten 49, F. Fr. 6 ) 338 Deutsche Rechtsgeschichte 339 F.d. Fredegar, 6 340 >Chal< zu Ceorl wie Carl ? Die >Freie<-paida ? 341 Kap. 51

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Plectrudis gehalten worden war“342. Wo dies geschah wird nicht berichtet doch die Umstände legen

Köln nahe.

Der nun in doppeltem Sinne Freie Carlo nahm jetzt den Kampf um das ihm verweigerte Erbe seines

Vaters Pipin auf. Ein Mann undefinierbarer Abstammung, ohne eigene Sippe und damit so gut wie

rechtlos nach den Begriffen seiner Zeit. Ohne Ahnen und väterliche Magschaft, den Schwert-magen

die als Eideshelfer seine Bürgen sind und dadurch Rechtsfähigkeit erst herstellen konnten343.

Namenlos und auf eigene Faust (lat.=suo marte) begann er sich mit den Mitteln des Krieges (=lat.

Martialis ) seinen Anteil am Pipinischen Erbe zu erstreiten. Dieser nur >Freie< wird dabei wirklich zum

Hammer auch wenn dieses sein Attribut eine Fehlübersetzung darstellt. Zuerst überrollte er den legi-

timen Zweig seiner väterlichen Sippe mit seinen eigenen Kriegern. Pipins Enkel „Theudowald und die

Leute Pippins und Grimowalds“ wurden von ihm besiegt344. Der Alleinerbe Theudewald muß nun vor

seinem illegitimen Oheim Carlo fliehen. Er findet sich später um 723 gut verwahrt am Hof des siegrei-

chen Carlo wieder345. Er ist das erste >theodisce< Opfer des Freien Carlo. Theude-valt hatte wie der

verstorbene Pipin II. wohl ebenfalls noch im Namen des verstorbenen Merovingerkönigs Theude-rich

III. gewaltet im Reich der Franken. Gut vorstellbar daß der Machtkampf zwischen Theude-valt und

seiner Oma einerseits und dem Freien Carlo auf der Gegenseite mit der Parole >hie theudisce - hie

valhisce< geführt wurde. Der Ilegitime von der Waal dabei als der Empörer und Ursupator, als der

Valhisce – der Walch.

Dieser zieht nun nach Paris der heiligen Hauptstadt der Franken seit Augustus Chlodovech. Wer die

Ille de France besaß beherrschte auch >die Franken<. Gleichgültig ob diese neustrisch, theudisch

oder austrisch genannt wurden. Paris ist realer und spiritueller Mittelpunkt im Reich der Franken jener

Epoche. Im ersten Anlauf kam Carlo jedoch nur bis vor die Mauern dieser fränkischen Metropole. Zu

ihrer Eroberung fehlten ihm (noch) die militärischen Mittel. „Darauf kehrte er nach Köln zurück und

nahm die Stadt“346. Die ripvarische Hauptstadt der klugen Frau Plectrudis am Rhein wurde zur Beute

des Carlo. Wurde jetzt ihr büßender Namensinhalt real347 ? Die Witwe des Zweiten Pipin „öffnete“ nun

Carlo „die Schätze seines Vaters und übergab sie ihm und unterwarf alles seiner Herrschaft“348. Damit

war Carlo der Freie Herr im Hause Pipin geworden. Alle Besitztümer Pipins an der Waal, der Maas

und anderen Valen 349fiel nun an ihn. Der waal-hisce Carlo hatte den theodiscen Familienzweig erfolg-

reich aus der Herrschaft verdrängt. Gleichgültig ob er seinen Namen schon in dieser innerfamiliären

Fehde oder erst später erhielt, Carlo der Freie vom Niederrhein wurde zu dem von der Waal, der

Walch, der Wallone, latinisiert als walhisce. Als solcher eroberte er sich die Herrschaft im Franken-

reich.

Zum Fürsten, dem Princeps und Ersten wie ihn die Chronisten bebennen, war er geworden auf eigene

Faust (=suo marte) und mit den Mitteln des Krieges (=martialis). So wurde er zu Carlo Martell miß-

342 dto. 343 Lehrb.Rechtsgesch. 344 Fortsetzer d. Fredegar, 8. Dies dokumentiert zugleich Putsch Nr. Drei eines Pipiniden 345 Felix Dahn 346 F.Fr.10 347 lat. plector= büßen, trudis= die Herrin 348 F.d.Fredegar 9 349 Die >Waal< ist ein Rheinarm der durch Holland fließt, >Valen< ist Plural

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interpretiert - der Hammer. Schon seine Zeitgenossen mögen ihn zwar als einen solchen empfunden

haben, trotzdem ist diese Deutung nicht sinngemäß.

Die Chronik berichtet weiter: „ Nun erhob er für sich einen König mit Namen Chlothar“350. Nomen est

omen ! Der erste Träger dieses Namens, Chlothar I., hatte nach 555 jenes theodisce >Reich des

Theuderich< an sich gerissen. Der Zweite Chlothar wurde zum großen Gewinner des Staatsstreiches

von 613 der vom ersten Pipin mitorganisiert worden war. Damals war Brunichilde mit ihrer gesamten

>theudischen< Familie diesem Chlothar II. zum Opfer gefallen und mit ihrer gesamten Familie bestia-

lisch ermordet worden. Der Dritte Chlothar nun stand als sichtbares Zeichen für das Programm des

waal-hiscen Carlo. Dieser pochte auf das >theudische< Erbe sowohl in der eigenen Sippe als auch im

Reich der Franken. Mit seinem eigenen Titular-könig und in dessen Namen zog der Freie Carlo von

der Waal fortan gegen alle und alles in die weiteren Schlachten um die Vorherrschaft über die Fran-

ken. Ab jetzt nicht mehr nur suo marte, auf eigene Faust, sondern für seinen König der Franken, den

Dritten Chlothar. Aus den Pipiniden wurden die walhiscen Carlo-inger.

Als erstes galt es nun Paris zu erobern. Dort hatten sich >die Franken< einen der ihren, den von Pipin

zuvor verbannten “Geistlichen Daniel“ zu ihrem König mit dem Namen Chilperich erhoben351. Daniel-

Chilperich aber war mehr als nur ein Titular-König. Er war ein echter Merovingersproß aus dem Hause

Chlodovech. Der schon erwähnte Ragamfred blieb Hausmeier auch dieses Königs der Franken. Ge-

gen diese beiden führte nun der waal-hisce Carlo seinen nächsten Schlag. Sie mußten Paris räumen

und zogen sich nach jenseits der Loire zurück. Den „königlichen Schatz“ sowie „das Reich und viele

Geschenke“ übergab der geschlagene König Daniel-Chilperich an >Eudo<352 einen Fürsten von jen-

seits der Loire. Dieser war zuvor mit einem starken Heer das auch Truppen aus Waskonien ent hielt

dem rechtmäßigen Merovingerkönig zu Hilfe gekommen353. Das >Reich< aber welches nun er über-

tragen erhielt bedeutete die Herrschaft, das regnum über >die Franken<. Fürst (Th)Eudo war somit

vom echten Merovingerkönig zum legitimierten Herrscher über das Frankenreich eingesetzt. Der

Waal-hisce hingegen war noch immer ein Empörer auf eigene Faust, der mit den Mitteln des Krieges

zur eigenen Macht strebte, Carlo Martelus.

Ausgestattet mit >dem Reich< sowie dem Staatsschatz zog (Th)-Eudo sich nun über die Loire in die

Aquitania zurück. Ihm mit dem Heer über den Fluß nachzusetzen war der walhisce Carlo Martelus

militärisch (noch) zu schwach. Er bot deshalb dem Aquitaner unter einer Bedingung seine Freund-

schaft an354: Carlo wollte >nur< den geblütsrechtlich legitimen Merovinger-König Daniel-Chilperich in

seine Obhut nehmen, danach sollte (Th)-Eudo jenseits der Loire völlig unbehelligt bleiben.

Der Aquitaner-Fürst ging auf diesen Handel ein und so erhielt der valhisce Carlo „...durch seinen Bo-

ten vom Herzog Eudo den vorgenannten König Chilperich “ überbracht355. Damit hatte der Freie den

echten Merovinger als Aushängeschild und Titular-Herrscher erworben. Gleichzeitig wurde von seinen

Chronisten der Fürst und Princeps (Th)Eudo sprachlich als >Herzog< und damit zu einem abhängigen

350 F.d.Fr. 10 351 Taten der Frankenkönige, 52 352 Mit einem aus berechnender Absicht unterlassenen Federstrich wäre ein gotisch definierter Thiuda/Theodan (=Herrscher) aus der einst Wisigotischen Aquitania von jenseits der Loire als ein fränkischer (Th)-Eudo un-kenntlich zu machen gewesen. Nomen est ... 353 Taten 57+ F.d.Fredegar10). 354 Taten 5 355 F.d. Fr. 10

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und nachgeordneten Amtsträger deklassiert356. Nomen est ... ! Folgt man der These einer aus Eigen-

interesse erfolgten Namensverkürzung von Theudo zu Eudo so wäre dieser königlich legitimierte A-

quitanier-Herrscher ebenfalls zum personalisierten >theodisce< in den Jahren >um 700< zu zählen.

Das Deutsche jener Epoche bekäme dadurch eine weit deutlichere Kontur. Trotzdem aber verlieren

Th-Eudo und seine Herrschaftsregion jetzt unser Interesse. Selbst wenn er ein thiudisch-gotischer

Herrscher und Theodan gewesen sein sollte war seine einst theudisch-austrasische Aquitania bereits

unumkehrbar auf dem Weg der Romanisierung und deshalb für unser Deutsches nicht mehr aktuell.

Auch auf diesen frühen Anteil von jenseits der Loire muß unser Objekt des Interesses von nun an

verzichten

So wie dies einst auch Augustus Chlodovech zwei Jahrhunderte zuvor schon getan hatte residierte

nun der walche Hammer Carlo nach einem Großen Sieg in Paris und der Ille de France. Im Besitz des

echten Merovinger-Königs hatte sein eigener Titularkönig Chothar III. bald ausgedient. Noch „in die-

sem Jahr starb König Chlothar“, vermeldet die Chronik lapidar. Dem Krieg zugehörig (=martialis) un-

terwarf sich der Freie Carlo nun weiterhin Provinz um Provinz im Reich der Franken entlang von

Rhein, Rhone und Donau. Jenseits der Loire aber blieb Th-Eudo tatsächlich unbehelligt357.

Rund um seine ripuarisch-waalhisce Heimat begann Carlo sich zuerst Respekt und Macht zu ver-

schaffen. Die Friesen bedurften als Erste eines Dämpfers. Sie hatten zuvor selbst gegen den Waal-

hiscen Front gemacht und waren König Daniel-Chilperich und dessen Hausmeier Ragamfred mit ei-

nem Heer gegen Carlo wirksam beigestanden. Nun traf sie des Freien Carlos Rache. „Mit einer gehö-

rigen Anzahl von Schiffen“ unternahm der „...oben genannte Fürst einen kühnen Seezug...“ gegen

“...dieses wilde Seevolk...“ und kehrte „...mit viel Beute ins Frankenreich zurück“358.

Das verblüffende an dieser Schilderung ist die Seefahrerkunst des Walhiscen Carlo, auch sie gibt

einen indirekten Hinweis auf seine nicht-fränkische Herkunft mütterlicherseits. Seefahrer war er wohl

schon vor seiner Empörung gewesen. War sein Mutter Chalpaida zwar „... von edler Abkunft und

schön “359 gar eine Friesin gewesen ? Auch Pipins legitimer Sohn Grimoald, Carlos Halbbruder hatte

ja eine Friesenprinzessin als Kriegsbeute zur Ehefrau. Sollte Vater Pipin etwa doch nicht nur Krieg in

Friesland geführt haben ? Die valhisce Waal trennte alt-friesisches Land von den Franken und fließt

an friesischer Küste ins Meer. Sowohl einer namenlosen aber Freien Frau aus dieser Gegend wie

auch ihrem unehelichen Sohn würde beiden der Name >die Waal-hiscen< in Franken keine Schande

gebracht haben. Selbst der Name Carlo als >der Freie< würde in diese Landschaft passen da Alt-

friesisch dem Alt-sächsichen Ceorl sprachlich als nahe verwandt eingestuft wird. Doch zum Palast-

Ersten der Franken war diese Herkunft allem Anschein nach doch etwas zu anrüchig gewesen.

Nach den Friesen nahm sich der Freie Carlo von der Waal die Sachsen zur Brust. Entlang des rechts-

rheinischen Ufers waren diese inzwischen heimisch und frech geworden, „... so überzog sie Karl mit

Krieg ..., unterwarf sie und kehrte siegreich zurück“360. Entlang der Lippe war er dabei bis zum Teuto-

burger Wald vorgestoßen.

356 Taten 53 357 Erst die bald darauf erfolgenden Eroberungszüge der muslimischen Saraszenen brachten Carlo und (Th)-Eudo wieder zusammen 358 F. d. Fr. 17 359 F.d.Fr. 6 360 F.d.Fr. 11

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Jetzt mußten die Alamannen und dieSchwaben ran. Danach rückte er „...über die Donau in „bairisches

Gebiet“ ein (um 723). Nachdem er „...dieses Land unterworfen hatte kehrte er mit großen Schätzen...“

sowie zwei geblütsrechtlich wohl sehr hochstehenden Edeldamen als Beute nach Hause und an den

Waal-hiscen Rhein zurück361.

Die Friesen, die Sachsen, die Schwaben, die Alamannen, die Burgunder und nun bloß >bairisches

Gebiet< ! Gab es etwa >die Baiern< gar nicht ? Nur ein >Land< welches diesen Namen trug und vom

Walch erobert worden war?

4. Theoto Deutscher Herrscher in bairischem Gebiet ?

In diesem bairischen Gebiet herrschte damals ein Princeps Theoto362, seine Lebensdaten sind nur

fragmentarisch überliefert. Seine Söhne trugen als Erben und Nachfolger die Namen Theot-pert und

Theod-olt. Sie alle sind geradezu eine Verkörperung des >theodiscen< Gegenpols zu >walhisce<.

Die Alamannen hatten in jenen Jahren die Brüder Lantfried und Theude-bald zu Herzogen. Mit der

Familie des Ersten und Fürsten Theoto waren sie durch Heirat verbunden. Ob der Princeps im bairi-

schen Land ihr Schwager oder ein Mutters-Bruder war vermag die Historik nicht zu bestimmen doch

eine Verschwägerung ist unbestritten. Sie alle bildeten gemeinsam eine Theodisce Front enlang der

schwäbischen Alb und der Donau gegen den waalhiscen und Freien Carlo und seine gewaltsame

Machtergreifung im Reich der Franken. (Ihre Namensgebung läßt unwillkürlich an (Th)-Eudo von jen-

seits der Loire denken.)

Sowohl bei dem Kriegszug in >bairisches Gebiet< wie auch bei den Kämpfen gegen >die Alamannen<

und >die Schwaben< ist die Gegnerschaft des walhiscen Carlo eindeutig als eine Theodisce zu defi-

nieren. Hie walch - hie theodisc wäre auch in einer Schlacht zwischen Carlo und alamannisch-

bairischen Kriegern eine best-denkbare Parole gewesen.

Zuerst im Jahr 714 Theud-valt versus Carlo – kurz danach (Th)-Eudo gegen Carlo und nun um 720/25

der Freie von der Waal gegen Theoto, Theot-bert, Theod-olt und Theude-bald ! >theodisce< versus

>walhisce< in den Jahren >um 700< ! Diese Alamannen, Schwaben und Baiern möglicherweise auch

Aquitanier und Waskonen als die Verkörperung jenes Deutsch das sich um 700 in seinem Gegensatz

zu walhisce selbst definiert und findet ?

Der Schwerpunkt des theudisch-theodiscen Widerstandes gegen den Freien Carlo von der Waal die-

ser Jahre läßt sich zumindest in Auster-franken eindeutig in der Südostecke des fränkischen Reiches

lokalisieren. Dies gibt dem theodiscen Gegenpol des walhisce einen von der Historik bisher nicht be-

achteten Aspekt. Deshalb sei die pauschale These gewagt daß jenes theodisce von >um 700 < in

Baiern Zuhause war. Besiegt und erobert wird es um 723 von Carlo Martelus. Entsprechend der Sitte

und dem Brauch jener Zeit wurden durch Krieg unterworfene Völker wie Einzelpersonen zur Beute

des Siegers. Dieses Recht des Siegers war unbestritten, auch für die Unterworfenen selbst. Als

Kriegsbeute wurden sie zum persönlichen Besitz des siegreichen Heerführers - zur Sache. Als Knech-

te und Sklaven ihres neuen Herrn wurden sie dessen Eigentum wie Land, Burgen, Flüsse, Wälder und

361 F.d.Fr. 12 362 In Langobardischer Schreibweise wird sein Name als Teudo und/oder Teuto notiert.

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Seen, Jagd- und Bergrechte, Pferde, Hunde und Herden. Alles was im Krieg erobert wird ist Privatei-

gentum des Siegers363 und erhält auch meist dessen Name. So wird wird auch Theotos >bairisches

Gebiet< mit walchen Stützpunkten und Siedlungen überzogen.

Nach 715 heißt dieser Sieger fast überall im Reich der Franken Carlo Martelus. Provinz um Provinz

unterwirft er auch die Theudischen, macht sie zu seinem Eigentum, seinen Knechten. Dieser Knecht

ist ein ein Thiud - Diot - Thiade - Diet, je nach Dialekt. Carlo gierte zwar nach der Macht des Theudi-

schen, doch in Person macht er sie dann zu seinem persönlichen Eigentum und Knechten. Auch das

von ihm unterworfene Theudisch-theodisce Deutsch hat seinen Anteil am diot und Synonym für unfrei,

recht- und besitzlos - eben für Knecht. So gerät der sprachliche Überrest des einst Gott-Kaiserlichen

ein weiteres Mal als Kriegsbeute in die Knechtschaft der Franken. Diesmal durch den Freien Carlo

von der Waal und seine ripuarisch-walhiscen Erben. Der theodisce Diot steht jetzt in direktem und

personalen Gegensatz seinem waalhiscen Herrn im Reich der Carlo-inger-Franken gegenüber. Nicht

mehr ein kaiserlicher Theude-franke aus dem Haus des salischen Meroving ist wie bisher sein Herr

sondern ein ribwarischer Walch. Sprachhistorisch aber wirkt dieser semantische Bedeutungswandel

insofern deformierend da ja die älteste Wurzel des Deutschen in dieser Zeitschicht um 700 vermutet

wird.

Im sprachgeographischen Erbe hinterläßt jene Epoche und die walhisce Eroberung ebenfalls deutlich

ihre Spuren. Von Walcheren in der holländischen Scheldemündung bis Wallers und Valen-ciennes an

ihrem Oberlauf bei den Wallonen, von dort bis zu den Walliser Alpen im Rhonequellgebiet und hinüber

zur leicht verstümmelten Wachau (=Walch-au) an der Donau dokumentiert sich die Landnahme dieser

walhiscen Eroberer. Der Wall-gau und Walchen-see, Walch-stadt und Welch-ingen, Wall-dorf, Wellen-

dingen und Walen-see, sie und andere unzählige walhisce Orts- und Landschaftsnamen zeigen ihren

Besitzerwechsel unter walhiscer Carlo-ingischer Herrschaft noch heute auf. Karl der Große wird sie

etwas später bis an die Elbe und darüber hinaus weitertragen. Die Wallonen dürfen getrost als kollek-

tive Nachfahren der frühen waal-hiscen gelten. Und selbst der Waller im Walchensee schlenkert mit

Carlo-ingischer, nicht mit keltischer Flosse.

Mehr als zweihundert walhisce Ortsnamen zeigt noch heute ein gewöhnlicher Autoatlas im Maßstab

1:300000 allein in Deutschland auf. Siegreich und dauerhaft muß diese namensgebende Besitznahme

und herrschafts-bezogene Übersiedlung gewesen sein. Nur ein Sieger schreibt seine Geschichte so !

Wie zweihundert Jahre zuvor die schwäbisch-alamannische Übersiedlung dem Land sein -ing/-ingen

Suffix aufgeprägt hat ist es nun die walche Okkupation welche im achten Jahrhundert ihre sprachgeo-

graphische Hinterlassenschaft in Auster-Franken landschaftsprägend hinterläßt.

Die walchen Carlo-inger aber sind explizit keine theodiscen Deutsche, sie definieren sich selbst gera-

de im und als ein walhiscer Gegensatz zum Theodiscen ! Das einst göttliche iudi des Wulfilas‘ ver-

bringt seine Tage jetzt als ihr Diot364.

Seine Sprache in seiner auster-fränkischen Heimat-region aber ist sogenannt lautverschoben und

unterscheidet sich dadurch ebenso vom Fränkischen seiner Herren wie auch dem Alt-Sächsisch oder

363 Lehrbuch Dtsch.Rechtsgeschichte 364 Das Wort >Sklave< wurde erst populär nachdem die „Sklavenier“ = Slawen in großem Umfang ebenfalls von

den Franken unterworfen waren.

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Alt-Friesisch. Jenseits der schwäbischen Alb findet jedoch auch das Gotische sowie das Langobardi-

sche im sprachkulturellen Erbe der dort Lebenden seinen Niederschlag. Nicht nur in der Sprache son-

dern auch im Namensbild der dort um 700 herrschenden Dynastie ist dies deutlich sichtbar. (Theoto,

Theot-pert, Theod-olt, Theude-bald ) „Theodan“ ist die Langobardische Variante des gotischen iu-

dan für Herrschaft365. Theoto also ist der Herrscher in Person - Titel und Name sind eins! Dies gilt für

den Theoto im >bairischen Gebiet< wie vermutlich ebenso für seinen Kollegen (Th)-Eudo von jenseits

der Loire in der Aquitania366. Das >theodisce< aus der Zeit >um 700< manifestiert sich auch in einer

gotisch-langobardisch motivierten Namenswahl der Herrscher an Der Herrscher Theoto an Donau und

Inn nennt sich selbst Princeps, er ist Erster unter Gleichen und Fürst. Nur die fränkischen Chronisten

machen ihn zu einem untergeordneten (Amts-)Herzog. Theoto aber ist die Personifizierung des goti-

schen Wortes iudans, des Herrschers. Theoto ist sein langobardischer Sprach-kollege. Er ist der der

herrscht, der Herrscher in Person – der Theoto. Dasselbe würde für (Th)-Eudo in der Aquitania gelten.

Auch dort war die gotische Sprache und iudan heimisch. Der erste Franke der dort zur Herrschaft

kam wurde denn auch prompt zum iude- und Theude-rich (=um 706).

Der bairische Theoto war ein Zeitgenosse und Rivale des Zweiten Pipin. Beide versuchen zeitgleich

um 700 ihre jeweilige Regional-Herrschaft auch zu einer autonomen Kirchenprovinz zu gestalten.

Pipin in dem von ihm eroberten Friesland mit seinem Utrecht, Theoto im bairischen Gebiet und Re-

gensburg/Passau. Beide erhielten den päpstlichen Segen aus Rom für ihre jeweiligen Metropolitan-

oder Erz- Bistümer. Eine autonome Kirchenprovinz aber machte in jener Epoche schon den halben

Staat.

Während Pipin II. und noch stärker sein illegitimer aber Freie Sohn Carlo von der Waal jedoch die

Macht im Gesamtreich der Franken anstrebten war es die deutlich erkennbare Absicht des Theoto in

Baiern sich von den Franken abzulösen um ein autonomes, sein theodisces Regnum für sich zu etab-

lieren367. Analog dazu ist auch die Haltung des aquitanischen (Th)-Eudo zu sehen Diese Ablösung

geschah jedoch nicht in Gegnerschaft zu den Königen aus der Merovinger-dynstie. Erst als diese

durch die Pipiniden entmachtet und/oder gestorben waren verweigerte Theoto seine Gefolgschaft.

Jedoch nicht >den Franken< sondern lediglich den walhiscen Hausmeiern die als Emporkömmlinge

ohne Adel und fürstliches Geblüt auf eigene Faust die Macht im Reich der Franken selbst usurpiert

hatten. Ihre Herrschaft begründete sich allein auf Gewalt und sie strebten nach der Herrschaft im Ge-

samt-reich der Franken. Die defensive Zurückhaltung der beiden >Thiudans< in Baiern und der Aqui-

tania die lediglich für eine regionale Autonomie kämpften lies sie letztlich an dem Waal-hiscen Pipini-

den und Eroberer Carlo scheitern. Trotzdem verkörpern sie wohl beide Theoto wie Th-Eudo jenes

theodisce welches um 700 den personalen Gegenpol zu walhisce bildete.

Es war der bairische Fürst-Herrscher-Theoto der durch die Heirat seiner Tochter oder Schwester in

das schwäbische Herzoghaus seinen theodiscen Einfluß erweiterte und so die ober-deutsche Front

gegen den walchen Carlo Martelus zu festigen suchte. Seine politisch-dynastischen Verbindungen zu

365 Bruckner. Das Schwinden des >s< im Ablaut ist sprachgesetzlich bedingt 366 Als ein >Tudun< regiert er in der nordwestlichen Region der Avaren z. Zt. Des Großen Karl 367 Zeitgleich mit Theotos Bemühen hatte sich auch in >Karantanien< eine autonome Herrschaft herausgebildet. Auch in dieser Region der ehemals >Bajanischen Avaria< hatte ein Fürstengeschlecht unter seiner eigenen Macht die dortigen Bewohner zu einem neuen Stamm werden lassen dessen „Ethnogenese ... etwa um 700 als abgeschlossen angesehen werden“ kann (n. E. Szameit in Hunnen +Avaren). Nicht nur an Donau und Inn hatte sich im Machtschatten zwischen Franken und Avaren eigenständige und regionale Herr-schaften herausgebildet.

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den Langobarden sind ebenfalls gut belegt. Seine Enkeltochter Gunt-trude (=Kampf und Herrin) war

Gemahlin des Langobardenkönigs Luitprand (712-744 ) geworden. Dieser selbst hatte zuvor im bairi-

schen Gebiet im Asyl gelebt. So verband ein theodisces Bündnis dieseit und jenseits der Alpen die

Gegner des Walchen Carlo. Die sprachkuturelle Verwandtschaft erleichterte dabei das Verständnis.

Die Eroberungszüge der muslimischen Saraszenen die das Reich der Franken wie auch die Lango-

bardische Italia gleichermaßen bedrohten ließ jedoch auf Grund gleicher Interessenlage ein brüderli-

ches Bündnis zwischen dem Freien Carlo von der Waal und dem Langbart-Herrscher Luit-brand ent-

stehen. So verlor Prinzeps Theoto seinen transalpinen Rückhalt.

Ein Jahrhundert nach Fürst Theoto wird erstmals die „theudisca lingua“368, die deutsche Sprache, vor

einem und für ein bairisches Heer definiert werden. Die Sprache der Langobarden wird als „lingua

todesca“369 bezeichnet werden. So ist Theodisces um 700 auch definiert als seine Sprache. Diese

aber ist lautverschoben oder Elb-germanisch. Damit unterscheidet sie sich wesentlich von den fränki-

schen Dialekten. Wie sehr jedoch die theodisc-bairische Herrschaft jener Zeit auch mit gotisch-

theudischem Vorbild geliebäugelt hat zeigt nicht nur das Namensbild dieser Theoto-iscen Dynastie.

Der älteste „pactus legis Baiouariorum“, die erste Baiern-lex aus jener Zeit ist „...weitgehend auf

Grund des wisi- gotischen >Codex Euricianus< gestaltet worden“370. Dies aber ist um so erstaunlicher

da der damals schon vorhandene >Edictus Rotharii< der benachbarten Langobarden von den

Rechtshistorikern als „... allen anderen Volksrechten überlegen ...“ gilt371. Weshalb die theodiscen

Baiern ihr Vorbild im iudisk-wisi-gotischen Spanien statt dem sprach- wie dynastisch verwandten

Langobardien entlehnten muß doch verwundern. Weniger erstaunlich ist die dann nachfolgende Ü-

bernahme welche der theodisce Herzog Lantfried (709-730) für seine Lex Alamanorum von 723/25

aus dem ihm verschwägerten Baiern übernahm. So kam iudisch-wisi-gotisches Recht auch nach

Schwaben. Doch etwas weit Bedeutsameres kommt noch hinzu. In jener Epoche entwickelte sich im

bairisch-alamannischen Sprachraum eine spezifische Kirchen-sprache deren Eigen- und Besonder-

heiten „... sich am besten damit erklären ließ wenn man eine gotische Mission voraussetzen würde.“372

! Da eine solche jedoch nie stattfand sondern unter Theotos Herrschaft die so genannt >iro-

schottische Mission im Land wirkte muß dieser gotische Einfluß auf die lautverschobenen Dialekte des

Südens aus anderen Quellen gespeist sein. Es mag dahingestellt sein ob Theoto selbst in seiner Per-

son einen gotisch-stämmigen Herrscher repräsentierte den er in der Wahl seines Titel-Namens auch

charismatisch sichtbar werden lies oder ob größere Teile der von ihm beherrschten Bevölkerung des

bairischen Gebietes italo-gotischen Ursprungs war. Factum ist auch daß in jenen Jahren Wulfilas‘

Hoch-gotisch noch immer die einzig geschriebene Sprache unter allen Germanen-dialekten war ! Eine

volksnahe Kirche die auch auf deutsche Texte bei Lesungen und/oder in der Lithurgie zurückgreifen

wollte konnte dies nur in Wulfilas-gotisch tun. Es bedurfte also keiner gotischen Mission um die hoch-

gotische Schriftsprache als prägend wirksam werden zu lassen.

368 =Straßburger Eide von 842 369 =Mönch von Salerno 370 Deutsche Rechtsgeschichte, § 19 371 s.ob. § 8 372 R.E. Keller

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Mit dem endgültigen Sieg des walchen Carlo im Reich der Franken war es danach auch mit gotisie-

render Herrschaft im bairischen Gebiet vorbei. Princeps Theotos theodisce Söhne waren als Vasallen

und Amtsträger des Freien Carlo von der Waal bereits zu >Herzogen< der Franken deklassiert.

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4. Die Walchen werden Königliche und Eid-genossen

Bevor der walche Stammvater aller Karolinger im Jahre 741 n.Chr. stirbt teilt er zuvor noch sein val-

hisces Erbe. Wie schon seit den Zeiten des Augustus Chlodevech im Reich der Franken üblich so teilt

auch dieser Imperator auf eigene Faust von der Waal sein Erbe real unter den Söhnen auf.

Inzwischen war auch Burgund wieder Carlo-fränkisch geworden. Die Aquitania jenseits der Loire war

ebenso wie das bairische Gebiet vom Freien Carlo abhängig. Als Kolonie würde deren Status heute

wohl definiert werden.

Nach dem Tod des Carlo Martelus von der Waal wollten die Theodiscen es noch einmal wissen.

Ein Sohn jenes Aquitaniers Th-Eudo, er als ein Chuno-valt (=hunnischer-Walt) diffamiert und die Ala-

mannen unter der Führung ihres Herzogs Theude-bald sowie dessen Bruder Odilo als Erstem Fürst

und “Baiernherzog“373 versuchten noch einmal ihre theodiscen Ansprüche zu behaupten. Eine alte

Front ist noch einmal neu entstanden, hie walch - hie theudisch/theodisc. Die Brüder Odilo und Theu-

de-bald (=ein kühner Theode) waren mütterlicherseits Nachfahren des Princeps Theoto aus bairi-

schem Gebiet, sie waren seine cognastischen Erben und Nachfolger geworden.

Doch auch die Söhne des Waal-hiscen Carlo erwiesen sich als aus dem härteren Holz. Auch sie hie-

ben den theodiscen Widerstand nieder. Das Deutsche hatte damit seine letzte Chance gegen die

Walchen endgültig verspielt. Walhisce versus theodisce war zur vernichtenden Parole der Sieger ge-

worden.

Einer von Carlos Söhnen, es war der Dritte Pipin in Folge und genannt der Kurze wird dann im Jahre

751 von Bonifatius als dem Legaten des römischen Papstes und in dessen Auftrag zum König der

Franken gesalbt374. Zwischen der römischen Kirche und dem einzigen und noch immer römischen

Kaiser in Byzanz war es zuvor zum Konflikt gekommen. Der Papst war deshalb bereit sich vom ost-

römischen Kaisertum abzuwenden. Für eine tatkräftige Unterstützung gegen die in der Italia herr-

schenden Langobarden war der Nachfolger Petri sogar bereit den Emporkömmlingen von der Waal

das heilige Öl der Kirche zur Königssalbung im Frankenreich eigenhändig zu spenden. Damit konnte

zugleich das ebenfalls heilige und charismatische jedoch heidnische Königs-Heil der Merovinger-

Herrscher als ein vorchristliches Relikt eliminiert werden. An die Stelle des geblütsrechtlichen König-

heils würde so die >Gnade Gottes< und seines Stellvertreters auf Erden zum entscheidenden Cha-

risma bei der fränkischen Königswahl werden. (Dies ist zugleich der Beginn jener Omnipotenzansprü-

che die spätere Päpste gegenüber Königen und Kaisern Westeuropas geltend zu machen versuch-

ten.) Der Deal kam zustande. Der Papst selber machte sich zur Heiligen Handlung auf den Weg ins

Frankenreich. Noch einmal, und diesmal vom irdischen Stellvertreter des Allerhöchsten selbst wurden

der Dritte aber Kurze Pipin und auch seine Söhne vom Papst zu Königen aller Franken gesalbt

(7513). Gleichzeitig erhob er den Frischgesalbten zum >Patrizius< der Römer und bedrohte die frän-

kischen Großen mit der Exkommunikation falls sie vom neuen Königshaus der walchen Pipiniden je

abfallen würden solange dieses noch männliche Nachfolger herhorbringen konnte375. So wurde das

ripuarisch-walch-fränkische Königtum Pipins als ein sakrosantes etabliert ! Nur sein Familien-zweig

373 F.d.Frede 26 374 Zuvor hatte dieser >Apostel der Deutschen< in Auster-franken, dem Erbteil von Pipins Bruder Karlmann schon heftig missioniert.

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der Walchen wurde somit der Königliche und später als >die Hugonen<376 berühmt. Die Nachfahren

seines Bruders Karlmann verlieren sich im Dunkel der Geschichte377.

Neu-König Pipin erwies sich der verliehenen Ehre und Salbung für würdig. Er zog dem Papst mit ei-

nem fränkischen Heer über die Alpen gegen die Langbärte in Italien zu Hilfe.

Fast zeitgleich übernahm er auch den Reichsteil seines nicht päpstlich gesalbten Bruders Karlmann in

Eigenregie und machte sich so zum walhiscen Alleinherrscher aller Franken. Auch die Aquitania des

Th-Eudo von jenseits der Loire wird von ihm endgültig erobert und als königlicher Privatbesitz dem

Reich der Franken wieder eingegliedert. Wie üblich teilte auch dieser ripuarische Franken-König Pipin

vor seinem Tod 768 noch das Erbe. Die Söhne Karlo-mann II. und dessen älterer Bruder Karl erhiel-

ten je eine Reichshälfte. >Auster< bleibt dabei als Name und Teil-reich präsent. Deutsches ist nicht

vorhanden, der Thiutische noch immer der Knecht und diot. Auch dies eine Variante des polaren Ge-

gensatzpaares valhisce – theodisce nach um 700.

Ein neuer Begriff erscheint nun in den alten Texten. Waren die salischen Merovinger-Franken bisher

unter ihrem epischen Namen als die >Frakkr< bekannt gewesen so werden die königlich-ripvarischen

Walchen des Kurzen Pipin nun als die >Hugas< verewigt378.

Die Hugonen (=Eidgenossen)

Weshalb und/oder wodurch die Franken zu >Hugonen< wurden hat erstaunlicherweise die historische

Wissenschaft offensichtlich nicht interessiert. Die Feststellung daß dies als ihr >epischer< Name galt

reichte ihr aus. Ob mit >die Hugonen< jedoch möglicherweise eine bewußte Differenzierug innerhalb

jenes Volkes das üblicherweise mit >die Franken< apostrophiert wird vorgenommen wurde erscheint

ohne Bedeutung. Die Feststellung der Quedlinburger Annalen daß „ehemals alle Franken Hugonen

genannt wurden“379 war ausreichend.

Der Sammelbegriff Hugas ergab sich für die sächsischen Schreiber offenbar aus dem Namensbild

fränkischer Herrscher die in der Heldensaga des frühen Mittelalters mit Hugo verbunden wurden. So

gibt es einen Hugo-Theoderich als Gegenpol zu einem Amulunc-Theoderic welcher einst als Thideric

von Berne von den >Bauern< besungen ward380. Jene beiden Theode-riche die zeitgleich ab 506

n.Chr. um das Erbe der Römer im Westreich rivalisierten konnten Jahrhunderte später mit entspre-

chendem Präffix unterschieden werden. Ein >Hugo-< war so stets als ein Franke erkennbar. Mit der

zeitlichen Zuordnung hatten die Chronisten in Quedlinburg allerdings etwas Probleme. Sie führten

dieses Attribut zurück auf Hugo der Große und dessen Sohn Hugo >Capet< der 987 unter Mithilfe der

sächsischen Kaiser-witwe und Regentin Theophanu381 zum König der West-Franken gewählt worden

war. Doch dabei verwechselten auch sie Ursache und Wirkung. Nicht die Capetinger waren erste

>Hugonen< sondern sie wählten Hugo als >Leitname< weil sie damit ihren Anspruch auf das Erbe der

375 Nach F.Dahn 376 Dies gilt als der >epische< Name der Karolinger-Franken. 377 Möglich erscheint daß sie als jene >Drozza< die in der lex Baiouariorum als ein Fürstengeschlecht benannt sind weiterlebten. Drogo/Drago war ein oft gebrauchter Name im Hause Pipin, auch Karlmanns Erbsohn hieß Drogo. Aus seiner Familie die >Drozza< zu machen wäre sprachgeschichtlich korrekt. 378 N.W.Bruckner 379 W. Wattenbach 380 Widukind v. Corvey 381 Sie war als Prinzessin vom Byzantinischen Kaiserhof Gemahlin Kaiser Ottos II. geworden. Nach dessen Tod hatte sie als Regentin für ihren noch unmündigen Sohn Otto III. die Reichsgeschäfte im Ottonischen Imperium geführt.

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Karolinger alias >Hugas< im Westreich der Franken sichtbar zum Ausdruck bringen wollten. Es war

der Stammvater dieser Hugonischen Capetinger der als Graf Odo von Paris im Jahr 888 nach dem

Tod des Dicken Kaisers Karl III. sich selber als dessen Erbe und zum >König< der West-franken er-

hob. Doch auch er handelte nicht ohne Vorbild.

Jene >Bosoniden< die in Arelate schon 877 ein erstes vom Reich der Franken abgetrenntes Separat-

Königtum >Niederburgund< etabliert hatten beriefen sich ebenfalls auf einen Glänzenden Hugo als

Stammvater – Hug-bert. Dessen Schwester Theud-berga war verheiratet mit König Lothar der Zweite

dem Namensgeber für Lothar-ingien. Im Dienst seines königlichen Schwagers war dieser strahlende

Hugone zum Laienabt des legendären Klosters St. Maurice d‘ Agaune an der oberen Rhone in Bur-

gund geworden382.

Jene Welfen die mit ihrem königlichen und Kahlen Vetter Karl II. nach West-franken umgesiedelt wa-

ren machten ebenfalls >Hugo< dort zu ihrem Ehrenname383.

>Hugone< zu sein signalisierte im Erlöschen der Karolingischen Kaiserdynastie ganz offensichtlich

eine besondere Nähe zu diesem Haus. Doch auch schon zu Beginn der Carlo-ingischen Herrschaft

zeichnete ein Hug/Huc- manchen Träger diese Namens besonders aus. Im diutisken Süden, dort wo

um 700 die Fürstensippe des Theoto im bairischen Gebiet den theodiscen Gegenpol zu walhisce ge-

bildet hatte wurden die pro Carlo-ingischen Parteigänger schon früh zu >Hugonen< ernannt. Jener

Enkel des Theoto der zur eigenen Thronbesteigung den Waal-hiscen Carlo selbst ins bairische Gebiet

gerufen hatte (um730)384 wurde von den späteren Chronisten als ein Glänzender und zugleich Hugo-

ne verewigt = Huc-bert385. Ebenso wird jener Alamannen-fürst dessen Enkeltochter Hildegard zweite

Ehefrau des Großen Karl wurde als ein >Hugonischer< geehrt = Huoch-ing (= Hug-ing). Mit diesen

beiden zuletzt genannten Hugonen finden wir in zeitlich sehr nahe am Ursprung dieser Definition.

