Streckenmessung im antiken Aquädukt- und Straßenbau Streckenmessung… · den gallischen Provinzen zu inden ist.5 Die Länge der Leugen ist immer noch in ... (pertica) in Form einer

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  • Klaus Grewe

    Streckenmessung im antiken Aqudukt- und Straenbau

    1. Einleitung und Problemstellung

    Streckenmessung bedeutet im Wesentlichen nichts anderes, als zu ermitteln, wie oft ein bekanntes Ma in eine bis dahin nur durch ihren Anfangs- und Endpunkt bestimmte Strecke hineinpasst. Zur Ermittlung solcher Strecken bentigt man ein Masystem und fr die praktische Messung entsprechende Mastbe. Man bentigt also genormte Mae - Normalmae. Krnitz deiniert in seiner Encyklopdie ein Normalma, [als] ein Ma, besonders der Lnge, welches so sicher bestimmt ist, da man es zu allen Zeiten wieder inden und darnach andere Mae einrichten kann.1 Damit ist gemeint, dass es wiederherstellbar sein muss und dass man andere Mastbe daran eichen kann.

    Das glaubte man Ende des 19. Jh. mit der Festlegung eines einheitlichen Maes als dem 10-millionsten Teil des Erdquadranten auf dem Meridian von Paris gewhrleisten zu knnen. Nach aufwndigen Gradmessungen zwischen Dnkirchen und Barcelona in den Jahren zwischen 1792 und 1799 war die Lnge des Meridianbogens ermittelt und das neue Einheitsma gefunden. Man nannte es Meter.2

    Whrend mit dem Meterma - als Produkt der Franzsischen Revolution vom Internationalen Bro fr Ma und Gewicht 1899 eingefhrt - heute ein (fast) welt-weit eingefhrter Normalmastab gltig ist, galt es, im vormetrischen Zeitalter ein unglaubliches Wirrwarr an verschiedenen gltigen Masystemen zu beherr-schen. Man ging damals sehr pragmatisch vor, indem man berall rtlich gltige Masysteme einfhrte, um auf diese Weise einen halbwegs ehrlichen Handel auf den jeweiligen Mrkten durchzusetzen. An den Rathusern vieler mittelalter-licher Stdte indet man deshalb heute noch aus Eisen gefertigte Ur-Mastbe, an denen Markthndler die an ihren Stnden eingesetzten handlichen Mastbe eichen konnten, um wenigstens fr einen begrenzten Ort ein einheitliches Ma

    1 Krnitz (1806), 670-671.2 Heute ist die Lnge des Meters durch die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum (299.792.458

    m/s) deiniert.

  • 2 Klaus Grewe

    zu gewhrleisten. Diese regionale Begrenzung hatte aber zur Folge, dass eine bestimmte Lnge Tuches in Westfalen ganz anders abgemessen war, als im Rhein-land und damit war auch dem Betrug Tr und Tor geffnet.

    Diese Probleme bestanden durchaus auch schon in der Antike.3 Lassen wir einmal den Warenhandel auer Acht, so sind diese Anforderungen auch im Bau-gewerbe und im Ingenieurbau von groer Bedeutung. Das sprichwrtliche mit zweierlei Ma messen konnte im Baubetrieb katastrophale Folgen haben. Man denke nur daran, beim Bau einer Brcke htte man an beiden Enden mit Ma-systemen unterschiedlicher Lngen begonnen.

    Aus diesem Grund hat man im rmischen Reich ein einheitliches Ma ein-gefhrt, dessen Grundma der rmische Fu war. Mit digitus und palmus gab es Unterteilungen bis zum 1/16 des Fues, whrend es andererseits Vielfache des Fues bis zur rmischen Meile gab, die mit dem 5000fachen des Fues, also 1480 m, gemessen wurde.4

    Natrlich gab es auch Sonderformen, die regional begrenzt Anwendung fanden, dazu gehren der Pes drusianus (33,3 cm) und die Leuga, ein Lngenma, dass in den gallischen Provinzen zu inden ist.5 Die Lnge der Leugen ist immer noch in der Diskussion6, denn man hat sie mit 2.220 m und 2.450 m angetroffen, wobei das Ma einmal auf 7.500fache des Fues zu 0,296 m und das andere Mal auf das 7.500fache des drusianischen Fues mit 0,333 m zurckgefhrt wird.

    Nun ist es ein groer Unterschied, ob ein Normalma auf einer rumlich be-grenzten Baustelle eingesetzt wird oder bei einem Projekt, das sich kilometerlang durch die Landschaft zieht - wie beispielsweise ein Aqudukt oder eine Strae. In beiden Fllen war sicherzustellen, dass ein wie auch immer gewhltes Normal-ma fr das gesamte Projekt Gltigkeit hatte. Bei einem solchen Streckenbauwerk kam allerdings erschwerend hinzu, dass sich kleinste Fehler im Messwerkzeug wegen der vielfachen Aneinanderreihung im Ergebnis zwangsluig addierten.

    Fr eine Grobaustelle - nehmen wir als Beispiel ein Amphitheater - war ein ausgewhltes Normalma als Ur-Ma festzuhalten, um jederzeit neue Mastbe daran eichen zu knnen. Ein solches, durch Inschrift speziell fr das Eichen von Baumastben bezeichnetes Ur-Ma, inden wir in Form eines Eichtisches

    3 Vgl. beispielsweise auch die Mensa ponderaria in Pompeji. Hierzu Coarelli (1990), 190.4 F. HultsCH, Griech. und rm. Metrologie, 21882, 74f.5 ratHmann (2003) bes. 104-122. 6 z. B. Dassi (1999).

  • Streckenmessung 3

    in Thibilis / Announa (Algerien).7 Neben dem rmischen Fuma sind dort gar noch weitere Ellen-Mastbe angebracht, die ein bertragen von dem einen in ein anderes Masystem ermglicht haben. (Abb 1)

    Der Grabaltar des T. Statilius Aper im Kapitolinischen Museum in Rom ist in diesem Zusammenhang in zweierlei Hinsicht interessant.8 (Abb. 2) Hier inden wir nicht nur ein Fuma als Ur-Ma mit seinen Unterteilungen in palmae (Handbreiten) und digiti (Fingerbreiten) dargestellt, (Abb. 3) sondern daneben auch noch ein Lngenmesswerkzeug (pertica) in Form einer auf etwa ein Drittel verkleinerten decempeda (Zehnfu). (Abb. 4) In dieser Form, den bis vor einigen Jahrzehnten gebruchlichen Messlatten nicht unhnlich, mssen wir uns die rmischen Gerte zur Bestimmung von Strecken vorstellen. Auch diese aus Holz gefertigten Messwerkzeuge haben sich im Original natrlich nicht erhalten, jedoch sind verschiedene Paare von Endbeschlgen in Pompeji gefunden worden.9

    Perticae gab es auch in vom Zehnfu abweichenden Lngen sowie in anderen Materialien. Neben den Holzmastben inden wir vor allen Dingen im Ein-Fu-Bereich Mastbe aus Bronze, die des besseren Transportes wegen sogar

    7 raKob (1974) 77; Grewe (1985) 16-18.8 CIL VI 1975 = ILS 7737; zimmer (1982), bes. 197-198; zu weiteren auf mensores bezogene

    Grabsteininschriften siehe: arnauD (1995) bes. 253.9 Della Corte(1922), IV, 83-94 ; Nowotny (1922), 25.

