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34 „Pour bien comprendre la situation des forces de l’ordre durant les années 1980 à 1985, il faut se rappeler qu’il s’agissait d’une période très agitée“, schreibt Staatsanwalt Robert Biever in seiner Anklageschrift zur „Bommeleeër“-Affäre und verweist dabei auf die so genannte „Joerhonnert-Affäre“, in der sich Polizei und Gendarmerie ge- genseitig bekriegten, sowie auf eine neue Qualität der Kriminalität mit den äußerst brutalen Taten der Waldbilliger Gangster- Bande (bei der Serie der von ihr verübten Banküberfälle war Ende Oktober 1985 ein  junger P olizist ermordet wor den). Biever situiert die „Bommeleeër“-Atten- tate in einem nationalen Kontext, vermei- det es aber, die Anschlagsserie auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges in ihren internationalen Kontext zu stellen. Kontext Geopolitisch erreichte der Kalte Krieg und damit die Konfrontation zwischen Ost und West, zwischen Kapitalismus und Kommunismus Anfang der 1980er Jahre einen neuen Höhepunkt. Der NATO- Doppelbeschluss und der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan markierten 1980 das Ende der Entspannungspolitik der 1970er Jahre und läuteten eine neue Phase des Rüstungswettlaufs ein. Eine neue Generation von US-amerikanischen Pershing II- und Tomahawk-Raketen mit nuklearen Sprengköpfen wurden in West- europa stationiert. Mit der Wahl Ronald Reagans zum amerikanischen Präsidenten leitete erneut ein Hardliner die Geschicke des Weißen Hauses, während unter der Führung Juri Andropows und Konstantin Tschernenkos eher Unsicherheit über die politische Ausrichtung der Sowjetunion herrschte. Die Periode wird deshalb auch in der For- schung als „La Grande Peur“ bezeichnet, da die Angst vor einem nuklearen Zu- sammenstoß und einem dritten Weltkrieg einen erneuten Höhepunkt erreichte. In Luxemburger Militärkreisen stellte sich damals nicht die Frage „ob“ es zu einem Krieg zwischen NATO und Warschauer Pakt kommen würde, sondern „wann“ und „wie“. Das „wie“ trainierte die Luxembur- ger Armee seit den 1970er Jahren und ver- stärkt in den 1980er Jahren in einer Viel- zahl von NATO-Manövern. Diese folgten dem immer gleichen Szenario: Kleine sub- versive Gruppen sollten versuchen, die na- tionalen Infrastrukturen zu zerstören und  Armee und Gendarmerie sollten sie daran hindern. Im Verteidigungsfall ging man davon aus, dass der Warschauer Pakt in ei- ner ersten Phase kleine Elite-Einheiten (so- genannte „Spetsnaz“) über West-Europa mit dem Fallschirm absetzen würde. Ihr Ziel: strategische Infrastrukturen auszu- schalten. Dadurch sollte die Verteidigung der NATO-Länder stark geschwächt und ein Vormarsch der Panzerkolonnen des  W arschauer Pak tes erleichtert werden . Im Militärjargon spricht man in diesem Zusammenhang von „kritischen Infra- strukturen“. Darunter versteht man Ein- richtungen und Strukturen, deren Ausfall das gesellschaftliche Leben zum Erliegen bringen und eine Verteidigung des Landes unmöglich machen würden. Als solche Infrastrukturen galten in den 1980er Jah- ren vor allem Infrastrukturen aus den Be- reichen Energie, Transport und Verkehr, Information und Telekommunikation, Medien- und Kultur- sowie staatliche Institutionen. Strategie der Spannung  Der internationale Kontext der Bommeleeër-Affäre  Zwischen dem 7. und dem 17. April zeichnete das Lëtzebuerger Journal in acht spannenden Beiträgen einige  „vernach lässigte Spuren“ in der Bommele eër-Affär e auf. Dieses ausgezeichnet recherchierte Dossier lässt sich sowohl als historische Aufarbeitung der letzten Phase des Kalten Krieges lesen wie auch als Hintergrundanalyse zum Bommeleeër- Dossier. Um diese Artikelserie einem weiteren Publikum zugänglich zu machen, publiziert forum sie hier in leicht  gekürzter un d synthetis ierter F orm. Lëtzebuerger Journal Der gesamte Text (in 8 Teilen) kann auf www.journal.lu nachgelesen werden, indem das Wort „Bommeleeër“ indieSuchmaschinederInternetseiteeingegebenwird (http www journallu?s=Bommeleeër)  Auf dem Höhepunkt d es Ka lten Krieges gab es einflussreic he Personen, die sich in einem Krieg gegen eine verweichlic hte Gesellschaft sahen. forum 317 NATO

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„Pour bien comprendre la situation desforces de l’ordre durant les années 1980 à 1985, il faut se rappeler qu’il s’agissait d’unepériode très agitée“, schreibt StaatsanwaltRobert Biever in seiner Anklageschrift zur„Bommeleeër“-Affäre und verweist dabeiauf die so genannte „Joerhonnert-Affäre“,in der sich Polizei und Gendarmerie ge-

genseitig bekriegten, sowie auf eine neueQualität der Kriminalität mit den äußerstbrutalen Taten der Waldbilliger Gangster-Bande (bei der Serie der von ihr verübtenBanküberfälle war Ende Oktober 1985 ein junger Polizist ermordet worden).

Biever situiert die „Bommeleeër“-Atten-tate in einem nationalen Kontext, vermei-det es aber, die Anschlagsserie auf demHöhepunkt des Kalten Krieges in ihreninternationalen Kontext zu stellen.

Kontext 

Geopolitisch erreichte der Kalte Krieg und damit die Konfrontation zwischenOst und West, zwischen Kapitalismus undKommunismus Anfang der 1980er Jahreeinen neuen Höhepunkt. Der NATO-Doppelbeschluss und der Einmarsch derSowjetunion in Afghanistan markierten1980 das Ende der Entspannungspolitik der 1970er Jahre und läuteten eine neuePhase des Rüstungswettlaufs ein. Eine

neue Generation von US-amerikanischenPershing II- und Tomahawk-Raketen mitnuklearen Sprengköpfen wurden in West-europa stationiert. Mit der Wahl RonaldReagans zum amerikanischen Präsidentenleitete erneut ein Hardliner die Geschicke

des Weißen Hauses, während unter derFührung Juri Andropows und KonstantinTschernenkos eher Unsicherheit über diepolitische Ausrichtung der Sowjetunionherrschte.

Die Periode wird deshalb auch in der For-schung als „La Grande Peur“ bezeichnet,da die Angst vor einem nuklearen Zu-sammenstoß und einem dritten Weltkrieg einen erneuten Höhepunkt erreichte. InLuxemburger Militärkreisen stellte sichdamals nicht die Frage „ob“ es zu einemKrieg zwischen NATO und WarschauerPakt kommen würde, sondern „wann“ und„wie“. Das „wie“ trainierte die Luxembur-ger Armee seit den 1970er Jahren und ver-stärkt in den 1980er Jahren in einer Viel-zahl von NATO-Manövern. Diese folgten

dem immer gleichen Szenario: Kleine sub-versive Gruppen sollten versuchen, die na-tionalen Infrastrukturen zu zerstören und Armee und Gendarmerie sollten sie daranhindern. Im Verteidigungsfall ging mandavon aus, dass der Warschauer Pakt in ei-ner ersten Phase kleine Elite-Einheiten (so-genannte „Spetsnaz“) über West-Europa 

mit dem Fallschirm absetzen würde. IhrZiel: strategische Infrastrukturen auszu-schalten. Dadurch sollte die Verteidigung der NATO-Länder stark geschwächt undein Vormarsch der Panzerkolonnen des Warschauer Paktes erleichtert werden.

Im Militärjargon spricht man in diesemZusammenhang von „kritischen Infra-strukturen“. Darunter versteht man Ein-richtungen und Strukturen, deren Ausfalldas gesellschaftliche Leben zum Erliegen

bringen und eine Verteidigung des Landesunmöglich machen würden. Als solcheInfrastrukturen galten in den 1980er Jah-ren vor allem Infrastrukturen aus den Be-reichen Energie, Transport und Verkehr,Information und Telekommunikation,Medien- und Kultur- sowie staatlicheInstitutionen.