In seiner sprachlichen Bedeutung aber vermag uns ein neueres Beispiel das Verständnis erleichtern.

Die von Martin Luther reformierte Religionslehre der Christen fand auch im Frankreich des 16. Jahr-

hunderts viele Anhänger. Um sich vor Verfolgung zu schützen und selber auf das Staatsgeschehen

Einfluß nehmen zu können schlossen sich Frankreichs ketzerische >Calvinisten< zu einer politischen

Partei zusammen. Ihr Bund der >Eidgenossen< wurde daraufhin als die >‘huguenote<, die Hugenot-

ten bezeichnet.

Eine >Eidgenossenschaft< verkörperten jedoch nicht nur diese Hugenotten sondern ebenfalls die

fränkischen Hugonen des Mittelalters. In Pont-Hion, einer fränkischen Königspfalz die auch mit Ponte

Hugone übersetzt wird traf im Jahr 754 n.Chr. der römische Papst Stephan der Zweite mit einem Sohn

des Freien Carlo von der Waal, mit Pipin genannt der Kurze zusammen. Zweifacher Hoch- und

Staatsverrat stand dabei auf dem Programm! Der Papst war bereit die Interessen seines irdischen

Herrn und Kaisers in Byzanz zu verraten während der Kurze Pipin der Herrschaft der Merowinger-

Könige im Reich der Franken ein für allemal das endgültige Ende zu setzen entschlossen war386. Bei-

de Staatsverräter waren für den Erfolg ihres Vorhabens aufeinander angewiesen. Dabei war Gottes

Stellvertreter auf Erden in größerer Bedrängnis als der Kurze Emporkömmling von der Waal. In Italien

382 L. Boehm 383 Stammbaum n.K.Jordan 384 Katalog Die Bajuwaren 1988 385 Wohl auf ihn geht eine >Huosi-gau< genannte Landschaft in Bayern zurück 386 Staatsstreich Nummer Vier eines Pipiniden !

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waren die Langobarden unaufhaltsam dabei das gesamte Land zu erobern. Weder der Kaiser noch

der Papst vermochten sie daran noch zu hindern. Doch würde auch Rom unter die Herrschaft der

Langbärte geraten so würde der dortige Bischof zum Untertanen des Langobardenkönigs werden. Als

solcher jedoch würde er seine Apostolische Autorität über die übrigen Bischöfe des Abendlandes und

zugleich seine geistliche Dominanz auch über die weltlichen Fürsten Westeuropas verlieren! Wer

würde einen langobardischen Provinzbischof noch als den autorisierten Nachfolger Petri respektie-

ren? Die Existenz des gesamten Papst-tums stand auf der Kippe !

Helfer in dieser Not konnten nur aus Franken kommen. Nur seine Regenten und Herrscher, seien sie

nun Könige, fürstliche Hausmeier oder nur ehrgeizige Aufsteiger waren machtvoll genug um mit einem

Expansionsheer in Italien die päpstlichen Interessen zu verteidigen. Dies war realpolitischer Fakt.

Also machte sich Papst Stephan auf den Weg um ins Land der Franken zu reisen387. Allein dies war

bereits eine historische Sensation – noch nie hatte ein Stellvertreter des Höchsten freiwillig Rom und

Italien verlassen! Nun traf er am Drei-Königs-Tag des Jahres 754 in Pont-Hion in der Champagne ein.

Hinter verschlossenen Türen und unter Ausschluß der Öffentlichkeit (afr.=a Huis clos) wurde dort jene

Absprache getroffen und >Eidgenossenschaft< begründet welche die nachfolgende Geschichte Euro-

pas im Kern berührt und gestaltet.

Papst Stephan >flehte< den Dritten Pipin an mit einem Heer nach Italien zu ziehen um dort die Lan-

gobarden zu schlagen und zu züchtigen. Jene von den Langbärten dem Ost-kaiser schon entrissenen

Gebiete (vor allem das Exarchat Ravenna und Gegenden um Rom) sollten dann dem Stuhl Pertri

übergeben werden. Auf Kosten seines kaiserlichen Herrn in Byzanz konzipierte dieser Papst so be-

reits seinen eigenen Kirchenstaat388. Als >Patrizius< der Römer sollte der Kurze Pipin dann statt des

Kaisers weltlicher Schutzherr dieses >ducatus Romanus< werden.

Der fränkische Machthaber Pipin erhielt als Gegenleistung für seine verspochene Militärhilfe das Hei-

lige Öl der Heiligen Kirche und wurde damit noch einmal und dieses Mal vom Heiligen Papst selber

zum >König< der Franken gesalbt (ein Schelm wer dabei an geschmiert denkt!). Doch nur ihm und

seinen Söhnen wird dieses Privileg zuteil – sein Bruder Karlmann und dessen Söhne gehen dabei leer

aus. Nur der Familienzweig dieses Kurzen und Dritten Pipin wird der >königliche< bei den ripvari-

schen Carlo-ingern von der Waal ! Nur er hat Anteil an der hinter verschlossenen Türen (= a Huis

clos) begründeten Eid-genossenschaft von Hion, nur er wird zu Hu-gonen. Um die neuerworbene

Königswürde für sie auch dauerhaft zu sichern bedrohte der Papst alle Frankenfürsten mit Kirchen-

bann und Exkommunikation sollten sie sich je vom frisch etablierten Königs-Haus Pipin abwenden

solange dieses noch männliche Nachkommen zeuge389. Widerstand gegen diese Nachfahren des

Freien Carlo von der Waal wurde so zum Sakrileg !

Der Aufstieg dieser ripuarisch-waalhiscen Hugonen war nun nicht mehr aufzuhalten.

387 F.Dahn zeichnet ein faszinierendes Bild vom politisch-diplomatischen Können des Vatikan um diese Reise erst möglich zu machen. Dabei waren exzellente Profis am Werk. 388 Als sogenannte >Pipinische Schenkung< machte diese Abmachung Geschichte 389 F. Dahn

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6. Der west-römische und Grosse Kaiser Karl und das Deutsche

Nur drei Jahre nach dem Tod des ersten der Hugonen und Kurzen Königs Pipin und seiner Reichstei-

lung stirbt auch sein Sohn Karlo-mann II. So wird 771 dessen Bruder Karl zum Alleinherrscher über

das Reich und alle Franken. Er wird sechsundvierzig Jahre lang herrschen und dabei >der Große<

werden (768 – 814). Deutsches ist auch in seinem Reich nur spärlich und dienend vertreten.

Dieser Enkel des nur >Freien< Carlo Martelus von der Waal erweiterte sein ripwarisches Franken-

Reich in blutigen und erbarmungslosen Eroberungskriegen. In Spanien führte er Krieg gegen die mau-

rischen Muslime wie auch gegen christliche Basken, er besiegte und unterwarf die Sachsen. Das Kö-

nigreich der Langobarden in Italien wurde seine Beute und Privatbesitz, ebenso Bayern. Dem Reich

der Avaren setzte er ein blutiges Ende. Im Jahr 796 stürmen Karls Sohn Pipin der Vierte und der

Markgraf von Friaul die Residenz und Schatzkammer des Avaren-kagan den >hringus<. In bestiali-

scher Grausamkeit wird das Land verheert, die Siedlungen verbrannt, die Bevölkerung vertrieben oder

versklavt. Ethnische Säuberung total. Über Generationen hinweg bleibt die so geschaffene Avaren-

wüste verheert und unbesiedelt. Diese verwüstete Einöde benennen dann später die Ungarn mit ihrem

Wort Puszta. Der Name des siegreichen Eroberers Karl wird bei ihnen zum Titel, >Kiraly< ist ihnen der

König. Als >Krol< wurde er es bei den Polen und >Kral< ist den Tschechen der König schlechthin390.

Das Beispiel Cäsars wie auch des Großen Theodosius machte Schule.

Auf der Höhe seiner Macht erstreckte sich Karls fränkisches Reich vom spanischen Katalonien und

Barcelona bis an die Nord- und Ostsee und von dort bis weit hinunter nach Ungarn zum Plattensee.

Über Italien ist er König bis hinab nach Neapel (Golf von Gaeta). So kam die römische Kirche auch mit

ihm ins Geschäft.

Erstmals seit dem Jahr 476 n.Chr., als damals Odoakar den letzten und kindlichen Kaiser West-roms,

Romulus Augustulus abgesetzt hatte, salbt und krönt der römische Papst wieder einen Herrscher zum

römischen Augustus des Westens. Am 25. Dezember im Jahr 800 n.Chr. wird auf dem Fundament der

Theodosianischen Reichsteilung von 395 der ripuarisch-walhisce Franke Karl zum römischen Kaiser

erhoben (ein besseres Weihnachtsgeschenk war dem Enkel des nur Freien Carlo von der Waal wohl

kaum zu machen gewesen). Er ist nun Karl >der Große<.

Nicht wie einst König Chlodovech der sich 506/507 noch selber zum Augustus ausrief wurde Karl zum

Kaiser. Ihn krönte und salbte der eine Papst aller römisch-katholischen Christen, der Dritte Leo in

Rom zum „Augustus“ und „Lenker des römischen Imperium“391. Damit erkannte der Vatikan erstmals

wieder jene Zwei-Kaiser-Realität an die Theodosius der Große mit seinem Teilungstestament im Jah-

re 395 n.Chr. geschaffen hatte – zwei Imperien – zwei römische Augusti.

Der östliche Kaiserhof in Byzanz ignoriert jedoch offiziell diese westliche Anmaßung.

Dieser kaiserliche Teil des Theodosianischen kehrt zwar nun und vom Papst legitimiert in das Reich

der Franken zurück - doch das Deutsche hat daran keinen Anteil mehr. Dieser Herrscher ist nicht the-

odisc ! Doch eine Eroberung dieses Kaisers und ripwarisch-walhiscen Hugonen betrifft unser Deut-

sches wenn auch nur indirekt. Mit der grausamen und blutigen Unterwerfung der Sachsen (unterwer-

fen oder ausrotten!) gliederte der Große Karl ein weiteres jedoch in keiner Weise von lateinischer Kul-

390 zit.n.F.Dahn 391 s.o.

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tur und Sprache geprägtes Volk und Land seinem ribwarisch-fränkischen Reich an. Selbst die Wulfi-

las-Bibel und/oder ihr Goten-deutsch waren dort nie angekommen (selbst Runen wurden dort nicht

heimisch). Dieser germanisch-barbarische Zuwachs an Land und Leuten wird für das Deutsche später

von erheblicher Bedeutung werden. Auch die Sachsen wurden von Karl nun gewaltsam fränkisch und

mit blutigem Terror zu katholischen Christen gemacht. Zivilisationsschub wird so etwas danach meist

genannt.

Der neue Kaiser strukturierte auch seine Herrschaft völlig neu. Auch er ist ein Eroberer, ein Imperator

und hat sein Reich dementsprechend zum Privatbesitz. Das Sieger-recht galt auch für ihn noch un-

eingeschränkt. So zerschlägt er überall die in seinem Reich noch vorhandenen Macht- und Feudal-

strukturen und ersetzt sie durch seine eigenen >Gaue<. Neue Grafschaften und Grenz->Marken<

bilden dabei die territoriale Grundlage für entsprechende Verwaltungs- und Personalstrukturen. Sei-

nen Mark-grafen fällt dabei eine ganz besondere Rolle zu. Nur sie allein haben neben dem König und

Kaiser selbst noch das Recht, ja die Pflicht im Bedarfsfall ein Heer aufzubieten. Innerhalb ihrer

Grenzmark haben alle anderen Grafen oder Heerespflichtigen (z.B. Klöster, Bistümer usw.) diesem

Aufgebot des >dux limite< oder >marchio< Folge zu leisten. Aus dieser Machtposition der Mark-

grafen heraus wird sich später das entwickeln was eine völkisch verseuchte Begriffsbildung bis heute

als ein >Wiedererstarken< ur-germanischen Stammes-gethümels präsentiert.

Karl der Große zählt nicht zu jenen imperialen Eroberern die nur persönliche Macht, Beute und ewi-

gen Ruhm suchten. Er wollte auch Staat machen. Sozialpolitik lag ihm ebenso am Herzen wie Bildung

und Agrarwirtschaft. Seine militärischen Eroberungen mündeten in völlig neue Staats- und Verwal-

tunsstrukturen. Er trieb eine Entwicklung voran welche die germanischen Dialekte innerhalb seines

Imperiums zur Reife der Schrift- und Kultursprache empor heben sollten. Er lies die Volksrechte der

von ihm Besiegten und Beherrschten neu- oder ausformulieren. Das Ripvarische seiner Vorfahren

wurde dabei zum fränkischen Herrenrecht. Selbst in theologischen Fragen bezog er Stellung. Als bib-

lischer >David< wurde er von seinen Hof-literaten episch überhöht. Seine Kenntnis der Schriften des

Tacitus und dessen >Germania< ist wohl mehr als nur eine Vermutung. Der militärische Eroberer und

Gewaltherrscher Karl war auch zivil ein Großer Kaiser. Nur deshalb konnte auch er zum Mythos wer-

den. Doch ein Deutscher ? Er war es dezidiert nicht.

Er war und blieb stets ein Franke wenn auch als ein >ripwarischer< und >walhiscer<. Er war es so

sehr daß seine >personenverbandsstaatliche<392 Herrschaft zu einer Nation, der Fränkischen werden

konnte. Durch Karl wurde das Karolingische Imperium nicht nur zum Staat sondern auch zu einem

ethno-kulturellen und damit nationalen Identifikationsobjekt – eben dem Fränkischen. Es entstand eine

Karolingische Personenverbands-Nation mit dem Großen Karl als ihrem personalen Kristallisations-

punkt. Wie national prägend dieses Fränkische gerade auch die Aussensicht auf ganz Westeuropa

bestimmte zeigte sich selbst noch in den Zügen der Kreuzritter im 12. und 13. Jahrhundert. Obwohl

die einst fränkische Heimat dieser christlichen Okupationsheere längst in ein „regnum Teutonicorum“

und ein „regnum Francorum“ nebst der Italia auseinander getriftet war wurden die christlichen Barba-

ren im Orient von den dortigen Muslimen noch immer einheitlich als >die Franken< identifiziert393. Eine

392 Mit >Personenverband-staat< benennt die Rechtshisthorik die Vor-staatlichen Gefolgschaftsverbände oder >Stämme< der frühen Germanen. 393 B.Lewis

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fränkische Nation hatte aus Sicht der Araber noch immer Bestand. Selbst Kaiser Barbarossa der wohl

deutscheste aller Kaiser ertrank 1190 im türkischen Salef dort noch als ein Franke.

Wie sehr dieses Fränkische als Nation wirkte zeigt sich auch und gerade im Streit darüber ob denn

nun Karl ein Franzose oder ein Deutscher gewesen sei. Der Kern seines fränkischen Imperiums zer-

fiel unter seinen Nachfahren in zwei sprach-kulterell unterschiedliche Staatskomplexe. Romanisierte

Franken in der Gallia wurden samt ihrer normannischen Eroberer zu Franzosen während das in ger-

manischen Dialekten verhaftet gebliebene Oster-franken zu Deutsch-land wurde. Deutsch aber wurde

diese Germania jedoch erst durch eine sprachkulturell geprägte Ethnogenese seiner Bewohner. Erst

als auch Rheinfranken, Friesen und Sachsen ebenfalls zu thiutischen wurden konnte danach ein

Deutsch-land entstehen. Doch der Große Karl ist weder Franzose noch Deutscher sondern als waal-

hiscer Wallone Vater von beiden.

Verheiratet aber war er zweimal mit deutschen Frauen. Zuerst mit der >todisc<-langobardischen De-

siderata, danach mit der >diutisc<-alamannischen Hildegard.

Mit Deutschem wird Karl zu seiner Lebenszeit nur dreimal in Verbindung gebracht.

Während Karls Herrschaft findet 786 in England eine Kirchensynode statt bei welcher Texte auch in in

“theodiscus“ verlesen wurden. Da die schriftliche Notiz darüber jedoch erst im 1o.Jh. aufgezeichnet

wurde gilt sie als zu zeitversetzt und deshalb nicht für authentisch394.Außerdem ist zu vermuten daß

der entsprechende Berichterstatter, Bischof Georg von Ostia, jene in der Italia für die Sprache ihrer

gotisch-germanischen Bewohner üblich gewordene Bezeichnung theodisc/todisca auch auf die eben-

falls svebisch-germanischen Angeln auf der britischen Insel übertrug395.

Für das Jahr 788 verzeichnen die kaiserlichen Reichsanalen im Zusammenhang mit dem Abset-

zungsprozess gegen den bairischen Herzog Tassilo III. das Wort „diutisk“396.

Tassilo entstammte in mütterlicher Linie jenem Princeps Theoto der um 700 erstmals eine bairische

Staatlichkeit begründet hatte – seine >theotisce< Herrschaft in >bairischem Gebiet<. Tassilo war sein

cognastischer Erbe und Nachfolger. Ist es da erstaunlich wenn die Söhne dieses abgesetzten Baiern-

herzogs die Namen Theodo II. und Theod-bert II. tragen und die gesamte Herzogsfamilie als theodis-

ce oder in fränkischer Schreibweise als >diutisk< klassifiziert wurde ? Wie schon unter Carlo Martell

um 700 so ist Baiern auch um 800 erneut die Quelle des Theodiscen. Fränkisch nun als diutisc formu-

liert.

Der Große Kaiser selbst spricht im Jahre 801 nachdem er bereits seit drei Jahrzehnten (ab 774) auch

„rex Langobardorum“ ist in Italien in „theodisca“ zu seinen langbärtigen Untertanen397. Wäre dies sein

eigener Dialekt gewesen hätte kein Schreiber dies als des notieren’s für wert befunden. Doch Karl

sprach offensichtlich zu seinen langobardischen Vassallen in deren eigener und lautverschobenen

394 Diwald 395 Als direkte Nachbarn der suebischen Langobarden waren sie einst von Schleswig-Holstein nach Britanien umgesiedelt. Als ein Teilstamm der Sueben werden sie u.a. von Ptolemaios benannt. Unter diesem Aspekt wären auch die Angeln den sog. Elb-germanen zuzuzählen. 396 Diwald. >diutisk< präsentiert sich als direkte Umwandlung von gotischem iudisk. 397 Diw.

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„lingua todesca“398. Das „theodisce“ des Großen Karl und die „lingua todesca“ der Langobarden waren

doch wohl ein und dasselbe, die >deutsche< Sprache der Langobarden - elb-germanisch und etwas

im Laut verschoben wie jenes Idiom, das Alamannen, Schwaben und Baiern nördlich der Alpen eben-

falls sprachen und sprechen. Für Karl mag dieses verschobene Germanisch so fremd gar nich gewe-

sen sein. In erster Ehe war er mit einer langobarischen Königstochter Desiderata verheiratet gewesen

und sein zweite Frau Hildegard entstammte dem Geschlecht der theodiscen Herzoge der Alaman-

nen399.

Die regionalen Awaren-Chane die in der von Karls Sohn Pipin 796 eroberten nördlichen Avaria regiert

hatten nannten sich „Tudun“400. Die sprachliche Verwandtschaft mit gotisch-langobardischem iu-

dans/Theodan (=Herrscher) ist dabei unübersehbar. Sowohl gotische Gepiden wie auch Langobarden

hatten stets engste Beziehungen zu den Avaren. Daß dabei auch ihre Sprache im multi-ethnischen

Reich der Avaren als eine unter vielen bestehen blieb ist vorauszusetzen. Weshalb sollte ihr eigener

Herrschaftsterminus dabei nicht auch für einen regionalen Vassallen des Chagan weiterhin benutzt

worden sein? Gerade im Gebrauch des gotisch-langobardischen und nicht-avarischen Titels war er

als ein nachgeordneter Stammes-fürst im Vielvölker-Staat des Chagan erkennbar. Als ein nicht-

avarischer Vasall und/oder Statthalter des Avarenherrschers – ein Stammes-könig und iudans, ein

regionaler >Tudun< eben. Zu klären bliebe dabei lediglich ob dieser Tudun schon eigensprachlich

diesen Klang hatte oder ob ein sprachfremder fränkischer Schreiber die Vokale nach eigenem Gusto

so notiert hatte.

Wie dem auch sei, das Deutsche verlagert sich immer sichtbarer nach Baiern und die ihm benachbar-

ten Regionen. Sollten die Baiern etwa jene Deutschen gewesen sein die nach dem Absterben der

antiken und theodosianischen Wurzeln das Deutsche als ein Theodorich-isch Gotisches im Unter-

grund des fränkischen-Reiches der ripwarisch-walhiscen Karolinger und Hugonen am Leben erhielten

? Der deutsche Geist wehte ganz offensichtlich dort wo er wollte.

Zwei Dinge sind es wohl die bis heute den Blick auf die Wurzel des Deutschen verstellen. Es ist ein-

mal die völkisch-chauvinistische Begriffsbildung der deutsch-preussischen Historik des 19. und frühen

2O. Jahrhunderts und die noch immer nachwirkt. Zum andern war es die latente Sehnsucht der Deut-

schen aus dem Großen Kaiser Karl doch noch einen der Ihren werden zu lassen.

6. Die walhiscen Erben des Großen Karl

Der walche Karl, genannt der Große, fränkischer und seit 774 langobardischer König in Personalunion

sowie ab Weihnachten 800 auch gesalbter und römischer Kaiser macht so wie es alt-fränkischer

Brauch gebietet rechtzeitig sein Testament. Er hat viel zu verteilen. Von Barcelona bis Kiel, von Nea-

pel bis Rotterdam und von der Bretagne bis nach Wien und Bratislava reicht sein kaiserlich-walch-

fränkisches Imperium. Für seine drei legitimen Söhne macht er einen Teilungsplan im Jahre 806.

398 Ein >Mönch von Salerno schrieb 978 n.Chr. daß die Langobarden >vor Zeiten< (=olim) die „lingua todesca“ gesprochen hätten 399 Nach F. Dahn war sie eine Ur-ur-Enkelin jenes Gotfrid der einst mit Theoto von Baiern im Heirats-bündnis gestanden war. 400 Archäologie d. Steppe u.a.

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Italien, „was auch Langobardien heißt“ soll der Vierte Pipin erhalten. Die Aquitania nun vom Atlantik

bis zu den Seealpen reichend ist für Ludwig, später „der Fromme“ benannt gedacht. Der Jüngere Karl

erhält „den Rest“ 401, also Franken einschließlich der Sachsen. Auster hat nun keine Funktion mehr.

In drei große >regna< zerteilt der Kaiser sein Imperium für die Erben. Für unser Deutsch, noch immer

sind wir ja auf seiner Spur, ist die Italia >welche auch Langobardia heißt< von besonderem Interesse.

In seinem Erb-erlaß zieht Kaiser Karl die nördlichen Grenzen für Langobardisch-Italien so wie es einst

schon die antiken Römer und wie es um 506 der Große Gote Theoderich ebenfalls getan hatte - ent-

lang der Donau bis zu ihren Quellen. Von Wien bis Donaueschingen wurde so die Donau wieder zum

nördlichen Grenzfluß auch der Karolingischen Italia! Von ihrem Quellgebiet im Schwarzwald durch

den Hegau und Klettgau hinunter zum Hochrhein bei Schaffhausen402 und diesen überquerend den

Thurgau, Chur-Raetien sowie Chur-walchen (=Wallis?) zur Italia schlagend restitiuierte dieser fränki-

sche Kaiser die uralten römischen Grenzlinien403. Er trug seinen römischen Kaisertitel offensichtlich

sehr ernsthaft und hatte wohl doch die Germania des Tacitus gelesen.

Die ethno-kulturelle Benennung im fränkischen Reich der ripwarischen Karolinger kennt Sachsen,

Friesen, Franken, Thüringer, Burgunder, Alamannen, Goten, Langobarden, Schwaben und die späte-

ren Baiern. Nur ein Teil dieser germanischen Völker werden durch ihre frühere Verbindung mit Theo-

derich der Große unter politisch dynastischem Aspekt zu >theutisk< oder >diete lit< (=Theoderichs

Leute), also zu Deutschen. Ihre Namensgeschichte speist sich noch aus der Entstehungszeit des

merovingischen Frankenreiches. Sie betrifft die ethnischen Gruppen der Wisi-goten, Ostro-goten (=

Amaler), Teile der Burgunder, Alamannen, Thüringer, Schwaben und später auch die Baiern. Aus

fränkischer Sicht waren sie die ersten Theutisc. Da jedoch Burgunder wie auch Wisi-goten der Roma-

nisierung anheim fielen blieb theodisc/theutisk als Attribut allein an den ehemaligen >Leuten des The-

oderich< im späteren Oster-franken haften.

Aus italischer Geschichtsentwicklung waren die romanischen Bewohner der Italia in Sprache, Kultur,

Religion und Selbstverständnis geschieden von den unter ihrem König Theoderich 488 ins Land ein-

gewanderten Ostro-Goten Italiens. Ein >edictum< Theoderichs verfestigte durch Gesetz und Verfas-

sung die Trennung seiner Untertanen in römische und gotisch-germanische. Die Theoderichs Volk

Zugehörigen wurden dadurch zu >i Theodisci<.

Diese Benennung wird nach dem Untergang der gotischen Herrschaft in Italien (553) wohl auch auf

jene Langobarden übertragen die auf den Spuren Theoderichs ab dem Jahr 568 in Italien seßhaft

wurden. Auch die Langbärte verständigten sich in einem Idiom welches dem theodiscen der Goten

mehr als nur verwandt klang. Sie sprachen zwar anders als die ost-germanischen Goten die noch

Jahrhunderte lang im Alpenraum präsent blieben ein >lautverschobenes< Elb-germanisch, doch für

romanische Ohren war der unterschiedliche Klang einzelner Dialekte und ihrer Konsonanten wohl nur

von marginaler Bedeutung. Zuerst war es germano-gotisch, nun ist es die elb-germanische Sprache

der Langbärte welche Theodisce klingt. Das durch den Großen Theoderich geprägte Attribut blieb an

ihr haften. So wurden auch die Langobarden zu Theodisci und Teutisci und sprachen die „lingua to-

401 z.n. Felix Dahn 402 auch dort gibt es einen >Kaiserstuhl< 403 Felix Dahn

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disca“ oder „theodiscus“ wie ein Bischof von Ostia meinte. Dies wiederum verband sie sprach-kulturell

mit den Alamannen, Schwaben und Baiern von jenseits der Alpen.

Die Theodischen selbst differenzierten sich innerhalb der ihnen von Anderen zu gewiesenen Gemein-

samkeit. Als >gotisch< ließen sich die Einen, mit >suebisch< die Anderen benennen. Die etwas ver-

schobenen Sprachlaute waren dabei nur den svebischen Elb-germanen zu eigen, Goten und wohl

auch die vor-mittelalterlichen Thüringer hatten auf eine Verschiebung ihrer Konsonannten verzichtet.

Doch alle band ihre gemeinsame Nähe zu Theoderich zusammen – dies war ihr gemeinsames Theo-

disce! Sie alle waren die Theodisci – ties – theutisci – tiuten – dieten, >die Deutschen<. Ebenso deut-

lich geschieden wie unterscheidbar von Italo-Romanen und auch von den Gallo-Franken. Sachsen

wie auch Friesen hingegen waren ein noch zusätzlich Anderes. Von den lautverschiebenden Elb-

germanen durch Sprache und Kultur, von den Franken eher durch real-politische Feindschaft ge-

schieden. Ein neuer jener ominösen Stämme war geboren - i tedesci aus der Germania für die Roma-

nen, theutisce und >diete lit< aus west-fränkischer Sicht. Wann diese von außen aufgeprägte Definiti-

on zur akzeptierten Eigenbenennung wurde läßt sich vermutlich nie mehr exakt klären.

Fast alle diese diutisk-theodiscen Deutschen werden nun 806 n.Chr. vom Großen Karl in einem

regnum, der ItaIischen Langobardia mit seinem Reichsteilungsgesetz und Testament zusammenge-

führt. Alamannen, Schwaben, Baiern und Langobarden sowie Überreste der Goten waren so glei-

chermaßen (wieder) zu Bewohnern der Italia geworden. Ihr gemeinsamer König war des Großen Kai-

sers Sohn Pipin, der Vierte in Reihe. Sein Regnum war um 800 der Deutschen Vaterland. Gemeinsam

war ihnen ihre lautverschobene Sprache, sie sind die theodiscen, todiscen, teutischen Deutschen

Italiens. Erstmals war so ein theudisces Territorium, ein deutsches regnum entstanden. Deutsch füllte

sich mit neuem Inhalt.

Die Erbsöhne Karls starben bis auf den jüngsten Ludwig alle schon vor ihrem Vater. So wird er nach

des Großen Karl Tod 814 zum Alleinerben im Reich der Franken. Trotzdem bleibt Italisch-

Langobardien formell weiter bestehen. Der Große Kaiser selber hatte noch seinen Enkel-Sohn Bern-

hard als König in der Italia inthronisiert. Schwaben und Baiern blieben so weiterhin Italiener und Unter-

tanen des noch jugendlichen „rex Langobardorum“ Bernhard. Allerdings übte Ludwig das Patronat

auch über dessen deutsch-italische Langobardia aus. Deutsches haftet diesem kindlichen König zu-

mindest familiär einiges an. Seine Großmutter Hildegard war eine alamannische Fürstentochter. Wohl

über sie kommt eine absolut unübliche Namensgebung in die Sippe der königlichen und walhiscen

Karolinger. Bern-hard selber und eine seiner Schwestern tragen ihre Namen nach des Großen Karl

Mutter Ber-trada und deren Bruder Bern-hard. Doch zwei seiner Schwestern sind dem Namen nach

bereits eindeutig dem theodiscen Süden zugeordnet: Gund-trada (=Kampf und Herrin) und vor allem

Theude-trada (=deutsche Herrin) sind im diutiscen Mileu zuhause. Die alamannisch-karolingische

Theude-rada als Tochter des Karolingischen Königs der Langobarden Pipin VI. wird als einzige der

Sippe diesen südlich-deutschen Namen je tragen. Deutsch ist ansonsten nicht der walchen Karolinger

Ding.

Die Sachlage im fränkischen Imperium der ripwarisch-walchen Karolinger ändert sich im Jahre 817.

Nur drei Jahre nachdem Ludwig, der „Fromme“ genannt, König und auch Kaiser geworden war mach-

te auch er bereits sein Testament. Seine „Ordinatio Imperii“ zerteilt das Frankenreich aufs neue. Doch

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Ludwig schneidet die Grenzen anders als dies sein Vater Karl getan hatte. Ein Sohn Pipin, der Fünfte

in Reihe, erhält eine wieder auf die Provinzen jenseits der Loire verkleinerte >Aquitania<, Ludwig der

Jüngere bekommt das aus dem italo-langobardischen Reich abgelöste >Baiern< mit den östlichen

Marken 404. Regensburg wird seine Hauptresidenz. Aus dem fränkischen Reichsteil erhält er wohl den

>Nordgau<405 wieder hinzu, jene Gebiete die Karl 806 dezidiert noch von Italo-Langobardien abge-

trennt und für die Familie des entmachteten Baiernherzogs Tassilo reserviert hatte. Dieses Karolingi-

sche Kleinkönigreich >Baiern< entspricht jenem Fürstentum welches die Principi Theoto und Tassilo

III. einst regiert hatten, nun ergänzt um die Karolingischen >Marken< im Osten. Während Ludwig sich

selbst als „König der Baiern“406 titulierte nennen die Chronisten ihn später >rex Germanorum< woraus

eine deutsch-nationalistische Geschichtsschreibung dann >der Deutsche< macht. Er tritt das Erbe der

theodisc/diutisken Agilolfinger-Dynastie von Theoto bis Tassilo III. an. Diese hatten zuvor aus >bairi-

schem Gebiet< eine Herrschaft und damit einen Staat erst gestaltet.

Der Fromme König und Kaiser Ludwig erlebte nun einen zweiten Frühling. Mit einer Welfin Judith die

von Zeitgenossen als außergewöhnliche Schönheit geschildert wird zeugt er noch einen späten Sohn.

Der kaiserliche >Mönch< wie er eigentlich hieß war den Reizen dieser Schönen erlegen. Den Nach-

kömmling nennt er Karl (II.), aus ihm wird später >der Kahle<. Damit auch er versorgt ist zieht der

Vater um die welfischen Stammlande der Mutter in Schwaben eine raumgreifende Grenzlinie. Dort

etabliert er für seinen welfischen Nachzügler ein zusätzliches Klein-Königreich – die >Alamannia<

(829). Auch dieses regnum besteht zu einem guten Teil aus zuvor noch Langobardisch-Italien und

reicht hinab bis zum Comer See. Doch Neckarschwaben, alamannische Landschaften nördlich der

Donau sowie die Mittelschweiz werden aus dem Frankenreich dazu gegeben. Deshalb entstehen nun

Aufstand und Bürgerkrieg der älteren Brüder gegen den Vater und Frommen Kaiser Ludwig. Der Papa

wird besiegt und zunächst abgesetzt (830) erhält aber später die Krone wieder zurück (833).

Bald danach stirbt jener Bruder Pipin dem die Aquitania gehört hatte (838) Dies schafft Luft im Erb-

streit. Nun erhält der welfisch-alamannische Karl der Zweite dieses fränkischeTeilreich jenseits der

Loire. Ob sein Königreich Alamannia dabei aufgelöst wurde ist nirgends vermerkt.

Doch der Friede hält nur kurz. Ludwig aus Baiern verbündet sich nun mit seinem welfischen Halbbru-

der Karl der in der Aquitania gelandet ist (840). Gemeinsam ziehen sie in den Krieg gegen den dritten

Bruder Lothar I. Dieser war nach dem Tod des mönchischen Kaisers 840 Haupterbe und römischer

Augustus geworden. Er verliert bei Fontenay eine Schlacht (841) und damit große Teile seiner Erb-

schaft. Die beiden siegreichen Brüder schwören sich danach auch für die Zukunft Beistand und Treue.

Vor den Toren Straßburgs im Elsaß versammeln sie ihre Heere und vor diesen soll das bairisch-

aquitanische Bündnis feierlich beschworen und bekräftigt werden. Dabei geschieht nun extrem Deut-

sches.

Der Jüngere Ludwig ist König der Baiern und der östlichen Marken, hier hatte er wohl auch sein Heer

rekrutiert.

Karl II., ob schon damals >der Kahle< genannt erscheint fraglich, bringt aus der Aquitania sein Heer

der westlichen Franken mit.

404 also Steiermark, Kärnten, Niederösterreich und die >pannonische< Mark = Burgenland 405 Die Herzogshöfe Ingolstadt und Lauterhofen i. d. Oberpfalz 406 Hubensteiner

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116

Auf welcher Seite die alamannischen Welfen aus Schwaben standen muß Spekulation bleiben, doch

vermutlich in des Kahlen Welfen Heer.

Nun, in den beiden Heeren wurden verschiedene Sprachen gesprochen. Damit der feierliche Eid-

schwur ihrer Könige trotzdem allseits verstehbar war wurde er zweimal und in unterschiedlichen Spra-

chen formuliert. Der >Baier< Ludwig sagte seinen Spruch vor dem west-fänkischen Heer seines Bru-

ders aus Aquitanien in Alt-Französisch auf (klar!).

Der Kahle Karl aber mußte vor dem bairischen Heer seines Bruders Ludwig nein, nicht etwa in alt-

bairisch oder gar wienerisch sondern in „theudisca lingua“407 schwören! (alles klar?). Die Baiern und

all jene aus den benachbarten südöstlichen Marken verstanden ebenso wie die welfischen Alamannen

weder Alt-fränkisch noch Alt-französisch oder Bairisch-alamannisch sondern nur Deutsch - >theudis-

ca< ! Es ist dieselbe Sprache in welcher der Große Karl schon 801 zu seinen Langbärten in Italien

gesprochen hatte und die der Mönch aus Salerno als >todisca lingua< bezeichnen wird408.

Nun also auch die Baiern des Jüngeren Ludwig verknüpft mit den welfischen Alamannen durch die

>theudisca lingua< als ihrer gemeinsamen Muttersprache! Was aber verbindet sie wiederum gemein-

sam mit den >todiscen< Langbärten von jenseits der Alpen und macht sie alle zu Deutschen der

Sprache nach?

Dynastische Verbindungen zwischen Langobarden und Fürsten im bairischen Noricum hatten alte

Tradition. Die Sippe der Agilolfinger war auf beiden Seiten der Alpen ein Königsgeschlecht. Doch ein

Heer besteht nicht nur aus Dynastien. Es repräsentiert den Querschnitt eines Volkes, einer Region,

einer Herrschaft. Langobarden werden wie andere svebische Stämme allgemein den sogenannten

Elb-germanen zugezählt. Alamannen, Schwaben und spätere Baiern409 sind ebenfalls Sveben. Sie

sprechen alle einen sogenannten lautverschobenen und ober-deutschen Dialekt. Dieser ist ebenfalls

für die Langobarden bezeugt410. Was diese theudiscen Deutschen des frühen Mittelalters also eint ist

ihre gemeinsame Sprache und diese wird als >lingua theudisca-todisca< bezeichnet. Es ist der Slang

des Südens der das Deutsche im Reich der walhiscen Karolinger-Franken nun definiert. Das Deut-

sche ist jetzt das Elb-germanische und lautverschoben - es ist seine Sprache! Nach >göttlich< und

>kaiserlich-Theodosianisch< über >Theodorich-isch< ist es nun zur theudiscen Sprache >diutiscer<

Krieger und Troßknechte im Heer des walchen Karolinger-Königs Ludwig aus Baiern geworden. Als

für sein aus Baiern und den östlichen Marken stammendes Heer in >lingua theudisca< ein Eid be-

schworen wurde war dieser Jüngere Ludwig noch ganz auf seine Herrschaft an Donau und Inn be-

grenzt, Regensburg war seine Residenzstadt. Zum >rex Germanorum< wurde er erst in der Folgezeit.

So verweist alles was seit der Zeit um 700 in Oster-Franken mit theodisce/diutisk bisher in Verbindung

gebracht wurde nach Baiern und seine östlichen Marken411, in die Alamannia und nach Langobardien !

Dies setzt sich fort. In Trient wird 843 bei einem Gerichtstag „teutisci“ erstmals eindeutig als eine eth-

407 sogenannte Straßburger Eide von 842 n.Chr. 408 Neuzeitliche Linguisten haben herausgefunden daß die süddeutsche Sprache als Besonderheit einen hohen Anteil an gotischem Spracherbe aufzuweisen hatte. 409 Im sog. Theudebert-brief von 539/40 werden sie als >norsavorum gente<, als >norischen Schwaben< be-nannt. 410 in Edictus Rotharii von 643 n.Chr., Lehrbuch Dtsch. Rechtsgeschichte

411 z.B. der >Tudun< in der Avarischen Mark

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nische Definition verwendet412. Eine Urkunde aus Salzburg benennt um 880 „diutisce“, im Kloster St.

Gallen wird im Jahre 882 „tiutiscae“ notiert413.

Nach 842 treibt der bairische Ludwig seine Expansion mächtig voran. Mit einem >Vertrag von Ver-

dun< gewinnt er 843 die Alamannia, Sachsen, Thüringen (mit Hessen) und die Rhein-Pfalz hinzu.

870 bringt ihm der >Vertrag von Mersen< die Ost-hälfte Lotharingiens mit der Kaiserpfalz Aachen ein.

(wird dadurch der Große Karl ein Deutscher?). Nun hat Ludwigs Herrschaft bereits Neu-deutsche

Dimensionen erreicht. Doch da sich diese über die >Germania< erstreckt wird er nun zum >rex Ger-

manorum< woraus eine deutsch-thümelnde Historik dann >der Deutsche< machte. Er selber aber

blieb weiterhin >König der Baiern<414, Regensburg seine Hauptresidenz. Baiern wird so zum Kernland

des Ost-fränkischen Reiches. Das germano-fränkische Teil-reich dieses Jüngeren Ludwig alias der

Deutsche aber war deutlich differenziert in drei ethno-kulturell wie sprachlich unterscheidbare Regio-

nen - Franken, Sachsen und das >theudisce< Gebiet der Deutschen im Süden.

