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Studienreise nach Albanien – Bericht von Dr. Anke Geier
Die Studienfahrt der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur führte dieses Jahr nach
Albanien. Das Land auf der Balkanhalbinsel grenzt im Norden an Montenegro und den Kosovo,
im Osten an Nordmazedonien und im Süden an Griechenland und ist geprägt von einer
eindrucksvollen Landschaft und gastfreundlichen, interessierten Menschen. In Albanien leben
2,87 Millionen Menschen. Während der einwöchigen Reise tauchte unsere kleine Reisegruppe
tief in Albaniens jüngere Geschichte ein, die zwischen 1944 und 1990 geprägt war von
kommunistischem Terror und der totalen Isolation des Landes ab 1978. Die Reise führte uns
an verschiedene Stätten der kommunistischen Gewaltherrschaft. Daneben besuchten wir
zahlreiche Institutionen der Aufarbeitungslandschaft Albaniens und trafen Zeitzeugen und
Vertreter staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen sowie Politiker. Die Aufarbeitung der
albanischen kommunistischen Vergangenheit steht noch am Anfang, wobei mittlerweile
einzelne vielversprechende Gedenkorte und Museen bestehen. Andere, ebenfalls
bedeutsame Orte der Erinnerung, wie das ehemalige Gefängnis und Arbeitslager Spaç in den
Bergen Nordalbaniens und das ehemalige Internierungslager Tepelena im Süden, verfallen
jedoch zusehends. Mitunter entstand bei den teilnehmenden Reisenden der Eindruck, dass
dieser Verfall der Erinnerungsorte auch politisch gewollt ist. Ursachen hierfür liegen sicherlich
in der schwierigen politischen Konstellation, die seit Jahren die Entwicklung des Landes
lähmt.1 Fakt ist, dass es in Albanien keinen parteiübergreifenden Konsens gibt, wie an die
kommunistische Vergangenheit erinnert werden soll. Die hauptsächliche Initiative zur
Aufarbeitung und Erinnerung geht noch immer vor allem von Vereinen engagierter Bürger und
ehemaliger Opfer des kommunistischen Regimes und von ausländischen Organisationen –
wie u. a. die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) – sowie von Privatpersonen aus.
Das kommunistische Albanien 1944 - 1990 Der Aufstieg der Kommunisten in Albanien ist eng verbunden mit dem Widerstand der
Partisanen gegen die italienischen Faschisten, die Albanien 1939 besetzten, und gegen die
deutsche Wehrmacht, die 1943 nach der Kapitulation Italiens in Albanien einmarschierte. 1944
zog die deutsche Wehrmacht aus Albanien ab und kommunistische Partisaneneinheiten unter
Führung von Enver Hoxha übernahmen die Führung des Landes, auch indem sie erste
Säuberungen durchführten, die vor allem Kämpfer und Sympathisanten der republikanischen
Partisanenbewegung Balli Kombëtar trafen. Zwar hatten kommunistische, republikanische und
weitere Partisaneneinheiten gegen die Besatzer gekämpft, aber die 1941 gegründete
1 Vgl. den Artikel zur politischen Lage im Land von Tobias Rüttershoff: Die Qual mit der (Nicht-)Wahl,
Länderbericht zu den Kommunalwahlen in Albanien vom Juli 2019, hrsg. von der Konrad-Adenauer-Stiftung (, abgerufen am 12.8.2019).
2
albanische kommunistische Partei verbreitete die Propaganda, dass allein die Kommunisten
gegen die Faschisten und Nationalsozialisten gekämpft hätten. Es wurde eine Diktatur nach
stalinistischem Vorbild installiert und die Kommunisten ließen Vertreter bürgerlicher Parteien,
ehemalige Parlamentsangehörige, Mitglieder vorheriger Regierungen, Fabrik- und
Landbesitzer, Geistliche und Intellektuelle verfolgen.2 So endete am 1. März 1945 einer der
größten Schauprozesse des Landes, in dem von 60 hohen Staatsbeamten 17 zum Tode
verurteilt wurden. Am 11. Januar 1946 rief Enver Hoxha die Volksrepublik Albanien aus. Kurze
Zeit später wurde eine Verfassung verabschiedet, in der alle nichtkommunistischen
Organisationen verboten wurden und jede abweichende Meinungsäußerung oder Aktion unter
härteste Strafen gestellt wurde. Ähnlich den anderen kommunistischen Ländern des Ostblocks
wurde auch in Albanien eine Bodenreform durchgeführt und jeglicher Grundbesitz
entschädigungslos enteignet. Überhaupt wurden in den ersten Jahren der kommunistischen
Diktatur tausende Menschen unter falschen Anschuldigungen als Kriegsverbrecher und mit
fingierten politischen Vorwürfen verhaftet und hingerichtet. Auch die Familienangehörigen der
Beschuldigten litten unter der Verfolgung: die Familien wurden enteignet und für Jahrzehnte
in Internierungslagern zu Zwangsarbeit gezwungen. Enver Hoxha und seine Gefolgsleute
installierten in dem kleinen Land mit etwa 3 Millionen Einwohnern eine Diktatur, in der niemand
vor Verfolgung sicher war, selbst die Mitglieder der Parteispitze wurden – je nachdem, wie sich
der außenpolitische Kurs änderte – verfolgt. Zunächst war Albanien mit Jugoslawien und der
Sowjetunion verbündet. Als sich das Jugoslawien Titos von der stalinistischen Sowjetunion
abkehrte, wurden 1948 die Beziehungen zu Jugoslawien abgebrochen und die Sowjetunion
der neue strategische Partner Albaniens. Hoxha ließ nun sämtliche jugoslawienfreundliche
Kader innerhalb der kommunistischen Partei verfolgen, wie beispielsweise den
Parteifunktionär Koçi Xoxe, gegen den am 10. Juni 1949 das Todesurteil ausgesprochen und
am folgenden Tag vollstreckt wurde. 1961 brach Albanien die Beziehungen zur Sowjetunion
ab, da sich diese nach dem XX. Parteitag 1956 zu entstalinisieren begann (bis zu seinem Tod
im Jahr 1985 verehrte Enver Hoxha den Diktator Stalin). Ein Jahr zuvor, 1960, wurde die
Parteiführung bereits von prosowjetischen Kräften gesäubert. Wer in der Sowjetunion studiert
hatte und sowjetfreundlich galt, wurde verfolgt. Albanien näherte sich nun China an, mit dem
seit 1959 ein Handelsabkommen bestand. 1978 wurden, nach der chinesischen Abkehr von
Mao, auch diese Beziehungen zu China eingestellt und Albanien war fortan isoliert.
Chinafreundliche Kader samt ihren Familien wurden verfolgt. Säuberungsaktionen ziehen sich
durch die gesamte Regierungszeit Hoxhas. Neben den bereits genannten, setzten
beispielsweise nach einem vermeintlichen Bombenanschlag auf die sowjetische Botschaft in
2 Vgl. zu diesen und den folgenden Angaben: Albanien, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und
Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 15-17.
3
Tirana am 26. Februar 1951 Säuberungsaktionen gegen die Intelligenz ein. 1973 wurden im
Kulturbereich, in der Wirtschaft und im Militär (nach einer kurzen „liberalen“ Phase Ende der
1960er- und Anfang der 1970er-Jahre) sogenannte „Volksfeinde“ verfolgt.
Während der kommunistischen Diktatur wurden, nach den Recherchen des Institute for the
Studies of Communist Crimes and Consequences in Albania, 6.027 Menschen aus politischen
Gründen hingerichtet. Die Todesstrafe wurde in Albanien vor allem bei vermeintlich politischen
Delikten wie Landesverrat, Spionage, antikommunistische Tätigkeit und „feindliche
Propaganda“ – hierzu zählte auch Religionsausübung – vollstreckt. 34.135 Albaner wurden
aus politischen Gründen inhaftiert und 50.000 Familien in Arbeits- und Internierungslager zur
Zwangsarbeit gezwungen. Über 7.000 Menschen sollen in den Arbeits- und
Internierungslagern aufgrund der unmenschlichen Lebensbedingungen gestorben sein. Etwa
1.000 Menschen starben in den Gefängnissen. Zahlreiche Albaner sind seit diesen Zeiten
vermisst. Knapp 60.000 Bürger wurden aus dem Grenzland deportiert.3
Die kommunistische Führung hatte ihr Land vollständig isoliert. Die Bevölkerung wurde
unterdrückt. Tausende Mitarbeiter und Spitzel der Geheimpolizei Sigurimi überwachten die
Albaner. Das Recht wurde immer weiter ausgehöhlt. Das Strafgesetzbuch im Bereich der
Straftaten wurde seit 1952 erweitert. Ab 1959 konnten beispielsweise Personen ab dem
vollendeten 12. Lebensjahr vor Gericht gestellt werden. Auch konnten gesamte Familien für
„Verbrechen gegen den Staat“ in sogenannten geschlossenen Dörfern interniert werden. Am
1. Januar 1977 wurde der Artikel 55 des Strafgesetzbuches „Staatsfeindliche Agitation und
Propaganda“ installiert, der nun die Grundlage für großangelegte politische
Repressionsmaßnahmen bot. Selbst noch 1988 werden die Menschen durch ein neues
Gesetz schikaniert: Neugeborene Kinder durften fortan keinen christlichen oder muslimischen
Namen erhalten. Bereits 1968 wurde das Justizministerium abgeschafft:
Gerichtsverhandlungen fanden nun vor Militärgerichten und sogenannten Volksgerichten statt.
Am 11. April 1985 starb der Diktator Enver Hoxha. Viele Menschen hofften auf eine
Verbesserung der Lebensumstände und weniger Repressionen. Ramiz Alia wurde erster
Sekretär der Kommunistischen Partei und letzter kommunistischer Staatspräsident. Er leitete
wirtschaftliche Reformen und die Öffnung des Landes ein. Den kommunistischen Kurs setzte
er aber fort. 1990 begann sich dann im Norden des Landes der Widerstand gegen die
Kommunisten zu formieren. Mitte Dezember 1990 verzichtete die kommunistische Partei auf
ihren Alleinvertretungsanspruch. Kurz vor den ersten freien Parlamentswahlen am 31. März
1991 wurde die letzte Gruppe politischer Gefangener aus Haft entlassen.
