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Kapitel III Die kategoriale Unterschiedenheit von geistigem und sinnlich wahrnehmbarem Sein als Ausgangspunkt der plotinischen Aristoteles-Kritik i. Plotin als Platoniker a) Der „gegenständliche" und der „aktuale" Aspekt in der Philosophie Plotins (i) Es hat sich eingebürgert, zwischen dem „gegenständlichen" und dem „aktualen" Aspekt in der Philosophie Plotins zu unterscheiden * und dabei im Anschluß an Brehier auf die „aktuale" Seite den Akzent zu setzen 2 . Statt 1 Die Terminologie für den gemeinten Unterschied stammt von Kristeller, Der Be- griff der Seele in der Ethik Plotins, 5; der Sachverhalt ist natürlich schon länger als gegeben angesehen worden. Vgl. Schwyzer, MH i, 1944, 87-99; ders., RE Bd. 41, Sp. 549, 28 ff. 2 Brehier, La Philosophie de Plotin: „Opposons nettement les deux points de vue: le rationalisme platonicien, c'est l'affirmation de la transcendence de l'Un, mesure uni- verselle des choses, et qui, par consequent, leur est heterogene; la theorie de l'extase, c'est l'affirmation de l'immanence de l'äme de l'intelligence dans l'Un" (163/164). „II est clair que, entre une conception purement rationnelle de l'ordre des formes, teile que serait la ge"ne*ration des hypostases prise de l'ext^rieur, et cette penetration intime ou union que Plotin exige pour lui donner son plein sens, toute la difference est dans l'attitude du moi, dans son rapport aux objets qu'il contemple" (168). „Le caractere original de cet idealisme, qui en fait quelque chose de nouveau et de fecond, c'est qu'il a £gard, non pas, comme 1'idealisme hellenique, aux objets, mais aux rapports du sujet et de l'objet" (181). - Eine Aufzählung der an Brehier an- knüpfenden Arbeiten bei Krämer, Geistmetaphysik, 423, Anm. 174; vgl. z. B. Bek- ker, Plot. Probl. d. geist. Aneignung, 2: „... das bekannte platonische Bild für die Scheidung des Sinnlichen und des Geistigen, hier bei Plotin als Gleichnis für zwei Seinsweisen der Seele ...". Volkmann-Schluck, Plot, als Interpret d. Ontologie Pla- tons, 120: „... daß vielmehr Plotins Grundgedanke von der Trennung und Einung der Seele in seinen verschiedenen Formen verkürzt wird, wenn man die geradlinige Erzeugung der Stufen auseinander zum Problemhorizont macht und sie für die endgültige Gestalt der Philosophie Plotins nimmt". Brought to you by | Heinrich Heine Universität Düsseldorf Authenticated | 93.180.53.211 Download Date | 12/13/13 4:55 AM

Substanz und Qualität (Ein Beitrag zur Interpretation der plotinischen Traktate VI,1, 2 und 3) || Kapitel III. Die kategoriale Unterschiedenheit von geistigem und sinnlich wahrnehmbarem

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Page 1: Substanz und Qualität (Ein Beitrag zur Interpretation der plotinischen Traktate VI,1, 2 und 3) || Kapitel III. Die kategoriale Unterschiedenheit von geistigem und sinnlich wahrnehmbarem

Kapitel III

Die kategoriale Unterschiedenheit von geistigemund sinnlich wahrnehmbarem Sein als Ausgangspunkt

der plotinischen Aristoteles-Kritik

i. Plotin als Platoniker

a) Der „gegenständliche" und der „aktuale" Aspekt in der PhilosophiePlotins

(i) Es hat sich eingebürgert, zwischen dem „gegenständlichen" und dem„aktualen" Aspekt in der Philosophie Plotins zu unterscheiden * und dabeiim Anschluß an Brehier auf die „aktuale" Seite den Akzent zu setzen2. Statt

1 Die Terminologie für den gemeinten Unterschied stammt von Kristeller, Der Be-griff der Seele in der Ethik Plotins, 5; der Sachverhalt ist natürlich schon länger alsgegeben angesehen worden. Vgl. Schwyzer, MH i, 1944, 87-99; ders., RE Bd. 41,Sp. 549, 28 ff.

2 Brehier, La Philosophie de Plotin: „Opposons nettement les deux points de vue: lerationalisme platonicien, c'est l'affirmation de la transcendence de l'Un, mesure uni-verselle des choses, et qui, par consequent, leur est heterogene; la theorie de l'extase,c'est l'affirmation de l'immanence de l'äme de l'intelligence dans l'Un" (163/164).„II est clair que, entre une conception purement rationnelle de l'ordre des formes,teile que serait la ge"ne*ration des hypostases prise de l'ext^rieur, et cette penetrationintime ou union que Plotin exige pour lui donner son plein sens, toute la differenceest dans l'attitude du moi, dans son rapport aux objets qu'il contemple" (168). „Lecaractere original de cet idealisme, qui en fait quelque chose de nouveau et defecond, c'est qu'il a £gard, non pas, comme 1'idealisme hellenique, aux objets, maisaux rapports du sujet et de l'objet" (181). - Eine Aufzählung der an Brehier an-knüpfenden Arbeiten bei Krämer, Geistmetaphysik, 423, Anm. 174; vgl. z. B. Bek-ker, Plot. Probl. d. geist. Aneignung, 2: „... das bekannte platonische Bild für dieScheidung des Sinnlichen und des Geistigen, hier bei Plotin als Gleichnis für zweiSeinsweisen der Seele ...". Volkmann-Schluck, Plot, als Interpret d. Ontologie Pla-tons, 120: „... daß vielmehr Plotins Grundgedanke von der Trennung und Einungder Seele in seinen verschiedenen Formen verkürzt wird, wenn man die geradlinigeErzeugung der Stufen auseinander zum Problemhorizont macht und sie für dieendgültige Gestalt der Philosophie Plotins nimmt".

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um die Lösung ontologisdier Probleme in metaphysischer Spekulation gehtes Plotin danach in erster Linie um das Schicksal der Seele; entsprechenddieser Ansicht wird das aus der philosophischen Tradition überkommeneLehrgut im Strom einer für die Antike neuartigen Subjektivität (Orient-These!) umgestaltet und dient gleichsam nur als Mittel zur Formulierunginneren Erlebens.

Kutten3 madit sich bei seiner Interpretation der plotinischen TraktateVI 1-3 „Über die Genera des Seienden" die Sichtweise Br6hiers zu eigen:Nach seiner Überzeugung vermischt Plotin durchgängig die ontologischeund die gnoseologische Fragestellung, indem er seine innere, subjektive Er-fahrung nach außen zur scheinbaren Realität des Hypostasensystems pro-jiziert, derart, daß das Eine und die verschiedenen Stufen der Vielheitlich-keit verschiedene Stufen des Bewußtseins repräsentieren4. So drücken Iden-tität und Diversität im Geiste nicht die objektiv gegebene Pluralität dergeistigen Welt als Summe der Ideen aus, sondern kennzeichnen den geisti-gen Akt, durch den das Eine zur Vielheit und die Vielheit zur Einheit ver-mittelt werden. Den Mundus sensiblis charakterisiert Kutten als Stufe derErkenntnis, auf der die Erkenntnisobjekte aus der Seele herausträten undsich dieser und sich selbst gegenüberstellten; die sinnliche Wahrnehmung seidesto weniger im Besitze ihres Objektes, je vielfältiger dieses sei. Die Seelekann nach einer solchen Auffassung nicht mehr (wie bei Platon) Mittlerinzwischen der objektiv gegebenen geistigen Welt und der Sinnenwelt sein,sondern sie ist selbst diskursive Denkbewegung, die die Einheit des In-telligiblen zersplittert und die Vielheit des Sinnlichen unter gemeinsamenNamen zusammenfaßt. So seien die Kategorien der Sinnenwelt für Plotinnichts anderes als Schablonen, die das diskursive Denken den Erscheinungenanträgt; Plotin sei demnach Nominalist, wobei sein Nominalismus notwen-dig aus seiner Auffassung der Hypostasen als Erkenntnisstufen von unter-schiedlicher Einheit folge.

3 Kutten, Les categories du monde sensible dans les „Enn^ades" de Plotin (1961).4 »La confusion de ,id quod* et du »modus quo'", a.a.O., 19 u.ö.; „Depuis l'Un

jusqu'aux phe"nomenes, chacune des hypostases plotiniennes est une ,connaissance'e*rige*e en re*alite". Le Premier est extase, intellection l'intelligible et illusion le sen-sible. Quant ä l'hypostase discursive sa re'alite' coincide avec la distance qui lase*pare de ses objets. Seule une interpretation nominaliste du discours pennetd'assigner ä l'äme logique un rang dans la Hierarchie des hypostases", a. a. O., 40.Vgl. auch Kutten, RPhL 58, 1960, 433: „La hierarchic des hypostases se presentecomme une hie"rarchie des niveaux noe*tiques, dont chacun s'oppose ä celui qui pr£-cede comme la multiplicity ä l'unite".

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„Gegenständliche" und „aktuale" Plotininterpretation 135

(2) Nun hat Krämer - ausgehend von den Forschungen zu Platons Vor-lesung „Über das Gute" - den Nachweis zu führen versucht, daß die Denk-formen der älteren Akademie in einem bisher nicht beachteten Maße inPlotins Denken wirksam sind5. Ein solcher Ansatz schwächt die SichtweiseBreliiers und der an ihn anknüpfenden Plotin-Forschung weitgehend abund stellt das „Gegenständliche" in Plotins Denken, also die in der Tra-dition begründete ontologisch-metaphysische Fragestellung, als für es kon-stitutiv heraus. Die Annahme des sich selbst denkenden Geistes ist danachnicht die Beschreibung einer subjektiven Setzung seiner Inhalte im Vollzugdes Denkens, sondern der Ausdruck der lebendigen Beziehung dieser immerschon vorhandenen und damit objektiv gegebenen Inhalte aufeinander.Ebenso sind die anderen Hypostasen nicht in erster Linie Stufen des Bewußt-seins, sondern Stufen einer Wirklichkeit, die sich in der Richtung ihrer Ent-faltung, Dimensionierung und Materialisierung immer mehr abschwächt undabgewertet wird. Daß dabei das Verhältnis der Hypostasen zueinanderdynamischer als das der Seinsstufen in den altakademischen Systemen ge-sehen und die „aufsteigende" Beschreibung des Hypostasengebäudes oftals Schilderung des Weges der Seele durchgeführt wird, hindert nicht, PlotinsDenken als spekulative Metaphysik im Sinne der griechischen Tradition zuverstehen und seine Modifikationen gegenüber den Denkformen der älte-ren Akademie aus der innergriechischen philosophischen Tradition zu er-klären.

b) Die „gegenständliche" als die den plotinischen Traktaten „Über die Ge-nera des Seienden" angemessene Betrachtungsweise

(i) Die Auseinandersetzung mit der aristotelischen Kategorienlehre, aus-gehend von der Plotin seine eigene Kategorienlehre entwickelt, läßt sich

5 Krämer, Der Ursprung der Geistmetaphysik (1964), geht von den Ergebnissen seinerArbeit „Arete bei Platon und Aristoteles" (1959) und von Gaiser, Platons ungesdir.Lehre (1963), aus, die ihrerseits an die von Robin, Stenzel, Merlan, Wilpert u. a.inaugurierte -Forschung anknüpfen (vgl. oben S. 36, Anm. 64). Da-nach steht hinter Platons Dialogen als philosophisches System die Ableitung allesSeienden aus den Prinzipien £v und und damit eine Stufenordnung,die den Ausgangspunkt für alle folgenden Stufenordnungen im Platonismus bildet.Krämer verfolgt die beiden Ausformungen, die diese Stufenordnung bei Speusippund Xenokrates erfahren hat, bis hin zu Plotin und versucht zu zeigen, daß einer-seits wichtige Merkmale des plotinischen Denkens wie das überseiende Eine unddas Sichselbstdenken des Geistes in den Systemen der älteren Akademie vorgebildetsind, daß andererseits Züge dieser Systeme wie etwa die paradigmatische Deutungder Seinsstruktur anhand der Mathematik („Idealzahlenlehre") bei Plotin wenig-stens rudimentär noch nachwirken.