Überlagert wird diese Dreiteilung jedoch durch einen weit bedeutsameren Unterschied. Vor der Erobe-

rung Sachsens durch den Großen Karl hatte sich das fränkische Imperium fast ausschließlich über

Länder erstreckt die von römisch-antiker Kultur vorgeprägt waren. Gerade die Franken aber hatten als

Erben Roms stets versucht auch dessen Zivilisation weiter zu tragen. Dies gilt auch für die waalhisc-

ripvarischen Karolinger. Doch mit der Eingliederung Sachsens sowie slawischer Gruppen entlang der

Elbe wuchs den Karolingern eine Region zu welche in keiner Weise durch römisch-lateinischen Ein-

fluß geprägt war. Im Groß-reich Kaiser Karls blieb dies ohne spürbare Auswirkung – doch als in Folge

der Reichsteilung des Frommen Ludwig die fränkische Herrschaft in Ost und West aufgeteilt wurde

geriet das Fränkische östlich des Rheins zur Minderheit. Die walchen Franken hatten zwar die Macht

jedoch nicht die Majorität. Lediglich entlang des Rheins und der Maas war wirkliches Franken.

Sachsen und Baiern aber waren wie auch Teile der Alamannia noch immer erobertes Besatzungsge-

biet der ripvarischen und waalhiscen Karolinger. Allein die Herr-schaft war hier fränkisch nicht jedoch

Land und Leute und deren Traditionen. Dies aber wird die Entwicklung des entstehenden oster-

fränkischen (Teil-)Reiches entsprechend prägen.

Als der bairisch-germanische und ripvarisch-walche Karolinger Ludwig alias der Deutsche stirbt teilen

seine drei Söhne das germano-fränkische Teil-Reich der Karolinger Franken nach alt-fränkischem

Brauch. Baiern und die Alamannia werden dabei erneut zu autonomen Klein-Königreichen der ribwari-

schen Franken. Den grösseren Rest erhält wieder ein Ludwig, er trägt die Ordnungszahl der Dritte.

Dieser gewinnt dem Reich seines 876 gestorbenen Vaters noch das westliche Lothringen hinzu. Ein

>Vertrag von Ribemont< bindet 880 auch diesen Teil Lotharingiens an Maas und Schelde an das os-

ter-fränkische Reich der ribwarisch-waalhiscen Karolinger. Von der Maas bis an die Elbe, von den

Alpen bis zum Meer erstreckte sich nun das fränkische Ost-reich. Damit war zwar für Jahrhunderte die

Grenze zwischen dem West- und dem Ost- Reich der Franken definiert doch Deutsches zeigte sich

darin nicht. Ein >regnum Germanorum< wurde versuchsweise einmal als Namen getestet doch der

barbarische Gehalt dieses Namens wirkte wohl noch immer zu abschreckend. Ein neutrales >Franco-

412 Da in Langobardischen Texten Fürst Theoto als >Teuto< notiert wird könnte mit Teutisci auch einer von seiner Art, also ein Bairischer gemeint sein. 413 Alles n. Diwald 414 Hubensteiner

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rum orientalis< bürgerte sich statt dessen ein. Das Deutsche aber blieb noch immer eingeschlossen in

die semantische Bedeutung des Unfreien und Knecht notiert als diot-diet oder ties und thiud. Als

Sprache war es gerade gut genug für Troßknechte und Krieger doch zum Kennzeichnen einer Herr-

schaft taugte es noch nicht. So bleibt auch das franko-germanische Ost-reich ohne einen eigenen

Namen. Dies wird so bleiben noch lange Zeit.

Der Dritte Ludwig stirbt im Jahr 882. Sein Bruder, der Dritte Karl und genannt >der Dicke< wird sein

Erbe. Er hatte 876 das Klein-Königreich Alamannien geerbt, danach Langobardisch-Italien hinzu er-

worben und war so auch Kaiser geworden. Als erstem der ost-fränkischen Karolinger war ihm dies

gelungen. Ein langobardischer Edeling, Liut-ward von Vercelli half ihm als Erzkanzler seine Herrschaft

auch in Italien abzusichern. Ein anderer Bruder, Karlmann der Dritte, war schon 880 in Baiern verstor-

ben und hatte nur einen nicht-ehelichen Sohn Arnulf von Kärnten hinterlassen. Nun steigt der Dicke

auf zum nominellen Alleinherrscher aller Franken. Auch das West-reich untersteht wenn auch nur

formell seinem Szepter. Die Reichenau im Bodensee wird zum Mittelpunkt seines Imperiums. Schon

887 wird er jedoch abgesetzt. So etwas hatte es bis dahin bei Frankens noch nie gegeben - entweder

Purpur oder tot !

Arnulf, der illegitime Sohn vom Bruder des Dicken Karl war bis dahin Mark-graf und dux von Kärnten

gewesen, nun wird er zum neuen König der Franken erhoben und später in Rom auch zum Kaiser

gesalbt. Seine Hauptresidenz bleibt Regensburg, dadurch wird Baiern erneut zum Kernland oster-

Frankens. Doch das Imperium der Karolingischen Franken-Kaiser schwächelte bereits sehr. Schon

877 hatte sich die Provence vom Frankenreich abgespalten und durch Boso von Vienne zum autono-

men Königreich >Niederburgund< gemausert. Nun verweigerte 888 auch der welfische Mark-graf von

Auxerre und Abt von St. Maurice dem Kärntner Arnulf die Gefolgschaft. Er begründete sein eigenes

Königreich >Hochburgund<. Der neue König Rudolf der Erste hatte dabei anfangs noch etwas

Schwierigkeiten mit der Namensgebung für sein neues regnum. Sowohl als „rex Burgundiorum“ wie

auch „rex Jurensium“ oder „rex Alamannorum“ ist er anfangs in den Quellen benannt415. In Paris lies

sich Graf Odo zeitgleich zum König der West-franken ausrufen. Auch Berengar von Friaul wollte die-

sen Zug nicht verpassen und wurde 888 >König< in seiner Mark. Nur ein Jahr später ahmte ihn Wido

von Spoleto nach (889).

Jener Prozeß den eine deutsch-völkisch verderbte Historik noch heute als ein >Wiedererstarken< der

>Stammes-herzogtümer< mißinterpretiert hatte begonnen nachdem Arnulf von Kärnten zum König

erhoben wurde. Seine ilegitime Geburt schwächte auch seine Legitimation als >Karolingischer< Herr-

scher416. So edel von Geblüt wie dieser Bastard fühlten sich andere Fürsten im Reich der Franken

415 L.Boehm 416 Daß Kaiser Arnulf von Kärnten von einer Langobardischen Mutter geboren sein könnte legt schon sein für Karolinger einmaliger Name Arn-ulf nahe.>-ulf < war als Zweitsilbe geradezu ein Muß langobardischer Na-mensgebung, >-olf< ist dabei lediglich seine fränkisch-burgundische Schreibvariante (Rud--olf statt Rod-ulf). Ebenso ist das Namensglied >Liut-< im italischen Umfeld der letzen Karolinger gleichsam als ein Leitname präsent. Liut-ward von Vercelli war Erzkanzler des Dicken Karl III. gewesen, Kaiser Arnulfs Vater Karlmann III. war einst selbst nach Italien und Rom gezogen um dort vom Papst gesalbt zu werden. Eine Langobarden-Pinzessin Liut-suinda (= eine der Liuti) hätte dabei auch seine Herrschaft über die Langobardia geblütsrechtlich gesichert. Einen gemeinsamen Sohn dann Arn-ulf zu nennen würde dessen langobardisches Herrscher-charisma auch im Namen sichtbar gezeigt haben. Ihn mit dem Attribut von Kärnten zu belegen verweist ebenfalls in die unmittelbare räumliche Nähe zu den Langbärten.

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ganz offensichtlich auch. Ihm Gefolgschaft zu leisten war für sie keinesfalls zwingend. Arnulf von

Kärnten aber fehlte die reale Macht um die abgefallenen Klein- und Neu-königreiche seinem regnum

Francorum wieder zu unterwerfen. Trotzdem aber er wird Kaiser der Römer. Als solcher begnügt er

sich mit der formalen Oberhoheit über die Seperatisten-könige in seinem fränkischen Imperium.

Er selbst trägt zur inneren Aufsplitterung Oster-Frankens mit bei. Im Jahr 898 erhebt er seinen Sohn

Zwentibold (der Zwanzig-kühne ?) zum König und übergibt ihm Lothringen als ein autonomes Teil-

königreich. Die Liste der karolingischen Erbteilungsreiche verlängerte sich (817 das theudisce Baiern,

829 die welfische Alamannia, 855 erstmals Lotharingien, 877 Niederburgund, 888 Hochburgund, Fri-

aul und Paris, 889 Spoleto, 898 erneut Lothringen). Doch welche >Stämme< wieder-erstarkten hierbei

?

Kaiser Arnulf von Kärnten stirbt 899. Seinem Sohn Ludwig >das Kind< hinterläßt auch er nichts Deut-

sches. Als dieser kindliche König schon im Jahr 911 ebenfalls das Zeitliche segnet ist im Oster-

frankenreich die Herrschaft und Dynastie der ripvarisch-walchen Karolinger erloschen. Ziemlich genau

zwei Jahrhunderte nach der Machtergreifung des Freien und Hammers >Carlo< von der Waal (=714).

Kann das Deutsche jetzt? Es wird es zumindest versuchen

Die Atempause die es dazu noch benötigt gibt uns die Möglichkeit nochmals einen kurzen Blick auf

jenen Ludwig zu werfen der so missinterpretiert als >derDeutsche< durch die Geschichtsbücher geis-

tert. Gerade an ihm läßt sich exemplarisch zeigen wie voreingenommen mittelalterliche Texte aus

dem Nachfolgenden heraus fehlinterpretiert werden. Dieser Ludwig hatte von seinem gleichnamigen

Vater im Jahr 817 >Baiern< als ein Erb- und Teil-Königreich zugewiesen bekommen. Nach Bruder-

und Bürgerkrieg erhielt er die entlang des Main und Rheins liegenden Frankengaue sowie Sachsen

hinzu. Darauf hin wurde er von zeitgenössischen Chronisten treffend als „rex Germanorum“, als ger-

manischer König tituliert. Von deutsch-preußischen Historikern aber wurde er zu >der Deutsche< ge-

macht. Dies ist jedoch völlig sinnentstellend und verfälschend. Ludwig erhielt in der Tat den >germani-

schen< Reichsteil der Franken worin Schwaben, Thüringer, Franken, Sachsen und eben auch >theo-

disci< lebten. >Deutsch< aber waren nur die südöstlichen Provinzen dieses germanischen Teilreiches

der waalhiscen Karolinger-Franken – vor allem Baiern. Der herabsetzende Beiklang sowohl des

>germanisch< wie auch des >theudisca< aber war wohl der Grund dafür, daß Ludwig selbst sich als

>König der Baiern< benannte, nicht jedoch rex Theutonicorum oder Germanorum. Auch dieser Karo-

lingische und ripvarisch-walche Ludwig war als rex Germanorum selber und explizit kein Deutscher

sondern wie die gesamte Dynastie der Karolinger-Franken und Hugonen ein >Walch< und Wallone.

Daß er jedoch ebenso wie seine Chronisten den Unterschied von >germanisch< zu >deutsch< sehr

wohl zu machen wußte zeigt ja gerade jene zeitgenössische Definition der >theudiscen< Sprache

seines bairischen Gefolges vor Straßburg. Ein gleiches gilt auch für die anderen >diutiscen< Notie-

rungen jener Jahre. >Germanisch< war und ist eben nicht gleichzusetzen mit >deutsch< und war es

nie!

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8. Oster-Franken nach den Karolingern- Deutsches Stammes-getümmel

Die Herrschaft der walchen Karolinger geht im Oster-frankenreich, dem >regnum Francorum orienta-

lis< mit dem Tod Ludwig das Kind im Jahre 911 n.Chr. zu Ende. Seit der Begründung einer östlichen

Linie im Haus des Großen Karl durch Ludwig der Fromme war inzwischen gerade ein Jahrhundert

vergangen (817-911). Im westlichen Frankenreich lebte zwar ein nachgeborener Karolingersprößling

doch er ist noch ein Kind und nicht regierungsmündig. Eine andere große und königsfähige Adelsdy-

nastie ist auf Grund karolingischer Machstrukturen nicht vorhanden. Ebensowenig sind jene ominösen

Stämme die eine völkisch motivierte Historik im 19. Jahrhundert so irreversibel etabliert hat als ethni-

sche Basis für eine Machtübernahme existent. Einzig die Sachsen die erst durch den Großen Karl um

800 endgültig und barbarisch unterworfen wurden hatten wohl noch eine gemeinsame und bindende

Identität an die Zeit vor ihrer walhiscen Eroberung bewahrt. Was ansonsten mit >Wiedererstarken der

Stammes-herzogthümer< kolportiert wird ist barer Nonsens aus germanophil verquasten Gehirnen.

Die seit Ludwig der Fromme in Ost-Franken geschaffenen Teil-königreiche Baiern, Alamannia und

Lotharingien blieben auch für die nachfolgenden Generationen ein territorialer Maßstab. Diese Karo-

lingischen Territorial-regnae zur Erbfolge und für Teil-reichs Könige etabliert hatten sich verfestigt und

verlangten nun nach 911 neue Herren.

In diesen ehemaligen Klein-königreichen Oster-frankens versuchten nach dem Aussterben der Karo-

linger die jeweils mächtigsten Grenz-Mark-Grafen die Macht zu übernehmen. Als karolingischen >dux

limite< stand allein ihnen das Recht zu in den >Marken< ein Heer aufzubieten. Kein Graf oder Bischof

durfte dies tun ohne den Landfrieden zu brechen. Nur dem König selbst und seinem fast autonomem

und vizeköniglichen Militärbefehlshaber in einer Grenzmark, dem >marchio< stand dieser Heerbann

zu417. Diese privilegierte Befehlsgewalt, nicht irgendwelche obskuren Stämme boten die Basis zum

Erstarken regionaler Fürsten und Machthaber zu Territorialherrschern. Es waren diese Großen und

Mark-grafen die in Burgund, Baiern, der Alamannia, in Ost-Sachsen und anderswo die Macht an sich

rissen.

In Baiern war Luit-pold Mark-graf in Kärnten. Als Gau-Graf unterstanden ihm zusätzlich der bairische

Nord-gau (=Oberpfalz) sowie der Donaugau um die Karolingische Residenzstadt Regensburg418. Von

dort aus hatten die beiden letzten Karolinger-Herrscher Arnulf von Kärnten und Ludwig das Kind re-

giert, dort wurden sie auch beerdigt. In Sachsen stellte die Sippe der Liud-olfinger den dux limite an

der Ostgrenze419. Dabei erscheint es als möglich daß sowohl die sächsischen Luid- olfinger wie auch

die bairischen Luit- poldinger über Kaiser Arnulf von Kärnten und dessen Mutter Liut-suinda dem letz-

ten der ostfränkischen Karolinger-Kaiser sogar verwandt oder zumindest verschwägert waren420. In

Chur-Raetien hielt Burkhard421 die Militärgewalt seiner Grenzmark zu Italien in Händen422 während

417 H. Diwald zeigt diesen Sachverhalt in seinem Buch >Heinrich der Erste<, Kap.6, sehr deutlich auf. Adalbert von Babenberg (=Bamberg) hatte eine Fehde mit dem Grafen Konrad der Ältere von der Lahn (=Wilinenburc) militärisch und siegreich ausgefochten. Doch weil er dabei den Landfrieden gebrochen hatte wurde er im Jahr 906 enthauptet. Sein Sieg über die Konradiner bei Fritzlar hatte sich nicht gelohnt 418 Hubensteiner 419= Saxonum orientalis 420 n. Hubensteiner. Liud-... entwickelte sich bei den Sachsen-herrschern zu einer Art zweitem Leitnamen. 421 Auch er ist Träger eines sogenannten >Leitnamens< der ausgehendenKarolingerzeit. Ein früher Burc-hardi ist 807 Marschall oder >comes stabuli< des Großen Karl. Um 900 sind dann Vater und Sohn Burc-hard Markgrafen

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Hochburgund von dem Welfischen Mark-grafen von Auxerre, Rudolf, regiert wurde und die Lothringer

bereits eigene >Reginare< (= Königliche) zu herrschenden Fürsten hatten.

Gestützt auf ihre legitime Militärmacht versuchten alle diese >marchios< nach 911 zu königlichen Er-

ben der Karolinger in deren ehemaligen Klein-königreichen zu werden.

Gemeinsam aber hatten sie zum Rivalen den Erz-bischof von Mainz und Erz-Kanzler des Reiches

Hatto der Erste. Seine kirchliche Metropolitan-Provinz reichte bis nach Chur, Augsburg und Eichstätt,

nach Merseburg, Verden und Paderborn. In Personalunion verwaltete er in Mainz, Würzburg und Er-

furt die bischöflichen Sitze selber. Seine Erz-diözese galt als die mächtigste des Abendlandes. Es gibt

Historiker die meinen daß dieser kirchliche Erz-Fürst versucht habe einen eigenen Kirchenstaat, eine

>Theokratie< in Oster-Franken zu begründen423. Er jedenfalls stand allein noch für >die Franken< im

herrenlos gewordenen Ost-reich der Karolinger. Als ethnische Gruppe waren diese im Ost-

Frankenreich ohnehin stets in der Minderheit gewesen. Fränkisch war in diesem regnum nur der karo-

lingische Machtanspruch und die Herrschaft, sie repräsentierten dort das >Fränkische< wenn auch in

seiner ripvarischen oder waalhiscen Ausprägung.

Nach dem Abfall Lothringens vom Ostreich war Fränkisches dort nun völlig zur Minorität geworden.

Hatto von Mainz versuchte dem entgegen zu wirken indem er um 911 ein territoriales >Herzogtum<

der Franken etablierte. Was heute als Thüringen, Bayrisch-franken, Hessen, die Pfalz sowie Nordba-

den bekannt ist bildete die räumliche Grundlage dieses neuen Herzogtums der Hatto-Franken Basie-

rend auf seiner Erz-bischöflichen Kirchenprovinz Mainz erstreckte sich Hattos Zugriff auch auf seine

Sufragane in Worms, Speyer, Würzburg, Eichstätt, Erfurt, Halberstadt, Hildesheim und Paderborn.

Diese Bistümer wurden zur territorialen wie herrschaftspolitischen Grundlage für das neue Ducat des

>Hattischen< Franken. (Auch dies als Wiedererstarken eines Stammes ?). Orts- und Landschaftsna-

men bewahren bis heute die Erinnerung daran auf424. Hatto-hessisches Erbe findet sich so auch im

Umfeld der Hattischen Bistümer zuhauf. Fast scheint es so als sei Hatto von Mainz auch der erste

>Hesse< in Person gewesen. Doch auch hierbei setzt die völkische Tradition statt auf den Mainzer

Hatto lieber auf ur-germanische Chatten als den Vorvätern der Hessen.

Unter dem Patronat des allgewaltigen Mainzer Kirchen- und Erzfürsten wurde nun ein fränkischer Graf

von der Lahn zum >dux< des neugeschaffenen Hatto-franken erhoben. Die Wilinenburch (=Weilburg)

hoch über der Lahn war Stammsitz einer fränkischen Grafen-Sippe, der sogenannten >Konradiner<.

Deren Jüngerer Konrad wurde nun Herzog in jenem durch Hatto von Mainz etablierten Herzogtum der

Franken. Welch ein Abstieg – vom fränkischen >Augustus< nun zum >Herzog< der Franken !

Als solcher aber stand er dann auch zur Königswahl bereit als nach dem Tod des kindlichen Ludwig

911 ein neuer Herr über Oster-franken gebraucht wurde.

in Raetien, ihr wohl nicht nur Namens-vetter befehligte mit seinem gleichnamigen Sohn die Grenz-truppen und –-mark in Thüringen und 932 ist ein harter und strenger (=got.hardus) Burg- Bischof in Würzburg. Als typisch >stabende< Namen sind Bar do, Ber-tha, oder Ber-thold sippenüblich. Bern-hard war ein Oheim(= Bruder der Mutter Ber-thrada?) des großen Karl, mit diesem Namen wurde auch Karls Enkel als König der Langobarden 813 in Italien inthronisiert ! Auch er hatte eine Ber-thaida als Schwester. Die einzige Theude-rada unter den Karolingern war ebenfals eine seiner Schwestern (n. F. Dahn). Die Bern- und Burc-harde im Alpenraum konnten sich offenbar auf verwandtschaftliche Nähe zu Karolings berufen. 422 Er und zwei seiner Söhne wurden ebenfalls hingerichtet weil sie dem Jüngeren Konrad von der Lahn und späteren König die Gefolgschaft verweigerten und ihm militärisch Paroli zu bieten versuchten. 423 zit.nach H. Diwald

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Zwar lebte Im fränkischen West-Reich die Sippe der walchen Karolinger noch weiter doch dem dorti-

gen Karl IV., später der Einfältige genannt, wollte der Mainzer Erz-Fürst das Ost-reich keinesfalls ü-

berlassen. Er fühlte sich stark genug gegen den geblütsrechtlich legitimierten Anspruch des noch un-

mündigen und Einfältigen Karl einen eigenen, seinen Kronprädententen Konrad von der Weilburg

auch als König in Oster-franken durchzudrücken. Was ihm auch gelang. In der Karolingischen Kö-

nigspfalz Forchheim, am Hauptquellstrom des Main gelegen fand noch im Jahr 911 die Königswahl

statt. Dieser Main-arm trägt seinen königlichen Namen Regn-itz wohl nicht zu Unrecht425. Der Jüngere

Konrad wurde dort als Konrad der Erste zum neuen König im Ostfrankenreich reich erhoben (911-918

). Sein Bruder Eberhard rückte in die Position des Herzogs der Hatto-Franken nach (911-939). Doch

schon im Jahr 913 starb des Ersten Konrad Gönner und Königsmacher Hatto von Mainz. Damit verlor

der Lahn-franke seinen Rückhalt in Oster-franken völlig. Die Markgrafen von Chur, Bairisch-Kärnten

und Ost-sachsen verweigertem dem ungeliebten König Gehorsam und Gefolgschaft. Da er geblüts-

rechtlich selbst nicht legitimiert war galt er den rivalisierenden Großen zurecht nur als einer der Ihres-

gleichen und nur von gleichem, nicht von höherem Rang. Auch sie nannten sich >Erster< und >Fürst<

oder >Prin ceps<, zu >Herzogen< wurden sie erst später wieder gemacht.

Der fränkische Konrad der Erste verbrauchte seine Kraft in erfolgloser Mühe seine Herrschaft und

eine neue Königsdynastie zu etablieren. Seine Heere wurden ein um das andere Mal von seinen

markgräflichen Rivalen besiegt. Diese dux limiti waren nicht wirklich zu unterwerfen. Burkhard von

Raetien versuchte die karolingische Alamannia zu re-installieren, der Luit-poldinger und Jüngere Ar-

nulf versuchte dies mit Baiern. In Ost-Sachsen verweigerte marchio Otto426 aus der Sippe der Liud-

olfinger dem Hattischen König Konrad die Gefolgschaft, ja er riß sich sogar noch die Thüringischen

Marken des im Kampf gegen die Ungarn gefallenen Mark-grafen Burghard427 unter den Nagel. Nach

sieben Jahren stets bestrittener Herrschaft war der Erste Konrad am Ende. Gebrochen an Körper und

Geist starb er im Jahr 918. Seinem Bruder Eberhard aber hatte er zuvor noch dringend geraten auf

den Königsanspruch in Oster-franken zu verzichten. Statt dessen sollte er die Insignien der königli-

chen Herrschaft nach Sachsen dem Liud-olfinger Heinrich überbringen. Herzog Eberhard befolgte den

Rat seines gescheiterten Bruders. So wurden die fränkischen Markgrafen in Ost-Sachsen für ein

Jahrhundert Könige der Oster-franken428 und bald auch Kaiser der Römer.

Und wo bleibt >das Deutsche< ? Es zeigt sich.

Nach dem Tod des Lahn-Franken Konrad I. wurden die Karten im Poker um die Macht im östlichen

Reich der Franken völlig neu gemischt. Nun ist nicht wie 911 ein übermächtiger Erz-Patron vorhanden

der einen Kandidaten auf Biegen und Brechen durchzusetzen vermochte. Auch ein geblütsrechtlich

und dynastisch legitimierter Kandidat stand nicht zur Auswahl. In gegenseitigem Geben und Nehmen

müssen die Großen des Ost-Reiches nun selbst zu Kompromiß und Ausgleich finden. Oder aber den

Einfältigen West-Karolinger Karl IV. in ihr Land holen. So einigen sich die Grossen Oster-frankens auf

einen Sohn des dux aus Ostsachsen - Heinrich soll der neue König sein. Doch nicht von allen Rivalen

424 Sprachentwicklungsgesetzlich wird Hatto zu Hahse/Hasse und/oder Hesse. Auch >tz< oder >ß< sind dabei möglich. 425 =regna =königliche Itz 426 =dux saxonium orientalis, n. Diwald 427 Nicht zu verwechseln mit seinem raetischen Namenskollegen !

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wird er widerspruchslos akzeptiert. Auch gegen den Ersten Heinrich organisiert sich Widerstand. Es

beginnt in Baiern. Dort hatte sich ein zweiter Arnulf429 schon nach dem Ende der Karolinger als ein

„Fürst durch Gottes Vorsehung“ zum Herrscher der Baiern und „angrenzender Regionen“ definiert430.

Nun huldigen die Großen Baierns nach dem Tod des Hatto-fränkischen Konrad „freiwillig“ ihrem

Princeps Arnulf und „trugen ihm auf zu herrschen im Reich der Deutschen“431.

Nun also ist sie da die >Deutsche< Herrschaft. Der diote Knecht will wieder nach oben. Wenn auch

nur als Anspruch - doch immerhin. Erstmals in der Geschichte benennt ein Fürst die von ihm ange-

strebte Führerschaft selbst als eine >deutsche< und proklamiert damit zugleich den ersten deutschen

Staat ! Zuerst und seit um 7oo eine >theodisce< Dynastie des Princeps Theoto in Baiern dessen >diu-

tisce< Erben vom Großen Karl im Jahr 788 liquidiert wurden. Dann 842 die >theudisce< Sprache ei-

nes bairischen Heeres und nun 918 eine Herrschaft >Teutonicorum<432 für Baiern. Einen >deutschen<

Staat würden auch Staatsrechtler daraus ableiten. (Wie schade daß Franz Josef Strauß nichts davon

wußte)

Arnulf von Baiern versucht nun 918 seine Teuto-deutsche Herrschaft zu etablieren. Ganz eindeutig

zeigt eine zeitgenössiche Chronik aus Regensburg daß er dabei weder die antiken Teutonen noch

das gesamte Oster-franken im Visier hatte. Dem Beispiel der beiden Burgunderstaaten folgend galt

sein Ehrgeiz (nur) einem autonomen König-reich >der Deutschen< ! Als sein sächsischer Rivale Hein-

rich mit einem Heer gegen Regensburg zog notierte dort ein Schreiber : “Da fiel also dieser sächsi-

sche Heinrich in das Königreich Baiern ein“433 Der Textzusammenhang zeigt dabei eindeutig daß es

Arnulf von Baiern nur um jenes Klein-Königreich samt den östlichen Marken der Karolinger zu tun war.

Er hatte keinesfalls das gesamte Oster-Frankenreich im Blickfeld. Lediglich Baiern und „die angren-

zenden Gebiete“434 beanspruchte dieser bairische Fürst „durch Gottes Vorsehung“435 für sich und sein

Teutonisches Königreich. Doch die Herrschaft darin wird als eine >deutsche< definiert. Sie beruft sich

damit wohl auf dasTheodisce Fürstentum des Theoto/Teudo von um 700 sowie auf die übrigen theu-

tisk-diutiscen Traditionslinien im bairischen Gebiet zwischen Donau und Alpen. Noch immer erscheint

es so als wären das Land und die dort wohnenden Leute in ihrem Namen verschieden. Deutsch die

Menschen und ihre Sprache - bairisch das Territorium.

428 918- 1024 429 nach Arnulf von Kärnten 430 Hubensteiner 431 Regnum Teutoricum ist der Terminus dafür. n. Hubensteiner 432 Da selbst die Schreibweise dieses ersten regnum Teutonicorum zu völkischer Deutung verleitet hat sei kurz dazu erläutert : “Der stimmlose Spirans >th< (lautsprachlich = ) blieb in Italisch- Langobardien bis zum 8. Jahrhundert ungeschmälert vorhanden. Danach wird einfaches >t< verwendet“. Als Einfluß des romanischen Italien wird dies von W. Bruckner in „Die Sprache der Langobarden“ erklärt. Hingegen erscheint >d< als Inlaut in lautverschobenen Dialekten wozu Bairisch und Langobardisch zählen jedoch als ein >t<. Der fränkische >Theude < tritt wie sein latinisierter Kollege >Theodo< demzufolge als ein langobardisch-bairischer >Teuto < auf. Ebenso seine Herrschaft, das regnum Teutonicorum.Auch Princeps Theoto wird schon von P. Diakonus als >Teudo< notiert. Doch mit jenen Teutonen die um 104 vor Chr. in Italien ihr blutiges Ende fanden hat dies nichts zu tun. 433 Hubensteiner 434 =adiacentes regiones 435, n. Hubensteiner

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124

Zurück zum neuen König Heinrich aus Sachsen436. Er versteht sein königliches Handwerk. In klugem

und zugleich machtvollem Handeln gelingt es ihm seinen mächtigsten Rivalen im Reich ihre Gefolg-

schaft abzuringen und dabei das Reich der Oster-Franken in seinem Bestand zu erhalten. Nun erst

und als Folge seines geschickten Machthandels entstehen jene >Herzog<-tümer welche später den

völkischen Mief hervorrufen werden. Heinrich bestätigt den Fürsten von Gottes Vorsehung Arnulf von

Baiern in seiner realen Machtposition. Er beschneidet weder dessen territoriale noch seine politische

Position. Auch die eigenständige bairische Metropolitankirchenprovinz (=Salzburg) bleibt unter der

weltlichen Oberhoheit des Baiernfürsten (eigene Kirche = eigener Staat). König allerdings, auch in

nachgeordnetem Rang darf der Baier sich nicht nennen. Der Titel Erster Fürst (=Princeps) bleibt ihm

unbenommen, die offiziellen Chronisten benennen ihn jedoch als einen >Herzog<.

Zum Ausgleich erhält er das militärisch bedeutsame Amt des Marschall (Heermeister) in Heinrichs

Königreich.

Ähnlich zuvorkommend behandelte Heinrich auch den Jüngeren Burkhard aus Rhaetien, einen Halb-

bruder Arnulfs437. Auch er nannte sich nach einem glanzvollen Sieg über Konrad I. ab 917 als „Fürst

von Gottes Gnaden“438. Er war drauf und dran die königliche Alamannia der Karolinger völlig in seine

Hand zu bekommen. Allerdings wollte er dabei >Schwaben< daraus machen !

Das benachbarte Klein-Königreich der Welfen, Hochburgund war ihm Vorbild und Rivale zugleich. Um

den Rücken frei zu bekommen gegen den dortigen König Rudolf II. erkannte Fürst Burkhard den Ers-

ten Heinrich als König an und leistet ihm 919 den Vasalleneid. Im Gegenzug wird der raetisch-

schwäbische Erste durch den König als Herrscher und >Herzog< über die zuvor Karolingische Ala-

mannia anerkannt. Diese, und dies ist auffällig, wird erst durch Burkhard zu Schwaben. Hierin zeigt

sich eine oströmisch-langobardisch geprägte Begriffsbildung. Die Franken schrieben stets von der

Alamannia. Heinrich I. überläßt trotzdem auch diesem schwäbischen Territorialfürsten von Gottes

Gnaden die Oberhoheit über die Reichs-kirche in seinem neuen >Herzog<-tum. Der König bestätigt

nur mehr formell die Einsetzung von Bischöfen durch den etablierten Territorial->Herzog< Burkhard439.

Auch der Bruder des toten Königs Konrad, Eberhard von Hatto-Franken wird von Heinrich in seinem

>Hattischen< ducat als ein Herzog bestätigt.

Was unter den Karolingern als territorial definierte Klein-könig-reiche begonnen hatte wird unter der

Herrschaft dieses sächsischen Königs als Mittel der eigenen Machterhaltung zu autonomen und eben-

falls territorial definierten Herzog-tümern abgestuft. Im Gegenzug macht er einstige Mark-grafen zu

Herzogen in diesen autonomen jedoch nachgeordneten Fürstentümern. Damit bindet er sie in das

Ost-fränkische Reich weiterhin ein. Der Erste Heiner wird von ihnen als König anerkannt und als Glei-

cher unter Gleichen440 akzeptiert. Ihre selbtsgewählten Titel Princeps, also Erster Fürst dürfen sie

dabei für den Hausgebrauch beibehalten, doch die offiziellen Staatsarchivare notieren für sie >Her-

436 918 - 936 437 Der ältere Bernhard von Rhaetien ( hingerichtet 911) war mit der Mutter des bairischen Arnulf vermählt.

Nach dem Tod Luit polds von Baiern (906 ) hatte sie in zweiter Ehe in die raetische Schweiz geheiratet war dort

Ducessa geblieben. nach Diwald

438 Diwald 439 Diwald 440 rex par inter pares

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125

zog<. Dieser Herzog ist allerdings nicht mehr vergleichbar mit jenem >dux< limite oder marchio der als

karolingischer Oberbefehlshaber eine Grenz-mark zu kommandieren hatte. Er ist jedoch ebensowenig

ein Stammes-führer germanischer Ur-horden. Als ein Fürst von edlem Geblüt regiert er als Herrscher

über ein territorial definiertes Fürstentum mit multi-ethnischer Bevölkerung unter der Oberherrschaft

eines Königs und >rex<. In einer Art Kronrat erhalten die neuen Herzoge danach herausragende Äm-

ter im Königreich. Als Truchseß – Marschall – Mundschenk und Kämmerer sind sie an der Herrschaft

über gesamt Oster-Franken mitbeteiligt.

Der Erste Heinrich hatte so seine Macht im fränkischen Ost-reich als König endgültig gesichert. Dies

war ihm gelungen in politisch klugem Geben und Nehmen. Dabei setzte er jedoch kein Wiedererstar-

ken irgendwelcher germanischer Stämme in Gang. Auf realpolitischem und territorial-staatlichem

Kompromiß gründete sein Erfolg. Mit neuzeitlichem Vokabular formuliert war dieser erste König aus

Sachsen der Begründer eines föderalen Bundesstaates mit monarchischer Regierung und Verfas-

sung.

Auch in Lothringen hatte Heinrich I. politischen Erfolg. Die königlichen Reginare dort hatten nach 911

auch für sich ein selbständiges Fürstentum auf den Fundamenten karolingischer Reichsteilung etab-

liert. Ein Giselbert ließ sich 920 formell zum Princeps und Erster Fürst über Lothringen ausrufen. Der

west-fränkische König Rudolf441 unterwarf ihn jedoch seiner Herrschaft. Heinrich gab dazu zunächst

noch seinen Segen442. Zwei Jahre später rief Princeps Giselbert selbst König Heinrich ins Land und

unterwarf sich 926 seiner Ober-herrschaft. Als Lohn und zugleich Verpflichtung erhielt er Heinrichs

Tochter Gerberga zur Ehefrau. Das >Herzogs<-amt über Lothringen erhielt allerdings zunächst Eber-

hard aus Hatto-Franken der Heinrich einst die königlichen Reichsinsignien entgegengebracht hatte.

Eine Hand ... ?

Schon 927 jedoch wurde der Princeps und Reginar Giselbert als Vasall Heinrichs zum >Herzog< über

Lothringen gesetzt. Als Truchseß des Reiches wurde er vize-königlicher Statthalter Heinrichs über die

lothringischen Franken. Dies sollte und konnte ihm wohl den Verzicht auf den königsgleichen Princeps

erleichtern. König Heinrich aber hatte seine Macht im Reich der Oster-franken nun endgültig abgesi-

chert. Ein >Herzog<-tum der Sachsen hat er dabei nicht etabliert. Er war König geworden und so blie-

ben alle Regionen die nicht einem Herzog unterstellt waren sein eigenes Königs-land. Auch Sachsen.

Bezeichnend für sein eigenes Legitimationsdefizit wie auch das aller anderen nach-karolingischen

Könige in Oster-franken ist ein Vertrag von Bonn aus dem Jahr 921. Karl IV., der Einfältige ist darin

tituliert als „durch Gottes Gnade König der West-franken“ während Heinrich schlicht als >östlicher<

König, als „rex orientalis“ bezeichnet wird443. Weder als ein fränkischer, germanischer oder gar als ein

deutscher König wird der sächsische und Erste Heinrich geehrt, er ist schlicht als der >östliche< defi-

niert.

Das Deutsche bleibt also weiterhin als ein Regionales und gedeckelt bei Fürst Arnulf in Baiern ver-

steckt. Wirklich Staat läßt sich mit ihm noch immer nicht machen. Doch es verlagert sich immer sicht-

barer nach Baiern und die ihm benachbarten Regionen. Sollten die Baiern jene Deutschen sein die

nach dem Absterben der antiken theodosianischen Wurzeln und der Verknechtung des Theodorich-

441 Dem Namen nachwohl ein Welfe aus West-burgund 442 Vertrag von Bonn, 921 443 Diwald

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126

ischen das Deutsche im Untergrund des Karolingisch-fränkischen Reiches am Leben erhielten? Die

Baiern gar als erste Deutsche in heutigem Sprachverständnis ?

Dann aber wäre es an der Zeit die Entwicklungsgeschichte dieser deutschen Ecke des Franken-

Reiches in groben Zügen nachzuzeichnen.

9. Die Baiern- Frühe Deutsche an Donau und Inn Die allgemeingültige Lesart zur Genesis der Bayern bestimmt noch immer ominöse Nachfahren der

Marko-mannen (=Grenz-menschen) aus Böhmen444 zu ihren Vorfahren. Diese neuere Theorie stellt

immerhin einen Fortschritt gegenüber jener unsäglichen Kelten-legende zur Herkunft der Bayern dar,

doch auch sie findet ihre Wurzeln noch in einer völkisch verderbten Historik des vergangenen Jahr-

hunderts. Ohne kelto-germanische Ursuppe kein Werden des Heutigen !

Selbst die unter jüngeren Geschichtswissenschaftlern seit kurzem verbreitete These daß es die Men-

schen der sogenannten Friedenhain-Prestovice Kultur445 gewesen seien die irgendwann im 5.Jh. aus

Böhmen an die Donau umgezogen sein sollen und dort das Fundament für Baiern gelegt hätten fußt

im Kern noch auf dieser völkischen Betrachtungsweise. Auch dabei wird noch immer nach einem je-

444 Von >Bujaemum< im hercynischen Wald schreibt der Grieche Strabo 445 Die Gruppe Friedenhain --- Als letzte der noch in Böhmen verbliebenen Germanen hatten nun auch sie das Feld den Slawen (Sklavenier) geräumt. Kloster mit Kirche gegründet welche er mit Reliquien des Heiligen Täu-fers Johannes ausgestattet hatte. Da Severins Lebensgeschichte weite Verbreitung im Mittelalter fand kam auch <Boiotro< zur Kenntnis vieler gelehrter Leser und schreiber. Keltischer >Boii<, Strabos >Bujaemum< und der Ort >Boitro<an der Innmündung verschmolzen so schier untrennbar mit den ersten wirklichen Bayern. 445 Buch IV/23). 445 Die Archäologie der Steppe 445 IIV/29 445 im Jahr 566 445 Buch II/10 445 A. Heine 445 Kap 23 M 445 Kat. Die Bajuwaren Rosenheim 445 dto. 445 Sie war die wichtigste Verbindungsstraße der Ostalpen zwischen Verona und Augsburg 445 Sonor = Getöse = Sonor-gau = Schwangau ?) 445 n. R.Christlein 445 siehe Ditten-heim oder West-heim, n.Menghin 445 Pforzen wird erstmals als >Forz-heim<, = Heim an der Furt erwähnt. Kat. Die Alam. 445 Besser wäre zu sagen mit den unterschiedlichen aber von ihm beherrschten Völkern 445 Fredegar 445 dto. 445 Später >der Deutsche< genannt

Einziger Beleg für diese These ist eine lokale Keramikkultur die sowohl in Tschechien als auch an der Donau

ihre Scherben hinterlassen hat.