3 Vgl. Glos, Walter/ Godole, Jonila: Albanien: Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit.
Länderbericht vom Dezember 2017, hrgs. von der Konrad-Adenauer-Stiftung, (, abgerufen am 8.8.2019).
4
Orte der Erinnerung in Albanien Eine der ersten Gedenkstätten des Landes besuchten wir am Montag, den 20. Mai in Shkodra
im Norden Albaniens. Shkodra war 1990 das Zentrum des Aufstandes gegen die
kommunistische Diktatur. Die Gedenkstätte „Site of Witness and Memory“ Shkodra, die seit
2014 der Öffentlichkeit zugänglich ist, erinnert an die Opfer der kommunistischen Diktatur in
Albanien und speziell an die Opfer in Shkodra und Umgebung. Das Gebäude, in dem die
Gedenkstätte untergebracht ist, beherbergte zwischen 1946 und 1992 die lokale Abteilung des
albanischen Innenministeriums und wurde in kommunistischer Zeit als
Untersuchungsgefängnis benutzt.4
Die Reisegruppe während der Führung durch die Gedenkstätte „Site if Witness and Memory“ in Shkodra
(Foto: Anke Geier).
Die museale Gedenkstätte ist in mehrere Räume gegliedert und bietet verschiedene
Anknüpfungspunkte sich mit der bedrückenden Geschichte auseinanderzusetzen (informativ-
historisch, künstlerisch, emotional). Am eindrücklichsten sind die Haftetagen. Auf zwei Etagen
waren die Gefangenen untergebracht, wobei die politischen Gefangenen das Erdgeschoss
belegten und dort in 29 sehr kleinen (etwa drei Quadratmeter umfassenden), dunklen Zellen –
4 Vgl. Gedenkstätte „Site of Witness and Memory“, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und
Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 25-26.
5
eher Löchern – eingesperrt waren. Die Inhaftierten waren im Gefängnis bis zu ihrer
Verhandlung physischer und psychischer Folter und Misshandlungen ausgesetzt. Zahlreiche
Todesfälle sind dokumentiert. In der Gedenkstätte werden daher auch die Foltermethoden der
Geheimpolizei „Sigurimi“, die vor allem in den Anfangsjahren der Diktatur angewandt wurden,
gezeigt. Die Untersuchungshaft konnte teilweise auf Jahre ausgedehnt werden. Nach der
Verhängung des Strafmaßes wurden die Verurteilten auf Gefängnisse, Arbeits- und
Internierungslager verteilt, sofern sie nicht zur Todesstrafe verurteilt worden waren. Die
Haftzellen, die Räume zur Befragung und Folter sind im Originalzustand erhalten und können
begangen werden. Im Ausstellungsraum werden Gegenstände und Dokumente ausgestellt,
die die Brutalität des Regimes zeigen und den Haftalltag dokumentieren. Zahlreiche Objekte
wurden von ehemaligen politischen Häftlingen zur Verfügung gestellt.
Verhörraum in der Gedenkstätte „Site if Witness and Memory“ in Shkodra (Foto: Anke Geier).
Die Gedenkstätte hat einen starken lokalen Bezug, so befindet sich beispielsweise im
Eingangsbereich eine Übersichtskarte, die 23 weitere Gefängnisse zeigt, die während der
kommunistischen Herrschaft in der Stadt Shkodra in Privathäusern und religiösen
Einrichtungen betrieben worden sind („places of terror and tortures“). Zahlreiche Biografien
der Opfer sind recherchiert worden und werden bei Führungen am Ort erzählt: Geistliche
bildeten einen Großteil der Inhaftierten. Die radikale Verfolgung des Klerus in Shkodra und
Albanien wird ebenfalls im Museum dargestellt (siehe hierzu Diözesanmuseum Shkodra). Die
6
Gedenkstätte, die mit Unterstützung des Institute for Democracy, Media and Culture (IDMC)
eröffnet wurde, wird von der Stadt Shkodra, durch Nichtregierungsorganisationen (wie die
KAS), durch Spenden und Eintrittsgelder finanziert. 85 % aller Besucher sind ausländische
Gäste und Betroffene und ihre Angehörigen. Die lokale Bevölkerung zeigt wenig Interesse –
ein generelles Problem in Albanien, wo im Grunde keine breite gesellschaftliche Aufarbeitung
der Geschichte stattfindet. Der Leiter der Gedenkstätte, der Historiker Pjerin Mirdita, erwähnte,
dass auch Schulklassen im Rahmen des Geschichtsunterrichtes sowie Studierendengruppen
kommen. Abhängig sei dies aber immer von der jeweiligen Lehrkraft, da für die
kommunistische Geschichte nur wenige Stunden im Lehrplan vorgesehen sind.
Die Geschichte der Verfolgung der katholischen Kirche während der kommunistischen Diktatur
wird ausführlich im Diözesanmuseum Shkodra erzählt, das im Sommer 2016 in der Sakristei
der Kathedrale des Hl. Stephan eröffnete. Die Repressionen gegen die Katholiken begannen
unmittelbar nachdem die Kommunisten 1944 nach stalinistischem Vorbild die Herrschaft in
Albanien übernommen hatten. Allein 1949 wurde nahezu die Hälfte der katholischen
Geistlichen in Albanien hingerichtet. Über die Jahre hinweg wurden in den Gefängnissen
2 Erzbischöfe, 5 Bischöfe, 1 Abt, 65 Diözesanpriester, 33 Franziskaner, 14 Jesuiten,
10 Seminaristen und 8 Ordensschwestern sowie eine Vielzahl an Laien teilweise ohne
Gerichtsurteil erschossen, wie das Museum dokumentiert.5 Der orthodoxe Patriarch und der
muslimische Großmufti konnten Ende der 1940er-Jahre noch eine Übereinkunft mit der
kommunistischen Staatsmacht erzielen, aber als sich Albanien 1967 zum ersten atheistischen
Land der Welt erklärte und der kommunistische Diktator Enver Hoxha ein totales
Religionsverbot erließ, wurden die Gläubigen aller Religionsgemeinschaften verfolgt. Alle
Kirchen, Klöster, Synagogen und Moscheen wurden geschlossen, einige als Sportstätten,
Ställe und Lagerhäuser umgenutzt.6 Die Stephanskathedrale in Shkodra wurde zu einer
Sporthalle umfunktioniert. Die Ausübung des Glaubens und der Besitz von Kult- und
Andachtsgegenständen war unter Strafe gestellt. Selbst der Besitz der Bibel war verboten. Die
Gläubigen versteckten also die Zeichen ihres Glaubens. Im Museum sind daher zahlreiche
ehemals versteckte Objekte zu sehen, die die Zeit des Kommunismus überdauert haben.
5 Vgl. Beike, Mirjam: Mit Kaffeetasse heimlich Messe gefeiert: Die Geschichte des Christentums in
Albanien. Das neue Diözesanmuseum in Shkodra erzählt mit bewegenden Zeugnissen die fast 2.000 Jahre alte Geschichte des Christentums in Albanien – bis hin zur neuen Blüte in der Gegenwart (, abgerufen am 12.8.2019).
6 Vgl. Albanien, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 15.
7
Auch ein unscheinbarer Tisch und eine Tasse
sind ausgestellt. Diese Gegenstände hat
Bischof Zef Simoni benutzt, um mit den
Gläubigen im Geheimen die heilige Messe zu
feiern.7 Zef Simoni empfing am 9. Februar 1961
heimlich die Priesterweihe und wurde 1976
wegen seines katholischen Glaubens zu zwölf
Jahren Haft verurteilt. Seine Haftzeit verbrachte
er im berüchtigten Straflager Spaç. Das
Diözesanmuseum zeigt ebenso Gegenstände,
die aus dem „Atheistischen Museum“ nach
1990 gerettet wurden. Nach dem totalen
Religionsverbot 1967 war von den
Kommunisten in Shkodra das „Atheistische
Museum“ mit gestohlenem Kirchengut
eingerichtet worden, um den Albanern den
Glauben verächtlich zu machen. Die Gläubigen
besuchten aber das Museum, um beim
Betrachten der verbotenen Gegenstände ihren
Glauben zu stärken.8
Am Abend des ersten Programmtages nahm die Reisegruppe an der Einweihung des
Denkmals für die Opfer der kommunistischen Diktatur in Shkodra teil. Dieses Denkmal in der
Nähe des Rathauses (in der Straße „Rruga 13 Dhjetori“) zeigt anschaulich die vielfältigen
Facetten der kommunistischen Repression in Albanien. Das Denkmal wurde mit Unterstützung
der amtierenden Bürgermeisterin Voltana Ademi von der Demokratischen Partei Albaniens
aufgestellt, deren Familie während des Kommunismus verfolgt wurde.
Zwischen dem 20. und 22. Mai wird in Albanien an die Verbrechen des kommunistischen
Regimes gedacht. Den 21. Mai 2019 verbrachte die Reisegruppe daher mit Zeitzeugen des
Gefängnisses und Arbeitslagers Spaç. Der 21. Mai ist der Jahrestag des Aufstandes in Spaç.
7 Vgl. Beike, Mirjam: Mit Kaffeetasse heimlich Messe gefeiert: Die Geschichte des Christentums in
Albanien. Das neue Diözesanmuseum in Shkodra erzählt mit bewegenden Zeugnissen die fast 2.000 Jahre alte Geschichte des Christentums in Albanien – bis hin zur neuen Blüte in der Gegenwart (, abgerufen am 12.8.2019).
8 Vgl. Meyer, Fritjof: Im Garten Eden ein Götze aus Granit. SPIEGEL-Redakteur Fritjof Meyer in Albanien – Traumreich für Grüne und Musterstaat des Stalinismus, in: DER SPIEGEL, Nr. 49/ 1981, S. 146-160, hier S. 155 (, abgerufen am 5.8.2019).
Vormals eingemauerte Christusfigur im
Diözesanmuseum in Shkodra (Foto: Anke Geier).
8
Das Gefängnis und Arbeitslager im schwer zugänglichen Berggebiet nahe der
nordalbanischen Gemeinde Mirdita wurde auch als „Umerziehungseinheit 303“ bezeichnet.