    Abb. 1. Eichtisch fr Baumae in Thibilis / Announa (Algerien).

  • 4 Klaus Grewe

    klappbar gefertigt waren. Ein im Rmisch-Germanischen Museum Kln verwahrter Klappmastab hat die Lnge von 0,297 m.10 (Abb. 5) Ein in Lyon gefundenes Exemplar hat aufgeklappt die (kapitoli-nische) Lnge von 0,295 m. Dass die Fumae in ihren Lngen zeitlichen und rtli-chen Schwankungen unter-lagen, sei hier nur am Rande erwhnt.

    Der Absteckung von Strek-ken haben Fluchtstbe ge-dient, die unseren heutigen nicht unhnlich waren. Diese metae waren darber hinaus auch fr das Ausluchten von Geraden in Gebrauch.

    2. Aquduktbau

    Im Wasserleitungsbau, wo sich das Geflle der Leitung aus dem Hhenunterschied und der Lnge eines Streckenabschnitts errechnet, war es zwingend erforder-lich, genaue und vor allen Dingen einheitliche Mae zur Anwendung zu bringen. Ziehen wir in Betracht, dass der Ausfhrung dieser Bauwerke unverzichtbar eine

    10 (Rm.-German. Museum Kln, Inv. Nr. 23, 475). Der Klappmastab hat nach E. PFeiFFer die Lnge von 0,296853 m; PFeiFFer (1986), 2-3. Es scheint allerdings fraglich, ob ein solcher Mastab als Normalma mit dieser Lnge berhaupt derart exakt herstellbar war und ob die letzten Stellen hinter dem Komma nicht eher als Zufallsprodukt der Messung gelten mssen. Jede Lngenangabe von genauer als 1/10 mm muss bei der Betrachtung des Fumaes fraglich sein, wenn es auf der Messung eines einzelnen Mastabes basiert. Selbst wenn eine solche Angabe durch Mittelung aus verschiedenen Maangaben oder durch Teilung einer wesentlich lngeren Strecke entstanden ist, ist der angegebene Wert ab der vierten Stelle hinter dem Komma rein rechnerisch zu betrachten.

    Abb. 2. Grabaltar des T. Statilius Aper im Kapitolinischen Museum in Rom.

  • Streckenmessung 5

    grndliche Planung vorausge-gangen sein muss, so setzt das wiederum eine exakte Ermitt-lung von Strecken und Hhen-unterschieden voraus, denn der Quotient aus diesen beiden Werten bestimmte das Geflle.

    Nun standen den rmischen Ingenieuren neben den Strek-kenmesswerkzeugen durch-aus auch Gerte zur Messung von Hhenunterschieden zur Verfgung: Vitruvs Choro-bat und Herons Dioptra sind klug durchdachte Nivellier-gerte, die exakte Messungen zulieen:11

    Jetzt will ich darber sprechen, wie die Wasserleitungen zu den Wohnungen und Stdten angelegt werden mssen. Die erste Arbeit ist das Nivellieren. Nivelliert aber wird mit dem Diopter oder der Wasserwage oder dem Chorobat, aber ein genaueres Ergebnis erreicht man mit dem Chorobat, weil Diopter und Wasserwaage tuschen. Der Chorobat aber besteht aus einem 20 Fu langen Richtscheit. Dieses hat an den uersten Enden ganz gleichmig Schenkel, die an den Enden (des Richtscheits) nach dem Winkelma (im Winkel von 90 Grad) eingefgt sind, und zwischen dem Richtscheit und den Schenkeln durch Einzapfung festgemacht schrge Streben. Diese Streben haben genau lotrecht aufgezeichnete Linien, und jeder einzelnen dieser Linien entspre-

    11 Vitr. 8,5,1-3, bersetzung C. FensterbusCH; Grewe (1985), 18-19; Grewe (2009) 109-117..

    Abb. 3. Grabaltar des T. Statilius Aper. Neben einem Fumastab und einem Bndel Zhlnadeln ist eine Wachstafel dargestellt, auf der eine angefangene Vermessungsskizze zu sehen ist.

  • 6 Klaus Grewe

    chend hngen Bleilote von dem Richtscheit herab, die, wenn das Richtscheit aufgestellt ist und alle Bleilote ganz gleichmig die eingezeichneten Linien berhren, die waage-rechte Lage anzeigen. [2] Wenn aber Wind strend einwirkt und durch die so hervorgerufenen Bewe-gungen der Bleilote die Linien keine Anzeige mehr bieten knnen, dann soll das Richtscheit am oberen Teil eine Rinne von 5 Fu Lnge, einem Zoll Breite und 1,5 Zoll Tiefe haben, und dort hinein soll man Wasser gieen. Wenn nun das Wasser in genau glei-cher Hhe die obersten Rnder der Rinne berhrt, dann wird man wissen, dass die Lage waagerecht ist. Ebenso wird man,

    wenn mit diesem Chorobat so nivelliert ist, wissen, wie gro das Geflle ist. [3] Vielleicht wird jemand, der die Schriften des Aristoteles gelesen hat, sagen, dass mit Hilfe von Wasser keine zuverlssige Nivellierung erzielt werden kann, weil dieser der Meinung ist, dass die Oberlche des Wassers nicht waagerecht ist, sondern eine kugelhnlich gewlbte Gestalt und (diese Kugel) dort ihren Mittelpunkt hat, wo ihn auch die Erde hat. Mag nun aber die Oberlche des Wassers waagerecht oder kugelhnlich gewlbt sein, so muss doch das Richtscheit, wenn es waagerecht ist, das Wasser an den uersten Enden (der Rinne) in gleicher Hhe halten. Wenn es aber an der einen Seite schrg geneigt ist, dann an der Seite, die hher

    Abb. 4. Grabaltar des T. Statilius Aper. Darstellung einer verkleinerten Decempeda (Zehnfu).

