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13 Dosimetrische Materialäquivalenz Da in der praktischen Dosimetrie Ersatzsubstanzen für das zu bestrahlende menschliche Ge- webe eingesetzt werden müssen, stellt sich die Frage nach der dosimetrischen Äquivalenz die- ser Substanzen. Darunter versteht man nicht nur die Gleichheit der verschiedenen Wechsel- wirkungsraten für Photonen- und Elektronenstrahlungen sondern auch die Gleichheit bezüg- lich der Dosisverteilungen an jedem Punkt dieser Phantome. In diesem Kapitel werden die Bedingungen für die dosimetrische Äquivalenz dargestellt. ____________________________ In vielen dosimetrischen Situationen wie der absoluten Sondendosimetrie oder der Messung von Dosisverteilungen müssen Messergebnisse in Ersatzsubstanzen für die in der medizinischen Anwendung interessierenden Körpergewebe gewonnen werden. Die Resultate der Messungen in dem bei der Dosimetrie benutzten Material können nur dann ohne Einschränkung auf andere Substanzen übertragen werden, wenn diese Materialien in ihrer Wirkung auf das Strahlenbündel (Schwächung, Streuung, Stoß- und Strahlungsbremsung) und der Energieabsorption im Messmedium identisch sind. Sie müssen also an jedem Punkt des bestrahlten Materials das gleiche Strahlungsfeld wie im interessierenden Körpergewebe aufweisen. Diese Übereinstimmung bezeichnet man als globale dosimetrische Äquivalenz des Ausbreitungsmediums. Für Photonenstrahlung ist diese Äquivalenz dann streng erfüllt, wenn in jedem Punkt des Materials die Zahl der erzeugten Sekundärelektronen im Massenelement, ihre Energieverteilung, ihre Richtungsverteilung und das totale Bremsvermögen des Ab- sorbers für diese Sekundärelektronen übereinstimmen. Dies ist nur möglich, wenn auch die Wahrscheinlichkeiten für die wichtigsten mit Energieüberträgen verbundenen Wechselwirkungsprozesse (Photoeffekt, Comptoneffekt, Paarbildung) pro Schichtdi- ckenintervall und ihre Energie- und Dichteabhängigkeit gleich sind. Je nach Photo- nenenergiebereich sind verschiedene Wechselwirkungen für die Schwächung des Strahlenbündels überwiegend verantwortlich. Für Elektronenstrahlung muss neben dem die Energiedosis bestimmenden Stoßbremsvermögen das Strahlungsbremsvermö- gen und das Streuvermögen in den verschiedenen Materialien für alle Elektronenener- gien übereinstimmen. Die Äquivalenzforderung lässt sich quantitativ erfassen, wenn man die mathematische Beschreibung der Wechselwirkungs- und Absorptionskoeffizienten für Photonenstrah- lung und des Stoß- und Strahlungsbremsvermögens sowie des Streuvermögens für Elektronenstrahlung miteinander vergleicht (s. Kap. 6 und 9 in [Krieger1@). Sie alle haben die Form: ) E ( f A Z k n U (13.1) H. Krieger, Strahlungsmessung und Dosimetrie, DOI 10.1007/978-3-658-00386-9_13, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Strahlungsmessung und Dosimetrie || Dosimetrische Materialäquivalenz

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Page 1: Strahlungsmessung und Dosimetrie || Dosimetrische Materialäquivalenz

13 Dosimetrische Materialäquivalenz Da in der praktischen Dosimetrie Ersatzsubstanzen für das zu bestrahlende menschliche Ge-webe eingesetzt werden müssen, stellt sich die Frage nach der dosimetrischen Äquivalenz die-ser Substanzen. Darunter versteht man nicht nur die Gleichheit der verschiedenen Wechsel-wirkungsraten für Photonen- und Elektronenstrahlungen sondern auch die Gleichheit bezüg-lich der Dosisverteilungen an jedem Punkt dieser Phantome. In diesem Kapitel werden die Bedingungen für die dosimetrische Äquivalenz dargestellt. ____________________________

In vielen dosimetrischen Situationen wie der absoluten Sondendosimetrie oder der Messung von Dosisverteilungen müssen Messergebnisse in Ersatzsubstanzen für die in der medizinischen Anwendung interessierenden Körpergewebe gewonnen werden. Die Resultate der Messungen in dem bei der Dosimetrie benutzten Material können nur dann ohne Einschränkung auf andere Substanzen übertragen werden, wenn diese Materialien in ihrer Wirkung auf das Strahlenbündel (Schwächung, Streuung, Stoß- und Strahlungsbremsung) und der Energieabsorption im Messmedium identisch sind. Sie müssen also an jedem Punkt des bestrahlten Materials das gleiche Strahlungsfeld wie im interessierenden Körpergewebe aufweisen. Diese Übereinstimmung bezeichnet man als globale dosimetrische Äquivalenz des Ausbreitungsmediums.