Das Lager war an einem steilen Hang gelegen und von Stacheldraht umgeben. Spaç wurde
1968 eingerichtet und war ähnlich dem stalinistischen GULag-System organisiert. Es war für
400 Gefangene ausgelegt, wobei die Höchstbelegung bis zu 1.400 Personen betrug. Es
umfasste mehrere Wohnbaracken und Gebäude der Lagerverwaltung und der Wacheinheiten,
einen Appellplatz und Innenhof, sowie Wachtürme, die an eine tiefe Schlucht grenzten. Die
Inhaftierten wurden zur Zwangsarbeit in den angrenzenden Kupfer- und Pyritminen
herangezogen. Spaç galt neben dem Gefängnis in Burrel und dem Lagerkomplex in Ballsh als
eine der grausamsten Haftstätten des kommunistischen Albaniens.9
Tausende vermeintliche Gegner des
kommunistischen Regimes, vor
allem politische Gefangene –
Künstler, Intellektuelle, Schriftsteller,
Geistliche –, verbüßten hier
langjährige Haftstrafen.
Beispielsweise der Schriftsteller
Fatos Lubonja, der zwischen 1974
und 1991 in verschiedenen
kommunistischen Gefängnissen
inhaftiert war, davon viele Jahre in
Spaç. Lubonja kam aus einer
regimetreuen Familie: Sein Vater
Todi Lubonja war lange Zeit ein
Vertrauter von Enver Hoxha und bis
zu seiner Entlassung im Dezember
1972 Generaldirektor der
albanischen Radio- und
Fernsehanstalt. Todi Lubonja wurde
im Zusammenhang mit politischen
Säuberungen aufgrund „dekadenter
westlicher Einflüsse“ 1973 verhaftet.
Zugleich wurde auch der Sohn
angeklagt, regimekritische
9 Vgl. Gedenkstättenprojekt Spaç, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur
Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 27-29.
Ein Teil des Lagerkomplexes Spaç (Foto: Anke Geier).
9
Äußerungen in seinen Tagebüchern notiert zu haben. Fatos Lubonja wurde aufgrund von
„Agitation und Propaganda gegen die Volksmacht“ zu 7 Jahren Straflager verurteilt. In Haft
selbst wurde er beschuldigt, einer regimekritischen Organisation anzugehören und die Haftzeit
wurde um 16 Jahre verlängert – ein übliches Vorgehen in der albanischen kommunistischen
Diktatur. Mit dem Ende des Kommunismus in Albanien kam er nach 17 Jahren frei. Seine Zeit
in den kommunistischen Gefängnissen hat er literarisch verarbeitet. 1994 veröffentlichte er ein
Tagebuch, das sein letztes Haftjahr beschreibt („Im siebzehnten Jahr“). Seine Romane „Das
letzte Gemetzel“ und „Das zweite Urteil“ beschreiben seine zweite Verhaftung und Verurteilung
und das Schicksal eines Intellektuellen im kommunistischen Staat.10 Weitere bekannte
Inhaftierte waren Ernest Simoni, römisch-katholischer Priester und Kardinal, inhaftiert von
1963 bis 1981, davon 10 Jahre in Spaç; Zef Simoni, katholischer Priester, 1992 Weihbischof
im Erzbistum Shkodra, von 1967 bis 1979 12 Jahre Haft in Spaç; Simon Jubani, katholischer
Priester, von 1964 bis 1989 fast ununterbrochen inhaftiert, darunter auch in Spaç sowie in
Einzelhaft in Burrel.
Auf dem Weg zur Gedenkveranstaltung in Spaç. Im Gebäude rechts war die Gefängnisverwaltung.
(Foto: Anke Geier)
10 Vgl. Fatos Lubonja, in: Biografisches Lexikon Widerstand und Opposition im Kommunismus 1945-
91 (, abgerufen am 15.7.2019).
10
Die Gefangenen waren menschenunwürdigen Haft- und Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Sie
arbeiteten unter primitivsten Bedingungen in den Bergwerken bei Hitze und Kälte ohne
Sicherheitsvorkehrungen. Viele Menschen starben infolge von Arbeitsunfällen, Erschöpfung
und Unterernährung. Die Toten wurden damals ohne Kennzeichnung der Grabstätten
verscharrt. Heute wachsen an den Begräbnisorten junge Bäume, die nach dem Ende der
kommunistischen Diktatur dort gepflanzt worden sind.
Aufgrund der katastrophalen Bedingungen in Spaç organisierten die Gefangenen im Mai 1973
eine Revolte und übernahmen vom 21. bis zum 23. Mai die Kontrolle über das Lager. Als
Zeichen des Widerstands hissten sie die albanische Flagge mit dem Doppeladler, allerdings
ohne den sozialistischen Stern. Auch während der Gedenkveranstaltung am 21. Mai 2019
wurde diese Fahne als Zeichen des Aufstandes am Fahnenmast hochgezogen. Der Aufruhr
wurde 1973 brutal niedergeschlagen und die Anführer der Revolte hingerichtet. 130 Personen
erhielten längere Haftstrafen unter noch strengeren Bedingungen. Im Mai 1985 brach erneut
ein Protest unter den Gefangenen aus. Spezialeinheiten des Innenministeriums aus Tirana
wurde extra zur Niederschlagung eingeflogen, drei Männer zum Tode verurteilt, ein Mann
verstarb aufgrund der Folter während der Verhöre durch die Sicherheitskräfte. 36 Häftlinge
erhielten zusätzliche Haftstrafen von 6 bis 20 Jahren.11 Das Straflager wurde erst 1991, nach
dem Ende des kommunistischen Regimes, geschlossen. Heute verfallen die Überreste von
Spaç zusehends, einzig die Gebäude der Lagerverwaltung sind noch etwas besser erhalten.
2009 kündigte der Nationale Restaurationsrat Albaniens an, das Straflager-Ensemble in eine
museale Anlage umwandeln zu wollen. Informationstafeln zu einzelnen Gebäuden und
Ereignissen wie dem Aufstand von 1973 zeugen von den einstigen Plänen. Eine
Instandhaltung oder der Ausbau zu einem musealen Ort scheint allerdings in weiter Ferne.
Finanzmittel wurden und werden von der Regierung nicht bereitgestellt. 2015 wurde der Ort in
die Liste der 50 am meisten bedrohten Monumente des World Monument Fund aufgenommen
und erste kleinere Instandsetzungsarbeiten durch die schwedische Botschaft in Tirana
organisiert.12
Am 21. Mai 2019 fand zunächst auf dem Gelände des ehemaligen Gefängnisses eine
Gedenkveranstaltung für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft statt, der wir
beiwohnten. Zahlreiche Zeitzeugen und ihre Angehörigen versammelten sich. Eindrücklich
wurde an die damaligen Ereignisse erinnert. Zeitzeugen berichteten über ihre Erfahrungen.
Der Generalsekretär Luigi Mila von der Initiative Justice and Peace, die sich für das Gedenkstättenprojekt Spaç einsetzt und auch Vertreter der KAS aus Tirana und Anna
Kaminsky von der Bundesstiftung Aufarbeitung, aber auch Mitarbeiter anderer Initiativen
11 Vgl. Gedenkstättenprojekt Spaç, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur
Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 28-29. 12 Vgl. ebd., S. 27 und „Spaç Prison“ auf der Webseite des World Monuments Fund
(, abgerufen am 15.7.2019).
11
erinnerten mit ihren Worten an die Verbrechen des Kommunismus und speziell in Spaç. Zenel
Drangu, ein ehemaliger Inhaftierter, führte die Gruppe anschließend durch das ehemalige
Gefängnis und Arbeitslager. Der eindrückliche Vormittag wurde durch den Bericht und das
Gespräch mit dem Zeitzeugen Fabian Kati, der zwischen 1984 und 1986 in Spaç inhaftiert war,
ergänzt. Fabian Kati wurde wegen „westlicher Beeinflussung“ – er übersetzte Texte des
Sängers Bob Dylan ins Albanische – verurteilt. Er erlebte den Tod Enver Hoxhas, der 1985
eines natürlichen Todes starb, im Gefängnis Spaç.
Zeitzeugen und Familienangehörige kurz vor der Gedenkfeier (Foto: Anke Geier)
Dokumente zu den Aufständen von Spaç finden sich in den Unterlagen des ehemaligen
Staatsicherheitsdienstes Albaniens. Der Geheimdienst „Sigurimi“ („Sicherheit“) bestand von
1944 bis 1991 und war das wichtigste Machtinstrument Enver Hoxhas und des
kommunistischen Einparteiensystems. 1989 arbeiteten etwa 10.000 Personen beim Sigurimi,
die sich als „Elite des Staates“13 verstanden und besondere Privilegien genossen. Die
„Direktion der Staatssicherheit“ war Teil des Innenministeriums und wurde durch einen
Direktor geleitet. Zudem war ein stellvertretender Innenminister für den Sigurimi direkt
zuständig. Hauptsächlich wurde der Geheimdienst zur Kontrolle der eigenen Bevölkerung mit
13 Vgl. Godole, Jonila: Albanien: Deutschland als Musterland, Bericht vom 1.8.2016, hrsg. von der
Bundeszentrale für Politische Bildung (, abgerufen am 12.8.2019).
12
Mitteln der Überwachung, der Repression und des Terrors eingesetzt. Die Methoden ähnelten
denen anderer Geheimdienste kommunistischer Länder. Es wurde auf ein dichtes Netz an
Spitzeln gebaut, um die lückenlose Überwachung der Gesellschaft zu ermöglichen. Daneben
unterhielt der Sigurimi eigene Gefängnisse und Lager. Entsprechend einer Studie über den
Geheimdienst, die die parlamentarische Kommission 1998 anfertigen ließ, seien fast
33 Prozent der Bevölkerung politisch verfolgt worden.14 Die wissenschaftliche
Auseinandersetzung mit der Geschichte des Geheimdienstes Sigurimi steht noch am Anfang.
Im Dezember 2016 nahm die Behörde zur Information über die Dokumente der früheren
Staatssicherheit ("Authority for Information on the Former State Security Documents“) ihre
Arbeit auf, nachdem das albanische Parlament am 30. April 2015 ein Gesetz zur Öffnung der
Akten des Geheimdienstes für alle Bürger des Landes beschlossen hatte. Es dauerte 20 Jahre
bis die Akten des Sigurimi gesichert wurden.