  • Streckenmessung 7

    liegt, die Rinne des Richtscheits das Wasser nicht am obersten Rand haben. Es ist nmlich notwendig, dass das Wasser, wohin man es auch giet, in der Mitte (seiner Oberlche) eine Aufblhung und Krmmung hat, dass aber die Enden rechts und links sich in einer waagerechten Linie liegen. Eine Abbildung des Chorobats aber ist am Ende des Buches verzeichnet. Und wenn das Geflle gro ist, wird das Wasser leichter herablieen. Sind aber Zwischentiefen da, so wird man durch unterbauten helfen mssen.

    Diese Gerte basierten im Wesentlichen darauf, dass sich eine Messachse horizontal einrichten lie, und man damit den Hhenunterschied zwischen

    zwei Punkten messen konnte. Lagen die Punkte, deren Hhenunterschied ermittelt werden sollte, weiter auseinander als der Messbereich des eingesetzten Nivelliergertes, so musste mit Zwischenpunkten gearbeitet werden. Das konnte im Aquduktbau bedeuten, dass sich das gesuchte Ergebnis im Extremfall erst nach vielen hundert aneinandergereihten Einzelmessungen ermitteln lie.

    Wir sprechen hier von Aqudukten, die nach dem Prinzip des freien Geflles zu bauen waren, also von Gravitations- oder Geflleleitungen. Solche Leitungen

    Abb. 5. Rmischer Klappmastab aus Bronze (Rm. German. Museum Kln, Inv. Nr. 23/ 475).

  • 8 Klaus Grewe

    fallen durch ihre gewundene Trassenfhrung auf, da sie sich an das Gelnderelief frmlich anschmiegen mssen. Sie umrunden jeden Bergsporn und sie fahren jedes Seitental aus. Die Aufgabe des planenden Ingenieurs bestand darin, durch geeignete Vermessungs- und Berechnungsmethoden eine gnstige Trassenlinie zu inden. Das Problem war nur, dass sich der genaue Trassenverlauf des in Planung genommenen Aquduktes erst als letzter Arbeitsgang im Rahmen von Planung und Trassierung ergeben hat. Die genaue Lage der Trassenlinie - und damit auch deren Lnge - hat sich also erst ergeben, nachdem die Planung abgeschlossen war.

    Allerdings war das planerische Geflle einer solchen Wasserleitung nur zu er-mitteln, wenn in die Berechnungen auch die genaue Streckenlnge eingelossen war. Man htte also paradoxerweise eine Strecke in eine Berechnung einbeziehen mssen, ohne deren Lnge berhaupt zu kennen. Wie sollte man aber das Geflle fr eine Wasserleitung planen, wenn man weder deren Lage, noch deren genaue Lnge kannte?

    Da die rmischen Ingenieure Trassengeflle bis zu einem Minimalwert von 0,14, also 14 cm auf einen Kilometer12, abgesteckt haben, ist das unvorstellbar: Es muss also zwangsluig ein Messverfahren gegeben haben, dass diese scheinbar unmgliche Ausgangssituation fr die Planung und Trassierung eines Aquduktes bereinigt hat: Die Lnge eines Streckenabschnitts und der dazugehrige Hhen-unterschied mssen vor der Planung des Geflles bekannt gewesen sein. Das legt die Vermutung nahe, dass schon bei der Ermittlung des Hhenunterschiedes zwischen zwei Punkten auch die Streckenlnge ermittelt wurde - und das in einem Arbeitsgang. Es muss also ein Vermessungsgert zur Verfgung gestanden haben, mit dem sich Nivellement und Streckenmessung in Einem durchfhren lieen.

    In dieser Hinsicht ist das vom rmischen Architekten und Fachschriftsteller Vitruv beschriebene Nivelliergert, der Chorobat, in einem neuen Licht zu sehen. Die jngere Forschung hat nmlich gezeigt, dass diese Spezialprobleme des Aquduktbaus bei den bisherigen Rekonstruktionsversuchen von Vitruvs Chorobat gar nicht bercksichtigt worden sind.13

    12 z. B. im Verlauf der rmischen Wasserleitung nach Nmes im letzten Abschnitt vor dem Pont du Gard; Fabre/FiCHes/Paillet (1991), 92-93 u. Pl. IX; Grewe (2010), 85-89.

    13 Die erste vitruvgetreue Rekonstruktion des Chorobat legen Poleni und Stratico vor: M. Vitruvii Pollionis architectura. Textu ex recensione codicum emendato cum exercitationibus notisque ovissimis Ioannis Poleni et commentariis variorum additis nunc primum studiis Simonis Stratico IVIII (Udine 18251830), zur Rekonstruktion des Chorobates s. Bd. III (1829) S. II Taf. V, Abb. II.; zur Anwendung des Chorobates siehe: Grewe (2009), [in Vorbereitung].

  • Streckenmessung 9

    Man hat statt dessen in der Regel die Chorobat-Neuerindungen der Renaissance verwendet, bei denen die vitruvsche Grundidee um Drehachsen und Zieleinrichtungen ergnzt worden sind, um damit Nivellements fast im modernen Sinne durchfhren zu knnen.

    Vitruv, der seinen Chorobat sogar speziell fr den Wasserleitungsbau beschrieben hat, hatte dagegen aber ein vllig unkompliziertes Gert vorgestellt, das gerade durch seinen einfachen Aufbau bestach und deshalb auch von Hilfs-krften leicht zu bedienen war. Im Grunde handelte es sich beim Chorobat ledig-lich um ein 20 Fu langes Richtscheit, das an beiden Enden Standfe hatte und durch Lote oder Wasserwaage in Horizontalstellung zu bringen war. (Abb. 6)

    Man nutzte dieses Gert ohne irgendwelche Zielvorrichtungen, sondern zum direkten Abgreifen der Messpunkte. Gertefehler eliminierten sich auf einfache Weise selbstttig, wenn man den Chorobat bei jedem zweiten Messgang drehte. (Abb. 7) Der besondere Vorteil fr die Trassenplanung eines Aquduktes lag nun darin, dass man sich mit dem Chorobat auf einer Hhenlinie durch die Landschaft bewegen konnte. Da diese Linie wegen der geringen Geflle rmischer Wasser-leitungen fast der spteren Trasse entsprach, lie sich auf einfache Weise neben der Hhenbertragung gleichzeitig eine Streckenermittlung durchfhren, denn dazu brauchte man nur die Anzahl der Gerteaufstellungen mit der Lnge des Chorobates multiplizieren. Nur auf diese Weise war die Lnge der spteren Trasse linientreu zu ermitteln, was die Errechnung der grenzwertig niedrigen Geflle berhaupt erst mglich gemacht hat.

