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Studentische Aufnahmedokumentation Patientin Fr. H. geb.: 1958 untersucht am 14.01.2005 erstellt am 14./15.01.2005 von M.T., Tel., Email Betreuerin Fr. Dr. K. F. / Neurologie Station 10a Kurzzusammenfassung Die 46-jährige Patientin wurde von ihrem niedergelassenen Neurologen bei V.a. auf ein medikamenteninduziertes Hirnorganisches Psychosyndrom zur Optimierung bzw. Neueinstellung ihrer antikonvulsiven Therapie einer bekannten komplex fokalen Epilepsie mit rezidivierenden Grands maux- Ereignissen überwiesen, da unter der momentanen antiepileptischen Therapie für die berufstätige Patientin sehr belastende Nebenwirkungen bestehen. Vergangene Krankheitsgeschichte Die Patientin war erstmals im Jahre 1989 auf Arbeit ohne Vorzeichen kollabiert und kurzzeitig bewusstlos gewesen. Bei Eintreffen des Notarztes war sie laut eigenen Angaben wieder voll bei Bewusstsein und hatte ihre Arbeit wieder aufgenommen. Vom Hausarzt wurde sie damals zum Neurologen überwiesen, da der Verdacht eines Anfallsleiden bestand. Diese Vermutung konnte durch ein „auffälliges EEG“ erhärtet und die Diagnose einer komplex fokalen Epilepsie gestellt werden, weshalb sie eine Kombinationstherapie mit Valproat und Carbamazepin erhielt. Diese Medikation bestand über 10 Jahre, in denen die Patientin nur nach Dosiserhöhungen Nebenwirkungen in Form von Benommenheit und zunehmenden Gedächtnisstörungen beklagte. Deshalb wurde 2000 Carbamazepin ausgeschlichen und eine Monotherapie mit Valproat fortgesetzt unter der die Patientin anfallsfrei war. Jedoch stellten sich zunehmend ein Haltetremor an beiden Händen und Füssen sowie erneut Konzentrations- und Gedächtnisschwächen ein. Nach einem Grand mal-Ereigniss im Januar 2004 erfolgte die Umstellung auf Lamotrigin, welches die Patientin nach eigenen Angaben sehr gut vertrug, bis plötzlich extremer Juckreiz im gesamten Bauchbereich auftrat. Dieser konnte laut Patientin mit Akkupunktur erfolgreich behandelt werden. Bei Verdacht der Unverträglichkeit von Lamotrigin wurde die Patientin im September 2004 auf Levetiracetam umgestellt. Aktuelle Krankheitsgeschichte Nach Umstellung von Lamotrigin auf Levetiracetam im September 2004 stellen sich ab Dezember 2004 Parästhesien in Form von dauerhaftem „Brennen unter der Haut“ v.a. vom Schulterbereich in Rücken und Arme ausstrahlend sowie an beiden Oberschenkeln ein, welche laut Patientin durch psychische Belastungssituationen und Stress getriggert werden. Ein Exanthem bestand/besteht nicht. Frühere Krankheiten und Operationen als Kind: Tonsillektomie

Studentische Aufnahmedokumentation 3

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Page 1: Studentische Aufnahmedokumentation 3

Studentische Aufnahmedokumentation

Patientin Fr. H. geb.: 1958 untersucht am 14.01.2005erstellt am 14./15.01.2005von M.T., Tel., EmailBetreuerin Fr. Dr. K. F. / Neurologie Station 10a

KurzzusammenfassungDie 46-jährige Patientin wurde von ihrem niedergelassenen Neurologen bei V.a. auf ein medikamenteninduziertes Hirnorganisches Psychosyndrom zur Optimierung bzw. Neueinstellung ihrer antikonvulsiven Therapie einer bekannten komplex fokalen Epilepsie mit rezidivierenden Grands maux-Ereignissen überwiesen, da unter der momentanen antiepileptischen Therapie für die berufstätige Patientin sehr belastende Nebenwirkungen bestehen.