Strategie der Spannung Der internationale Kontext der Bommeleeër-Affäre

 Zwischen dem 7. und dem 17. April zeichnete das  Lëtzebuerger Journal in acht spannenden Beiträgen einige  „vernachlässigte Spuren“ in der Bommeleeër-Affäre auf. Dieses ausgezeichnet recherchierte Dossier lässt sich sowohl als 

historische Aufarbeitung der letzten Phase des Kalten Krieges lesen wie auch als Hintergrundanalyse zum Bommeleeër-Dossier. Um diese Artikelserie einem weiteren Publikum zugänglich zu machen, publiziert  forum sie hier in leicht 

 gekürzter und synthetisierter Form.

Lëtzebuerger Journal

Der gesamte Text (in 8 Teilen) kann auf www.journal.lu

nachgelesen werden, indem das Wort „Bommeleeër“

indieSuchmaschinederInternetseiteeingegebenwird

(httpwwwjournallu?s=Bommeleeër)

 Auf dem Höhepunkt des KaltenKrieges gab es einflussreiche

Personen, die sich in einem Krieg gegen eine verweichlichte

Gesellschaft sahen.

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 Auswahl der Ziele folgt militärischerLogik 

Beim Auflisten dieser Kategorien fälltauf, dass die Ziele der „Bommeleeër“ al-lesamt in eine dieser Kategorien fallen.Die Anklageschrift liefert keine triftigeErklärung für die Auswahl der Ziele der

„Bommeleeër“, unterstreicht aber mehr-mals „la façon d’agir de manière militaire“der Attentäter. Tatsächlich folgt die Aus-wahl der Ziele einer streng militärischenLogik. Sie demonstrierten, dass man dasLand mit gezielten Aktionen innerhalbkürzester Zeit hätte lahmlegen können.Hätten die „Bommeleeër“ „ernst ge-macht“ oder hätten im Kriegsfall Vorbo-ten des Warschauer Pakts diese Angriffedurchgeführt, dann wäre möglicherweisedie Stromversorgung zusammengebro-

chen, die Energiereserven wären zerstörtworden, das Land wäre von den interna-tionalen Kommunikationssträngen ab-geschnitten worden, die Funktionsweiseder Justiz und der Ordnungskräfte wärenschwer beeinträchtigt worden, öffentli-che Veranstaltungen wären zum Erliegengekommen und die Führung des Landeshätte ausgeschaltet werden können. VieleZiele wurden bis heute nicht auf ihrenmilitärischen Stellenwert hin betrachtet.Zum Beispiel das Attentat auf die Radar-anlage des Flughafens Findel. Im Fall einesmilitärischen Angriffs hätte die Aufgabe

der europäischen Armeen vor allem darinbestanden, die Truppen des WarschauerPaktes solange aufzuhalten, bis der mili-tärische Nachschub aus den VereinigtenStaaten und Großbritannien eingetroffenwäre. Unter diesem Gesichtspunkt spielteder „Findel“ eine entscheidende Rolle fürdie Verteidigung des Landes, weil er im

Kriegsfall als Brückenkopf der Alliiertengedient hätte.

 War Games (Oesling 84)

 Anfang Mai 1984: Eine Gruppe Männersteigt aus einem Kleintransporter, in demsie sich versteckt haben und nähert sich imSchutz der Dunkelheit einem Funkmast.Die Männer müssen vorsichtig sein, denndie Gendarmerie und die Armee sind ih-

nen seit Tagen auf den Fersen. Und dieBevölkerung wurde aufgerufen, nützlicheHinweise zu ihrer Ergreifung zu liefern. Inden vergangenen Tagen haben sie bereits„Angriffe“ auf ein Gendarmeriebüro undein Energiereservoir verübt. Über Funk kommt der Befehl: Sprengen! Ein Mit-glied der Gruppe zückt eine Farbbombeund kennzeichnet das Zielobjekt. Missionerfolgreich abgeschlossen. Die Gruppeverschwindet in der Nacht und taucht un-ter bis zum nächsten „Bombenattentat“.Die Gendarmerie und die Armee habeneinmal mehr das Nachsehen.

Diese und ähnliche Aktionen liefen imRahmen einer Serie von als geheim einge-stuften NATO-Manövern mit dem Code-namen „Oesling“, die zwischen 1984 und1990 in Luxemburg stattfanden. Das Ma-növer „Oesling84“ (offizielle Dauer: vom24. April bis zum 15. Mai) endete keinezwei Wochen vor dem ersten Attentat der

„Bommeleeër“ in Beidweiler (Anschlag auf die Stromleitung zur Versorgung desRTL-Senders am 30. Mai 1984).

Bei den Oesling-Manövern handelte es sichum grenzüberschreitende Manöver, diezeitgleich in der belgischen Grenzregionund im Norden Luxemburgs durchgeführtwurden. Das Szenario des Manövers sahvor, dass kleine Gruppen von Angreifern(Orange Truppe) versuchen würden dasLand anzugreifen und strategisch wichtige

Infrastrukturen zu zerstören. Die Rolleder Verteidiger (Blaue Truppe) sollte darinbestehen, die strategisch wichtigen Infra-strukturen des Landes zu schützen unddie Angreifer festzunehmen. Die Rolle derVerteidiger übernahmen die Armee unddie Gendarmerie.

Katz-und-Maus-Spiel inmitten derGesellschaft 

Besonders ausgeprägt war bei den „Oes-ling“-Manövern jedoch die Beteiligung derBevölkerung. So erhielten die Angreifer

NATO April 2012

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etwa die Unterstützung eines Netzwerksvon „Patrioten“ die sie versteckten, sielogistisch unterstützten und eine aktiveRolle im Manöver einnahmen. Auf derSeite der Verteidiger wurde die Bevölke-rung aufgerufen, Hinweise zu liefern, die

zur Ergreifung der Täter beitragen könn-ten. Dies führte zu einem wahren Katz-und-Maus-Spiel inmitten der Gesellschaft.Diese aktive Einbindung der Zivilbevöl-kerung in ein Manöver folgte auf demHöhepunkt des Kalten Krieges einer um-strittenen NATO-Strategie, die im Kriegs-

fall vorsah, dass neben einer generellenMobilmachung der Streitkräfte auch dieBevölkerung in die Verteidigung des Lan-des mit eingebunden werden sollte. DieseVerwischung zwischen „Kombattanten“und „Non-Kombattanten“ war ein wahrer

Tabubruch und führte in Belgien zu hefti-gen Diskussionen im Parlament.

Die Rolle der Angreifer übernahmenschätzungsweise 30 junge Soldaten derLuxemburger Armee unter der Leitung von rund 20 amerikanischen Soldaten.

Dabei ist vor allem die Herkunft der US-Soldaten von Interesse. Denn es handeltesich um das erste Bataillon der 10th Spe-cial Forces Group (SFG), die zum dama-ligen Zeitpunkt im bayrischen Bad Tölzstationiert war. Die SFG waren ausge-

bildete Experten in der psychologischenKriegsführung und spezialisiert auf Sabo-tageakte. Ihr Operationsgebiet sollte vorallem Ost-Europa sein, wo sie weit hinterden feindlichen Linien operieren sollten.Doch nach dem Vietnam-Krieg und ver-stärkt in den 80er Jahren widmete dieSFG sich, auf Anordnung der Reagan-Regierung, der Ausbildung von befreun-deten Armeen, Untergrundorganisationenund Milizen in der ganzen Welt. Das of-fizielle Ziel der Oesling-Manöver wurde

in Luxemburg wie folgt beschrieben: „col-lecte de renseignements et participationdes Commando luxembourgeois à descours d’initiation aux méthodes de com-bat et techniques de sabotage des ForcesSpéciales U.S.“. Als sogenanntes „Flint-lock“-Manöver musste mindestens 55 %des Manövers in die Ausbildung einheimi-scher Gruppen gesteckt werden. Dies sahdas Szenario explizit vor.

US-Special Forces im Einsatz 

Ein ehemaliges Mitglied der Leitung desManövers gibt an, bereits damals dieseZielsetzung in Frage gestellt zu haben:„Man brachte mit viel Aufwand regulärenSoldaten Kampftechniken bei, die sie imKriegsfall nie benutzt hätten.“

Die „Flintlock“-Manöver dienten ei-gentlich dem „Capacity Building“ ein-heimischer Spezialeinheiten. Doch dieLuxemburger Armee verfügt über keineSpezialeinheiten im Sinne der amerikani-

schen SFG, oder der englischen SAS. Dieeinzige reguläre Einheit, die von ihren Fä-higkeiten und ihrem Einsatzgebiet diesenEinheiten am nächsten kommt, ist dieBrigade mobile de la gendarmerie (BMG).Oder gab es in der Luxemburger Armeeetwa eine spezifische Einheit, die übersolche Fähigkeiten verfügte? Bis heutebleibt unklar, mit wem die SFG währendihres Aufenthalts in Luxemburg wirklichtrainierte.