    Abb. 6. Chorobat-Rekonstruktion von Poleni/Stratico (1829), die sich wortgetreu an Vitruvs Angaben hlt.

  • 10 Klaus Grewe

    Da man die einzelnen Messpunkte mit Holzpfhlchen vermarken konnte, stand die gefundene Trassenlinie auch bei der spteren Geflleabsteckung noch zur Ver-fgung. Wir mssen in diesem Zusammenhang deutlich unterscheiden zwischen dem Nivellement mit dem oben beschriebenen Chorobat als Methode der Ermitt-lung von Hhenunterschieden zwischen zwei Punkten und der Geflleabsteckung, die nach der Methode des Austafelns vorgenommen wurde.

    Fr das Austafeln verwendete man drei T-frmige Tafeln mit denen man ein im Anfang eines Bauloses abgestecktes Sollgeflle ber den anschlieenden Bau-abschnitt verlngerte. Man folgte beim Austafeln der Strecke den Holzpfhlchen, die beim vorhergegangenen Nivellement abgesteckt worden waren.

    Fr die Streckenmessung ist nach den archologischen Ergebnissen erkennbar, dass man diese im Aquduktbau in einem Arbeitsgang mit dem Nivellement durchgefhrt hat: Man ma also mit dem Chorobat Schritt fr Schritt 20 Fu lange Teilstrecken, die zusammengerechnet die Gesamtstrecke ergaben. Dass diese Methode sehr genau war, ist - wiederum durch archologische Untersuchungen - in Siga und Kln deutlich belegt.

    In Siga war die insgesamt 8 km lange Wasserleitung auf eine Strecke von fast 5 km in einem Zustand angetroffen worden, der an mehr als 150 Stellen eine intakte Sohle aufwies14. Da die Abdeckung der Leitung auf der ganzen Strecke abgegangen war, konnten diese Punkte hhenmig sehr genau bestimmt werden.

    14 Grewe (1985), 24-31.

    Abb. 7. Durch Drehen des Chorobates nach jedem Messgang, wurden smtliche Gerte-fehler eliminiert ganz nebenbei wurde bei dieser Methode der Anwendung die Lnge der durchmessenen Strecke ermittelt.

  • Streckenmessung 11

    Nach diesen Ergebnissen lie sich dann ein aussagekrftiges Lngsproil zeichnen, wonach sich dann nderungen des Geflles also Geflleknickpunkte feststellen lieen. Dabei zeigte sich, dass die einzelnen Trassenabschnitte in sich mit ziemlich konstantem Geflle abgesteckt worden waren. Legte man nun ber die einzelnen Geflleabschnitte ausgleichende Geraden und brachte diese zum Schnitt mit den benachbarten Geraden, dann war das Ergebnis geradezu verblffend, denn die drei zu ermittelnden Abschnitte hatten zwar unterschiedliche Geflle, waren aber in etwa gleich lang. Und nicht nur das: Sie lieen sich zudem auffllig passend im rmischen Masystem unterbringen.

    Mit ermittelten Maen in der Grenordnung von 1.449,17 m, 1.473,34 m und 1.504,07 m - im Mittelwert also 1.475,53 m - liegen wir sehr nahe an der rmischen Meile, deren Lnge mit 1.480 m (5.000 Fu zu 0,296 m = 1 Meile) festgelegt ist. Da die Schnitte der Gefllelinien im Lngsproil naturgem uerst schwach ausfallen, ist eine Abweichung zur Meile in der Grenordnung von 4,5 m (= ~3 ) fast zu vernachlssigen. Danach kann man also sagen, dass man fr den Aqudukt in Siga Geflleabschnitte mit unterschiedlichen Gefllewerten mit der Lnge von einer rmischen Meile abgesteckt hat. (Abb. 8)

    Im Falle der 95,4 km langen Wasserleitung in das rmische Kln hatte man die Gesamttrasse in etwa 20 Baulose eingeteilt. Durch die archologischen

    Abb. 8. Rmische Wasserleitung von Siga (Algerien). Die Wechselpunkte des Geflles der Leitung liegen auffllig nahe beim glatten Fuma von 5.000 Fu.

  • 12 Klaus Grewe

    Forschungen der letzten Jahrzehnte sind wir in der Lage, drei Baulosgrenzen zu lokalisieren, und da es sich um aneinander angrenzende Baulose handelt, lassen sich deren Lngen ziemlich exakt ermitteln.15 Die Strecke zwischen dem Sammel-becken zweier Leitungsste in Mechernich-Eiserfey und einer als Baulosgrenze klar erkennbaren Hhenstufe in Mechernich-Breitenbenden wurde zu 4.440 m ermittelt, was sich erstaunlich exakt in 15.000 rm. Fu (= 3 rm. Meilen) umrechnen lsst. Das anschlieende Baulos, dessen Begrenzung bei Mechernich-Lessenich durch ein in die Leitungssohle eingebautes Tosbecken erkennbar ist, weist zwei Geflleabschnitte auf, die 1.480 m (= 5.000 rm. Fu) und 3.850 m (= 13.006 rm. Fu) lang sind. Fr das gesamte Baulos ergibt sich also eine Strecke von 5.330 m, was sich zu 18.006 rm. Fu umrechnen lsst.

    Im Ergebnis zeigt also auch das Beispiel Eifelwasserleitung, dass man Bau-lose, respektive Geflleabschnitte mit glatten Maen abgesteckt hat, wobei sich als kleinste Einheit 1000 Fu-Abschnitte ergeben haben. Dass die von uns ermit-telten Ergebnisse sowohl im Beispiel Siga, als auch im Beispiel Kln Werte ergeben hat, die auffllig nahe an glatten Maen liegen, ist erstaunlich und zeigt zweierlei. Zum Einem wird deutlich, dass der Chorobat nicht nur als Nivellier-gert, sondern auch als Werkzeug fr die Streckenmessung einzusetzen war. Zum Anderen zeigen die Beispiele, mit welcher Przision dieses Werkzeug zum Einsatz gekommen ist. Und diese Przision ist das Ergebnis eines kenntnisreichen und verantwortlichen Umgangs mit einem genial einfachen Vermessungsgert: dem Chorobat des Vitruv.16

    3. Straenbau

    Im Fernstraenbau lagen die Probleme anders, da eine Straentrasse nicht wie eine Aqudukttrasse an das Gelnde anzuschmiegen war. Hier waren ganz andere Prioritten gesetzt, denn es galt, mglichst kurze Verbindungen zwischen zwei Orten zu inden.