Vergangene KrankheitsgeschichteDie Patientin war erstmals im Jahre 1989 auf Arbeit ohne Vorzeichen kollabiert und kurzzeitig bewusstlos gewesen. Bei Eintreffen des Notarztes war sie laut eigenen Angaben wieder voll bei Bewusstsein und hatte ihre Arbeit wieder aufgenommen. Vom Hausarzt wurde sie damals zum Neurologen überwiesen, da der Verdacht eines Anfallsleiden bestand. Diese Vermutung konnte durch ein „auffälliges EEG“ erhärtet und die Diagnose einer komplex fokalen Epilepsie gestellt werden, weshalb sie eine Kombinationstherapie mit Valproat und Carbamazepin erhielt. Diese Medikation bestand über 10 Jahre, in denen die Patientin nur nach Dosiserhöhungen Nebenwirkungen in Form von Benommenheit und zunehmenden Gedächtnisstörungen beklagte. Deshalb wurde 2000 Carbamazepin ausgeschlichen und eine Monotherapie mit Valproat fortgesetzt unter der die Patientin anfallsfrei war. Jedoch stellten sich zunehmend ein Haltetremor an beiden Händen und Füssen sowie erneut Konzentrations- und Gedächtnisschwächen ein. Nach einem Grand mal-Ereigniss im Januar 2004 erfolgte die Umstellung auf Lamotrigin, welches die Patientin nach eigenen Angaben sehr gut vertrug, bis plötzlich extremer Juckreiz im gesamten Bauchbereich auftrat. Dieser konnte laut Patientin mit Akkupunktur erfolgreich behandelt werden. Bei Verdacht der Unverträglichkeit von Lamotrigin wurde die Patientin im September 2004 auf Levetiracetam umgestellt.

Aktuelle KrankheitsgeschichteNach Umstellung von Lamotrigin auf Levetiracetam im September 2004 stellen sich ab Dezember 2004 Parästhesien in Form von dauerhaftem „Brennen unter der Haut“ v.a. vom Schulterbereich in Rücken und Arme ausstrahlend sowie an beiden Oberschenkeln ein, welche laut Patientin durch psychische Belastungssituationen und Stress getriggert werden. Ein Exanthem bestand/besteht nicht.

Frühere Krankheiten und Operationenals Kind: Tonsillektomie1965: Ileus-OP 1985 ff: operative Korrektur einer Septumdeviation mit anschließender Komplikation der Einziehungen

und Verlust der ursprünglichen Form der äußeren Nase und Verlegung der Tränenwege mit Stenosierung

→ Rekonstruktion der knöchernen Nase mit einem costalen Knochentransplantatzudem 2 OPs zur Rekanalisation der verlegten abführenden Tränenwege

1988: HE nach starken Dauerblutungen und mehrmaliger Abrasio

∙ chronische NNH-Entzündung → Nasensalbe (Nisita®)

∙ bekannte asymptomatische Hypotonie, bis vor 5 Jahren medikamentös behandelt

MedikationLevetiracetam 1000mg (Keppra®) 1-0-1-0

Allergien V.a. Lamotrigin-Unverträglichkeit

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Systemüberblick keine kardiopulmonalen Insuffizienzzeichen chron. NNH-Entzündung nach mehreren OPs (s.o.)

Sozialanamnese Beruf: Mechanikerin Familienstand: geschieden seit 1980, keine Kinder, lebt mit Vater im Haus Nikotin: neg. Alkohol: 3 Flaschen Bier / Woche Drogen: keine Sexualanamnese:keine feste Partnerschaft, keine früheren Sexualkrankheiten

Vegetative Anamnese Gewicht: 54 kg, konstant Größe: 161 cm → BMI: 20,8 Appetit/Durst: reduziert Schlaf: gut, kein Nachtschweiß Miktion/Defäkation: regelrecht

FamilienanamneseVater: Kolitis ulcerosaMutter: metastasierendes Mamma-Ca → † 2002Großeltern: Großvater ApoplexGeschwister: 1 Schwester, gesund

SonstigesEpilepsieanamnese in Bezug auf Schwangerschaft der Mutter, Geburt, frühkindliche Entwicklung, schulischen und beruflichen Werdegang unauffällig; keine Fieberkrämpfe und Traumen in Kindheit bekannt; Familienanamnese ebenfalls unauffällig

Körperliche Untersuchung

AllgemeinNormosome, leicht vorgealterte Patientin ohne wesentliche Beeinträchtigung in etwas reduziertem Allgemein- und Ernährungszustand.

VitalparameterRR (links): 105/75, 78 f /min, 19 AF /min, Temp: 36,3 °C axillär (nach Kurve)

Haut auffallend blasses Hautkolorit; keine zervikale, axilläre oder inguinale Lymhadenopathie.