Dies war jedoch nicht die einzige Unge-reimtheit in dem Manöver. Nach Journal -

„Holding force“

Die Zahl der NATO-Manöver an denen Luxemburg beteiligt war, nahm in den 1980er Jahren

kontinuierlich zu. Auf dem Höhepunkt 1988 nahm die Luxemburger Armee an nicht weni-

ger als acht internationalen Manövern teil, während in den 1970er Jahren meistens nur ein

Manöver pro Jahr gezählt wurde. Die militärische Bedeutung Luxemburgs im Kalten Krieg

darf dabei nicht unterschätzt werden. Simon Duke vom Stockholm International Peace

Research Institute etwa beschreibt 1989 in seinem Buch United States Military Forces and 

Installations in Europe die Lage wie folgt: „Luxembourg, although small, does play a signi-

ficant role within NATO. The role can be summarized as providing NATO’s Allied Command

Europe Mobile Force (Land) and protecting the in-country lines of communication. These

small forces form the basis of a „holding“ force until the US reinforcements arrive. In January

1985 for instance, approximatively 5 000 US troops were deployed to Luxembourg for 2

days as a part of a reinforcement exercise.“

Die wichtigsten Manöver des Kalten Krieges und ihre Szenarien:

Reforger (1969-1993)

(Bis zu 125 000 Soldaten beteiligt) Jährliches Großmanöver der NATO bei der die Verla-

gerung der alliierten Truppen nach Westdeutschland geübt wurde. Im Kriegsfall sollten so

schnell wie möglich Truppen an die Grenzen Deutschlands verschoben werden um einen

Vormarsch der Truppen des Warschauer Paktes zu verhindern.

 Able Archer (1983)

(Zahl der Teilnehmer unbekannt) Im Jahr 1983 simulierte die NATO in einem äußerst rea-

listischen Manöver eine nukleare Konfrontation mit dem Warschauer Pakt. Dabei wurden

praktisch alle NATO-Truppen in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Beunruhigt von diesen

Truppenbewegungen traf die UDSSR alle nötigen Vorbereitungen für den nuklearen Erst-schlag. Nach Einschätzung von Historikern befand sich die Welt zu dem Zeitpunkt so nahe

an einem Nuklearkrieg, wie seit der Kubakrise 1962 nicht mehr.

Lion Heart (1984)

(132 000 Soldaten) Das größte Manöver der 1980er Jahre sah die Verlegung von Streit-

kräften von der britischen Insel auf das europäische Festland vor, als Verstärkung der briti-

schen Rheinarmee im Verteidigungsfall. Das Szenario ähnelte dem der Reforger-Manöver.

Oesling (1983-1990)

(Zahl der Teilnehmer unbekannt) Grenzüberschreitendes Manöver mit belgischer, amerika-

nischer und luxemburgischer Beteiligung. Geübt wurde auf Seiten der Luxemburger Armee

die Abwehr von Angriffen durch sowjetische Elite-Kämpfer auf wichtige Infrastrukturen.

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Informationen gab es schwerwiegendeMeinungsverschiedenheiten zwischen denLuxemburgern und den US-Vertretern in-nerhalb der Leitung des Manövers. Mankonnte sich nicht auf ein Szenario eini-gen, dem das Manöver folgen sollte. Die

 Amerikaner drängten auf ein realistische-res und intensiveres Vorgehen, dem dieLuxemburger Armee allerdings nicht fol-gen wollte. Mit diesen unüberbrückbarenMeinungsverschiedenheiten startete mandemnach in das Manöver. Nach Aussageeines belgischen Militärs, der am Manöverbeteiligt war, handelte es sich dabei um ei-nen „einmaligen Vorgang“ der bei solchenManövern eigentlich „undenkbar“ sei.

Der weitere Verlauf des Manövers bestä-

tigte die unterschiedliche Mentalität unddie Entschlossenheit mit der man an dieSache heranging. Das Vorgehen der US-Special Forces wird von Teilnehmern andem Manöver als „übertrieben hart“ be-zeichnet. Von amerikanischer Seite wirdberichtet, dass die Special Forces das Ma-növer auf „eine andere Realitätsebene“hätten heben wollen. Wegen den Zwi-schenfällen, die es bei den sukzessivenOesling-Manövern gegeben habe, sei in-tern noch Jahre danach von den „Skandal-Manövern“ gesprochen worden.

In der Tat geriet das Manöver unter ver-schiedenen Gesichtspunkten aus demRuder. So waren von der Leitung Zielefestgelegt worden, die im Rahmen desManövers angegriffen werden konnten.Dabei handelte es sich um fiktive Sabo-tage-Missionen die zum Beispiel Hoch-spannungsmasten, Benzinreservoirs undandere strategisch wichtige Objekte zumZiel hatten. Allesamt Ziele, wie sie nach-her auch von den „Bommeleeër“ ausge-

wählt werden sollten. Doch die in großer Autonomie operierenden Angreifertrup-pen hielten sich offensichtlich nicht andie vorgegebenen Ziele. Von belgischerSeite sind Angriffe auf das Gendarmerie-büro in Neufchâteau, auf ein Benzinre-servoir in Arlon und auf eine Funkanlagein Langlier überliefert, die allesamt nichtmit der Direktion des Manövers abge-sprochen waren. Dadurch setzten die Teil-nehmer an dem Manöver sich selber, aberauch Unbeteiligte einer großen Gefahraus. Wie ein roter Faden ziehen sich dieGewaltexzesse durch das Manöver. Nach

einer Festnahme im Rahmen des Manö-vers wurden die amerikanischen SFGetwa einem Verhör unterzogen, bei demFolterpraktiken zur Anwendung kamen. Aus einem Bericht der belgischen Armeegehen Zwischenfälle hervor, bei denen eszu Tätlichkeiten zwischen belgischen undamerikanischen Soldaten kam.

Blutiger Angriff auf die Kaserne in Vielsalm

Höhepunkt dieser Zwischenfälle war wo-möglich ein Angriff auf die Kaserne der„Chasseurs ardennais“ in Vielsalm in derNacht vom 12. auf den 13. Mai 1984.Unbekannte Täter waren in die Kaserneeingedrungen, in der sich zu dem Zeit-punkt der belgische Kommandopostendes Manövers befand. Der wachhabendeSoldat wurde niedergeschossen und Waf-fen aus einem Depot gestohlen.

Nach dem Zwischenfall in Vielsalm ver-ließen die Special Forces das Manöverund kehrten in ihre Kaserne in Bad Tölzzurück. Ermittlungen in diese Richtung wurden keine angestellt. Bis heute wirdder Angriff offiziell der linksterroristischenGruppierung CCC (Cellules communistescombattantes) zugeschrieben: eine Waffe,die in Vielsalm gestohlen wurde, tauchtespäter in einem Versteck der CCC auf.

Der belgische Senat kommt jedoch imRahmen seines Berichts von 1991 überdas belgische „Stay Behind“-Netzwerk auf 

den Vorfall in der Kaserne von Vielsalmzurück und spricht in diesem Zusammen-hang von: „protestations contre le laxismede la Belgique en matière de sécurité.“ Ähnlich beschreibt Staatsanwalt RobertBiever das Tatmotiv der „Bommeleeër“.

In Vielsalm ging es nach Aussage eines Er-mittlers der belgischen Armee gegenüberdem Journal darum, zu zeigen, wie leichtman in eine Kaserne eindringen konnte, zu

einer Zeit, in der sich die Truppen mittenin einem NATO-Manöver zudem in hö-herer Alarmbereitschaft befanden. Es ging demnach darum, auf eklatante Sicherheits-mängel hinzuweisen und die „Chasseurs Ardennais“ vorzuführen. So war es damalsetwa üblich, dass die Patrouillen zwar eine Waffe, aber keine Munition bei sich führ-ten. Diese mussten sie im Notfall erst beider wachhabenden Dienststelle abholen,um sich verteidigen zu können. Nach demVorfall in Vielsalm wurden diese Direkti-

ven überarbeitet und verschärft. Trotz derraum-zeitlichen Nähe zwischen den „Bom-meleeër“-Attentaten und den Oesling-Manövern, trotz ihrer Ähnlichkeit was dieZiele der Attentate anbelangt und trotzder Tatsache, dass Luxemburger Soldatenund amerikanische Special Forces zum glei-chen Zeitpunkt Sabotageakte und psycho-logische Kriegsführung trainierten, undtrotz der Tatsache, dass sich verschiedene Aktionen aufgrund ihrer Motive sehr äh-nelten, scheint diese Spur im Zusammenhang mit den „Bommeleeër“-Attentatennie verfolgt worden zu sein.