Am 22. Mai 2019 besuchten wir das
Unterlagenarchiv der Behörde in Tirana und
sprachen mit der Leiterin der Behörde, Gentiana
Sula, und ihren Mitarbeitern. Aktuell arbeiten 30
Mitarbeiter in der kleinen Behörde, ein Ausbau auf
60 Mitarbeiter ist geplant. Bislang sind 1.100
Anträge von Bürgern auf Akteneinsicht
eingegangen. Die Wartezeit vom Antrag bis zur
Einsicht in die Akte beträgt zwischen 3 und 6
Monaten. Es gibt auch viele wissenschaftliche und
journalistische Anfragen. 1.500 Personen in Ämtern
wurden bisher überprüft.15 Das Unterlagenarchiv
umfasst 212.145 Akten und 250.000 Ton-
Dokumente der zentralen Abteilungen in Tirana und
der lokalen Sigurimi-Abteilungen, die in über 45
Jahren Geheimdienstarbeit angelegt wurden.
Allerdings sind diese Unterlagen teilweise noch
immer verteilt auf drei Institutionen: Staatsarchiv,
Innenministerium, Verfassungsschutz.
14 Vgl. Adler, Sabine: Hervortreten aus dem Schatten des Kommunismus, Bericht vom 19.8.2017 im
Deutschlandfunk (, abgerufen am 12.8.2019).
15 Vgl. diese und weitere Angaben aus dem Gespräch mit Gentiana Sula und Mitarbeitern der Aktenbehörde am 22.5.2019 in den Mitschriften von Dr. Anke Geier.
Akte der Sigurimi-Behörde (Foto: Anke Geier).
13
Das Unterlagenarchiv hat jedoch die Oberhoheit über die Akten des Sigurimi. In einem noch
im Bau befindlichen Archivneubau sollen alle Akten dann an einem Ort gelagert werden. Seit
dem Bestehen des Unterlagenarchives werden auch Fortschritte in der Forschung und
Aufarbeitung erzielt. Bisher sind zwei wissenschaftliche Konferenzen abgehalten worden. Die
erste Konferenz befasste sich mit den verschiedenen Lagern in Albanien, die zweite mit dem
kommunistisch konstruierten Feindbild des „Volksfeindes“. Wenig erstaunt war die Delegation
über die Aktenvernichtung innerhalb der Sigurimi bis 1991, die offiziell vom Innenministerium
im Jahr 1989 angewiesen wurde – eine Parallele zur Staatssicherheit der DDR. Eine interne
Arbeitsgruppe der Behörde soll in Zukunft klären, ob es auch nach 1991 zu
Aktenvernichtungen gekommen war.16
Am frühen Nachmittag des 22. Mai sprachen wir mit Vasylika Hysi von der Sozialistischen
Partei, Vize-Präsidentin des albanischen Parlaments und Vorsitzende der Unterkommission
für Menschenrechte sowie mit Abgeordneten verschiedener Ausschüsse und Fraktionen über
die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Albanien. Hierbei wurde deutlich, dass die
bisherige Aufarbeitung innerhalb der Parteien Albaniens unterschiedlich wahrgenommen wird.
Es wurde auf das bereits Erreichte verwiesen, aber auch auf die Schwierigkeiten, die eine
echte Aufarbeitung erschweren wie bspw. personelle Kontinuitäten in staatlichen Funktionen
und den Parteien. Mitunter entstand bei der Reisegruppe der Eindruck, die Parlamentarier
erhofften sich von uns Hinweise, wie die Aufarbeitung in Albanien zu geschehen habe. Nach
dem Parlamentstermin sprachen wir mit Enkeldej Alibeaj, Mitglied der Demokratischen Partei
und ehemaliger Abgeordneter des Parlaments (kurz vor unserer Reise hatten nahezu alle
Abgeordneten der Demokratischen Partei ihr Mandat niedergelegt, um Neuwahlen zu
erzwingen). Alibeaj ist zugleich Mitglied der Kommission zur Aufarbeitung der Vergangenheit
der Demokratischen Partei Albaniens.
Nach diesem Gesprächstermin trafen wir an der Universität Tirana auf Vertreter des Institutes
für Geschichte. Neben dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Andi Pinari nahmen auch die
Vizerektorin der Universität und weitere Mitarbeiter teil. Am Institut für Geschichte betreuen
15 Dozenten sowie externe Wissenschaftler knapp 800 Bachelor- und Masterstudierende. Es
werden alle Phasen der albanischen Geschichte gelehrt. Das Interesse der Studierenden am
19. und 20. Jahrhundert sei besonders hoch. Diesbezüglich wird auch mit dem Staatsarchiv
und der Behörde für die Unterlagen des Sigurimi zusammengearbeitet. In den Gesprächen
wurde uns erläutert, dass es in Albanien eine Rückbesinnung auf die kommunistische Zeit gibt,
16 Vgl. Godole, Jonila: Albanien: Deutschland als Musterland, Bericht vom 1.8.2016, hrsg. von der
Bundeszentrale für Politische Bildung (, abgerufen am 12.8.2019).
14
die auch durch die politische Narration hervorgerufen wird. So würden bei
Gedenkveranstaltungen am Nationalfeiertag am 29.11. (Gedenktag zur Erinnerung an die
Befreiung von den Nationalsozialisten) ehemalige kommunistische Partisanen und Kämpfer,
aber auch Vertreter aus der Politik Symbole des Kommunismus tragen, wie bspw. Porträts von
Enver Hoxha. Auch die nostalgische Erinnerung an die vermeintliche Sicherheit in der
damaligen Diktatur schaffe eine positiv konnotierte Rückerinnerung an die kommunistische
Zeit. Dagegen werde an der Universität versucht, mit verschiedenen Projekten mit dem Institut
zur Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen in Albanien – wie Sommerschulen,
Zeitzeugengesprächen, Projektfahrten nach Spaç, kleinere Aufträge für Museen, wie das
„Haus der Blätter“ – sowie verschiedenen Vorlesungen über die kommunistische Diktatur
aufzuklären und die jungen Studierenden für diese jüngere Geschichte zu sensibilisieren.
Am Abend wurden wir von der deutschen Botschafterin Susanne Schütz in der Deutschen
Botschaft empfangen und kamen dort ins Gespräch mit Vertretern von NGOs und Initiativen,
die sich um die Aufarbeitung bemühen.
Am Donnerstag, den 23. Mai besuchten wir das ehemalige Internierungslager „Kampi i
Tepelenës“ in Tepelena in der Region Gjirokastra im Süden Albaniens. Tepelena ist vor allem
als Geburtsort Ali Paschas bekannt, der um 1810 große Teile des osmanischen Albaniens und
Griechenlands beherrschte. Zum Gedenkort wurden wir begleitet von Simon Mirakaj, der u. a.
in Tepelena interniert war, sowie von den Wissenschaftlern Miran Butka vom Institut zur
Erforschung der Verbrechen des albanischen Kommunismus und Jonila Godole vom Institute
for Democracy, Media and Culture und Studierenden der Universität Tirana.
Simon Mirakaj führte uns durch das Lager, das zwischen 1945 und 1953 bestand und in dem
ca. 3.000 Frauen, Kinder und Männer interniert waren. Das Areal des Lagers Tepelena war im
griechisch-albanischen Krieg Militärgelände und wurde damals auch vermint. Simon Mirakaj
erzählte uns, dass mitunter alte Minen explodierten während sich die Internierten nach 1945
auf dem Hof zum Apell versammeln mussten.17 Die Lagerinsassen waren nach dem Prinzip
der Sippenhaft verurteilt worden und kamen als Angehörige von „Volksfeinden“ und politischer
Häftlinge in die Lager, die im ganzen Land verteilt waren. Das Lager in Tepelena wurde durch
die Polizei verwaltet und bestand aus 5 Wohnbaracken, in denen jeweils bis zu 600 Menschen
in Stockbetten untergebracht waren. Weiterhin gab es eine Krankenstation – wobei ein Arzt
nur einmal im Monat kam –, eine Bäckerei, eine Küche, Unterkünfte für die Polizeikräfte und
Tierställe. Die Gebäude waren um einen Innenhof gebaut, auf dem sich zweimal täglich zum
17 Vgl. Mitschriften des Rundgangs von Dr. Anke Geier und den Bericht von Sabine Adler:
Aufgewachsen im Gulag – Erinnerungen, die nicht vergehen vom 24.10.2017 in Deutschlandfunk Kultur , abgerufen am 8.8.2019).
15
Apell versammelt werden musste. Das Lager war mit Stacheldraht umzäunt. Außerhalb des
Lagers befand sich ein Gemüsegarten für die Verpflegung der Wachen.
Blick auf das Internierungslager Tepelena (Barracken hinter dem Fußballplatz) (Foto: Anke Geier).
Im Lager in Tepelena sind ca. 1.000 Alte und 300 Kinder verstorben: aufgrund von Hunger
und der unzumutbaren hygienischen Zustände und der explodierenden Minen. Die Toten
wurden außerhalb vergraben, wobei der angrenzende Fluss Vjosa die Gräber oft
überschwemmte und die Gebeine forttrug. Zum Andenken an die verstorbenen Kinder wurden
300 aus Spenden finanzierte Zypressen im Hof der Anlage gepflanzt. Simon Mirakaj hofft, das
erläuterte er während der bedrückenden Führung durch das Gelände, dass in Zukunft ein
Museum in einer der noch besser erhaltenen Baracke eingerichtet wird. Zurzeit erinnern
lediglich ein Gedenkstein und die 300 Zypressen an die Opfer des Lagers. Eine Tafel, die über
das Lager informiert, fehlt. Die Gebäude auf dem Gelände verfallen zusehends und zahlreiche
wilde Müllablagerungen signalisieren den Stellenwert, der diesem Gedenkort zuteilwird.