Alles was sonst noch im archäologischen Fundgut Baierns zu Tage tritt ist römischen, keltischen, fränkischen,

alamannischen, gotischen, langobardischen,gepidischen, hunnischen, avarischen, thüringischen oder skandinavi-

schen Ursprungs. Keine Scherbe oder Fibelchen einer nicht definierbaren aber fremden Herkunft findet sich in

Bayerns Untergrund.

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127

ner mythischen Ur-Stämme gefahndet welche in der deutschen Historik als ebenso unauslöschlich

eingebrannt erscheinen wie offensichtlich auch in der Vorstellungswelt der mit diesen Themen Be-

schäftigten.

Im Gegensatz dazu würde die Staatsrechtslehre längst andere und schlüssige Denkmodelle zur Ent-

stehung dessen was Stamm genannt wird bereitstellen. Mit dem Begriff des >Personenverbands-

staat< verbindet sich die These einer Gruppen- und Loyalitätsbildung die in ihrer Konsequenz zu je-

nen Stammes-bildungen bis hin zur Staatengründung führen konnte. Einzelpersonen wie auch große

Sippenverbände oder unterschiedlichste ethnische Gruppen schlossen sich freiwillig oder gezwungen

einem gemeinsamen Anführer und/oder einer edlen Dynastie an. Hatte dieser Personenverband lange

andauernden Bestand so konnte daraus eine ethno-kulturelle Gemeinschaft, einer jener von der deut-

schen Geschichtsschreibung so geliebten Stämme entstehen. Nicht eine Rasse sondern vielmehr ein

Heerführer, ein Herrscher, eine Dynastie definierten einen derartigen Gefolgschaftsverband, den

Stamm. In ihrer Entstehung konnte eine derartige Interessen-gemeinschaft durchaus auch multi-

ethnische und/oder verschieden-kulturelle Aspekte beinhalten die im Ablauf von Zeit eine ethno-

kulturell verbundene Gruppe hervorbrachte. Was jedoch bei der Betrachtung von fremden Völkern wie

zum Beispiel der Hunnen oder Avaren fast schon als selbstverständlich gilt findet für die eigene Ge-

schichtsschreibung kaum Beachtung. Dies gilt auch und gerade für die Bayern.

Eine ethno-kulturelle Gruppe die als Ur-Baiern zu definieren wäre hat es nie gegeben. Auch die Leute

von Friedenhain werden diesem Anspruch nicht gerecht. Allenfalls gab es >norische Schwaben<.

Diese werden um 539/40 erstmals genannt446 und standen unter der Herrschaft der Theude-

fränkischen Könige. Und doch gibt es sie diese Bayern. Noch immer !

Bayrisches aber gibt es jedoch nichts vor 566 n.Chr. Weder einen Stamm noch eine Dynastie, auch

kein Territorium das diesen Namen trägt. Bayrisches tritt erst in die Welt mit der Person des avari-

schen Chans aller Chane Baianos447. Bezogen auf ihn entsteht Bayrisches als ein adjektivisches Attri-

but. Baianisch und avarisch zugleich meint erstes Baiovarisch. Geschaffen wurde die schriftliche Na-

mensgebung für alles Bayrische durch einen Poeta aus Friulisch-Italien. Als Benennung hatte es eine

denunzierende Funktion.

Nur das Land selbst trug als Reminiszenz an einen Avaren-chagan diesen Territorialbegriff als Name

weiter. Als Herrschaft entstand Bayern durch einen Princeps Theoto um 700 n.Chr. Jedoch nicht als

Baiern sondern als sein personales regnum >theodisce< in bairischem Gebiet.

Wie schon für das Deutsche so ließe sich auch für die Entstehung der Bayern ein Bibelwort zitieren -

am Anfang war das Wort ... (Joh.I.). Denn begründet wird eine bairische Existenz unter diesem Na-

men vermeintlich durch zwei Schreibkundige des 6.Jahrhunderts. Sie erfanden die ersten Baiern auf

Pergament. Notar, also fürstlicher Kanzleischef war der eine, Poeta aus Italien der andere.

Der Jurist, als Jordanis wird sein Name wiedergegeben, veröffentlichte 551 n.Chr. in der Hauptstadt

des oströmischen Reiches ein Geschichtsbuch über das Volk der Goten448. Er nennt darin und ver-

meintlich als erster die Baiern, seine >Bajoras<. Sein Werk ist jedoch nur in späteren Abschriften ü-

„Bairisches aber wird in Baiern nur gefunden, weil es dort zu Tage tritt. Findet man Gleiches in Schwaben oder Österreich, wäre es mit dortigem Namen zu nennen“,so beschreibt ein Katologtext zur Bajuwarenaustellung in Rosenheim von 1988 die Situation. 446 Als >Norsavorum gente< im sog. Theudebert-brief, z. .n. W.Menghin 447 Er wird auch als >Bajan< geschrieben

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berliefert die durch Zusätze, Weglassungen und Interpretationen zusätzlich entstellt wurden .“Wir

müssen uns bescheiden, nicht mit Gewißheit sagen zu können, was Jordanis wirklich geschrieben

hat“ schrieb W. Martens im Jahr 1943. So ist es.

Liest man jenes Kapitel (=LV) in welchem Jordanis die Bajoras erwähnt etwas aufmerksamer so ge-

winnt man den Eindruck daß auch diese Textpassage nachträglich eingefügt wurde. Entfernt man

probehalber jenen Satz der erstmals die Bayern benennen soll so wirkt der verbliebene Text über-

sichtlicher, prägnanter wie auch sinnreicher. Dieser Abschnitt welcher die Bajoras mit einschließt

scheint zudem eine Übernahme aus der Lebensbeschreibung des Heiligen Severin von Eugippius zu

sein. Dessen persönliche Kenntnis der geographischen und klimatischen Verhältnisse an der nori-

schen Donau und Inn finden sich teilweise wortgetreu bei Jordanis wieder449. Es ist ebenfalls sehr

auffällig daß Jordanis nirgendwo sonst und für keinen anderen Zeitraum in seinem Buch diese Bajoras

irgendwo oder irgendwann je ein weiteres Mal agieren läßt. Darin aber stimmt er überein mit all jenen

Chronisten deren Werk und Kenntnis unumstritten ist und die vor 570/80 n.Chr. niemals einen Bayern

erwähnten.

Weder die Vita St.Severini die eine authentische und präzise Beschreibung der Region an Donau und

Inn bietet, noch Procop, Agathias, Gregor von Tours, Sidonius Apollinaris, Zosimos, Menander Protek-

tor oder wer auch sonst immer aus jener Epoche zitiert werden mag - einen Bayern haben sie alle

weder genannt noch gekannt oder jemals über ihn berichtet.

Nehmen wir also den vermeintlich ersten schriftlichen Hinweis über Bajorasisches bei Jordanis als das

was er wohl ist - die erklärende und nachträgliche Hinzufügung eines späteren Kopisten.

Es gibt nichts Bairisches vor 565 n.Chr., denn Bayern ist das Produkt einer verlorenen Schlacht.

Die Vorgeschichte zu seiner Entstehung liest sich bei Gregor von Tours in seiner Fränkische Ge-

schichte so: “Nach dem Tode König Chlothars brachen aber die Hunnen in Gallien ein und Sigibert

zog mit seinem Heere gegen sie aus. Als es zum Kampfe kam wurden sie besiegt und in die Flucht

geschlagen“450.

Ein bisher unbekanntes Volk war im Jahr 562 in der inzwischen fränkischen Gallia aufgetaucht - die

Avaren. Gregor von Tours nennt sie die Hunnen wie jenes Reitervolk des Attila der schon ein Jahr-

hundert zuvor (451) in Gallien eingefallen war. Als weisse Hunnen im Gegensatz zu den schwarzen

des Attila werden die Avaren auch benannt. Sie repräsentieren ein höchst organisiertes Reiter- und

Nomadenvolk aus Zentralasien welches um 350 n.Chr. die schwarzen Hunnen aus Kasachstan nach

Westen verdrängt hatte. Demnach waren sie die eigentlichen Verursacher jener Völkerwanderung

gewesen die dann um 375 von den schwarzen Hunnen am Schwarzen Meer in gang gesetzt wurde.

Nun waren die weissen Hunnen selbst in Westeuropa aufgetaucht und hatten Gallien besucht. Auf

ihrem Törn nach Westen brachten sie auch ihre Erfindung des Steigbügels mit. Die Reiter Westeuro-

pas sind ihnen noch heute zu Dank verpflichtet. Anlaß zur avarischen Westreise waren die Türken die

448 Es ist dies zur Regierungszeit des Kaisers Justitian 449 Es ist wohl auch diese St. Severins-vita welche die Gleichsetzung erster Bayern (Bajoras) mit den >Bojern< provozierte.Eugippius schreibt darin von >einem Ort Boiotro< der schon verfallen und nahe der Stadt Passau (Batavia) lag. Dort hatte St.Severin ein Kloster mit Kirche gegründet welche er mit Reliquien des Heiligen Täu-fers Johannes ausgestattet hatte. Da Severins Lebensgeschichte weite Verbreitung im Mittelalter fand kam auch >Boiotro< zur Kenntnis vieler gelehrter Leser und schreiber. Keltischer >Boii<, Strabos >Bujaemum< und der Ort >Boitro<an der Innmündung verschmolzen so schier untrennbar mit den ersten wirklichen Bayern. Die Le-gendenbildung war programmiert

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ihrerseits um 552/555 das Reich der Avaren in der euro-asiatischen Steppe vernichtet und das Volk

vertrieben hatten. Seitdem war es auf der Suche nach einer neuen Heimat. Im Jahr 557 baten die

Avaren bei Ost-Roms Kaiser Justitian um Aufnahme in das Reich der Römer451. Der römische Kaiser

konnte kampfstarke Hilfstruppen in jenen Jahren gerade gut gebrauchen so erlaubte er den heimatlo-

sen Steppennomaden sich in der südlichen Ukraine nördlich der unteren Donau anzusiedeln. Danach

standen auch ihnen die römischen Heerstraßen vom Schwarzmeer entlang der Donau zum Rhein und

hinüber nach Gallien offen. Wie schnell sie diesen Transit benutzten erzählt uns Gregor v. Tours.

Wohl im Auftrag doch sicher wohlwollend geduldet vom Kaiser sollten sie die unbotmäßigen und ü-

berheblich gewordenen Franken daran erinnern wer noch immer Kaiser und Herr auch im westlichen

Reich der Römer war. Doch noch hatten die Gallo-Franken und ihr König Sigisbert I. das Glück der

Tüchtigen - die weisen Hunnen wurden 562 wieder aus dem Frankenland „hinausgejagt“. Nur vier

Jahre später kamen sie allerdings schon wieder zurück. Einen neuen „Gagan“ (Chan der Chane) hat-

ten sie zwischenzeitlich zu ihrem Herrscher erhoben - Baianos oder auch Bajan genannt.

Lassen wir Bischof Gregor weiter das Wort: „Die Hunnen versuchten wiederum nach Gallien zu kom-

men. Gegen sie zog Sigibert zu Feld. Da es aber zum Kampf kommen sollte, zeigten ihnen jene ...

allerlei Spukgestalten und besiegten sie dadurch. Als nun das Heer Sigiberts floh, wurde er selbst von

den Hunnen umzingelt ... Er würde in ihrer Gewalt geblieben sein, wenn er nicht ... durch Geschenke

die überwunden hätte, die er sich durch Waffengewalt nicht hatte unterwerfen können ... Als er dem

König ( gemeint ist Bajan, Anm.) Geschenke gemacht hatte, schloß dieser einen Vertrag mit ihm, daß

sie zeitlebens keinen Krieg mehr miteinander führen wollten“452.

So lässt sich eine totale Niederlage nach verlorener Schlacht mit Gefangennahme des Königs (um-

zingelt!), seines Freikaufs mit Lösegeld (Geschenke!) und anschließendem Verzichtsvertrag auf Re-

vanche (Zeit ihres Lebens!) auch beschreiben. Wes Brot ich ess ...

Ein bißchen anders beschreibt dagegen Paulus Diakonus ein Langobarde zwei Jahrhunderte später

dieselbe Situation: „Zu der Zeit fielen die Hunnen oder Avaren ... über dessen Sohn Sigibert her“. Da-

mit meint er das Jahr 562 um dann fortzufahren: „Abermals453 stritten sodann die Avaren mit Sigibert

... und brachten dem Frankenheer eine vollständige Niederlage bei “454. Punktum.

Den ausführlichsten und genauesten Bericht aber bietet uns der Grieche Menander Protector dessen

Werk einen „vorzüglichen Quellenwert besitzt ...“455. Er war Jurist, Historiker und Zeitgenosse sowohl

der entscheidenden Schlacht als auch der Akteure in der zweiten Hälfte des 6.Jahrhunderts. Er be-

schreibt wie Avaren und Franken nach dem Kampf wieder zu Frieden und Bündnis gekommen waren.

Baianos lies durchblicken "wie sehr sein Heer der Avaren unter Hunger leide und er, Sigisbert ,dürfe

....ein verbündetes Heer nicht im Stich lassen, ... noch dazu im eigenen Land,“ ! Baianos versprach,

sobald sein Heer mit Lebensmitteln versorgt sei würde er spätestens drei Tage danach weiterziehen.

„Als dies Herzog Sigibert gemeldet worden war, schickte er den Avaren sogleich Mehl, Hülsenfrüchte,

450 Buch IV/23). 451 Die Archäologie der Steppe 452 IIV/29 453 im Jahr 566 454 Buch II/10 455 A. Heine

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Schafe und Rinder“ 456. Äusserst aufschlußreich ist neben dem Speisezettel die Tatsache daß Sigibert

ein siegreiches Erobererheer in seinem >eigenen Land< auch noch fouragieren mußte ! Kein Wunder

also daß sich Gregor von Tours die Feder gesträubt hatte als er über seines Königs totale und

schmachvolle Niederlage zu berichten hatte. Diese Bloßstellung seines eigenen Herrn durfte so in der

fränkischen Geschichte nicht verankert werden. Zumal Sigisbert ja vertraglich hatte zusichern müssen

zeitlebens nicht versuchen zu wollen diese Scharte wieder auszuwetzen.

Dieser absolute Flop der Franken aber ist die Geburtsstunde alles >Bairischen<.

Unmittelbar nach dem fränkischen Desaster verließ ein Dichter seine nord-italienische Heimat in Fri-

aul. Venantius Fortunatus zog aus dem noch immer vom Gotenkrieg Justitians (533-553) verheerten

und entvölkerten Venetien (Friaul) ins Reich der Franken um. Gerade noch rechtzeitig bevor neues

und diesmal Langbärtiges Unheil über sein Mutterland hereinbrach. Kurz vor dem Jahr 568 hatte er

sich von dort abgesetzt. Geradewegs an den Hof jenes eben erst so gedemütigten König Sigisbert

und seiner Schönbraunglänzenden Gemahlin Brunichilde führte der Weg den italischen Poeta. Wie es

sich für einen Literaten geziemt verfaßte er darüber auch einen gereimten Reisebericht den er um

576 unter das Volk brachte. Mit historischer Auswirkung. Bis heute.

Er ist es der zweifelsfrei den ersten >Baiovarius<, dessen Gefolgschaft die >Baiovarii< und ihr ge-

meinsames Herrschaftsgebiet, die >Baiovaria< beschreibt, benennt und präzise lokalisiert.

Fortunas prägte jene Worte welche alles Bairische erst in die Welt bringen. Am Anfang war das Wort !

Er tut dies ganz offensichtlich in Kenntnis der 566 verlorenen Schlacht des Franken-Königs Sigisbert.

Vor allem aber beschreibt er bereits eine Auswirkung dieser fränkischen Niederlage.

Der Dichter erzählt wie er vom Brenner kommend den Inn im Lande der Breonen überquerte um da-

nach durch die Baiovaria zu reisen welche vom Lech durchflossen werde457. Nachdem er also das

Inntal verlassen und den Fernpaß überstiegen hatte begann irgendwo am Lech die Baiovaria. Damit

ist zugleich eine präzise territoriale Definition gegeben. Die geographischen Gegebenheiten legen

eine Grenzlinie zwischen Reute und Füssen am großen Lech-Wasserfall nahe.

An anderer Stelle wird Fortunatus noch genauer. Südlich von Augsburg liegt in Kissing die noch auf

die Römerzeit zurückgehende Verehrungsstätte der Heiligen Afra. Bis dorthin ließ sich nach Einschät-

zung des Dichters noch ungehindert durch das Reich der Franken wallfahren, doch falls man von dort

aus weiter nach Süden und über die Alpen wolle, dann, ja dann könne man dies nur tun,“ wenn einem

der Baiovarius nicht in den Weg trete“ meinte der Schriftsteller458. Dies ist mehr als deutlich. Sigiberts

Herrschaft im ehemals >eigenen Land< endete südlich von Augsburg bei St.Afra !

Über den strategisch hoch bedeutsamen Lechübergang bei Abodiacum (jetzt Epfach), dort wo die

Ost- West Magistrale von Linz und der Donau kommend zum Bodenseegebiet und Rhein führend auf

die Via Claudia Augusta traf hatte an Stelle von Frankens König Sigisbert nun der Baiovarius das Sa-

gen. Er kontrollierte jetzt die Alpenzugänge der Via Claudia459 und der rechts des Lech verlaufenden

Paralellstraßen. Die möglichen Lechübergänge bei Landsberg, Schongau oder Lechbruck lagen wohl

456 Kap 23 M, sehr deutlich wird in diesem Text auch gezeigt wie aus jeweiliger Interessenlage Rang und Anse-hen durch Herabminderung des Titels in alten Texten praktiziert wird. Hierbei betrifft es einen Franken-König der aus ost-römischem Interesse kurzerhand zum >Herzog< degradiert wurde. Diese Praxis wird dann gerne und häufig auch von fränkischen Chronisten angewandt. 457 Kat. Die Bajuwaren Rosenheim 458 dto. 459 Sie war die wichtigste Verbindungsstraße der Ostalpen zwischen Verona und Augsburg

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ebenfalls innerhalb seiner Baiovaria. Von südlich Augsburgs bis Füssen oder den Fernpaß ist erstes,

allererstes Bayern und von Venantius Fortunatus zwischen 566 und 568 selbst durchwandert !

Die geographischen Besonderheiten wie auch das verkehrsstrategische Geflecht sprechen dabei für

Füssen als südlichem Endpunkt. Das mahlende Wasser des Lech lies dort eine nur schwer passierba-

re aber um so besser zu verteidigende Engstelle entstehen. Oberhalb dieser Lechschlucht und des

dröhnenden Wasserfalls460 ergab sich eine andere Verbindungsmöglichkeit vom Fernpaß über Pfron-

ten zu Wertach und Iller und weiter in den fränkischen Westen. Entlang der Wertach führte auch eine

>Altstraße< nach Augsburg auf der wohl die Kontrolle des Baiovarius zu umgehen war461.

Zwischen Füssen und Augsburg also regierte unmittelbar nach 566 der erste Baier, der Baiovarius

über das strategische Herzstück zwischen Alpen und Donau im einst römischen Rhaetien.

Auch in der Sprachgeographie hinterläßt Sigiberts verlorene Schlacht und das Vordrängen der Avaren

in sein eigenes Land ihre Spur. Die Ortsnamensendung >-heim< gilt als ebenso fränkisch wie -ing/-

ingen alamannische Siedlungen kennzeichnet462. Entlang der oberen Donau und ihrer Zuflüsse wie

Iller oder Mindel finden sich reichlich fränkische -heime. Das Nördlinger Ries sowie das Tal der Alt-

mühl sind ebenfalls sichtbar von fränkischen heimen übersiedelt. Der archäologische Befund ist dazu

deckungsgleich463. Augsburg jedoch ist deutlich Endstation des -heim-fränkischen Einflusses Lech

aufwärts. Entlang der Mindel aber zieht sich noch ein Siedlungsband fränkischer -heime von der Do-

nau bis hinauf nach Mindel- und Türkheim um etwa bei Wörishofen und Pforzen464 an der Wertach zu

enden. Auch das Flußtal der Iller bezeugt die fränkische Landnahme. Ebenso ist auf dem linken Lech-

ufer auf schwäbischer Seite jedoch merklich ausgedünnt die Spur der Franken -heime noch zu verfol-

gen. Südlich von Augsburg und St. Afra ist das Franken jener Zeit dann zu Ende. So wie Fortunatus

es beschreibt. Dort beginnt die Avaria des Baianos, dort herrscht bereits der Baiovarius !

Doch was sagt uns sein Name und wie ist er zu deuten?

Bajan oder Baianos ist jener Chagan der Avaren der historisch verbürgt mit seinem siegreichen Heer

in Sigiberts eigenem Land steht. Selbstredend kamen er und seine Reiter auf jenen römischen Heer-

straßen entlang der Donau geritten die durch Noricum und Rhaetien über den Lech und/oder die Do-

nau weiter nach Gallien führten. Gibt es ein historisches Beispiel daß je ein siegreicher Feldherr einen

strategischen Kernpunkt freiwillig geräumt und wieder preisgegeben hätte ?

Auch Baianos tat dies sicherlich nicht. Er hatte den stategisch wichtigsten Punkt nördlich der Alpen

zwischen dem Balkan (Illyrien) und Gallien erobert und sich dort auch festgesetzt. Dort wo nun er die

Strassen und Flußübergänge kontrollierte endete auch Franken und Sigisberts eigenes Land – jetzt

begann dort die Avaria des Baianos, die Baiano-Avaria, die Baiovaria.

So wurde der Avaren-Chagan zum Namensgeber auch für den ersten Baio-varius der Geschichte.

Falls er nicht selbst damit gemeint war so war es doch sein Vasall, sein Statthalter dort - ein Baiani-

scher Avare oder ein avarischer des Bajan – der Baio-varius.

Die den Lateinern stets zugesprochene Prägnanz sowie ihr sprichwörtlich beißender Sprachwitz

(=Italum acetum) konnte sich am Baiovarius bestens beweisen. Als Begriff wurde er ebenso zu einem

460 Sonor = Getöse = Sonor-gau = Schwangau ?) 461 V. Babucke befaßt sich im Kat. Die Alamannen sehr ausführlich mit Pforzen bei Kaufbeuren welches eine verkehrs-strategisch wichtige Position der Franken als >Furt-heim< an der Wertach repräsentierte. 462 n. R.Christlein 463 siehe Ditten-heim oder West-heim, n.Menghin

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patronymisch definierenden (=ein Baianischer) wie auch zu einem ethnisch begründenden(=ein Avari-

scher). Zugleich aber konnte auch ein Gote, Alamanne oder Langobarde als >Baiano-Avarischer<

zugeordnet und diffamiert werden. Anlaß dazu war aus fränkischer Sicht ausreichend vorhanden. Wer

auch immer im Herrschaftsbereich des Avaren-Chagan Baianos lebte oder gar sein Vasall und Amts-

träger geworden war wurde zu einem Baiano-Avarischen, zum >Baio-varen<. Dem lateinischen ace-

tum entsprechend erhielt dabei das lateinische >varius< noch die Doppelbedeutung des Vermischten

und/oder Verschiedenen hinzu. Gerade dies aber war ein Spezifikum avarischer Herrschaft – der

Khagan war oberster Herr eines Vielvölker-Staates, geradezu ein Paradebeispiel für multi-kulti

schlechthin - >varius< eben.

Nach ihrem Sieg über Sigisbert zogen die weißen Hunnen wieder Donau abwärts. Noch immer waren

sie auf der Suche nach einer neuen Heimat und ohne endgültige Wohnsitze. Die Feindschaft des

neuen Kaisers Justin II. in Ost-Rom war mit ein Grund für Bajan gewesen mit seinem Volk465 nach

Westen aufzubrechen. Er mußte nun dort suchen was im der Kaiser im Osten verweigerte.

Nur ein Jahr nach dem Triumph über den Frankenkönig machten Baianos und seine Avaren einen

Deal mit den Langobarden. Diese siedelten damals noch in Pannonien (=Westungarn/Jugoslawien)

und lagen im Dauerclinch mit den gotischen Gepiden. Deshalb boten sie dem Avaren-Chagan einen

gemeinsamen Kriegszug gegen jene an. Für ein Zehntel des langobardischen Viehbestandes als so-

fortiger Vorschußzahlung (Hunger war offensichtlich noch immer ein Problem der Steppenreiter), der

Hälfte der zu machenden Beute sowie allem Land der Gepiden östlich der Donau und entlang der

Theiß war Baianos zu einem Kriegsbündnis mit den Langbärten bereit. Der Untergang der Gepiden

war somit beschlossen und wurde umgehend in die Tat umgesetzt. Doch nach der Vernichtung des

Gepidenreiches im Jahr 567 wurde es den Langbärten offensichtlich selber mulmig. Die unmittelbare

Nachbarschaft zu diesen kriegstüchtigen Reiternomaden wurde ihnen anscheinend zu heiß. Unmittel-

bar im Jahr nach dem großen Sieg zogen sie deshalb kurzerhand nach Italien um (568). Noch über

Jahrzehnte hinaus aber blieb ihr Bündnis und ihre Freundschaft zu Chagan Baianos466 und seinen

Nachfolgern bestehen. Die Langbärte blieben auch in Italien weiterhin Baiano-Spezeln - avarische !

Diese selbst etablierten nun beiderseits der mittleren Donau und im Karpatenbogen ein gewaltiges

Imperium. Von den Karpaten bis zum jugoslawisch-dalmatinischen Karstgebirge, von Belgrad bis

Wien erstreckte sich bald die Avaria des Bajan. Die zuvor fränkische Wienerstadt wurde nun zur ava-

rischen Siedlung – wurde Baiano-avarisch467. Große Gebiete der Ostalpen wurden von Slawen unter

avarischem Schutz und Schirm übersiedelt. Wie wenig Glanz diesem Bajano-avarischen aus fränki-

scher Sicht jedoch anhaftete ergibt sich allein schon aus seinem äußerst spärlichen Auftreten in der

Folgezeit. Nachdem Fortunatus den Begriff um 576 in die Literatur eingebracht hatte dauert es noch

mehr als ein halbes Jahrhundert bis er ein zweites Mal schriftlich benutzt wurde. Erst um 630 n.Chr.

ermorden Baivarier (auch Bajoarier) im Auftrag des Frankenkönigs Dagobert neuntausend Bulgaren

464 Pforzen wird erstmals als >Forz-heim<, = Heim an der Furt erwähnt. Kat. Die Alam. 465 Besser wäre zu sagen mit den unterschiedlichen aber von ihm beherrschten Völkern 466 Er regierte von 565 bis 602 n.Chr. 467 Der Name des Bajan wurde im süd-slawischen Sprachraum und nur dort ebenfalls zum >Titel< für >Herr<. Die >Banovici< blieben unter den Kroatischen Fürsten des 12. Jahrhunderts die im Rang nächsthöheren Wür-denträger. Die >Bojaren< wiederum waren fast bis in die Neuzeit >adlige< Großgrundbesitzer in Rußland und Rumänien. Selbst der >Banat< erinnert wie andere geograghische Namen in Bajans einstigem Reich wohl noch immer an ihn. Nicht nur die lateinische Welt ließ die Namen ihrer großen Herrscher auch zum Titel werden.

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ein einer Nacht468. Doch ob mit diesen Bajano-varischen tätsachlich auc die späteren Baiern oder eine

andere Gruppe ebenfall Baiano-Avarischer gemeint sind ist nicht eindeutig. Danach werden jedenfalls

weitere einhundert Jahre vergehen bis Carlo Martelus um 723 über die Donau in >bairisches Ge-

biet<469 wie es benannt ist einrücken wird. Nochmals zwanzig Jahre später lieferten sich erstmals >die

Baiern< und Franken eine Schlacht am Lech (743). Geradewegs dort wo die baiovarische Geschichte

zwei Jahrhunderte zuvor im Jahr 566 begonnen hatte bekamen nun die Baiern eins auf den Helm. In

einer Zeitspanne von einhundertundfünfzig Jahren insgesamt jedoch nur viermal erwähnt worden zu

sein spricht nicht gerade für einen hohen Stellenwert des Bairischen in jener Epoche. Erst mit und

gerade wegen ihrer Rivalität zu den frühen Carlo-ingern von der Waal aber wird Begriff und Name der

Baiern in der Geschichte überhaupt erst fest verankert. Baiern repräsentiert dabei, ja ist wahrschein-

lich selbst auch jenes >theodisce< welches etwa ab 700 als der Gegenpol zum walhisce der ripuari-

schen Carlo-inger das Deutsche sprachhistorisch befördern wird.

Doch erst die von Princeps Theoto um 715/16 angestrebte und von den Franken unabhängige Kir-

chenprovinz für sein Herrschaftsgebiet an Donau und Inn lies jenes von fränkischen Schreibern so

genannte „bairische Gebiet" zu einem Staat, dem theodiscen Baiern werden. Mit wechselndem Glück

regieren seine Nachfahren bis zum Jahr 788. Mit Tassilo III. (wohl einem Urenkel des Ersten Theoto)

und seinen SöhnenTheod-pert und Theoto II. aber ist diese theodisce Dynastie in Baiern bereits am

Ende. Als >Agilolvingas< wurden sie in der Lex Baiovariorum verewigt. Mit ihr und durch sie ist Baiern

als autonome Herrschaft, als ein regnum erst entstanden. Sie dürfen getrost als die Begründer eines

Staates der Baiern gelten.

Die ethnischen Gruppen über die sie dabei geherrscht hatten aber waren so verschieden wie nur

denkbar. Norisch-pannonische Schwaben, romanisch-illyrische Breonen, norische Romanen und A-

lamannen, Thüringer und Rest-Goten, Alpenslaven, Langobarden und wohl auch etliche Avaren leb-

ten und siedelten in diesem bairischen Gebiet, einem Teil der ehemaligen Avaria des Baianos. Erst

die nachfolgenden Herrscher in dieser Region konnten durch die Bindung an ihre Person und ihre

Fürsten-Sippe eine ethno-kulturelle Gemeinsamkeit ihrer variablen Untertanen erst bewirken. Davor

gab es weder einen Stamm noch ein Stammes-gebiet oder je einen Stammes-Herzog der Baiern.

Dies sind Begriffe einer völkisch verseuchten Historik. Wurde ein Fürst in fränkischen Chroniken als

ein Baiern-Herzog bezeichnet so wurde er damit als ein Amtsträger und Vasall der fränkischen Könige

im bairischen Gebiet definiert. Gleichgültig war dabei aus welchem jener der obskuren Stämme er

jeweils abstammte. Baiern entstand als ein Territorial-staat und seine ethno-kulturelle Gruppenbildung

begann erst unter Princeps Theoto oder langobardisch Teuto.

Um 800 setzte Karl der Großer dem Reich der einstigen Baiano-Avaren ebenso ein Ende wie der

Theodiscen Herrschaft in der vormaligen Baiano-avaria zwischen Lech, Donau und Enns. Im Jahr 788

gliederte er Baiern seinem eigenen fränkischen Imperium ein. Die von ihm 798 etablierte Salzburger

Metropolitankirche mit Suffragenen in Regensburg, Neuburg/Staffelsee, Freising, Passau und Säben/

Brixen forcierte als Provinciae Baiovariae eine karolingisch-bairische Autonomie. Karls Gau-

Verfassung mit Grafen, Grenz-Marken und Königsboten legte über unterschiedlichste Ethnien und

Herrschaftszonen sein Gitter der karolingisch-walchen Herrschaft. Auch in Baiern. Erst seine Grafen,

468 Fredegar 469 dto.

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>marchios< und seine Kirche brachten wohl gemeinsam die kulturelle Einheitlichkeit der Untertanen

im bairischen Gebiet zustande. Zusammen mit der karolingisch-fränkischen Verwaltungsstruktur wur-

de diese Kirchenprovinz zum Territorialstaat. Bereits im Jahr 817, nur drei Jahre nach des Großen

Karls Tod und ein Jahrhundert nach dem Wirken des Princeps Theoto begründete der Sohn und

Nachfolger Kaiser Karls in den Grenzen dieser bairischen Kirchenprovinz ein erstes König-reich Bai-

ern für seinen gleichnamigen Sohn Ludwig470. Zu seinem Regnum gehörten auch alle Karolingisch-

fränkischen Marken des Südostens 471. Er machte Regensburg zu seiner Hauptresidenz und Baiern

zum Kernland seines späteren Oster-franken. Die nachfolgenden Karolingisch-bairischen Kleinkönige

wirkten danach gemeinsam mit der Kirche an der franko-bairischen Identität verstärkend weiter.

Unter König und Kaiser Arnulf von Kärnten wurden Regensburg und Baiern erneut zum Zentrum sei-

ner karolinger-fränkischen Herrschermacht. Was vermeintlich sprachgeographisches Erbe keltischer

>volcae< auch die bayrische Landschaft prägt ist in Wirklichkeit ein Andenken an diese >valhisc-

walchen< Karolinger-Herren. Alle die Walch-, Wall- und Walen-bezeichnungen im Lande zeugen noch

heute vom einstigen Besitzrecht dieser waalhisc-ripuarischen Franken. Für ein Jahrhundert, von 817

bis 911 waren Regensburg und Bayern das Herz Oster-Frankens. So entstand unter der Herrschaft

der walchen Karolinger erst jenes bayrische Staats-volk für welches eine unsägliche Begriffsbildung

noch immer vom Stamm faselt.

Doch die Bayern sind als ein Staatsvolk entstanden und sind es bis heute geblieben. Sie waren nie-

mals eine Blut und Boden Ethnie. Ihr Baierntum war stets orientiert am jeweiligen Herrscherhaus bis

hin zu Wittelsbach und F.J.S. Der Begriff des Stammes sollte deshalb aus der Geschichte der Bayern

getilgt werden.

470 Später fehlübersetzt >der Deutsche< genannt 471 Oesterreich, Steyermark, Kärnten, Krain=Slovenien und avarisch-pannonische Mark

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V. Buch Die Renaissance des Deutschen

1. Das regnum Teutonicorum - Von Herzog Arnulf zu König und Kaiser Hein-

rich III.

Nach dem vergeblichen Versuch Arnulfs von Baiern dem Deutschen nach dem Aussterben der wal-

chen Karolinger um 918 zumindest in einem bairischen „regnum Teutonicorum“472 wieder Glanz zu

verleihen und mit ihm zumindest regionalen Staat zu machen verfiel es erneut in Tiefschlaf. Eine

sächsische Epoche war statt dessen angesagt. Das Deutsche blieb weiterhin Knecht doch die Herren

waren jetzt fränkische Große aus Sachsen. Auch in Baiern.

Die römisch-karolingische Kaiser-krone hatte zuletzt Berengar I. von Friaul (905-24, ein Enkel des

Frommen Kaisers Ludwig getragen. Er war zugleich auch der letzte der Karolingischen Kaiser gewe-

sen. Nach seinem Tod blieb die Stelle als Nachfolger des Großen Karl für längere Zeit unbesetzt.

Noch bevor König Heinrich der Erste im Jahr 936 starb hatte er seinen Sohn Otto als Nachfolger und

östlicher König der Franken nominiert. Als kurz darauf der teutiske Princeps Arnulf von Baiern eben-

falls starb (937) verjagte der neue König dessen gleichnamigen Sohn und Nachfolger und machte ihn

zum „länderlosen Flüchtling“473. Arnulf zeigt sich dabei als einer jener charismatischen Leitnamen

einer fürstlichen Dynastie des frühen Mittelalters. Nach Kaiser Arnulf (=von Kärnten ) und dem Beina-

he-König Arnulf von Baiern trug der nun landlose Jüngere Arnulf als Dritter in Folge diese charismati-

sche Signatur474. Trotzdem aber wurde an seiner Stelle sein alternder Oheim (=Vaters-bruder) Bert-

hold aus Kärnten von König Otto I. zum Nachfolger des toten und Älteren Arnulf zum Herzog in Baiern

befördert.

Schon 938 mußte er die bairisch-herzogliche Kirchenhoheit an den sächsischen König Otto I. abtre-

ten. Als er im Jahr 947 stirbt wird gar ein sächsischer Heinrich Herzog der Baiern. Er ist ein Sohn Kö-

nig Ottos und hatte schon zuvor vorausblickend die Arnulf-ingische Erprinzessin Judith geheiratet

472 Hubensteiner.Dieses >Teuto-nicorum<als ein >Deutsches< bezog sich auf jenen Princeps Teudo/Theoto der um 7oon.Chr. sein teudo-isces regnum in >bairischem Gebiet< etabliert hatte. 473 w.o. 474 Statt der im frühen Mittelalter noch fehlenden Sippen- oder Familien-namen orientiert sich die Geschichts-wissenschaft oft an diesen so genannten >Leitnamen< um verwandschaftliche Zugehörigkeiten zu definieren (z.B. Friedrich, Karl od. Pipin). Bei der geographischen Nähe der Mark Kärnten zu den Langobarden wäre die Frage einer möglichen Verwandtschaft der Arn-ulf-inger nach dort zu stellen. -ulf war geradezu Standard bei Langobarischer Namensgebung. Da Kaiser Arn-ulf aus einer außerehelichen Beziehung seines Vaters Karl-mann III. mit einer >Luit-suinda< entstammt (n. Hubensteiner) und dieser mit einem Kriegszug nach Italien vergeblich versucht hatte Kaiser zu werden wäre es durchaus denkbar daß seine Nebenfrau und Mutter des späteren Kaiser Arn-ulf von Kärnten italisch-langobardischer Herkunft war. Ein >Verwandter< (Bruder?) der >Luit<-suinda wurde von Arnulf zum Nachfolger als Markgraf in Kärnten ernannt – >Luit<-pold (gest. 906). Ihm hatte er zu-sätzlich noch die Donau-grafschaft um seine Hauptresidenz Regensburg übertragen. Einiges deutet so darauf hin daß die bairischen Luit- und Arn-ulf-inger ihren Herrschaftsanspruch auf eine direkte Verwandschaft zu Kaiser Arnulf und dessen Nebenfrau Liut-suinda zurückführten. Eine deutlich >langobardische< Komponente wird

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womit er auch die geblütsrechtliche Legitimation für seine Herrschaft über die teutoniscen Baiern er-

warb. 950 n.Chr. wird dann auch Schwaben sächsisch. Liud-olf ein anderer Sohn des Ersten Otto und

Dritter Träger dieses ebenfalls charismatischen Namens475, wird dort zum Herzog eingesetzt. Der

theodisce Süden Oster-Frankens ist damit fest in sächsischer Hand.

Territorial aber blüht Baiern jetzt auf. Der sächsische Baiernherzog Heinrich erhält im Jahr 952 von

seinem königlichen Bruder Otto Istrien, Friaul und Venetien (=Verona) zu seinem bairischen Herzog-

tum hinzu. Dies ist weit mehr als jene angrenzenden Regionen die Arnulf von Baiern drei Jahrzehnte

zuvor für sein >deutsches< regnum noch im Auge hatte.

Baiern hatte nun seine größte terrritoriale Ausdehnung in der Geschichte erreicht. Von Regensburg

bis nach Venedig herrschte jetzt ein sächsischer Baiernherzog. Er ist damit auch Herr über die Lang-

bärte in den nordöstlichen Provinzen langobardisch Italiens. Erstmals seit Karl der Große sind damit

lautverschoben Schwätzende beiderseits der Alpen wieder unter einer Herrschaft vereint.

Den Langbärten und ihrem König Berengar II. von Ivrea verbleiben im Norden ihres Königreiches nur

mehr jene Regionen die nun zur Lombardei werden476. Doch auch sie erhielten einen Sachsen als

Ober-Herrn.