Für Photonenstrahlung ist diese Äquivalenz dann streng erfüllt, wenn in jedem Punkt des Materials die Zahl der erzeugten Sekundärelektronen im Massenelement, ihre Energieverteilung, ihre Richtungsverteilung und das totale Bremsvermögen des Ab-sorbers für diese Sekundärelektronen übereinstimmen. Dies ist nur möglich, wenn auch die Wahrscheinlichkeiten für die wichtigsten mit Energieüberträgen verbundenen Wechselwirkungsprozesse (Photoeffekt, Comptoneffekt, Paarbildung) pro Schichtdi-ckenintervall und ihre Energie- und Dichteabhängigkeit gleich sind. Je nach Photo-nenenergiebereich sind verschiedene Wechselwirkungen für die Schwächung des Strahlenbündels überwiegend verantwortlich. Für Elektronenstrahlung muss neben dem die Energiedosis bestimmenden Stoßbremsvermögen das Strahlungsbremsvermö-gen und das Streuvermögen in den verschiedenen Materialien für alle Elektronenener-gien übereinstimmen.

Die Äquivalenzforderung lässt sich quantitativ erfassen, wenn man die mathematische Beschreibung der Wechselwirkungs- und Absorptionskoeffizienten für Photonenstrah-lung und des Stoß- und Strahlungsbremsvermögens sowie des Streuvermögens für Elektronenstrahlung miteinander vergleicht (s. Kap. 6 und 9 in [Krieger1 ). Sie alle haben die Form:

)E(fA

Zkn

(13.1)

H. Krieger, Strahlungsmessung und Dosimetrie, DOI 10.1007/978-3-658-00386-9_13, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

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284 13 Dosimetrische Materialäquivalenz

wobei k für den verallgemeinerten "Wechselwirkungskoeffizienten" steht, die Dich-te, Z die Ordnungszahl und A die Massenzahl (relatives Atomgewicht) des bestrahlten Materials bedeuten. n ist ein von der Wechselwirkung und der Strahlenart abhängiger Exponent der Ordnungszahl, der näherungsweise die in Tabelle (13.1) enthaltenen Werte hat. Die Funktion f(E) enthält die Energieabhängigkeiten einschließlich eventu-eller absoluter Skalierungsfaktoren der jeweiligen Wechselwirkungskoeffizienten. Eine solche globale dosimetrische Äquivalenz verschiedener Materialien ist allerdings kaum gleichzeitig für alle Strahlungsqualitätsbereiche zu erfüllen.

Dominierende Wechselwirkung Strahlungsqualität Exponent n

Photoeffekt weiche Photonenstrahlung 4-4,5

Comptoneffekt harte Photonenstrahlung 1

Paarbildung ultraharte Photonenstrahlung 2

Stoßbremsung schnelle Elektronen, Photonen 1

Strahlungsbremsung schnelle Elektronen, ultraharte Photonen 2

Elektronenstreuung schnelle Elektronen, ultraharte Photonen 2

Tab. 13.1: Zuordnung von dominierender Wechselwirkung und Wechselwirkungsexponent n (nach Gl. 13.1) für Photonen- und Elektronenstrahlungen.