    15 Grewe (1985), 31-42; Grewe (1986), 97-105.16 Przision und Ethos antiker Ingenieure ist recht anschaulich am Beispiel eines Tunnelbaus

    in Saldae (heute Algerien) belegt. Der rmische Ingenieur Nonius Datus (Mitte 2. Jahrh. n. Chr.) nennt auf seinem Grabstein die Tugenden eines antiken Ingenieurs): Patientia - Virtus - Spes, was in diesem Fall wohl mit Geduld, Tatkraft und durch fachliches Knnen begrndeten Zuversicht bersetzt werden muss. (CIL VIII, 1, 2728). Hierzu: Grewe (1985), 70; Grewe (2010), 51.

  • Streckenmessung 13

    Alle Wege fhren nach Rom - dieses grifige Motto ist zwar erst eine Schpfung der mittelalterlichen Literatur, es belegt aber recht anschaulich die geradezu ungeheure Leistung, die antike Ingenieure erbracht haben, um das Imperium Romanum verkehrsmig zu erschlieen. Allein das rmische Fernstraennetz wird auf eine Gesamtlnge von 80.000 bis 100.000 km geschtzt, und wenn man die Nebenstraen, Querverbindungen und die lokalen Wege hinzuzhlt, so kommt ein Vielfaches an ausgebauten Straentrassen zusammen.

    Straen waren ber Jahrtausende das wichtigste Kommunikationsmittel der Menschen. Sie dienten dem Nachrichten- und Gteraustausch, den Feldherren als Heerwege und den Verwaltungsbeamten als Datenautobahnen. Dabei ist nicht jede Verkehrsverbindung von vornherein als Ingenieurbau zu betrachten. Erst wenn eine Verkehrsverbindung zwischen zwei Orten planmig angelegt wird, dem Ausbau also eine Planung und Trassierung vorausgegangen ist, kann man das Bauwerk als Kunststrae ansehen, die sich von einem Naturweg in technischer Hinsicht sehr deutlich unterscheidet.17 Letzterer mag den gleichen Zweck erfllen, indem er den Verkehr zwischen zwei Orten ermglicht, die technische Ausstattung ist jedoch zumeist eine vllig andere. Ein solcher Weg hat sich einfach durch stndige Nutzung herausgebildet. Sein Verlauf ist deshalb in der Regel an das Relief einer Landschaft angepasst, da natrliche Hindernisse wie Berge und Tler umgangen und nicht durch Kunstbauten passierbar gemacht worden sind.

    In diesem Sinne waren Straenbauer zu allen Zeiten Pragmatiker. Man plante und verbaute nur so viel an Technik, wie zur Zweckerfllung eines Verkehrs-weges unbedingt ntig und auch bezahlbar war. Dabei waren die Brcken nicht nur einfache Zweckbauten, um Flsse und Tler zu berwinden, sondern auch ein gngiges Mittel, staatliche Macht zu demonstrieren. Und wenn Bergrcken zu berqueren oder Bergnasen zu umrunden waren, so konnte es unabwendbar sein, Tunnel zu bauen oder die Strae in den anstehenden Fels einzukerben, um die Steigung oder Neigung passabel zu halten. Eine weitere Mglichkeit, das Straengeflle zu verringern, bestand in der Einplanung einer Serpentine, denn auf diese Weise konnte der Planer das Geflle selbst bestimmen.

    Fasst man diese Erfordernisse zusammen, so zeigt sich, dass es im Straen-bau nicht in erster Linie auf exakte Strecken- oder Hhenvermessungen ankam, sondern vielmehr auf die Einhaltung einer Planungsrichtung. Dabei ist es ein Irr-

    17 Wohl nicht ganz zufllig kennen die rmischen Rechtsquellen neben der via publica auch den iter publicum; hierzu ratHmann (2003), 11-16.

  • 14 Klaus Grewe

    glaube, dass Rmerstraen in der Regel schnurgerade waren, denn diese Magabe konnte bestenfalls im Flachland eingehalten werden. War die zu durchfahrende Landschaft hingegen bergig oder durch tiefe Taleinschnitte gekennzeichnet, so musste von der Geradlinigkeit huig abgewichen werden. Und wenn der direkte Anstieg in einem Hang zu steil war, dann musste die Strae im Hang schrg oder als Serpentine angelegt werden.

    Es lsst sich keine allgemein gltige Hchstgrenze fr Steigungen und Neigungen im rmischen Straenbau festlegen, aber aus den Aufmessungen im Verlauf der Straen von Kln nach Trier (nach seinem Auftraggeber heute Agrippastrae genannt) in der Nordeifel sind dennoch Aussagen zu dieser Frage zu machen. So waren die Hnge des Urfttales auf beiden Seiten des Flsschens zu steil fr den direkten Anstieg.

    Da die Strae auf beiden Seiten des Tales schrg zur Hangrichtung gefhrt werden musste, lag es aber in der Hand des planenden Ingenieurs, wie steil er diese Trasse fhren wollte. Nehmen wir auf beiden Talseiten die jeweils steilste Variante heraus, dann sehen wir, dass beide Hnge mittels einer einfachen Form der Serpentine durchfahren worden sind. Auf beiden Seiten haben die steilsten Abschnitte Geflle von 16-17 %, in besonderen Abschnitten sogar um 20%. (Abb. 10) Es sei nicht unerwhnt, dass es anderenorts wesentlich steilere Straen-fhrungen gibt, zu deren Durchfahrung mit Fuhrwerken sogar Hebel eingesetzt werden mussten. In der Eifel scheint aber deutlich zu werden, dass man bei Steil-strecken die Fahrbahnen fr die Berg- und die Talfahrt auf getrennten Trassen gefhrt hat. Der Grund hierfr knnte darin gelegen haben, dass man bei der Bergfahrt wesentlich steilere Strecken bewltigen konnte, als bei der Talfahrt. Auerdem war der Aufwand die Erdbewegungen fr zwei einspurige Fahrbahnen um etwa die Hlfte geringer als es fr den Bau einer zweispurigen Fahrbahn notwendig gewesen wre. (Abb. 9)

    Eine spannende Frage ist die nach der vermessungstechnischen Bedeutung rmischer Meilensteine. Als Straenmbel waren sie fr die Reisenden nicht nur wichtige Hinweise auf die Strecke des Weges, die sie noch vor sich hatten (oder bereits hinter sich - je nach Zhlung auf den Steinen). Sie waren auch eine Mglichkeit zur Selbstdarstellung fr den Kaiser, der den Straenbau oder eine Wiederherstellung in Auftrag gegeben hatte. Die technische Fragestellung geht aber in Richtung Genauigkeit der Streckenangabe auf den Meilensteinen.

