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1 Studienreise nach Albanien – Bericht von Dr. Anke Geier Die Studienfahrt der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur führte dieses Jahr nach Albanien. Das Land auf der Balkanhalbinsel grenzt im Norden an Montenegro und den Kosovo, im Osten an Nordmazedonien und im Süden an Griechenland und ist geprägt von einer eindrucksvollen Landschaft und gastfreundlichen, interessierten Menschen. In Albanien leben 2,87 Millionen Menschen. Während der einwöchigen Reise tauchte unsere kleine Reisegruppe tief in Albaniens jüngere Geschichte ein, die zwischen 1944 und 1990 geprägt war von kommunistischem Terror und der totalen Isolation des Landes ab 1978. Die Reise führte uns an verschiedene Stätten der kommunistischen Gewaltherrschaft. Daneben besuchten wir zahlreiche Institutionen der Aufarbeitungslandschaft Albaniens und trafen Zeitzeugen und Vertreter staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen sowie Politiker. Die Aufarbeitung der albanischen kommunistischen Vergangenheit steht noch am Anfang, wobei mittlerweile einzelne vielversprechende Gedenkorte und Museen bestehen. Andere, ebenfalls bedeutsame Orte der Erinnerung, wie das ehemalige Gefängnis und Arbeitslager Spaç in den Bergen Nordalbaniens und das ehemalige Internierungslager Tepelena im Süden, verfallen jedoch zusehends. Mitunter entstand bei den teilnehmenden Reisenden der Eindruck, dass dieser Verfall der Erinnerungsorte auch politisch gewollt ist. Ursachen hierfür liegen sicherlich in der schwierigen politischen Konstellation, die seit Jahren die Entwicklung des Landes lähmt. 1 Fakt ist, dass es in Albanien keinen parteiübergreifenden Konsens gibt, wie an die kommunistische Vergangenheit erinnert werden soll. Die hauptsächliche Initiative zur Aufarbeitung und Erinnerung geht noch immer vor allem von Vereinen engagierter Bürger und ehemaliger Opfer des kommunistischen Regimes und von ausländischen Organisationen – wie u. a. die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) – sowie von Privatpersonen aus. Das kommunistische Albanien 1944 - 1990 Der Aufstieg der Kommunisten in Albanien ist eng verbunden mit dem Widerstand der Partisanen gegen die italienischen Faschisten, die Albanien 1939 besetzten, und gegen die deutsche Wehrmacht, die 1943 nach der Kapitulation Italiens in Albanien einmarschierte. 1944 zog die deutsche Wehrmacht aus Albanien ab und kommunistische Partisaneneinheiten unter Führung von Enver Hoxha übernahmen die Führung des Landes, auch indem sie erste Säuberungen durchführten, die vor allem Kämpfer und Sympathisanten der republikanischen Partisanenbewegung Balli Kombëtar trafen. Zwar hatten kommunistische, republikanische und weitere Partisaneneinheiten gegen die Besatzer gekämpft, aber die 1941 gegründete 1 Vgl. den Artikel zur politischen Lage im Land von Tobias Rüttershoff: Die Qual mit der (Nicht-)Wahl, Länderbericht zu den Kommunalwahlen in Albanien vom Juli 2019, hrsg. von der Konrad- Adenauer-Stiftung (<https://www.kas.de/web/albanien/laenderberichte/detail/-/content/die-qual- mit-der-nicht-wahl>, abgerufen am 12.8.2019).

Studienreise nach Albanien – Bericht von Dr. Anke Geier · 2019. 12. 4. · am folgenden Tag vollstreckt wurde. 1961 brach Albanien die Beziehungen zur Sowjetunion ab, da sich diese

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    Studienreise nach Albanien – Bericht von Dr. Anke Geier

    Die Studienfahrt der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur führte dieses Jahr nach

    Albanien. Das Land auf der Balkanhalbinsel grenzt im Norden an Montenegro und den Kosovo,

    im Osten an Nordmazedonien und im Süden an Griechenland und ist geprägt von einer

    eindrucksvollen Landschaft und gastfreundlichen, interessierten Menschen. In Albanien leben

    2,87 Millionen Menschen. Während der einwöchigen Reise tauchte unsere kleine Reisegruppe

    tief in Albaniens jüngere Geschichte ein, die zwischen 1944 und 1990 geprägt war von

    kommunistischem Terror und der totalen Isolation des Landes ab 1978. Die Reise führte uns

    an verschiedene Stätten der kommunistischen Gewaltherrschaft. Daneben besuchten wir

    zahlreiche Institutionen der Aufarbeitungslandschaft Albaniens und trafen Zeitzeugen und

    Vertreter staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen sowie Politiker. Die Aufarbeitung der

    albanischen kommunistischen Vergangenheit steht noch am Anfang, wobei mittlerweile

    einzelne vielversprechende Gedenkorte und Museen bestehen. Andere, ebenfalls

    bedeutsame Orte der Erinnerung, wie das ehemalige Gefängnis und Arbeitslager Spaç in den

    Bergen Nordalbaniens und das ehemalige Internierungslager Tepelena im Süden, verfallen

    jedoch zusehends. Mitunter entstand bei den teilnehmenden Reisenden der Eindruck, dass

    dieser Verfall der Erinnerungsorte auch politisch gewollt ist. Ursachen hierfür liegen sicherlich

    in der schwierigen politischen Konstellation, die seit Jahren die Entwicklung des Landes

    lähmt.1 Fakt ist, dass es in Albanien keinen parteiübergreifenden Konsens gibt, wie an die

    kommunistische Vergangenheit erinnert werden soll. Die hauptsächliche Initiative zur

    Aufarbeitung und Erinnerung geht noch immer vor allem von Vereinen engagierter Bürger und

    ehemaliger Opfer des kommunistischen Regimes und von ausländischen Organisationen –

    wie u. a. die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) – sowie von Privatpersonen aus.

    Das kommunistische Albanien 1944 - 1990 Der Aufstieg der Kommunisten in Albanien ist eng verbunden mit dem Widerstand der

    Partisanen gegen die italienischen Faschisten, die Albanien 1939 besetzten, und gegen die

    deutsche Wehrmacht, die 1943 nach der Kapitulation Italiens in Albanien einmarschierte. 1944

    zog die deutsche Wehrmacht aus Albanien ab und kommunistische Partisaneneinheiten unter

    Führung von Enver Hoxha übernahmen die Führung des Landes, auch indem sie erste

    Säuberungen durchführten, die vor allem Kämpfer und Sympathisanten der republikanischen

    Partisanenbewegung Balli Kombëtar trafen. Zwar hatten kommunistische, republikanische und

    weitere Partisaneneinheiten gegen die Besatzer gekämpft, aber die 1941 gegründete

    1 Vgl. den Artikel zur politischen Lage im Land von Tobias Rüttershoff: Die Qual mit der (Nicht-)Wahl,

    Länderbericht zu den Kommunalwahlen in Albanien vom Juli 2019, hrsg. von der Konrad-Adenauer-Stiftung (, abgerufen am 12.8.2019).

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    albanische kommunistische Partei verbreitete die Propaganda, dass allein die Kommunisten

    gegen die Faschisten und Nationalsozialisten gekämpft hätten. Es wurde eine Diktatur nach

    stalinistischem Vorbild installiert und die Kommunisten ließen Vertreter bürgerlicher Parteien,

    ehemalige Parlamentsangehörige, Mitglieder vorheriger Regierungen, Fabrik- und

    Landbesitzer, Geistliche und Intellektuelle verfolgen.2 So endete am 1. März 1945 einer der

    größten Schauprozesse des Landes, in dem von 60 hohen Staatsbeamten 17 zum Tode

    verurteilt wurden. Am 11. Januar 1946 rief Enver Hoxha die Volksrepublik Albanien aus. Kurze

    Zeit später wurde eine Verfassung verabschiedet, in der alle nichtkommunistischen

    Organisationen verboten wurden und jede abweichende Meinungsäußerung oder Aktion unter

    härteste Strafen gestellt wurde. Ähnlich den anderen kommunistischen Ländern des Ostblocks

    wurde auch in Albanien eine Bodenreform durchgeführt und jeglicher Grundbesitz

    entschädigungslos enteignet. Überhaupt wurden in den ersten Jahren der kommunistischen

    Diktatur tausende Menschen unter falschen Anschuldigungen als Kriegsverbrecher und mit

    fingierten politischen Vorwürfen verhaftet und hingerichtet. Auch die Familienangehörigen der

    Beschuldigten litten unter der Verfolgung: die Familien wurden enteignet und für Jahrzehnte

    in Internierungslagern zu Zwangsarbeit gezwungen. Enver Hoxha und seine Gefolgsleute

    installierten in dem kleinen Land mit etwa 3 Millionen Einwohnern eine Diktatur, in der niemand

    vor Verfolgung sicher war, selbst die Mitglieder der Parteispitze wurden – je nachdem, wie sich

    der außenpolitische Kurs änderte – verfolgt. Zunächst war Albanien mit Jugoslawien und der

    Sowjetunion verbündet. Als sich das Jugoslawien Titos von der stalinistischen Sowjetunion

    abkehrte, wurden 1948 die Beziehungen zu Jugoslawien abgebrochen und die Sowjetunion

    der neue strategische Partner Albaniens. Hoxha ließ nun sämtliche jugoslawienfreundliche

    Kader innerhalb der kommunistischen Partei verfolgen, wie beispielsweise den

    Parteifunktionär Koçi Xoxe, gegen den am 10. Juni 1949 das Todesurteil ausgesprochen und

    am folgenden Tag vollstreckt wurde. 1961 brach Albanien die Beziehungen zur Sowjetunion

    ab, da sich diese nach dem XX. Parteitag 1956 zu entstalinisieren begann (bis zu seinem Tod

    im Jahr 1985 verehrte Enver Hoxha den Diktator Stalin). Ein Jahr zuvor, 1960, wurde die

    Parteiführung bereits von prosowjetischen Kräften gesäubert. Wer in der Sowjetunion studiert

    hatte und sowjetfreundlich galt, wurde verfolgt. Albanien näherte sich nun China an, mit dem

    seit 1959 ein Handelsabkommen bestand. 1978 wurden, nach der chinesischen Abkehr von

    Mao, auch diese Beziehungen zu China eingestellt und Albanien war fortan isoliert.

    Chinafreundliche Kader samt ihren Familien wurden verfolgt. Säuberungsaktionen ziehen sich

    durch die gesamte Regierungszeit Hoxhas. Neben den bereits genannten, setzten

    beispielsweise nach einem vermeintlichen Bombenanschlag auf die sowjetische Botschaft in

    2 Vgl. zu diesen und den folgenden Angaben: Albanien, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und

    Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 15-17.

  • 3

    Tirana am 26. Februar 1951 Säuberungsaktionen gegen die Intelligenz ein. 1973 wurden im

    Kulturbereich, in der Wirtschaft und im Militär (nach einer kurzen „liberalen“ Phase Ende der

    1960er- und Anfang der 1970er-Jahre) sogenannte „Volksfeinde“ verfolgt.