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bis in den „Mittelplatonismus", ja bis ins i. Jahrhundert vor Christi Geburtzu Eudoros von Alexandreia zurückverfolgen6. Sowohl dort wie auch beiPlotin stützt sich die Polemik gegen Aristoteles auf das Argument, daß diesinnlich wahrnehmbare und die intelligible Substanz nicht unter ein ge-meinsames Genus „ " geordnet werden könnten, daß also die aristo-telischen Kategorien notgedrungen in ihrer Geltung auf die Sinnenwelt be-schränkt und deshalb als unzureichend seien. Dieses Argu-ment, das die kategoriale Verschiedenheit von Sinnen- und Geisteswelt vor-aussetzt und deshalb eine formale Dihairesis des ov in undablehnt, macht einen originären Platonismus zur Grundlage der Kategorien-kritik7.

Da die Thematik der plotinischen Traktate „Über die Genera des Seien-den" sowie die grundsätzliche Form der Behandlung dieser Thematik aus derTradition stammen, ist es von vornherein geboten, Plotins Aussagen zumThema „gegenständlich" zu interpretieren. Gegenüber einer Position wieder Ruttens kommt es dabei nicht so sehr darauf an, in historiographischerAbsicht die von Krämer vertretene weitgehende Abhängigkeit Plotins vonaltakademischem Gedankengut und dessen mögliche Überlieferungswege nunim Hinblick auf die Kategorienfrage zu verifizieren oder zu falsifizieren8,sondern es genügt, in eher systematischer Absicht Plotin bei seiner Ausein-

6 Auf Lukios und Nikostratos, deren Kritik an der aristotelischen Kategorienlehre beiSimplikios In Arist. cat. zu finden ist, hat Praechter, Hermes 57, 1922, 481-517,aufmerksam gemacht. Zu Eudoros vgl. Theiler, Festschr. Hirschberger, 204 f.

7 Allerdings stehen bei Lukios/Nikostratos neben dem Hinweis auf den beschränktenGeltungsbereich der aristotelischen Kategorien und anderen von den Ansprüchen derplatonischen Metaphysik her verständlichen Einwänden auch solche, die die Kate-gorien vom Gesichtspunkt grammatischer Systematik betrachten (vgl. Simpl. InArist. cat. 64, 13 ff. K.). Solche Kritik stammt wohl aus stoischen Bereich; denn wieSimpl. In Arist. cat. 18, 27 ff. K. zeigt, betrachteten auch die Stoiker Athenodorosund Kornutos die Kategorien unter dem Gesichtspunkt sprachlich-grammatischerSystematik. Vgl. dazu Praechter, Hermes 57, 1922, 508/509 mit Anm. i.

8 Nicht unwidersprochen geblieben ist Krämers an Burkert, Wissenschaft und Weis-heit, 74-85, anknüpfende These, das altakademische Gedankengut habe währendder skeptischen Periode der Akademie unter des Pythagoras Namen weitergelebt(MH 2i, 1964, 157, aufgenommen und ausgebaut in „Geistmetaphysik", 45-62, bes.53-56; vgl. Gaiser, AGPh 46, 1964, 250). Theiler, Festschr. Hirschberger, 208/209und 210, Anm. 13, vermutet, daß es Eudoros gewesen sei, der die bei SextusEmpiricus Adv. math, , 263-275, überlieferten Berichte über Platons Vorlesung„Über das Gute" den Pythagoreern zugewiesen habe. - Daß die speusippeischeAusformung des altakademischen Systems - also mit überseiender Spitze - in derGnosis weitergelebt habe, stellt Krämer, Geistmetaphysik, 223-264, selbst nur alsHypothese dar. - Im übrigen beschäftigt er sich nicht mit Plotins Auseinander-setzung mit der aristotelischen Kategorienlehre. Die im Sachindex s. v. „Kategorien"angeführten Stellen handeln über die beiden akademischen Prinzipien.

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„Gegenständliche" und „aktuale" Plotininterpretation 137

andersetzung mit der aristotelischen Kategorienlehre in dem Sinne als Pla-toniker zu verstehen, daß die Deutung seines Denkens als einer Spielart des„absoluten Idealismus" abgewehrt und die objektive Gegebenheit des geisti-gen und seine Unterschiedenheit vom sinnlich wahrnehmbaren Sein voraus-gesetzt wird9. Es braucht deshalb im Ansatz nicht gefragt zu werden, obPlotins Platonismus von selbst oder von einem seiner unmittelbaren Nach-folger stamme und wann welche Veränderungen und Ergänzungen im einzel-nen eingetreten seien. Unter diesem Gesichtspunkt ist es auch gerechtfer-tigt, die in den neuplatonischen Kategorien-Kommentaren fragmentarischüberlieferte Kategorienkritik der Mittelplatoniker nicht eigens zu behandeln,sondern die Auseinandersetzung der Platoniker mit Aristoteles in der Philo-sophie Plotins aufzusuchen, wo sie im Rahmen einer umfassenden philoso-phischen Konzeption sichtbar und so genauer verständlich wird.

(2) Die Forschungen zu Form und Nachwirkung des altakademischenSystems führen, wie oben bei der Aristoteles-Interpretation deutlich zu ma-

9 Vgl. die Stimmen der Rezensenten Ruttens: V. Cilento, Gnomon 35, 1963, 346-355, der gewiß nicht zu den extremen Anhängern einer historischen Erklärung derPhilosophie Plotins aus dem vorangehenden Platonismus gehört, hält Rutten ent-gegen, daß Plotin nicht in moderne Denkschemata gepreßt werden dürfe und daßvor allem der wiederholt ausgesprochene Vorwurf, Plotin verwechsle „id quod" und„modus quo" der Erkenntnis, ungerechtfertigt sei, weil hier keine Verwechslung,sondern die parmenideisch-platonische Identität von Sein und Denken vorliege.Ganz ähnlich äußert sich R. Joly, AG 31, 1962, 497. C. de Vogel, Mnemosyne 17,1964, 314-316, hält Ruttens Deutung der plotinischen Philosophie, die er zumFundament seiner Interpretation der Traktate VI 1-3 macht, ebenfalls für falsch,weil sie die objektive Gegebenheit der geistigen Welt als gegliederte Vielheit undihres Prinzipes leugne. „L'auteur n'a pu construire ici une espece d'abime entrcPlaton et Plotin qu' en de*niant le caractere d' propre aux choses phe*nom£nales chez Plotin" (316). E. Elorduy, Emerita 31, 1963, 177/178, greift ebenfallsRuttens Grundkonzeption an, nach der das Hypostasen-Gebäude eine Projektion deiErkenntnisarten darstellt; außerdem weist er auf die Problematik des neuscholasti-schen Aristoteles-Verständnisses hin, von dem Rutten ausgeht. Ähnlich wehrt sichJ. Trouillard, REG 75, 1962, 304-306, dagegen, einen Neuaristotelismus zum Aus-gangspunkt der Plotin-Interpretation zu machen, freilich mit der Begründung, daßdieser in seinem Rationalismus dem religiösen Grunde des Neuplatonismus nichtgerecht werde; aber auch er als Vertreter der „aktualen" Plotin-Interpretation ver-mag die der Sinnenwelt nicht als Projektion der Subjektivität zu sehen, son-dern wertet die Sinnbezüge der Sinnenwelt als abgeschwächten Ausdruck intelli·gibler Gesetzmäßigkeit (305). W. Theiler, MH 20, 1963, 246, äußert sich zur vonRutten geleisteten philologischen Arbeit positiv, gibt aber gleichfalls zu bedenken,ob nicht „das philosophische Anliegen, bei Plotin die Anfänge des Nominalismus zofinden (und nicht etwa beim Schüler Porphyries)," übersteigert erscheine und obes „der von Plotin lebendig erfahrenen Identität von Seiendem und Erkanntem"ganz gerecht werde. - Zustimmend äußern sich dagegen R. Henry, RBPh 40, 1962,1024/1025; A. N. M. Rieh, AGPhilos 46, 1964, 127/128; E. Vogt, AAHG 17, 1964,15-18.

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dien versucht wurde, auch zu einem genaueren Verständnis der aristoteli-schen Philosophie. Das ist für die Frage, ob Plotins Traktate „Über die Ge-nera des Seienden" eher „gegenständlich" oder eher „aktual" zu interpre-tieren seien, insofern entscheidend, als die Einschätzung der plotinischenHaltung in der Kategorienfrage in starkem Maße von dem Bild bestimmtist, das sich der Interpret von dem Anspruch und der Leistung der aristoteli-schen Kategorien macht.

Ruttens Aristoteles-Auffassung, die er seiner Interpretation der plotini-schen Philosophie zugrunde legt, läßt sich als neuscholastisch bzw. neu-aristotelisch einstufen10: Sie nimmt die Unterscheidung von Sein und Den-ken/Erkennen und den Vorrang des ersteren vor dem letzteren für Aristo-teles als selbstverständlich gegeben an n und projiziert diese Annahme aufPlaton negativ in der Weise zurück, daß dessen Ideenlehre als Hyposta-sierung des Logischen erscheint12. Nur eine Aristoteles-Auffassung, die inder Trennung von Sein und Denken das a priori gegebene und unange-fochtene Fundament der aristotelischen Philosophie und nicht auch (undvor allem) das problematische Ergebnis der Auseinandersetzung mit Platonerblickt, wird - wie Kutten - den Platoniker Plotin darum tadeln, daß erbei seiner Beurteilung der aristotelischen Kategorien nicht die Scheidungvon Seins- und Erkenntnisordnung zugrunde legt, wird Plotins Identifi-zierung von Sein und Denken als „confusion" des „id quod" und des „mo-dus quo" der Erkenntnis bezeichnen und wird die Einheit der Sinnendingenicht in ihrem Bezug auf die Ideen gegeben, sondern als von dem diskursi-ven Denken nominalistisch gesetzt ansehen.

c) Plotins platonischer Standpunkt gegenüber der aristotelischen Katego-rienlehre

(i) Die Gliederung, in der uns Porphyries die Aussagen seines Lehrersüber die „Genera des Seienden" vorlegt, scheint auf den ersten Blick wie

10 Ruttens Aristoteles-Verständnis geht auf das von de Corte zurück; vgl. dessen„Vrais et faux dilemmes aristoteliciens", in: Aristote et Plotin, 11-106.

n De Corte, a. a. O., 12/13, bemerkt, der Philosophiehistoriker, der dem Thomismusanhänge, habe bei der Aristoteles-Interpretation einen bevorzugten Platz, weil bei-den Denkriditungen gemeinsam sei „la souveraine intuition de la valeur ontologiquedes choses et du primat de l'etre sur le connaitre".