Das System von Arbeits- und Internierungslagern wurde relativ früh in Albanien installiert und
blieb bis zum Ende der Diktatur bestehen: Die Haftanstalten im Land waren von Beginn an
aufgrund der vielen politisch Inhaftierten rasch überbelegt, so dass die Gefangenen, aber auch
ihre Familienangehörigen in Arbeits- und Internierungslagern untergebracht wurden. 1947
bestanden bereits 4 Lagerkomplexe. Nach und nach entstand ein System an Lagern im
ganzen Land, meist in der Nähe von Großbaustellen und Bergwerken. Lagerinsassen ab
16
14 Jahren mussten Zwangsarbeit verrichten. So wurden unter schwersten Bedingungen
Sümpfe (u. a. die Sumpfgebiete von Maliq bei Korça und Myzeqeja) und Moore trockengelegt,
Wohnblöcke (u. a. in Tirana), Raffinerien, Kanäle, Straßen, Eisenbahnstrecken und Flughäfen
(ziviler Flughafen in Tirana, Militärflughafen in Kuçova) gebaut. In den Internierungslagern
sollen zwischen 1945 und 1990 ca. 11.500 Familien, also knapp 60.000 Menschen
untergebracht gewesen sein, davon 48.217 Männer und 10.792 Frauen.18
Die Gefangenen aus den Haftanstalten des Landes verrichteten ebenfalls Zwangsarbeit, meist
förderten sie bei unerfüllbaren Arbeitsnormen und unter primitivsten, unmenschlichen
Bedingungen Erze und Mineralien. Im System der Lager bestanden auch vollständig isolierte
Gebiete, sogenannte „geschlossene Dörfer“. Dorthin wurden Angehörige politischer
Gefangener verbannt. In Albanien wurde das Lagersystem, das dem stalinistischen GULag
entsprach, nach den Enthüllungen auf dem XX. Parteitag der KPdSU und der einsetzenden
(kurzen) „Tauwetterperiode“, nicht aufgelöst, sondern bestand bis zum Ende der Diktatur fort.19
Simon Mirakaj führt uns durch das ehemalige Internierungslager, Ilda Themeli dolmetscht (Foto: Anke
Geier).
18 Vgl. Mitschriften zu den Arbeits- und Internierungslagern von Dr. Anke Geier beim Museumsbesuch
im Historischen Nationalmuseum in Tirana. Abschrift aus der Ausstellung. 19 Vgl. Historisches Nationalmuseum, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur
Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 18-19.
17
Simon Mirakaj war 44 Jahre – vom 17. Juni 1945 bis zum 4. Juli 1989 – in Lagern interniert.
Sein Vater hatte gegen den Diktator Hoxha gekämpft und die Familie kam in Sippenhaft ins
Lager. Kaum geboren, wurde Simon Mirakaj mit 11 Tagen mit seiner Mutter und seiner
Schwester zunächst in Berat interniert. Dann kamen sie nach Tepelena. Er berichtete uns in
der Führung sehr eindrücklich seine Kindheitserinnerungen an Tepelena. Als er 8 Jahre alt
war, wurde das Lager geschlossen und seine Familie wurde rund um Luschnja in den Lagern
Lugo, Dschasa, Ramsa, Tscherma, Gradisch (ab 1957), Grabian (1960), Kosova und Dragott
untergebracht. Rund um Luschnja gab es 14 Internierungslager. Hier war ein großes
Feuchtgebiet, dass die Gefangenen trockenlegten.20 1967 kam Simon Mirakaj in ein Lager in
Sabre, später dann nach Jaz. An Tepelena erinnert er vor allem den großen Hunger, den die
Insassen litten. Zweimal am Tag gab es eine wässrige Suppe mit grob gemahlenen Körnern
und meist Würmern. Die Suppe wurde aufgrund des großen Hungers meist bereits auf dem
Weg zurück in die Baracke gegessen. Die Polizeiwachen hielten sich in den Ställen Schweine,
die mit Gemüse und Melonen gefüttert wurden. Manchmal haben die Kinder heimlich das
Futter der Schweine essen können. An die Schule erinnert er einen steilen Schulweg, der sehr
anstrengend war, da die Kinder diesen ohne Frühstück und mit Hunger antraten. Die örtlichen
Bauern und „einfachen Leute“ steckten den Kindern ab und an etwas Brot zu. Die Kinder
besuchten bis zur 7. Klasse den Unterricht in der örtlichen Schule und durften hierfür das Lager
verlassen. Anschließend mussten sie aber immer durch das Lagertor zurück. Sobald sie 14
Jahre alt wurden, wurden sie zur Zwangsarbeit herangezogen. In Tepelena mussten sie in den
umliegenden Bergen Holz fällen. Dort gaben die Bauern seiner Schwester, die schon älter war
und bereits Zwangsarbeit verrichten musste, ab und an etwas Käse. Manchmal sammelte sie
auch wilde Birnen. Die Welt der kleineren Kinder im Lager bestand aus Stacheldraht. Gespielt
wurde mit Steinen und selbstgebastelten Bällen. Simon Mirakaj erzählte uns während der
Führung viele Ereignisse, die er erlebt hat und die den Alltag in den Lagern widerspiegeln. Er
sprach auch von schönen Momenten, wie gemeinsame Gebete und Feiern unterschiedlicher
Konfessionen. Er erinnert vor allem die Solidarität innerhalb der Lagergemeinschaft. Die
älteren Internierten halfen den Jüngeren, sich weiterzubilden. Im Lager Sabre vermittelten ihm
viele internierte Intellektuelle die Liebe zu Literatur und Musik. Heimlich hörten sie das
italienische Musikfestival San Remo im Radio. Obwohl die Internierten physisch isoliert und
niemals in Freiheit waren, war ihr Geist frei, so Mirakaj.
Im anschließenden Zeitzeugengespräch im Kulturzentrum von Tepelena sprach Herr Mirakaj
schließlich sehr reflektiert über sein eigenes Leben, auch über die Zeit nach der Lagerhaft. Als
20 Vgl. Sabine Adler: Aufgewachsen im Gulag – Erinnerungen, die nicht vergehen vom 24.10.2017 in
Deutschlandfunk Kultur , abgerufen am 8.8.2019).
18
ihm am 4. Juli 1989 um 11 Uhr mitgeteilt wurde, dass er frei sei, ging er als Erstes zum Meer,
das er bis dahin noch nie gesehen hatte und obwohl er nicht schwimmen konnte. Bis dahin
war sein längster Weg zum Spazieren im Lager 150 Meter. 1992 konnte er sich dann einen
Traum erfüllen und mit einer Ausnahmegenehmigung Jura studieren. Danach arbeitete er im
albanischen Innenministerium. Von 2002 bis 2013 leitete er einen Opferverband (Institut für
politisch Verfolgte). Diese Arbeit sei schmerzhafter und mühevoller gewesen als seine
Lagerzeit, denn er konnte den Menschen nicht helfen. Die Entschädigung der Opfer war und
ist ein komplizierter Vorgang, immer auch abhängig vom politischen Willen. Viele in Tepelena
Internierte erhielten keine Entschädigung, da sie keinen Beleg ihrer Internierung vorweisen
konnten. Simon Mirakaj erhielt für die 44 Jahre Lagerhaft immerhin knapp 17.000 Euro. Zwar
versuchte die Demokratische Partei damals, als sie Anfang der 1990er-Jahre die erste
Regierung Albaniens stellte, den politisch Verfolgten zu helfen. Im Parlament saßen
30 Abgeordnete aus den Reihen der politisch Verfolgten. Auch der damalige
Parlamentspräsident hatte als politisch Verfolgter 28 Jahre im Gefängnis gesessen. Das
unbefriedigende Entschädigungsverfahren läuft dennoch bis heute und wird von vielen
Betroffenen als Farce beschrieben.
Gruppenfoto mit Simon Mirakaj vor dem Kulturzentrum in Tepelena (Foto: Anke Geier).
Simon Mirakaj engagiert sich noch immer für die Opfer: Seit 2017 ist er im Beirat der Sigurimi-
Unterlagen-Behörde aktiv. Zudem wirkt er als Zeitzeuge und berichtet über das Leben in den
19
Internierungslagern – ohne Groll, obwohl er bis heute keine Entschuldigung erfahren hat, für
das, was ihm und anderen angetan wurde. Über die Dorfbewohner, die rund um die Lager
lebten, geht ihm kein schlechtes Wort über die Lippen. Sie wären immer gut mit ihm
umgegangen. Simon Mirakaj trägt damit wesentlich dazu bei, dass irgendwann eine
Versöhnung mit dieser dunklen Vergangenheit in Albanien möglich wird. Die Kraft hierfür
bezieht er aus seinem Glauben. Zum Ende des Gesprächs, erinnert Simon Mirakaj an die
Mütter in den Lagern, die ein Denkmal erhalten müssten. Ohne deren Kraft und ihre Sorge,
wäre das Leben in den Internierungslagern, vor allem für die Kinder, noch schwieriger
gewesen.
Zustand des ehemaligen Internierungslagers Tepelena 2019 (Foto: Anke Geier).
Auch das Historische Nationalmuseum am zentralen Skanderbeg-Platz in der Hauptstadt
Tirana, das wir am 24. Mai besichtigten, hält die Erinnerung an die Arbeits- und
Internierungslager wach. Im seit 1981 bestehenden Historischen Nationalmuseum wird seit
1991 auch die kommunistische Zeit dargestellt. Mit dem Umbau des Museums erfuhr diese
Ausstellung eine Überarbeitung. In der ständigen Ausstellung wird das Thema
kommunistische Verfolgung anhand von Originaldokumenten, Fotografien und authentischen
Gegenständen gezeigt. Angefangen mit der Machtübernahme Enver Hoxhas im Jahr 1944
(durch die Unterstützung jugoslawischer Kommunisten), werden die Ausschaltung der legalen
Opposition (u. a. durch Scheinprozesse und Sondergerichte gegen bspw. Abgeordnete
nichtkommunistischer Parteien), die diversen Säuberungskampagnen im Land (in der eigenen
20
Partei, gegen Religionsführer und Intellektuelle usw.), aber auch der Widerstand gegen das
kommunistische Terrorregime, das System der Arbeits- und Internierungslager und der
Gefängnisse gezeigt. In der Ausstellung, die in albanischer und teilweise englischer Sprache
gehalten ist, wird zudem auf das tödliche Grenzregime eingegangen. Albanien war seit der
totalen Isolation ab 1978 hermetisch abgeriegelt. Beim Versuch, die Grenze nach Jugoslawien
und Griechenland zu überwinden, starben über 1.000 Albaner und über 14.500 Menschen
wurden bei Fluchtversuchen verhaftet.21 Die Mehrzahl der Grenztoten waren junge Männer
unter 30 Jahren. Beispielsweise Sokol Lika, der am 23. Mai 1980 18-jährig starb.22 Einige, der
in der Ausstellung angegebenen Zahlen, vor allem auch zu den Grenzopfern, sind nicht
endgültig. Der Museumsdirektor Dorian Koçi erhofft sich durch die Öffnung der Sigurimi-Akten
weitere Erkenntnisse, auch bezüglich der Opferzahlen. Viele Grenztote gab es in Albanien
noch 1990, bevor im Juli 1990 eine Fluchtwelle in die ausländischen Botschaften und
diplomatischen Vertretungen einsetzte. Bis zu 6.000 Menschen flohen damals in die
internationalen Botschaften in Tirana. Dies und der Zusammenbruch der kommunistischen
Diktatur sowie die beginnende Aufarbeitung werden ebenfalls in der Ausstellung
angesprochen.