    Während der kommunistischen Diktatur wurden, nach den Recherchen des Institute for the

    Studies of Communist Crimes and Consequences in Albania, 6.027 Menschen aus politischen

    Gründen hingerichtet. Die Todesstrafe wurde in Albanien vor allem bei vermeintlich politischen

    Delikten wie Landesverrat, Spionage, antikommunistische Tätigkeit und „feindliche

    Propaganda“ – hierzu zählte auch Religionsausübung – vollstreckt. 34.135 Albaner wurden

    aus politischen Gründen inhaftiert und 50.000 Familien in Arbeits- und Internierungslager zur

    Zwangsarbeit gezwungen. Über 7.000 Menschen sollen in den Arbeits- und

    Internierungslagern aufgrund der unmenschlichen Lebensbedingungen gestorben sein. Etwa

    1.000 Menschen starben in den Gefängnissen. Zahlreiche Albaner sind seit diesen Zeiten

    vermisst. Knapp 60.000 Bürger wurden aus dem Grenzland deportiert.3

    Die kommunistische Führung hatte ihr Land vollständig isoliert. Die Bevölkerung wurde

    unterdrückt. Tausende Mitarbeiter und Spitzel der Geheimpolizei Sigurimi überwachten die

    Albaner. Das Recht wurde immer weiter ausgehöhlt. Das Strafgesetzbuch im Bereich der

    Straftaten wurde seit 1952 erweitert. Ab 1959 konnten beispielsweise Personen ab dem

    vollendeten 12. Lebensjahr vor Gericht gestellt werden. Auch konnten gesamte Familien für

    „Verbrechen gegen den Staat“ in sogenannten geschlossenen Dörfern interniert werden. Am

    1. Januar 1977 wurde der Artikel 55 des Strafgesetzbuches „Staatsfeindliche Agitation und

    Propaganda“ installiert, der nun die Grundlage für großangelegte politische

    Repressionsmaßnahmen bot. Selbst noch 1988 werden die Menschen durch ein neues

    Gesetz schikaniert: Neugeborene Kinder durften fortan keinen christlichen oder muslimischen

    Namen erhalten. Bereits 1968 wurde das Justizministerium abgeschafft:

    Gerichtsverhandlungen fanden nun vor Militärgerichten und sogenannten Volksgerichten statt.

    Am 11. April 1985 starb der Diktator Enver Hoxha. Viele Menschen hofften auf eine

    Verbesserung der Lebensumstände und weniger Repressionen. Ramiz Alia wurde erster

    Sekretär der Kommunistischen Partei und letzter kommunistischer Staatspräsident. Er leitete

    wirtschaftliche Reformen und die Öffnung des Landes ein. Den kommunistischen Kurs setzte

    er aber fort. 1990 begann sich dann im Norden des Landes der Widerstand gegen die

    Kommunisten zu formieren. Mitte Dezember 1990 verzichtete die kommunistische Partei auf

    ihren Alleinvertretungsanspruch. Kurz vor den ersten freien Parlamentswahlen am 31. März

    1991 wurde die letzte Gruppe politischer Gefangener aus Haft entlassen.

    3 Vgl. Glos, Walter/ Godole, Jonila: Albanien: Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit.

    Länderbericht vom Dezember 2017, hrgs. von der Konrad-Adenauer-Stiftung, (, abgerufen am 8.8.2019).

  • 4

    Orte der Erinnerung in Albanien Eine der ersten Gedenkstätten des Landes besuchten wir am Montag, den 20. Mai in Shkodra

    im Norden Albaniens. Shkodra war 1990 das Zentrum des Aufstandes gegen die

    kommunistische Diktatur. Die Gedenkstätte „Site of Witness and Memory“ Shkodra, die seit

    2014 der Öffentlichkeit zugänglich ist, erinnert an die Opfer der kommunistischen Diktatur in

    Albanien und speziell an die Opfer in Shkodra und Umgebung. Das Gebäude, in dem die

    Gedenkstätte untergebracht ist, beherbergte zwischen 1946 und 1992 die lokale Abteilung des

    albanischen Innenministeriums und wurde in kommunistischer Zeit als

    Untersuchungsgefängnis benutzt.4

    Die Reisegruppe während der Führung durch die Gedenkstätte „Site if Witness and Memory“ in Shkodra

    (Foto: Anke Geier).

    Die museale Gedenkstätte ist in mehrere Räume gegliedert und bietet verschiedene

    Anknüpfungspunkte sich mit der bedrückenden Geschichte auseinanderzusetzen (informativ-

    historisch, künstlerisch, emotional). Am eindrücklichsten sind die Haftetagen. Auf zwei Etagen

    waren die Gefangenen untergebracht, wobei die politischen Gefangenen das Erdgeschoss

    belegten und dort in 29 sehr kleinen (etwa drei Quadratmeter umfassenden), dunklen Zellen –

    4 Vgl. Gedenkstätte „Site of Witness and Memory“, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und

    Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 25-26.

  • 5

    eher Löchern – eingesperrt waren. Die Inhaftierten waren im Gefängnis bis zu ihrer

    Verhandlung physischer und psychischer Folter und Misshandlungen ausgesetzt. Zahlreiche

    Todesfälle sind dokumentiert. In der Gedenkstätte werden daher auch die Foltermethoden der

    Geheimpolizei „Sigurimi“, die vor allem in den Anfangsjahren der Diktatur angewandt wurden,

    gezeigt. Die Untersuchungshaft konnte teilweise auf Jahre ausgedehnt werden. Nach der

    Verhängung des Strafmaßes wurden die Verurteilten auf Gefängnisse, Arbeits- und

    Internierungslager verteilt, sofern sie nicht zur Todesstrafe verurteilt worden waren. Die

    Haftzellen, die Räume zur Befragung und Folter sind im Originalzustand erhalten und können

    begangen werden. Im Ausstellungsraum werden Gegenstände und Dokumente ausgestellt,

    die die Brutalität des Regimes zeigen und den Haftalltag dokumentieren. Zahlreiche Objekte

    wurden von ehemaligen politischen Häftlingen zur Verfügung gestellt.

    Verhörraum in der Gedenkstätte „Site if Witness and Memory“ in Shkodra (Foto: Anke Geier).

    Die Gedenkstätte hat einen starken lokalen Bezug, so befindet sich beispielsweise im

    Eingangsbereich eine Übersichtskarte, die 23 weitere Gefängnisse zeigt, die während der

    kommunistischen Herrschaft in der Stadt Shkodra in Privathäusern und religiösen

    Einrichtungen betrieben worden sind („places of terror and tortures“). Zahlreiche Biografien

    der Opfer sind recherchiert worden und werden bei Führungen am Ort erzählt: Geistliche

    bildeten einen Großteil der Inhaftierten. Die radikale Verfolgung des Klerus in Shkodra und

    Albanien wird ebenfalls im Museum dargestellt (siehe hierzu Diözesanmuseum Shkodra). Die

  • 6

    Gedenkstätte, die mit Unterstützung des Institute for Democracy, Media and Culture (IDMC)

    eröffnet wurde, wird von der Stadt Shkodra, durch Nichtregierungsorganisationen (wie die

    KAS), durch Spenden und Eintrittsgelder finanziert. 85 % aller Besucher sind ausländische

    Gäste und Betroffene und ihre Angehörigen. Die lokale Bevölkerung zeigt wenig Interesse –

    ein generelles Problem in Albanien, wo im Grunde keine breite gesellschaftliche Aufarbeitung

    der Geschichte stattfindet. Der Leiter der Gedenkstätte, der Historiker Pjerin Mirdita, erwähnte,

    dass auch Schulklassen im Rahmen des Geschichtsunterrichtes sowie Studierendengruppen

    kommen. Abhängig sei dies aber immer von der jeweiligen Lehrkraft, da für die

    kommunistische Geschichte nur wenige Stunden im Lehrplan vorgesehen sind.

    Die Geschichte der Verfolgung der katholischen Kirche während der kommunistischen Diktatur

    wird ausführlich im Diözesanmuseum Shkodra erzählt, das im Sommer 2016 in der Sakristei

    der Kathedrale des Hl. Stephan eröffnete. Die Repressionen gegen die Katholiken begannen

    unmittelbar nachdem die Kommunisten 1944 nach stalinistischem Vorbild die Herrschaft in

    Albanien übernommen hatten. Allein 1949 wurde nahezu die Hälfte der katholischen

    Geistlichen in Albanien hingerichtet. Über die Jahre hinweg wurden in den Gefängnissen

    2 Erzbischöfe, 5 Bischöfe, 1 Abt, 65 Diözesanpriester, 33 Franziskaner, 14 Jesuiten,

    10 Seminaristen und 8 Ordensschwestern sowie eine Vielzahl an Laien teilweise ohne

    Gerichtsurteil erschossen, wie das Museum dokumentiert.5 Der orthodoxe Patriarch und der

    muslimische Großmufti konnten Ende der 1940er-Jahre noch eine Übereinkunft mit der

    kommunistischen Staatsmacht erzielen, aber als sich Albanien 1967 zum ersten atheistischen

    Land der Welt erklärte und der kommunistische Diktator Enver Hoxha ein totales

    Religionsverbot erließ, wurden die Gläubigen aller Religionsgemeinschaften verfolgt. Alle

    Kirchen, Klöster, Synagogen und Moscheen wurden geschlossen, einige als Sportstätten,

    Ställe und Lagerhäuser umgenutzt.6 Die Stephanskathedrale in Shkodra wurde zu einer

    Sporthalle umfunktioniert. Die Ausübung des Glaubens und der Besitz von Kult- und

    Andachtsgegenständen war unter Strafe gestellt. Selbst der Besitz der Bibel war verboten. Die

    Gläubigen versteckten also die Zeichen ihres Glaubens. Im Museum sind daher zahlreiche

    ehemals versteckte Objekte zu sehen, die die Zeit des Kommunismus überdauert haben.

    5 Vgl. Beike, Mirjam: Mit Kaffeetasse heimlich Messe gefeiert: Die Geschichte des Christentums in

    Albanien. Das neue Diözesanmuseum in Shkodra erzählt mit bewegenden Zeugnissen die fast 2.000 Jahre alte Geschichte des Christentums in Albanien – bis hin zur neuen Blüte in der Gegenwart (, abgerufen am 12.8.2019).