12 „Le conflit entire Aristote et Platon qu'on resume commodiment par l'antithese:immanence-transcendance n'est ainsi que . L'opposition est beaucoup plusprofonde: eile est entre la metaphysique pur et la logique qui pretend obtenir droitde cite" dans la me'taphysique", de Corte, a. a. O., ^8.

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„Gegenst ndliche" und „aktuale" Plotininterpretation 139

selten sonst eine Gliederung des plotinischen Werkes von der Sache selbsther gerechtfertigt. Denn Plotins Auseinandersetzung mit der aristotelischenund der stoischen Kategorienlehre nimmt den ersten der drei Traktate ein(VI i), w hrend die beiden folgenden Schriften (VI 2 und VI 3) des Philo-sophen eigene Kategorienlehre vortragen. Die Zweiteilung der „konstruk-tiven" u erungen Plotins zur Kategorienfrage hat darin ihren Sinn, daPlotin das Nebeneinander von Mundus sensibilis und Mundus intellegibiliszum Ausgangspunkt seiner Er rterungen macht und so zwischen den Kate-gorien der Geisteswelt und denen der Sinnenwelt unterscheidet (vgl. VI i,i, 19-22; VI 2, i, 30-33; VI 3, i, 2/3), wobei er sich ausdr cklich aulPlaton beruft (VI 2, i, 3-5; VI 3, i, 1/2)13.

u Plotins u erungen zur Kategorienfrage sind von Porphyries in drei Teile geteiltund an den Anfang der sechsten Enneade ger ckt worden. Die drei Traktate stehennach Porphyrios' Angaben Vita Plotini 5,51-56 chronologisch an der 42., 43. und44. Stelle des 54 Traktate umfassenden Gesamtwerkes, sind jeweils mit Περί τα«γενών του δντος berschrieben und als der erste, zweite und dritte Traktat diesesTitels gez hlt. Die berschriften der plotinischen Traktate stammen, wie PorphyriosVita Plotini 4,17 erkennen l t, nicht von Plotin, sind aber f r VI i, 2 und 3 ausdem Anfang der Abhandlung (VI i, i, 15-18) zu entnehmen (vgl. zur Einteilung*t tigkeit des Porphyrios und zur berlieferung der berschriften Schwyzer, REBd. 41, Sp. 486, 26 £E.). — Zitiert werden im folgenden Enneaden I—V nach delgro en Plotin-Ausgabe von Henry-Schwyzer, Enneade VI nach der Ausgabe vonBrihier; doch ist darauf hinzuweisen, da Theiler-Beutler f r den Lesetext des4. Bandes der Neuausgabe der Plotin- bersetzung von Harder bereits die vorl ufigenKollationen von Henry-Schwyzer zu VI 1-3 und einen Probeabdruck von VI 8vergleichen konnten (vgl. dort Bd. IV a, Vorwort). Entsprechend der im August1957 in Vandoeuvres bei Genf getroffenen bereinkunft (vgl. [Plotin], Sources dePlotin, im Lit.-Verz.) wird hinter die enneadische Ordnungszahl jedes Traktatesseine chronologische in eckige Klammern gesetzt und nur bei den im folgenden oftzu zitierenden Traktaten VI 1-3 [42-44] darauf verzichtet. - Als wichtige Literatursind zu nennen (chronologisch, vgl. die regelrechte Zitation im Lit.-Verz.): Nebel,Plotins Kategorien der intellegiblen Welt (1929); ders., Terminologische Unter-suchungen zu ουσία und ov bei Plotin, Hermes 65, 1930, 422—445; Solinas, Ladottrina delle categoric nella filosofia di Plotino (1950); Lloyd, Neoplatonic logicand Aristotelian logic, Phronesis i, 1955/56, 58-72 und 146-160; Kutten, Lescategories du monde sensible dans les „Enne"adese de Plotin (1961); Hoppe, DieGene in Plotins Enn. VI 2. Interpretation zur Quelle, Tradition und Bedeutung deiprota gene bei Plotin (1965). Heranzuziehen sind nat rlich immer auch die „Notice"von Bre"hier in seiner Ausgabe (vgl. auch jene zu II 6 [17]* Περί ουσίας ή ποιότητος)und die Anmerkungen von Theiler-Beutler zu der Neuausgabe der Plotin- bei»·setzung von Harder, Bd. IV b, 415-511 (zu II 6 [17] Bd. I b, 549-555). Dar berhinaus gehen nat rlich alle Arbeiten, die die Metaphysik Plotins zum Gegenstandhaben, auf die Struktur des νους ein, dessen Momente der Philosoph als Kate-gorien der geistigen Welt in VI 2 mit den f nf Genera des platonischen „Sophistes*gleicht. Gesondert hinzuweisen ist auf folgende u erungen zu den plotinischenKategorien im Rahmen umfassenderer Handb cher und Monographien: Steinhart,Quaestiones de dialectica Plotini ratione (1829); ders., Meletemata Plotiniana

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140 Plotins platonischer Ansatz der Aristoteleskritik

Nun l t sich aber, wie gezeigt worden ist, das Verh ltnis von geistigemund sinnlich wahrnehmbarem Sein weder bei Platon als unreflektiertes Ne-beneinander zweier Welten interpretieren, noch darf der Unterschied zwi-schen Geistigem und Sinnlichem f r Aristoteles geleugnet werden, weil erden χωρισμός ablehnt; vielmehr mu die Unterscheidung zwischen Gei-stes „weit" und Sinnen „weit" auf der einen, die Ablehnung solcher Zwei-weltenlehre auf der anderen Seite als vereinfachender Ausdruck f r die Artund Weise angesehen werden, in der die Frage nach dem Verh ltnis vonsinnlich wahrnehmbarer Erscheinung und ihrer geistigen Bew ltigung ge-l st wird. Beiden, Platon und Aristoteles, ist die berzeugung, da Seinund Denken identisch seien und also das, was ist, im λόγος zur Sprachekomme, gemeinsam. W hrend Platon jedoch die G ltigkeit des λόγος un-abh ngig von der Form, die der λόγος selbst hat, und losgel st von demsinnlichen Erscheinen des im λόγος Bezeichneten zu sichern und im R ckgriffauf das Mathematische als Vergewisserungsbereich die Eigengesetzlichkeitund Selbst ndigkeit des Geistigen herauszustellen sucht, geht Aristotelesvon dem sinnlich erfahrbaren Sein als bewegtem aus und nimmt die Formendes λόγος als quivalent f r die bewegte Wirklichkeit. Τα οντά sind alsof r Aristoteles die Sinnendinge (das von Natur Seiende), deren Sein in denFormen der Aussage seinen angemessenen geistigen Ausdruck findet; f rPlaton dagegen sind τα οντά die Ideen als dasjenige, was an den Dingenim Unterschied zu ihrem sinnlichen Erscheinen wi bar und damit sicherund wahr ist.

Wenn also Plotins Frage, ob die aristotelischen Kategorien der Sinnen-welt oder der Geisteswelt angeh ren, und die darauf gegebene Antwort, sieseien nur f r die Sinnenwelt g ltig14, einen Sinn haben soll, darf sie nichtblo eine Frage nach der „Verteilung" der Kategorien auf beide „Bereiche"

(1840); Trendelenburg, Gesch. d. Kat.-Lehre (1846), 232 ff.; Prantel, Gesch. d.Logik i. Abend!., Bd. I (1855), 613/614; Bouillet, Enne"ades, Bd. III (1861), 588 £;Richter, Plotins Lehre v. Sein (1867); Rosmini, Saggio storico-critico sulle categorice la dialettica (1883), 76-116; v. Hartmann, Gesch. d. Metaphysik, Bd. i (1899),106-186; Zeller, Philos. d. Griechen, Bd. III 2 (1903*), 573-578, bes. 578, Anm. i;Lask, Die Logik d. Philos. u. d. Kategorien-Lehre (1911), 2365.; Dreas, Usia beiPlotin (1912), 55-80; Heinemann, Plotin (1921), 259 ff.; Inge, The philosophy ofPlotinus (19293), Bd. I, 191 ff., Bd. II, 57 ff.; Carbonara, La filosofia di Plotino,Bd. I (1938), 650., Bd. II (1939), 277 ff.; Rist, Plotinus (1967), 103-111 (im Sinneder hier verfolgten Linie der Interpretation, die freilich vor Erscheinen dieser Arbeitbereits gezogen war).

l* VI i, i, 28-30 ( ber die Peripatetiker): αλλά περί των νοητών κατά την διαίρεσινου λέγουσιν ου πάντα δρα τα δντα διαιρεΐσθαι έβουλήθησαν, αλλά τα μάλιστα8ντα παραλελοίπασιν.

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„Gegenst ndliche" und „aktuale" Plotininterpretation 141

und darf Plotins Antwort nicht eine unreflektierte Zuordnung meinen, der-art, da einerseits („platonisch") ουσία νοητή und ουσία αισθητή voneinan-der unterschieden und durch eine (wie auch immer geartete) Teilhabevor-stellung aufeinander bezogen werden, andererseits aber („aristotelisch") mitder ουσία αισθητή als dem Zugrundeliegenden der Akzidentien gerechnetund hier (ohne R cksicht auf den Modus der Beziehung von geistigem undsinnlich wahrnehmbarem Sein) die Regeln der aristotelischen Kategorien-lehre in Geltung gelassen werden oder die Kategorien doch nur so kritisiertwerden, da sich zwar die inhaltliche Gliederung des akzidentellen Seinsund die Zuordnung einzelner Ph nomene zu bestimmten Kategorien an-gegriffen findet, da hingegen die Leistung der Kategorien als Formen derSeinserkenntnis grunds tzlich nicht in Zweifel gezogen wird.

(2) Eine solche unvereinbare Verbindung zweier Bestrebungen, alsosowohl die Unterschiedlichkeit von ουσία αισθητή und ουσία νοητή im An-schlu an Platon herauszustellen als auch das in der aristotelischen Katego-rienlehre gegebene Verh ltnis von ουσία und Akzidentien aufrechtzuerhal-ten und diese Lehre gleichsam blo systemimmanent zu kritisieren, scheintaber auf den ersten Blick bei Plotin vorzuliegen.