NATO April 2012

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Dabei sind die Ähnlichkeiten und Pa-rallelen nicht erst seit heute bekannt. Eindamals führender Luxemburger Militärgibt gegenüber dem  Journal  an, bereitsdamals darauf hingewiesen zu haben, dass„die Aktionen der ‚Bommeleeër’ und das

Szenario des Manövers sich ähneln wieein Ei dem anderen.“ Die Armee sah sichdeshalb sogar dazu gezwungen, eine Mit-teilung zu versenden, dass es sich bei den Aktionen der „Bommeleeër“ um „RealLife“-Aktivitäten handeln würde, die nichtmehr Teil des Manövers seien. Trotz ihresoffiziellen Teils, bleiben auch der tiefereSinn und Zweck der Oesling-Manöver bisheute ein Rätsel. Ein führender Luxem-burger Militär sagt dazu gegenüber dem Journal: „Während wir in den Jahren zu-

vor den Beginn des Krieges trainierten, beidem russische „Spetznas“ als Vorhut fürdie Truppen des Warschauer Paktes unserLand angreifen, sollte nun das Ende des

Krieges trainiert werden. Und die NATOhatte den Krieg verloren. Das Szenario indem sich die Amerikaner befanden, warein Szenario in dem Resistenzgruppenaufgebaut werden sollten und wir solltendie russische Besatzungsmacht spielen. Es

war ein Szenario: Stay Behind!“

Stay Behind 

Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und vor der aufziehenden Be-drohungskulisse einer Konfrontation mitder Sowjetunion zogen die Alliierten dieSchlüsse aus den Aktivitäten des Wider-standskampfes gegen die Nazi-Okkupa-tion. Aus militärischer Sicht war das Re-

sultat ernüchternd.Zu keinem Zeitpunkt hatte die „Résis-tance“ es während des Zweiten Weltkriegesgeschafft, einen bewaffneten Widerstandaufzubauen, der die Besatzungsmachternsthaft in Bedrängnis hätte bringen kön-nen. Gut funktionierende Informations-netzwerke konnten hingegen erst gegenEnde des Krieges aufgebaut werden.

Vor diesem Hintergrund fällte man schon Anfang der 1950er Jahre auf der Ebene

der NATO die Entscheidung, geheimeNetzwerke aufzubauen, die im Fall einerfeindlichen Besatzung aktiviert werdenkönnten. Diese Netzwerke sollten nichtaktiv in das Kriegsgeschehen eingreifen,sondern sich „überrollen“ lassen und dasEnde des Krieges abwarten, um im Fall ei-nes Sieges der feindlichen Mächte aktiv zuwerden. Aufgrund dieses Prinzips wurdendie Netzwerke auch kollektiv als „Stay Be-hind“-Netzwerke bezeichnet. Ihre Aufga-ben sollten im Kriegsfall laut NATO darin

bestehen, Informationen zu sammeln undan die Regierungen im Exil weiterzuleiten,Personen im Geheimen durch das Landzu schleusen und Sabotageakte gegen dieBesatzungsmacht zu verüben.

„Le Plan“

In Luxemburg musste Staatsminister Jacques Santer am 17. Dezember 1990 zurExistenz eines „Stay Behind“-NetzwerkesStellung beziehen. Im Rahmen einer par-lamentarischen Kommissionssitzung be-stätigte Santer, dass Luxemburg seit 1952

über ein „Stay Behind“-Netzwerk ver-fügte. Seit der Gründung des Service derenseignement de l’tat luxembourgeois(SREL) unterstand das Netzwerk demGeheimdienst.

Der Codename für die Luxemburg „Stay Behind“-Struktur lautete: „Le Plan“.Santer beschwichtigte jedoch gleichzei-tig, dass im Gegensatz zu dem, was dasNATO-Konzept vorgesehen hatte, das„Stay Behind“ in Luxemburg nie über ei-nen operativen Zweig verfügt habe. Santerversicherte damals, dass die Planung undDurchführung von Sabotage-Akten nichtzum Aufgabenbereich des „Stay Behind“in Luxemburg gehörten. Ein einziges Waf-fenversteck sei eingerichtet worden, zu

dem die Agenten jedoch selber keinen Zu-gang gehabt hätten. Die darin enthaltenen Waffen seien jedoch nie gebraucht und inder Zwischenzeit zerstört worden.

Das Netzwerk habe zu keinem Zeitpunktüber mehr als 12 Agenten verfügt, die sichuntereinander nicht einmal kannten undderen Hauptwerkzeug ein „Harpoon“-Funkgerät war, mit dem die Agenten In-formationen verschlüsselt übermittelnsollten. Abgesehen von regelmäßigen Testsder Geräte habe das Netzwerk demnach

auch an keinen Manövern teilgenommen. Auf die Frage hin, ob der „Stay Behind“an dem Manöver „Oesling84“ teilgenom-men habe, antwortete Santer im Dezem-ber 1990: „Il n’y a jamais eu d’exercices deservices étrangers sur notre territoire et nosagents n’avaient jamais quitté notre ter-ritoire.“ Diese Version stützt der Berichtder Geheimdienstkontrollkommissiondes Parlaments vom Juli 2008, der auf derBasis der Archive des SREL zum Schlusskommt, dass weder der SREL noch das

„Stay Behind“-Netzwerk am Manöver„Oesling84“ teilgenommen hätten.

Der Bericht, der auf den noch vorhande-nen offiziellen Dokumenten zu „Stay Be-hind“ beruht (die Kommission vermerktaber auch Folgendes: „pour ce qui est de la documentation officielle de l’époque, forceest de constater que beaucoup de pièces af-férentes au „Stay Behind“ ont été détruitesdans le cadre du démantèlement des struc-tures proprement dites en application desdispositions contraignantes de la Direc-tive sur la sécurité des informations de

„Wenn die Regierungen mit

ungenügender Schlagkraft

reagieren“

„Es kann vorkommen, dass die Regie-

rungen der Gastländer gegenüber demKommunismus oder der kommunistisch

inspirierten Unterwanderung Passivität

oder Unentschlossenheit zeigen und

gemäß den Einschätzungen der US-

Geheimdienste mit ungenügender

Schlagkraft reagieren. Meist entstehen

solche Situationen, wenn die ‚Aufständi-

schen‘ zeitweilig auf Gewalt verzichten

und sich somit einen Vorteil zu verschaf-

fen hoffen, da sich die Führungskräfte

des Gastlandes in falscher Sicherheit

wähnen. In solchen Fällen sollten demUS-Militärgeheimdienst alle Mittel zur

Verfügung stehen, gezielte Operationen

zu starten, die sowohl die Regierungen

der Gastländer als auch die Öffentlich-

keit von der Gefahr einer Rebellion und

der Notwendigkeit eines Gegenangriffs

überzeugen.“

Deutsche Übersetzung eines Teils von

Punkt 11 des 4. Kapitels der „Note

Westmoreland“, der den „Agenten für 

Spezialeinsätze“ gewidmet ist 

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Lëtzebuerger Journal: Herr Ganser, was versteht man genau unter 

 „Strategie der Spannung“? 

Daniele Ganser: Ziel ist es, eine Spannung aus emotionaler An-

spannung zu erzeugen, nicht unter den Opfern des Terrorismus,

sondern unter den Menschen, die den Terrorismus beobachten.

Was wurde damit bezweckt? 

D.G.: Ziel war es, im Kalten Krieg einen politischen Gegner zu dis-

kreditieren. In Italien zum Beispiel wurden kommunistischen Kräf-

ten Attentate angehängt, um möglichst zu vermeiden, dass sie in

die Exekutive aufsteigen. Die Strategie der Spannung kann aber

auch dazu dienen, Bürgerrechte zu schwächen. Wenn sich ein Un-

sicherheitsgefühl breit macht, sind die Bürger eher bereit, etwa

Ausgangssperren, verstärkte Kontrollen oder die Aufstockung der

Mittel für Sicherheitskräfte hinzunehmen. Der Staatsapparat kann

seine Macht so ausbauen.