    6 Vgl. Albanien, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 15.

  • 7

    Auch ein unscheinbarer Tisch und eine Tasse

    sind ausgestellt. Diese Gegenstände hat

    Bischof Zef Simoni benutzt, um mit den

    Gläubigen im Geheimen die heilige Messe zu

    feiern.7 Zef Simoni empfing am 9. Februar 1961

    heimlich die Priesterweihe und wurde 1976

    wegen seines katholischen Glaubens zu zwölf

    Jahren Haft verurteilt. Seine Haftzeit verbrachte

    er im berüchtigten Straflager Spaç. Das

    Diözesanmuseum zeigt ebenso Gegenstände,

    die aus dem „Atheistischen Museum“ nach

    1990 gerettet wurden. Nach dem totalen

    Religionsverbot 1967 war von den

    Kommunisten in Shkodra das „Atheistische

    Museum“ mit gestohlenem Kirchengut

    eingerichtet worden, um den Albanern den

    Glauben verächtlich zu machen. Die Gläubigen

    besuchten aber das Museum, um beim

    Betrachten der verbotenen Gegenstände ihren

    Glauben zu stärken.8

    Am Abend des ersten Programmtages nahm die Reisegruppe an der Einweihung des

    Denkmals für die Opfer der kommunistischen Diktatur in Shkodra teil. Dieses Denkmal in der

    Nähe des Rathauses (in der Straße „Rruga 13 Dhjetori“) zeigt anschaulich die vielfältigen

    Facetten der kommunistischen Repression in Albanien. Das Denkmal wurde mit Unterstützung

    der amtierenden Bürgermeisterin Voltana Ademi von der Demokratischen Partei Albaniens

    aufgestellt, deren Familie während des Kommunismus verfolgt wurde.

    Zwischen dem 20. und 22. Mai wird in Albanien an die Verbrechen des kommunistischen

    Regimes gedacht. Den 21. Mai 2019 verbrachte die Reisegruppe daher mit Zeitzeugen des

    Gefängnisses und Arbeitslagers Spaç. Der 21. Mai ist der Jahrestag des Aufstandes in Spaç.

    7 Vgl. Beike, Mirjam: Mit Kaffeetasse heimlich Messe gefeiert: Die Geschichte des Christentums in

    Albanien. Das neue Diözesanmuseum in Shkodra erzählt mit bewegenden Zeugnissen die fast 2.000 Jahre alte Geschichte des Christentums in Albanien – bis hin zur neuen Blüte in der Gegenwart (, abgerufen am 12.8.2019).

    8 Vgl. Meyer, Fritjof: Im Garten Eden ein Götze aus Granit. SPIEGEL-Redakteur Fritjof Meyer in Albanien – Traumreich für Grüne und Musterstaat des Stalinismus, in: DER SPIEGEL, Nr. 49/ 1981, S. 146-160, hier S. 155 (, abgerufen am 5.8.2019).

    Vormals eingemauerte Christusfigur im

    Diözesanmuseum in Shkodra (Foto: Anke Geier).

  • 8

    Das Gefängnis und Arbeitslager im schwer zugänglichen Berggebiet nahe der

    nordalbanischen Gemeinde Mirdita wurde auch als „Umerziehungseinheit 303“ bezeichnet.

    Das Lager war an einem steilen Hang gelegen und von Stacheldraht umgeben. Spaç wurde

    1968 eingerichtet und war ähnlich dem stalinistischen GULag-System organisiert. Es war für

    400 Gefangene ausgelegt, wobei die Höchstbelegung bis zu 1.400 Personen betrug. Es

    umfasste mehrere Wohnbaracken und Gebäude der Lagerverwaltung und der Wacheinheiten,

    einen Appellplatz und Innenhof, sowie Wachtürme, die an eine tiefe Schlucht grenzten. Die

    Inhaftierten wurden zur Zwangsarbeit in den angrenzenden Kupfer- und Pyritminen

    herangezogen. Spaç galt neben dem Gefängnis in Burrel und dem Lagerkomplex in Ballsh als

    eine der grausamsten Haftstätten des kommunistischen Albaniens.9

    Tausende vermeintliche Gegner des

    kommunistischen Regimes, vor

    allem politische Gefangene –

    Künstler, Intellektuelle, Schriftsteller,

    Geistliche –, verbüßten hier

    langjährige Haftstrafen.

    Beispielsweise der Schriftsteller

    Fatos Lubonja, der zwischen 1974

    und 1991 in verschiedenen

    kommunistischen Gefängnissen

    inhaftiert war, davon viele Jahre in

    Spaç. Lubonja kam aus einer

    regimetreuen Familie: Sein Vater

    Todi Lubonja war lange Zeit ein

    Vertrauter von Enver Hoxha und bis

    zu seiner Entlassung im Dezember

    1972 Generaldirektor der

    albanischen Radio- und

    Fernsehanstalt. Todi Lubonja wurde

    im Zusammenhang mit politischen

    Säuberungen aufgrund „dekadenter

    westlicher Einflüsse“ 1973 verhaftet.

    Zugleich wurde auch der Sohn

    angeklagt, regimekritische

    9 Vgl. Gedenkstättenprojekt Spaç, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur

    Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 27-29.

    Ein Teil des Lagerkomplexes Spaç (Foto: Anke Geier).

  • 9

    Äußerungen in seinen Tagebüchern notiert zu haben. Fatos Lubonja wurde aufgrund von

    „Agitation und Propaganda gegen die Volksmacht“ zu 7 Jahren Straflager verurteilt. In Haft

    selbst wurde er beschuldigt, einer regimekritischen Organisation anzugehören und die Haftzeit

    wurde um 16 Jahre verlängert – ein übliches Vorgehen in der albanischen kommunistischen

    Diktatur. Mit dem Ende des Kommunismus in Albanien kam er nach 17 Jahren frei. Seine Zeit

    in den kommunistischen Gefängnissen hat er literarisch verarbeitet. 1994 veröffentlichte er ein

    Tagebuch, das sein letztes Haftjahr beschreibt („Im siebzehnten Jahr“). Seine Romane „Das

    letzte Gemetzel“ und „Das zweite Urteil“ beschreiben seine zweite Verhaftung und Verurteilung

    und das Schicksal eines Intellektuellen im kommunistischen Staat.10 Weitere bekannte

    Inhaftierte waren Ernest Simoni, römisch-katholischer Priester und Kardinal, inhaftiert von

    1963 bis 1981, davon 10 Jahre in Spaç; Zef Simoni, katholischer Priester, 1992 Weihbischof

    im Erzbistum Shkodra, von 1967 bis 1979 12 Jahre Haft in Spaç; Simon Jubani, katholischer

    Priester, von 1964 bis 1989 fast ununterbrochen inhaftiert, darunter auch in Spaç sowie in

    Einzelhaft in Burrel.

    Auf dem Weg zur Gedenkveranstaltung in Spaç. Im Gebäude rechts war die Gefängnisverwaltung.

    (Foto: Anke Geier)

    10 Vgl. Fatos Lubonja, in: Biografisches Lexikon Widerstand und Opposition im Kommunismus 1945-

    91 (, abgerufen am 15.7.2019).

  • 10

    Die Gefangenen waren menschenunwürdigen Haft- und Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Sie

    arbeiteten unter primitivsten Bedingungen in den Bergwerken bei Hitze und Kälte ohne

    Sicherheitsvorkehrungen. Viele Menschen starben infolge von Arbeitsunfällen, Erschöpfung

    und Unterernährung. Die Toten wurden damals ohne Kennzeichnung der Grabstätten

    verscharrt. Heute wachsen an den Begräbnisorten junge Bäume, die nach dem Ende der

    kommunistischen Diktatur dort gepflanzt worden sind.

    Aufgrund der katastrophalen Bedingungen in Spaç organisierten die Gefangenen im Mai 1973

    eine Revolte und übernahmen vom 21. bis zum 23. Mai die Kontrolle über das Lager. Als

    Zeichen des Widerstands hissten sie die albanische Flagge mit dem Doppeladler, allerdings

    ohne den sozialistischen Stern. Auch während der Gedenkveranstaltung am 21. Mai 2019

    wurde diese Fahne als Zeichen des Aufstandes am Fahnenmast hochgezogen. Der Aufruhr

    wurde 1973 brutal niedergeschlagen und die Anführer der Revolte hingerichtet. 130 Personen

    erhielten längere Haftstrafen unter noch strengeren Bedingungen. Im Mai 1985 brach erneut

    ein Protest unter den Gefangenen aus. Spezialeinheiten des Innenministeriums aus Tirana

    wurde extra zur Niederschlagung eingeflogen, drei Männer zum Tode verurteilt, ein Mann

    verstarb aufgrund der Folter während der Verhöre durch die Sicherheitskräfte. 36 Häftlinge

    erhielten zusätzliche Haftstrafen von 6 bis 20 Jahren.11 Das Straflager wurde erst 1991, nach

    dem Ende des kommunistischen Regimes, geschlossen. Heute verfallen die Überreste von

    Spaç zusehends, einzig die Gebäude der Lagerverwaltung sind noch etwas besser erhalten.

    2009 kündigte der Nationale Restaurationsrat Albaniens an, das Straflager-Ensemble in eine

    museale Anlage umwandeln zu wollen. Informationstafeln zu einzelnen Gebäuden und

    Ereignissen wie dem Aufstand von 1973 zeugen von den einstigen Plänen. Eine

    Instandhaltung oder der Ausbau zu einem musealen Ort scheint allerdings in weiter Ferne.

    Finanzmittel wurden und werden von der Regierung nicht bereitgestellt. 2015 wurde der Ort in

    die Liste der 50 am meisten bedrohten Monumente des World Monument Fund aufgenommen

    und erste kleinere Instandsetzungsarbeiten durch die schwedische Botschaft in Tirana

    organisiert.12

    Am 21. Mai 2019 fand zunächst auf dem Gelände des ehemaligen Gefängnisses eine

    Gedenkveranstaltung für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft statt, der wir

    beiwohnten. Zahlreiche Zeitzeugen und ihre Angehörigen versammelten sich. Eindrücklich

    wurde an die damaligen Ereignisse erinnert. Zeitzeugen berichteten über ihre Erfahrungen.

    Der Generalsekretär Luigi Mila von der Initiative Justice and Peace, die sich für das Gedenkstättenprojekt Spaç einsetzt und auch Vertreter der KAS aus Tirana und Anna

    Kaminsky von der Bundesstiftung Aufarbeitung, aber auch Mitarbeiter anderer Initiativen

    11 Vgl. Gedenkstättenprojekt Spaç, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur

    Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 28-29. 12 Vgl. ebd., S. 27 und „Spaç Prison“ auf der Webseite des World Monuments Fund

    (, abgerufen am 15.7.2019).

  • 11

    erinnerten mit ihren Worten an die Verbrechen des Kommunismus und speziell in Spaç. Zenel

    Drangu, ein ehemaliger Inhaftierter, führte die Gruppe anschließend durch das ehemalige

    Gefängnis und Arbeitslager. Der eindrückliche Vormittag wurde durch den Bericht und das

    Gespräch mit dem Zeitzeugen Fabian Kati, der zwischen 1984 und 1986 in Spaç inhaftiert war,

    ergänzt. Fabian Kati wurde wegen „westlicher Beeinflussung“ – er übersetzte Texte des

    Sängers Bob Dylan ins Albanische – verurteilt. Er erlebte den Tod Enver Hoxhas, der 1985

    eines natürlichen Todes starb, im Gefängnis Spaç.