Bezogen auf die aristotelischen Kategorien hei t es VI i, i, 18/19: ότιγαρ ου συνώνυμον το δν εν απασι, λέγουσι και ορθώς λέγουσι, womit ent-sprechend den Unterscheidungen von Arist. Cat. i das Verh ltnis der Kate-gorien als den verschiedenen Formen von „Sein" zueinander, zumal das derουσία zu den Akzidentien bezeichnet ist15. Wenig sp ter VI i, 3 ergibt sichanscheinend dasselbe: Zwar wird das Verh ltnis zwischen ουσία νοητή undder ουσία αίσθητή als ein solches zwischen Vorgeordnetem und Nachgeord-netem gesehen (3,4/5), gleichzeitig aber mit den Akzidentien als από τηςουσίας τα λεγόμενα und πάθη gerechnet (3,7/8)· hnliches Vorgehen l tsich an weiteren Stellen, auch in VI 3, beobachten. Zwar kennzeichnet Plo-tin die aristotelische ουσία als αισθητή und nach seiner Aristoteles-Kritik VIi und der Behandlung der ουσία νοητή VI 2 dann VI 3 als λεγομένη ουσία(2, i u. .), indem er sie aber zum ΰποκείμενον der Akzidentien macht, er-kennt er sie dennoch diesen gegen ber als prim res Sein an16.

15 Vgl. zur Interpretation des ganzen Satzes S. 149 fi.16 VI 3,3, 25-27: και τα μεν τρία (sc. ΰλη, είδος, συναμφότερον) είς Ιν εΰρομεν

κοινόν τι, την ένταΰθα όμώνυμον ούσίαν είτα τα αλλά εφεξής, προς τι, ποσόν,ποιόν, εν χρόνφ, εν τόπφ, κίνησις, ... 4> 4~7: το τε σύνθετον αλλοις υπόβαθρακαι Ιδρα, ώστε καΐ το είδος μετά της ϋλης ύποβεβλήσεται τοις συνθέτοις ή πδσΐγε τοις μετά το σύνθετον, οίον ποσφ, ποιφ, κινήσει; 4,32~35: αλλ* αμφω δμοΰυποκείμενα αλλω, οίον άνθρωπος και τις άνθρωπος υπόκεινται τοις πάθεσι καιπροϋπάρχουσι των ενεργειών και των παρακολουθούντων, ...; 6, ιο/ιι: το μεν

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142 Plotins platonischer Ansatz der Aristoteleskritik

Umgekehrt scheint Plotin mit der Kennzeichnung der Kategorien derGeisteswelt als γένη άμα και άρχα'ι (VI2, 2,11) sowohl im Sinne des pla-tonischen „Sophistes" die Strukturmomente des Geistigen wiedergegebenals auch im Sinne der aristotelischen Kategorienlehre alles Seiende inhaltlichgliedern zu wollen; denn augenscheinlich stellt er mit γένος unterglieder-bare Allgemeinbegriffe vor (VI2,2,6-8: ... εκαστον (sc. των γενών)περιεκτικόν των νπ αυτό, είτε και αυτών γενών ελαττόνων όντων ή ειδώνκαι υπό τούτοις ατόμων, ...), w hrend er mit αρχή die Konstitution derGeisteswelt als einer solchen denkt (VI, 2, 2, 8-n: ...συντελεϊν απαντάεις μίαν φύσιν καΐ εκ πάντων τφ νοητώ κοσμώ, δν δη λέγομεν το δν, τηνσύστασιν είναι, ει δη τοΰτο, ου μόνον γένη ταΰτα είναι, αλλά και αρχάς τουδντος άμα ύπαρχε ιν). Beide Ziele sind aber letztlich unvereinbar, da dieplatonische Geisteswelt ja keineswegs als hypostasierte Ordnung derjenigenAllgemeinbegriffe zu gelten hat, die von der ουσία aristotelischen Verstandesausgesagt werden, noch auch die Allgemeinbegriffe aller zehn (oder be-liebiger mehrerer) Kategorien nebeneinander als Geisteswelt angesehenwerden d rfen, da vielmehr in der platonischen Geisteswelt eine Ordnungvorliegt, deren Glieder (die Ideen) zwar als allgemeine Pr dikate von Sin-nendingen zur Sprache kommen, die aber anderweitig gesichert ist, wobeimit den f nf Genera des „Sophistes" diese Sicherheit in ihrer Struktur be-griffen und dadurch allererst begr ndet ist.

Wenn also die platonische Zweiweltenlehre und die aristotelische Kate-gorienlehre, insofern sie beide beanspruchen, das Verh ltnis von sinnlichwahrnehmbarer Erscheinung und ihrer geistigen Bew ltigung angemessen zubegreifen, in ihrer Geltung einander ausschlie en und wenn deshalb wederdie aristotelische ουσία als ουσία αισθητή einfach durch die ουσία νοητή be-gr ndet werden kann, noch auch der platonische κόσμος νοητός als Ordnunghypostasierter Pr dikatsklassen angesehen werden darf, dann sind in derTat die Antwort Plotins, die aristotelischen Kategorien g lten lediglich f rdie Sinnenwelt, und seine Kennzeichnung der Kategorien der Geistesweltals γένη άμα και άρχαί noch einmal auf ihren Sinn zu berpr fen, soll sichnicht der Vorwurf, in Plotins Kategorientraktaten zeige sich „der Mangeleines ontologischen Blickes", als zutreffend erweisen ".

απλώς είναι λέγεται και απλώς δν, το δε λευκόν είναι; VI 6 [34]' *3> 32/33 (nachder wertenden Unterscheidung von ουσία νοητή und ουσία αίσθητή): «αϊ το δνμάλλον εν ουσία και (sogar!) αΙσθητη ή εν τοις άλλοις γένεσιν.

17 Dieses ist die Grundansicht von Nebel, Hermes 65, 1930, 422-445 (das Zitat dort437) und auch in der Zusammenfassung seiner Arbeit „Plotins Kategorien derintellegiblen Welt". Am zuletzt genannten Orte im 3. Kapitel „Die Kategorien alsoberste Gattungen der noetischen Welt und als formale Konstitutiva der Idee als

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Die Frage nach dem Charakter des Seienden 143

(3) Gegen ber diesem ersten Anschein kann nun gezeigt werden, daPlotin in seinen Traktaten „ ber die Genera des Seienden" die Trennungvon Geistes- und Sinnenwelt nicht unreflektiert vorausgesetzt hat, sondernda er mit dieser Unterscheidung und der Zuordnung der aristotelischenKategorien zur Sinnenwelt, der Kennzeichnung der Kategorien der Geistes-welt als γένη άμα και άρχαί die ihm angemessen erscheinende Form deswahren Seins und dessen Verh ltnis zum Sinnlich-Wahrnehmbaren ausge-sprochen und begr ndet hat.

Im Grunde ist das Ergebnis des Ganzen, also Plotins Ansicht ber dieForm des wahren Seins und dessen Verh ltnis zur Erscheinung, bereits inder Gliederung und der Terminologie des ersten Kapitels von VI i, zumalim Einleitungsabschnitt i, 1-14, vorausgesetzt. Wenn M. Ficino den Inhaltvon VI ι, ι mit dem Satze zusammenfa t, Plotin ber hre zwar in diesemKapitel mit den Kategorien zusammenh ngende Fragen, scheine aber keinebestimmte Antwort zu gebenI8, so ist das nur insofern richtig, als die hiervorgetragenen Bestimmungen und Unterscheidungen in ihrer Tragweite erstsp ter einsichtig werden. F r die Methode der Interpretation ergibt sichdaraus, da hier bereits mit Einsichten gearbeitet werden mu , die sich erstim weiteren voll erschlie en und als richtig erweisen k nnen.

2. Die Kategorienfrage als Frage nach „der Anzahl und dem Charakter desSeienden1*

a) Plotins Doxographie zur Kategorienfrage: Platon und Aristoteles alsberwinder des monistischen und pluralistischen Materialismus ihrer Vor-

g nger

(i) Der Einleitungssatz VI 1,1,1/2: περί των όντων πόσα και τίναέζήτησαν μεν και οί πάνυ παλαιοί ... bezeichnet exponiert das Thema derfolgenden Untersuchung und hebt mit dem Hinweis auf die Alten ihre Be-

Nus" (34-41) Einw nde gegen die Bestimmungen des Geistigen als γένη δμα καΐάρχαί.

ι» Multas de remm generibus quaestiones tangit, nihil vero in hoc capita definire vide-tur.

19 Nat rlich ist l ngst gesehen (vgl. Brehier, ed. Plotin VI i, p. 59, Anm. i), da Plotinsich hier auf Platon Sophist. 242 c 5/6: κρίσιν ... του τα οντά διορίσασθαι πόσατε και ποία εστίν und Aristoteles Phys. I 2, 184 b 22/23: ομοίως δε ζητοΰσι καιοί τα οντά ζητοΰντες πόσα und die im Umkreis dieser Stellen gegebenen Doxo-graphien bezieht. Zur Bezeichnung der Vorsokratiker als l πάνυ παλαιοί vgl. Arist.

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144 Plotins platonischer Ansatz der Aristoteleskritik

deutung hervor19. Wichtig ist dabei, da die Doppelform der Frage nichtnur nach der Anzahl (πόσα), sondern auch nach dem Charakter des gesuch-ten Seienden (τίνα) in die Gliederung der nun bei Plotin folgenden Doxo-graphie eingeht und durchgehalten wird20.

Entsprechend diesem Doppelaspekt werden im ersten Teil des Satzes(... οί μεν εν, οι δε ώρισμένα, οι δε άπειρα εΐποντες, 1,2/3) zun chst diedrei m glichen Auffassungen ber die Anzahl der οντά genannt, w hrendPlotin im zweiten Teil des Satzes (και τούτων κτλ., ι, 3/4) in Beantwortungdes τίνα andeutet, da auch innerhalb der drei Gruppen unterschiedlicheKonzeptionen vorgelegen h tten21. Platon und Aristoteles ( l μετ' αυτούς..., 1,4/5) erscheinen gegen ber den „Vorsokratikern" zun chst zusam-men als diejenigen, die die Ausgangsfrage dahingehend beantwortet haben,da das Sein auf eine begrenzte Anzahl von γένη zur ckzuf hren sei (ενγένεσιν ώρισμένοις, ι, 6/7), und die damit sowohl den Monismus des Par-menides als auch die Atomisten widerlegt haben (οί ούτε §ν δεμένοι . . .ούτε άπειρα, ι, 8/9). Wiederum ist dieser Abschnitt (όσα ... είρήκασιν,i, 6-ii) so gegliedert, da zun chst die Entscheidung der „Nachsokratiker"f r die begrenzte Anzahl begr ndet (γένοιτο, ι, 9), dann zu dem Charakterdes der Zahl nach begrenzten Seienden Stellung genommen, n mlich gesagtwird, da es sich um γένη handele.