Die Gruppe auf dem Weg zum Historischen Nationalmuseum in Tirana (Foto: Anke Geier).
21 Vgl. Albanien, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer
der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 15. 22 Vgl. Mitschriften von Dr. Anke Geier beim Museumsbesuch. Abschrift aus der Ausstellung.
21
Nachdem Enver Hoxha 1985 eines natürlichen Todes gestorben war, setzte sein Nachfolger
Ramiz Alia als Parteivorsitzender zunächst die Politik der kommunistischen Partei fort. Zwar
leitete er wirtschaftliche Reformen und eine zaghafte Öffnung des isolierten Landes ein, doch
im Gefolge der Ereignisse in der Sowjetunion und im übrigen Ostblock breitete sich, zunächst
ab Januar 1990 in Shkodra, dann im ganzen Land Widerstand gegen das herrschende
kommunistische Regime aus. Unter diesem Druck wurden zunächst religiöse Akte erlaubt und
die Religionsausübung von der Liste der Delikte, die mit der Todesstrafe belegt waren,
gestrichen.23 Die Gewaltausbrüche gegen protestierende Studierende in Tirana im Sommer
1990 hielten den antikommunistischen Widerstand nicht auf. Mitte Dezember 1990 verzichtete
die kommunistische Partei auf ihren Alleinvertretungsanspruch. Am 12. Dezember 1990
gründete sich die Demokratische Partei Albaniens. Dennoch ging aus den ersten freien
Wahlen 1991 die Nachfolgepartei der stalinistischen Kommunisten – die Sozialdemokratische
Partei – als Sieger hervor. Das Jahr 1991 war von vielen Unruhen gekennzeichnet. Am 20.
Februar 1991 wurde die Statue des Diktators Hoxha auf dem Skanderbeg-Platz von wütenden
Demonstranten gestürzt. Ein symbolträchtiger Akt der Revolution, die in Albanien nicht friedlich
blieb. Die Polizei feuerte in die Menge, zahlreiche Studierende starben. 1992 kam es dann zu
Neuwahlen und die Demokratische Partei übernahm die Regierung.24
Aufarbeitungsbemühungen seit 1991 Die Aufarbeitungsbemühungen in Albanien besprachen wir u. a. am Nachmittag des 24. Mai
mit Vertretern albanischer Opferverbände (u. a. mit Gezim Peshkepia) und des Instituts zur
Erforschung der Verbrechen des Kommunismus (Agron Tufa, Miran Butka) und einer privaten
Initiative, die sich bemüht ein Online-Archiv in Albanien aufzubauen (Clerina Shehaj).
Unmittelbar nach dem Ende der Diktatur gab es so gut wie keine Aufarbeitung. Im Gegenteil:
die alte Elite – hochrangige Mitglieder der kommunistischen Partei, Staatsanwälte und Richter
– positionierte sich erneut in öffentlichen Ämtern und in der Politik. Die strafrechtliche
Aufarbeitung der Verbrechen der kommunistischen Herrschaft, wie in Deutschland nach dem
Mauerfall, blieb aus. Niemand wurde für die Verbrechen zur Verantwortung gezogen. Eine
Rehabilitierung und Entschädigung der politisch Verfolgten kamen nicht zustande. Die politisch
Verfolgten schlossen sich bald in Opferverbänden zusammen, um eine Rehabilitierung und
Entschädigung zu erwirken. Nicht immer mit Erfolg. Zwar erhielten einige Familien, die
enteignet worden waren, ihr Eigentum zurück, aber viele warten noch bis heute auf die ohnehin
geringe Kompensationszahlung des Staates für das erlittene Unrecht. Oftmals fiel den
23 Vgl. Albanien, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer
der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 16. 24 Vgl. Albanien, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer
der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 16.
22
Betroffenen schwer, den Nachweis der Verfolgung zu erbringen.25 Der Zugang zu den
Sigurimi-Akten ist seit wenigen Jahren möglich, was möglicherweise in Zukunft einen
erleichterten Nachweis von Verfolgung in Form von Haft, Internierung, Verbannung,
Enteignung usw. gestattet.
Mittlerweile hat sich einiges, was die Aufarbeitung betrifft, getan. Das berichten auch
Teilnehmer der ersten Studienfahrt nach Albanien, die im Mai 2010 stattfand. Damals reisten
Vertreter deutscher Aufarbeitungsinstitutionen und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der
SED-Diktatur nach Albanien. Sie trafen dort auf Personen und Institutionen, die sich um die
Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit Albaniens bemühen.26 Zum damaligen
Zeitpunkt bestanden keine Erinnerungsorte, Gedenkstätten und Museen. Die Geschichte des
albanischen Kommunismus wurde nicht erzählt oder in den Schulen vermittelt. Auch viele
Betroffene schwiegen.27 Mittlerweile ist eine kleine Aufarbeitungslandschaft herangewachsen,
die allerdings auch in Zukunft weiter gepflegt werden muss. Die „Pflege“ erfolgt teilweise mit
ausländischer Expertise und Kapital. Hier bleibt nur zu hoffen, auch für die weitere
Demokratisierung des Landes, dass die Albaner zukünftig ihre Geschichte selbstverantwortlich
in die Hand nehmen können.
Um die Betroffenen zu unterstützen und die Verbrechen der Kommunisten zu erforschen sowie
die Bevölkerung für die Geschichte der kommunistischen Diktatur zu sensibilisieren, gründete
sich 2010 per Gesetz des albanischen Parlaments das Institut zur Erforschung der Verbrechen
des Kommunismus in Albanien.28 Es wird von Betroffenen geleitet und dokumentiert die
Verbrechen der Kommunisten in Albanien. Hierzu sammelt es Zeitzeugenberichte sowie
Belege für die Verbrechen in Form von Dokumenten aus den Archiven. Mittels Bildungs- und
Zeitzeugenprogrammen informiert das Institut an Schulen über die Diktatur, da die
Auseinandersetzung mit dem Thema im Schulunterricht kaum oder sehr verkürzt und teilweise
unkritisch erfolgt. Das Institut mit seinen 15 Mitarbeitern berichtet einmal im Jahr im
albanischen Parlament. Die Interviews mit Zeitzeugen werden mittels der Methode Oral
History erhoben, d. h. die Zeitzeugen sprechen möglichst unbeeinflusst über das Erlebte. Meist
entstehen sehr lange Interviews von 7 bis 8 Stunden, die auf Video aufgenommen werden.
25 Vgl. Albanien, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer
der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 16-17. 26 Vgl. die Veranstaltungsnachlese zur Studienfahrt nach Albanien 2010 auf der Webseite der
Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (, abgerufen am 12.8.2019).
27 Vgl. Cama, Aida: Die Albaner lieben ihre Geschichte, aber nicht die der kommunistischen Diktatur, in: Gerbergasse 18. Thüringer Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte und Politik, 3/ 2010, Heft Nr. 58, S. 21-22.
28 Vgl. die Webseite des Institutes .
23
Spezialisten transkribieren diese Gespräche und anschließend werden sie veröffentlicht und
zur weiteren Forschung genutzt. Dr. Agron Tufa, der Direktor des Institutes, informierte uns
über ein Sonderprojekt, das bald zum Abschluss kommt. Es wurde eine Enzyklopädie über die
Opfer des kommunistischen Regimes erstellt. In mehreren Bänden sind die Daten und
Kurzbiografien aller Opfer politischer Verfolgung in Albanien dargestellt. Weiterhin erschienen
vom Institut bisher über 100 Artikel und Veröffentlichungen zum Thema, wie beispielsweise
ein Buch mit Zeichnungen und Skizzen des Zeitzeugen Lek Pervizi, die das Leben im
Internierungslager von Tepelena darstellen. Auch ein Buch über die Fotomanipulationen
während der kommunistischen Diktatur in Albanien, wie man es vor allem aus der Sowjetunion
unter Stalin kennt, wurde herausgegeben. Auf Fotografien wurden damals Personen
herausretuschiert, die dem Regime gegenüber in Ungnade gefallen waren.
Im Gespräch, u. a. mit Agron Tufa, Gezim Peshkepia (Foto: Anke Geier).
Ebenfalls Biografie-Arbeit betreibt die privatrechtliche Stiftung Online-Archiv der Opfer des
Kommunismus, die 2018 mit Unterstützung des Politikers der Demokratischen Partei und
Unternehmers, Agron Shehaj, gegründet wurde.29 Ziel der Stiftung ist es, die Gesellschaft über
die kommunistische Vergangenheit aufzuklären und politisch Verfolgten eine Stimme zu geben
29 Vgl. die Webseite der Stiftung („Erinnere!“) sowie den Bericht von Walter Mayr über
Agron Shehaj „Der Ruf aus Tirana“ im Magazin DER SPIEGEL Nr. 32 von 2015, S. 87 (, abgerufen am 8.8.2019).
24
sowie Anlaufstelle für diese zu sein. Bislang wurden auf einer multimedialen Plattform 52.000
Kurzbiografien veröffentlicht, die von einer Gruppe von Journalisten erarbeitet wurden. Diese
Steckbriefe wurden mit Fotos ergänzt, die von den Familien der Opfer zugesteuert wurden.
Videos und Dokumentarfilme werden auch produziert und hochgeladen. Die Plattform dient
vor allem der Vernetzung und dem Austausch der Familien mit anderen Betroffenen. Über
soziale Netzwerke, so erklärte Clerina Shehaj, würde eine entsprechende Reichweite des
Themas bewirkt. So hätte beispielsweise ein Video über 40.000 Klicks erhalten. Die Stiftung
erreichte zudem die Umbenennung einer Straße nach einem Opfer, hielt einen Gedenktag ab
und will in Zukunft mittels eines Stipendienprogramms Studierende anregen über die
kommunistische Vergangenheit zu forschen.