    Zeitzeugen und Familienangehörige kurz vor der Gedenkfeier (Foto: Anke Geier)

    Dokumente zu den Aufständen von Spaç finden sich in den Unterlagen des ehemaligen

    Staatsicherheitsdienstes Albaniens. Der Geheimdienst „Sigurimi“ („Sicherheit“) bestand von

    1944 bis 1991 und war das wichtigste Machtinstrument Enver Hoxhas und des

    kommunistischen Einparteiensystems. 1989 arbeiteten etwa 10.000 Personen beim Sigurimi,

    die sich als „Elite des Staates“13 verstanden und besondere Privilegien genossen. Die

    „Direktion der Staatssicherheit“ war Teil des Innenministeriums und wurde durch einen

    Direktor geleitet. Zudem war ein stellvertretender Innenminister für den Sigurimi direkt

    zuständig. Hauptsächlich wurde der Geheimdienst zur Kontrolle der eigenen Bevölkerung mit

    13 Vgl. Godole, Jonila: Albanien: Deutschland als Musterland, Bericht vom 1.8.2016, hrsg. von der

    Bundeszentrale für Politische Bildung (, abgerufen am 12.8.2019).

  • 12

    Mitteln der Überwachung, der Repression und des Terrors eingesetzt. Die Methoden ähnelten

    denen anderer Geheimdienste kommunistischer Länder. Es wurde auf ein dichtes Netz an

    Spitzeln gebaut, um die lückenlose Überwachung der Gesellschaft zu ermöglichen. Daneben

    unterhielt der Sigurimi eigene Gefängnisse und Lager. Entsprechend einer Studie über den

    Geheimdienst, die die parlamentarische Kommission 1998 anfertigen ließ, seien fast

    33 Prozent der Bevölkerung politisch verfolgt worden.14 Die wissenschaftliche

    Auseinandersetzung mit der Geschichte des Geheimdienstes Sigurimi steht noch am Anfang.

    Im Dezember 2016 nahm die Behörde zur Information über die Dokumente der früheren

    Staatssicherheit ("Authority for Information on the Former State Security Documents“) ihre

    Arbeit auf, nachdem das albanische Parlament am 30. April 2015 ein Gesetz zur Öffnung der

    Akten des Geheimdienstes für alle Bürger des Landes beschlossen hatte. Es dauerte 20 Jahre

    bis die Akten des Sigurimi gesichert wurden.

    Am 22. Mai 2019 besuchten wir das

    Unterlagenarchiv der Behörde in Tirana und

    sprachen mit der Leiterin der Behörde, Gentiana

    Sula, und ihren Mitarbeitern. Aktuell arbeiten 30

    Mitarbeiter in der kleinen Behörde, ein Ausbau auf

    60 Mitarbeiter ist geplant. Bislang sind 1.100

    Anträge von Bürgern auf Akteneinsicht

    eingegangen. Die Wartezeit vom Antrag bis zur

    Einsicht in die Akte beträgt zwischen 3 und 6

    Monaten. Es gibt auch viele wissenschaftliche und

    journalistische Anfragen. 1.500 Personen in Ämtern

    wurden bisher überprüft.15 Das Unterlagenarchiv

    umfasst 212.145 Akten und 250.000 Ton-

    Dokumente der zentralen Abteilungen in Tirana und

    der lokalen Sigurimi-Abteilungen, die in über 45

    Jahren Geheimdienstarbeit angelegt wurden.

    Allerdings sind diese Unterlagen teilweise noch

    immer verteilt auf drei Institutionen: Staatsarchiv,

    Innenministerium, Verfassungsschutz.

    14 Vgl. Adler, Sabine: Hervortreten aus dem Schatten des Kommunismus, Bericht vom 19.8.2017 im

    Deutschlandfunk (, abgerufen am 12.8.2019).

    15 Vgl. diese und weitere Angaben aus dem Gespräch mit Gentiana Sula und Mitarbeitern der Aktenbehörde am 22.5.2019 in den Mitschriften von Dr. Anke Geier.

    Akte der Sigurimi-Behörde (Foto: Anke Geier).

  • 13

    Das Unterlagenarchiv hat jedoch die Oberhoheit über die Akten des Sigurimi. In einem noch

    im Bau befindlichen Archivneubau sollen alle Akten dann an einem Ort gelagert werden. Seit

    dem Bestehen des Unterlagenarchives werden auch Fortschritte in der Forschung und

    Aufarbeitung erzielt. Bisher sind zwei wissenschaftliche Konferenzen abgehalten worden. Die

    erste Konferenz befasste sich mit den verschiedenen Lagern in Albanien, die zweite mit dem

    kommunistisch konstruierten Feindbild des „Volksfeindes“. Wenig erstaunt war die Delegation

    über die Aktenvernichtung innerhalb der Sigurimi bis 1991, die offiziell vom Innenministerium

    im Jahr 1989 angewiesen wurde – eine Parallele zur Staatssicherheit der DDR. Eine interne

    Arbeitsgruppe der Behörde soll in Zukunft klären, ob es auch nach 1991 zu

    Aktenvernichtungen gekommen war.16

    Am frühen Nachmittag des 22. Mai sprachen wir mit Vasylika Hysi von der Sozialistischen

    Partei, Vize-Präsidentin des albanischen Parlaments und Vorsitzende der Unterkommission

    für Menschenrechte sowie mit Abgeordneten verschiedener Ausschüsse und Fraktionen über

    die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Albanien. Hierbei wurde deutlich, dass die

    bisherige Aufarbeitung innerhalb der Parteien Albaniens unterschiedlich wahrgenommen wird.

    Es wurde auf das bereits Erreichte verwiesen, aber auch auf die Schwierigkeiten, die eine

    echte Aufarbeitung erschweren wie bspw. personelle Kontinuitäten in staatlichen Funktionen

    und den Parteien. Mitunter entstand bei der Reisegruppe der Eindruck, die Parlamentarier

    erhofften sich von uns Hinweise, wie die Aufarbeitung in Albanien zu geschehen habe. Nach

    dem Parlamentstermin sprachen wir mit Enkeldej Alibeaj, Mitglied der Demokratischen Partei

    und ehemaliger Abgeordneter des Parlaments (kurz vor unserer Reise hatten nahezu alle

    Abgeordneten der Demokratischen Partei ihr Mandat niedergelegt, um Neuwahlen zu

    erzwingen). Alibeaj ist zugleich Mitglied der Kommission zur Aufarbeitung der Vergangenheit

    der Demokratischen Partei Albaniens.

    Nach diesem Gesprächstermin trafen wir an der Universität Tirana auf Vertreter des Institutes

    für Geschichte. Neben dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Andi Pinari nahmen auch die

    Vizerektorin der Universität und weitere Mitarbeiter teil. Am Institut für Geschichte betreuen

    15 Dozenten sowie externe Wissenschaftler knapp 800 Bachelor- und Masterstudierende. Es

    werden alle Phasen der albanischen Geschichte gelehrt. Das Interesse der Studierenden am

    19. und 20. Jahrhundert sei besonders hoch. Diesbezüglich wird auch mit dem Staatsarchiv

    und der Behörde für die Unterlagen des Sigurimi zusammengearbeitet. In den Gesprächen

    wurde uns erläutert, dass es in Albanien eine Rückbesinnung auf die kommunistische Zeit gibt,

    16 Vgl. Godole, Jonila: Albanien: Deutschland als Musterland, Bericht vom 1.8.2016, hrsg. von der

    Bundeszentrale für Politische Bildung (, abgerufen am 12.8.2019).

  • 14

    die auch durch die politische Narration hervorgerufen wird. So würden bei

    Gedenkveranstaltungen am Nationalfeiertag am 29.11. (Gedenktag zur Erinnerung an die

    Befreiung von den Nationalsozialisten) ehemalige kommunistische Partisanen und Kämpfer,

    aber auch Vertreter aus der Politik Symbole des Kommunismus tragen, wie bspw. Porträts von

    Enver Hoxha. Auch die nostalgische Erinnerung an die vermeintliche Sicherheit in der

    damaligen Diktatur schaffe eine positiv konnotierte Rückerinnerung an die kommunistische

    Zeit. Dagegen werde an der Universität versucht, mit verschiedenen Projekten mit dem Institut

    zur Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen in Albanien – wie Sommerschulen,

    Zeitzeugengesprächen, Projektfahrten nach Spaç, kleinere Aufträge für Museen, wie das

    „Haus der Blätter“ – sowie verschiedenen Vorlesungen über die kommunistische Diktatur

    aufzuklären und die jungen Studierenden für diese jüngere Geschichte zu sensibilisieren.

    Am Abend wurden wir von der deutschen Botschafterin Susanne Schütz in der Deutschen

    Botschaft empfangen und kamen dort ins Gespräch mit Vertretern von NGOs und Initiativen,

    die sich um die Aufarbeitung bemühen.

    Am Donnerstag, den 23. Mai besuchten wir das ehemalige Internierungslager „Kampi i

    Tepelenës“ in Tepelena in der Region Gjirokastra im Süden Albaniens. Tepelena ist vor allem

    als Geburtsort Ali Paschas bekannt, der um 1810 große Teile des osmanischen Albaniens und

    Griechenlands beherrschte. Zum Gedenkort wurden wir begleitet von Simon Mirakaj, der u. a.

    in Tepelena interniert war, sowie von den Wissenschaftlern Miran Butka vom Institut zur

    Erforschung der Verbrechen des albanischen Kommunismus und Jonila Godole vom Institute

    for Democracy, Media and Culture und Studierenden der Universität Tirana.

    Simon Mirakaj führte uns durch das Lager, das zwischen 1945 und 1953 bestand und in dem

    ca. 3.000 Frauen, Kinder und Männer interniert waren. Das Areal des Lagers Tepelena war im

    griechisch-albanischen Krieg Militärgelände und wurde damals auch vermint. Simon Mirakaj

    erzählte uns, dass mitunter alte Minen explodierten während sich die Internierten nach 1945

    auf dem Hof zum Apell versammeln mussten.17 Die Lagerinsassen waren nach dem Prinzip

    der Sippenhaft verurteilt worden und kamen als Angehörige von „Volksfeinden“ und politischer

    Häftlinge in die Lager, die im ganzen Land verteilt waren. Das Lager in Tepelena wurde durch

    die Polizei verwaltet und bestand aus 5 Wohnbaracken, in denen jeweils bis zu 600 Menschen

    in Stockbetten untergebracht waren. Weiterhin gab es eine Krankenstation – wobei ein Arzt

    nur einmal im Monat kam –, eine Bäckerei, eine Küche, Unterkünfte für die Polizeikräfte und

    Tierställe. Die Gebäude waren um einen Innenhof gebaut, auf dem sich zweimal täglich zum

    17 Vgl. Mitschriften des Rundgangs von Dr. Anke Geier und den Bericht von Sabine Adler:

    Aufgewachsen im Gulag – Erinnerungen, die nicht vergehen vom 24.10.2017 in Deutschlandfunk Kultur , abgerufen am 8.8.2019).

  • 15

    Apell versammelt werden musste. Das Lager war mit Stacheldraht umzäunt. Außerhalb des

    Lagers befand sich ein Gemüsegarten für die Verpflegung der Wachen.