Können Sie einen konkreten Fall nennen? 

D.G.: 1972 kamen im norditalienischen Peteano drei Carabinieri

bei der Explosion einer Autobombe ums Leben. Für den An-

schlag wurden die linksextremen „Brigate Rosse“ verantwortlich

gemacht. Die Ermittlungen in diesem Fall führten allerdings zum

Neofaschisten Vincenzo Vinciguerra, der ein umfassendes Ge-

ständnis ablegte. Bereits in den 1980er Jahren sagte er aus, dass

es ein geheimes Netzwerk gebe, das ihn unterstützt habe. Darin

seien Geheimdienste und NATO verwickelt. Man schenkte ihm kei-

nen Glauben. Bis 1990 der italienische Premier Andreotti die Exis-tenz des „Stay Behind“-Netzwerks zugeben musste. Interessant

sind auch die Aussagen von General Giandelio Maletti im Prozess

um das Attentat an der Piazza Fontana in Mailand 1969. Maletti

war Chef der Gegenspionage und äußerte sich wie folgt beim Pro-

zess im Jahr 2001: „Der CIA, gemäß den Anweisungen seiner Re-

gierung, wollte einen italienischen Nationalismus schaffen, der in

der Lage war zu stoppen, was sie als einen Linksrutsch sahen und,

zu diesem Zweck, könnten sie auch von rechtsextremen Terroris-

mus Gebrauch gemacht haben.“

Die Verantwortlichen der NATO haben das immer abgestritten und 

behauptet, das Netzwerk sei niemals in Friedenszeiten aktiviert 

worden ...

D.G.: Vinciguerra sagte: „Für uns war der Kalte Krieg ein Krieg.“

Die Definition, was Krieg ist, kommt also sehr auf die Ideologie

an, der man anhängt. Ziel eines Generals ist es immer, zu gewin-

nen. Dass es dabei Tote gibt, wird in Kauf genommen. Und die

Möglichkeit zu täuschen, wird immer benutzt. Vinciguerra erklärte

den inszenierten Terror wie folgt: „Sie mussten Zivilisten, das Volk,

Frauen, Kinder, unschuldige Menschen, Unbekannte die weit ab-

seits von jeglichem politischen Spiel standen, angreifen (...) Der

Grund ist einfach. Sie sollten das italienische Volk drängen, sich für

eine größere Sicherheit an den Staat zu wenden. Das ist die poli-

tische Logik, die hinter all den Massakern und Anschlägen steckt,

die unbestraft bleiben, weil der Staat sich nicht selbst anklagen

oder sich verantwortlich erklären kann, für das was geschah.“

Es gibt ein Dokument der US-Armee, das „Field Manual 30-31B“, in

dem beschrieben wird, wie eine „Strategie der Spannung“ aufge-

baut werden soll (siehe Kasten auf der gegenüberliegenden Seite).

Die Echtheit des Dokuments ist umstritten. Was halten Sie davon? 

D.G.: Es ist in vielen Ländern aufgetaucht. Die USA behaupten, es

sei eine sowjetische Fälschung. Ich glaube, dass das Dokument

echt ist, kann es aber nicht beweisen. Die dort beschriebene Vor-

gehensweise ähnelt allerdings jener, die in einem diesmal zweifel-

los echten Dokument aus den 1960er Jahren beschrieben wird.

Bei der Operation „Northwoods“ sollte die US-Bevölkerung durch

Anschläge in Angst und Schrecken versetzt werden. Anschläge,die von US-Streitkräften in den Vereinigten Staaten verübt werden

und dann Kuba angekreidet werden sollten. So sollte die öffentli-

che Meinung manipuliert werden, damit sie eine Invasion Kubas

unterstützen sollte. Präsident Kennedy stoppte die Operation

später.

Was glauben Sie: Waren die Bombenanschläge in Luxemburg Teil 

einer „Strategie der Spannung“? 

D.G.: Das weiß ich nicht. Was ich sehe, passt aber gut zu dem Mus-

ter. Die Bevölkerung sollte offensichtlich in Angst und Schrecken

versetzt werden und nach mehr Sicherheit rufen. Und die Mittel

wurden damals, so weit ich das überblicke, solide verstärkt.u

Interview mit dem Historiker Daniele Ganser zur „Strategie der Spannung“

Daniele Ganser leitet das Swiss Institute for Peace and Energy Research. Zu seinen

Forschungsschwerpunkten gehört u. a. verdeckte Kriegsführung und Geostrategie.

In diesem Kontext forscht er insbesondere über die NATO-Geheimarmeen in Europa.

Staatsraison

NATO April 2012

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l’OTAN“), auf Berichten wie dem des bel-gischen Senats zum „Stay Behind“, sowieauf Gesprächen mit den Verantwortlichendes Luxemburger Netzwerks, bestätigt inallen wesentlichen Punkten die Darstel-lung Santers aus dem Jahr 1990.

Salami-Taktik 

Obwohl die NATO-Strategie explizit dieDurchführung von Sabotage-Aktionen als Aufgabenbereich des „Stay Behind“ vor-sah, soll sich Luxemburg dem widersetzthaben? Ein hochrangiger belgischer Mi-litär und ehemaliges Mitglied des militä-rischen Geheimdienstes Service général

du renseignement et de la sécurité (SGR)kommentiert diese Darstellung des Sach-verhalts gegenüber dem Journal wie folgt:„Was den Stay Behind anbelangt, verfolgtman in Luxemburg, wie im Ausland, eineSalami-Taktik. Man bestätigt immer nur

das, was schon bekannt ist.“

In der Tat versuchten auch der belgischemilitärische Geheimdienst SGR und derInlandsgeheimdienst „Sûreté de l’État“sich hinter dieser Version zu verschanzen.In den Mittelpunkt rückt dabei erneutdie Beteiligung des „Stay Behind“ an denNATO-Manövern „Oesling“. „Die Oes-ling Manöver waren „Stay Behind“-Manö-

ver. Eine Beteiligung der belgischen oderluxemburgischen Netzwerke zu leugnen,heißt eine Evidenz zu leugnen,“ so derbelgische Offizier weiter. Im Hintergrundoperierten eine ganze Reihe von Zivilisten,die als Unterstützer für Logistik, Trans-

port und die Übermittlung von geheimenNachrichten verantwortlich waren. DerSchluss liegt nahe, dass es sich dabei um„Stay Behind“-Agenten gehandelt hat. Fürsie wurden am Rande des offiziellen Manö-vers Schießübungen mit den US-„SpecialForces“ organisiert, bei denen sie im Um-gang mit den Waffen des Warschauer Pak-tes geschult werden sollten.

Mit den Erkenntnissen aus den Manövernkonfrontiert, versichert ein ehemaliger

Verantwortlicher des belgischen „Stay Be-hind“, dass seine Abteilung nicht bei „Oes-ling“ dabeigewesen sei. Er könne aber nichtausschließen, dass „andere Netzwerke“ andem Manöver teilgenommen hätten. Eineähnliche Argumentation wählt der bel-gische Senat in seinem Ermittlungsberichtzum „Stay Behind“. Nach Ansicht derSenatoren ist es praktisch erwiesen, dassTeile des belgischen „Stay Behind“ an denManövern teilgenommen haben. Doch inwelchem Kontext ist unklar.

Der Bericht weist auf über zwanzig Seitenauf Ungereimtheiten hin bei der offiziellenDarstellung des „Stay Behind“ und kommtletztlich zum Schluss, dass es Parallelstruk-turen zum „Stay Behind“ in Belgien aberauch in anderen Ländern gegeben habenmuss: „La Belgique, comme les autres paysest le terrain d’action de réseaux parallèles,la plupart du temps étrangers, qui ne sontpas nécessairement connus par les servicesde renseignements officiels contrôlés parl’État […] La commission n’est pas parve-

nue à déterminer quelles étaient la natureet les activités exactes de cet autre stay be-hind […] il se pourrait que ce stay behindeût pu être mis en œuvre non seulementen temps de guerre, mais aussi en périodede subversion interne ou de risque d’uneprise de pouvoir par les communistes.“

Nach den Recherchen des belgischenSenats gab es demnach nicht den einen„Stay Behind“, sondern eine ganze Reihevon Netzwerken von mehr oder wenigeroffiziellem Charakter in Belgien und denanderen europäischen Staaten. Über diese

Madame, Monsieur,

Au moment où, sur mes instructions, le Service de Renseignements de l’État vient de

procéder à la dissolution du réseau « stay behind » – dont vous faisiez partie – il me tient

à coeur de vous remercier de l’engagement dont vous avez fait preuve.