Dieser letzte, auf die „Nachsokratiker" bezogene Teil lautet in der ber-setzung: „Was aber diese Sp teren ihrerseits bei der Pr fung ihrer Vor-g nger an Genera von begrenzter Anzahl aufgestellt haben, das gilt es n herzu untersuchen; sie haben (n mlich) das Seiende weder als Eines angesetzt,denn sie beobachteten auch in der Geistes weit eine Vielheit; noch als un-endlich Vieles, denn das ist ja ganz untunlich, w rde auch jede Wissenschaftunm glich machen; und das der Zahl nach Begrenzte haben sie, weil es

Metaph. Λ ι, 1069 a 28/29: ot πάλαι, als παμπάλαιοι bezeichnet AristotelesMetaph. A 3, 983 b 28, Λ 8, 1074 b i die vorphilosophischen Welterkl rer.

20 Brehier bersetzt: „La question du nombre des etres", leitet dann aber richtig denmit και τούτων beginnenden Satzteil ein: „Quant la nature des etres" und para-phrasiert auch in der „Notice" p. 7: „la question du nombre et de la nature". Richtigauch Ficino: „quotnam et quae sint, quae esse dicuntur"; Harder1: „ ber dasSeiende, seine Anzahl und sein Wesen"; Cilento: „S ll' essere, nel suo numero etnella sua natura". Abweichend dagegen Harder-TH-B: „ ber das Seiende, seine An-zahl und seinen Bestand".

21 Die Streichung des εΐποντες Zeile 4 und die Deutung des αυτά als αδ τα durchΊΉ-Β beeinflu t nicht die Auffassung, da ab Zeile 3 καΐ τούτων eine Qualifi-zierung der δντα angedeutet wird, da man zu τα πεπερασμένα αυτών και αδ ταδπειρα aus der vorhergehenden Zeile ot μεν αλλά, ot δε δίλλα zu erg nzen hat.(entsprechend alle bers.)·

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Die Frage nach dem Charakter des Seienden 145

unrichtig ist, die Grundlagen des Seienden als eine Art Elemente anzusehen,als irgendwelche Klassen des Seienden angesetzt". Der sprachliche Befund n

zeigt eine Parallelit t der Glieder οίον στοιχεία und γένη τινά als Praedi-cativa zu τα υποκείμενα, so da auch οίον und τινά in ihrer Funktion ge-wisserma en parallel sind: Mit οίον στοιχεία werden alle Philosopheme,die die Grundlagen des Seienden im K rperlichen sehen, nach der vorange-gangenen Differenzierung zusammengefa t, mit γένη τινά werden allePhilosopheme, die jene Sicht berwunden haben, vorl ufig mit einem Aus-

22 Diese bersetzung in Anlehnung an Harderi unter Beibehaltung der berliefertenTextgestalt. Zur Konstruktion: Entsprechend der Gliederung des ganzen Abschnittesleitet - nach einer Art Anakoluth, da zu dem οι οΰτε εν δεμένοι ... das Verbumfinitum fehlt, welches aber aus Zeile 6 εθεντο εν γένεσιν ώρισμένοις leicht erg nztwerden kann - das τα τε πεπερασμένα αυτών den zweiten Teil der Periode ein,in dem etwas ber den Charakter der („proleptisch" bereits 1,6 als γένη bezeich-neten) ώρισμένα gesagt wird. Das, als was die πεπερασμένα είς αριθμόν - wollensie die Grundlagen des Seienden (ι,ιο τα υποκείμενα) richtig bezeichnen - sichnicht erweisen d rfen (n mlich als στοιχεία) und das, als was sie sich erweisenm ssen (n mlich als γένη), steht pr dikativ jeweils ohne Artikel. Das δε hinterγένη lie e sich als Ausdruck des Gegensatzes zwischen ουκ ορθώς οίον στοιχεία,γένη δε erkl ren, wobei auf die Hypotaxe des δτι-Satzes keine R cksicht genommenwird; bei solch enger Verbindung l t vielleicht auch aus dem είρήκασιν ein λέγεταιf r den δτι-Satz mith ren, ohne da an einen Ausfall des Verbums gedacht werdenm te. - TH-B verbessern: τα [τε]' πεπερασμένα ε'ις αριθμόν αυτών 8τι ταυποκείμενα ουκ ορθώς οίον στοιχεία (λέγεται), γένη δ ή (f r δε mit Volkmann)τίνα οϋτοι είρήκασιν und bersetzen: „.. nannten diese das der Zahl nach be-grenzte Seiende, weil, was ihm zugrunde Hegt, nicht richtig Element hei t, ebeneine Art von Klasse, ...". Das entspricht, soweit ich sehe, dem Gedanken der un-verbesserten Textgestalt, insofern auch hier τα υποκείμενα allgemein als Grund-lagen des Seienden genommen und „Elemente" und „Genera" als m gliche Be-stimmungen dieser Grundlagen gegeneinandergesetzt werden. - Nun erl utern aller-dings TH-B IV b, 429, im Blick auf das οίον: „Bei dieser Fassung k nnte Plotinausdr cken, da das an sich passende Wort στοιχεία schon f r anderes in Gebrauchwar, eben f r die υποκείμενα των όντων (die άρχαί)", meinen also offensichtlich,Plotin habe στοιχεΐον durch das olov von der Bedeutung αρχή zur Bedeutung„(k rperliches) Element" erst bertragen m ssen, um es hier zu verwenden. Da nunaber nachweislich (dazu unten S. 225 ff.) στοιχεΐον f r Plotin die Grundbedeutung„Element" hat (auch TH-B bezeichnen das Wort als „an sich passend"), kann dasolov m. E. nur die Aufgabe haben, das στοιχεΐον in dem oben im Text gleich zunennenden Sinne zu modifizieren. Im Falle einer wirklichen Bedeutungs bertragungw re eher (entsprechend den S. 227 behandelten Beispielen, die zeigen, da Plotinbewu t von der Bedeutung „[k rperliches] Element" zur Bedeutung „Prinzip" ber-tr gt) das olov als bertragung zur Bedeutung αρχή aufzufassen. Dann aber kehrtesich die Aussage so um: „Weil τα υποκείμενα (jetzt in der Bedeutung: die vierElemente) nicht zu Recht als Prinzipien angesehen werden." Die Deutung derυποκείμενα als Materie ist nat rlich gut m glich, auch der sachliche Gehalt derAussage (Ablehnung des Materialismus) bliebe erhalten, zerst rt w rde jedoch derParallelismus im Satzbau, der στοιχεία und γένη als Praedicativa nimmt.

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146 Plotins platonischer Ansatz der Aristoteleskritik

druck bezeichnet: Das οίον a schw cht die pr zise Bedeutung von στοιχεΐον„Element" m glicherweise in Richtung auf das aristotelische τάς εν ύληςεΐδει αρχάς (Metaph. A 3, 983 b 7) ab, weil ja die Vorsokratiker nichtdurchgehend d ie vier Elemente, sondern teilweise nur ein bestimmtes(Thaies, Anaximenes) als Grundlage genommen, teilweise den Grund allesSeienden in anderen, nicht im strengen Sinne als Elemente anzusehendenFormen der Materialit t (Anaximander: άπειρον; Anaxagoras: Homoio-merien; Leukipp/Demokrit: Atome) gedacht haben. Ebenso steht hinter derBestimmung des Grundes als γένη die anschlie end gegebene Differen-zierung, so da von hieraus der Zusatz τινά verst ndlich wird.

Die in der Untergliederung der Doxographie zun chst herausgestellteGemeinsamkeit der „Nachsokratiker" (τα τε πεπερασμένα εις αριθμόν αυτώνότι τα υποκείμενα ουκ ορθώς οίον στοιχεία, γένη δε τίνα ούτοι είρήκασιν,1,9-11) lie e sich im Anschlu an die im ersten Teil der Arbeit vorge-tragenen berlegungen zu Platon und Aristoteles so begr nden und er-l utern:

Platon widerlegt im „Sophistes" die eleatische Lehre, da das Seinschlechthin eins sei, dadurch, da er das Sein und das Seinswissen als Ver-mittlung von Einheit und Vielheit begreift und die Art und Weise dieserVermittlung durch die f nf „Genera" bestimmt. Von dieser Bestimmtheitdes Seins nimmt auch das diskursive Denken und Reden ber das Sein seineBestimmtheit und Wahrheit her und erh lt schlie lich die zum άπειρονtendierende Bewegtheit der Sinnenwelt ihre Bestimmtheit dadurch, da sichdie sinnliche Wahrnehmung mit dem λόγος zur δόξα verbindet und so die„Teilhabe" der Sinnenwelt am Sein erfahren wird. - Bei Aristoteles schlie tder Blick auf die Wirklichkeit als eine bewegte jeden Monismus aus; seineGrenze findet das άπειρον der Bewegung jedoch darin, da die ουσία deseinzelnen Seienden das Ziel jeder Bewegung und den Bezugspunkt allerm glichen Seinsaussagen bildet.

Die von Plotin mit dem Satze VI ι, ι, ιο/ιι: δτι τα υποκείμενα ουκορθώς οίον στοιχεία zusammenfassend wiedergegebenen Einw nde der„Nachsokratiker" gegen die Art und Weise der vorsokratischen Seinsbe-stimmung lassen f r Platon an den „Sophistes" 246 a 7 - 248 a 3 denken,wo die Philosophen zur ckgewiesen werden, die das Sein mit dem K rperidentifizieren (ταύτόν σώμα και ούσίαν οριζόμενοι, 246 b ι). — Aristoteles

23 Otov in der Bedeutung „eine Art von ..." findet sich bei Leukipp 67 A i D.-K.(Diog. Laert. 9,32): οίον υμένα, Platon Theaet. 199 b 5: οίον φάτταν, Arist. Deanima II n, 423 &y. οίον υμένα. Vgl. J. Kersdiensteiner, Zu Leukippos A x, Her-mes 87, 1959, 446, Anm. 3.

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Die Frage nach dem Charakter des Seienden 147

kann den πρώτοι φιλοφήσαντες deshalb nicht zustimmen, weil diese von denPrinzipien, die er im Rahmen der Physik als Wissenschaft von der beweg-ten Wirklichkeit unterscheidet, n u r das Materialprinzip ber cksichtigt ha-ben (των δη πρώτων φιλοφησάντων oi πλείστοι τάς εν ύλης εΐδει μονάςώή-θησαν αρχάς είναι πάντων, Metaph. A 3, 9^3 b6-8).

(2) Innerhalb derer, die γένη ώρισμένα annehmen, also innerhalb der„Nachsokratiker", wird nun ebenfalls ein Unterschied nach Zahl und Artdes Seienden gemacht und damit vor allem das τίνα genauer beantwortet:(sc. γένη ... είρήκασιν), l μεν δέκα, οί δε έλάττω· είεν δ' αν τίνες οί πλείωτούτων (als Antwort auf die Frage: πόσα;), εστί δε και εν τοις γένεσι δια-φορά· οί μεν γαρ τα γένη αρχάς, οί δε αυτά τα οντά τω γένει τοσαΰτα (alsAntwort auf die Frage: τίνα;) (VI ι, ι, 11-14).