Anschließend sprachen wir mit dem deutschen OSCE-Botschafter in Albanien, Bernd
Borchardt, und Dr. Jonila Godole vom Institute for Democracy, Media and Culture und Klaudia
Zerva von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Albanien über die aktuelle Politik und die
Auswirkungen aktueller Herausforderungen auf die Aufarbeitungslandschaft in Albanien.
Das Institute for Democracy, Media and Culture (IDEM) ist eine unabhängige, gemeinnützige
Forschungs- und Politikorganisation, die seit 2012 besteht. Es verfügt über ca. 15.000 Euro
Haushaltsmittel im Jahr und wird durch Mitgliedsbeiträge, aber auch durch Mittel der
Regierung, von Unternehmen und Privatpersonen gefördert. Hauptpartner des IDEM sind der
Demokratiefonds der Vereinten Nationen sowie verschiedene deutsche und europäische
Stiftungen. Das IDEM führt Projekte durch, die sich mit der Rolle der Medien in
Demokratisierungsprozessen und mit der Entwicklung von Informations- und
Kommunikationstechnologien befassen. Geleitet wird das Institut von Dr. Jonila Godole. Im
Bereich der Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur wurden vor allem mit Journalismus-
Studierenden Projekte durchgeführt. So wurde eine Dokumentation gedreht, in der junge
Menschen aus acht albanischen Regionen interviewt wurden. Hierbei kam als Ergebnis
heraus, dass die albanische Gesellschaft eine nostalgische Gesellschaft ist und, dass junge
Albaner kein Wissen über die kommunistische Vergangenheit haben. Bis jetzt wurden vom
IDEM 40 bis 50 Projekte umgesetzt. Ziel ist es, über die Vergangenheit zu sprechen und den
Diskurs in der Öffentlichkeit anzustoßen. Was zunächst mit Studierenden begonnen hat, wird
nun bereits mit Schülern fortgesetzt. So wurde ein sehr populärer Wettbewerb initiiert, der sich
„Frag deine Großeltern“ nennt. Hierfür wurde den Schülern eine Anleitung zur Oral-History-
Befragung mitgegeben. Weiterhin unterstützt das Institut Lehrende an den Schulen, die
mitunter sehr wenig Information über die kommunistische Diktatur haben. Ein Fazit von Frau
Godole war, dass im Süden Albaniens, dieser Bildungsauftrag immer schwieriger wird. Es gibt
dort sehr viele Nostalgiker, auch unter den Lehrern an den Schulen. Um dem
25
entgegenzuwirken, erstellte das IDEM Lehrmaterial mit Archivdokumenten und didaktischen
Hinweisen zur Vermittlung. Es wurden bereits mehrere 100 Lehrer geschult, die das
kostenfreie Material auch nutzen.30
Das Fazit der Gespräche am 24. Mai mit den Vertretern verschiedener Institutionen war, dass
es in Albanien in Bezug auf die kommunistische Vergangenheit keine Gerechtigkeit gebe. Die
Entschädigung der politisch Verfolgten sei undurchsichtig und uneinheitlich. Viele Opfer
würden nicht entschädigt, beispielsweise würden die unter Sippenhaft internierten Frauen und
Kinder keine Entschädigung erhalten. Die ersten Opfer, also diejenigen, die unter der ersten
Regierung der Demokratischen Partei Entschädigung beantragt hätten, wären „Gewinner“
gewesen. Andere, die im Ausland lebten und später Entschädigungsforderungen gestellt
hätten, würden keine Entschädigung erhalten. Das Prozedere der Antragstellung wäre zudem
für die Betroffenen mühselig, da sie in der Pflicht seien, Nachweise ihrer Verfolgung zu
erbringen. Extrem belastend wäre zudem, die Retraumatisierung der Opfer, die ständig auf die
Täter treffen würden. Zahlreiche Täter sind seit den 1990er-Jahren wieder in wichtigen Ämtern
untergekommen. Dr. Godole plädierte dafür, die Namen der Täter zu nennen, um so ein klein
wenig Gerechtigkeit zu erlangen.31 Die Probleme der ehemals politisch Verfolgten würden in
Albanien zudem durch die tagtäglichen Schwierigkeiten, wie ein schlechtes
Gesundheitswesen, das teilweise nur durch Schmiergeldzahlungen funktioniert, zwar in den
Hintergrund gedrängt, aber sie bestehen fort. Was zurzeit fehlt, ist eine professionelle
Anlaufstelle zur Beratung von Betroffenen ähnlich den Beratungsinitiativen SED-Unrecht, die
von den Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Deutschland initiiert
wurden. Die verschiedenen Opfergruppen sind aufgrund von Zusammenarbeit mit Politikern
der Sozialdemokratischen Partei und der Demokratischen Partei untereinander zerstritten und
gespalten. Es herrscht mitunter eine Form der „Leidenskonkurrenz“. Selbst nach 30 Jahren
sind die Betroffenen politischer Verfolgung von dem Gefühl beherrscht, dass lediglich
internationale Institutionen die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit fördern. Das
deutsche Modell der Aufarbeitung, d. h. die Förderung der Opferverbände, die
wissenschaftliche Erforschung der Diktatur und die Aufklärung der Öffentlichkeit, wird von den
Albanern geschätzt. Das Vertrauen in albanische Strukturen sei dagegen gering, eher würde
ausländischen Institutionen, wie der KAS oder der Bundesstiftung Aufarbeitung vertraut.
Zumal ein überaus großes Problem, die Korruption im Land sei. Die Aufarbeitung in Albanien
würde daher ohne ausländische finanzielle Unterstützung wegbrechen.
30 Vgl. Mitschriften von Dr. Anke Geier beim Gespräch mit Dr. Jonila Godole. 31 Vgl. Mitschriften von Dr. Anke Geier beim Gespräch mit Dr. Jonila Godole.
26
Am letzten Tag unserer Studienreise, am 25. Mai 2019, besichtigten wir in Tirana das Museum
„House of Leaves“ („Haus der Blätter“) und das Museum „BunkArt 2“. Diese beiden Museen
offenbarten einen extremen Kontrast, was das Konzept und die didaktische Vermittlung der
kommunistischen Vergangenheit betreffen.
Das „Haus der Blätter“ (Muzeu Kombëtar „Shtepia me Gjethe“) wurde am 23. Mai 2017 eröffnet
und ist damit das jüngste Museum Albaniens, das sich der kommunistischen Vergangenheit
widmet.32 Das Haus selbst war seit 1950 Sitz der Abteilung V der albanischen Geheimpolizei
Sigurimi. Diese Abteilung überwachte die in Albanien lebenden Ausländer und Diplomaten
sowie die Albaner, die Kontakt zu Ausländern hatten.33
Darstellung im „Haus der Blätter“: die Abteilung V des Sigurimi-Geheimdienstes überwachte die
Gebäude in Tirana, in denen Ausländer lebten und arbeiteten (Foto: Anke Geier).
Den Namen „Haus der Blätter“ erhielt das Gebäude durch den dichten Bewuchs mit
Kletterpflanzen und die vielen Laubbäume am Haus, die verhinderten, dass das Gebäude von
der Straße aus zu sehen war. Überhaupt kannten nur wenige Tiraner das Gebäude und
dessen Aufgabe. Das Haus, das 1931 als Frauenklinik errichtet wurde, soll während des
Zweiten Weltkrieges durch die deutsche Gestapo als Hauptquartier und Gefängnis genutzt
32 Vgl. die Webseite des Museums . 33 Vgl. „Haus der Blätter“, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an
die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 20.
27
worden sein. Nachdem die Kommunisten unter Enver Hoxha die Macht übernommen hatten,
nutzte der Sigurimi das Objekt. Von 1991 bis 2006 war das Haus eine Zweigstelle des
albanischen Nachrichtendienstes und zwischen 2006 und 2014 stand das Gebäude, das noch
immer dem Nachrichtendienst gehörte, leer. 2014 übernahm das Kulturministerium das
Gebäude mit dem Ziel, eine Gedenkstätte einzurichten. Anregungen für ein gestalterisches
und inhaltliches Konzept, kamen u. a. aus Deutschland. Albanische Historiker und
Wissenschaftler, Vertreter von albanischen Opferverbänden und Institutionen recherchierten
Inhalte in den Archiven (Sigurimi-Behörde, Innenministerium, Staatsarchiv) und entwickelten
ein stimmiges inhaltliches Konzept. Ein Architekturstudio setzte das gestalterische Konzept für
das Museum um. Zwischen Mai 2017 und Anfang 2019 kamen bereits 30.000 Besucher, davon
60 % Ausländer und 40 % Albaner. Im Museum werden Führungen für ausländische und
inländische Besucher angeboten. Schulklassen der Mittelschulen und Gymnasien werden im
Rahmen von Bildungsprogrammen kostenlos durchs Museum geführt. Zudem finden einmal
im Jahr Schulprojekte statt, die Themen des Museums beinhalten. Das Museum arbeitet eng
mit Wissenschaftlern und Studierenden zusammen, beispielsweise von der Tiraner
Universität. An der Fakultät für Fremdsprachen werden aktuell Informationstexte für den
Audio-Guide in die italienische und französische Sprache übersetzt.
Das Museum ist in neun Bereiche aufgegliedert.34 Zu Beginn des Rundganges wird die
Geschichte Albaniens von den 1930er-Jahren bis zum
Ende des Jahrhunderts anhand des Hauses dargestellt.
Im Gebäude finden sich viele materielle Spuren der
Hausgeschichte. So sind beispielsweise im
Eingangsbereich im Bodenpflaster Schriftzüge zu
sehen, die auf die Nutzung als Frauenklinik hinweisen.