Die edle Adel-heid aus Burgund wurde als Witwe des verstorbenen Italien-Königs Lothar vom Zweiten

Berengar erobert und gefangengesetzt. Trotzdem konnte sie den Sachsen Otto I. zu Hilfe rufen. Die-

ser kam, siegte und nahm die schöne Adelheid selber zum Gemahl. Danach nannte auch er sich Kö-

nig der Franken und Langobarden477. Der besiegte Berengar durfte Italien zwar auch weiterhin als ein

König regieren doch er wurde zum Vassallen des Sachsen-Königs herabgestuft. Von diesem erhielt er

nun seine eiserne Krone Langobardisch-Italiens nurmehr als ein Lehen. Zusätzlich mußte er wie

schon erwähnt Istrien, Friaul und Venetien an den sächsichen Heinrich von Baiern abtreten (=951/52

).

Ein Jahrzehnt später geriet der Vatikan wieder einmal mit den langbärtigen Großen Italiens in Konflikt.

Auch Papst Johannes der Zwölfte rief deshalb den sächsischen Otto I. zu Hilfe. Und wieder zog der

tapfere Sachse mit einem Heer über die Alpen, kam, siegte und wurde diesmal zum Lohn als römi-

scher Kaiser gesalbt ( 962 ). Der Sachse Otto war nun östlicher König der Franken (=rex Francorum

orientalis ), ebenso der King aller Langbärte (=rex Langobardorum ) und zusätzlich Augustus der Rö-

dabei ebenfalls sichtbar. Der von Arnulf aus Kärnten abgesetzte Oheim Karl III. der Dicke hatte ebenfalls einen langobardischen >Liut-< zum Ratgeber und Kanzler – Liut-ward von Vercelli ! 475Der Erste Liud-olf war zur Mitte des neunten Jahrhunderts ein berühmter Kriegsheld. Als >dux limite Saxo-num orientalis< des Königs Ludwig >Germanorum< hatte er im Kampf gegen die Dänen Furore gemacht und war und war in einer Schlacht gegen sie den Heldentod gestorben.. Als Begründer des Klosters Gandersheim war er zuvor in Rom gewesen um dort entsprechende Heiligenreste für seine Abtei zu erwerben. Seine Heirat mit Oda der Tochter des Markgrafen Billung von Vor-pommern/Holstein erhöhte sein Ansehen. Seine Tochter Liud-gard wurde Gemahlin des Dritten und Jüngeren König Ludwig (876-82). Zwei seiner Enkel trugen diesen >Leit<-namen ebenfalls weiter. Liud-gard II. als Äbtissin von Gandersheim sowie ein zweiter Liud-olf. Eine andere Enkeltochter Oda II. wurde Schwiegertochter Kaiser Arnulfs von Kärnten und dadurch Königin von Lothringen. Der Dritte Liud-olf war nun Herzog der Schwaben geworden. Sowohl die ost-sächsischen Liud-olfinger wie auch die bairisch-kärntnerischen Luit-poldinger heben sich durch ihre verwandtschaftliche Nähe zu den letzten oster-fränkischen Karolingern hervor. Doch während die Ostsachsen den halb->welfischen< Ludwigs verbandelt sind weisen sich die bairisch-kärntnerischen Luitis besonders zu deren Ablöser, dem König und Kai-ser Arnulf von Kärnten verknüpft. Doch im Rückblick erscheint diese Königsnähe beider Sippen als eine der Hauptursache für das Scheitern des von ihnen gemeinsam abgelehnten Lahn- und Hatto-franken Konrad I. als König in Ost-Franken. 476 Die Langobarden = Lombardi = die Edlen 477 Ein Titel den der Große Karl als Erster getragen hatte.

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mer. Damit aber war er erfolgreich in die Fußstapfen des Großen Karl gestiegen, er wurde nun selbst

Otto der Große. Gegen den Verzicht auf seine Herrschaft über das südliche Italien wurde er sogar von

Ost-Rom formell als Kaiser-Kollege anerkannt. Vier Jahrzehnte lang hatte es vor ihm keinen Kaiser im

Westen mehr gegeben. Nach dem Tod des letzten Karolinger-Kaisers Berengar von Friaul (924) war

der westliche Kaiser-job nicht mehr vergeben worden. Ein anderes Fürstengeschlecht hatte sich bis

dahin nicht als Kaiser-würdig erwiesen.

Dabei darf nicht übersehen werden daß die römischen Kaiser jener Epochen nicht etwa nur als Au-

gusti der Stadt Rom galten. Noch immer waren sie auch im Bewußtsein der Zeit die Erben und Nach-

folger des antik-römischen Imperiums und dessen Caesaren und Augusti.

Mit Ottos Erhebung zum römischen Kaiser des Westens vollzog sich auch ein historischer Wechsel

der einen Vergleich zur Salbung des Großen Karl bietet. Das erbliche Kaiser-tum der ribwarischen

Karolinger von der Waal war erloschen obwohl in West-franken noch immer Nachfahren der waalhis-

cen Kaiser lebten. Von ihnen hatte der Vatikan sich abgewandt. Nun begründete Otto aus Sachsen

eine neue, seine sächsische Kaiser-dynastie der Ottonen. Der Erste Otto ist nicht nur ein kaiserlicher

Amts-nachfolger des Großen Karl wie andere vor ihm. So wie einst der ribwarische Franke Karl wird

auch der Sachse Otto zum Begründer und Stammvater einer eigenen Imperatoren-sippe deren kaiser-

licher Anspruch geblütsrechtlich vererbt wurde. In weiblicher, cognastischer Erblinie wird diese erst mit

dem Untergang der Staufer im Jahr 1268 erlöschen478.

Nicht mehr die im west-fränkischen Reich noch immer existierende Fürsten-sippe der ripuarischen

Karolinger sonder die oster-fränkischen Ottonen regierten nun als Nachfolger der Caesaren das west-

liche Reich der Römer. Man wird diese Kaiserkrönung des Ersten Otto auch als die engültige Tren-

nung des östlichen vom westlichen Reich der Franken ansehen dürfen. Oster-Franken ist nun erst und

mit eigenem Kaiser-geschlecht unumkehrbar auf dem Weg nach Deutsch-land. Dies trotzdem seine

Sachsen-Könige noch immer den Titel >rex Francorum< tragen.

Einen großen Zeitraum dürfen wir nun getrost ausblenden. Nicht etwa weil darin nichts von Bedeutung

geschieht sondern weil Deutsches dabei nicht gefragt war. Sachsens Kaiser lösen zwar die Franken

als Herrschschafts-elite ab und ersetzen sie durch ein sächsische, doch das Deutsche hat in seiner

etymologischen Bedeutung daran keinen Anteil. Ihm bleibt auch unter sächsichen Herren nur seine

dienende Funktion als diot, oder nun sächsisch als Thiade formuliert479.

Die Könige und Kaiser aus Sachsen prägen für ein Jahrhundert nicht nur die Geschichte in Oster-

Franken. Sie hinterlassen ihre Spuren in Mitteleuropa die bis heute noch nachwirken. Wir aber wollen

nicht Herrscher-geschichte neu interpretieren sondern das Deutsche suchen und finden. Gerade dies

aber wird auch von den sächsischen Kaisern verdrängt. Statt dessen erhielt ihr vor-deutsches König-

tum erneut und versuchsweise jenes barbarisierende Attribut welches einst der große Römer etabliert

hatte. Der Dritte Otto (983-1002) versuchte als Kaiser sowohl die Erneuerung des Karolingischen als

478 A. Wolf hat in „der Vinschgau...“ 1993 nachgewiesen daß alle Großen Fürstengeschlechter die bei der kon-troversen Königs-wahl im Jahr 1208 zwischen Philipp von Schwaben und Otto von Braunschweig in „direkter“ weiblicher Erblinie auf Kaiser Otto I. zurückführen. Die Jahrhunderte währende Rivalität in Oster-franken um das Kaiserdiadem war demzufolge stets auch ein Familienstreit gewesen ! 479 Ein aufschlußreiches Beispiel über Funktion und Sinngehalt dieses Begriffs der auch Name ist bietet Widu-kind von Corvey um 967in seiner >Sächsische Geschichte<, I, 9. Darin sind ihm sind ganz offensichtlich der Große Gote Theoderich und dessen Fränkischer Rivale und Namenskollege Theuderich I. zu einer historisch-

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auch des römischen Kaiserreiches mit Rom als dessen Hauptstadt480. Seine Teil-regnae benannte er

mit Italia - Sklavenia - Gallia und Germania481.

Doch nicht die Germanen sondern das Land welches seit Julius Caesar diesen Namen trägt führte

dabei zum Titel regnum Germanorum. Dieses ist eine bloße Territorial-definition. In diesem germani-

schen König-reich aber lebten nach wie vor Franken, Friesen, Sachsen, Alamannen, Schwaben, Thü-

ringer und, etwas jünger die Baiern. Hessen gab es unter diesem Namen noch keine. Ihr um 911

durch Hatto von Mainz geschaffenes Herzogtum der Hatto-Franken war schon von König Otto I. im

Jahr 939 wieder eliminiert und als Königsland zurückgenommen worden. Die Deutschen aber kamen

in Ottos Imperium Romanum explizit gar nicht vor.

Der offizielle Titel des Herrschers über die Germania blieb weiterhin „rex Francorum“ – fränkischer

König!

Die Weiblinger

Nach den Sachsen kommt im Jahr 1024 n.Chr. in dem noch immer fränkischen Reich Germaniens

eine andere Dynastie an die Macht - die Weiblinger.

Ein Konrad "de Weibling"482 wird nach dem Aussterben der sächsischen Königsdynastie als cognati-

scher Erbe (= weibliche Linie) problemlos König im regnum Francorum orientalis. Sein Geblütsrecht

war offensichtlich unbestritten483. Seine Herkunft und Bindung an das einst theodisce Schwaben und

die ebenfalls etwas lautverschobene Pfalz484 zwingen ihn jedoch zu Gesten besonderer Art.

Zuerst läßt er sich auf >fränkischem Boden< auf dem Königshof Kamba in Hessen (!) krönen. Auffal-

lend hierbei ist daß nicht die Pfälzer Heimat seines Vaters Heinrich von Worms als >fränkische< Erde

gilt sondern das jenseits des Rheins liegende Hessen. Dort also war nach damaligen Empfinden

>Franken<. Es handelt sich dabei eindeutig um jenes Herzogtum der Lahn-Franken welches einst

Hatto von Mainz, der Erz-bischof und zugleich Erz-Kanzler des letzten Ost-Karolingischen-Kaisers

Arnulf von Kärnten um 911 etabliert hatte. Für das von ihm zur Nachfolge der Karolinger protegierte

Franken-geschlecht der Konradinger von der Wilinen-burg (=Weilburg) hoch über der Lahn hatte er in

den Grenzen seines eigenen Erzbistums Mainz damals ein neues Ducat extra für diese fränkischen

Konrad-inger geschaffen. Er hatte damit zugleich das sprachliche Fundament für das spätere Hessen

gelegt. Doch jetzt im Jahr 1024 symbolisiert dieses hessische Hatto-Franken die >fränkische Erde< in

Oster-Franken! Auf ihr wurde der Weiblinger als Konrad der Zweite zum König erhoben und danach in

Mainz gekrönt und gesalbt. Nicht etwa in Aachen !

Dieser Verzicht auf seine Inthronisation in des Großen Kaisers Karl geheiligter Pfalz und Begräbnis-

stätte war doch wohl mehr als ein nur zufälliges Ereignis. Als der Zweite Konrad nimmt dieser König

mythischen Person verschmolzen die er >Thiaderich< benennt. Wohl allein schon wegen dieses Namens aber wird dieser als ein >Knecht< apostophiert. 480 Die sog. renovatio Imperii von 997 481 Deutlich sichtbar wird dabei ein Verzicht auf >Franken<.Oster-Franken wird durch den Territorialbegriff >Germania< ersetzt und auf West-franken erhebt dieser römische Kaiser keinen Anspruch mehr. Dies trotz oder weil (?) seine Mutter Theophanu als Regentin bei den West-franken 987 mit Hugo Capet den >Capetingern< zur Herrschaft und Krone verhalf. 482 So wird er in einer alten Urkunde genannt, n. J. Lehmann. Aus dieser mittelalterlichen Schreibweise wurde danach sowohl Waib- als auch Wib-lingen 483 sieh.A.Wolf

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Bezug auf jenen Ersten und Lahn-fränkischen Konrad der im Jahr 911 auf Betreiben Hattos von Mainz

zum ersten der nicht-karolingischen Könige in Oster-Franken erwählt wurde. Diese anti-karolingische

Haltung bringt auch der Zweite Konrad offensichtlich und symbolhaft zum Ausdruck. So entscheidet er

sich auch für das Volksrecht der fränkischen Merovinger-Franken, der Salier. Nicht das bisher gültige

aber ripvarische Recht der walchen Karolinger-franken sondern jenes der frühen Merovinger-Könige

bestimmt fortan die dynastischen Entscheidungen dieses Zweiten Konrad und seiner Weiblinger-

Erben in Oster-franken. Diese Entscheidung bringt seiner Dynastie dann bei neuzeitlichen Historikern

den Namen „die Salier “ ein. Unter Zeitgenossen wurden sie jedoch als die Weiblinger oder romani-

siert als i Ghibeline gehandelt. Ob sie nach einer ihre Stammburgen auch gleichfalls als die Limburger

(=lint-burch ) oder Weilburger (=Wilinen-burch) bekannt waren läßt sich jedoch nur mehr vermuten.

Daß sie jedoch zu >die Hessen< wurden ist mehr als nur wahrscheinlich. Die Verbreitung dieses Attri-

buts unter Siedlungs- und Ortsnamen innerhalb ihres einstigen Regnums läßt sich anders wohl kaum

erklären. Im Lied der "Gibelungen"485 aber wird ihnen später jedenfalls ein literarisches Denkmal ge-

setzt werden.

Als dritte Besonderheit dieses neo-salischen Konrad II. de Weibling fällt auf daß er es ist der seine

bisher fränkische Herrschaft trotz aller seiner fränkischen Gesten nun zu einer römischen macht.

Während seiner Regierungszeit (1024-1039) wird das Reich zum Imperium Romanum umbenannt486.

Nachdem der erste Weiblinger-König ebenfalls mit der eisernen Krone der Langobarden (1026/27)

und dem römischen Kaiserdiadem ausgestattet war (1027), ihm zusätzlich noch das welfische König-

reich Burgund durch Erbvertrag zufiel (1033) benannte er sein Gesamt-Imperium nun als ein römi-

sches (1034). Seit der Kaiserkrönung des Großen Karl im Jahr 800 war das Reich stets ein fränki-

sches, nur die Kaiser-würde selbst war eine römische gewesen.

Spezifisch Deutsches läßt sich auch von diesem ersten Weiblinger-Herrscher nicht berichten Dies

ändert sich jedoch schlagartig als sein Sohn Krone und Herrschaft übernimmt (1039). Er wurde Hein-

rich genannt so wie schon der Großvater aus Worms und wie auch der letzte Kaiser der Sachsen 487

geheißen hatten. Dieser Name war schon seit dem Ersten sächsischen König Heinrich in Oster-

franken zum geschätzten Namensgut mancher Fürstenhäuser geworden488.

In einer der ersten Urkunde dieses Weiblinger Heinrichs die seine burgundische Hofkanzlei für ihn

ausfertigte) nennt er sich 1038 selber der unbesiegbarste Heinrich, König von Burgund, Augustus der

Römer und als Deutscher König (na endlich !), als >rex Teutonicorum< der Dritte Heiner in Folge489.

Nun also ist sie da, die >deutsche< Königs-Herrschaft im bisherigen regnum Francorum orientalis !

Nach Arnulfs von Baiern 918 gescheitertem ersten und nur regionalem Versuch wird sie jetzt im Jahr

1038 n.Chr. endgültig und dauerhaft etabliert. Das Deutsche ist wieder wer ! Durch Heinrich der Dritte

wird es wieder hof- und sogar kaiser-fähig. Doch weshalb gerade durch diesen Königs- und Kaiserer-

ben? Was war seines Deutschen Heimatland ?

484 Im Worms - Nahe und Speyergau war seine Sippe reich begütert. In Mainz hattensie bereits ihre fürstliche Familien-grablege errichtet. 485 DerEntdecker dieses Epos, Jacob Hermann Obereit schreibt 1755 von den “Adventure von den Gibelungen“, n. H. Berndt 486 n. J. Lehmann 487 =Heinerich II. von 1002-24 488 Als Beispiel: Der erste der Welfen der nach dem dramatischen Machtverlust dieses Hauses in Oster-Franken um 930wieder reüssierte wurde ein Heinrich, genannt „der mit dem goldenen Wagen“. N.K.Jordan

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140

Noch zur Lebenszeit seines Vaters wurde der junge Heiner in die Staatsgeschäfte mit eingebunden.

Als erstes hatte ihm der Papa das Herzogtum in Baiern übertragen (1027). Ein Jahr später erhob ihn

Konrad II. zum Mit-regenten und Mit-König. Wurde er dadurch bereits zum rex Teutonicorum so wie

es einst Arnulf versucht hatte? Zu seinem bairisch fundierten Mit-Königtum erhielt er 1038 den schwä-

bischen Herzogshut noch hinzu (gab es nicht auch dort einst theodisce ?). Im folgenden Jahr stirbt ein

Onkel Heinrichs, Konrad von Kärnten. Er war ebenfalls Herzog in diesem Fürstentum gewesen das

der sächsische Kaiser Otto II einst von Baiern abgetrennt und zu einem eigenständigen Herzogtum

erhoben hatte (976). Nun übernahm der Dritte Heinrich auch diesen eins bairischen Ducat südlich der

Alpen in Eigenregie (1039).

War es die Einbettung in dieses bairisch - schwäbisch - kärntnerische Umfeld und seine Regentschaft

dort welche Heinrich zum Deutschen - zum Teutonici werden ließ ? War das Deutsche in jenen Tagen

noch immer ein Bairisches ? War dieses Bairische gar das Deutsche? Oder war es die schwäbische

Mutter Gisela490 die ihn zum Deutschen werden ließ ?

Wie dem auch sei, es ist König und Kaiser Heinrich der Dritte der im Jahr 1038 n.Chr. im franko-

germanischen Reichsteil seines römischen Imperiums das regnum Teutonicorum - das Deutsche Kö-

nigtum sicher und endgültig begründet hat. Erst durch ihn und mit ihm wird die Geschichte des zuvor

(Ost-)>Fränkischen< Reiches zu einer >Deutschen< !

Einem außenpolitischen Aspekt mag er dabei auch eine Bedeutung zugebilligt haben. Mit seinem

Verzicht auf den bisher üblichen Titel > rex Francorum< überließ er dem West fränkischen König und

Namenskollegen491 die Exclusivrechte daran. Dieser aber zählte zu jener westlichen Dynastie der

Capetinger die als kaiserfreundlich galt und in ihrer Macht sehr bedroht war.

Da nach dem Dritten Heiner die Neo-Salier an diesem Namen kleben blieben (Heiner IV. und Heiner

V.) wurde der gesamte Fürsten-clan danach als „die Heinriche von Weiblingen“ tituliert492.

Sie gingen als jene Kaiser in die Geschichtsschreibung ein die mit den römischen Päpsten um die

Vormachtstellung und den Primat der Politik in Europa zu kämpfen hatten. Daß sie dabei auch das

regnum Teutonicorum in seiner Entwicklung entscheidend mitprägten versteht sich von selbst. Doch

von spezifisch deutschem ist dabei noch immer nicht viel zu lesen.

Diese Epoche verlief noch nicht unter dem Gegensatz Deutsch gegen Päpstlich sondern war eine

Päpstlich - Kaiserliche Rivalität. Es ging dabei um den Vorherrschafts-anspruch über die irdische Welt.

Doch wir bleiben dem Deutsch verpflichtet. Zu ihm aber zählt jetzt auch Hattisches Franken als

Hessen.

Als einer sprachgeographischen Hinterlassenschaft jener Weiblinger Heinriche im deutschen Regnum

sollten wir ihm unsere Aufmerksamkeit zuwenden.

Verbreitet über den gesamten Herrschaftsbereich des einstigen regnum Teutonicorum findet sich der

landschaftsprägende Namen der Hessen. Von der Kieler Bucht bis zum Bodensee und der Schweiz,

von Baiern bis nach Belgien finden sich Hatto-hessische Orts- und Landschaftsnamen die mit dem

489 L. Boehm 490 Sie war ein Tochter des Herzogs Hermann II. von Schwaben 491 =Heinrich I. v. 1031-60. Er war ein Nachfahre jenes Hugo >Capet< der mit Unterstützung der Sächsischen Kaisergemahlin Theophanu 987 zum >Rex Francorum< des Westen gewählt wurde. 492 So nannte sie Otto v. Freising, n. J. Lehmann

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heutigen Hessen in keinerlei inhaltlicher Verbindung stehen können. Trotzdem aber sind sie vorhan-

den.

Derart sprachgeographisch prägende Erinnerungen haben stets mit Herrschaft zu tun. So wie die –ing

/-ingen, -heim oder Wall- / Walchen-Orte mit der Besitzergreifung jeweils Herrschender in Beziehung

stehen muß dies auch für Hessisch- gelten ! (Nein – bitte jetzt keine Ur-germanischen Chatten ! ) Alles

was wir Nachgeborene über eingruppierende Namen wissen ist zumeist von außen und/oder später

aufgesetzt. Doch wie nannten die Betroffenen sich selbst und wie wurden sie von ihren Zeitgenossen

gerufen ?

Von Konrad II de Weibling ist überliefert daß er sich auf Vorfahren auf einer Limburg im Pfälzer Wald

berief493. Außer gutem Käse bietet Limburg ebenfalls ein siedlungsprägendes Namensgut. In Limburg

an der Lahn beispielsweise wurde die Gemahlin des ersten wirklich deutschen Königs Heinrich III.

beigesetzt. Dies obwohl die Weiblinger-Heinriche sich bereits für ihre Familiengrablege in Speyer ent-

schieden hatten. Waren die zu Neo-Saliern erklärten Könige und Kaiser der Heinriche von Weiblingen

und i Ghibelini zu Hause besser bekannt und vertraut als die Limburger oder Konradinger, vielleicht

als Hattische-Franken und damit als >die Hessen<494 ? Als solche trügen dann ihre Güter und Besit-

zungen überall im Königreich Teutonicorum ihren Namen bis heute weiter. Selbst ein Hatz-feld oder

die Haß-berge können darin ihre sprachliche Herkunft finden

Als der Ur-enkel eines Konrad der Rote wird König Konrad II. de Weibling in der Geschichtsschrei-

bung apostrophiert. Dieser Rote Konrad war seinerseits einst als ein fränkischer Graf von Kaiser Otto I

der Große zum Herzog der Lothringer erhoben worden. Dies geschah unmittelbar nachdem Otto jenes

Herzogtum der Hatto-Franken nach einer Rebellion ihres Dux Eberhard liquidiert hatte. Eberhard, wir

erinnern uns, hatte 918 die königlichen Insignien der Macht seines gescheiterten Bruders Konrad I.

den Sachsen überbracht. Das Haus Sachsen war den Konradingern von der Lahn demnach verpflich-

tet. Otto löste zwar deren Hattisches Herzogtum nach Revolte und Tod des Eberhard wieder auf, doch

wie zum Ausgleich dafür erhielt der Rote Konrad aus der selben Sippe den Herzogs-hut der Lothringer

als Ersatz. Fast zeitgleich übergab Kaiser Otto seine Tochter Liudgard dem neu ernannten Dux zur

Braut und Gemahlin nach Lothringen mit. Damit blieb die Familien-Ehre beider Fürstenhäuser ge-

wahrt. Die Nachkommen aus dieser Ehe sollten es später noch weit bringen.

Der Rote Konrad aber war selbst ein Enkel oder Neffe des Ersten König Konrad. Seine Mutter ent-

stammte der Konradinger-Dynastie von der Lahn. Ob diese edle Frau die Schwester oder Tochter des

Ersten Konrad war ist ungeklärt. Ihre Herkunft aus der Sippe der Konradinger von der Wilinen-burc

über der Lahn ist jedoch unbestritten495. Durch diese ihre Abstammung gab sie auch ihren Nachfah-

ren das Königliche Geblüt – den höchsten Adel mit auf den Weg. Dies galt auch für ihre Roten Sohn.

Er war ein Hatto-Franke, Konradinger und zugleich Nachfahre des ersten Nicht-karolingischen Königs

in Oster-Franken.

König Konrad der Erste, Graf und Herzog Konrad der Rote, Dux Konrad von Kärnten und König Kon-

rad der Zweite de Weibling stehen demnach in direkter dynastischer Abstammungslinie. Zwar nur in

493 =Lint-burc, Katalog „Die Salier“.) 494 Hatto wird sprachentwicklungs-geschichtlich zu Hasso und/oder Hesse, n.E.Keller. Selbst >tz< oder >ß< sind

mögliche Alternativen. Auch Attila wird zu Etzel.

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cognatischer also weiblicher Linie doch für Krone und Amt geblütsrechtlich allemal ausreichend legiti-

miert. Sich nach der Königs-Wahl als ein Konrad und der Zweite zu präsentieren war für den Weiblin-

ger demnach wohl mehr als nur eine symbolhafte Geste. Dies war ein Akt bewußter Selbstpräsentati-

on. Er stellte sich damit vermutlich ganz offensichtlich in die Familien-Tradition der fränkischen Konra-

diner von der Lahn und deren Ersten König Konrad. Er tat dies obwohl er ebenfalls in weiblicher Erbli-

nie mit den sächsischen Ottonen verwandt war.

Sein Franken-tum aber unterschied sich deutlich von jenem der erloschenen und ripuarisch-walhiscen

Karolinger. Er war ein Hatto-Franke von der Weilburg an der Lahn – ein Hesse !.

Wohl aus diesem Anspruch heraus entschied sich Konrad der Zweite als König auch gegen das bis-

her gültige ribvarische Recht der Karolinger-franken zugunsten des uralten salischen der Merovinger-

Könige – er wurde zum Neo-Salier. Damit war er gleichzeitig auch deutlich unterscheidbar zu jenen

walchen Franken die im West-Reich das Erbe der ripuarischen Karolinger weitertrugen und auch

>Hugonen< genannt wurden.

Die salischen Hatto-Franken von der Lahn sind also zu differenzieren von jenen die üblicherweise als

>die Franken< klassifiziert werden und mit welchen ein Volk wie auch seine Herrscher-dynastien von

Chlodovech (um 500n.Chr.) bis zu Arnulf von Kärnten (gest. 899) gleichgesetzt wird. Doch mit dem

endgültigen Zerfall des Karolinger-reiches nach 888/911 lösten sich >die Franken< auf in unterschied-

lichste Fürsten- und Herrscherdynastien (z.B. Bosoniden, Capetinger, Welfen, Konradinger u.a.). Die-

se bildeten nun quasi neue Stämme. Wohl waren auch die hessischen Lahn-Franken in ihrer ethni-

schen Zugehörigkeit Franken – doch als Dynastie standen sie weder dem Großen Karl noch seinen

späten Erben verwandtschaftlich nahe. Sie waren Grafen auf der Wilinen-burch und von fränkischer

Herkunft – nicht mehr. Sie sind oder waren jedoch die ersten wirklich deutschen Franken des Hoch-

mittelalters. Unter ihren Zeitgenossen aber waren sie wohl besser als die Limburger, die Weiblinger,

die Konradinger oder eben als Hattische Franken, als >die Hessen< bekannt Als solche prägten sie

dann nach ihrem Aufstieg auch die sprachgeographische Hinterlassenschaft in ihrem Regnum Teuto-

nicorum.

Territorial aber war ihr Franken jenes Herzogtum welches Hatto=Hasso von Mainz um 911 erst be-

gründet hatte. Dort lag jene fränkische Erde die gerade für de Weibling so symbolhaft wurde. Nicht

Aachen sondern Frankfurt wurde zu ihrer Metropole, Speyer ihr Identitätsstiftendes und zugleich spiri-

tuelles Zentrum.

Durch Hatto und seines Erz-bischöflichen Segens vom „Heiligen Stuhl“496 (!) in Mainz aber waren

diese Neo-Salier erst zu regierenden Fürsten von Königlichem Geblüt aufgestiegen. Die Analogie zur

Königs-Erhebung der walhiscen Carlo-inger im Jahr 751 liegt dabei offen zu Tage. So wie der Heilige

Stuhl von Rom einst die ripuarischen Emporkömmlinge von der Waal durch seine und die >Gnade

Gottes< geadelt und damit erst Königs-würdig gemacht hatte, vollzog einhundertundsechzig Jahre

später der damals mächtigste Kirchenfürst des Abendlandes497, Hatto von Mainz eine vergleichbare

Aufwertung der fränkischen Konradinger von der Lahn und machte sie damit zu Hessen.

495 (Katatolog „Die Salier“ 496 „Sancta Sedes Maguntia“ ; F: Schütz, Das Mainzer Rad an der Gera 497 n.H.Diwald

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143

Auf deren dynastische Erbfolge berief sich nun Konrad de Weibling. Seine ebenfalls bestehende Ver-

wandtschaft mit den sächsischen Kaisern und Heinrichen aber gab diesem Namen dann seine Domi-

nanz auch im Hause der salischen Weiblinger.

Doch auch diese Weiblinger-Dynastie der ersten deutschen Heinriche aus dem Hattischen Hessen

kam in die Jahre. Sie begann zu schwächeln und starb in männlicher Linie im Jahr 1125 aus.

Hatten in den guten alten Zeiten die einzelnen Königssippen noch mehrere Jahrhunderte für sich ok-

kupiert ( Merovinger-Franken von 458-714 n.Chr., Karolinger-Franken von 714-911) so schafften die

Oster-Franken gerade mal noch je ein Jahrhundert ( die Sachsen von 918-1024, Weiblinger Neo-

Salier oder Hessen-Franken von 1024-1125, die sog. Staufer von 1138-1268).

Nachdem der letzte neo-salische Heinrich de Weibling, der Fünfte, im Jahr 1125 diese Welt kinderlos

verlassen hatte ging sein Erbe geblütsrechtlich über seine Schwester Agnes an die Familie der

schwäbischen Friedriche und Grafen von Büren über. Besser bekannt wurden sie später als die Stau-

fer. Sie waren unter den salischen Weiblingern mächtig und groß geworden und hatten von diesen die

erbliche Herzogswürde in Schwaben erhalten (Friedrich I. von Schwaben, 1079- 1105 ).

Zugleich mit der Herzogswürde erhielt dieser erste schwäbische Fritz die Weiblinger Kaisertochter

Agnes zur Braut. Ihr Geblütsrecht brachte den hohen Adel in das Haus derer von Buren erst ein. Sie

ließ die schwäbischen Friedriche in weiblicher Erblinie nun selbst zu „Heinrichen von Weiblingen“

werden498.

Benennen wir diese Linie der kaiserlichen Agnes und ihres schwäbischen Gemahls Fritz von Büren

und Schwaben damaligem Brauch entsprechend deshalb als >die Jüngeren Weiblinger<.

Als der letzte männliche Sproß der Alt-Weiblinger gestorben war hätte einem dieser Jüngeren de

Weibling die Krone und Herrschaft zugestanden. Doch ein Schwarzer Welfe und ebenfalls Heinrich

genannt verdarb den Schwaben gründlich die Show. Für ein Eheversprechen verhalf er erneut einem

Sachsen in den königliche Sattel, dem Herzog Lothar von der Süppelinsburg. Als der Dritte Lothar trug

nun er die Königskrone der Oster-Franken (1125-37 ).

Die geprellten Schwaben ließen daraufhin einen der ihren, Konrad, (nomen est omen) zum Gegen-

König erheben (1027). Als jedoch der sächsische Lothar vom Papst in Rom zum Kaiser gesalbt wor-

den war (1133) versöhnten sich auch die Schwaben wieder mit ihm. Auch von diesem Sachsen-Kaiser

gibt es speziell deutsches nicht zu berichten. Es sei denn man nimmt sein Sterben im teutiscen Baiern

zwischen Reute und Füssen für ein deutsches Ereignis. In anderer Hinsicht jedoch wäre diesem Lo-

thar ein ausführliches Kapitel zu widmen. Denn ihm, und erstmals ihm gelang was unsere völkischen

Historiker mit jenem ominösen Begriff der Stammes-bildung so überstrapazierten.

Die Sachsen als „Stamm“

Es war Lothar, ein Graf von der Süppelins-Burg, der Sachsen erst zu einem ethnisch wie kulturell

homogenen Territorium werden ließ.

Karl der Große hatte um 800 in etwa zwanzig (!) äußert brutal und grausam geführten Kriegen die

Sachsen besiegt und unterworfen499. „Unterwerfen oder ausrotten!“ waren dabei seine Alternativen.

Eine Mit-Ursache für die Niederlagen der Sachsen aber lag gerade im Fehlen übergreifender Macht-

498 (Otto von Freising 499 E.Nack

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oder Herrschaftstrukturen. Sie verstanden sich zwar sehr wohl als eine durch Herkunft und Kultur

verwandte Gemeinschaft, doch ein Stamm im Sinne eines >Personenverbandsstaates< waren sie

eben gerade nicht ! Sie waren ein Volk. Familiensippen und Clans lebten völlig unabhängig und nur im

Bedarfsfall schlossen sich unterschiedlich viele von ihnen einem gemeinsamen Heer-Führer und frei-

willig an. Doch niemals führte ein derartiges militärisches Zweckbündnis zu einer dauerhaften Stam-

mes-Bildung. Unter der Herrschaft des Großen Karl und seiner Erben aber wurde dann dem Land die

fränkische Verwaltungstruktur der Grafschaften und (Grenz-)Marken aufgezwungen. Es war überall

Karls gezielte Politik gewachsene und vorhandene ethno-kulturell definierte Herrschaften überall zu

zerstören und aufzulösen um daraus seinen, den Franko-Karolinigischen Staat werden zu lassen.

Einer seiner Grenz-Mark-Grafen im östlichen Sachsen (Dux Luid-olf) wurde dann nach dem Ausster-

ben der Karolinger zum Begründer jener Dynastie welche die Sächsischen Kaiser und Könige hervor-

brachte. Er selbst aber war wohl weniger ein Sachse als ein fränkischer >marchio<, ein Mark-graf des

Kaisers und als solcher der „dux Saxsonum orientalis“500 gewesen.

Der Machtübernahme im Ost-frankenreich durch Hatto von Mainz und dessen Titular-König Konrad I.

hatte er sich ebenso widersetzt wie seine Amtskollegen in den bairischen und alamannischen Mar-

ken, Arnulf und Burghard. Wenn die deutsche Historik dann aus dieser Macht-rivalität ein >Wiederer-

starken< der Stämme (gar deutscher !) werden lies war dabei der völkische Wunsch alleiniger Vater

des Gedankens. Die sächsischen Könige und Kaiser jedenfalls hatten keinerlei Interesse an irgend

einem Stammes-gethümel. Sie waren multinationale Imperatoren und das Reich ihr Privatbesitz. Auch

Sachsen. Zwar gab es auch dort in der Folgezeit Herzoge, doch dieser Titel war ein besonderes Eh-

renkleid für ausgesuchte und verdienstvolle Vasallen und/oder Grafen des Königs501. Dies war auch

so als Graf Lothar von Süpplingen vom Neo-Salier-Kaiser Heinrich V. zum Herzog befördert wurde

(1106). Durch eine ebenso geschickte wie erfolgreiche Heirats- und Erb-politik stieg der machtbewuß-

te Dux bald zum territorial mächtigsten Grundbesitzer in Sachsen auf. Sein >Hausgut< (=Allodium)

nicht sein Titel wurde zur Basis seiner Macht im Lande. Bald geriet er wohl auch gerade deshalb mit

seinem vorigen Gönner und Kaiser in Konflikt. Schließlich wagte er sogar in den ihm benachbarten

Grenz-Marken die marchios selber zu ernennen. Damit aber hatte er sich königliche Rechte ange-

maßt.

Als eine Revolte sächsischer Edler und Grafen gegen des Kaisers ebenfalls rigorose Besitzpolitik im

Harz (Silberminen!) und anderswo losbrach stellte sich Herzog Lothar an die Spitze des Aufstands.

Unter seiner militärischen Führung wurde das Heer seines Kaisers besiegt und aus Sachsen verjagt

(1115). Damit war zugleich „... die königliche Macht des letzten Saliers in Sachsen ... fortan ausge-

schaltet“502. Ebenso aber war damit auch das Deutsche wieder aus Sachsen vertrieben.

Lothar wurde dann nur wenig später mit der Hilfe des Schwarzen Welfen selber zum König erwählt

und danach zum Kaiser gesalbt. Trotzdem aber blieb er stets auch Herzog der Sachsen. Diese ihm

eigene Machtbasis vergab er an keinen seiner Vasallen.

So war er es der Sachsen erst zu jenem ethno-kulturell einheitlichen Territorialstaat werden lies den

die Geschichtswissenschaft als ein Stammes-gethüm schon in eine graue Vorzeit verlegt. Doch wenn

es tatsächlich je so etwas wie ein Stammes-Herzogtum in Deutschlands Frühgeschichte gab dann in

500 H. Diwald ? 501 K. Jordan

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Sachsen. Dies jedoch erst durch und nach Herzog und Kaiser Lothar III. Dieser machtorientierte

Sachse starb 1137 als ein König und gesalbter Kaiser. Seine Eigen-Güter wie auch den Herzogstitel

erbte über die Tochter Gertrude sein welfischer Schwiegersohn Heinrich der bereits Herzog in Baiern

war. Dieser konnte sich nun getrost der Stolze nennen.

Doch nicht ihn sondern jenen schwäbischen Konrad den sie zwölf Jahre zuvor hatten abblitzen lassen

erhoben die Großen im Reich nun zum König im regnum Teutonicorum.

Die Schwaben kommen !

Dieser schwäbische Konrad war schon durch die salischen Weiblinger zum Herzog der Franken auf-

gestiegen. Den Namen hatte sich der Schwabe dazu passend wohl dabei erst zugelegt. Nomen war

vermutlich auch Omen für ihn. Es war der letzte der Neo-Salier gewesen der noch kurz vor seinem

Tod jenes Herzogtum der Hatto-Franken wohl eigens für diesen Konrad wiederbelebt hatte. Dieses

um 911 etablierte und bereits 939 von Kaiser Otto I. wieder liquidierte Ducat in Hessen und Thüringen

hatte über zwei Jahrhunderte hinweg nicht mehr existiert.

Nun also wird der dortige Dux Konrad als der Dritte zum legitimen und teutonischen König erhoben

(1137-1152). Doch diesmal von der Mehrheit der Fürsten. Der Name Konrad scheint jeweils für einen

verheißungsvollen Anfang in Oster-Franken gebürgt zu haben. Er sollte wohl jeweils die dynastische

Verwandtschaft zu jenem hessischen Lahnfranken Konrad I. herstellen und sichtbar machen der als

erster Nicht-Karolinger zum König der Oster-franken gewählt worden war.

Als der Dritte Konrad im Jahr 1137 zum König des regnum Teutonicorum aufsteigt ist seine deutsche

Herrschaft differenziert in drei unterschiedliche ethno-kulturell und sprachlich unterscheidbare Regio-

nen.

Den Nordosten bildet Sachsen. Begünstigt durch die Herrschaft sächsischer Könige und Kaiser hat

dieses Herzogtum zu seiner vor-karolingischen Originalität und Eigenstängigkeit weitgehend zurück

gefunden. Lothar von der Süppelinsburg hatte mit dem ihm verliehenen Herzogstitel Sachsen zu ei-

nem machtvollen Territorialstaat entwickelt und ausgeformt.

Im Westen ersreckte sich dieses Sachsen bis zu den Höhen des Westerwaldes. Westfalen und Essen

war Sachsen. Seine Sprache wird später als Nieder deutsch und als nicht lautverschoben definiert

werden. Nicht nur als ein Dialekt sondern als eigene Sprache wird sie dabei eingestuft503. Doch

>deutsch<war sie noch nicht sonder ein >germanisches< Idiom wie andere auch.