Die Interpreten gehen gew hnlich davon aus24, da οί μεν γαρ τα γένηαρχάς die Stoiker meine und also mit der in der Frage des τίνα getroffenenUnterscheidung lediglich die Gliederung des Traktates VI i (Kap. i, 15-24, 12: Aristoteles-Kritik; Kap. 25, 1-30, 27: Stoa-Kritik) wiedergegebensei. Sie k nnen sich zur St tzung ihrer Annahme auf VI i, 25, 23/24:έπειτα το ύποκείμενον εν άριθμοϋντες (gemeint ist die stoische Materie) ουτα οντά έξαριθμοϋνται, αλλ' αρχάς των όντων ζητοΰσι berufen. Wie sich er-geben wird25, argumentiert Plotin dort gegen die Stoa peripatetisch:

So gr ndet der Einwand, da die Stoiker mit ihrer Materie ein Prin-zip nennten, nicht aber das Seiende selbst aufz hlten, auf der Voraussetzung,da es um eine Gliederung der Sinnenwelt gehe und da diese durch diearistotelischen Kategorien befriedigend geleistet sei. Es wird sich VI 3 zei-gen, da Plotin selbst die aristotelischen Kategorien als Einteilung der Sin-nenwelt zun chst in Geltung zu lassen sucht. Da aber hier VI ι, ι die Fragenach den Genera des Seienden grunds tzlich gestellt ist, so da von Anfangan die intelligible Sph re mit im Blick ist (vgl. 1,8: ότι πολλά και εν τοιςνοητοΐς έώρων), da sich gleich anschlie end vor dem Richtstuhl der ουσίανοητή die aristotelischen Kategorien, insofern sie eben blo eine Einteilungder Sinnenwelt geben, als ungen gend im Sinne des Anspruches erweisen,der an Genera des Seienden zu stellen ist, wird man sich fragen m ssen, obnicht hier bereits die Form der platonisch-plotinischen Geisteswelt im Sinneder VI 2 gegebenen Kennzeichnung ihrer Kategorien als γένη άμα και άρχαίangesprochen und der aristotelischen Einteilung der Sinnenwelt entgegen-gesetzt sei. Dabei ist freilich zu bemerken, da die in VI 2 aufgestellten

24 Bonier, ed. Plotin, Bd. VI i, p. 7; TH-B IV b, 430.25 Vgl. unten S. 163 ff.

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148 Plotins platonischer Ansatz der Aristoteleskritik

Kategorien der geistigen Welt nicht einfach άρχαί sind, sondern eine ratio-nal nicht fa bare Verquickung des Genus- und des Prinzipiencharakters vor-liegt.

b) Plotins Stellungnahme zur aristotelischen Kategorienlehre: Die Brauch-barkeit der aristotelischen Kategorien als Einteilung der Sinnenwelt — IhreUnzureichendheit f r die Erkl rung der Sinnenwelt aus ihrem geistigenUrsprung

(i) Zu Beginn seiner Auseinandersetzung mit Aristoteles f hrt Plotindessen Kategorien als Einteilung des Seienden ein (την διαιρουμένην ειςδέκα τα οντά - sc. α'ίρεσιν -, VI 1,1,15) und kn pft damit an den unmittel-bar vorhergehenden Punkt der Doxographie: οι δε αυτά τα οντά τω γένει,τοσαΰτα (ι, 14) an. Jetzt verzichtet Plotin allerdings auf einen die Zehnzahlcharakterisierenden Zusatz; er will vielmehr erst zusehen, ob es sich umzehn γένη oder um zehn κατηγορίαι handelt, ohne da er dabei das Verh lt-nis der zehn aristotelischen Kategorien untereinander zun chst in Fragestellen wollte26: ... άνασκοποΰντας πότερα δέκα γένη δει νομίζειν αυτούςλέγειν κοινού ονόματος τυχόντα του δντος, ή κατηγορίας δέκα. ότι γαρ ουσυνώνυμον το δν εν απασι, λέγουσι και ορθώς λέγουσι (ι, 16—19). Der Ge-danke ist - mit einer Art Ellipse vor γαρ -: Wir m ssen pr fen, ob es sichum „h chste Gattungen" handelt, welche unter die gemeinsame Bezeichnung„seiend" fallen, oder um zehn „blo e Aussageweisen", f r die solches zu-trifft; (das Verh ltnis der zehn untereinander brauchen wir nicht zu pr fen,)denn da die Bezeichnung „seiend" nicht synonymerweise auf alle zutrifft,sagen sie selbst mit Recht.

Mit der Frage, ob die peripatetische Zehnteilung κατηγορίαι oder γένηnenne, st t Plotin im Grunde schon zum Kern seiner Aristoteles-Kritikvor. Die Unterscheidung zwischen κατηγορίαι und γένη zieht n mlich vonvornherein die aristotelische berzeugung in Zweifel, da das Sein in denverschiedenen Formen der Aussage selbst erscheine und so die γένη τουδντος im λόγος ansprechbar seien, da umgekehrt die κατηγορίαι als Formendes Ansprechens das Sein selbst in seiner Vielgestaltigkeit vernehmenlie en: F r Plotin wird sich die diskursive Form der Aussage zur Wieder-gabe des Seins als unzureichend erweisen, weil seiner Meinung nach dieDiskursivit t im Nacheinanderdurchgehen der Positionen das raum-zeit-liche Neben- und Nacheinander der Sinnenwelt nachgebildet und so die

26 Vgl. oben S. 141, Anm. 16.

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Die Frage nach dem Charakter des Seienden 149

Form des wahren Seins, das einen anderen und h heren Grad von Einheitaufweist, verfehlt. Die Termini γένος und κατηγορία werden deshalb zuKennworten f r die unterschiedliche Struktur von geistigem und sinnlichwahrnehmbarem Sein.

(2) Die sich anschlie ende und als noch wichtiger bezeichnete Frage nachder Verteilung der Kategorien auf beide Seinsbereiche (i, 19/20: μάλλονδε εκείνο πρώτον έρωτητέον, πότερα ομοίως εν τε τοις νοητοϊς εν τε τοιςαίσθητοΐς τα δέκα), die vor allen anderen Fragen die aristotelischen Katego-rien von einem ihnen nicht angemessenen Standort zu beurteilen scheint,weist doch mit der Angabe, da im Geistigen auf keinen Fall mehr Kate-gorien als im Sinnlichen zu erwarten seien (i, 21/22: ή εν μεν τοις αισθητοΐςαπαντά, εν δε τοις νοητοϊς τα μεν είναι, τα δε μη είναι· ου γαρ δη άνάπαλιν),auf die besondere, einheitlichere Form des Geistigen hin. Angedeutet findetsich solches schon im ersten Abschnitt des Kapitels, als Plotin zwar nochgenerell nach τα οντά fragt, beim Hinweis darauf, da eine Pluralit t vor-ausgesetzt werden m sse, jedoch als Begr ndung einflie en l t, da s o -gar in der Geistes weit mit einer Pluralit t zu rechnen sei. (VI i, i, 8:ότι πολλά κ α ί εν τοις νοητοϊς έώρων). Da mit der geringeren Anzahl nichteine Auswahl aus den zehn und damit eine blo numerische Beschr nkunggemeint sei, wird dann VI 2, i, 16, also in der Einleitung ber die Generades wahren Seins, aus der Formulierung: ... εις μέσον θέντας, τίνα αριθμόνλέγομεν και πώς deutlich. Hier VI 1,1,20 lie e sich das πότερα ο μ ο ί ω ςals Hindeutung darauf verstehen, da mit den Kategorien der Geistesweltgleichzeitig auch die Form des Geistigen im Unterschied zum Sinnlich-Wahr-nehmbaren in Frage stehe.

(3) Die Frage, „ob die dort droben vorhandenen mit den hiesigen unterdieselbe Gattung fallen oder ob Seinsheit dort oben mit der hiesigen ledig-lich namensgleich ist" (VI i, i, 23-25: .. . και ει τα εκεί οντά ύφ' εν γένοςύπακτέον τοις ενταύθα, ή όμωνύμως η τε εκεί ουσία ή τε ένταΰθα) ", hatdarin ihren Sinn, da die aristotelischen Kategorien als γένη του δντος in

27 In diesem Zusammenhang ist der Wechsel zwischen τα δντα (ι. Teil des Satzes) undουσία (ζ. Teil des Satzes) bemerkenswert. Vielleicht begn gt sich Plotin in demzweiten - im Grunde doch zutreffenden - Teile deshalb damit, die Frage nach demGeltungsbereich als Frage nach dem Verh ltnis der beiden ούσίαι zu stellen, weildas Geistige insgesamt sich als eigentliche, das Sinnlich-Wahrnehmbare als dessenόμώνυμον και εικών und damit als uneigentliche ουσία herausstellen wird, so dadie zwischen ουσία und συμβεβηκότα unterscheidende und mit einer Vielzahl vonKategorien rechnende Kategorienlehre des Aristoteles dann vollst ndig eingeordnetist, wenn das Verh ltnis von Geistigem und Sinnlich-Wahrnehmbarem recht begrif-fen wurde.

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Plotins Augen mit dem Anspruch auftreten, alles Seiende (und zwar imSinne der mit γένη άμα και άρχαί ausgedr ckten und noch n her zu er-l uternden Art und Weise) unter sich zu begreifen und damit auch zu be-gr nden. Die Antwort - in ihren beiden Teilen chiastisch gestellt zu denbeiden in der Frage genannten M glichkeiten - zeigt, da die aristotelischenKategorien vor diesem Anspruch scheitern m ssen:

Der Einwand, da sich aus der Namensgleichheit von ουσία αίσθητήund ουσία νοητή (sowie m glicher anderer Kategorien) eine gr ere Anzahlvon Genera als zehn ergebe, st tzt sich auf die Arist. Cat. ι, ι a 1-6 ge-gebene Bestimmung der Homonymie als eines Verh ltnisses, in dem zwarder Name, nicht aber die wesensbestimmende Definition (ό κατά τουνομαλόγος της ουσίας, ι a a) gemeinsam ist und auf Cat. 5, 2 a 29-34, wo eshei t, da zwar der Name einer der anderen Kategorien von der erstenausgesagt werden k nne, nicht aber deren Definition, wo also die Bestim-mung der Homonymie doch wohl auf das Verh ltnis der Kategorien unter-einander angewandt ist, so da danach γένη του δντος grunds tzlich im Ver-h ltnis der Homonymie stehen a.