    Blick auf das Internierungslager Tepelena (Barracken hinter dem Fußballplatz) (Foto: Anke Geier).

    Im Lager in Tepelena sind ca. 1.000 Alte und 300 Kinder verstorben: aufgrund von Hunger

    und der unzumutbaren hygienischen Zustände und der explodierenden Minen. Die Toten

    wurden außerhalb vergraben, wobei der angrenzende Fluss Vjosa die Gräber oft

    überschwemmte und die Gebeine forttrug. Zum Andenken an die verstorbenen Kinder wurden

    300 aus Spenden finanzierte Zypressen im Hof der Anlage gepflanzt. Simon Mirakaj hofft, das

    erläuterte er während der bedrückenden Führung durch das Gelände, dass in Zukunft ein

    Museum in einer der noch besser erhaltenen Baracke eingerichtet wird. Zurzeit erinnern

    lediglich ein Gedenkstein und die 300 Zypressen an die Opfer des Lagers. Eine Tafel, die über

    das Lager informiert, fehlt. Die Gebäude auf dem Gelände verfallen zusehends und zahlreiche

    wilde Müllablagerungen signalisieren den Stellenwert, der diesem Gedenkort zuteilwird.

    Das System von Arbeits- und Internierungslagern wurde relativ früh in Albanien installiert und

    blieb bis zum Ende der Diktatur bestehen: Die Haftanstalten im Land waren von Beginn an

    aufgrund der vielen politisch Inhaftierten rasch überbelegt, so dass die Gefangenen, aber auch

    ihre Familienangehörigen in Arbeits- und Internierungslagern untergebracht wurden. 1947

    bestanden bereits 4 Lagerkomplexe. Nach und nach entstand ein System an Lagern im

    ganzen Land, meist in der Nähe von Großbaustellen und Bergwerken. Lagerinsassen ab

  • 16

    14 Jahren mussten Zwangsarbeit verrichten. So wurden unter schwersten Bedingungen

    Sümpfe (u. a. die Sumpfgebiete von Maliq bei Korça und Myzeqeja) und Moore trockengelegt,

    Wohnblöcke (u. a. in Tirana), Raffinerien, Kanäle, Straßen, Eisenbahnstrecken und Flughäfen

    (ziviler Flughafen in Tirana, Militärflughafen in Kuçova) gebaut. In den Internierungslagern

    sollen zwischen 1945 und 1990 ca. 11.500 Familien, also knapp 60.000 Menschen

    untergebracht gewesen sein, davon 48.217 Männer und 10.792 Frauen.18

    Die Gefangenen aus den Haftanstalten des Landes verrichteten ebenfalls Zwangsarbeit, meist

    förderten sie bei unerfüllbaren Arbeitsnormen und unter primitivsten, unmenschlichen

    Bedingungen Erze und Mineralien. Im System der Lager bestanden auch vollständig isolierte

    Gebiete, sogenannte „geschlossene Dörfer“. Dorthin wurden Angehörige politischer

    Gefangener verbannt. In Albanien wurde das Lagersystem, das dem stalinistischen GULag

    entsprach, nach den Enthüllungen auf dem XX. Parteitag der KPdSU und der einsetzenden

    (kurzen) „Tauwetterperiode“, nicht aufgelöst, sondern bestand bis zum Ende der Diktatur fort.19

    Simon Mirakaj führt uns durch das ehemalige Internierungslager, Ilda Themeli dolmetscht (Foto: Anke

    Geier).

    18 Vgl. Mitschriften zu den Arbeits- und Internierungslagern von Dr. Anke Geier beim Museumsbesuch

    im Historischen Nationalmuseum in Tirana. Abschrift aus der Ausstellung. 19 Vgl. Historisches Nationalmuseum, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur

    Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 18-19.

  • 17

    Simon Mirakaj war 44 Jahre – vom 17. Juni 1945 bis zum 4. Juli 1989 – in Lagern interniert.

    Sein Vater hatte gegen den Diktator Hoxha gekämpft und die Familie kam in Sippenhaft ins

    Lager. Kaum geboren, wurde Simon Mirakaj mit 11 Tagen mit seiner Mutter und seiner

    Schwester zunächst in Berat interniert. Dann kamen sie nach Tepelena. Er berichtete uns in

    der Führung sehr eindrücklich seine Kindheitserinnerungen an Tepelena. Als er 8 Jahre alt

    war, wurde das Lager geschlossen und seine Familie wurde rund um Luschnja in den Lagern

    Lugo, Dschasa, Ramsa, Tscherma, Gradisch (ab 1957), Grabian (1960), Kosova und Dragott

    untergebracht. Rund um Luschnja gab es 14 Internierungslager. Hier war ein großes

    Feuchtgebiet, dass die Gefangenen trockenlegten.20 1967 kam Simon Mirakaj in ein Lager in

    Sabre, später dann nach Jaz. An Tepelena erinnert er vor allem den großen Hunger, den die

    Insassen litten. Zweimal am Tag gab es eine wässrige Suppe mit grob gemahlenen Körnern

    und meist Würmern. Die Suppe wurde aufgrund des großen Hungers meist bereits auf dem

    Weg zurück in die Baracke gegessen. Die Polizeiwachen hielten sich in den Ställen Schweine,

    die mit Gemüse und Melonen gefüttert wurden. Manchmal haben die Kinder heimlich das

    Futter der Schweine essen können. An die Schule erinnert er einen steilen Schulweg, der sehr

    anstrengend war, da die Kinder diesen ohne Frühstück und mit Hunger antraten. Die örtlichen

    Bauern und „einfachen Leute“ steckten den Kindern ab und an etwas Brot zu. Die Kinder

    besuchten bis zur 7. Klasse den Unterricht in der örtlichen Schule und durften hierfür das Lager

    verlassen. Anschließend mussten sie aber immer durch das Lagertor zurück. Sobald sie 14

    Jahre alt wurden, wurden sie zur Zwangsarbeit herangezogen. In Tepelena mussten sie in den

    umliegenden Bergen Holz fällen. Dort gaben die Bauern seiner Schwester, die schon älter war

    und bereits Zwangsarbeit verrichten musste, ab und an etwas Käse. Manchmal sammelte sie

    auch wilde Birnen. Die Welt der kleineren Kinder im Lager bestand aus Stacheldraht. Gespielt

    wurde mit Steinen und selbstgebastelten Bällen. Simon Mirakaj erzählte uns während der

    Führung viele Ereignisse, die er erlebt hat und die den Alltag in den Lagern widerspiegeln. Er

    sprach auch von schönen Momenten, wie gemeinsame Gebete und Feiern unterschiedlicher

    Konfessionen. Er erinnert vor allem die Solidarität innerhalb der Lagergemeinschaft. Die

    älteren Internierten halfen den Jüngeren, sich weiterzubilden. Im Lager Sabre vermittelten ihm

    viele internierte Intellektuelle die Liebe zu Literatur und Musik. Heimlich hörten sie das

    italienische Musikfestival San Remo im Radio. Obwohl die Internierten physisch isoliert und

    niemals in Freiheit waren, war ihr Geist frei, so Mirakaj.

    Im anschließenden Zeitzeugengespräch im Kulturzentrum von Tepelena sprach Herr Mirakaj

    schließlich sehr reflektiert über sein eigenes Leben, auch über die Zeit nach der Lagerhaft. Als

    20 Vgl. Sabine Adler: Aufgewachsen im Gulag – Erinnerungen, die nicht vergehen vom 24.10.2017 in

    Deutschlandfunk Kultur , abgerufen am 8.8.2019).

  • 18

    ihm am 4. Juli 1989 um 11 Uhr mitgeteilt wurde, dass er frei sei, ging er als Erstes zum Meer,

    das er bis dahin noch nie gesehen hatte und obwohl er nicht schwimmen konnte. Bis dahin

    war sein längster Weg zum Spazieren im Lager 150 Meter. 1992 konnte er sich dann einen

    Traum erfüllen und mit einer Ausnahmegenehmigung Jura studieren. Danach arbeitete er im

    albanischen Innenministerium. Von 2002 bis 2013 leitete er einen Opferverband (Institut für

    politisch Verfolgte). Diese Arbeit sei schmerzhafter und mühevoller gewesen als seine

    Lagerzeit, denn er konnte den Menschen nicht helfen. Die Entschädigung der Opfer war und

    ist ein komplizierter Vorgang, immer auch abhängig vom politischen Willen. Viele in Tepelena

    Internierte erhielten keine Entschädigung, da sie keinen Beleg ihrer Internierung vorweisen

    konnten. Simon Mirakaj erhielt für die 44 Jahre Lagerhaft immerhin knapp 17.000 Euro. Zwar

    versuchte die Demokratische Partei damals, als sie Anfang der 1990er-Jahre die erste

    Regierung Albaniens stellte, den politisch Verfolgten zu helfen. Im Parlament saßen

    30 Abgeordnete aus den Reihen der politisch Verfolgten. Auch der damalige

    Parlamentspräsident hatte als politisch Verfolgter 28 Jahre im Gefängnis gesessen. Das

    unbefriedigende Entschädigungsverfahren läuft dennoch bis heute und wird von vielen

    Betroffenen als Farce beschrieben.

    Gruppenfoto mit Simon Mirakaj vor dem Kulturzentrum in Tepelena (Foto: Anke Geier).

    Simon Mirakaj engagiert sich noch immer für die Opfer: Seit 2017 ist er im Beirat der Sigurimi-

    Unterlagen-Behörde aktiv. Zudem wirkt er als Zeitzeuge und berichtet über das Leben in den

  • 19

    Internierungslagern – ohne Groll, obwohl er bis heute keine Entschuldigung erfahren hat, für

    das, was ihm und anderen angetan wurde. Über die Dorfbewohner, die rund um die Lager

    lebten, geht ihm kein schlechtes Wort über die Lippen. Sie wären immer gut mit ihm

    umgegangen. Simon Mirakaj trägt damit wesentlich dazu bei, dass irgendwann eine

    Versöhnung mit dieser dunklen Vergangenheit in Albanien möglich wird. Die Kraft hierfür

    bezieht er aus seinem Glauben. Zum Ende des Gesprächs, erinnert Simon Mirakaj an die

    Mütter in den Lagern, die ein Denkmal erhalten müssten. Ohne deren Kraft und ihre Sorge,

    wäre das Leben in den Internierungslagern, vor allem für die Kinder, noch schwieriger

    gewesen.

    Zustand des ehemaligen Internierungslagers Tepelena 2019 (Foto: Anke Geier).