Zwei monoatomare (reine) Substanzen a und b sind dann global dosimetrisch äquiva-lent, wenn alle ihre Wechselwirkungskoeffizienten übereinstimmen, wenn also für alle n gilt:

b

n

a

n

)E(fA

Z)E(fA

Z (13.2)

Werden chemische Verbindungen (z. B. Plexiglas) oder andere Stoffgemische als Er-satzsubstanzen verwendet, muss A/Zn durch effektive Werte nach Gleichung (13.3) ersetzt werden.

i

ni

iieff

n

AZp)

AZ( (13.3)

Der Summationsindex i läuft über die im Stoffgemisch enthaltenen Atomarten mit den relativen Atomgewichten Ai und den Ordnungszahlen Zi. pi steht für die relativen

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13 Dosimetrische Materialäquivalenz 285

Massenanteile dieser Atomart in der chemischen Verbindung oder Stoffmischung. Diese können dem Schrifttum, beispielsweise [DIN 6809-1 , und der dort zitierten Literatur entnommen werden. Für chemische Verbindungen lässt sich Gleichung (13.3) in eine etwas bequemere Form bringen, wenn statt der relativen Massenanteile die chemischen Verbindungszahlen ai verwendet werden (s. Beispiele 13.1 und 13.2).

iii

i

nii

eff

n

Aa

Za)

AZ( (13.4)

Substanz Dichte (g/cm3) (Zn/A)eff

n = 1 n = 2 n = 4

Wasser (20°C) 0,9982 0,555 3,66 227

Luft* 0,001204 0,499 3,67 223

Acryl(Plexi)glas, PMMA 1,18* 0,5395 3,16 147

A-150 (Muskel) 1,127 0,549 3,02 182

RW-1 (Wasser) 0,97 0,565 2,98 210

RW-1 (Muskel) 1,03 0,56 3,13 227

Polystyrol 1,06 0,538 2,84 99,6

Polyäthylen (fettäquivalent) 0,92 0,570 2,71 92,5

Paraffin 0,88 0,573 2,70 92,0

Kork 0,3 0,529 3,37 175,4

Muskel (ICRU 10) 1,04 0,550 3,60 230

Lunge 0,3 0,557 3,67 227,7

Fettgewebe (ICRP 23) 0,92 0,558 3,01 137,0

Knochen (cort., ICRP 23) 1,85 0,521 5,30 1147

Tab. 13.2: Dichten und effektive Ordnungszahlabhängigkeiten einiger wichtiger dosimetri-scher Substanzen (nach [Reich und [Jaeger/Hübner ). *: Unter Normalbedingun-gen (20°C, 1013 hPa). *: Die Dichte von PMMA beträgt nach [NIST] 1,19 g/cm3.

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286 13 Dosimetrische Materialäquivalenz

Aus Gleichung (13.2) erhält man mit (Gl. 13.3) als Bedingung der globalen Äquiva-lenz der Substanzmischungen a und b das Gleichungssystem (13.5), das für alle "betei-ligten", durch n gekennzeichneten Wechselwirkungen gelöst werden muss.

bi

ni

ii

ai

ni

ii A

Zp)E(fAZp)E(f (13.5)

Die Gleichungen lassen sich durch Kürzen der f(E)-Faktoren vereinfachen, sofern diese Energieabhängigkeiten unabhängig von der atomaren Zusammensetzung der Materialien sind, was bis auf den Bereich der dominierenden Photoeffektwechselwir-kung mit seinen individuellen Elektronenbindungsenergien immer zutrifft. Man erhält dann als Äquivalenzbedingung für die Mischungen a und b:

bi

ni

ii

ai

ni

ii A

ZpAZp (13.6)

Soll die einfache Beziehung (Gl. 13.1) zur Bestimmung des linearen Schwächungsko-effizienten bzw. seiner Teilkoeffizienten (Photo-, Compton-, Paarbildungseffekt) von Stoffgemischen eingesetzt werden, ist Z durch eine effektive Ordnungszahl Zeff zu ersetzen. Diese effektive Ordnungszahl erhält man für jede Photonen-Wechselwir-kungsart, deren Exponent ungleich 1 ist durch die folgende Beziehung [Spiers 1946].