Die Schwierigkeit in Plotins Argumentation (und damit die Gefahr, seinReflexionsniveau zu untersch tzen) besteht darin, da Plotin mit dieserHomonymiedefinition prima facie eine blo numerische Unvollst ndigkeitder aristotelischen Kategorien nachzuweisen scheint, so als ob neben derουσία αισθητή usw. mit einer ουσία νοητή usw. und also mit einer „zus tz-lichen" Anzahl von γένη του οντος gerechnet werden m sse. - Nun deutetallerdings schon die sprachliche Form, in der diese Konsequenz vorgetragenwird: αλλ' ει τοϋτο (sc. ει όμωνύμως ή τε έκεϊ ουσία η τε ενταύθα), πλείω ταγένη, darauf hin, da hier (entsprechend dem bei der Synonymic i, 26 er-scheinenden άτοπον) prinzipiell Unm gliches folgen w rde, wenn man indieser Weise die aristotelischen Kategorien als γένη neben die Formen desGeistigen stellte. - Plotin l t an anderen Stellen die Kennzeichnung desVerh ltnisses von geistigem und sinnlich wahrnehmbarem Sein als homo-nym durchaus zu; so hei t es VI 3, i, 20/21, auf beide Formen von Seinbezogen: έτερον τοΰτο εκείνου και ου συνώνυμον, δμώνυμον δε και εικών χ.

28 Vgl. oben S. 104 ff.29 Vgl. ferner VI 3,1,6/7 αναλογία και ομωνυμία; 5,3 κατ' άναλογίαν και όμω-

νύμως. - Bei Plotin wird also der Terminus ομώνυμος in der Weise verwendet, diePlatons Dialoge darbieten (vgl. Phaedr. 266 a 7, Parm. 133 d 3; Tim. 41 c 6; Sophist.234 b 6/7) und die sich in den aristotelischen Vorbild-Abbild-Beispielen f r dieHomonymie (Cat. ι, ι a 3/4; Metaph. A 9, 991 35-8) erkennen l t. (Ein Hinweisauf den vom aristotelischen unterschiedenen Gebrauch des Terminus ομώνυμος beiPlotin bereits bei Steinhart, Plot. Dial., 24, Anm. 86). - Demgegen ber steht bei

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Entscheidend ist aber, da mit Homonymie nicht eine nur numerische unddarum in einer additiven Vermehrung der γένη ausdr ckbare Verschieden-heit von ουσία αισθητή und ουσία νοητή, sondern eine Art von Beziehungangesprochen ist, die der n heren Erkl rung bedarf: Die Unterscheidungzwischen γένη του οντος und κατηγορίαι ist eine solche Erkl rung; sie be-sagt ( hnlich der Vorbild-Abbild-Metaphorik, jetzt aber genau auf den Pro-blemhorizont der aristotelischen Kategorien eingestellt) eben dies, da diediskursive Form der Aussage niemals in der Lage sei, das wahre Sein zuerfassen. So steht offensichtlich hinter der ausgesprochenen numerischen„Unvollst ndigkeit" der aristotelischen Kategorien ihre essentielle, die sieberhaupt zu γένη του οντος untauglich macht; und die Bestimmung des

Verh ltnisses von geistigem und sinnlich wahrnehmbarem Sein als homonymist nur dann untauglich, wenn dieser essentielle Mangel des Sinnlichen nichtbedacht, sondern es in seiner Untergliederung einfach neben die Gliederungdes Geistigen gestellt wird.

Bei seiner Ablehnung der Synonymic von ουσία αισθητή und ουσίανοητή (1,25—28. ει δε συνώνυμους, άτοπον το αυτό σημαίνειν την ούσίανεπί τε των πρώτως όντων και των υστέρων ουκ οντος γένους κοινού, εν οίςτο πρότερον και ύστερον) spielt Plotin das πρότερον-ΰστερον-Verh ltnis vongeistigem und sinnlich wahrnehmbarem Sein gegen die aus der aristoteli-schen Synonymiedefinition folgende Regel aus, da die Angeh rigen des-selben Genus als seine Differenzierung gleichrangig nebeneinanderstehen **.Um das άτοπον eines synonymen Verh ltnisses beider ούσίαι zu erweisen,wird VI 1,2,4-8 auf die Konsequenzen einer solchen Annahme hinge-

den Aristoteles-Kommentatoren eine philologisch gegliederte Aufz hlung der Be-deutungen von ομώνυμος; z.B. bei Simplikios In Arist. cat. 31, 22 ff.; K.: Zuunterscheiden ist zun chst zwischen άμώνυμα από τύχης und ομώνυμα από διανοίας,letztere werden unterteilt in (ι) καθ' ομοιότητα, (2) κατά άναλογ'ιαν, (3) το απότίνος κοινήν εν πολλοίς και διαφόροις πράγμασι γενέσθαι κατηγορίαν, (4) δτανδιάφορα προς Ιν αναφέρεται τέλος, απ' εκείνου της προσηγορίας τυγχάνοντα. -Diese F lle lassen sich zwar alle bei Aristoteles selbst nachweisen (vgl. Bonitz,Index Aristotel. s.v. ομώνυμος, 514325^9), die von den Neuplatonikern vor-gelegte Systematisierung verbirgt jedoch die ontologische Problematik, die die mitden Punkten 1-4 bezeichneten Verh ltnisse bei Aristoteles selbst haben. - Da beiPlotin der Begriff der Analogie hnlich wie der der Homonymie zur Bezeichnung desVerh ltnisses des Sinnlich-Wahrnehmbaren als eines abgeschw chten zum Geistigenals dem wahren Sein dient, zeigen die eingangs der Anm. zitierten Stellen VI 3, i,6/7J 5.3· Vgl. ferner I 3 [20] 1,29/30; III 3 [48] 5,3; VI 9 [9] 5,45, wo dasVerh ltnis zwischen verschiedenwertigen Bereichen als analog bezeichnet wird.

30 Vgl. die Bestimmung der Synonymic Arist. Cat. ι, ι a 6-12; dazu Cat. 13,14 b 33;Top. VI6,143 a 36; Metaph. Δ 6, ioi6 a 24. Zu dem an den letztgenannten Stellenerscheinenden Begriff der άντιδιαίρεσις der είδη aus dem γένος vgl. unten S. 155 ff.

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wiesen: Da ein Genus f r den Platoniker etwas real Seiendes und das ihmUntergeordnete Prinzipierendes ist, m te eine ουσία der ουσία αισθητήund der ουσία νοητή vorgeordnet und d rfte als solche weder k rperlichnoch unk rperlich sein. Denn die werthaft gef llte Vorstellung vom κόσμοςνοητός und κόσμος αισθητός l t kein anderes als diese beiden in ihremGegeneinander zu; ein Genus ber K rperlichem und Unk rperlichem istnur als K rper oder als Unk rperliches denkbar, es h tte also das Genusden Charakter eines der Glieder der aus ihm entspringenden Teilung undm te von dem anderen Gliede, obwohl dieses sein Gegenteil ist, ausge-sagt werden k nnen. Das h tte die paradoxe Konsequenz: ε'σται γαρ ή τοσώμα άσώματον, ή το άσώματον σώμα (VI 1,2,7/8). Wiederum erwecktPlotins Argumentation auf den ersten Blick den Anschein, als pr judiziereer einerseits unreflektiert die werthafte Unterschiedenheit von geistigem undsinnlich wahrnehmbarem Sein und verlange danach von Aristoteles zu Un-recht eine Aussage ber den einen „Bereich", als bewege er sich andererseitsim Regelgef ge der aristotelischen Pr dikationstheorie, aber so, da dasgemeinsam von zwei Dingen Ausgesagte „platonisch" hypostasiert und soim Falle von ουσία νοητή und ουσία αισθητή dann gegen Aristoteles ge-wandt w rde.

Da auch diesem Argument entsprechend denen, die die Homonymieund die Unterscheidung zwischen γένος und κατηγορία betreffen, in Wirk-lichkeit ein hohes Bewu tsein des eigenen Standortes (au erdiskursive Formder Seinsgewi heit) und des abgelehnten aristotelischen (Seinsgewi heit inden Formen diskursiven Denkens) zugrunde liegt, l t sich zeigen, wennman die anschlie end VI i, 2,8-3,23 vorgetragene Kritik der ουσία αισθητήhinzunimmt: ου μην άλλα επ' αυτών των τηδε ουσιών ζητητέον, τί κοινόνεπί της ύλης και του είδους και του εξ άμφοΐν. πάντα γαρ ταΰτα ουσίαςλέγουσιν είναι, ... (2, 8-ιο). Auch hier ist Gefahr, Plotin so mi zuver-stehen, als begebe er sich zwar endlich auf das Niveau der aristotelischenουσία, verfehle aber v llig den Sinn der aristotelischen Unterscheidungenzwischen είδος, ύλη und συναμφότερον. Denn die Belobigung der Tatsache,da die drei Termini, wiewohl in ihnen ουσία gedacht wird, von den Peri-patetikern selbst in ein πρότερον-υστερον-Verh ltnis gesetzt sind (και ουτο Τσον είς ούσίαν εχειν (sc. λέγουσιν), όταν μάλλον λέγηται το εΐδος ουσία ήή υ"λη· και ορθώς, VI ι, 2,10-12), impliziert doch die Kritik, da der An-spruch der ουσία als γένος eigentlich nicht aufrechtzuerhalten sei; dabei hatdas Ganze dann den Anschein, als h nge die G ltigkeit der ουσία als γένος

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von der (unm glichen) Auffassung von είδος, ΰλη, συναμφότερον als Specieseines Genus ab.

Das Mi verst ndnis sowohl dieser Kritik als auch der vorangehendenAblehnung der Synonymic als eines m glichen Verh ltnisses von geistigemund sinnlich wahrnehmbarem Sein ist aber ausgeschlossen, wenn man dieFrage nach dem Verh ltnis von ουσία νοητή und ουσία αισθητή und nachder Art der Gemeinschaft von είδος, ΰλη und συναμφότερον zusammen alsBem hen darum auffa t, der sich den Sinnen darbietenden, dem Sinnlichenqua Bewegtem jedoch als bleibend enthobenen Gestalt (είδος ενυλον) einmalin ihrer reinen M glichkeit (είδος χωριστόν = ουσία νοητή), zum anderen ge-m den Bedingungen ihrer konkreten Verwirklichung (συναμφότερον =ουσία αισθητή) gerecht zu werden31.

(4) Die Einleitung der Abhandlung ist folgerichtig aufgebaut: Zun chstwird die Frage nach dem Sein in seiner reinen Form gestellt (πόσα και τίνατα οντά) und an der Antwort (γένη άμα και άρχαί) die Unzureichendheitder aristotelischen Seinsbestimmung ausgesprochen (κατηγορίαι — τα μά-λιστα οντά παραλελοίπασιν), dann der Grund der Unzureichendheit genauerbestimmt: Die Unzureichendheit besteht nicht darin, da die Frage nachdem Geistigen bewu t beiseite gestellt w rde (solches wird Plotin ja VI 3selbst versuchen), sondern darin, da die Bestimmung eines sinnlich wahr-nehmbaren Seienden als συναμφότερον aus εΐδος und ΰλη die Besinnung aufdie Bedingungen dieses Zusammenschlusses vermissen l t. Da ohne dieseBesinnung die H herbewertung des είδος nicht gen gt, zeigt der EinwandVI 1,2, 12: οί δ' αν εΐποιεν την ΰλην μάλλον (sc. ούσίαν λέγεσθαι). Er be-sagt, da man auch andere Priorit ten setzen, also die wesentliche Bedingungsinnlich wahrnehmbaren Seins auch im K rperlichen sehen k nnte, wennman nicht den Grund f r die Priorit t des είδος angibt.