    Auch das Historische Nationalmuseum am zentralen Skanderbeg-Platz in der Hauptstadt

    Tirana, das wir am 24. Mai besichtigten, hält die Erinnerung an die Arbeits- und

    Internierungslager wach. Im seit 1981 bestehenden Historischen Nationalmuseum wird seit

    1991 auch die kommunistische Zeit dargestellt. Mit dem Umbau des Museums erfuhr diese

    Ausstellung eine Überarbeitung. In der ständigen Ausstellung wird das Thema

    kommunistische Verfolgung anhand von Originaldokumenten, Fotografien und authentischen

    Gegenständen gezeigt. Angefangen mit der Machtübernahme Enver Hoxhas im Jahr 1944

    (durch die Unterstützung jugoslawischer Kommunisten), werden die Ausschaltung der legalen

    Opposition (u. a. durch Scheinprozesse und Sondergerichte gegen bspw. Abgeordnete

    nichtkommunistischer Parteien), die diversen Säuberungskampagnen im Land (in der eigenen

  • 20

    Partei, gegen Religionsführer und Intellektuelle usw.), aber auch der Widerstand gegen das

    kommunistische Terrorregime, das System der Arbeits- und Internierungslager und der

    Gefängnisse gezeigt. In der Ausstellung, die in albanischer und teilweise englischer Sprache

    gehalten ist, wird zudem auf das tödliche Grenzregime eingegangen. Albanien war seit der

    totalen Isolation ab 1978 hermetisch abgeriegelt. Beim Versuch, die Grenze nach Jugoslawien

    und Griechenland zu überwinden, starben über 1.000 Albaner und über 14.500 Menschen

    wurden bei Fluchtversuchen verhaftet.21 Die Mehrzahl der Grenztoten waren junge Männer

    unter 30 Jahren. Beispielsweise Sokol Lika, der am 23. Mai 1980 18-jährig starb.22 Einige, der

    in der Ausstellung angegebenen Zahlen, vor allem auch zu den Grenzopfern, sind nicht

    endgültig. Der Museumsdirektor Dorian Koçi erhofft sich durch die Öffnung der Sigurimi-Akten

    weitere Erkenntnisse, auch bezüglich der Opferzahlen. Viele Grenztote gab es in Albanien

    noch 1990, bevor im Juli 1990 eine Fluchtwelle in die ausländischen Botschaften und

    diplomatischen Vertretungen einsetzte. Bis zu 6.000 Menschen flohen damals in die

    internationalen Botschaften in Tirana. Dies und der Zusammenbruch der kommunistischen

    Diktatur sowie die beginnende Aufarbeitung werden ebenfalls in der Ausstellung

    angesprochen.

    Die Gruppe auf dem Weg zum Historischen Nationalmuseum in Tirana (Foto: Anke Geier).

    21 Vgl. Albanien, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer

    der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 15. 22 Vgl. Mitschriften von Dr. Anke Geier beim Museumsbesuch. Abschrift aus der Ausstellung.

  • 21

    Nachdem Enver Hoxha 1985 eines natürlichen Todes gestorben war, setzte sein Nachfolger

    Ramiz Alia als Parteivorsitzender zunächst die Politik der kommunistischen Partei fort. Zwar

    leitete er wirtschaftliche Reformen und eine zaghafte Öffnung des isolierten Landes ein, doch

    im Gefolge der Ereignisse in der Sowjetunion und im übrigen Ostblock breitete sich, zunächst

    ab Januar 1990 in Shkodra, dann im ganzen Land Widerstand gegen das herrschende

    kommunistische Regime aus. Unter diesem Druck wurden zunächst religiöse Akte erlaubt und

    die Religionsausübung von der Liste der Delikte, die mit der Todesstrafe belegt waren,

    gestrichen.23 Die Gewaltausbrüche gegen protestierende Studierende in Tirana im Sommer

    1990 hielten den antikommunistischen Widerstand nicht auf. Mitte Dezember 1990 verzichtete

    die kommunistische Partei auf ihren Alleinvertretungsanspruch. Am 12. Dezember 1990

    gründete sich die Demokratische Partei Albaniens. Dennoch ging aus den ersten freien

    Wahlen 1991 die Nachfolgepartei der stalinistischen Kommunisten – die Sozialdemokratische

    Partei – als Sieger hervor. Das Jahr 1991 war von vielen Unruhen gekennzeichnet. Am 20.

    Februar 1991 wurde die Statue des Diktators Hoxha auf dem Skanderbeg-Platz von wütenden

    Demonstranten gestürzt. Ein symbolträchtiger Akt der Revolution, die in Albanien nicht friedlich

    blieb. Die Polizei feuerte in die Menge, zahlreiche Studierende starben. 1992 kam es dann zu

    Neuwahlen und die Demokratische Partei übernahm die Regierung.24

    Aufarbeitungsbemühungen seit 1991 Die Aufarbeitungsbemühungen in Albanien besprachen wir u. a. am Nachmittag des 24. Mai

    mit Vertretern albanischer Opferverbände (u. a. mit Gezim Peshkepia) und des Instituts zur

    Erforschung der Verbrechen des Kommunismus (Agron Tufa, Miran Butka) und einer privaten

    Initiative, die sich bemüht ein Online-Archiv in Albanien aufzubauen (Clerina Shehaj).

    Unmittelbar nach dem Ende der Diktatur gab es so gut wie keine Aufarbeitung. Im Gegenteil:

    die alte Elite – hochrangige Mitglieder der kommunistischen Partei, Staatsanwälte und Richter

    – positionierte sich erneut in öffentlichen Ämtern und in der Politik. Die strafrechtliche

    Aufarbeitung der Verbrechen der kommunistischen Herrschaft, wie in Deutschland nach dem

    Mauerfall, blieb aus. Niemand wurde für die Verbrechen zur Verantwortung gezogen. Eine

    Rehabilitierung und Entschädigung der politisch Verfolgten kamen nicht zustande. Die politisch

    Verfolgten schlossen sich bald in Opferverbänden zusammen, um eine Rehabilitierung und

    Entschädigung zu erwirken. Nicht immer mit Erfolg. Zwar erhielten einige Familien, die

    enteignet worden waren, ihr Eigentum zurück, aber viele warten noch bis heute auf die ohnehin

    geringe Kompensationszahlung des Staates für das erlittene Unrecht. Oftmals fiel den

    23 Vgl. Albanien, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer

    der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 16. 24 Vgl. Albanien, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer

    der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 16.

  • 22

    Betroffenen schwer, den Nachweis der Verfolgung zu erbringen.25 Der Zugang zu den

    Sigurimi-Akten ist seit wenigen Jahren möglich, was möglicherweise in Zukunft einen

    erleichterten Nachweis von Verfolgung in Form von Haft, Internierung, Verbannung,

    Enteignung usw. gestattet.

    Mittlerweile hat sich einiges, was die Aufarbeitung betrifft, getan. Das berichten auch

    Teilnehmer der ersten Studienfahrt nach Albanien, die im Mai 2010 stattfand. Damals reisten

    Vertreter deutscher Aufarbeitungsinstitutionen und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der

    SED-Diktatur nach Albanien. Sie trafen dort auf Personen und Institutionen, die sich um die

    Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit Albaniens bemühen.26 Zum damaligen

    Zeitpunkt bestanden keine Erinnerungsorte, Gedenkstätten und Museen. Die Geschichte des

    albanischen Kommunismus wurde nicht erzählt oder in den Schulen vermittelt. Auch viele

    Betroffene schwiegen.27 Mittlerweile ist eine kleine Aufarbeitungslandschaft herangewachsen,

    die allerdings auch in Zukunft weiter gepflegt werden muss. Die „Pflege“ erfolgt teilweise mit

    ausländischer Expertise und Kapital. Hier bleibt nur zu hoffen, auch für die weitere

    Demokratisierung des Landes, dass die Albaner zukünftig ihre Geschichte selbstverantwortlich

    in die Hand nehmen können.

    Um die Betroffenen zu unterstützen und die Verbrechen der Kommunisten zu erforschen sowie

    die Bevölkerung für die Geschichte der kommunistischen Diktatur zu sensibilisieren, gründete

    sich 2010 per Gesetz des albanischen Parlaments das Institut zur Erforschung der Verbrechen

    des Kommunismus in Albanien.28 Es wird von Betroffenen geleitet und dokumentiert die

    Verbrechen der Kommunisten in Albanien. Hierzu sammelt es Zeitzeugenberichte sowie

    Belege für die Verbrechen in Form von Dokumenten aus den Archiven. Mittels Bildungs- und

    Zeitzeugenprogrammen informiert das Institut an Schulen über die Diktatur, da die

    Auseinandersetzung mit dem Thema im Schulunterricht kaum oder sehr verkürzt und teilweise

    unkritisch erfolgt. Das Institut mit seinen 15 Mitarbeitern berichtet einmal im Jahr im

    albanischen Parlament. Die Interviews mit Zeitzeugen werden mittels der Methode Oral

    History erhoben, d. h. die Zeitzeugen sprechen möglichst unbeeinflusst über das Erlebte. Meist

    entstehen sehr lange Interviews von 7 bis 8 Stunden, die auf Video aufgenommen werden.

    25 Vgl. Albanien, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer

    der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 16-17. 26 Vgl. die Veranstaltungsnachlese zur Studienfahrt nach Albanien 2010 auf der Webseite der

    Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (, abgerufen am 12.8.2019).

    27 Vgl. Cama, Aida: Die Albaner lieben ihre Geschichte, aber nicht die der kommunistischen Diktatur, in: Gerbergasse 18. Thüringer Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte und Politik, 3/ 2010, Heft Nr. 58, S. 21-22.

    28 Vgl. die Webseite des Institutes .

  • 23

    Spezialisten transkribieren diese Gespräche und anschließend werden sie veröffentlicht und

    zur weiteren Forschung genutzt. Dr. Agron Tufa, der Direktor des Institutes, informierte uns

    über ein Sonderprojekt, das bald zum Abschluss kommt. Es wurde eine Enzyklopädie über die

    Opfer des kommunistischen Regimes erstellt. In mehreren Bänden sind die Daten und

    Kurzbiografien aller Opfer politischer Verfolgung in Albanien dargestellt. Weiterhin erschienen

    vom Institut bisher über 100 Artikel und Veröffentlichungen zum Thema, wie beispielsweise

    ein Buch mit Zeichnungen und Skizzen des Zeitzeugen Lek Pervizi, die das Leben im

    Internierungslager von Tepelena darstellen. Auch ein Buch über die Fotomanipulationen

    während der kommunistischen Diktatur in Albanien, wie man es vor allem aus der Sowjetunion

    unter Stalin kennt, wurde herausgegeben. Auf Fotografien wurden damals Personen

    herausretuschiert, die dem Regime gegenüber in Ungnade gefallen waren.

    Im Gespräch, u. a. mit Agron Tufa, Gezim Peshkepia (Foto: Anke Geier).

    Ebenfalls Biografie-Arbeit betreibt die privatrechtliche Stiftung Online-Archiv der Opfer des

    Kommunismus, die 2018 mit Unterstützung des Politikers der Demokratischen Partei und

    Unternehmers, Agron Shehaj, gegründet wurde.29 Ziel der Stiftung ist es, die Gesellschaft über

    die kommunistische Vergangenheit aufzuklären und politisch Verfolgten eine Stimme zu geben

    29 Vgl. die Webseite der Stiftung („Erinnere!“) sowie den Bericht von Walter Mayr über

    Agron Shehaj „Der Ruf aus Tirana“ im Magazin DER SPIEGEL Nr. 32 von 2015, S. 87 (, abgerufen am 8.8.2019).