Die ersten Jahre (1945 - 1946), in denen der Sigurimi
das Gebäude als Gefängnis und für Verhöre nutzte, wird
in einem Raum an den Wänden gezeigt. Dort sind
schematische Zeichnungen der Foltermethoden
dargestellt. Der Aufbau der Sigurimi und die Geschichte
sowie die führenden Köpfe des Geheimdienstes werden
ebenso dargestellt. Die Nutzung ab 1950, als Ausländer
und Albaner mit Kontakt zu Ausländern von hier aus
überwacht wurden, kehrt in der Ausstellung mit vielen
Beispielen immer wieder (bspw. wurde 1986 in der
34 Die neun Bereiche sind: „Bugs and other creatures“, „Living microphones“, „The enemy”, „External
enemy”, „Intermezzo“, „Everyday life”, „Voices of the past”, „The Panopticon”, „Imperfect Past”. Vgl. hierzu auch die zweisprachige Broschüre des Museums: House of Leaves. The Museum of Secret Surveillance, hrsg. vom albanischen Kulturministerium.
Darstellung der Foltermethoden
(Foto: Anke Geier).
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Kleinstadt Kukës der Briefwechsel von 55 Personen überwacht). Sei es, dass die Entwicklung
der technischen Abhörmöglichkeiten in einem Raum sehr anschaulich dargestellt wird, indem
zahlreiche Technik (Telefone, Kameras, Tonbänder, Aufnahmegeräte, Mikrofone,
Abhörstationen, Computer usw.) auf einem großen Tisch symmetrisch drapiert wurden, oder
sei es, dass eine Miniatur-Wanze, die kaum 1 Zentimeter groß ist, zu bestaunen ist. Diese
Wanze wurde damals in einem Labor des Innenministeriums hergestellt. Überhaupt taucht „die
Wanze“ immer wieder auf. In Albanien wird das Wort „Wanze“ auch als Synonym für die Spitzel
bzw. Inoffizielle Mitarbeiter der Sigurimi benutzt. Im „Haus der Blätter“ liefen zwischen 1950
und 1991 alle Informationen zusammen, die mit der neuesten Abhörtechnik abgefangen
wurden und die die Ausländer in Albanien betraf. Im Haus wurden diese Informationen
ausgewertet und an die Sigurimi-Zentrale im Innenministerium weitergegeben. Viele der
technischen Geräte wurden aus dem Ausland importiert, aus der DDR, Bundesrepublik,
Sowjetunion, China usw. Es wurde sehr viel Geld für die Technik ausgegeben.
Technische Gerätschaften zum Abhören (Foto: Anke Geier).
Im Museum wird auch die Arbeit der Geheimdienst-Spitzel gezeigt (u. a. mit einem Lehrfilm
der Sigurimi), aber auch die Anwerbung und Arbeit eines Spitzels anhand von Dokumenten
belegt. Ein weiterer Raum, der sehr bedrückend ist, gibt den Opfer der politischen Verfolgung
einen Namen: Von oben bis unten sind die vier Wände des Raumes mit den Namen der Opfer
beschrieben. Es sind die Exekutierten, aber auch die Verurteilten aufgeschrieben. Eine Leiter
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in der Mitte des Raumes wurde symbolisch aufgestellt, um jeden Namen nachlesen zu können.
Das Museum zeigt zudem den Alltag in Albanien ab den 1970erJahren. Ein typisches
Wohnzimmer einer regimetreuen, bessergestellten Familie wird gezeigt mitsamt einem
Fotorahmen (leer) an der Wand, der illustrieren soll, dass jede Familie in ihrer privaten
Wohnung das Porträt von Enver Hoxha an der Wohnzimmerwand hängen haben musste.
Das Museum „Haus der Blätter“ zeigt anschaulich die neuesten Erkenntnisse zur Geschichte
der kommunistischen Diktatur und entspricht den modernen musealen Sehgewohnheiten. Bei
einer Albanien bzw. Tirana-Reise ist der Besuch des Museums unbedingt zu empfehlen.
Einen völligen Gegensatz zum Museum „Haus der Blätter“ stellt die multimediale Ausstellung
„BunkArt II“ dar. Die Ausstellung findet sich in den zwischen 1981 und 1986 erbauten
Schutzbunkertunneln des albanischen Innenministeriums im Stadtzentrum Tiranas. Zu sehen
ist die Geschichte des albanischen Innenministeriums, der Geheimpolizei Sigurimi (dem
Innenministerium unterstellt) und der albanischen Polizei. Kurator dieser Ausstellung (sowie
der ersten Ausstellung „BunkArt I“ am Stadtrand von Tirana, ab November 2014) war der
italienische Journalist Carlo Bollino.35 Die Nichtregierungskommission Qendra Ura unterstützt
Bollinis Konzept, Geschichte und Kunst zu verbinden. Am 19. November 2016 wurde das
Museum „BunkArt II“ eröffnet. Seitdem haben über 100.000 Besucher „BunkArt II“ und
„BunkArt I“ gesehen.36 Das Museum zählt zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten der
Hauptstadt.37 Im neueren BunkArt II-Bunker sind 24 Räume zu besichtigen, die einst der
Führungselite Schutz vor atomaren, biologischen und chemischen Angriffen bieten sollte. Das
Bunkerbauprogramm wurde zwischen 1973 und 1985 forciert. Von den über 200.000 Bunkern,
die vor allem an der Staatsgrenze und den Küsten geplant waren, sollen 173.371 Bunker
gebaut worden sein.38 Die Ausstellung „BunkArt II“ versprüht den Charme von Ausstellungen
der frühen 1990er-Jahre in Deutschland über die SBZ und DDR und den Kommunismus, die
für eine erste Information über die Verbrechen in der Diktatur essentiell waren, aber
mittlerweile überholt sind, zumindest was die Sehgewohnheiten im Museum betrifft. Die
Ausstellungsmacher würdigen zwar in der Eingangskuppel die Opfer des kommunistischen
35 Vgl. „BunkArt I und BunkArt II“, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur
Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 23-24 und die Webseite der Museen .
36 Vgl. Mitschriften von Dr. Anke Geier beim Gespräch mit dem Leiter Ergys Gezka und Admirina Peçi am 25.5.2019 sowie den kritischen Artikel von Llazar Semini: Atombunker der Kommunisten als Touristenziel, in: WELT vom 7.5.2016 (, abgerufen am 12.8.2019).
37 Vgl. Online-Artikel von Claus Hecking: Im Land der 173.371 Bunker, in: SPIEGEL Online vom 16.5.2017 (, abgerufen am 12.8.2019).
38 Vgl. „BunkArt I und BunkArt II“, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 23.
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Terrors, aber die Ausstellung und die ausgestellte Kunst lassen den reflektierten Besucher
oftmals ratlos zurück. Viele Ausstellungsstücke bleiben merkwürdig unkommentiert, wie
beispielsweise ein Frisörstuhl und um den Fuß des Stuhls drapierte Haare. Soll damit
dargestellt werden, dass im Bunker (der niemals benutzt wurde) auch ein Frisör bereitstand?
Einige Informationstafeln sind umrahmt mit Stacheldraht, wie beispielsweise eine Darstellung
des Lebens im Internierungslager Tepelena. Quellenangaben zu den ausgestellten Objekten,
Dokumenten und Fotografien fehlen. Gerade unter den Eindrücken des Vormittags im „Haus
der Blätter“ wird man das Gefühl nicht los, dieses Museum sei eine „Touristenfalle“. Angelockt
durch den Mythos Albaniens als „Land der 1000 Bunker“39 sind die Bunker mittlerweile
Konsumgut geworden. Auch der Albanien-Tourist scannt auf seiner Fahrt durchs Land
unwillkürlich die Landschaft auf der Suche nach den markanten Überbleibseln der Diktatur.
Eingang zur Ausstellung BunkART II (Foto: Anke Geier).
Wohltuend dagegen die Kunstinstallationen des Mahnmalkomplexes „Post-Bloc“, der sich an
der ehemaligen Sperrzone im heutigen Tiraner Ausgehviertel „Blokku“ befindet. Ein Bunker,
ein Stützsegment aus den Bergwerksstollen des Arbeitslagers Spaç und ein Originalsegment
39 Vgl. hierzu den Online-Artikel von Maria Wiesner: Im Land der tausend Bunker, in: Frankfurter
Allgemeine vom 5.8.2015 (, abgerufen am 12.8.2019). Miniatur-Bunker als Schlüsselanhänger und Aschenbecher usw. gibt es überall zu kaufen.
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der Berliner Mauer erinnert an die kommunistische Diktatur und würdigt die Opfer. Am 26.
März 2013 wurde das von Fatos Lubonja und Ardian Isufi entworfene Mahnmal-Ensemble
eingeweiht.40
Am Ende unserer Studienreise wollten wir die Grabstätten der durch das Regime Enver
Hoxhas Ermordeten auf dem Friedhof bei der Mutter Albanien (Nëna Shqipëri) hoch über der
Hauptstadt Tirana besuchen und wie so oft auf unserer Reise innehalten und Blumen für die
Opfer der Diktatur niederlegen. Bedauerlicherweise war das Friedhofstor verschlossen, so
dass die Reisegruppe unverrichteter Dinge umkehren musste.
Die Reise nach Albanien, vor allem die Gespräche mit Zeitzeugen und mit den in der
Aufarbeitung Engagierten halfen die eigene Arbeit in Deutschland zu reflektieren. Auch wenn
die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Deutschland hier und da sicherlich
verbessert werden könnte, steht diese im Gegensatz zu Albanien auf einem soliden
finanziellen und personellen Fundament. Es gibt eine wissenschaftliche Aufarbeitung des
Kommunismus an den deutschen Hochschulen und an Forschungsinstituten und in den
Schulen ist die Zeit zwischen 1945 und 1990 Teil des Lehrplans. Opferverbände erhalten
staatliche Unterstützung und haben eine Stimme, die sie erheben dürfen. Dies alles sollten wir
festhalten und honorieren, gerade im Vergleich zu Albanien sowie zu anderen Staaten des
Ostblockes, die in der Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte noch eine weite Strecke
zurückzulegen haben. Nichtsdestotrotz machte diese Studienreise nach Albanien Mut, denn
es wurde dort schon viel geschafft im Vergleich zur ersten Reise der Bundesstiftung nach
Albanien im Jahr 2010. Ob dieser positive Weg der Aufarbeitung und Vermittlung der
kommunistischen Vergangenheit weitergegangen wird, wird sich in der Zukunft zeigen.
40 Vgl. Mahnmalkomplex „Post-Bloc“, in: Kaminsky, Anna (Hg.): Museen und Gedenkstätten zur
Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen, Dresden 2018, S. 22.