  • Streckenmessung 15

    Nun knnte man glauben, dass sich diese Genauigkeit doch ganz einfach ber die Lage des Fundortes und die Meilenangabe berprfen liee. Dabei wrde man aber auer Acht lassen, dass der Fundort des Steins nicht unbedingt mit dem ehemaligen Standort bereinstimmen muss. Interessant, aber wenig genau ist

    Abb. 9. Agrippastrae Kln-Trier. Im Urfttal bndeln sich mehrere rmische Straen-trassen. Die mittlere Trasse zeigt auf beiden Seiten der Urft jeweils zwei Fahrbahnen: Die direkte mit entsprechend starker Steigung fr die Bergfahrt und die ausladende mit schwcherer Neigung fr die Talfahrt.

    Abb. 10. In Steilhngen war der Aufwand fr Erd- und Felsarbeiten bei der An-lage einer zweispurig gefhrten Trasse etwa doppelt so gro wie bei zwei getrennt gefhrten einspurigen Fahrbahnen.

  • 16 Klaus Grewe

    auch eine Entfernungsrekonstruktion ber auf Meilensteine bezogene Ortsnamen. Trier-Quint ist ein Beispiel hierfr, denn der Name lsst sich auf Ad quintum lapidem, also auf den fnften Meilenstein zurckfhren. In die Reihe diesbe-zglicher Ortsnamen gehrt dann sicherlich auch Genova Quinto, ein Stadtviertel von Genua. Durch diese Ortsnamen ist aber lediglich belegt, dass sich bei einem 5. Meilenstein eine Siedlung befand, die - eigentlich namenlos - durch den Hin-weis auf den Meilenstein aber eindeutig ausgewiesen war. Fr eine berprfung der Streckengenauigkeit wre ein solcher Ort aber nur geeignet, wenn sich der antike Standort eines Meilensteins dort exakt lokalisieren liee. Deshalb ist es auch noch lange nicht aus der Diskussion, ob der Ortsname Quadrat im Verlauf der Rmerstrae zwischen Kln und Jlich (heute historisierend Via belgica genannt) gelegen auf den 14 Meilenstein bezogen ist oder auf eine Rodung, auf die die Nachsilbe rath bezogen sein knnte.

    Neben der Meilenzhlung inden wir ab Septimius Severus in den gallischen Provinzen auf den Straensteinen eine Zhlung nach Leugen.18 Nun ist es nicht Sinn dieser Arbeit, noch einmal in die Diskussion um die Einfhrung der Leugen-zhlung einzusteigen19. Unser Interesse geht vielmehr dahin, aus einem standort-sicheren Straensteinfund den Ursprung seiner Zhlung zu bestimmen. Da die Zhlung auf dem Stein als Leugenzhlung deiniert ist, sollten darber hinaus mglicherweise auch Aussagen zur wahren Lnge einer Leuge mglich sein: An der von der CCAA / Kln nach Westen fhrenden Rmerstrae Richtung Jlich und weiter nach Bologne sur Mer (heute historisierend Via belgica genannt) wurde 1997 bei Erftstadt-Esch ein Leugensteinfragment gefunden, dessen Fund-lage von Wolfgang Gaitzsch als Originalstandort erkannt wurde.20

    Wegen seiner originren Fundlage msste der Escher Leugenstein einem Vergleich seiner Entfernungsangabe mit der tatschlichen Strecke zwischen dem Fundort und dem Ausgangspunkt der Strae in Kln dienen knnen, und es ist eine reizvolle Aufgabe, sich diesem Zahlenspiel zu widmen. Dafr stehen an einem Ende der Strecke die Koordinaten der Fundstelle in Erftstadt-Esch zur Verfgung. Da andere Fundorte im Trassenverlauf der sog. Via belgica nicht bekannt

    18 ratHmann (2004), 10-12 (mit der lteren Literatur zum Thema).19 Es sei in diesem Zusammenhang auf die Theorien verwiesen, wonach eine anfngliche

    Meilenzhlung Anfang des 3. Jh. durch die Leugenzhlung ersetzt worden sei; mller (1923). In Ermangelung von archologisch nachgewiesenen Meilensteinfunden hat mller die Meilenabschnitte auf der sog. Via belgica von Kln Richtung Westen aufgrund von Wegeinmndungen und sonstigen topographischen Besonderheiten vorgenommen.

    20 AE 1997,1148a. Hierzu GaitzsCH (1997); ratHmann (2004), 36-37.

  • Streckenmessung 17

    sind, muss das andere Ende einer Vergleichsstrecke im Gebiet des antiken Kln angenommen werden, und zwar am Ausgangspunkt der antiken Leugenzhlung.21

    Dafr bieten sich allerdings mindestens zwei Punkte an:

    a) Zum Einem der Schnittpunkt von Decumanus maximus und Cardo maximus in der CCAA. Dieser Punkt lsst sich heute in etwa rekonstruieren, indem man in Kln die Achsen von Schildergasse und Hohe Strae zum Schnitt bringt22. Die Zhlung hier beginnen zu lassen, wrde durchaus Sinn gemacht haben, denn wenn es einen solchen Nullpunkt mitten in der antiken Stadt gegeben htte, wren die Streckenangaben mit den tatschlich zu bewltigenden Strecken identisch gewesen. Lag der Nullpunkt der Streckenzhlung allerdings an anderer Stelle, htte es fr jede Himmelsrichtung einen eigenen Nullpunkt gegeben und dann wren die innerstdtischen Straenabschnitte nicht in Streckenberechnungen eingelossen: Eine Streckenangabe von Bonn nach Jlich wre also um diesen Wert zu kurz ausgefallen.

    b) Eine zweite Mglichkeit hat darin bestanden, die Anfangspunkte der Zhlungen in die Stadttore zu legen - das allerdings mit genau den zuvor beschriebenen Auswirkungen. Fr die sog. Via belgica war das westliche Stadttor relevant, das am Westende des Neumarktes, dem Beginn der heutigen Hahnenstrae lag. Um einen Punkt fr unsere Berechnungen festzulegen, knnen wir uns an der romanischen Kirche St. Aposteln orientieren, denn diese liegt mit ihrem Chor nur wenige Schritte vom ehemaligen Verlauf der rmischen Stadtmauer entfernt23. Da sich das Westtor der rmischen Stadt-mauer nur wenig sdlich davon befand, wre in diesem Bereich der zweite mgliche Anfangspunkt einer Leugenzhlung nach Westen anzunehmen.