Der westliche Norden des deutschen regnum wird repräsentiert von Lothringen. Seine Erzbistümer

Köln am Rhein sowie Trier an der Mosel sind prägend für das Land. Als ein >regnum Lotharii< hatte

es sich einst von den Quellen der Maas und der Mosel bis an die Nordsee erstreckt. Bremen war einst

eine Stadt in Lotharingien und zählte zum Kölner Erzbistum. Nicht nur am Niederrhein sondern auch

entlang der Schelde lebten ripvarische Franken. Sie hatten das fränkische Herrenvolk repräsentiert.Ihr

fränkischer Dialekt ist ebenfalls nicht lautverschoben.

Entlang der Nordseeküste verbinden die Friesen fränkisches Lothringen sprachkulturell mit den Sach-

sen. Die Friesen waren dabei ebenfalls Bewohner (Nieder-)Lothringens. Sowohl in ethnischer wie

502 (K:Jordan 503 E.Keller

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sprachlicher und auch kultureller Herkunft unterschied sich der gesamte Norden im teutonischen Reg-

num von seinen südlichen Nachbarn.

Dieser Süden repräsentiert jenen Bereich in dem das Theodisce, ein Princeps Theoto, die theutisca

lingua und das regnum Teutonicorum zu Hause sind. Dies ist der deutsche Teil des Ost-

Frankenreiches. Dort wohnen >diete lit<. Es ist seine Sprachfärbung, ein reizvoller und freundlicher

Dialekt der ihn definiert. Lautverschobenes Ober-deutsch oder Elb-germanisch noch immer. Darin den

jenseits der Alpen benachbarten Langobarden verwandt. Auch deren Sprache war ein lautverschobe-

nes >todisca<. Ein Mächtiger jener Tage sprach deshalb von deutschen Städten in Norditalien504.

Als eine Zwischenzone hatte sich jenes Herzogtum der Neo-oder Hatto-franken nach 911 herausge-

bildet. Es erstreckte sich von der Pfalz bis zur sächsischen Saale. Eichstätt, Bamberg, Fulda und Pa-

derborn zählten wie Speyer und Worms ebenfalls zu diesem Hattischen Franken. In seinen Bistümern

Mainz, Würzburg und Erfurt hatte der legendäre kirchliche Erz-Fürst Hatto in Personalunion alle drei

Bischofssitze einst selbst verwaltet505. In seinen östlichen Teilen war es identisch mit jenem Thürin-

gen welches die Merovinger-Franken um 531 erobert und unterworfen hatten. Sprachentwicklungsge-

schichtlich war es wohl schon nahe bei Hessen angekommen. Hier entfaltete das lautverschobene

Ober-deutsch seine Wirkung nur mehr in abgeschwächter Form. Dieses neo-fränkische Herzogtum

war unter den Neo-Saliern von Weiblingen (1024-1125) mit Schwaben eine enge Liaison eingegan-

gen. Nicht mehr echtes Alt-Franken jedoch auch nicht ursprünglich theodisce doch auch nicht säch-

sisch war dieses >deutsche< Franken. Als eine Zwischenregion war es dem jeweils stärksten Einfluß

offen. Die Sprachhistorik wird ihre nördliche Grenze später als >Benrather Linie< bezeichnen. Südlich

von Düsseldorf, Kassel, Magdeburg verläuft jene Trennungslinie die ober-deutsche Dialekte von ihrer

nieder-deutschen Sprach-verwandtschaft scheidet506.

Franken, Sachsen und theodisce Deutsche also seit 1038 in einem regnum Teutonicorum vereint und

regiert von Königen und Kaisern hessischer Herkunft. Nun ist der Dritte Konrad de Weibling Herr über

diese Herr-schaft.

Mehr als vier Jahrhunderte (!) sind seit dem Beginn der waalhiscen, der karolingischen Unterwerfung

des theodiscen Südens vergangen (nach 723). Der große Gote Theoderich aus Verona ist in der Sage

und lautverschobener Sprache schon zum Dietrich von Bern geworden während die Sachsen aus ihm

Thiadrich werden ließen den sie jedoch nicht mehr so richtig vom fränkischen Theuderich I. zu unter-

scheiden wußten507. In geradezu erhellender Weise aber zeigt die Not der Gibelungen (=Ghibelini)

wenig später auf was für Franken und Sachsen die Deutschen waren. Alle jene Völker und Dynastie-

sippen (die Stämme) welche mit dem Hunnenkönig Etzel, dem historischen Attila und dem Großen

König Theoderich (Dietrich von Bern) im Bündnis und/oder Vasallität standen werden im Epos als

>diete lit<, als deutsche Leute definiert508. Sie sind diete weil Diet-richs Leute! In latinisierter Form

504 Rainald von Dassel,n.J. Lehmann 505 Diwald 506Wobei der neuzeitliche Begriff nieder->deutsch< verzerrend wirkt. Weder Alt-fränkisch noch Alt-friesisch oder Alt-sächsisch waren >theodisce< also >deutsche< sondern >germanische< Dialekte ! Sächsisch wird sogar als eine eigene >Sprache< definiert 507 Widukind, Sächsische Geschichte 508 Welcher Stellenwert dem Begriff >gotisch< zukam zeigt ebenfalls Widukind von Corvey um 967. Er schreibt über „ die Avaren welche wir jetzt Ungarn nennen „ um dann die Avaren als „Reste der Hunen“ zu definieren die ihrerseits „von den Gothen ausgegangen“ wären. Goten die zu Hunnen, diese zu Avaren und Ungarn und

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waren sie als Theodo-richs Gefolgschaft noch theod-isce gewesen und danach zum „Diot“, dem

Knecht der Franken geworden. Theodisce hatte dabei einen dem slawisch analogen und semanti-

schen Bedeutungswechsel erlitten. Aus einem Volk der Sklavenen509 wurde durch die fränkische

Unterwerfung und Verknechtung deren Name zum Synonym des Sklaven in deutscher Sprache (Das

klassische Latein kennt statt seiner den servus). Sklave und Diot wurden beide zum Knecht karolingi-

scher und walhiscer Franken. Wie im Umkehrschluß war statt dessen der Name des Großen Karl zum

königlichen Titel bei den Slawen geworden. Kral wurde bei den Tschechen, Krol bei den Polen und

Kiraly bei den Magyaren zum >König<510.

Nur südlich der Alpen hatte sich theodisces seiner totalen Unterwerfung zu entziehen vermocht. Die

Langbärte dort konnten ihre Eigenständigkeit auch unter der karolingischen Nivellierung bewahren.

Zum einen blieb ihr regnum Langobardum auch unter den Karolingern stets ein eigenes Teil-

königreich, zum anderen boten die Alpen etwas Schutz vor Angriffen aus dem Norden. Auch dort wur-

de die <Todisca lingua< als Sprache der Langobarden definiert511, Theodan blieb auch ihr Wort für

Herrschaft, doch sie blieben Freie und ihr Name Langobarde selbst wurde als Lombarde mit Edelinghi

übersetzt512. Die Lombardei blieb so ein Regnum der Edlen während im Norden das Theodisce zum

Knecht und diot verkam.

König Konrad der Dritte erlebte als frisch erwählter Herrscher im deutsch-teutonischen Regnum nun in

Umkehrung die Verweigerung seiner Anerkennung als König. Der tote Lothar III. hatte die Herzogs-

würde für Sachsen die er zu seiner Lebenszeit nie an andere vergeben hatte seinem welfischen

Schwiegersohn Heinrich der Stolze vererbt. Dadurch war der Welfe zum Herrn über zwei territorial

außergewöhnlich große Herzogtümer geworden – Baiern und Sachsen. Mit dem ungeheuren Grund-

besitz Lothars in Sachsen ausgestattet welches ihm Lothars Tochter Gertrude als Heiratsgut in die

Ehe eingebracht hatte wurde der Stolze Heinrich zum gefährlichsten Rivalen des fränkisch-

schwäbischen Königs Konrad III.

Den Beinamen der Stolze führte dieser welfische Heinrich nicht ohne Grund. Er und sein in Schwaben

beheimateter Bruder Welf IV. ließen bereits eigene Münzen mit einem Löwen-bild darauf prägen. Aus

den Wolfs-jungen513 waren gewaltige und Stolze Löwen geworden. Sie zu bändigen mußte Konrads

vordringlichste Aufgabe sein wollte er als König überdauern.

Von ihren Gütern in Oberitalien erstreckte sich ein Korridor von welfischen Eigen-gütern und erblichen

Lehen entlang der Alpentäler nach Baiern und Schwaben (Vinschgau / Inntal / Vorarlberg). So konn-

ten sie jederzeit die Alpenpässe dichtmachen. Auch von Baiern aus erstreckte sich eine Landbrücke

über eigene Besitzungen und Lehensgütern bis hinauf nach Sachsen und an die Elbe. Allein schon

die territorialen Ausmaße ihres Landbesitzes hätte ausgereicht um ein eigenes Königreich zu begrün-

den.

Deshalb entzog der Jüngere de Weibling Konrad III. aus Schwaben seinem Löwen-stolzen Rivalen

das Herzogtum Baiern. Als dieser sich dem königlichen Beschluß nicht beugte kam er deshalb in Acht

insgesamt eine >Geisel Gottes< werdend – so wird Theodisc-gotisches und damit Deutsches im Oster-fränkischen Reich der sächsischen Könige und Kaiser noch immer eingeordnet ! 509 (Procop von Caesereia u.a.) 510 E. Nack in: Germanien 511 (987 n.Chr., Mönch von Salerno). 512 W. Menghin 513 (ahd=hwelpo, lat. Catulus oder leo ! n.K.Jor.)

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und Bann. Dadurch aber verlor er wiederum alle Rechte und Königs-lehen die er innehatte, auch sein

sächsisches Herzogtum. Nur seine Eigengüter und Lothars Erbschaft verblieben ihm so. Militärisch

erwies sich der neugewählte König als stark genug um diese Reichs-Acht auch durchzusetzen. Selbst

als das welfisch-löwische Familienoberhaupt Welf IV. im schwäbisch-mainfränkischen Grenzgebiet die

Besitzungen Leons zu behaupten versuchte wurde er von Konrads Truppen geschlagen. Der Löwe im

Welfen-wappen und –siegel konnte auch nicht mehr helfen. Doch die Namensgebung dieser welfi-

schen Löwen hat sich bis zum heutigen Tag in jener Landschaft pägend erhalten (Löwen- / Leon-

etc.).

Die auch in der Literatur aufgearbeitete Schlacht um die Feste Weinsberg erbrachte außer dem Ruhm

für ihre cleveren „Weiber“ zusätzlich auch den Beleg dafür daß der siegreiche Konrad III. tätsächlich

unter die Weiblinger Heinriche gezählt wurde. >hie Welf – hie Weibling< wird als Kampfparole jener

Tage überliefert. Der erfolgreiche Konrad wurde demnach auch als ein de Weibling anerkannt.

In Italien war deren latinisiertes Pendant als Ghuelfi versus Ghibelini längst in aller Munde.

Im teutiscen Königreich war die Macht der Löwenstolzen Welfen durch den Dritten Konrad (vorerst)

gebrochen. In Baiern machten nun die Babenberger (=Bamberg) Karriere. Ihr Vierter Leopold erhielt

vom König den weißblauen Herzogshut. Über seine Ehefrau Gertrud von Sulzbach griff der schwä-

bisch-fränkische König auch selbst besitznehmend im bairischen Nordgau, der Oberpfalz ein.

Die Sachsen erhielten Albrecht der Bär von Ballenstett/Askanien zum neuen Herzog.

Wegen besonderer Verdienste um das spezifisch Deutsche aber machte König Konrad III. jedoch

nicht auf sich aufmerksam. Erwähnt werden aber sollte daß er zu jenen ganz seltenen Ausnahmen

unter den theodisc-deutschen Königen zählte die es nicht nach Rom und zur Kaiser-Salbung trieb.

Ihm war sein Teutonisches Regnum offenbar genug.

Als er im Jahre 1152 in Bamberg stirbt wird sein Neffe Friedrich, der als Herzog von Schwaben mit der

laufenden Nummer Drei ausgestattet ist, zum König erwählt und als solcher mit der Ordnungszahl

Eins versehen. Als Friedrich der Erste wird er 1152 im Hatto-fränkischen Frankfurt ( ! ) am Main reali-

ter auf einen Schild gestellt, erhoben und zum König ausgerufen514. Auch hierbei wird auf Aachen

verzichtet, die fränkische Erde findet sich auch jetzt in Hessen ! Friedrichs regnum Teutonicorum er-

scheint als ein deutsches inzwischen gut etabliert zu sein. Ist allerdings vom Reich in jener Zeit die

Schreibe so verkörpert dieses das Kaiserliche Imperium mehr als die deutsche Herrschaft – das reg-

num.

Drei Besonderheiten dieses Ersten und schwäbischen Fritz erscheinen seinen Zeitgenossen zumin-

dest des Bemerkens wert. Sein rötlicher Bart machte ihn zum Barba- rossa, dem Rotbart. Seine Her-

kunft großmütterlicherseits zu einem jener Heinriche von Weiblingen . Drittens vermerkt sein Chronist

Wibald von Stablo den ebenso „freundlichen“ wie auch „reizvollen Dialekt“ des neuen Königs aus

Schwaben515. Dieser reizvolle Dialekt aber ist schwäbisch und deshalb sogenannt lautverschoben. Er

ist ein Elb-germanisches Spracherbe. Der rotbärtige Fritz von schwäbischer Herkunft wird es zu neu-

em Leben und kaiserlichem Glanz führen. Durch seine Person und seinen thiutischen Dialekt wird er

das Deutsche jedoch nicht nur als Sprache seinem Dornröschenschlaf entreißen und seine Wieder-

geburt ins Werk setzen.

514 n. Joh. Lehmann 515 s. ob.

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149

Die Renaissance des Deutschen.

Die Königswahl des schwäbischen Friedrichs (1152 ) setzt auch einen Sprachwandel in Gang der von

Linguisten als Wechsel zum Mittel-hochdeutsch benannt wird.

„einsetzend etwa 550 n.Chr.“und „ihren Ausgang offenbar im Alpenraum“ nehmend516 hatte einst

jene zweite oder oberdeutsche Lautverschiebung germanischer Dialekte in die mittelalterlichen Texte

ihren Eingang gefunden. Gemeinsam mit den sogenannten nieder-deutschen Idiomen der Sachsen,

Friesen und Rheinfranken waren sie in der Epoche des Großen Karl insgesamt zu Alt-hochdeutsch

geworden. Nun erfahren sie eine Umformung von Alt- zu >Mittel<-hoch. Dieses Neue aber wird über-

wiegend getragen vom elbgermanischen und lautverschobenem Idiom welches im Südwesten des

deutschen Regnum dominiert. Der freundliche und reizvolle Dialekt der Alamannen und Schwaben517

hatte sich von der theudisca lingua inzwischen zur tiutischen Zungen gewandelt518. Sie war die Mut-

tersprache des neuen rotbärtigen Königs der schon im Jahr 1155 auch zum römischen Kaiser gesalbt

wurde. Nur zwei Monate vor dieser Kaiserwahl war Barbarossa nach der Eroberung Lombardiens

auch zum König der Langobarden, der Edelinghi, geworden.

Die theodiscen Sprachgruppen waren nun wieder vereint unter einer Krone deren Träger ihren eige-

nen, reizvollen Dialekt sprach. Die tiutische Zungen war zum Kaiserdeutsch geworden, der theodisce

Knecht (=diot) wieder zum Herrn (= iudans) aufgestiegen.

Als solcher ist er dann auch edel genug um die Erbprinzessin der Burgunder zu heiraten nachdem

zuvor seine erste Ehe mit der bairischen Markgrafen-tochter Bertha von Sulzbach geschieden wurde.

Diese zweite Heirat mit der burgundischen Beatrix bringt dem schwäbischen Kaiser seine dritte Kö-

nigskrone ein. Im Jahr 1178 läßt er sich in Arles zum König von Burgund krönen. Nun ist das mythi-

sche Burgund auch mit ihm verschmolzen. Der Erbe jener Heinriche von Weiblingen kann zum

mysthischen Gunther von Worms in der Saga werden.

So wie er sich selbst als eine Wiederverkörperung des Großen Kaisers Karl interpretierte519 durfte

auch er einen eigenen epischen Namen tragen. War sein Identifikationsobjekt Karl einst als ein bibli-

scher David überhöht worden520 so wurde der ghibelinische Rotbart nun zum burgondischen Gunther

verklärt. Zugleich aber waren damit auch die Schwaben und Alamannen nachträglich aus jener als

schmachvoll empfundenen Allianz mit Etzel dem Hunnen und seines Vasallen, dem ostro-gotischen

Großen Theoderich befreit. Als Burgonden waren auch Schwaben und sein Kaiser in den Kreis der

anti-hunnischen Burgundo-Franken aufgenommen. Selbst der Rotbart wurde so im Epos und nach-

träglich zum Bezwinger Attilas und ein Teil der uralten Lieder über die gewaltigen Helden.

Im Gefolge seiner burgundischen Gemahlin kamen die provencalischen Sänger und burgundischen

Troubadoure auch an den schwäbischen Kaiserhof des Rotbart. Sie brachten das Kulturerbe der O-

majaden aus Spanien mit das über Südfrankreich und Burgund nun das Reich Barbarossas bereicher-

te. Quasi als Nebenprodukt der Unterwerfung islamischer Mauren Spanien hatte sich deren verfeiner-

516 Störig, Abenteuer Sprache 517 Zu welchen ethno- kulturell und sprachgeschichtlich auch die Baiern und Langobarden zählen 518 Gotfried v.Straßburg 519Es war Barbarossa der den Großen Karl in Aachen >heilig<-sprechen ließ. Auf dem von ihm in Auftrag gege-benen Kaiserschrein in Aachen ist der Rotbart in der Figur des Karl mitverkörpert = seine Inkarnation. Joh. Lehmann 520 (E. Nack),

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150

te Hoch-Kultur dort mit den rauhen Sitten der christlichen Sieger vermischt. Über Burgund kam diese

höfische Mischkultur auch in das regnum Teutonicorum des Rotbart und wurde dort heimisch. Nun

ging die deutsche Post ab. In lautverschobener und oberdeutsch tiutischer Zungen besingen die Bar-

den und Poeten die neuen Anliegen ihrer Zeit. Die über Andalusien von den Arabern einfließende

Form der Lyrik revolutioniert die Sprache der Dichter und Schreiber. Das bisher gültige jedoch lateini-

sche Kunst-gedicht wird abgelöst, der uralte germanische Stabreim zu Gunsten des arabischen End-

reims verworfen521. Die griechisch-antike Versform wird dabei endgültig überwunden. Eine neue und

tiute Hoch- und Kultursprache entsteht.

Aus den Handelsmetropolen der Lombardei und den Welthafenstädten Italiens kommend revolutio-

niert eine neue Geld- und Finanzwirtschaft die Steuer und Einkommenspolitik von Kaiser und Reich.

Hinzu kam die Begegnung der Kreuzritter mit der Hochkultur des Islam im Orient. Diese wird zum

Kulturschock und kollektiven Erlebnis für die christlichen Barbaren aus dem Norden. Auch dies verän-

dert ihre Weltsicht. Wer von seiner Reise nach Jerusalem lebend zurückkehrte versuchte seine Erfah-

rungen mit arabisch-orientalischer Medizin, Mathematik, Technik, Architektur und höfischer Kultur in

seiner nordischen Heimat wenigstens teilweise zu realisieren. Die tiutisce Welt ist im Umbruch. Das

Neue sucht seinen Ausdruck aber auch und gerade in der Sprache.

Doch weder im Sächsischen noch in einer fränkischen Mundart findet die neue Sprachform ein Zu-

hause, nur das schwäbelnde tiutisch, jene theudisca lingua von 842 bietet der neuen Sprachkultur und

„staufischen Blüte“522 ihre Basis und Fundament. Während sächsische Welfen ihre Familienchronik,

die chronica Welforum, noch in Latein niederschreiben lassen wird im lautverschobenem Oberdeutsch

der Mythos der Ghibelini schon im neuen und mittelhohen, im tiuten Sprachkleid ausformuliert523. Da

diese reizvolle Lautsprache bei Kaisers gepflegt wird ist sie selbstverständlich schon deshalbdas Vor-

bild und wird zur Norm. Was edel genug um der hohen Frowen zu singen kann ja gar nicht mehr nur

die Sprache von Knecht und Plebs sein. Deren Idiom hatte sich zur höfischen Umgangssprache ge-

mausert. Alle Sänger und Poeten am Kaiserhof und auf den Burgen der kaiserlichen Vasallen dichten,

schreiben und singen zur Laute in lautverschobenem Barbarossa-tiutisch, dem neuen Mittel-

hochdeutsch der Sprachwissenschaft. Doch es war nicht nur das kaiserliche schwäbeln welches die

tiute Zungen zum Träger der neuen Hoch-sprache werden ließ. Es war das Erbe des Wulfilas-gotisch

welches die theodiscen und nur diese Dialekte mitgepägt hatte und sie dadurch den anderen Idiomen

Osterfrankens überlegen machte. Weder Fränkisch noch Alt-Sächsisch waren offenbar differenzie-

rungsfähig genug um den literarischen Anforderungen der Barbarossazeit zu entsprechen. Jene go-

tisch inspirierte Kirchensprache des Theoto-iscen Südostens die danach ihrer Eigenart wegen 842 als

>theudisca lingua< definiert wurde erreichte als >tiutische zungen< und sogenannte staufische Blüte

nun ihre absolute Sprachdominanz im Barbarossa-Reich. Die epochal neuen Inhalte bedienen sich

regnum Teutonicorum, dem Stamm-Reich des Ersten Friedrich der tiutischen Sprache mit dem ver-

schobenen Lautstand als Medium und Transportmittel. Dabei wird nicht einfach Schwäbisch zur neu-

en Kultur- und Hoch-sprache. Doch seine Struktur und das nur ihm Eigene prägen nicht nur die Lyrik

und Poesie der Minnesänger, den Literaten und Dichtern jener Zeit. Die Sprache des Barbarossa-

521 = nun reimen sich nicht mehr Wald und Wiese sondern die Liese auf der Wiese, nicht mehr Haus und Hof sondern die Maus im Haus. 522 E.Keller 523 =um1160 n.Chr., Heusler, n. Brackert

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Reiches ist seine lautverschobene. Mit ihr und fast ausschließlich in ihr werden die Werte und Inhalte

der neuen Kultur überrmittelt. Inhalt und Medium bedingen sich dabei wechselseitig, sind reziprok. Der

so erworbene sprachkulturelle Vorsprung dieser tiuten Sprache, die zugleich die höfische und Herr-

schafts-Sprache geworden ist begründet auch ihre Dominanz im gesamten regnum Teutonicorum des

Rotbärtigen Kaisers. Was zuvor noch ebenbürtige Sprachen gewesen waren, ob Friesisch, Sächsisch

oder Fränkisch, wird nun zum Dialekt, zum Idiom.

Die einstige theudisca lingua der Krieger und Troßknechte von Straßburg im Jahre 842, der Slang

diutiscer Baiern und Schwaben und ellende diete lit wird nun zur emphatisch gefeierten tiutischen

Zunge am Hofe dieses Kaisers. Sein hoher wie niedere Adel, selbst der kaisertreue Klerus, allen vor-

an Rainald von Dassel ziehen mit. Deutsch wird zur Sprache der Ministerialen, der Diet- mannen des

Kaisers. Überall in seiner tiuten Herrschaft verwalten sie die Güter und Domänen für den Kaiser und

sein Reich. Deutsch ist in aller Munde. Der lateinische Eques wird jetzt zum diutischen Ritter der auf

seiner Lehensburg südlich der Benrather Linie seine tiuten Lieder und Epen dichtet und singt. Nun

jedoch mit arabo-tiutischem Endreim.

So wie einst Wulfilas‘ gotische Bibel- und Schriftsprache die revolutionierende Botschaft des Christen-

tums in die germanischen Völker trug ist es jetzt das Lautverschobene aus dem Alpenraum welches

dem deutschen regnum des Rotbart-Kaisers seine sprachkulturelle Identifikation bietet. Das Tiutische

ist auch das Kaiserliche während dieser im Umkehrschluß dann das Tiute repräsentiert. Es identifiziert

diesen Kaiser mit dem von ihm so genannten Heiligen Reich und der ihm eigenen Sprache – dem

Barbarossa- Deutsch. Ob tiutisch, dutsch, diete oder düdesch – dieses Deutsch ist das Kaiserliche

des Barbarossa.

Dieses Kaiser-Deutsche ist als Sprache auch zum Träger einer neuen Idee des Heiligen Barbarossa-

Reiches geworden. Erst durch diesen Rotbartund seine tiute Herrschaft wurden auch die Sachsen,

Friesen und ripvarischen Rheinfranken diutisch und deutsch. >Deutsch< ist dabei jedoch keine >eth-

nische< sondern eine herrschaftsbezogene und sprach-kulturelle Definition !

Mit Personenverbandstaat benennt die Historik die frühmittelalterlichen und germanischen Staatswe-

sen. Damit wird die Beziehung der Untertanen zu ihrem Herrscher definiert und beschrieben. Weder

ein Stamm noch ein Territorium, auch kein ideelles Reich oder ein Staat begründete die Loyalität zum

Herrscher. Nur seiner Person, seiner Gewalt als Eroberer und/oder seinem dynastischen Erbe gilt ein

Treue- oder Untertanenverhältnis. Überspitzt ließe sich formulieren daß jeder Freigeborene sich sei-

nen Herrn und/oder Ersten Fürst selber aussuchen konnte. Er, der Herrscher wiederum besaß sein

Imperium, sein regnum als seinen privaten Besitz über den er willkürlich und uneingeschränkt verfü-

gen konnte. Er war unter Umständen ein Großgrundbesitzer von europäischem Ausmaß.

Beginnend mit Chlothar II. und seinem Edictum Chlotharii von 614 n.Chr. begann allerdings eine Ent-

wicklung welche die einmal vom König vergebenen Rechte und Privilegien zum vererbbaren Gut wer-

den ließ. Der Lehens-Staat zeichnete sich ab. Mit Carlo Martelus und seinen Erben wurde diese Ent-

wicklung jedoch wieder abgebrochen. Die Karolinger wurden in den von ihnen durch Krieg eroberten

Ländern erneut zu unbeschränkten und will-kürlichen Herren und Privateigentümern. Auch ihr als legi-

tim anerkanntes Kriegsrecht des Siegers war keiner Beschränkung unterworfen. Mit und nach ihnen

begann ein Prozeß der als erblich verliehener Lehen erneut. Bis in die Zeit Barbarossas war diese

Entwicklung dann zu höchster Differenzierung ausgereift. Die durch Erbrecht gesicherten Vasallen der

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152

Kaiser und Könige waren beinahe schon zu autonomen Territorial-fürsten geworden. Dem setzte nun

Barbarossa seine Idee eines ideell-imaginären Reiches und einer Herrschaft entgegen. Nicht vorder-

gründig nur auf die Person des jeweiligen Herrschers bezogen, weder ethnisch noch bloß territorial

definiert. Dieses Reich als eine überwölbende Staats-Idee und als solches wurde sie als das Heilige

Reich benannt. Nicht mehr die Person des Kaisers allein sondern der Staat als solcher, eben dieses

Heilige Reich sollte nun Bezugspunkt für Loyalität und Gefolgschaft sein. Der Kaiser aber war darin

zum edlen Repräsentanten allerhöchster Werte geworden. Seine Herrschaft ist ab 1157 nicht mehr

ein regnum Francorum oder Romanum Imperium sondern schlichtweg das Heilige Reich – das >Sac-

rum Imperium<524. Eike von Repchow, der Verfasser des Sachsen-Spiegel gibt um 1222 ein plasti-

sches Bild vom Verständnis der Epoche dieses Heiligen Reiches. In Babylon zeigte es sich demnach

zuerst, dann übernahm es Kyros und wandelte es in ein Persisches um welches dann von Alexander

der Große erobert und an Griechenland gebunden wurde. Danach unterwarf es sich Rom wobei spä-

ter der Papst das geistliche, der Kaiser hingegen das weltliche Schwert behielt. In der Bibel also lag

sein Ursprung begründet. Und jetzt war es an den Rotbärtigen aus Schwaben mit dem reizvollen Dia-

lekt gekommen (sacra)!

Der früh-mittelalterliche Personenverbandsstaat wurde durch die Reichs-Idee des Barbarossa abge-

löst. Die Geschichtswissenschaft sieht darin den Beginn der neuzeitlichen Staatsbildung ganz allge-

mein. Nun ist das Deutsche nicht mehr nur seine Sprache sondern auch die Idee einer neuen Staats-

ordnung. Personifiziert in der Person des schwäbischen Kaisers Friedrich I. Barbarossa. Er wird zum

Kaiser des Deutschen, er ist seine Inkarnation. Gerade dieser Kaiser, der Rotbart mit den tiutischen

Zungen, der deutsche Kaiser verkörperte auch das Heilige Reich und machte es so zu einem Deut-

schen.

Von Wulfilas zum Großen Römer-kaiser Theodosios, dem ebenfalls Großen Goten Theoderich und

dem Frankenkönig Theuderich I. bis hin zum Schwabenkaiser Barbarossa spannt sich so die persona-

le Brücke auf der das Deutsche seinen Weg nahm. Jeder Einzelne von ihnen verkörpert dabei sym-

bolhaft einen unverzichtbaren Pfeiler auf dem jeweils der Zeitbogen einer Epoche aufliegt. Alle ande-

ren Stege aber hatten wie zu zeigen war in die Leere geführt. Stets aber war das Deutsche ein in sei-

nem Rückbezug auf einen Großen Herrscher verweisendes adjektivisches Attribut, weder nur ethnisch

oder territorial definierend.

Nun schlägt das einst unterworfene theodisce zurück. Walhisce wird jetzt zum Bumerang. Nun werden

die Welschen zu Feinden dieses tiuten Kaisers und seiner Interpretation eines Heiligen und idealisier-

ten deutschen Reiches. Theodisce versus walhisce zeigt sich nun als welsch kontra tiutisch mit ge-

wendeter Dominanz. Ein deutsches Nationalempfinden kann sich durch sein feindliches Gegenüber

selbst finden und artikulieren. Wer diesem tiutischen Kaiser entgegen steht, seine Herr-schaft und

sein Heiliges Reich bedroht macht sich selbst zum Walhiscen, zum Welsch. Auch jene, die statt in

tiutischer Zungen in Latino-romanischer Sprache gegen diesen Herrscher schreiben und formulieren

werden Welsche. Allen voran der römische Papst und sein lateinischer Klerus mit ihrem Weltherr-

schafts- und Vormachtsanspruch. Sie sind >welsch< jedoch nicht weil sie Lateiner sind sondern weil

im westlichen Reich der Franken die Nachfolger der waalhiscen Karolinger regieren und im Kampf um

die Vorherrschaft in Westeuropa die Partei der Päpste und gegen die >Hattisch-hessischen< Franken

524 n.Lehmann

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153

und Weiblinger ergreifen525. So wird der römische Klerus durch die walchen Franken des Westens zu

Welschen und nicht umgekehrt. Latein als Sprache ist dabei nicht Ursache.

Im tiutischen Reich sind diese Welschen durch die Welfen repräsentiert. Der Welf selbst wird seman-

tisch zum Wels(ch) (z.B. statt der Welf-burg die Wels-burg in Tirol). Das Wort velschen wird im Gibe-

lungenlied bereits für fälschen und verfälschen benützt. Nun wird das walhisce Welsch zum stigmati-

sierenden Attribut526.

Dort wo dieser Kaiser innerhalb seiner tiuten Herrschaft auf hartnäckigen Widerstand stieß blieb zu-

gleich auch seine tiutische Sprachwelt ausgesperrt. Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen (und

auch der Baiern) bis 1180 ließ zwischen 1179 und 1191, also drei Jahrzehnte nach dem ersten ober-

deutschen Ghibelungenlied, sein eigenes Familienepos, die Chronica Welforum niederschreiben. Er

ließ sie in traditionellem Latein formulieren. Das Tiutische war ihm noch nicht gut genug dafür. Eine

Weltkunde, ebenfalls von ihm in Auftrag gegeben (=Lucidarius) entstand ebenfalls zuerst in Latein und

wurde danach erst ins düdesche übersetzt527. Doch selbst diese Übertragung verweist auf Mitautoren

im tiuten Regensburg.

Das sprechenste Beispiel aber bildet der Sachsenspiegel des Eike von Repchow. Er verfaßte zwi-

schen 1221-1224 sein epochemachendes Gesetzeswerk der Sachsen. Struktur und Inhalt dieses

ober-sächsischen Rechtswerkes war von herausragender, einzigartiger und deshalb Vorbild setzender

Funktion. Doch konzipiert und abgefaßt war es in Latein528. Eike selbst übertrug es danach in nieder-

düdesch-sächsische Mundart. Dies zeigt sehr deutlich den Unterschied im Vorgang der tiuten Sprach-

bewältigung. Wulfilas wie auch die tiutischen Dichter im Umfeld Barbarossas und des Gibelungenlie-

des setzten durch und mit ihrer neuen Sprache auch das Neue in die Welt. Es war ihre neue und ei-

gene Sprache die den neuen Inhalt transportierte. Ähnlich wird es später bei Luther sein. Sprache und

Inhalt bedingen sich dabei wechselseitig, sind reziprok. Nicht so in Sachsen. Dort wird die Sprache

nicht von der revolutionären Wandlung wie im oberdeutsch-schwäbischen Raum erfaßt. So bleibt sie

archaisch und wird zum regionalen Dialekt.

Geradezu als Kulminationspunkt und Selbstinthronisation des Deutschen aber mag jenes zur Legende

gewordene Hoffest des Rotbärtigen Kaisers zu Mainz im Jahr 1184 gewirkt haben. Ein kaiserliches

Fest wie es so noch nie zuvor gefeiert worden war. Aus Italien, Frankreich, Spanien und Ungarn ka-

men die Ritter und Fürsten, die Erzbischöfe und ihre Suffragene, des Heiligen Reiches Fürsten und

Herzoge aus Sachsen und Böhmen, Baiern, der Steyermark, Ostaricci, Brabant und Oberlothringen.

Allein der Kölner Erzbischof brachte 1700 Ritter, der Herzog von Böhmen derer 2000 mit nach Mainz

Von 40.000 ja von 70.000 Gästen schreiben die Chronisten dieser Zeit. Auf dem fränkischen Mainufer,

Mainz gegenüber, wurde eine Zeltstadt mit Kirche und Kaiserpfalz eigens errichtet. Selbst dem Min-

nesänger verschlug es fast die lautverschobene, tiutische Zungen. König Artus, Alexander der Große,

525 Die sogenannten >Capetinger< tragen das walhisc-hugonische Erbe der Karolinger weiter. Erst Friedrich der Zweite, der Staufer kann sie 1212 zum Bündnis gegen die Englisch-Welfisch-Päpstliche Front gewinnen. Doch 1303 verlegt Papst Klemens V. seine Residenz nach Avignon. Während der darauffolgenden >babylonischen Gefangenschaft< im walhiscen West-franken wird die römische Kirche endgültig als eine >welsche< attributiert. 526 Mit >Rot-welsch< wird die verschlüsselte Sprache von Gaunern und fahrendem Volk bezeichnet. 527 K. Jordan 528 Joh. Lehmann

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der Perser Xerxes oder die trojanischen Helden mußten als Vergleichspersonen zur Prachtentfaltung

dieses Kaisers und seines diuten Festes heran gezogen werden 529.

Als dieser bereits idealisierte Kaiser auf einem Kreuzzug 1190 zu Tode kommt bricht diute Weltunter-

gangsstimmung aus. Die erste Ahnung eine schreckliche weil kaiserlose Zeit sei angebrochen befällt

die Zeitgenossen530. Doch das Deutsche erhält gerade auch dadurch seinen überhöhenden und ver-

klärenden Mythos und hilft es dauerhaft zu etablieren. Die Erinnerung und Legende ließen Barbarossa

und seine tiutische Herrschaft in sehnsuchtsvollem Rückblick zur Verkörperung eines goldenen Zeital-

ters werden.

Dieser deutsche Kaiser ist nie tot, ebenso wenig wie sein tiutes und zugleich Heiliges Reich. Wie hätte

man auch die realen Umstände seines Todes mit dem Mythos um ihn zu vereinbaren vermocht ?

Nachdem er bei seinem Zug ins heilige Land in der südlichen Türkei im Fluß Salef ertrunken war ver-

suchten seine Getreuen wenigstens noch den Leichnam in das heilige Jerusalem zu bringen um ihn

dort zu beerdigen. Wie eine Gurke wurde der tote Rotbart in ein Faß mit Essig gesteckt, doch die Hit-

ze des Orient war wirksamer als die Essenz. So schälte man das gar nicht mehr so kaiserlich duften-

de Fleisch vom Knochen und begrub es in Antiochia. Doch auch die Gebeine kamen nie in Jerusalem

an, sie mußten schon in Tyros beigesetzt werden531. So ist es nicht weiter erstaunlich daß die Sage

hier hilfreich einspringen mußte.

Nach dem Tod des Sohnes und Nachfolgers Barbarossas verstärken sich die tiutischen Ängste. König

und Kaiser Heinrich VI. stirbt bereits 1197, nur sieben Jahre nach seinem bereits verklärten rotbärti-

gen Vater. Bruder Philipp II. von Schwaben muß das tiutische Erbe bereits wieder gegen einen wel-

fisch-welschen Rivalen behaupten. Otto IV., ein von der päpstlich-welschen Partei gewählter Gegen-

könig ist der Sohn des 1180 vom Rotbart gestürzten Welfen Heinrich der Löwe.

Im Jahre 1208 wird König Philipp II. in Bamberg ermordet – nun bricht tiutische Götterdämmerung an.

Keiner der fünf Söhne des Rotbart ist mehr am Leben.

Ein Friedrich ( der Fünfte in Schwaben) war schon auf dem selben Kreuzzug der auch Barbarossa

den Tod brachte vor Akko an einer Seuche gestorben (1191).

Konrad, er war Herzog von Main-Franken (=Rothenburg) und Schwaben gewesen ist ebenfalls tot

(1196).

Durch die Ermordung des König Phillip sind alle direkten Erben des Kaisers Rotbart im Heiligen Reich

tot. Nur weitab in Sizilien lebt noch ein einziger, erst vierzehnjähriger Enkel des Barbarossa – nach

seinen beiden Großvätern Friedrich-Roger genannt. Er hatte vom Papst, der für sich in jener Zeit die

Weltherrschaft beanspruchte, das Königreich Sizilien und Neapel als Lehen erhalten (1197). Als Ge-

genleistung mußte Friedrich-Roger jedoch auf alle Ansprüche auf das Heilige Reich seines tiuten

Großvaters durch Eid verzichten (1210).Selbst das regnumTeutonicorum, für welches er schon als

Kind zum König gewählt worden war mußte er preisgeben. Nur König von Sizilien und gleichzeitig

Vasall des Papstes sollte und durfte er sein.

Das tiute Reich Barbarossas war somit nach 1208 ohne jeden tiutischen Nachfolger und Erben aus

der Linie der Jüngeren Weiblinger. Der welsche und papsttreue Welfe Otto IV. regierte nun des tiuten

529 Lehmann 530 So formuliert durch Richard von Landen, nach J. Lehmann

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Rotbarts Heiliges Reich. Dies war und ist jene um 1205 im Epos beklagte Gibelunge Not ! Sie ist eine

zweite und jüngere Fassung des Weiblinger und Ghibelini-Mythos. Eine ältere Fassung war schon zur

Zeit Barbarossas geschrieben worden532. Das mittel-hohe Barbarossa-Deutsch setzte damit sich

selbst und den Ghibelini ein literarisches Denkmal – die Gibelungen.

Auch der Welfen wird darin gedacht. Als Wolf-hart, Wolf-win und Wolf-prant dienen sie dem Hunnen-

König Etzel und seinem Vasallen dem Großen Theoderich von Verona alias Dietrich von Berne des

Liedes. Zumindest literarische Strafe mußte wohl sein.

3. Wie Kaiser Rotbart lobesam ins Lied der Gibelungen kam

„hie hât doz maere ein Ende: daz ist der Nibelunge nôt“533.