Kopf/Halsaktiv und passiv frei beweglich; NNH nicht klopf- und druckschmerzhaft; Sattelnase nach mehrmaliger OP mit Narben an beiden Nasenflügeln; Augen und Konjunktiven nicht gerötet; Gebiss saniert; Rachenring reizlos; Zunge und Schleimhäute feuchtSchilddrüse normal groß, ohne Knoten und schluckverschieblich tastbar; keine Halsvenenstauung

Herzperkutorisch und auskultatorisch unauffällig; Herztöne leise, rhythmisch und rein; keine fortgeleiteten Karotidengeräusche

Kreislaufalle Pulse tastbar; kein Pulsdefizit; keine Extremitätenödeme

fjoachimski, 03.01.-1,
Gehört zum Systemüberblick – das Vegetativum ist eines von vielen.
fjoachimski, 03.01.-1,
Glänzend
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Thorax / Lungesymmetrisch und seitengleich beatmet; Mammae unauffälligLungengrenzen im Normbereich; gut atemverschieblich; sonorer Klopfschall bei reiner VA

AbdomenBauchdecke weich, nicht gebläht; kein DS, keine Abwehrspannung und patholog. Resistenzen; Peristaltik in allen Quadranten normal; Leber und Milz nicht tastbar; Nierenlager frei; Narben: rechts subcostal (Rhinoplastik), suprapubisch (HE) und links inguinal senkrecht (Ileus-OP)

Wirbelsäuleaktiv und passiv frei beweglich; nicht klopfschmerzhaft; kein Stauchungsschmerz

Neurologisch allgemeinkein Meningismus; kein Kalottenklopfschmerz; NAP frei

HirnnervenI nicht geprüft, laut Patientin leichte Hyposmie seit Nasen-OPII Visus normal

Gesichtsfelder fingerperimetrisch unauffällig Pupillen isokor 4mm mit prompter direkter und indirekter Lichtreaktion Swinging-flashlight-Test: o.B.Fundus: nicht geprüft

III,IV,VI Blickfolge flüssig; keine Okulomotorikstörung; kein Nystagmus; keine Diplopie.V Oberflächensensibilität intakt

motorisch intakt (Masseter- und Kornealreflex regelrecht)VII mimische Muskulatur seitengleich intakt; keine GeschmacksstörungVIII Hörvermögen bei Fingerreiben rechts = links

Weber: Lateralisation nach links; Rinne: bds. Luftleitung > Knochenleitung→ V.a. Schallempfindungsstörung rechts

IX/X Würgereflex und Hustenreflex intakt; Gaumenbögen symmetrischXI Kopfwendung: 5/5 bds.

Schulterhebung: 5/5 bds. XII symmetrisch

Stand/GangStand sicher ohne Fallneigung; Zehen-, Hacken-, Seiltänzergang und –stand ohne Ataxie; Romberg negativ, allenfalls leichtes Schwanken

MotorikArm- und Beinhalteversuch ohne Absinken, Gegensteuern und PronationMotorik: grobe Kraft allseits 5/5

MER rege und seitengleich; keine PyramidenbahnzeichenTonus: seitengleich regelrechter MuskeltonusMuskeltrophik: keine Atrophien; keine Faszikulationen

SensibilitätPallästhesie: leichte distal betonte Pallhypästhesie der UE (bimalleolär 5/8, Tub.tibiae 6/8)Propriozeption: normal und seitengleich, OE = UEOberflächensensibilität: spitz/stumpf-Diskrimination sowohl OE als auch UE deutl. beeintr.Thermästhesie/Algesie: intakt und symmetrisch

Feinmotorik/KoordinationFeinmotorik OE und UE altersgerecht trotz leichter Bradydiadochokinese links. Finger-Nase- und Knie-Hacke-Versuch bds. flüssig; keine Rumpfataxie; sitzstabil

SpracheKeine Dysarthrie; keine Aphasie.

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Neuropsychologischer Status / MentationMini mental state test: nicht getestetVigilanz: wach und klar; zeitlich und räumlich voll orientiertKognitive Defizite: laut Patientin deutl. Konzentrations- und Gedächtnisstörungen in Kurz- und Langzeitgedächtnis keine inhaltlichen und formalen DenkstörungenAntriebsstörungen: laut Patientin seit Beginn der Levetiracetam-Einnahme „sehr schlapp und antreibslos“Psychomotorik: insgesamt deutlich verlangsamtStimmung: affektverflacht und wenig schwingungsfähig; kein Anhalt für Suizidalität

Bisherige Diagnostikambulantes BB vom 05.01.2005 unauffälligambulantes EEG vom 07.01.2005: herdförmige Seitenbetonung re occipito-temporo-basal bei

passageren subkortikalen Theta-Delta-VerlangsamungenRoutinelabor vom 14.01.2005: geringgradige Leukopenie (3,6 Mio./ml); sonst unauffälligansonsten keine bisherige Diagnostik, da Aufnahme erst am Vortag