Vos sentiments patriotiques vous ont amené à accepter, pendant des années, une mis-

sion ingrate à laquelle vous avez consacré une partie de votre temps libre sans avoir

eu droit, et sans avoir prétendu, à la moindre indemnisation. Le service que vous avez

rendu au pays est d’autant plus grand que, fermement ancré comme vous l’êtes dans le

corps social, vous avez espéré au maintien de la paix, tout comme nos compatriotes,

tout en préparant une éventualité cruelle que vous abhorriez tout autant que les autresLuxembourgeois. Vous avez accepté de tirer dès à présent les leçons des événements de

1940/45 que la Résistance d’alors a dû apprendre à ses dépens et pour lesquelles elle a

dû payer un tribut effroyable.

Quoi qu’en disent certains, mal informés ou mal intentionnés, je vous assure que vous

avez assumé une mission importante et que vous avez contribué à maintenir la crédibilité

de notre patrie à l’égard de ses alliés. La dissolution du réseau «stay behind» intervient

pour des raisons qui sont étrangères à l’organisation et au fonctionnement du réseau qui,

 je le constate avec satisfaction, n’est jamais sorti du cadre légal []

Je m’excuse de m’adresser à vous sous cette forme anonyme mais je suis persuadé que

vous comprendrez que je ne veuille pas, dans un document officiel, faire apparaître votreidentité, bien que celle-ci, comme d’ailleurs celle de tous les agents du réseau, me soit

connue depuis peu, ce qui m’a d’ailleurs permis, à l’égard du Parlement, de me porter

fort de votre honorabilité.

Avec ce qui sera sans doute le dernier contact du Gouvernement et de ses services avec

vous-même en tant qu’agent du réseau « stay behind », et avec mes remerciements

personnels, je vous prie de croire, Madame, Monsieur, à l’assurance de ma considération

distinguée.

Le Premier Ministre, Ministre d’État

(Lettre adressée par Jacques Santer aux agents du « stay behind » luxembourgeois le 10 janvier 1991)

 

forum 317 NATO

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tungsmissionen durchführen sollten. Fürden Fall, dass sie entdeckt würden, solltensie ihre Präsenz erklären mit einer „baladetouristique en Ardenne“. Wie sich heraus-stellen sollte, erhielten die Mitglieder des WNP in den Jahren 1981 bis 1983 von

einem Mitarbeiter der belgischen „Sûreté“Trainings in Beschattungstechniken unddem Bau von Bomben. Die Aufgabendes WNP wurden nach Aussagen einesehemaligen Mitglieds in drei Bereichezusammengefasst: „Information, Action,Nettoyage“.

Unter „Information“ verstand er dabeiallgemeine geheimdienstliche Aktivitäten,wie Erkundungs- oder Überwachungsmis-sionen. So legte der WNP eine systemati-

sche Kartei von linken Aktivisten an, überdie man den Geheimdienst informierthielt. Doch der WNP lieferte offenbarauch detaillierte Informationen über Po-litiker und andere öffentliche Personen,die für Anschläge, Entführungen oder Er-pressung benutzt werden sollten. Für gro-ßes Aufsehen sorgte in Belgien die Infor-mation, dass der WNP auch Filialen derSupermarktkette „Delhaize“ überwachthatte und detaillierte Berichte über derenSicherheitsvorkehrungen erstellt hatte.

Denn im Jahr 1985 sollten die blutigsten Anschläge der „Tueurs du Brabant“ in„Delhaize“-Filialen stattfinden.

Unter „Action“ sollten subversive Aktio-nen verübt werden im Kampf gegen die

sowjetische Bedrohung. Eine dieser Aktio-nen bestand etwa darin, geheime NATO-Dokumente zu stehlen, um dadurch auf Sicherheitsmängel aufmerksam zu ma-chen. Eine Aktion, die der belgische Senatin seinem Bericht über „Stay Behind“ wiefolgt kommentiert: „Le vol des documentsOTAN par les membres du WNP démon-tre la manipulation des citoyens belgespar des services étrangers. […] De tellesopérations poursuivaient un même but :démontrer l’inefficacité des mesures de

sécurité prises en Belgique.“ Laut Staats-anwalt Robert Biever war es ja auch Zielder „Bommeleeër“, vorzuführen, dass dieSicherheitsdienste unzureichend ausge-stattet waren, um eine echte Bedrohung abzuwehren. Und auch der WNP planteoffenbar Bombenanschläge auf Justizein-richtungen und das königliche Palais mitdem Ziel, das Unsicherheitsgefühl imLand zu verschärfen. Dies geht zumindestaus Plänen hervor, die bei den Ermittlun-gen gefunden wurden.

Unter dem dritten Kürzel „Nettoyage“ ver-birgt sich eine der geheimsten Missionender Miliz. Innerhalb des WNP gab es einMordkommando, das aus den radikalstenElementen der Gruppe zusammengestelltwurde, um politische Morde zu verüben.

Zwei Mitglieder des WNP wurden auchfür den Mord an einem Paar im Februar1982 verurteilt. Die Details dieser Tat ver-raten viel über die Gewaltbereitschaft die-ser Gruppe, aber auch über ihr planmä-ßiges und professionelles Vorgehen. Nachden Erkenntnissen der Ermittler handeltees sich bei dem besagten Doppelmord umein „Planspiel“, bei dem das unschuldigePaar zwei KGB-Agenten darstellen sollte.Dem Mord gingen tagelange Beschat-tungsmissionen und detaillierte Planun-

gen voraus, wie sie ansonsten nur vonGeheimdiensten durchgeführt werden.Inwiefern der WNP in weitere Morde ver-strickt ist, bleibt bis heute unklar. Anfang 2012 haben belgische Ermittler jedoch imZusammenhang mit den „Tueries du Bra-bant Wallon“ 21 Hausdurchsuchungenbei Personen durchgeführt, die in Kontaktmit dem WNP standen. Darunter auchbei dem ehemaligen Chef des belgischenInlandsgeheimdienstes und einem führen-den Angestellten.

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Luxemburger Pendant?

Der WNP ist somit zur wichtigsten Spurder Ermittler geworden in der brutalenÜberfallserie, die zwischen 1983 und1985 Belgien in Atem hielt und 28 Un-

schuldige das Leben kostete. Laut Journal -Recherchen interessierte man sich auchin Luxemburg für den WNP im Zusam-menhang mit der „Bommeleeër“-Affäre.Um genauer zu sein, interessierten sich dieErmittler im Besonderen für eine Liefe-rung Sprengstoff und Munition, die der WNP offenbar im Jahr 1983 über einenKurier aus Luxemburg erhalten hatte.Das erste Ermittlerteam im Fall „Bomme-leeër“ rund um die beiden Kommissare H.und L. hatte damals ein internationales

Rechtshilfeersuchen bei den belgischenKollegen eingereicht und verhörte 1985den Luxemburger Rechtsradikalen F. ineinem belgischen Gefängnis. Bei ihrerRückkehr fertigten die beiden Ermittlereinen Bericht an, den sie einerseits ihrenVorgesetzten in der Gendarmerie und an-dererseits dem SREL zukommen ließen.Bis heute wurde diese Spur jedoch offen-sichtlich nicht weiter verfolgt. Die beidenKommissare wurden vom damaligen Gen-darmeriekommandanten Aloyse Harpeszu einem späteren Zeitpunkt von den

Ermittlungen in der Akte „Bommeleeër“abgezogen.

Rechtsradikale unter Überwachung durch SREL 

Die Geheimdienstkontrollkommissiondes Luxemburger Parlaments schreibt inihrem Bericht über die Rolle des SREL beiden „Bommeleeër“-Ermittlungen, dass derGeheimdienst am 9. Dezember 1985 voneinem befreundeten Geheimdienst auf die

 Aktivitäten eines Ausländers hingewiesenworden sei, der Mitglied in einer gewalt-bereiten rechtsextremen Gruppierung sei.Diese Gruppierung „serait en train de re-cruter des jeunes du Grand-Duché“ undweiter heißt es: „le groupement serait mêléaux activités terroristes qui se déploientles derniers temps dans votre pays.“ Auf-grund dieser Information hat der SRELeine Überwachung der Person durchge-führt und ist zum Schluss gekommen, dassman eine Beteiligung der Gruppierung anden „Bommeleeër“-Attentaten „nicht aus-schließen“ könne. Handelt es sich dabei

nur um eine unglückliche Formulierung?Oder ist der SREL dieser Spur in der Tatnicht bis zum Schluss nachgegangen? Ausdem Bericht der Geheimdienstkontroll-kommission geht jedenfalls nicht hervor,was diese Observierung brachte.