  • 24

    sowie Anlaufstelle für diese zu sein. Bislang wurden auf einer multimedialen Plattform 52.000

    Kurzbiografien veröffentlicht, die von einer Gruppe von Journalisten erarbeitet wurden. Diese

    Steckbriefe wurden mit Fotos ergänzt, die von den Familien der Opfer zugesteuert wurden.

    Videos und Dokumentarfilme werden auch produziert und hochgeladen. Die Plattform dient

    vor allem der Vernetzung und dem Austausch der Familien mit anderen Betroffenen. Über

    soziale Netzwerke, so erklärte Clerina Shehaj, würde eine entsprechende Reichweite des

    Themas bewirkt. So hätte beispielsweise ein Video über 40.000 Klicks erhalten. Die Stiftung

    erreichte zudem die Umbenennung einer Straße nach einem Opfer, hielt einen Gedenktag ab

    und will in Zukunft mittels eines Stipendienprogramms Studierende anregen über die

    kommunistische Vergangenheit zu forschen.

    Anschließend sprachen wir mit dem deutschen OSCE-Botschafter in Albanien, Bernd

    Borchardt, und Dr. Jonila Godole vom Institute for Democracy, Media and Culture und Klaudia

    Zerva von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Albanien über die aktuelle Politik und die

    Auswirkungen aktueller Herausforderungen auf die Aufarbeitungslandschaft in Albanien.

    Das Institute for Democracy, Media and Culture (IDEM) ist eine unabhängige, gemeinnützige

    Forschungs- und Politikorganisation, die seit 2012 besteht. Es verfügt über ca. 15.000 Euro

    Haushaltsmittel im Jahr und wird durch Mitgliedsbeiträge, aber auch durch Mittel der

    Regierung, von Unternehmen und Privatpersonen gefördert. Hauptpartner des IDEM sind der

    Demokratiefonds der Vereinten Nationen sowie verschiedene deutsche und europäische

    Stiftungen. Das IDEM führt Projekte durch, die sich mit der Rolle der Medien in

    Demokratisierungsprozessen und mit der Entwicklung von Informations- und

    Kommunikationstechnologien befassen. Geleitet wird das Institut von Dr. Jonila Godole. Im

    Bereich der Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur wurden vor allem mit Journalismus-

    Studierenden Projekte durchgeführt. So wurde eine Dokumentation gedreht, in der junge

    Menschen aus acht albanischen Regionen interviewt wurden. Hierbei kam als Ergebnis

    heraus, dass die albanische Gesellschaft eine nostalgische Gesellschaft ist und, dass junge

    Albaner kein Wissen über die kommunistische Vergangenheit haben. Bis jetzt wurden vom

    IDEM 40 bis 50 Projekte umgesetzt. Ziel ist es, über die Vergangenheit zu sprechen und den

    Diskurs in der Öffentlichkeit anzustoßen. Was zunächst mit Studierenden begonnen hat, wird

    nun bereits mit Schülern fortgesetzt. So wurde ein sehr populärer Wettbewerb initiiert, der sich

    „Frag deine Großeltern“ nennt. Hierfür wurde den Schülern eine Anleitung zur Oral-History-

    Befragung mitgegeben. Weiterhin unterstützt das Institut Lehrende an den Schulen, die

    mitunter sehr wenig Information über die kommunistische Diktatur haben. Ein Fazit von Frau

    Godole war, dass im Süden Albaniens, dieser Bildungsauftrag immer schwieriger wird. Es gibt

    dort sehr viele Nostalgiker, auch unter den Lehrern an den Schulen. Um dem

  • 25

    entgegenzuwirken, erstellte das IDEM Lehrmaterial mit Archivdokumenten und didaktischen

    Hinweisen zur Vermittlung. Es wurden bereits mehrere 100 Lehrer geschult, die das

    kostenfreie Material auch nutzen.30

    Das Fazit der Gespräche am 24. Mai mit den Vertretern verschiedener Institutionen war, dass

    es in Albanien in Bezug auf die kommunistische Vergangenheit keine Gerechtigkeit gebe. Die

    Entschädigung der politisch Verfolgten sei undurchsichtig und uneinheitlich. Viele Opfer

    würden nicht entschädigt, beispielsweise würden die unter Sippenhaft internierten Frauen und

    Kinder keine Entschädigung erhalten. Die ersten Opfer, also diejenigen, die unter der ersten

    Regierung der Demokratischen Partei Entschädigung beantragt hätten, wären „Gewinner“

    gewesen. Andere, die im Ausland lebten und später Entschädigungsforderungen gestellt

    hätten, würden keine Entschädigung erhalten. Das Prozedere der Antragstellung wäre zudem

    für die Betroffenen mühselig, da sie in der Pflicht seien, Nachweise ihrer Verfolgung zu

    erbringen. Extrem belastend wäre zudem, die Retraumatisierung der Opfer, die ständig auf die

    Täter treffen würden. Zahlreiche Täter sind seit den 1990er-Jahren wieder in wichtigen Ämtern

    untergekommen. Dr. Godole plädierte dafür, die Namen der Täter zu nennen, um so ein klein

    wenig Gerechtigkeit zu erlangen.31 Die Probleme der ehemals politisch Verfolgten würden in

    Albanien zudem durch die tagtäglichen Schwierigkeiten, wie ein schlechtes

    Gesundheitswesen, das teilweise nur durch Schmiergeldzahlungen funktioniert, zwar in den

    Hintergrund gedrängt, aber sie bestehen fort. Was zurzeit fehlt, ist eine professionelle

    Anlaufstelle zur Beratung von Betroffenen ähnlich den Beratungsinitiativen SED-Unrecht, die

    von den Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Deutschland initiiert

    wurden. Die verschiedenen Opfergruppen sind aufgrund von Zusammenarbeit mit Politikern

    der Sozialdemokratischen Partei und der Demokratischen Partei untereinander zerstritten und

    gespalten. Es herrscht mitunter eine Form der „Leidenskonkurrenz“. Selbst nach 30 Jahren

    sind die Betroffenen politischer Verfolgung von dem Gefühl beherrscht, dass lediglich

    internationale Institutionen die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit fördern. Das

    deutsche Modell der Aufarbeitung, d. h. die Förderung der Opferverbände, die

    wissenschaftliche Erforschung der Diktatur und die Aufklärung der Öffentlichkeit, wird von den

    Albanern geschätzt. Das Vertrauen in albanische Strukturen sei dagegen gering, eher würde

    ausländischen Institutionen, wie der KAS oder der Bundesstiftung Aufarbeitung vertraut.

    Zumal ein überaus großes Problem, die Korruption im Land sei. Die Aufarbeitung in Albanien

    würde daher ohne ausländische finanzielle Unterstützung wegbrechen.

    30 Vgl. Mitschriften von Dr. Anke Geier beim Gespräch mit Dr. Jonila Godole. 31 Vgl. Mitschriften von Dr. Anke Geier beim Gespräch mit Dr. Jonila Godole.

  • 26

    Am letzten Tag unserer Studienreise, am 25. Mai 2019, besichtigten wir in Tirana das Museum

    „House of Leaves“ („Haus der Blätter“) und das Museum „BunkArt 2“. Diese beiden Museen

    offenbarten einen extremen Kontrast, was das Konzept und die didaktische Vermittlung der

    kommunistischen Vergangenheit betreffen.

    Das „Haus der Blätter“ (Muzeu Kombëtar „Shtepia me Gjethe“) wurde am 23. Mai 2017 eröffnet

    und ist damit das jüngste Museum Albaniens, das sich der kommunistischen Vergangenheit

    widmet.32 Das Haus selbst war seit 1950 Sitz der Abteilung V der albanischen Geheimpolizei

    Sigurimi. Diese Abteilung überwachte die in Albanien lebenden Ausländer und Diplomaten

    sowie die Albaner, die Kontakt zu Ausländern hatten.33

    Darstellung im „Haus der Blätter“: die Abteilung V des Sigurimi-Geheimdienstes überwachte die

    Gebäude in Tirana, in denen Ausländer lebten und arbeiteten (Foto: Anke Geier).

    Den Namen „Haus der Blätter“ erhielt das Gebäude durch den dichten Bewuchs mit

    Kletterpflanzen und die vielen Laubbäume am Haus, die verhinderten, dass das Gebäude von

    der Straße aus zu sehen war. Überhaupt kannten nur wenige Tiraner das Gebäude und

    dessen Aufgabe. Das Haus, das 1931 als Frauenklinik errichtet wurde, soll während des

    Zweiten Weltkrieges durch die deutsche Gestapo als Hauptquartier und Gefängnis genutzt

    32 Vgl. die Webseite des Museums . 33 Vgl. „Haus der Blätter“, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an

    die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 20.

  • 27

    worden sein. Nachdem die Kommunisten unter Enver Hoxha die Macht übernommen hatten,

    nutzte der Sigurimi das Objekt. Von 1991 bis 2006 war das Haus eine Zweigstelle des

    albanischen Nachrichtendienstes und zwischen 2006 und 2014 stand das Gebäude, das noch

    immer dem Nachrichtendienst gehörte, leer. 2014 übernahm das Kulturministerium das

    Gebäude mit dem Ziel, eine Gedenkstätte einzurichten. Anregungen für ein gestalterisches

    und inhaltliches Konzept, kamen u. a. aus Deutschland. Albanische Historiker und

    Wissenschaftler, Vertreter von albanischen Opferverbänden und Institutionen recherchierten

    Inhalte in den Archiven (Sigurimi-Behörde, Innenministerium, Staatsarchiv) und entwickelten

    ein stimmiges inhaltliches Konzept. Ein Architekturstudio setzte das gestalterische Konzept für

    das Museum um. Zwischen Mai 2017 und Anfang 2019 kamen bereits 30.000 Besucher, davon

    60 % Ausländer und 40 % Albaner. Im Museum werden Führungen für ausländische und

    inländische Besucher angeboten. Schulklassen der Mittelschulen und Gymnasien werden im

    Rahmen von Bildungsprogrammen kostenlos durchs Museum geführt. Zudem finden einmal

    im Jahr Schulprojekte statt, die Themen des Museums beinhalten. Das Museum arbeitet eng

    mit Wissenschaftlern und Studierenden zusammen, beispielsweise von der Tiraner

    Universität. An der Fakultät für Fremdsprachen werden aktuell Informationstexte für den

    Audio-Guide in die italienische und französische Sprache übersetzt.

    Das Museum ist in neun Bereiche aufgegliedert.34 Zu Beginn des Rundganges wird die

    Geschichte Albaniens von den 1930er-Jahren bis zum

    Ende des Jahrhunderts anhand des Hauses dargestellt.

    Im Gebäude finden sich viele materielle Spuren der

    Hausgeschichte. So sind beispielsweise im

    Eingangsbereich im Bodenpflaster Schriftzüge zu

    sehen, die auf die Nutzung als Frauenklinik hinweisen.