    21 In den gallischen Provinzen des Reiches wurde fr die Streckenangaben auf den Meilensteinen nicht die rmische Meile, sondern die alte gallische Leuge verwendet. Nachgewiesen ist die Leugenzhlung durch das Itinerarium Antonini, die Tabula Peutingeriana und die Beschriftung auf Straensteinen. Da die Entfernungen auf den Steinen in Leugen angegeben sind, werden wir im Text die Bezeichnung Leugenstein verwenden.

    22 Da die in Nord-Sd-Richtung verlaufende Hohe Strae in etwa dem Verlauf des Cardo maximus der CCAA entspricht, ist dessen Achse gengend genau zu rekonstruieren, was fr eine Zhlung auf der nach Westen abknickenden sog. Via belgica besonders relevant ist.

    23 In der Auenmauer des Chors von St. Aposteln ist heute in fast 6 m Hhe die Laibung einer zugemauerten Pforte zu sehen. Da die rmische Stadtmauer zum Zeitpunkt des Kirchenbaus (um 1200) noch aufrecht gestanden hat, war hier ber eine kleine Holzbrcke ein Zugang zur Kirche von einem Gebude innerhalb der antiken Stadtmauer zum Innenraum der auerhalb gelegenen Kirche mglich.

  • 18 Klaus Grewe

    Fr unsere Berechnungen wurden die bei der archologischen Untersu-chung ermittelten Koordinaten der Fundstelle bei Erftstadt-Esch sowie die aus den amtlichen Katasterkarten abgegriffenen Koordinaten fr die beiden in Frage kommenden Anfangspunkte der Zhlung verwendet. Um die Abbildungsver-zerrungen des Gau-Krger-Systems zu eliminieren, wurden entsprechende Reduktionen angebracht.24Nach diesen Vorgaben erhalten wir die folgenden Ergebnisse:

    DHDN90 (Netz77) / GK

    M = Abb.-East /

    RechtsNorth /

    Hoch s M Mittel Red. s redMastabmm/km m m m mm/km m m

    Leugenstein -17,4 2537635,0 5644270,0Stadttor -54,3 2566508,7 5645019,1 28883,4 -35,9 -1,0 28882,4Leugenstein -17,4 2537635,0 5644270,0Stadtmitte -55,5 2567264,2 5645024,8 29638,8 -36,5 -1,1 29637,7Stadttor -54,3 2566508,7 5645019,1Stadtmitte -55,5 2567264,2 5645024,8 755,5 -54,9 0,0 755,5

    Versuchen wir aus diesen Werten fr die mit 13 Leugen angegebene Strecke ein Leugenma zu errechnen, so stehen uns dafr die folgenden Gesamtstrecken zur Verfgung:

    Vom Stadttor zum Leugenstein Esch = 28.882 m

    und von der Stadtmitte zum Leugenstein Esch = 29.637 m

    Da auf dem Escher Leugenstein 13 Leugen als Wegstrecke von Kln aus ausgewiesen sind, lassen sich fr die einzelne Leuge die folgenden Strecken errechnen:

    24 Diese Berechnungen hat freundlicherweise Herr Dipl.-Ing. B. Ahrens, Bonn durchgefhrt, wofr ihm herzlich zu danken ist.

  • Streckenmessung 19

    Fr die Strecke vom Stadttor zum Leugenstein Esch (28.882 :13) = 2.221,72 m

    und fr die Strecke von der Stadtmitte zum Leugenstein Esch (29.637 : 13) = 2.279,82 m

    Das Ergebnis ist insofern berraschend, als die Leuge allgemein mit einer Lnge von 2.220 m25 angenommen wird. Wir mssen also die folgenden Abweichungen feststellen:

    Fr die Strecke vom Stadttor zum Leugenstein Esch = 1,72 m pro Leuge

    und fr die Strecke von der Stadtmitte zum Leugenstein Esch = 58,84 m pro Leuge

    Fr diese Berechnungen wurde die Leuge mit 7.500 rm. Fu zu 0,296 m verwendet. Nun ist zu bedenken, dass eine Abweichung im Fuma von nur 1/10 Millimeter (die vierte Stelle hinter dem Komma!) auf die Leuge hochgerechnet mit 75 cm zu Buche schlgt. Legen wir dann ein Fuma zugrunde, das C. A. Rottlnder aus lteren Maen ermittelt hat, dann ergibt sich der Faktor Fuma zu 0,29613 m26, was auf die Leuge hochgerechnet 2.220,975 m ergibt. Damit ergeben sich auch neue Abweichungen zu den im Beispiel zwischen Kln und Esch errechneten Strecken:

    Fr die Strecke vom Stadttor zum Leugenstein Esch = 0,75 m pro Leuge

    und fr die Strecke von der Stadtmitte zum Leugenstein Esch = 58,54 m pro Leuge

    25 1 Leuge = 7.500 rm. Fu = 1,5 rm. Meile. Zur Umrechnung Isid. org. 15,16,3; Amm. 16,12,8. Nach dieser Festlegung passt theoretisch der Standort eines jeden dritten Meilen-steins auch in die Zhlung der Leugensteine; die Standorte eines jeden dritten, sechsten, neunten usw. Meilensteins entsprechen auf derselben Strecke also den Standorten eines zweiten, vierten, sechsten usw. Leugensteins.

    26 0,29613 m nach Rottlnder (http://vormetrische-laengeneinheiten.de/html/genauigkeit am 03.05.2011) oder 0,29617 m nach Rottlnder (1979), 17; 74.