Eine weitere Passage in dem Bericht derKommission wirft Fragen auf. Darin be-schreibt der SREL, dass die letzte Über-wachung im Kontext seiner eigenen Er-mittlungen in der Affäre Bommeleeër,einer Person galten, die an der Spitze einer„Wehrsportgruppe“ stand. Diese Personsei dem Geheimdienst wegen ihrer milita-ristischen Aktivitäten seit Januar 1983 be-kannt gewesen. Am 19. September 1985sei der SREL von den Ermittlern der Gen-

darmerie darüber informiert worden, dassvier Mitglieder dieser „Wehrsportgruppe“unmittelbar vor dem Attentat auf die Ka-sematten in der Nähe des Tatorts gesehenworden waren.

Die Kommission hält in diesem Zusam-menhang fest: „Bien que le service derenseignements note les informationsreçues par le Service de la sûreté publique,il n’entamait aucune enquête indépen-dante à l’enquête pénale effectuée par leService de la sûreté publique.“

Doch auch in der Anklageschrift findetman diese Episode nicht wieder. Doku-mentiert ist die Aussage eines belgischenPaares, das bei dem Anschlag auf die Ka-sematten vier junge Männer gesehen ha-ben will. Dass es Zeugenaussagen gibt, beidenen Personen klar identifiziert wurdenund darüber hinaus noch einer unter Be-obachtung stehenden „Wehrsportgruppe“zugeordnet wurden, davon ist hingegennichts zu finden.

 Junge Luxemburger als Informantenbei den „Oesling“-Manövern?

 Journal-Informationen zufolge trainiertennoch bis in die Jahre 1988 und 1989 jungeErwachsene unter der Leitung von Mit-gliedern der Gendarmerie und der Armee Aufklärungs- und Informationsmissionen. Wie ein Zeuge berichtet, wurden sie vonPersonen kontaktiert, um an einem Ma-növer im Norden des Landes teilzuneh-men. Ihre Mission sollte darin bestehen,sich als Wanderer auszugeben, mit dem

Zug nach Diekirch zu fahren, eine vorge-gebene Route abzumarschieren und alleInformationen zu sammeln, die sie überdie Truppenbewegungen im Rahmen desManövers beobachten konnten. Anschlie-ßend sollten sie sich in eine konspirative

 Wohnung in Diekirch begeben und dortihren Betreuern Bericht erstatten. Für denFall, dass man sie nach dem Grund fürihre Präsenz in der Region fragen würde,sollten sie sich als Touristen ausgeben, diedie Ardennen bereisen würden.

Bei den Manövern, in denen die jungenErwachsenen operieren sollten, handeltees sich mit großer Wahrscheinlichkeit um„Oesling“-Manöver, in deren Mittelpunktdas Trainieren von Sabotage-Aktionen

stattfand, die denen der „Bommeleeër“sehr ähnlich waren. Die Angreifer wur-den bei dem Manöver von „Stay Behind“- Agenten unterstützt, die den Transport,die Logistik und die Erkundung des Ter-rains für die Angreifer übernahmen. Die jungen Erwachsenen, die nun in das Ma-növer infiltriert wurden, sollten ähnliche Aufgaben übernehmen. Während Fakt ist,dass der Kreis der Beteiligten an den „Oes-ling“-Manövern über Armee- und Gen-darmerieangehörige weit hinaus ging, stel-len sich in diesem Zusammenhang noch

viele Fragen. Wer rekrutierte die weite-ren Beteiligten? Nach welchen Kriterien? Wer trainierte sie? Für welche Aufgabengenau? Und gehörten sie einer organisier-ten Gruppierung an, die möglicherweiseparallel zum „Stay Behind“-Netzwerk funktionierte?

 World Anti-Communist League

In den 1980er Jahren wehrte sich dieFriedensbewegung in Europa und in Lu-xemburg gegen eine neue Aufrüstung dernationalen Armeen und die Stationierung von neuen „Pershing II“-Raketen auf eu-ropäischem Boden. In diesem Kontextsetzte sich in bestimmten politischenKreisen die Überzeugung durch, dass mangegen eine „verweichlichte“ Bevölkerung subversive Aktionen und psychologischeKriegsführung einsetzen müsse, um wie-der eine unnachgiebigere Haltung gegen-über der kommunistischen Bedrohung herzustellen.

NATO April 2012

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Vom 20. bis zum 22. September 1983fand in dem Plenarsaal des EuropäischenParlamentes auf dem Kirchberg eine äu-ßerst umstrittene internationale Konferenzstatt. Organisator waren die luxemburgi-sche und die belgische Sektion der WACL

(„Word Anti Communist League“). Eshandelte sich dabei um die erste interna-tionale Konferenz der WACL auf euro-päischem Boden. Eine zweite Konferenzsollte vom 7. bis zum 10. September 1986erneut in Luxemburg stattfinden.

Von 1984 bis 1986 wurde die WACL vomehemaligen US-General Singlaub präsi-diert, einem der Mitbegründer der CIA.Die amerikanische Sektion der WACL,die Singlaub im Jahr 1981 gründete,

schaltete sich aktiv in die Unterstützung der Contras in Nicaragua ein und unter-hielt gute Kontakte zu einer ganzen Reihevon Todesschwadronen und anti-kom-munistischen Rebellenbewegungen inLateinamerika.

Die belgischen und luxemburgischenSektionen spielten in den 1980er Jahren jedoch ebenfalls eine entscheidende Rollein der WACL. Mit Pierre Grégoire, demehemaligen CSV-Minister und Ehrenprä-sidenten des Parlaments, stellte Luxem-

burg einen Ehrenvorsitzenden und derehemalige belgische Senator und GeneralRobert Close war Vorsitzender der WACLim Jahr 1983.

Belgische WACL mit Kontakten zurrechtsextremen Szene

In Belgien unterhielt die WACL Kontaktezu militanten rechtsradikalen Gruppierun-gen wie dem VMO (Vlaamse MilitanteOrde), der für eine Serie von gewalttätigen

 Aktionen in den Jahren 1978 bis 1985 inBelgien verantwortlich war, und zu dergeheimen rechtsradikalen Miliz WNP. Ineinem Diagramm zur Funktionsweise undStruktur des WNP, das ein führendes Mit-glied den belgischen Ermittlern übergebenhat, fungiert die WACL an oberster Stelle. War die WACL demnach so etwas wiedas Bindeglied zwischen politisch etablier-ten anti-kommunistischen Kreisen undmilitanten rechts-extremen Gruppierun-gen? Erhielten militante Kreise über die WACL politische und finanzielle Unter-stützung? Dies geht zumindest aus Stel-

lungnahmen hervor, die führende Mitglie-der des WNP und der belgischen WACLim Rahmen von polizeilichen Ermittlun-gen abgaben.

Die internationalen Konferenzen waren

dabei eine Art Schaufenster, über das die WACL versuchte, ihr Image aufzupolie-ren. Zu den Teilnehmern gehörten deshalbauch führende internationale Politiker ausdem rechten politischen Lager.

Propagandakrieg 

Nach Aussage eines führenden belgischen WACL-Mitglieds habe man mit den Kon-ferenzen in Luxemburg vor allem die Nähezum Europäischen Parlament und zu trans-

atlantischen Politikern suchen wollen, um

sie für ihre Sache gewinnen zu können.Dabei sei es vor allem darum gegangen,diese Politiker davon zu überzeugen, dassman sich in einem Propagandakrieg mitder Sowjetunion befinde, der letztlich ent-scheidender für den Ausgang des KaltenKrieges sein würde als der eigentliche mi-litärische Konflikt.