1ni

1nrel,ieff ZaZ (13.7)

Die Koeffizienten ai,rel sind jetzt die massegewichteten relativen Elektronenanzahlen der Einzelkomponenten, deren Summe gerade 1 (100%) ergibt. Sie können mit fol-gender Formel berechnet werden.

ir

i

ir

i

rel,i)

AZ(p

)AZ(p

a (13.8)

Die Größen pi sind die jeweiligen relativen Massenanteile der Komponenten. Für nicht zu schwere Elemente mit 1< Z 30 in biologischen Geweben oder entsprechenden Ersatzsubstanzen, also für Atome oberhalb vom Wasserstoff (hier gilt Z=A=1), stim-men die ai mit ausreichender Genauigkeit mit den pi überein. Die Komponenten des vereinfachten Wechselwirkungskoeffizienten schreibt man entsprechend (Gl. 13.1) mit der effektiven Ordnungszahl dann als:

Page 5: Strahlungsmessung und Dosimetrie || Dosimetrische Materialäquivalenz

13 Dosimetrische Materialäquivalenz 287

)E(fA

Zk

neff (13.9)

Beispiel 13.1: (Zn/A) für Wasser (H2O) berechnet man nach Gl. (13.4) mit a1 = 2, a2 = 1, Z1 = 1, Z2 = 8, den mittleren relativen Atomgewichten A1 = 1,0079 für Wasserstoff und A2 = 15,994 für Sauerstoff natürlicher Zusammensetzung zu: (Zn/A)eff = (2 1n+1 8n)/(2 1,0079+1 15,994) = (2+8n)/18,0098. Für n = 1 ergibt dies den Wert (Zn/A)eff = 0,555, für n = 2 den Wert (Zn/A)eff = 3,66 (vgl. die Daten in den Tabn. 13.1 und 13.2).

Beispiel 13.2: Für Acrylglas (PMMA; Plexiglas, chemische Summenformel: C5H8O2) erhält man mit A1 = 12,001 für natürlichen Kohlenstoff und den sonstigen Zahlenwerten aus Beispiel 13.1: (Zn/A)eff = (5 6n+ 8 1n+2 8n)/(5 12,001+8 1,0079+2 15,994). Für n = 1 ergibt diese Glei-chung den Wert (Zn /A)eff = 0,5395, für n = 2 den Wert (Zn/A)eff = 3,1566 und für n = 4 (Zn/A)eff = 146,6443.

Tabellierungen der Eigenschaften der wichtigsten dosimetrischen Grundsubstanzen und Stoffgemische sind im einschlägigen Schrifttum ([DIN 6809-1 , [Reich , [Jae-ger/Hübner ) und den dort zitierten Originalarbeiten sowie auszugsweise in Tabelle (13.2) enthalten. Die numerischen Werte der Tabelle (13.2) können auch für Berech-nungen der effektiven äquivalenten Messtiefen in verschiedenen Phantommaterialien verwendet werden. Näherungsweise gilt für zwei Messwerte in den Tiefen za und zb in zwei Materialien (a) und (b) mit jeweils homogenen Dichten dann Äquivalenz, wenn sich die Tiefen umgekehrt wie die Produkte aus Dichte und effektiver Ordnungszahl-potenz verhalten.

b,eff

n

bba,eff

n

aa )A

Z(z)A

Z(z (13.10)

Beispiel 13.3: In [DIN 6809-1 wird als Bezugstiefe für die Messung der Kenndosisleistung therapeutischer ultraharter 60Co-Photonenstrahlung in Wasser zw = 5 cm vorgeschlagen. Die dosimetrisch äquivalente Messtiefe in Plexiglas für den Bereich des Comptoneffekts (n = 1) beträgt nach Gleichung (13.10) und den Werten aus Tabelle (13.2) zplexi = zw 0,555/0,636 = 0,873 zw = 4,36 cm. Für den Exponenten n = 2 wird der Tiefen-Umrechnungsfaktor 3,66/3,16 = 1,158, für den Photoeffekt sogar 227/173 = 1,312. Wasser und Plexiglas sind offensichtlich dosimetrisch nur näherungsweise und für bestimmte eingeschränkte Bereiche der Strahlungs-qualität äquivalent. Dosisverteilungen in diesen beiden Substanzen sind deshalb nur nach Um-rechnungen der Messtiefen halbwegs miteinander vergleichbar.