Bisherige Therapiekeine spezifische Therapie der angegebenen Beschwerden

Einschätzung46-jährige Patientin mit bekannter komplex fokaler Epilepsie und seltenen Grands maux-Anfällen bei V.a. kortikale Dysplasien re frontoparietal und V.a Hippokampussklerose re mit „brennenden“ Parästhesien und deutlichen Gedächtnis- und Konzentrationsschwächen sowie Antriebsstörungen als mögliche Nebenwirkungen der im September 2004 auf Levetiracetam umgestellten antikonvulsiven Therapie

Differentialdiagnosen Polyneuropathie

· metabolisch: diabetisch pro: Müdigkeit, Abgeschlagenheit, „Brennen“ = Pruritis?contra: bisher kein Anhalt für Diabetes mellitusDiagnostik: BZ-Tagesprofil, ggf. OGTTakute hepatische Porphyriecontra: keine vizerale Symptomatik, ...Diagnostik: Konzentration ∂-ALA und Phorphobilinogen

in Plasma und Urin· autoimmunologisch: chron. inflamm.demyelinisierende PNP· infektiös: Postzosterneuralgie

contra: keine Erstmanifestation mit Bläschenbildungatypische Verteilung der Parästhesien

Diagnostik: VZV-AK-Nachweis bzw. PCR· nutritiv: alkoholische PNP

contra: anamnestisch kein AnhaltDiagnostik: ?

· idiopathisch: Guillain-Barré-Syndromcontra : untypisches Verteilungsmuster der Parästhesien

keine ParesenDiagnostik: Anamnese, NLG, EMG, LP, Nervenbiopsie

psychogen∙ dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörung Diagnostik: genaue Lokalisation der Parästhesien; dermatomgebunden ja/nein

psychologisches bzw. psychiatrisches Konsil∙ dysthyme Verstimmung pro: Antriebslosigkeit, Affektverflachung, Konzentration und Gedächnis ↓, körperliche Missempfindungen Diagnostik: Ausschluss organischer Ursachen, Testung (HAMD-Score) psychologisches bzw. psychiatrisches Konsil

Diagnostik

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BZ-Tagesprofil und ggf. OGTT zum Ausschluss einer diabetischen PolyneuropathieDurchführung Hamilton Depression Scale, ggf. psychologisches / psychiatrisches KonsilVersuch der genauen Lokalisation / des genauen Verlaufes der Parästhesien

TherapieUmstellung der medikamentösen Therapie auf ein noch nicht verwendetes Antikonvulsivum der 2. Wahl → Oxcarbazepin oder Topiramat ?Aufgrund des für diese Patientin deutlich ungünstigeren Nebenwirkungsspektrums von Topiramat (Schläfrigkeit, Mattigkeit, kognitive NW wie verlangsamtes Denken, Parästhesien) Bevorzugung von Oxcarbazepin: initial 2x 300mg/d, (rasche) Dosissteigerung (300-600 mg/Wo.) nach klinischer Wirkung auf eine Erhaltungsdosis zwischen 600-2400mg/d

Cave: Gefahr einer Hyponatriämie als NW; deshalb zu Beginn regelmäßige Na+-Kontrollen, ggf. kochsalzreiche KostAufklärung über weitere mgl. NW (rel. häufig: Schwindel, Übelkeit und Erbrechen, Kopfschmerzen, Doppelbilder / seltener: Arrhythmien, Akne, Allopezie, Exantheme)

Weitere Einschätzung und Plan nach Organsystemen Herz-Kreislauf / Pulmo

asymptomatische Hypotonie, ansonsten keine Anhalte für kardiopulmonale Beeinträchtigung

Elektrolytezu Beginn regelmäßige Na+-Kontrollen

Andere Systeme

∙ erwäge HNO-Konsil (V.a. Schallempfindungsstörung re; bekannte chron. Sinusitis)

Ernährungnormal; bei Hyponatriämie kochsalzreiche Kost

FlüssigkeitZiel: mind. 1,5-2 l/d

Zugängez.Zt. kein i.v.-Zugang; kein DK

ProphylaxePatientin mobil →Thromboseprophylaxe nicht nötig

Reanimationkeine Einschränkung

Procederenach Ausschluss anderer Ursachen für die aufgetretenen Parästhesien und kognitiven Defizite stationäre Neueinstellung der antikonvulsiven Therpie mit anschließender ambulanter Betreuung durch ihren niedergelassenen Neurologen; anfänglich regelmäßige Na+-Kontrollen durch den HA

Unterschrift

fjoachimski, 03.01.-1,
Hmm. Eigentlich stellt sich unter CBZ und OCZ ein SIADH ein, also: Flüssigkeitsrestriktion. Dies ist ein nichttrivialer Unterschied.