Mit dieser Zeile endet das Epos vom Zug der Burgonden an den Hof des Hunnenkönigs Etzel – das

literaturprägende Gibelungenlied in mittelhohem Barbarossa-Deutsch. Alle Helden liegen tot. Allein

König Etzel (=Attila), Dietrich von Berne (=Theoderich der Große von Verona)534 und sein Waffen-

meister Hildebrandt sind noch übrig um die toten Helden zu beweinen535.

Als Zeitpunkt der Veröffentlichung des jüngeren Nibelungenliedes nennen die Experten die Jahre

1200- 1205 n.Chr. Eine ältere Fassung wird in die 1160er Jahre also in die Lebenszeit des Ersten

Friedrich datiert. Für beide Epen aber wird die bairisch-österreichische und somit lautverschobene

Sprachlandschaft zwischen Regensburg und Wien als geographische Heimat vermutet536.

1208 n.Chr. war mit der Ermordung des Zweiten Philipp der letzte Sohn des Kaisers Rotbart tot. Otto

von Freising hatte als Zeitzeuge den Rotbärtigen Kaiser Friedrich I. den Heinrichen von Weiblingen

dynastisch zugeordnet. Die kaisertreuen Anhänger trugen in Italien den lateinisierten Namen Ghibeli-

ni. Sie waren zugleich die Weißen im Gegensatz zu den Schwarzen und Guelfi. Diese repräsentierten

und trugen ihre namentliche Kennzeichnung nach den Welfen. Das Latein hat keinen Graph für >W< ,

so wurde aus Welf Guelfo, und Ghi-belini aus Weiblingen/Wiblingen.

Der Welf Heinrich, der Schwarze genannt, hatte im Jahre 1125 die Königswahl des ersten Friedrich

aus der Jüngeren Linie der Weiblinger, Herzog von Schwaben und Einaug genannt verhindert. Damit

hatte die alte Feindschaft zwischen Schwarzen, papsttreuen Welfen und Weißen Weiblinger-

Schwaben eine neue Dimension erhalten.

Dieser Weiß-Schwarz Gegensatz wird auch bei den sogenannten Ritterorden deutlich sichtbar. Die

Johanniter, für und durch die Kreuzritter in Jerusalem gegründet und später als päpstlicher Orden

anerkannt (1113) trugen ihr Kreuz auf schwarzem Mantel. Der ghibelinisch-staufische, also Deutsche

Kreuz-Ritterorden hingegen war erkennbar an seinen weißen Mänteln mit schwarzem Kreuz. Er war

531 Lehmann 532 H. Brackert, Tischer 533 Die neueren Übertragungen setzen üblicherweise Nibe- statt Gibe-lungen 534 Als Folge der so oft zitierten zweiten Lautverschiebung wurde >Th<zu >D< im Anlaut und >d< im Inlaut zu >t<, >tt< zu >tz< und oder >ss<. eu zu ie ist wohl westfränkischer Vokalwechsel (E.Keller) und >V< zu >B<zeigt mittelalterliche Schreibpraxis (dazu s.Cassiodor) =Verona zu Berne,Attila zu Etzel, Theoderich zu Diet-rich 535 (2377 536 Heusler, n. H.Brackert

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nach dem Tod des Rotbart 1190 n.Chr. vor Akkon gegründet worden, dort wo auch ein Sohn des

Friedrich Barbarossa gestorben war (1191).

Auch die sogenannten Fahnenlehen die der Rotbärtige Kaiser an seine Herzoge, Fürsten oder Grafen

verlieh waren symbolisiert durch ein weißes Fahnentuch das von einem schwarzen Adler geziert wur-

de537.

Die weißen Ghibelini oder Weiblinger finden sich so in doppelter Weise im Namen der Nibelungen

wieder. Zum einem ist niveus das lateinische Wort für (schnee-)weiß. Seine Schreibweise mit >b<

statt eines >v< entspricht durchaus mittelalterlicher Tradition. Nive-linge wären demnach Weiß-linge –

Nibe-lungen. Der zweite etymologische Gehalt verweist auf diese Weißlinge als Weiblinger in ihrem

lateinisierten Namen Ghibelini.

Der Entdecker des Epos über die Nibelungen, J.H. Obereit, der im Juni 1755 die alten Handschriften

in der Stauferburg Hohen Ems in Vorarlberg fand schrieb am 30. Des selben Monats an seinen

Freund Bodmer nach Zürich von seinem Finderglück. In diesem Brief benennt er seinen Fund als eine

„altschwäbische Geschichte ...“ Der Titel aber ist „Adventure von den Gibelungen“538. Nicht ein Lied

über die N-ibe- sondern über die G-ibelungen nennt der Entdecker seinen Schatzfund. Deutsche Gi-

be-lungen und lateinische Ghibe-lini aber sind doch wohl beide identisch mit den fränkisch-

schwäbischen de Weib-lingen !

Ihr alles überstrahlender Sproß aber ist jener selbst zum Mythos gewordene Kaiser Friedrich I., Barba-

rossa. Er ist der treffliche Vogt von Rine, der König vom Rhein der im Lied den Namen Gunther trägt.

In ihm und seinen burgondischen Gibe-lungen kulminiert die gesamte Sagenwelt des Fränkischen

Reiches und der Völkerwanderungsmythen. Als verklärende Apotheose zielt sie auf den Rotbart und

seine Sippe – die Schneeweißlinge, die Weiblinger, i Ghibelini.

Wie der Gunther des Epos zog auch Barbarossa auf seinem Kreuzzug über Regensburg entlang der

Donau nach Südosten ins Heilige Land. Den selben Weg hatte auch schon sein. Oheim und Vorgän-

ger Konrad III. gewählt und war todkrank vom Kreuzzug nach Jerusalem zurück gekehrt. Der Rotbart

selbst und sein gleichnamiger Sohn Friedrich (der Fünfte von Schwaben ) starben beide auf dem

Kreuzzug nach Jerusalem (1190 und 1191).

Des Kaisers Sohn und Erbe Heinrich VI. stirbt ebenso fern der Heimat in Sizilien (1194).

Der Bruder Philipp von Schwaben der ihn beerbt wird 1208 in Bamberg ermordet.

Zuvor schon waren die beiden anderen Söhne des Kaisers Friedrich Barbarossa gestorben (Otto v.

Burgund 1200, Konrad v. Schwaben 1196 )

Was lag also näher als diese tiutische Tragödie im Epos der Gibelungen mit dem Untergang der bur-

gondischen Brüder vom Rin – Gunther, Gernot und Giselher- zu verherrlichen ? Nicht nur Shea-

kespeare fand königliche Real-dramatik als Vorlage.

Die feindlichen Beyern im Lied durch deren Gebiet die Borgonden ziehen sind wohl eine Reminiszenz

an die schwarzen Welfen, im Lied als Amal-riche bezeichnet. So werden auch sie zur verräterischen

Gefolgschaft des Amaler-Königs Theoderich der Große gemacht539. Als Herzoge von Beyer-lant hat-

537 Staufische Adler und Welfischer Löwe rivalisierten um die Herrschaft und deutsches Königtum 538 H.Berndt 539 König Amala gab der Herrsher-sippe des Großen Theoderich ihren Namen. Amala-... war ein bevorzugter Name im engeren Familienkreis dieses Königs. Als Amal-riche werden die Beyern somit zu seiner Gefolgschaft geschlagen.

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157

ten sie den schwäbischen Ghibelinen die Herrschaft realiter einst fast verdorben. Das Lied benennt so

für die Zeitgenossen unverkennbar auch die Gegner dieser de Weiblingen sehr deutlich.

Die emphatisch besungene Verbindung zwischen Gibelungen und Burgonden entspricht ebenfalls der

historischen Realität. Schon dem ersten der salischen Könige und Ghibelini, Konrad II. de Weibling

war das Königreich der Welfen in Burgund durch Erbschaftsvertrag einst zugefallen (1033). Es war

dann der Barbarossa selbst gewesen der mit seiner Heirat der burgundischen Prinzessin Beatrix die

Verschmelzung von Ghibelini und Burgonden vollzogen hatte. Alle Söhne des Rotbärtigen Kaisers

entstammten dieser burgundischen Ehe. Im Jahr 1178 ließ sich der Rotbart in Arles zum König von

Burgund krönen.

Ausgelöscht waren nun ebenso wie die burgondischen Gibelungen im Lied aus den Jahren um 1205

auch die Schneeweißlinge von Weiblingen, i Ghibelini, dies war ihre >not<. Ihre Herrschaft aber war

nach dem Mord am weißen Philipp von Schwaben dem schwarzen Welfen Otto IV. zugefallen. Als der

nun regierende König und Kaiser hätte er sicher keine allzu große Freude an einem Hohen Lied der

Weiblinger gefunden. Doch es entstand im süddeutschen Sprachfeld der Wibelinen das dem Welfen

Otto IV. entzogen blieb. Die Gibelungen sind i Ghibelini sind die Schneeweißlinge sind die de Weiblin-

gen. Friedrich der Erste Barbarossa aber ist verklärt im Gunther von Worms. Er ist der tiusche Bur-

gonde. Auf ihn sind im Lied vom Untergang der Ghibi-lungen alle Mythen und Sagen des Franken-

reichs projeziert.

Die Franken selbst werden im Epos aus nachvollziehbaren Gründen als solche nicht namentlich be-

nannt. Im fränkischen West-reich war durch die dort regierenden Karolinger-Erben, den Capetingern,

eine starke Nationalbewegung der West-Franken entstanden. Als Werkzeuge Gottes (=Gesta Die per

Frankos) waren sie zu den Kreuzzügen aufgebrochen. Die Stiftung einer Auri flamma (=die Flamen ?)

des goldenen Königsbanners verlieh dem neuen Nationalempfinden sichtbaren Ausdruck. Diese frü-

hen Franzosen hatten auch den rex Francorum für sich requiriert den ihnen dann Heiner Drei zuguns-

ten seines >teutonicorum< überließ. Analog zur tiuten Renaissance im regnum Teutonicorum war

auch im Westreich das Werden einer französischen Nation voll im Gange. Um die dortigen Herrscher

aber als Bündnispartner gegen die Welfen zu gewinnen war also Fingerspitzengefühl sehr vonnöten.

Das Franken-tum blieb ihnen wohl auch deshalb unbestritten – der fränkische Anteil im tiuten Reich

Barbarossas erfuhr in den Burgonden seine späte Würdigung Die Oster-Franken werden zu Burgon-

den und Barbarossa ihr zum Mythos verklärter Gunther von Worms. So konnte auch er in den Fuß-

stapfen des Großen Kaisers Karl weiterschreiten ohne deshalb ein Franke werden zu müssen. Den

dunklen Part aus deren Geschichte wurde im Lied der lichthellen Gibelungen dem düsteren Hagen

von Tronege (=Tongern?) zugewiesen.

Es waren ohnehin wohl kaum die Franken welche im Helden-Mythos die Taten der Burgunder und der

Goten um den Großen Theoderich von Verona schriftlich weitergetragen hatten. Ihre Dialekte hatten

sich weder zur Schrift noch zur Hochsprache entwichkelt. Nur in der thiuten Sprache und Schrift des

Wulfilas hatten die Lieder der Völkerwanderungszeit auf Pergament überdauern gekonnt. Im Barba-

rossa-Deutsch waren sie dann zu neuem Leben erwacht. Das Lied von der Not und dem Untergang

der Burgonden ist keine fränkische sondern die thiute – theodisce – düdesche – deutsche Eigen-Saga

vom Diet-rich von Bern alias Theode-rich aus Verona.

Page 159: Stoll Karl Heinz. Das Deutsche Sein Ursprung Und Mythos

158

4. il Stupor - der Staufer

Ein simpler Hügel auf der schwäbischen Alb so wie es sie dort im Dutzend gibt soll seiner Form we-

gen einst Staupa genannt worden sein. Die Gestalt und der Name eines umgestürzten Trinkbechers

soll diesem Albbuckel seinen späteren Namen Staufen gegeben haben. Auf diesem Hohen Staufen

hätten dann die jüngeren Heinriche von Weiblingen zu jener Zeit als sie noch die„von Buren“ genannt

wurden ihre Burg erbaut. So wären sie zu denen vom Hohen-Staufen-, den „Staufern“ geworden540.

Wohl keine andere Herkunftslegende zum Namen eines Kaisergeschlechts ist so abstrus wie diese

semantische Glanzleistung der deutsch-völckischen Semantik.

Wo hätte es dies je gegeben daß eine imperiale Kaisersippe ihren Namen nach der Form eines von

ihr bewohnten Hügels erhielt ? Diese These ist nur mehr lächerlich, sie ist die krankhafte Ausgeburt

völckisch verquaster Historik des vergangenen Jahrhunderts.

Es ist wirklich ätzend, immer wieder und immer noch einmal auf diese preußisch-nationalistisch wie

völkisch verseuchte Begriffsbildung der geschichtswissenschaft zu prallen.

„Il Stupor mundi“, im Deutschen zu das Staunen der Welt neutralisiert, war der Beiname eines be-

rühmten Kaisers. Getragen hat diesen bewundernden Ehrename ein Enkel des Friedrich Barbarossa

Als Friedrich der Zweite oder il Secondo wird dieser kaiserliche Enkelsohn nicht nur die abendländi-

sche Geschichte prägen. Nach seinen beiden Großvätern erhielt den Namen Friedrich und Roger. Er

ist il Stupor - der Staufer. Er ist es der den Staufern ihren Namen gab541.

Die Übersetzung des lateinischen Stupor zum deutschen Staufer verdanken wir wohl dem Poeta Hein-

rich von der Vogelweide. Er lebte etwa zwischen1170 und 1230. Von il Stupor hatte er (endlich!) ein

Lehen erhalten. Über seinen Lehensherrn das Chint von Pule und dessen Sippe schrieb er viele Ge-

dichte. In einem von diesen berichtete er auch über das traurige Schicksal welches die Gemahlin des

1208 in Bamberg ermordeten Königs Philipp von Schwaben traf. Nach dem Mord an ihrem Gatten floh

sie auf die schwäbische Stammburg der Sippe. Dort starb sie bei der Geburt ihres Kindes und aus

Schmerz und Gram über den Tod Philipps. Es war dieser Dichter der den Burghügel auf der schwäbi-

schen Alb zum Hohen der Staufen werden liess, dem Burgberg des Stupor542.

Es ist hier nicht der Ort um das politische Wirken dieses Friedrich, den il Secondo der Italiener kritisch

zu würdigen. Von Interesse sei hier nur sein Beitrag zum Deutschen. Was diesen anbelangt ist er

wohl mehr ein indirekter aber gleichwohl ein prägender für unser deutsch.

Aufgewachsen in Palermo hatte er, gegen den Verzicht auf sein tiutisches Erbe nördlich der Alpen,

vom Papst den normannischen Erbteil seiner königlichen Mutter Konstanze auf Sizilien und Süditalien

als päpstliches Lehen erhalten. So begann er als König der Normannen von Sizilien und Neapel seine

Herrscherkarriere.

Entgegen dem ihm vom Papst abgenötigten Eid zog er dann doch über die Alpen und in das tiute

Regnum seines schwäbischen Grossvaters Barbarossa. Nach der Ermordung des Philipp von Schwa-

ben hatten die Großen im regnum Teutonicorum den Zweiten Friedrich aufgefordert diese Herrschaft

540 N. J.Lehmann 541 Il Stupor - der Stupor wird sprachgesetzlich zu der Staufer. Dieser Vorgang ist bekannt und derart simpel daß er keiner weiteren Erklärung bedarf

Page 160: Stoll Karl Heinz. Das Deutsche Sein Ursprung Und Mythos

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nördlich der Alpen zu übernehmen. Sie hatten sich dabei erinnert daß sie Friedrich –Roger schon als

dreijähriges Kind auf Wunsch seines Vaters Heinrich bereits einmal zum König erwählt hatten. Als er

nun 1112 dort eintraf um seinem welfischen Rivalen, König Otto IV. die Krone des Heiligen Reiches zu

entreißen war dort nicht nur die „tiutische Zungen“ als staatstragende Hoch und Herrschaftssprache

bereits gut etabliert.

Lyrik, Poesie, Administration, Klerus und das gewöhnliche, leicht schwäbelnde Volk hatten das Reich

des Rotbart längst zu einem tiutisch-deutschen werden lassen. Erste Deutsche Bücher und deutsche

Bibeln waren in den Schreibstuben gelehrter Mönche erschienen.

Selbst grösste Fürsten wie die Zähringer nannten sich bereits Deutsche.- Teutonici 543.

Tiutisch sein aber hieß auch zugleich an Weiblingen, dem Rotbart und seiner Reichs-Idee und Herr-

schaft festzuhalten. Auch den Barbarossa-mythos zu pflegen. Die anderen, das waren die Welschen

und Welfen. Ihr Name war schon in eins verschmolzen und zum Synonym geworden für falsch

(=velisc) geworden.

Friedrich il secondo fand den Boden für seine Herrschaft nördlich der Alpen gut vorbereitet. Dietische

Lehensträger waren in Grafschaften und zerschlagenen Herzogtümern als Reichs-vasallen eingesetzt.

Diete Ministeriale sassen auf den Burgen und Domänen des Reiches und bewahrten die Reichs-Idee

des Rotbärtigen Kaisers.

Neue Landgraf-schaften wie beispielweise Thüringen waren an die Stelle einst grosser Territorial-

Herzogtümer getreten. Der König von Böhmen und Mähren war, wie sein Kollege in Polen vom tiuten

Kaiser Rotbart noch selbst inthronisiert und zu Vasallen seines Heiligen Reiches verpflichtet worden.

Schlesien wie auch Pommern waren herzogliche Lehensstaaten Barbarossas seit1181. Dieser Osten

war entschieden tiutisch-kaiserlich geprägt. Sowohl in Sprache wie auch Herrschaft war dort düde-

sches lant.

Ein deutscher Ritterorden, gegründet 1190 bei Akko aus Anlaß des Todes von Barbarossa und seines

Sohnes Friedrich von Schwaben auf dem Kreuzzug war auf der Suche nach einer neuen Heimat in

tiutischem Land. In mancher Provinz hatten sie jene Reichslehen übernommen welche Barbarossa

den Welfen entzogen hatte.

Worauf es nun ankam war dieses Tiutische im deutschen Regnum zu sichern und zu verankern. Eine

dauerhafte Machtübernahme durch die sächsischen und zugleich welschen Welfen hätte diese diute

Herrschaft im Heiligen Reich des Barbarossa wieder ausgeräumt.

Die von Barbarossa den freien Städten und ihren Bürgern eingeräumten Rechte wurden von Otto

bereits wieder an die Geistlichen- undTerritorial-Fürsten verhökert 544. Schon hatte dieser welsche

König auch das „Wormser Konkordat“ von 1122 und damit wesentliche Königs-Rechte dem Papst

wieder preisgegeben um selber zum Kaiser gesalbt zu werden545.

Die Reichsministerialen die stützend des Rotbarts neue Staats-Idee und die des Heiligen Reiches

weitertrugen wurden in ihrem Einfluß zurückgedrängt. Sie aber bildeten einen neuen und nur vom

König und Reich abhängigen Dienstadel. Als Diet-Mannen prägten sie mit ihren Lehens- und Verwal-

tungssitzen bereits sprachgeographisch die Landschaft. So wie zuvor die ...ingen oder Walch... -orte

542 Lehm. 543 H. Bitsch 544 1201 n.Chr., Vertrag von Neuß 545 Vertrag von Speyer 1209 n.Chr.

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160

Landschafts- und Siedlungsnamen geprägt hatten geschah dies nun durch Diet- Ditt- oder Dett-linger.

Im Verband mit all jenen Gunt- Günt oder Gunzos die sich nach ihrem epischen König Gunther von

Worms alias Rotbart wohl so benannt hatten hinterlies ihre Diute Herrschaft bereits eine deutliche

Spur im Namensbild des Landes. Doch die päpstliche Liga und der ihr zugehöriger Welfen-König Otto

IV. versuchten den roll back.

In dieser Situation verläßt der Zweite Friedrich, Enkel des Ersten, sein Königreich Sizilien/Neapel.

Damit bricht er seinen Eid den er dem Papst geschworen hatte. Dieser hatte ihm Sizilien verliehen

gegen die Zusage sich nicht um das tiutische Erbe seines Großvaters in der Germania zu bewerben.

Ein beispielloser Aufstieg folgte diesem Wortbruch. Der Zweite Fritz trat in die Fußstapfen römischer

Caesaren. Von Jerusalem bis Sizilien, von Sardinien nach Ober-Italien ( dem sogenannten Reichs-

Italien ) und über die Alpen bis zu Nord- und Ostsee erstreckte sich bald sein imperialer Zugriff.

Ihren zu diesem Caesaren-Glanz notwendigen Beitrag ließen sich die Fürsten und Herzoge, Bischöfe

und Reichsäbte, ,„freie“ Reichsstädte und –stände, Grafen und Land-grafen teuer abkaufen. Der

Preisgabe königlicher Rechte durch Otto IV. folgte nun deren Ausverkauf durch il Stupor. Als erstes

bestätigt er formell alle Verzichte und Preisgaben Ottos mit einer goldenen Bulle von Eger im Jahre

1213. Damit Dänemarks König Waldemar II. ihm gegen die Welfen beistand erhielt er vom Staufer

Fritz die Reichsgebiete jenseits der Elbe zum Lohn 546

Für ein Bündnis mit den kirchlichen Fürsten im dieten Regnum überließ er diesen sogenannte Rega-

lien, königliche Rechte. Damit verzichtete er auf wichtige Markt- Münz-und Zollrechte. Er übertrug den

Kirchenfürsten die Befestigungshoheit wodurch diese sich in ihren Bischofsresidenzen gegen die frei

gewordenen Stadtbürger absichern konnten (z.B.Würzburg). Die Gerichtsbarkeit übertrug er ihnen

ebenfalls547.

Ein entsprechendes Statutum in favorum principum von 1231 das die weltlichen Reichsfürsten seinem

Sohn und noch jugendlichen Stadthalter im tiutischen Teil des Imperiums abgepreßt hatten bestätigt

Fritz il Secondo. Als der Sohn Heiner VII. dagegen rebelliert steckt ihn der kaiserliche Vater in ein

Loch in Apulien und läßt ihn dort elend zugrunde gehen. Den Papst hatte er zuvor noch aufgefordert

den Kirchenbann gegen Heinrich auszusprechen (1234). Den eigenen Sohn opferte er um die Unter-

stützung der deutschen Territorial-Fürsten für seine imperialen Pläne zu erhalten

Er war kein Augustus sondern ein ein Caesar und machtbessener Tyrannos in Anspruch und Ziel. Das

Deutsche als Identifikationsmedium brachte er trotzdem voran. In der Hauptsache jedoch erst Jahr-

hunderte später und dann deutsch-preussisch wie auch völkisch verseucht.

Die schon zu Zeiten seines rotbärtigen Großvaters angefachte Entwicklung zur Befreiung von Bürgern

in „Freien“ Reichsstädten aus der Gewalt von Lokalfürsten, den Aufstieg unterer Sozialschichten über

den unfreien Dienstadel, sogenannte Ministeriale und Diet-mannen in hohe und höchste Reichspositi-

onen, Privilegien für Zünfte und Genossenschaften erhält auch durch il Stupor weiteren Drive. Zusätz-

liche freie und Reichs-städte werden von ihm privilegiert (z.B. Wien).

Der deutsche Ritterorden begann unter seinem Patronat in Preußen mit tiutischer Unterwerfung und

Kolonisation 548. Das Deutsche kam so auch ins Baltikum.

546 Vertrag von Metz 1214 n.Chr.). 547 „Confoederatio cum principibus ecclesiasticis“ von 1220 548 Goldene Bulle von Rimini, 1226 n.Chr

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161

Die Mitwirkung des römischen Senats bei der Kaiserwahl wird von ihm annulliert. Gleichzeitig aber

definiert er sich selbst als „Caesar“ und nennt sein Imperium wieder ein römisches und legt damit das

Heilige Reich seines Großvaters ad acta. Mehr als ein halbes Dutzend Königreiche sind darin einge-

bunden (Jerusalem, Burgund, Langobardia, Antiochia, Sizilien mit Apulien und Neapel u.a.). Er ver-

wandelte das imaginäre und Heilige Reich seines Großvaters wieder zurück in eine personale Tyran-

nis und re-aktivierten Personenverbandsstaat der Vor-Barbarossa-zeit - in ein absolutistisches Perso-

nal-reich für sich selbst. Ein Re-aktionär auch er.

So ist es nur konsequent und folgerichtig, ja zwangsläufig wenn mit seinem Tod auch sein Imperium

wieder zerfällt. Von seinem Caesarenreich blieb nur ein imperiales Trümmerfed zurück. Zugunsten

seiner eigenen Herrschaft und Person hatte er die inneren Strukturen vor allem des deutschen König-

tums welche von seinem rotbärtigen Großvater einst kunstvoll etabliert wurden völlig ausgehöhlt und

zerstört. Lediglich die Idee eines Reiches blieb nach dem Tod des Stupor, dem ersten Staufer im

germanisch-tiutischen Reichsteil seines römischen Imperiums noch übrig. Doch dies war nur noch

eine Worthülse und jeder realen Rechte und Inhalte entblösst. In der Wirklichkeit aber waren Bischöfe

und Landgrafen, Herzöge und Reichsäbte, freie Reichsstädte und Städtebünde zu realen Territorial-

Fürsten in cirka 350 ( ! ) Kleinstaaten geworden. Sie regierten und walteten nun auf eigene Rechnung.

Der Stupor selbst hatte ihnen dazu die einst königlichen Regalien und Rechte überlassen. Das Heilige

Reich des Rotbart war durch seinen Enkel den Staufer zur blossen Chimäre verkommen. Der als

Möglichkeit durch Barbarossa bereits präjudizierte National-staat des Deutschen wurde durch il stopor

für immer liquidiert.

Und doch hat er ein deutsches Denkmal hinterlassen - seinen Mainzer Landfrieden von 1235.

Nach der Empörung seines Sohnes Heinrich VII. (1232) brauchte der Stupor Ruhe in seiner tiutischen

Herrschaft nördlich der Alpen. So machte er seinen Frieden sogar mit den Welfen. Otto, genannt das

Kind, ein Sohn des Gegen-Königs Otto IV. und zugleich ein Enkel des Heinrich der Löwe wird jetzt als

Herzog über die ihm verbliebenen und eigenen Haus-Güter in Braunschweig und Lüneburg erhoben.

Im Gegenzug verzichten die Welfen dafür auf jenes Sachsen das ihnen der Rotbart schon 1180 ent-

zogen und aufgeteilt hatte.

Danach ließ er in 29 Artikeln die Rechte des Reiches und des Königs, d.h. was davon übrig geblieben

war, ratifizierten und gegen die Reichsfürsten abgrenzen. Kein Großer des Reiches mußte dabei auf

die bisher errungenen Privilegien und Vorteile verzichten549.

Dieses Mainzer Landfriedensgesetz aber war auch in diuter Sprache ausformuliert. Dies gibt ihm sei-

ne besondere Bedeutung. Barbarossa-Deutsch war nun nicht mehr nur die Sprache der Poeten und

Sänger, frommer Bibelschreiber und Diet-mannen. Nun war auch eine Staats-Verfassung für das

deutsche regnum in tiutisch geschrieben. Das Deutsche ist nun auch sein Gesetz. War auch das Hei-

lige Reich nicht mehr existent, doch wohin dieser Mainzer Landfriede reichte war zumindest tiutisch-

düdesches lant durch ein einheitliches Landrecht geworden.

Mit seiner Ceasaren-Politik aber hat der Staufer auch seinen eigenen dynastischen Nachwuchs dezi-

miert. Im Kampf mit dem nach Weltmacht strebenden und welschen Papst in Rom wurde dies den

Staufern zum Verhängnis.

Im Jahre 1250 n.Chr. stirbt il Stupor.

549 J. Lehmann

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162

Ein Sohn, Manfred, wird sein Nachfolger in Sizilien und Süditalien.

Ein unehelicher Friedrich ist Fürst im nahöstlichen Antiochia.

Enzio, König von Langobardisch-Italien war bereits 1249 von den Päpstlichen gefangen gesetzt wor-

den. Für sein Reichsitalien (als Gegensatz zu Neapel und Sizilien) hatte der Staufer seinem Sohn

Enzio den er zuvor schon zum König von Sardinien erhoben hatte (1228 ) eine gesonderte Statthal-

terschaft übertragen. Damit aber hatte er diese Reichsprovinz auch aus dem regnum Teutonicorum

herausgelöst. Die Lombardei wie auch Venetien wurden in der Folgezeit autonome Staaten. Rainald

von Dassel, desRotbärtigen Kaiser Kanzler konnte zuvor noch mit gutem Recht von deutschen Städ-

ten jenseits der Alpen sprechen. Dies war keine nationalistische Entgleisung sondern benannte ledig-

lich die langobardische Ethnie als eine theodisce was sie ja realiter auch war.Todisce und Teutisci im

Unterschied zu den Romanen des Landes

Den Erb-anspruch auf das Kaiserliche Imperium aber erhält Konrad IV. Schon 1237 hatte er seinen

unglücklichen Halbbruder Heinrich III. als Diuter König beerbt. Nun zieht er als Kaisererbe nach Italien

um dort ebenfalls Salbung und Diadem zu erwerben. Doch er stirbt bereits 1254 an Malaria nachdem

er kurz zuvor noch Neapel erobert hatte.

Ein Jahr zuvor schon war sein Bruder Heinrich im Alter von nur 15 Jahren gestorben.

So sind die Erben des Zweiten Friedrich, des Stupor und Staufer nur vier Jahre nach dem Tod des il

Secundo fast schon am Ende, dessen Reich ist bereits zerfallen.

Im Jahr 1266 wird ein illegitimer Sohn Manfred undstaufischer Statthalter von Sizilien von einem

päpstlichen Heer des Karl von Anjou getötet. Der Bannfluch des päpstlichen Kardinals R. von Viterbo:

„Vernichtet Leib und Namen, Sproß und Samen“. den dieser über das Staunen der Welt verhängt

hatte war beinahe schon550zur Realität geworden.

Ein einziger Erbe des Stupor war nach 1266 noch am Leben. Der Enkel Konrad V. Seiner Jugend

wegen wohl Konradino (-chen) genannt. Er ist der Sohn des Königs Konrad der Fünfte (gestorben

1254) und Elisabeth einer Tochter des Wittelsbacher Herzogs der Baiern, Otto II.

1252, zwei Jahre nach dem Tod seines Großvaters, dem Staufer, geboren, zieht nun er als Fünfzehn-

jähriger auf die Kriegsreise nach Italien um dort das Erbe des Stupor anzutreten Doch auch er wird

von den päpstlichen Truppen des Karl von Anjou besiegt, gefangen genommen und nach seinem

sechzehnten Geburtstag in Neapel enthauptet.

Mit Konradin waren 1268 n.Chr. die Erben des Stupor, die Staufer, nun alle ausgelöscht. Jetzt lagen

wirklich alle tot. Das Lied der Gibelungen war zur Realität geworden.

Armin Wolf zufolge starb mit Konradin jedoch zugleich die letzte in direkter cognastischer Linie von

Kaiser Otto I. der Große abstammende Fürsten Sippe aus.

Der verhängnisvolle Untergang dieser schwäbischen Königs- und Kaisersippe aber belebte zusätzlich

den tiutischen Mythos. Konradins Ende, der Stupor und Kaiser Rotbart verwuchsen zur mystischen

Legende der tiutischen, der deutschen Staufer und ihrem ersten deutschen Reich. Ihr Feind aber war

alles Welsche gewesen und blieb es auch jetzt. Im Feindbild des Welschen fand so das Deutsche

einen identitätsstiftenden Gegenpol und vermeintlichen Erbfeind. Jenes Gegensatzpaar theodisce –

valhisce aus der Zeit um 700 wurde dadurch geschichtsformend aktualisiert.

550 J. Lehmann

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163

Die preußisch-nationalistische Geschichtsschreibung der Hohenzollern-kaiser stilisierte den Staufer

dann im 19. Jahrhundert zu einem deutsch-nationalen Heros empor, doch gerade dies war der Stupor

nie gewesen. Ganz im Gegenteil ! Es war sein imperialer Caesaren-anspruch gewesen der in seinem

Scheitern auch den bereits vorhandenen deutschen und nationalen Barbarossa-Staat mit in den Un-

tergang riß und ihn dabei für immer zerstörte. Übrig vom Heiligen Reich des Rotbart wie auch dem

regnum Teutonicorum blieb nach dem Aussterben der Staufer-erben lediglich eine Unzahl autonomer

Klein- und Regionalstaaten der quasi reichs-unabhängig gewordenen Teritorialfürsten.

Wer einen uniformen National- und Einheitsstaat als eine positive Zielgröße empfindet wird dies als

tragischen Niedergang und Vernichtung interpretieren. Die Deutsche Kultur insgesamt aber konnte

gerade auf Grund ihrer Regionalisierung ihre spezifischen Eigenheiten entfalten. Nicht nur eine zent-

rale Metropolis band alle Recoursen eines Großreiches an sich, vielmehr entstand durch die Vielzahl

landesherschaftlicher Regional- und Geisteszentren eine ebenso breit gefächerte Kulturlandschaft in

deutschen Landen. Wohin hätte Schiller fliehen können ohne in ein fremdsprachliches Exil zu müssen

hätte es nur einen Herrscher in einem Deutsch-land gegeben? Brauchte Mozart nationale Einheit um

zu werden was er wurde? Hätte Martin Luther den Zentralstaat überlebt ? Waren Dürer oder Peter

Henlein auf ihn angewiesen ? Johannes Gutenberg ? Bedurfte Kant seiner oder Erasmus von Rotter-

dam.? Kopernicus und Leibnitz vermehren? Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren.

Die schreckliche weil Kaiser-lose Zeit

Nach dem Aussterben der Weiblinger und Staufer 1268 n.Chr. begann die Zeit des Interregnum. Sie

wurde als die schreckliche weil Kaiser- lose Zeit empfunden und auch so definiert551. Ohne Kaiser-

Macht wurde auch der Mainzer Reichs- und Landfriede (fast) zu wirkungsloser Makulatur. Alfons von

Kastilien und Richard von Cornwall stritten sich als Gegenkönige um diuten Thron und Krone. Das

tiutische verschmolz dabei mit der Sehnsucht nach den geordneten Verhältnissen der diuter Könige

und Kaiser aus dem Hause de Weibling. Der Rotbärtige Kaiser aus Schwaben wird zum mythischen

Idol.

Doch il stupor, das Staunen der Welt, gibt der erloschenen Dynastie bereits den neuen Namen - die

Staufer. Ihre einstigen Besitzungen, Burgen und Grenzhügel, selbst Seen und Achen (= Bäche) tragen

jetzt diesen Namen. Wie immer bei gewaltigem Umbruch der Besitz- und Machtverhältnisse, so findet

auch die Herrschaft des Stupor ihren entsprechenden Niederschlag in der sprachgeographischen

Hinterlassenschaftdes Landes.

Staufenberg, Stiufen, Staffel, Hohen Staffeln, Stefling, Staffelsteinach, Staffelsee, Hochstaufen, Stau-

feneck, Oberstaufen, Unterstaufen, Donaustauf, Regenstauf, Staufersburg ect., ect.

Noch häufiger hinterläßt jedoch der unfreie Dienstadel jener Zeit, die Ministerialen oder Diet- mannen

der Weiblinger- und Stauferdynastie sein sprachgeographisch prägendes Erbe. Ihre „Diet“-mannssitze

(sowohl als Diet- oder Dett-, als Diut-, Diedes- oder Deut-ingen) überschwemmen förmlich die lautver-

schobene und tiutische Landschaft der südlichen Germania.

Was diese noch frei lassen, wird mit Friederichs- dörfern ,-hagen, -weiler und ähnlich besetzt. Zu den

fränkischen -heim und -hofen, den karolingischen Walch- und Walchen-, den alamannischen -ing und

-ingen gesellt sich jetzt die staufische Hinterlassenschaft landschaftsprägend hinzu. Ungeklärt bleibt

551 Durch Richard von Landen. N. Lehmann ?

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noch die Zuordnung der unzähligen Gunt- Gand- Gunz- und Günther- Siedlungen in diesem Sprach-

raum. Aus einer Zusammenschau der Fakten läßt sich jedoch vermuten daß auch sie ein Barbarossa-

Erbe repräsentieren. Die Gunze-linge sowohl als Ministeriale aus Burgund und/oder als Nachahmer

des Gunther aus dem Gibelungen-Lied als Orts- Burgen und Stadtgründer ? Nach ihnen scheinen die

Prozesse der übersiedelnden Landnahme und Neugründungen großen Stils dann endgültig beendet

zu sein.

Doch wir behalten das Deutsche weiterhin im Auge.

Es mag hier die Gelegenheit sein sich der verschlungenen Pfade unseres Deutsch im nach-

merovingischen und mittelalterlichen Frankenreich und danach kurz zu versichern.

Ein >Princeps< Theoto und damit Erster seines Volkes versucht sein bairisches Gebiet vom Franken-

reich abzulösen. Auch seine theodisce Dynastie begründet um 700 n. Chr. einen Gegensatz zu Carlo

Martelus der als walhisce Verkörperung beschrieben ist.

Der in den westlichen Provinzen und Baiern benachbarten Avarenreiches residierende Avaren-Chan

nennt sich „Tudun“. Theodan ist zeitgleich das langobardische Wort für Herrschaft was bei den Goten

als Thiudans galt.

Karl der Große sprach 801 n.Chr. vor seinen langobardischen Untertanen theodisce, deutsch. Von

diesen Langobarden berichtet ein Mönch die Langbärte hätten vor Zeiten (=olim) die „todesca lingua“,

die deutsche Sprache gesprochen.

In den Grenzen der theodisc-bairischen Herrschaft gründen die Karolinger 817 n.Chr. ein Erb- und

Kleinkönigreich der Franken. Der erste König dieses Regnum wird ein Ludwig. Er wird später zwar

völlig zu Unrecht der Deutsche genannt, doch um für sein Heer aus Baiern verständlich zu sein wird

842 vor Straßburg ein Eid in „theudisca lingua“, der deutschen Sprache formuliert.

Im langobardischen Trient wird 843 bei einem Gerichtstag „teutisce“ als ethnische Definition verwen-

det. Sein Gegenüber ist ein ladro552.

Ein weiterer Princeps, Arnulf von Baiern, versuchte um 918 wie schon zwei Jahrhunderte zuvor Theo-

to, ein regnum Teutonoricum, eine deutsche Königsherrschaft für Baiern und seine angrenzenden

Regionen zu etablieren. Er bezieht sich bei der Namensgebung offensichtlich auf die Herrschaft jenes

Theoto der in langoradischer Schreibweise >Teudo< genannt wird, dessen regnum war Teuto-isc.

Heinrich der Dritte, König und Kaiser aus dem Salier-Geschlecht de Weibling nennt sich 1038 in einer

Urkunde Römischer Kaiser sowie explizit Deutscher König (=Teutonicorum).

552 n. Diwald

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165

Kaiser Friedrich Barbarossa (1152- 1190) der Schwabe mit dem reizvollen Dialekt verhilft der tiuti-

schen Zungen zu höfischem Glanz. Durch seine Förderung entsteht das mittelhohe Barbarossa-

Deutsch

Sein ebenfalls schwäbischer Rivale um die Krone Burgunds, Berthold IV. von Zähringen nennt sich

selbst einen der größten deutschen Fürsten553.

In Ungarn werden um 1180 die westlichen Nachbarn als „Theotonici“ benannt554. Dies entspricht

sprachlich dem Teutonicorum des Barbarossa-Reiches. Mit Ihm hatten die Magyaren durch die Züge

der Kreuzritter vielfache Verbindungen.

Ein gelehrter Schreiber, Otto von St. Blasien zeigt auf wie genau zu seiner Zeit zwischen >germa-

nisch< oder >deutsch< unterschieden wurde. Zum Tod Kaiser Heinrichs der Sechste (1190-97) notiert

der Chronist daß der Tod dieses Herrschers ein beklagenswerter Verlust für „das Volk der Deutschen

und alle Stämme Germaniens“ bedeute555.