    Die ersten Jahre (1945 - 1946), in denen der Sigurimi

    das Gebäude als Gefängnis und für Verhöre nutzte, wird

    in einem Raum an den Wänden gezeigt. Dort sind

    schematische Zeichnungen der Foltermethoden

    dargestellt. Der Aufbau der Sigurimi und die Geschichte

    sowie die führenden Köpfe des Geheimdienstes werden

    ebenso dargestellt. Die Nutzung ab 1950, als Ausländer

    und Albaner mit Kontakt zu Ausländern von hier aus

    überwacht wurden, kehrt in der Ausstellung mit vielen

    Beispielen immer wieder (bspw. wurde 1986 in der

    34 Die neun Bereiche sind: „Bugs and other creatures“, „Living microphones“, „The enemy”, „External

    enemy”, „Intermezzo“, „Everyday life”, „Voices of the past”, „The Panopticon”, „Imperfect Past”. Vgl. hierzu auch die zweisprachige Broschüre des Museums: House of Leaves. The Museum of Secret Surveillance, hrsg. vom albanischen Kulturministerium.

    Darstellung der Foltermethoden

    (Foto: Anke Geier).

  • 28

    Kleinstadt Kukës der Briefwechsel von 55 Personen überwacht). Sei es, dass die Entwicklung

    der technischen Abhörmöglichkeiten in einem Raum sehr anschaulich dargestellt wird, indem

    zahlreiche Technik (Telefone, Kameras, Tonbänder, Aufnahmegeräte, Mikrofone,

    Abhörstationen, Computer usw.) auf einem großen Tisch symmetrisch drapiert wurden, oder

    sei es, dass eine Miniatur-Wanze, die kaum 1 Zentimeter groß ist, zu bestaunen ist. Diese

    Wanze wurde damals in einem Labor des Innenministeriums hergestellt. Überhaupt taucht „die

    Wanze“ immer wieder auf. In Albanien wird das Wort „Wanze“ auch als Synonym für die Spitzel

    bzw. Inoffizielle Mitarbeiter der Sigurimi benutzt. Im „Haus der Blätter“ liefen zwischen 1950

    und 1991 alle Informationen zusammen, die mit der neuesten Abhörtechnik abgefangen

    wurden und die die Ausländer in Albanien betraf. Im Haus wurden diese Informationen

    ausgewertet und an die Sigurimi-Zentrale im Innenministerium weitergegeben. Viele der

    technischen Geräte wurden aus dem Ausland importiert, aus der DDR, Bundesrepublik,

    Sowjetunion, China usw. Es wurde sehr viel Geld für die Technik ausgegeben.

    Technische Gerätschaften zum Abhören (Foto: Anke Geier).

    Im Museum wird auch die Arbeit der Geheimdienst-Spitzel gezeigt (u. a. mit einem Lehrfilm

    der Sigurimi), aber auch die Anwerbung und Arbeit eines Spitzels anhand von Dokumenten

    belegt. Ein weiterer Raum, der sehr bedrückend ist, gibt den Opfer der politischen Verfolgung

    einen Namen: Von oben bis unten sind die vier Wände des Raumes mit den Namen der Opfer

    beschrieben. Es sind die Exekutierten, aber auch die Verurteilten aufgeschrieben. Eine Leiter

  • 29

    in der Mitte des Raumes wurde symbolisch aufgestellt, um jeden Namen nachlesen zu können.

    Das Museum zeigt zudem den Alltag in Albanien ab den 1970erJahren. Ein typisches

    Wohnzimmer einer regimetreuen, bessergestellten Familie wird gezeigt mitsamt einem

    Fotorahmen (leer) an der Wand, der illustrieren soll, dass jede Familie in ihrer privaten

    Wohnung das Porträt von Enver Hoxha an der Wohnzimmerwand hängen haben musste.

    Das Museum „Haus der Blätter“ zeigt anschaulich die neuesten Erkenntnisse zur Geschichte

    der kommunistischen Diktatur und entspricht den modernen musealen Sehgewohnheiten. Bei

    einer Albanien bzw. Tirana-Reise ist der Besuch des Museums unbedingt zu empfehlen.

    Einen völligen Gegensatz zum Museum „Haus der Blätter“ stellt die multimediale Ausstellung

    „BunkArt II“ dar. Die Ausstellung findet sich in den zwischen 1981 und 1986 erbauten

    Schutzbunkertunneln des albanischen Innenministeriums im Stadtzentrum Tiranas. Zu sehen

    ist die Geschichte des albanischen Innenministeriums, der Geheimpolizei Sigurimi (dem

    Innenministerium unterstellt) und der albanischen Polizei. Kurator dieser Ausstellung (sowie

    der ersten Ausstellung „BunkArt I“ am Stadtrand von Tirana, ab November 2014) war der

    italienische Journalist Carlo Bollino.35 Die Nichtregierungskommission Qendra Ura unterstützt

    Bollinis Konzept, Geschichte und Kunst zu verbinden. Am 19. November 2016 wurde das

    Museum „BunkArt II“ eröffnet. Seitdem haben über 100.000 Besucher „BunkArt II“ und

    „BunkArt I“ gesehen.36 Das Museum zählt zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten der

    Hauptstadt.37 Im neueren BunkArt II-Bunker sind 24 Räume zu besichtigen, die einst der

    Führungselite Schutz vor atomaren, biologischen und chemischen Angriffen bieten sollte. Das

    Bunkerbauprogramm wurde zwischen 1973 und 1985 forciert. Von den über 200.000 Bunkern,

    die vor allem an der Staatsgrenze und den Küsten geplant waren, sollen 173.371 Bunker

    gebaut worden sein.38 Die Ausstellung „BunkArt II“ versprüht den Charme von Ausstellungen

    der frühen 1990er-Jahre in Deutschland über die SBZ und DDR und den Kommunismus, die

    für eine erste Information über die Verbrechen in der Diktatur essentiell waren, aber

    mittlerweile überholt sind, zumindest was die Sehgewohnheiten im Museum betrifft. Die

    Ausstellungsmacher würdigen zwar in der Eingangskuppel die Opfer des kommunistischen

    35 Vgl. „BunkArt I und BunkArt II“, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur

    Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 23-24 und die Webseite der Museen .

    36 Vgl. Mitschriften von Dr. Anke Geier beim Gespräch mit dem Leiter Ergys Gezka und Admirina Peçi am 25.5.2019 sowie den kritischen Artikel von Llazar Semini: Atombunker der Kommunisten als Touristenziel, in: WELT vom 7.5.2016 (, abgerufen am 12.8.2019).

    37 Vgl. Online-Artikel von Claus Hecking: Im Land der 173.371 Bunker, in: SPIEGEL Online vom 16.5.2017 (, abgerufen am 12.8.2019).

    38 Vgl. „BunkArt I und BunkArt II“, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 23.

  • 30

    Terrors, aber die Ausstellung und die ausgestellte Kunst lassen den reflektierten Besucher

    oftmals ratlos zurück. Viele Ausstellungsstücke bleiben merkwürdig unkommentiert, wie

    beispielsweise ein Frisörstuhl und um den Fuß des Stuhls drapierte Haare. Soll damit

    dargestellt werden, dass im Bunker (der niemals benutzt wurde) auch ein Frisör bereitstand?

    Einige Informationstafeln sind umrahmt mit Stacheldraht, wie beispielsweise eine Darstellung

    des Lebens im Internierungslager Tepelena. Quellenangaben zu den ausgestellten Objekten,

    Dokumenten und Fotografien fehlen. Gerade unter den Eindrücken des Vormittags im „Haus

    der Blätter“ wird man das Gefühl nicht los, dieses Museum sei eine „Touristenfalle“. Angelockt

    durch den Mythos Albaniens als „Land der 1000 Bunker“39 sind die Bunker mittlerweile

    Konsumgut geworden. Auch der Albanien-Tourist scannt auf seiner Fahrt durchs Land

    unwillkürlich die Landschaft auf der Suche nach den markanten Überbleibseln der Diktatur.

    Eingang zur Ausstellung BunkART II (Foto: Anke Geier).

    Wohltuend dagegen die Kunstinstallationen des Mahnmalkomplexes „Post-Bloc“, der sich an

    der ehemaligen Sperrzone im heutigen Tiraner Ausgehviertel „Blokku“ befindet. Ein Bunker,

    ein Stützsegment aus den Bergwerksstollen des Arbeitslagers Spaç und ein Originalsegment

    39 Vgl. hierzu den Online-Artikel von Maria Wiesner: Im Land der tausend Bunker, in: Frankfurter

    Allgemeine vom 5.8.2015 (, abgerufen am 12.8.2019). Miniatur-Bunker als Schlüsselanhänger und Aschenbecher usw. gibt es überall zu kaufen.

  • 31

    der Berliner Mauer erinnert an die kommunistische Diktatur und würdigt die Opfer. Am 26.

    März 2013 wurde das von Fatos Lubonja und Ardian Isufi entworfene Mahnmal-Ensemble

    eingeweiht.40

    Am Ende unserer Studienreise wollten wir die Grabstätten der durch das Regime Enver

    Hoxhas Ermordeten auf dem Friedhof bei der Mutter Albanien (Nëna Shqipëri) hoch über der

    Hauptstadt Tirana besuchen und wie so oft auf unserer Reise innehalten und Blumen für die

    Opfer der Diktatur niederlegen. Bedauerlicherweise war das Friedhofstor verschlossen, so

    dass die Reisegruppe unverrichteter Dinge umkehren musste.

    Die Reise nach Albanien, vor allem die Gespräche mit Zeitzeugen und mit den in der

    Aufarbeitung Engagierten halfen die eigene Arbeit in Deutschland zu reflektieren. Auch wenn

    die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Deutschland hier und da sicherlich

    verbessert werden könnte, steht diese im Gegensatz zu Albanien auf einem soliden

    finanziellen und personellen Fundament. Es gibt eine wissenschaftliche Aufarbeitung des

    Kommunismus an den deutschen Hochschulen und an Forschungsinstituten und in den

    Schulen ist die Zeit zwischen 1945 und 1990 Teil des Lehrplans. Opferverbände erhalten

    staatliche Unterstützung und haben eine Stimme, die sie erheben dürfen. Dies alles sollten wir

    festhalten und honorieren, gerade im Vergleich zu Albanien sowie zu anderen Staaten des

    Ostblockes, die in der Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte noch eine weite Strecke

    zurückzulegen haben. Nichtsdestotrotz machte diese Studienreise nach Albanien Mut, denn

    es wurde dort schon viel geschafft im Vergleich zur ersten Reise der Bundesstiftung nach

    Albanien im Jahr 2010. Ob dieser positive Weg der Aufarbeitung und Vermittlung der

    kommunistischen Vergangenheit weitergegangen wird, wird sich in der Zukunft zeigen.

    40 Vgl. Mahnmalkomplex „Post-Bloc“, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur

    Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 22.