Dosisverteilungen werden nicht nur durch die Wechselwirkungen des Strahlungsbün-dels mit dem Medium sondern, wie das bei realen Verhältnissen immer der Fall ist, auch durch die Bestrahlungsgeometrie, insbesondere durch den Abstand des Strahlers vom Phantom beeinflusst. Deshalb müssen bei der Umrechnung von Dosiswerten in

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288 13 Dosimetrische Materialäquivalenz

verschiedenen Materialien wegen der unterschiedlichen Messtiefen nach Gleichung (13.7) entweder rechnerische Korrekturen der Divergenz z. B. nach dem Abstands-quadratgesetz berücksichtigt werden, oder die Messsonde muss immer im gleichen Abstand zur Strahlungsquelle positioniert werden. Bei Messungen in Phantomen be-deutet dies wegen der verschiedenen Messtiefen in unterschiedlichen Phantommateria-lien dann verschiedene Abstände der Phantomoberfläche zur Strahlungsquelle. Außer-dem müssen geometrische Festkörperphantome in allen Dosimetriesituationen (Kli-mabedingungen) streng maßhaltig sein. Die Dickenangaben müssen daher in kleinen Toleranzen eingehalten werden.

Beispiel 13.4: Soll die Kenndosisleistung ultraharter Photonenstrahlung aus einem Elektro-nenbeschleuniger im Fokus-Kammer-Abstand (FKA) von 110 cm gemessen werden, bedeutet dies bei einer Messtiefe von 10 cm Wasser einen Fokus-Phantomoberflächen-Abstand (FPA) von 100 cm. Wird ein Plexiglasphantom verwendet und der Einfachheit halber nur Compton-wechselwirkung (n = 1) unterstellt, ist die Messtiefe in Plexiglas analog zu Beispiel (13.3) nur noch 8,72 cm. Bei unverändertem FPA befindet sich die Messsonde dann 13 mm näher an der Strahlungsquelle als bei der Messung in Wasser. Dies führt zu einer Zunahme des Messwertes nach dem Abstandsquadratgesetz um den Faktor (101,3/100)2 = 1,026. Die Dosimeteranzeige muss daher um diesen Faktor verkleinert werden. Alternativ kann die Messung direkt im kor-rekten FPA von 101,3 cm mit der Kammer in der Plexiglastiefe von 8,72 cm durchgeführt werden.

Dosimetrie-Phantome: Werden Phantome als dosimetrische Stellvertreter für das menschliche Weichteilgewebe eingesetzt, sind neben der dosimetrischen Äquivalenz und der passenden Zusammensetzung noch eine Reihe weiterer geometrischer Bedin-gungen zu erfüllen. Phantome können inhomogen oder homogen sein, das heißt hete-rogene oder einheitliche Dichte und Zusammensetzung haben, sie können regelmäßig oder unregelmäßig geformt sein. Sollen direkte Dosisvergleiche mit dem Menschen durchgeführt werden, werden sogar menschenähnliche und menschenäquivalente Phantome benötigt, die in ihrer Form und ihrer Zusammensetzung exakt für den jewei-ligen Zweck ausgelegt sind, z. B. Röntgenphantome, Strahlentherapiephantome und Organphantome für die Nuklearmedizin (s. Fig. 13.1).

Für viele grundlegende Dosimetrieaufgaben müssen Phantome so große Abmessungen haben, dass sich bei weiterer Vergrößerung die interessierenden Messgrößen nicht mehr ändern. Man bezeichnet solche Phantomanordnungen nach der Deutschen Norm [DIN 6809-1 als "quasi-unendlich" oder als gesättigte Phantome. Sättigung eines Phantoms ist in der Regel nur für eine bestimmte Strahlungsqualität, eine bestimmte geometrische Anordnung und eine bestimmte Messaufgabe gegeben. So erfordert die Messung von Betastrahlung aus Dermaplatten - das sind 90Sr-Kontaktstrahler - wegen der geringen Reichweite der Betateilchen sicherlich kleinere Phantomabmessungen als die Untersuchung ultraharter Photonenstrahlung aus einem Elektronenbeschleuniger und wieder andere als die Dosimetrie von Strahlern für die Afterloadingtechnik. Bei-spiele von für die jeweilige Messaufgabe gesättigten Phantomen aber mit sehr unter-schiedlichen Abmessungen finden sich in (Fign. 12.9, 12.11, 12.15).