Die Not der Gibelungen setzt um 1208 im mittelhohen Barbarossa-Deutsch den Ghibelini aus Weiblin-

gen ein literarisches Denkmal. Dieses Epos bietet zugleich die bis dahin präziseste Beschreibung des

Deutschen. Als >diete lit< d.h. deutsche Leute, sind all jene bezeichnet die historisch der Gefolgschaft

des Großen Goten Theoderich (488 - 526 n.Chr.) sowie dem 453 gestorbenen Hunnenkönig Attila

zugerechnet werden. Die sogenannte zweite oder oberdeutsche Lautverschiebung lies dabei den

Theode-rich von Verona zum Diet--rich von Bern werden. Zu seinen Gefolgsleuten gezählt werden,

auch dies ist geschichtliche Realität, ebenfalls jene Thüringer die 531 n.Chr. von den Franken besiegt

und unterworfen wurden. Der historische Irminfried erscheint im Lied als Landgraf Irnfried von Dürin-

gen.

Der Enkel des FriedrichI. Barbarossa, Friedrich II., il secundo oder il stupor genannt, erläßt als Kaiser

Friedrich II. eine rechtsbegründende Konstitution für die nördlichen, die germanischen Provinzen sei-

nes Imperiums. Dieser Mainzer Landfriede von 1235 ist auch in deutscher Sprache abgefaßt. Er gilt

als das erste deutsch-sprachige Gesetzgebungswerk (Verfassung) seiner Art.

theudisca lingua, diete lit, deutsch-sprachige Verfassung, es fehlte eigentlich nur noch sehr wenig um

wirklich deutschen Staat machen zu können

Doch gerade das Staatliche wird nun alles andere als ein deutsches. Il Stupor hatte durch seinen

Despotismus auch den deutschen Barbarossa-Staat gründlichst zerstört. An die Stelle des Personen-

verbandsstaates wie auch der Idee eines Heiligen Reiches tritt nun eine durch Grundbesitz definierte

Regional und Territorial-staatlichkeit der autonom gewordenen Reichsfürsten. Das Personale Idol der

Frühzeit wird ersetzt durch Eigenbesitz und –rechte. Ein feudaler und zugleich regionaler Besitz-

553 . „maioribus Teutonicus principibus, n.H.Bitsch“

554 Z.Visy,Limes

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rechtsstaat entsteht. Der verklärende Rückblick auf die tiutischen Kaiser aber befördert zeitgleich den

Traum von der Wiederkehr jenes goldenen Zeitalters und seines tiuten und rotbärtigen Begründers

der im Kyffhäuser seiner Erweckung entgegenschlief.

Und erneut ist es allein die Sprache welche Deutsches definiert. Noch immer lautverschoben doch

inzwischen zum Mittel-hochdeutsch aufgestiegen.“

Die Minnesänger finden ihre Nachfolger bei den Dichtern der deutschen Heldensagen.

Meister Eckart (gest. 1327 n.Chr.) lehrt seine Mystik in deutscher Sprache und regt damit zur Nach-

ahmung an.

Johann Tauber (1300- 1361 n. Chr.) verbindet Mönche, Bürger und Adlige am Oberrhein zur deut-

schen Bewegung der Gottesfreunde. Ihre „Theologia deutsch“ erscheint um 1400. Nun also auch eine

erste deutsche Gotteslehre556!

Der deutsche „Ackermann aus Böhmen“ von Johann v. Saez entsteht ebenfalls um 1400.

Die Handelsleute der deutschen Sprachnation an Nord- und Ostsee gründen ihren Bund „von der

düdeschen Hanse“. Schon ihr Name verrät die etwas lautverschobene Herkunft dieser düdeschen

Scharen557.

Ein Luxemburger aus Oberlothringen wird in dieser Zeit König von Böhmen (Johann, 1310-1346).

Sein Sohn wird als der Vierte Karl Kaiser des Heiligen und Römischen Reiches. Er macht Prag zur

kaiserlichen Residenz und gründet dort die erste deutsche Universität (1348). Sein Prager Kanzlei-

deutsch macht Schule und prägt die Verwaltung. Die Sprache der Poeten und religiösen Mystiker wird

damit auch in der Funktion als Herrschaftssprache verfestigt. Dieser Karl IV. von Böhmen löst auch

die Kaiserkrönung endgültig von Rom ab. Der in Frankfurt auf hessisch-„fränkischer Erde“ (nicht in

Aachen !) zu wählende deutsche König wird damit zugleich „erwählter, römischer Kaiser“558.

Ein Sohn des Luxemburg-böhmischen Karl IV., Kaiser Sigismund (1410-37) betreibt die Einberufung

eines Konzils nach Konstanz (1414-18 ). 33 Kardinäle, 900 Bischöfe und 2000 Doctores beraten dort

über die Zukunft ihrer Kirche. Nach Sprachen geordnet stimmt das Konzil in >Nationes< ab - Englisch,

Italienisch, Französisch und Deutsch. Erstmals entsteht eine so definierte deutsche Nation.

Doch nur ihre Sprache ist deutsch, als Nation ist sie in der Germania zuhause. Sprachkultur, ethni-

sche Zuordnung und Territorium sind noch immer getrennt.

„Was ist des Deutschen Vaterland ?“ wird noch im 19. Jh. ein verzweifelter Nationalist fragen. Es ist

seine Sprache wäre ihm jetzt zu antworten gewesen. Mehr denn je ist es allein die Sprache welche

Deutsches verkörpert.

Die Königskrone wechselt endgültig hinüber in das Haus Habsburg ( Albrecht II., 1438 ). Auch dieses

ist schwäbischer- oder deutscher Herkunft – die Habsburg bei Zürich. Doch das „Heilige Römische

Reich“ ist längst in autonome Teilstaaten zerfallen. Die Macht Habsburgs gründet weniger auf der

Reichskrone sondern vielmehr auf ihrem Eigenbesitz in Österreich, Böhmen und Ungarn. Sie werden

dem Heiligen Römischen Reich vermeintlich den Zusatz „Deutscher Nation“ hinzufügen. Doch wie so

555 J. Lehmann 556 dtv Atlas z. Weltgeschichte 557 Andererseits war bereits in Wulfilas-gotisch >hansa< das Wort für die Schar. 558 Goldene Bulle v. 1356 n. Chr.

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167

vieles andere ist auch dies eine völkiche Missinterpetation559. Nicht eine Deutsche Nation, sie wäre

Teutonici, sondern Germanische Nationen im Vielvölkerstaat der Habsburger sind mit „Sacrum Ro-

manum Imperium Nationis Germanicae“ gemeint560. Was das Haus Habsburg notiert ist ein territori-

albezogener Name. Deutsche sind zwar auch Germanen doch nicht alle Germanen sind auch Deut-

sche. Zu jenen Nationis die in der Germania antiker Autoren und nun unter Habsburgs Kaiserkrone

leben haben sich längst auch slawische Völker hinzu gesellt ! Andere Germanen aber hatten sich

ihnen indes entzogen. Es sind jedoch die Habsburger die erstmals in der Geschichte diese uralte Bar-

barenbezeichnung germanisch zur Selbstdefinition benützten. Inzwischen aber prägen Kür- und ande-

re Fürsten die Reichspolitik der von ihnen abhängigen Titularkönige und Kaiser. Das Haus Habsburg

jedoch ist auf die Erweiterung seines Eigen-Gutes und dadurch auf Machterweiterung durch Landbe-

sitz bedacht.

Um 1450 erfindet im lautverschobenem Mainz Johann Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen

Drucklettern. Seine erste Bibel in lautverschobenem Oberdeutsch erscheint um 1455. Etwa zur glei-

chen Zeit tauchen Flugschriften mit den Beschwerden (Gravamina) der Deutschen Nation überall im

Lande auf. Der Endzeitkaiser im Mythos des Rotbart und dessen gutes, altes Recht wird ( zurück-)

gefordert. Nur er ist der Deutsche Kaiser !

Die deutsche Kirche soll gegen päpstliche Rechtsprechung und Profitgier geschützt, sowie von „wel-

scher“ Ausnützung verschont werden. Die Kleriker werden als Junker Gottes der Ausbeutung des

Volkes bezichtigt 561. Die Revolution des großen Bauernkrieg von 1525 kündigt sich an.

1476 n.Chr. lodert der Mainfränkische Aufstand des Pfeifers von Niklashausen. Die Bundschuh- Re-

volte tobt 1493 am Oberrhein. Nach ihr rebelliert der Arme Konrad in Schwaben.

Und erneut wie schon beim Erwachen der „theudisca lingua“ zum tiutischen Kaiserdeutsch des Barba-

rossa sind es die Protagonisten aus dem oberdeutsch-lautverschobenen Sprachraum die den sozio-

kulturellen Umbruch voran treiben. Ihr Werkzeug dazu ist die Sprache – gedruckt mit den Lettern Gu-

tenbergs.

Balthasar Habmaier aus Waldshut, Johannes Denk aus Nürnberg, Jacob Hutter in Tirol, Kasper

Schwenkfeld in Schwaben und Schlesien. In Schwäbisch Hall Melchior Hoffmann. Die Schweiz bringt

Ulrich Zwingli hervor, aus Thüringen kommen die „Zwickauer Propheten“ Niklas Stark und Thomas

Münzer. Sie alle sind sozial-religiöse Rebellen in tiutischer Zungen und fordern ihre Rechte lautver-

schoben und ober-deutsch ein. Ihre deutsche Sprache wird zum Medium der Revolution

Die Zeit ist Reif für Martin Luther.

Martin Luther Das Deutsche blüht auf.

Die Karriere des Martin Luther beginnt zunächst in welschem Latein.

Seine 95 Thesen gegen Ablaßhandel und Papst schlägt er 1517 n.Chr. in Wittenberg noch in lateini-

scher Sprache an die Türen der katholischen Schloßkirche.

559 Auch jener Ludwig, genannt „der Deutsche (819 – 876) war nur von einigen Zeitgenossen als ein „rex Ger-manorum“ definiert worden, erselbst nannte sich ein König der Baiern (n.Hubensteiner). Doch auch ihn lies die deutsch-völkische Historik zum „Deutschen werden“ ! 560 N,.J.Lehmann 561 jeder 9. Einwohner des Reiches ist Kleriker ,DTV

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168

Vor dem ihm dafür drohenden Ketzerprozeß in Rom schützt ihn ein Friedrich, der Weise genannt. Er

ist Kurfürst im oberen Sachsen. Dieses hat mit jenem alten Sachsen welches seit der Karolingerzeit

und durch Heinrich der Löwe vertraut ist nur mehr den Namen gemeinsam. Das Obere Sachsen war

entstanden aus den einstigen Marken Zeitz, Merseburg und Meissen sowie Teilen Thüringens. Das

Ober-sächsische war im Gegensatz zu seinem alt-sächsischen Vorläufer schon etwas lautverschoben

in Sprache und Dialekt.

Nach dem Bruch mit Rom schreibt Luther nun in tiutischer Zungen und lautverschoben. Den christli-

chen Adel deutscher Nationen ruft er zur Besserung in deren eigener Sprache auf (520).

Die von ihm propagierte Freiheit eines Christenmenschen wird durch die Erfindung des Mainzers Gu-

tenberg zum Bestseller der deutschen Sprachnation. Habsburger Kaiser und Papst scheitern mit ih-

rem Bann und der Ächtung dieses deutschen Idols an Friedrich dem Weisen.

Auf dessen Wartburg, dort wo schon zu Barbarossas Zeit die tiutische Zungen zur schönsten Blüte562

heran reifte findet Luther als „Junker Jörg“ Zuflucht und Sicherheit vor dem päpstlich-kaiserlichen

Scheiterhaufen. So wie einst Wulfilas seinen gotischen Völkern will nun der ober-sächsische Junker

Gottes den Stämmen der deutschen Sprachnation die Heilige Schrift der Juden und Christen in ihrer

eigenen Sprache übermitteln. Doch im Unterschied zu dem Goten aus der Antike hatte Luther dafür

eine schon gut entwickelte Hoch-Sprache samt dazu passendem Alphabet zur Verfügung. Damit aus-

gestattet ging er an seine Übertragung. Doch nicht die lateinische Bibel (=die Vulgata) sondern das

altgriechische Original, die Septuaginta hatte es auch ihm angetan. Wiederum ist es die Herausforde-

rung der altgriechischen Kultur- und Geistessprache welche die Arbeit auch dieses Bibelübersetzers

prägt. Wie schon mehr als ein Jahrtausend vor ihm Wulfilas so will und muß auch Luther mit seiner

Bibel-übertragung dem Sprachniveau des antiken Vorbildes gerecht werden - muß die göttliche Wahr-

heit der Septuaginta auch in der neuen, seiner Biblia Deudsch widergespiegelt sein. Der Maßstab an

dem sich ihrer beider neue Hoch-sprache orientierte war diesen Bibelübersetzern derselbe. Es war die

in alt-griechischer Sprache formulierte Septuaginta. Dabei schließt sich ein Kreis. So wie einst Wulfilas

aus den Idiomen der ostgermanisch-gotischen Völker im Dienst der christlichen Wahrheit seine goti-

sche Hoch- und Schriftsprache am Maßstab dieser griechischen Bibel geformt hatte tut dies nun auch

Martin Luther mit den deutschen Dialekten. Was seit und nach Wulfilas aus Gotisch, Ostfränkisch,

Alamannisch, Bairisch, Obersächsisch, teils auch Burgundisch und Langobardisch zu einer verbin-

denden deutschen Sprach-Nation gewachsen war unterwarf er nun gleichsam einer Revision. Wie in

prüfender Wiederdurchsicht unterzog er dabei zwölf Jahrhunderte iudischer Sprachgestaltung er-

neut einem Vergleich mit dem antiken Vorbild. Das mittel-hohe Barbarossa-deutsch wird dabei durch

sein Luther-deutsch ersetzt.

Jener freundliche und reizvolle Dialekt der durch Kaiser Barbarossa einst zur dominierenden Hof- und

Kultursprache aufgestiegen war bildete dabei die Grundlage für seine Übersetzung und gleichzeitiger

Creation des modernen Neu-Hochdeutschen Luthers. Was sich dabei an griechischem Spracherbe

noch im Ober-deutschen verborgen hielt war über das Wulfilas-Gotische dort einst eingesickert. Als

theodisce geschmäht war es zwar etwas lautverschoben über das Barbaroosa-deutsch doch bis zu

Luther gedrungen und durch ihn auch in das Neu-hochdeutsche unserer Tage gelangt. Es mag dieser

562 „Staufische Blüte“.von R.E. Keller benannt

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169

der Sprache eingewobene Geist sein der Martin Heidegger dann sagen ließ philosophieren könne

man nur in Deutsch oder in Alt-griechisch.

Jene alt-hochdeutsche theudisca lingua die im Jahre 842 vor den Toren Straßburgs diesen Namen

erhielt563 und später zum Identifikationsmedium des Barbarossa-reiches aufgestiegen und dabei zur

mittel-hochdeutschen Dichtersprache ausgeformt wurde diente nun Martin Luther für seine sprach-

schöpferische Glanztat. Weder das Niederrhein-Fränkische noch das Alt-sächsische waren dem

Sprachkünstler wohl differenzierungsfähig genug für sein Vorhaben. Nur im theudiscen Ober-deutsch

fand er offensichtlich jenen Sprachpartner vor in welchem die Strukturen des Griechischen kongenial

widerzuspiegeln waren. Dies führt zurück und mag seine Bestätigung sein zu jenem gotischen Anteil

der im Theodiscen und südlichen Reichsteil der Karolingischen Oster-franken während des Mittelal-

ters dort noch vorhanden war. Allerdings etwas elb-germanisch verschoben im Vergleich zu Wulfilas‘

Hoch-gotisch. Doch dieses Theodisce, Tiutische oder Diutisce im Alpenraum hatte noch einiges von

jenen Strukturen bewahrt die Wulfilas im Ringen mit dem Altgriechischen seinem Hoch-Gotisch ein-

gewoben hatte. Über und durch Theoderich der Große hatte es einst auch die Alamannen und

Schwaben erreicht und war dort zur theudisca lingua mutiert.

Die ober-deutsche Sprachlandschaft war mehr als jede andere des Frankenreiches von gotischer

Sprachkultur mitgeprägt worden. Dort war das iudische zum alt-hochdeutschen und danach zum

kaiserlichen und mittel-hohen Barbarossa-Deutsch als Hochsprache aufgestiegen.

Auf dieses Spracherbe griff Luther nun zurück. Auch er schuf eine neue Hoch-sprache. Diese war in

ihrer bis dahin mehr als tausendjährigen Entwicklungsgeschichte nun zum zweiten mal am herausfor-

dernden Maßstab des Altgriechischen gemessen worden. Auch diese zweimalige Gegenspiegelung

fand wohl in Heideggers apercu ihren Niederschlag.

Die von Luther in seinem Neu-hochdeutsch geschaffene „Biblia Deudsch“ wird zur staatsumwälzen-

den Programmschrift seiner Zeit. Nun verbreitet die Lutherbibel auch „September-bibel“ genannt den

uralten und doch so neuen Inhalt der Evangelien in der dem Volk eigenen Sprache. Der kleine Mann

und seine Frau können nun selbst den Unterschied zwischen den Worten Jesu und der Praxis des

welschen Klerus‘ und Papstes nachlesen. Auch die Tyrannis der Fürsten erweist sich so als illegitim.

Dem hält die bestehende Gesellschaftsordnung nicht mehr stand. Schon im großen Bauernkrieg von

1525 versuchte das deutsche Volk seine Befreiung. Es scheiterte und wurde danach erneut blutigst

unterdrückt. Doch das Deutsche als Idee und Identifikationsträger ging dabei nicht zu Grunde.

Seinen deutschen Werken fügt Luther noch eine „Deutsche Messe“ hinzu (1526). Somit ist auch die

Lutherische, die deutsche Kirche bestens ausgestattet um zu einer eigensprachlichen Volkskirche

werden zu können. Wie einst die gotischen Arianer so halten nun auch die deutschen Lutheraner ihre

Gottesdienste in der ihnen eigenen Muttersprache ab. Analog zu der mehr als ein Jahrtausend zuvor

entstandenen arianisch - iudischen Ketzere des Goten Wulfilas trennt nun die Lehre der Reformati-

on und Martin Luther die Christen in Katholische einerseits und evangelische Ketzer als ihr Gegenpol.

Wie schon bei Wulfilas und dessen neuer Botschaft und auch später beim rotbärtigen Kaiser sind

neue Inhalte und neue Sprache auch jetzt wieder sich gegenseitig bedingend, sind reziprok. In den

Tagen Luthers war die Sprache einmal mehr zum Träger des Deutschen geworden. Dieses >Deud-

sche< findet jetzt seine Heimat endgültig in der Sprache und Religion des Reformators Martin Luther.

563 sog. Straßburger Eide

Page 171: Stoll Karl Heinz. Das Deutsche Sein Ursprung Und Mythos

170

Aus den päpstlich- katholischen Provinzen Ober-germaniens, dem Reich Habsburg, wird nicht nur die

neue Lehre sondern auch die neue Sprache Luthers verbannt. Doch im 16. Jahrhundert sind die kai-

serlich-päpstlichen Legionen nicht mehr kraftvoll genug um das Feuer der Reformation überall zu er-

sticken. Dieser iudisch–theodisc-deudsche Trieb aus uralter etymologischer Wurzel läßt sich dies-

mal nicht mehr ausrotten. Statt dessen wird die weiterentwickelte Sprache der Reformation im Nor-

den, dem nieder-deutschen Sprachraum nun heimisch. An Fürstenhöfen, in Kirchen und Schulen wird

mit dem deutschen Christentum auch seine neu-hochdeutsche Sprache verbreitet. Erst so und erst

jetzt wird auch der Norden wirklich >deudsch<. Was selbst Barbarossa nicht gelungen war, die nieder-

rheinischen Franken, die Friesen und die Sachsen in tiutischer Zungen redend zu machen gelingt dem

deutschen Reformator Luther mit nun Erfolg. Er war es der aus den etymologischen Wurzeln des

Deutschen den blühenden Baum werden lies.

Was mit Wulfilas begann - Luther hat es vollendet.

Während der schon immer theodisce Süden in katholischer Reaktion zurückbleibt entfaltet sich das

neue Luther-Deutsch zur Hoch- und Kultursprache in den evangelischen, den protestantischen Fürs-

tentümern der deutschen Sprachnation. So wie einst die neuen Inhalte in tiutischer Zungen im Reich

Barbarossas sich ausbreitend kulturelle Dominanz erhielten geschieht dies nun im neu-

hochdeutschen Sprachraum der Lutheraner. Dieses Luther-deutsch aber wird in der kaiserlich- päpst-

lichen Region der Habsburger teilweise erst im 18. Jahrhundert heimisch. So blieb gerade jene

Sprachlandschaft welche zuvor führend gewesen war in ihrer Sprachentwicklung zurück, wird ihre

Sprache zum Dialekt. Daraus erwuchs dem Norden seine bis heute noch nachwirkende Sprachdomi-

nanz.

Das Deutsche macht Staat Der welsche Napoleone und die Folgen

Weder ein Staat, noch ein Land oder eine Ethnie umschließt und bindet das Deutsche je zur Einheit.

Nur Barbarossa hatte auch alle Tiutischen unter seiner Herrschaft vereint. Die deutsche Nation ist

auch nach Luthers Lebenszeit noch immer als eine Sprach-nation definiert. Das Heilige Reich der

rotbärtigen Kaiserlegende im Kyffhäuser ist zersplittert in unzählige Kur- Fürsten- und andere –

thümer, etwa 350 an der Zahl. Das „Heilige Römische Reich Germanischer Nationen“ 564 ist ein

Konglomerat des österreichisch- böhmisch- ungarisch- niederländisch- burgundisch- italienisch- spa-

nischen Kaiserreiches der katholischen Habsburger geworden. Nur wenig daran ist deutsch. Selbst

dieses Wenige aber ist dort nicht repräsentiert als ein einheitlicher Kulturraum. Es ist einzig die Spra-

che die das Deutsche auch dort definiert.

Die katholische Gegen-reformation der bairischen Wittelsbacher gemeinsam mit den Habsburgern (ab

1563 n. Chr.) bringt das Deutsche dann in arge Bedrängnis. Im daraus folgenden „Dreißigjährigen

Krieg“ (1618 - 1648) wurde fast der gesamte deutsche Sprachraum zur Beute auswärtiger Mächte

(565. Selbst die noch vorhandene Idee eines Reiches löste sich dabei auf. Der Westfälische Friede

von 1648 dokumentiert auch diesen Zerfall. Die brachiale Gewalt des Habsburg-katholischen Funda-

564 Seit Karl V., 1519- 1556 , n.Lehmann 565 Dänemark, Schweden, Frankreich und Spanien

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mentalismus treibt letztlich die Bewohner der Niederen Lande sogar aus der deutschen Sprach-nation

hinaus. Sie entwickeln zu ihrer autonomen Territorialstaatlichkeit nun auch eine eigene Schrift- und

Hochsprache aus566.Das Deutsche steckt wieder einmal tief in der Krise.

Wie sehr zeigt das Zitat eines Herrschers der neu entstehenden Großmacht innerhalb der Germania,

Preußen. Deren innerer König Friedrich Wilhelm I. (1713-40), der Alte Fritz hielt Deutsch gerade noch

für gut genug um in dieser Sprache mit seinen Hunden und Knechten zu reden (die Reihenfolge dabei

wäre ebenfalls zu beachten!). Doch die Wende war bereits in Vorbereitung. Wo die Not ist ist das Ret-

tende manchmal auch.

Die Franzosen, Erben und Nachfahren der walchen Gallo-Franken hatten die Nase von feudaler und

klerikaler Ausbeutung wohl ziemlich voll. Mit einer blutigen Revolution brachen sie der Idee von Frei-

heit- Gleichheit und Geschwisterlichkeit aller Menschen eine Bahn. (1789-92). Der aus dieser revoluti-

onären Freiheit sich bald entfaltenden Anarchie machte Napoleon ein welscher Korse bald ein Ende.

Wie einst die antiken römischen Ceasaren ließ dieser Korse sich zum Konsul ernennen (1799). So

hatte zweitausend Jahre zuvor auch schon Julius Caesar begonnen. Da Macht offensichtlich Appetit

auch mehr macht ließ er sich bald darauf zum Kaiser krönen (1804). Nun hatte West-Europa deren

zwei. Dies war ein historisches Novum. Ein dritter Kollege regierte als Zar in Moskau. Er stand jedoch

mehr in der Tradition ost-römisch Byzantinischer Caesaren.

Ganz entgegen den Zielen von Gleichheit ect. etablierte der neue Kaiser nun auch einen neuen Adel

mit Herzogen (=39), Grafen (=451) und Baronen (=1500). Wie es einem Kaiser ziemt verlangte auch

dieser nach Respekt und Vorherrschaft. Ihm fielen alsbald die Vielzahl der Fürsten, Fürstbischöfe,

Kur- und andere Größen in der deutschen Germania zum Opfer. Auch der alte Kaiser des „Heiligen

Römischen Reiches Germanischer Nationen“ verlor zuerst eine Schlacht danach seinen Titel samt

Krone und Reich (1806). Der Habsburger Kaiser Franz der Zweite (1792-1806 ) nennt sich danach

nunmehr bescheiden Kaiser von Oesterreich und ist als solcher mit der Ordnungszahl Eins ausgestat-

tet. (Franz I., 1806-35).

Der welsch-gallische Kaiser besorgte nun eine fürstliche Flurbereinigung auch rechts des Rheins.

Reichsstädte, Reichsfürsten und -äbte, Herzogs- und Fürsten-tümer, Grafschaften sowie kirchliche

Kur- und andere Feudal-thümer werden aufgelöst und ihre Potentaten abgesetzt. Baden, Württem-

berg, Baiern und Preußen werden die territorialen Gewinner des Napoleonischen Kahlschlags. Seit

der tiutischen Herrschaft des Rotbärtigen Kaisers Friedrich I. erhält das Deutsche erstmals wieder

deutlich Staats- und auch territoriale Strukturen.

Die Baiern werden wie schon zur Zeit der Karolinger ein Jahrtausend zuvor (nach 817) wieder Königli-

che (=1805),.ebenso die Württemberger (=1805). Baden und Hessen sowie Berg - das Bergische

Land - erhalten den Titel >Großherzogtum< (=1806).

Sie alle werden Mitglied des napoleonischen >Rheinbundes<. Die hohenzollerschen Preußen sind mit

dem neuen Kaiser bald äußerst unzufrieden, sie schließen ein Bündnis mit Kur-Sachsen und Ruß-

lands Kaiser und werden frech. Die Franzosen samt ihrem korsischen Imperator sollen sich gefälligst

wieder hinter den Rhein zurückziehen go west welscher Napoleone ! Doch der kommt statt dessen

mit seiner Armee. Bei Jena und Auerstedt ist Preußens Gloria ganz schnell am Ende und aufgerieben

566 Die Schweizer Eidgenossen hatten sich schon Jahrhunderte zuvor aus dem Habsburgisch-Deutschen Reich abgesetzt.

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(1806). Napoleon reitet ein in Berlin. Kur-Sachsen wird nun ebenfalls Mitglied im napoleonischen

Rheinbund (1806). Zuvor jedoch hatte noch eine wahrhaft historische Begegnung stattgefunden. Der

neue Kaiser Westeuropas hatte sich in Weimar mit dem Princeps der deutschen Sprache, dem Dich-

ter-Fürsten Johann Wolfgang von Goethe getroffen. Beethoven widmete gar eine Symphonie (Eroica)

dem welschen Kaiser zu. Die Sprach- und Kulturfürsten des Deutschen waren dem neuen Herrn und

den durch ihn vermittelten Ideen ganz offensichtlich wohl gesonnen. Deutsche Kulturnation und wel-

scher Kaiser mochten sich leiden.

Die Preußen jedoch gaben nicht klein bei. Bis ins Baltikum zieht ihnen Napoleon deshalb mit seiner

Armee hinterher. Nach einer verlorenen Schlacht nahe Königsberg bei Preußisch Eylau drohte dem

Staat Preußen die völlige Auflösung (1807). Danzig wurde damals zur Republik mit französischer

Garnison, Preußen von den Franzosen besetzt und Besatzungsgebiet der egalisierenden Armee567.

Nur der Einspruch des russischen Kaisers rettet eine preußische Staatlichheit. Dies wird Konsequen-

zen haben! Der größte Teil jenes Alt-Sachsen über das zur Zeit Barbarossas Heinrich der Löwe re-

giert hatte wird von Napoleon nun zum Königreich Westfalen erhoben. Das Deutsche als Staat ge-

winnt Form und Gestalt. Doch jetzt will es Habsburg noch einmal wissen. Ein Manifest nur an die

„deutschen Völker“ (man beachte den Plural!) ruft zur Rebellion gegen Napoleon auf. Nun plötzlich

wird selbst Habsburg deutsch statt wie zuvor noch germanisch. Doch die Rheinbundstaaten denken

nicht daran ihrem gallischen Gründer und Mentor in den Rücken zu fallen. Preußen ist ohnehin von

Napoleonischen Truppen besetzt. Ein deutscher Aufstand unterbleibt, die Armee Habsburgs muß sich

nach Böhmen verkrümeln. Der korsische Kaiser setzt ihr nach und erstmals erfährt dabei sein Heer

was Niederlage bedeutet (Aspern 1809). Am Berg Isel werden der welsche Napoleone568 und die ihm

verbündeten Baiern ebenfalls besiegt. Dieses Habsburger Glück dauert jedoch nicht allzu lange. Ös-

terreich unterliegt Napoleon endgültig bei Wagram (1809). Der Tiroler Volksheld Andreas Hofer wird

eingefangen und in Mantua hingerichtet (1810). Nun sind Baiern und Italien die territorialen Nutznie-

ßer. Südtirol wird an Italien gegeben, Nordtirol, Salzburg und das Innviertel werden bairisch.

Auch in der deutschen Kulturelite wächst in jener Zeit der Freiheits- Gleichheits- Geschwisterlichkeits-

gedanke der französischen Revolution. Napoleon und seine Heere kamen eben nicht nur als militäri-

sche Eroberer und Besatzer. Sie trugen auch eine Idee, die der persönlichen Freiheit mit in die von

ihnen eroberten Länder. Die unter dem Patronat Napoleons stehenden Rheinbundstaaten zeigten

bereits deutliche Ansätze zur konstitutionellen Verankerung von Bürgerrechten und Demokratie. Doch

wie es häufig im Ablauf der Geschichte geschieht - auch Napoleon überschätzte seine militärischen

Möglichkeiten. Im Kampf gegen Rußlands Kaiser und Zar verliert er seine Große Armee und damit die

Vormachtstellung in Westeuropa (1812). Unter der Führung Preußens beginnen nun die sogenannten

Befreiungskriege. Doch befreit werden dabei eher die alten Feudalfürsten als deren ehemalige Unter-

tanen. Die Verlierer von gestern werden dabei zu Siegern vom Tag danach. Die Völkerschlacht bei

Leipzig besiegelte den Untergang des Großen Korsen. Sein Versuch von Elba aus an die Macht zu-

rück zu kehren endete mit der Schlacht von Waterloo (1815).

In den deutschen Landen und Köpfen aber bleibt das Wissen um personale Freiheit und Menschen-

rechte erhalten. Auch wenn sich der Rheinbund auflöste und in Oesterreich ein Metternich sein totali-

567 Vertrag von Tilsit, 1807 n. Chr. 568 So wird er in östereich-bayrischen Volksliedern besungen

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täres Staatsregime durchsetzte, das Deutsche ist nach Napoleon nicht mehr das was es zuvor gewe-

sen war. Der Ruf nach einem Staat für alle die Deutsch als ihre Muttersprache gebrauchen und die in

diesem dann deutschen Staat bürgerliche Freiheiten besitzen sollen wird nicht mehr verstummen. Das

Deutsche hat eine neue Definition gefunden. Ein neuer Trieb wächst aus der uralten etymologischen

Wurzel des Deutsch. Aus der Sprach-Nation will ein Staat, ein National-Staat, werden.

„Was ist des Deutschen Vaterland?“. Diese Phrase von Ernst Moritz Arndt (1769-1860) ist zugleich die

Forderung nach dem deutschen als einem nationalen Einheitsstaat. Dem heftig treibenden Zweig

dieses Deutsch wird im Verständnis der Zeit Preußen am besten gerecht. Der preußische Staat re-

formierte sich aus seiner Niederlage heraus vollständig. Sein neu strukturiertes Staatswesen gilt als

vorbildlich. Er wird so modern daß er zum Vorbild im deutschsprachigen Bürgertum wird. Seine

Hauptstadt Berlin wird auch zur kulturellen Metropolis des Deutschen. Der Wiener Staat der Habsbur-

ger rottet derweil unter Metternich und seiner Heiligen Allianz (1773-1859) langsam aber stetig vor

sich hin. Durch das territoriale Übergewicht von Böhmen, Mähren, Ungarn und Serbien verliert Öster-

reich zusätzlich seine deutsche Identität. Dagegen inszeniert das wiedererstarkte Preußen mit Unter-

stützung seiner Intellektuellen einen deutschen Nationalmythos569. Dieses

Preußen ist in. Seine Herrscher aus dem Haus Hohenzoller-Brandenburg und machtvollen Großen

sind auf dem Weg nach Deutsch-land, einem Deutschen Reich. Die Staufer werden als Vorfahren der

Hohenzollerfürsten von diesen aus ihrer Totenruhe gerissen und als Instrument der preußisch-

völkischen Staatsideologie wiederbelebt. Vom „Staufer-Pils“ zur „Staufia-Seife“ gedieh eine nationalis-

tische Hysterie570. Preußens Friedrich Wilhelm III. gibt eine „Geschichte der Hohenstaufen“ in Auf-

trag571. Es ist dabei symptomatisch daß gerade der vom Ceasarenwahn gezeichnete il stupor als Ur-

ahn dieser Hohenzoller zur Galionsfigur des preußischen Deutsch-thums aufsteigt - Hybris als Pro-

gramm !

Auch die Germanen sind in plötzlich in aller Munde. Dem gallisch-welschen Napoleone, dessen

Staatswesen ja auf gallo-keltische Wurzeln zurück reicht sollte, nein mußte Gleichwertiges entgegen

gesetzt werden. Die Germanen erfahren eine Renaissance. Das völkische Germanen-thum boomt,

germanisch wird nun mit deutsch gleich- und übersetzt572.

Heinrich von Kleist gibt mit seiner Herrmannschlacht von 1808 ein geradezu widerliches Beispiel für

den völkischen Rassismus jener Zeit. Es sollte Schule machen. Einen „von Gott begnadeten Kaiser

der alle Deutschen vereinen“ sollte ersehnte sich Achim von Arnim 1817.

Da wollte auch die Historik nicht abseits stehen. Die Erforschung des urväterlichen Erbes der deut-

schen Germanen kam auf ihr Programm. Das Deutsche hatte nun vor allem Romanischen zu grün-

den. Da auch Napoleon ein Romane nach Sprache und Geburt war mußten die deutschen Wurzeln

eben noch vor den ebenfalls romanischen Römern gefunden werden. Kelten wie Germanen mußten

gleichermaßen ran.

569 O.W. Johnston 570 J. Lehman 571 erschienen 1823 - 1825

572 Ludwig, der „rex Germanorum wird „der Deutsche“, Österreichs „Germanische“ Nationen werden zur „Deut-schen“, etc etc.

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Die Baiern wurden urplötzlich zu Nachfahren keltischer Bojer, die Hessen zu Urenkeln ur-

germanischer Chatten. Die Walchen und Welschen zu Bewohnern keltischer Ursuppe in den Tälern

der bairischen Alpen. Selbst der Waller in den dortigen Flüssen und Seen schlug plötzlich und heftig

mit keltischer Flosse. Die Thüringer wurden zu ideellen Söhnen altgermanischer Hermundurer.

Selbst jene für Kaiser Valentinian im 4.Jh.in Britanien errichtete Provinz >Valentia< = Wales geriet

zum Überbleibsel keltischer volcae vom Mittelmeer! Was als herzogliche Territorial-staaten aus den

Trümmern des Karolingerreiches im 9.Jahrhundert hervorgegangen war etablierte sich nun zu völ-

kisch sich thümelnden und wiedererstarkenden Stammes-Produkten.

Dies alles wäre ein ironisch zu akzeptierendes 19.Jahrhundert würde nicht dessen völkisch verseuch-

te Begriffsbildung die Sprache der Historik bis heute noch nachprägen.

Doch jenes so umhechelte Germanenthum trieb auch politisch übelste Früchte. Als Germanisch hatte

sich niemals zuvor ein Volk selbst identifiziert. Seit Julius Caesar diesen Begriff in die Welt gebracht

hat blieb er stets ein Synonym für barbarisch. Procop benannte die Franken als solche, der Gallo-

Franke Gregor von Tours bezeichnete die Goten in der Aquitania sowie alle Nicht-Gallier jenseits des

Rheins als Germanen und Barbaren gleichermaßen.

Diese barbarischen Stiefel zog sich die Machtelite des Deutsch-Preußischen Reichs nun selbst an.

Nachdem es unter Mithilfe Bayerns zur Gründung eines >Kaiser-< und >Deutschen< Reichs gekom-

men war gab es kein Halten mehr. An deutschem wie germanischen Wesen gleichermaßen sollte die

Welt fortan genesen. Die braunen Nazibarbaren, geistige Erben dieser völkischen und nationalisti-

schen Reichselite, überboten dann mit ihrem germanischen Rassenwahn selbst noch jene Vorstellung

die sich antike Autoren von germanischen Barbaren einst gemacht hatten - kulturlos, mordgierig und

befallen vom Größenwahn.

Dies war nun des Deutschen Vaterland.

Daß es einzig dem Psychopathen Hitler dann gelang fast alle Deutschen in seinem Dritten deutschen

Reich zu vereinen ist auch die Tragödie des Deutschen selbst. Seinem Überfall auf die Sowjetunion

1941 den Decknamen „Barbarossa“ zu geben erscheint einerseits marginal doch zugleich auch sym-

ptomatisch. Auch und gerade diese Nazibarbaren aber gaben dem deutsch einen zusätzlichen Teil

seines Inhaltes, seiner Definition mit auf den Weg. Dieses späte und braune Verbrechen mit und am

Deutschen werden wir gewollt oder nicht mitzutragen haben sofern wir uns dem Deutschen zuzurech-

nen gewillt sind.

Dieses deutsch aber ist und war schon immer zuerst und vor allem seine Sprache. Es ist auch seine

daraus erwachsene und spezielle Kultur welche deutsch als eine Gruppenzugehörigkeit definiert. Dies

ist so geblieben. Eine deutsche Ethnie, einen deutschen Stamm hat es niemals gegeben. Deutsch war

auch nie, selbst nicht in den zwölf Jahren der Nazizeit eine territoriale Einheit. Das Deutsche war im-

mer und wird es wohl bleiben, mehr als nur ein Deutsch-Land. Es hatte auch nie einen einheitlichen

Staat zur Heimat. Allein Barbarossa hatte es einst vermocht sein tiutes mit dem regnum Teutonicorum

deckungsgleich werden zu lassen. Doch bereits mit seinem Tod zerfiel auch sein Deutsches regnum

wieder. Es war dann il Stupor – der Staufer - der aller Staatlichkeit eines gemeinsamen Deutschen für

immer wieder den Garaus machte

Ausklang

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In den heraufziehenden und virtuellen Weiten des globalen Internet und seinem Cyberspace wird das

Deutsche nun zum behindernden Dialekt, ja fast schon zum Soziolekt. Was ihm über die Jahrhunderte

hinweg seine Identität gab erweist sich jetzt als ein eher störender Faktor.

Deutsch wird zwar noch gebraucht werden um bei weltweiten Medienspektakeln nach Gruppen diffe-

renzieren zu können - Deutsch-land vor ... Die elektronisch vernetzte Tourismusbranche wird eben-

falls regionale und Pseudo-Kulturzonen für die Marktsegmentierung beibehalten, auch eine Deutsche.

Doch im medial verknüpften und digitalisierten wie globalen Dorf wird das Deutsche nicht nur symbo-

lisch zur Hausnummer verkümmern - de.

Vielleicht war es gerade auch deshalb so reizvoll kurz davor noch einmal zum Ursprung des Deutsch,

zu seiner Quelle zurück geblickt zu haben.

Aug.’99

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Literatur-Liste für Das Deutsche

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