  • 20 Klaus Grewe

    Beide Ergebnisse sind auf den ersten Blick gleichermaen erstaunlich, er-scheinen aber eindeutig, da sie in dieselbe Richtung fhren: Im Vergleich fhren die beiden Werte dazu, die beim Stadttor beginnende Zhlung als die passendere zu bewerten. Wrde man in der Berechnung den leichten Knick in der Trassen-fhrung bei Quadrat-Ichendorf bercksichtigen, so wrde sich die Gesamtstrecke Esch-Kln um ca. 3 m (0,23 m pro Leuge) verlngern. Auch Straenwindungen am Vorgebirge sind in der Berechnung nicht bercksichtigt, da sie sich ebenfalls nur geringfgig auf die Gesamtstrecke auswirken wrden27. Da diese Komponen-ten zusammen mit ~ 0,5 m pro Leuge in die Betrachtungen einlieen wrden, wre die Leuge in unserem Beispiel also mit ~ 2.222 m anzusetzen, was dem an-fangs errechneten Wert von 2.221,72 auffllig nahe kommt.28

    4. Resmee

    Bei der Betrachtung der Zahlenangaben auf rmischen Leugensteinen zeigt das Beispiel Kln, dass die Zhlung nicht - wie man nach heutigem Zhlverhalten bei der Straen-Kilometrierung annehmen msste - an einem zentralen Punkt in der Stadt begann, sondern statt dessen an den Stadttoren. Ob diese Art der Zhlung fr das rmische Weltreich allgemein anzunehmen ist, bleibt danach fraglich, denn zumindest aus Rom wissen wir, dass unter Kaiser Augustus ein Miliarium Aureum (Goldener Meilenstein) auf dem Forum aufgestellt worden war. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob dieser Stein nicht eher politischen Zwecken gedient hat, um die Gre des Reiches aufzuzeigen, als dass er einen praktischen Nutzen fr den Straenverkehr hatte. Es scheint deshalb eine wichtige Aufgabe fr die Straenforschung der Zukunft zu sein, dieser Frage auch an anderen Beispielen auf den Grund zu gehen, um zu einer allgemein gltigen Aussage zu kommen.

    27 Die gewundene Straenfhrung am Westhang des Vorgebirges ist in der lteren Literatur noch erwhnt; mller (1923). Daneben existiert ein Aufma dieses Streckenabschnitts, das O. boeCKer 1905 angefertigt hat; frdl. Hinweis von H. boeCKer. (Die betroffenen Flchen sind allerdings inzwischen dem Braunkohlentagebau zum Opfer gefallen.)

    28 In all diesen Betrachtungen muss immer die Frage im Raum stehen, ob die verwendeten Messmethoden unserer Zeit berhaupt geeignet sind, ein antikes Leugenma zu entschls-seln. Aus Karten abgegriffene Werte, aus Koordinaten errechnete Werte oder mit modernen Messgerten gemessene Werte bergen immer Einlsse und Unwgbarkeiten, die zu irrtm-lichen Angaben fhren mssen. Einzige Mglichkeit, sowohl Fuma als auch Leugenma exakt zu bestimmen, lge darin, den antiken Messvorgang mit dem Originalmesswerkzeug im Gelnde nachzuvollziehen.

  • Streckenmessung 21

    Auch bezglich der wahren Lnge einer Leuge bleiben Fragen offen, denn in unserem Beispiel kommen wir zu dem Ergebnis, dass die Lnge einer Leuge eher bei 2.222 m als bei 2.220 m gelegen hat. Diese 2 m Unterschied basieren auf Angaben fr das Fuma, die im < 1/10 mm-Bereich liegen, wobei zu bedenken ist, dass sich jeder noch so kleine Fehler eines Fumastabs auf die Leuge hoch-gerechnet mit 7.500 vervielfacht.

    Legt man diese Vorgaben zugrunde, so erscheint es fast unmglich, genaue Angaben zu einer wahren Leugenlnge zu machen: Denn rechnet man geodtisch gesprochen ,vom Kleinen ins Groe, so wirken sich auch kleinste Mastabs-fehler entsprechend vervielfachend aus und knnen zu im Meterbereich liegenden Abweichungen im Leugenma fhren. Geht man dagegen von im Gelnde z. B. durch Straensteine nachgewiesenen Leugenlngen aus, um daraus vom Groen ins Kleine - das zugrundeliegende Fuma zu errechnen, so erhlt man Angaben in Grenordnungen, die in Fumastben berhaupt nicht herstellbar waren. Hinzu kommt, dass heute berhaupt nicht mehr nachvollziehbar ist, mit welchem Fehler der wie auch immer gestaltete Fumastab behaftet war, der fr die Absteckung der Leugensteinstandorte verwendet worden war; das gilt natrlich auch fr Strecken, die mit greren Mastben, wie etwa dem Zehnfu (decempeda), abgesteckt worden sind.

    Weiterhin stellt sich aber die Frage, ob man nach den vorliegenden Ergebnissen berhaupt von gallischen Leugen sprechen kann oder ob es sich nicht eher um ein von den Rmern eingefhrtes Masystem gehandelt hat.29 Es ist doch vllig unwahrscheinlich anzunehmen, dass sich ein gallisches Leugenma exakt und mit den aufgezeigten glatten Werten in das rmische Masystem umrechnen lie. Wenn eine gallische Leuge sich also zu exakt 7.500 rm. Fu ergibt, dann ist doch eher anzunehmen, dass rmische Ingenieure die gallische Maeinheit Leuge nach ihren Bedrfnissen in das rmische Masystem integriert haben. Dabei wre dann allerdings davon auszugehen, dass es das gallische Normalma Leuge ber-haupt gegeben hat, und es dass dieses etwa um die Hlfte lnger war als die rmi-sche Meile. Wollten die Rmer die Leuge als Lngenma aus welchen Grnden auch immer beibehalten, so war es aber fr ihre Zwecke zu modiizieren, um

    29 Vgl. walser (1981), 395: Da die Leuge ein gallisches Mass ist, sieht man gewhnlich einen Rckgriff auf einheimische Traditionen darin. Aber der Archaismus ist knstlich und drfte kaum auf eine einheitliche vorrmische Strassenvermessung zurckgehen, ausser-dem blieben die Narbonensis und grosse Teile der anderen gallisch-germanischen Provin-zen beim Meilenmass

  • danach ein Normalma zu erhalten, dass mit rmischen Maen kompatibel war. Die Festlegung der nunmehr rmischen Leuge auf 7.500 Fu (= 1 Meilen) wre damit begrndet und sinnvoll gewesen, denn nun waren Leugen und Meilen vergleichbar und auf einfache Weise gegenseitig aufzurechnen.30

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    30 Dass sich dabei in der Praxis immer noch gengt Probleme ergaben, zeigen die vier Miliarien aus Den Haag (AE 2003,1229-1232); hierzu ratHmann (2004), 11-12.

    22 Klaus Grewe

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    Bildnachweis:

    1-4, 6-9: K. Grewe

    5: Rm. German. Museum Kln, Inv. Nr. 23/ 475.

    Streckenmessung 23