Diese Idee formulierte Robert Close, derdamalige Präsident der WACL, bei sei-ner Eröffnungsrede in drastischen Wor-ten: „Nous vivons en ce moment mêmela bataille des idées que nous pourrionspeut-être perdre si nous ne réagissons pasavec une totale détermination et un frontmonolithique. Devant nos yeux se déroulela plus extraordinaire offensive psycholo-gique de l’histoire, orchestrée de main demaître, soufflant le chaud et le froid, usanttour à tour de la monade la plus brutaleou des offensives de paix les plus désar-

mantes, corrompant les esprits, séduisantles faibles, trompant les ignorants et mi-nant sournoisement les fondements mêmesde nos sociétés démocratiques, souventpromptes au laxisme ou à l’indifférence.“

Pazifismus als „gefährliche Falle“

Der Grundtenor der Konferenz bestanddarin, dass der Pazifismus dabei sei, dieeuropäischen Staaten zu schwächen. Als„gefährliche Falle“ und „historischer Feh-ler“ wurde der Pazifismus bezeichnet, undman scheute sich nicht, Parallelen zur ge-scheiterten Appeasement-Politik gegenüberdem Hitler-Regime zu ziehen.

Laut ihrer internen Dokumentation setzte

die WACL sich als eines ihrer Ziele, Me-thoden der politischen und psycholo-gischen Kriegsführung zu entwickeln undeinzusetzen, mit der man den Kommu-nismus entlarven und bekämpfen wollte. Äußerst befremdlich ist dabei, dass die WACL bei ihrer Konferenz von 1986,wenige Monate nach dem Ende der Atten-tatsserie der „Bommeleeër“, Workshopsin Luxemburg organisierte, in denen hin-ter verschlossenen Türen über den Einsatzvon Propaganda, Desinformation und Ter-rorismus als Mittel der psychologischen

Kriegsführung diskutiert wurde. Wobeidie Fragestellung nicht etwa lautete, wieman diese Phänomene bekämpft, son-dern wie man diese Mittel im Kampf für eine gewisse Weltordnung einsetzenkönne.

Über die Luxemburger Sektion der WACLund ihre Aktivitäten ist bis heute nur we-nig bekannt. Zu den Besuchern der Kon-gresse gehörten jedoch namhafte Politiker,vor allem aus dem Lager der CSV. Zur

Eröffnung der Konferenz sollte der da-malige Staatsminister Pierre Werner sogareine Rede halten. Nachdem die Mediensich dafür interessiert hatten und kritischüber die Veranstaltung berichteten, wurde Werners Auftritt jedoch abgesagt.

Die Frage stellt sich, ob auch die Luxem-burger Sektion der WACL subversive Aktionen gegen die eigene Bevölkerung unterstützte und man im Grunde damiteinverstanden war, dass diese manipuliertwerden sollte, zur Not auch mit Mittelnder psychologischen Kriegsführung?

Aus forum Nr. 90 vom Oktober 1986. Der Leser fin-det in unserem Online-Archiv ebenfalls ein kritischesDossier zur WACL.

forum 317 NATO

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Fazit 

Die „Bommeleeër“ waren Gendarmen, dieaus einer Form von „Idealismus“ herausdie Attentate verübt hätten, um eine bes-sere Ausstattung ihrer Einheiten zu bewir-

ken. Das ganze in einem rein nationalenKontext, ohne Verbindungen zu anderenEreignissen der „bleiernen“ 1980er Jahreund den geopolitischen Verstrickungenauf dem Höhepunkt des Kalten Krieges.Dies ist die Version der Staatsanwaltschaft,die sie auf über 120 Seiten in der Ankla-geschrift zur Affäre „Bommeleeër“ be-schreibt. Eine Version, die auf einer Reihevon Indizien basiert, aber sich vor allemaus zwei zentralen Fragen ableitet. Die ers-te lautet: „Wer profitierte von den An-

schlägen?“, und die zweite: „Wer verfügteüber die Fähigkeiten und Informationen,um die Attentate zu verüben?“ Der Ankla-geschrift nach sind die Antworten eindeu-tig in Kreisen der BMG zu suchen.

 Aus den Recherchen des  Journal  in denvergangenen Monaten, Recherchen, diediesem Artikel zugrunde liegen, ergibtsich, dass diese Schlussfolgerung jedochstark relativiert werden muss. Denn es gabPersonen, die wesentlich besser geeignetwaren, um die Bombenanschläge durch-

zuführen. Die in den „Bommeleeër“-Jah-ren solche Aktionen trainierten. Die den Willen hatten, über das Training hinauszu gehen und reelle Aktionen durchzufüh-ren. Ihr Kontext sind die „Stay Behind“-Netzwerke der NATO und ihre Parallel-strukturen, die daneben entstanden.

Die Frage stellt sich, warum, von ein-zelnen Vernehmungen abgesehen, niesystematisch in diese Richtung ermitteltwurde. Klar ist, dass es sich um eine Spur

handelt, von der selbst die Regierung ver-sucht abzulenken.

Sind die in diesem Artikel zusammenge-tragenen Spuren entlastende Elementefür die beiden Angeklagten? Bedeutetdies, dass die Staatsanwaltschaft mit denMitgliedern der BMG die falsche Spurverfolgte? Nicht unbedingt! Die Frage ist jedoch vielmehr, in welchen Kontext eineeventuelle Implikation von Mitgliedernder BMG in die Attentate gestellt werdenmuss. In welcher Funktion hätten sie ge-gebenenfalls agiert? In ihrer Funktion als

Gendarmen? Als inoffizielle Mitarbeiterdes SREL? Als Mitglieder, respektive Be-treuer eines Teils des „Stay Behind“?

Ohne den internationalen Kontext zuberücksichtigen, kann man die „Bomme-

leeër“-Affäre nicht verstehen. Die Ziele,welche die „Bommeleeër“ angriffen, folg-ten einem militärischen Muster. Die Ak-tionen entsprachen dem Kriegsszenariodes Kalten Krieges und zeigten, dass dieLandesverteidigung im Ernstfall versagthätte.

Die Definition des Kriegs ist eine Frageder Ideologie. Offensichtlich gab es auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges ein-flussreiche Personen, die sich im Krieg sa-hen. Einem Krieg der Ideen, der sowohlgegen den inneren als auch den äußeren

Feind geführt werden musste. Und derinnere Feind bestand aus einer verweich-lichten Gesellschaft, die sich nicht mehrentschieden genug gegen eine kommu-nistische Bedrohung zur Wehr setzenwollte.u

1979-1988: Rüstungswettlauf und Stellvertreterkriege

1979 12. Dezember: Mit dem NATO-Doppelbeschluss wird die Stationierung von neuen

atomaren Mittelstreckenraketen in Europa entschieden.

24. Dezember: Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan. Die USA beliefern fortan

die afghanischen Mujaheddin mit Waffen.

1980 4. November: Ronald Reagan wird Präsident der Vereinigten Staaten.

1981 18. November: Ronald Reagan verkündet, in den kommenden Jahren 180 Milliar-

den $ in die Aufrüstung investieren zu wollen.

13. Dezember: Im Zuge der Proteste der Solidarnosc-Bewegung wird in Polen das

Kriegsrecht verhängt.

1982 2. April: Beginn des Falkland-Krieges zwischen Großbritannien und Argentinien.

5. Mai: Israel marschiert im Libanon ein. 21. Dezember: Scheitern der Genfer Abrüstungsverhandlungen über den Abbau

von atomaren Mittelstreckenraketen zwischen den USA und der UDSSR.

1983 Ronald Reagan lanciert sein „Star Wars“-Programm zur Aufrüstung des Weltraums.

25. Oktober: US-Truppen landen auf der Insel Grenada und stürzen die marxis-

tische Militärregierung.

23. November: Juri Andropow kündigt an, dass die Zahl der nuklearen Langstrecken-

raketen, die auf Europa und die USA gerichtet sind, erhöht werden.

1984 28. Juli: Boykott der Olympischen Spiele in Los Angeles durch die Sowjetunion

und ihre Alliierten.

13. Februar: Konstantin Chernenko wird Generalsekretär der KPdSU.1985 11. März: Michail Gorbatschow wird Generalsekretär der KPdSU.

1986 13. Februar: Frankreich greift in den Krieg im Tschad ein, um libysche Truppen

zurückzudrängen.

15. April: US-Flugzeuge bombardieren Stellungen in Libyen.

3. November: „Iran-Contra Affäre“: die Reagan Regierung genehmigte illegale

Waffenlieferungen an den Iran und finanzierte darüber zum Teil die nicaraguani-

schen Contras.

1987 10. September: Der Bürgerkrieg in Angola geht in die entscheidende Phase.

1988 15. Mai: Die Sowjetunion zieht sich aus Afghanistan zurück.

NATO April 2012