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13 Dosimetrische Materialäquivalenz 289

Für die Dosimetrie nach der Sondenmethode kann die Äquivalenzforderung für die Umgebung und die Messsonde gegenüber der globalen Äquivalenz oft stark einge-schränkt werden. Voraussetzung ist nur noch die Äquivalenz des Strahlungsfeldes am Sondenort und als Bedingung für die Sondendosimetrie die Materialäquivalenz der unmittelbaren Umgebung der Sonde. Das ist ein Bereich, der bei Sekundärteilchen-gleichgewicht etwa der Reichweite der Sekundärteilchen entspricht und bei Hohl-raumbedingungen durch den maximal zulässigen Sondenradius gegeben ist. Gewebe-äquivalenz des Sondenmaterials bedeutet die Übereinstimmung der Massenenergie-übertragungskoeffizienten von Gewebe und Sondenmaterial. Äquivalenz der Sonden-wand mit dem strahlenempfindlichen Material der Sonde wird zur Herstellung des Sekundärteilchengleichgewichts benötigt. Ist das Sondenmaterial Luft, bezeichnet man solche Sonden als Kammern mit "luftäquivalenten" Wänden. Die Dichten der Materia-lien gehen in diese lokale Äquivalenzbedingung nicht unmittelbar ein. Lediglich bei gasförmigen Medien (z. B. Luft in der Dosimetersonde) müssen wegen des Dichteef-fektes bei Elektronenstrahlung, also einer restlichen Abhängigkeit des auf die Dichte bezogenen Massenstoßbremsvermögens, kleinere Korrekturen für die Kalibrierfakto-ren berücksichtigt werden (vgl. dazu [Krieger1 und in diesem Band die numerischen

Fig. 13.1: Links: Menschenähnliches Scheibenphantom (Rando-Phantom) mit einem echten menschlichen Skelett und bis zu 10000 Aufnahmen für TL-Detektoren zur Über-prüfung dreidimensionaler Dosisverteilungen. Rechts: Plattenphantome aus Plexi-glas und dem für einen großen Photonen- und Elektronenergiebereich wasseräqui-valenten weißen RW3-Material (Polystyrol mit TiO2-Zusatz, mit freundlicher Ge-nehmigung der PTW-Freiburg).

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290 13 Dosimetrische Materialäquivalenz

Werte der Tabelle 24.10 im Anhang). Weitere detaillierte Ausführungen zur dosi-metrischen Materialäquivalenz finden sich in ([Reich , [Jaeger/Hübner], [ICRU 44]).

Zusammenfassung

Bei der praktischen Dosimetrie ist man auf äquivalente Ersatzsubstanzen für menschliches Gewebe angewiesen.

Globale Äquivalenz besteht nur, wenn die Eigenschaften des Ersatzmate-rials für alle möglichen Wechselwirkungen und Energien mit der Origi-nalsubstanz übereinstimmt.

Äquivalenz wird mit effektiven Ordnungszahlen oder effektiven Zn/A-Verhältnissen beschrieben.

Wegen der Z-Abhängigkeiten der verschiedenen Wechselwirkungskoeffi-zienten gelten die so bestimmten Äquivalenzen oft nur für einen einge-schränkten Energiebereich.

Die größten Äquivalenzunterschiede finden sich bei Wechselwirkungen mit starker Z-Abhängigkeit der Wirkungsquerschnitte. Das wichtigste Beispiel ist der Photoeffekt bei niedrigen Energien (Z4-5/A).

Ein Beispiel ist das Phantommaterial RW3 (Göttingen White Water, Fig. 13.1), das "nur" wasseräquivalent ist zwischen 60Co-Gammastrahlung und Photonen bis 50 MeV, also Photonenenergien jenseits der Photoef-fekt-Wechselwirkungen, und für Elektronenenergien zwischen 4-25 MeV.

Neben der effektiven Ordnungszahl ist bei geometrischen Überlegungen zur Dosimetrie auch die Dichte der Ersatzmaterialien zu beachten.

Aufgaben

1. Was versteht man unter der globalen dosimetrischen Äquivalenz zweier mono-atomarer Substanzen?

2. Können zwei Substanzen mit gleicher Dichte und Massenzahl aber unterschiedli-cher Ordnungszahl dosimetrisch äquivalent für diagnostische Röntgenstrahlung sein?

3. Sie messen den Tiefendosisverlauf ultraharter Photonenstrahlung in Wasser und einem weiteren Phantommaterial, das sich nur in seiner Dichte um 10% unter-scheidet, in einer konstanten Geometrie. Dürfen Sie die Tiefendosisdaten aus beiden Messungen gleichsetzen?