Der anschlie ende (2,12-15) kritische Hinweis, da die Gemeinsam-keit von πρώτη und δευτέρα ουσία (dies die Terminologie der „Kategorien-schrift" einmal f r das Einzelne als das den Akzidentien Zugrundeliegende,zum anderen f r είδος und γένος) nur eine Benennung der einen ουσία nach

3l Eine Kritik von der Art, wie sie Nebel, Hermes 65,1930,430, anl lich VI3,3,12-15 vorbringt, ist deshalb nicht gerechtfertigt: Nebel beurteilt Plotins Bemerkung,da sich das Eidetische nicht im εΐδος ενυλον ersch pfe, wie folgt: „Diesem „Argu-ment" merkt man deutlich an, da es gebraucht ist, um irgendetwas zu „beweisen*[Anm. 4: Diese leerlaufende Aporetik, die nicht aus den Sachen kommt, eineschlechte Nachahmung des Aristoteles, findet sich oft bei ihm]. Das zu erwartendeBeweisthema hat er verfehlt. Da das aristotelische είδος die platonische Idee nichterfa t, ist ebenso selbstverst ndlich, wie da diese nicht mit der wahrnehmbarenουσία identisch ist."

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der anderen sei, ist mit den 3, i-io folgenden Erw gungen Plotins zusam-menzusehen. Hier wird die M glichkeit erwogen, ουσία νοητή, ΰλη, είδοςund συναμφότερον unter der gemeinsamen Bezeichnung (μίαν τινά κατη-γορίαν, 3, ι) „ουσία" zusammenzufassen, dabei aber als den Grund der Ge-meinsamkeit den Ursprung der letzten drei Bestimmungen in der ersten an-zusehen: ..., οΰχ ως κοινόν κατά πάντων, αλλ' ως άφ'ένός- πρώτως γαρ ήουσία εκείνη - sc. die ουσία νοητή -, δευτέρως δε και ήττον τα αλλά - sc. ΰλη,είδος, συναμφότερον -, 3, 3~5· Gegen solches Vorgehen hat Plotin jedocheinzuwenden, da auch die Akzidentien im Verh ltnis zur ουσία αισθητήals abgeleitetes Sein anzusprechen sind, so da aus dieser Perspektive dievon der ουσία νοητή her benannte ουσία αισθητή und die von der ουσίααισθητή her als seiend benannten Akzidentien insgesamt unter eine κατη-γορία fallen m ten: αλλά τι κωλύει μίαν κατηγορίαν τα πάντα είναι; καιγαρ τα αλλά (sc. die Akzidentien) πάντα από της ουσίας τα λεγόμενα είναι,3,5~7· Dem sind die realen Verh ltnisse entgegenzusetzen, die einen ver-schiedenen Modus der Beziehung von ουσία νοητή, είδος, ΰλη, συναμφότερονauf der einen, von ουσία αισθητή und Akzidentien auf der anderen Seitezeigen: ή εκείνα μεν πάθη, αί δ5 οΰσίαι έ^ρεξής άλλως, 3>6-8. Diese Ab-lehnung der gemeinsamen Pr dikation als genuskonstituierender Gemein-samkeit liegt auch VI 1,2,14 vor, wo die Benennung der zweiten nach derersten ουσία als unzureichend empfunden wird.

(5) Es zeigt sich also, da nach Plotins Ansicht der sprachliche Aus-druck von Seinsverh ltnissen entweder nicht in der Lage ist, die tats ch-lichen Beziehungen hinreichend zu kl ren (αφ* ενός-Verh ltnis alles Seien-den), oder gar die tats chliche Situation verf lscht (ουσία αισθητή undνοητή sprachlich als Species eine Genus), da also die Art und Weise, inder das wahre Sein und sein Erscheinen in der Sinnenwelt zu denken ist,jenseits der sprachlichen Ausdrucksm glichkeiten liegt. Die Ausspielung der„Realit t" der Seinsverh ltnisse gegen ihren sprachlichen Ausdruck bleibtallerdings unbefriedigend, da sie auf die oben formulierte Grundfrage zu-r ckverweist, wie die sich den Sinnen darbietende Gestalt rein begr ndetsei. Nichts anderes besagen die S tze VI i, 3, 8-10: αλλά γάο και οΰτακofwico cyoiiFv έπερείσασθαι τη ουσία, ουδέ το κυριώτατον λαβείν, tv' απότούτου και τάς αλλάς und zuvor 2,15-18: όλως δε τί εστίν ή ουσία ειπείνουκ ?στιν· ουδέ γαρ, εΐ το ϊδιόν τις άποδοίη, ήδη έχει το τί εστί, και ίσωςουδέ το εν και ταΰτόν άριθμφ δεκτικόν των εναντίων επί πάντων αρμόσει,die zwar den Unterschied zwischen der bleibenden Gestalt und den sich

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Ουσία als Genus: Realit t und sprachliche Form 155

wandelnden Eigenschaften als richtig voraussetzen, jedoch leugnen, da mitdieser Unterscheidung das Sein wirklich begriffen sei.

Die entscheidenden Schritte zur L sung der hier anstehenden Problemed rfen wir erst im Traktat VI 3 erwarten, wo Plotin von der Warte seinerEinsicht in die Form des wahren Seins (VI 2) seine eigene Kategorienlehreder Sinnenwelt vortr gt. Diese Kategorienlehre ist nicht, wie man zun chstmeinen m chte, eine Neuauflage der zuvor kritisierten aristotelischen, soda diese zwar in unbedeudenden Details ge ndert, in ihren Grundz genjedoch bernommen worden w re, da Plotin nicht ganz auf sie verzichtenkonnte; zwar wird in VI 3 die Behandlung der ουσία αισθητή mit denselbenFragen wie in VI i angegangen (und das ist ja nur folgerichtig, da es sichja eben um das sinnlich wahrnehmbare Sein handelt), hinzu tritt aber aus-gesprochenerma en das Bewu tsein f r die Spannung, in der das sinnlichwahrnehmbare Sein zwischen der Einheit des Geistigen als eines solchenund der Diversit t des Sinnlichen als eines solchen steht.

$. "Realit t und sprachliche Form des kategorialen Unterschiedesvon geistigem und sinnlich wahrnehmbarem Sein

a) Abwehr eines gemeinsamen Genus „ουσία" des geistigen und des sinn-lich wahrnehmbaren Seins

(i) Als Dihairesis im terminologisch fixierten Sinne des Wortes gilt dieGliederung eines Genus in diejenigen beiden seiner Species, die durch ihrespezifischen Differenzen im kontr ren Gegensatz zueinander stehen, durchdie Gemeinsamkeit des Genus aber synonym sind. Hier sagt Plotin:κατά ταύτα ή διαίρεσις (VI 3» 2,17), oder er nimmt den aristotelischenTerminus άντιδιαίρεσις, άντιδιαιρεΐσθαι auf (IV 4 [28] 28, 68 bzw. I 4[46] 3,i6)32. Von den beiden zuletzt genannten Stellen lehnt die erste

32 Vgl. besonders Arist. Cat. 13,14 b 33 - 15 a i; Top. VI 4,142 b 8: δμα γαρ τ\\ φύσειτα εκ του αύτοϋ γένους άντιδιηρημένα; Metaph. Δ 6, ιοι6 a 24. Nur scheinbaranders Diog. Laert. 7,61: άντιδιαίρεσις δε εστί γένους είς είδος τομή κατά του-ναντίον, ώςδν κ α τ ' ά π ό φ α σ ι ν οίον Των δντων τα μεν εστίν αγαθά, ταΟ' ουκ αγαθά. Mit Rieth, Grundbegriffe, 4? *·> ist vor ως δν κατ" άπόφασιν eineL cke anzunehmen, da nach Simpl. In Arist. cat. 405,25-406,5 K. die Stoikerebenso wie die Peripatetiker den kontr ren (κατά τουναντίον) von dem kontra-diktorischen Gegensatz (κατ* άπόφασιν) unterschieden haben. Im brigen vgl. ins-gesamt Diog. Laert. 7,61 und 62 die Unterscheidung zwischen διαίρεσις, άντιδιαί-ρεσις, ύποδιαίρεσις, μερισμός.

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IV 4 [28] 28, 64-69 es ab, von den Verm gen der Seele, die in einemπρότερον-ΰστερον-Verh ltnis st nden, in Form einer άντιδιαίρεσις aus derGesamtseele zu sprechen. Die zweite Stelle I 4 [46] 3,15-24 zeigt, daευδαιμονία den verschiedenen Stufen des Lebens in verschiedener Weisezuteil wird: Die Formen der ευδαιμονία stehen wie die Formen des Lebensnicht in einer άντιδιαίρεσις nebeneinander, sondern hintereinander (εφεξής,Zeile 20) und sind durch zunehmende Unklarheit unterschieden (και τρανό-τητι και άμυδρότητι την διαφοράν εχόντων, (3, 21/22)33. - Da die άντι-διαίρεσις als Einteilung „auf gleicher Ebene" und die Unterscheidung vonEntit ten verschiedenen Wertes auseinanderzuhalten sind, wird auch VI 3,ίο deutlich, wo Plotin sich um Einteilungsregeln f r die ούσίαι α'ισθηταίbem htM und u. a. (Zeilen 20-27) eme Einteilung in einfache und zusam-mengesetzte K rper erw gt: Die antidihairetische Einteilung in άπλα undσύνθετα wird abgelehnt, die Unterscheidung der vier Elemente untereinan-der x ist der Einteilung der durch Mischung aus den Elementen zusammen-gesetzten K rper vorgeordnet, εστί δ5 ουκ άντιδιαίρεσις το σύνθετον προςτο άπλοΰν είναι, άλλα κατά πρώτην διαίρεσιν τα άπλα των σωμάτων θέντα(VI 3, ίο, 23-25) *.

(2) Es liegt nun Plotin alles daran zu zeigen, da die Unterscheidungvon Geistes- und Sinnenwelt nicht die Form einer άντιδιαίρεσις haben kann,weil ουσία νοητή und ουσία αισθητή als solche (d. h. von ihrem Charakterund ihrer Struktur, die durch die Abh ngigkeit letzterer von der erstenbestimmt sind) in einem πρότερον-ΰστερον-Verh ltnis stehen, wenngleichdie sprachliche Form, in der dieses Verh ltnis sich ausdr ckt, einer άντι-διαίρεσις gleicht, in der νοητός und αισθητός (bzw. ασώματος und σώμα =ουσία σωματική) als spezifische Differenzen des Genus „ουσία" aufgefa twerden k nnen. - Διαίρεσις mu demnach, angewandt auf das Verh ltnisvon Geistes- und Sinnenwelt, eine Abgrenzung und Trennung bedeuten.

33 Vgl. auch VI 3,7,26-28: ου κοινόν τι το άμυδρόν, ώσπερ επί, της ζωής ουκ ανείη κοινόν τι επί θρεπτικής και αΙσθητικής και νοερός. Diese Stelle steht als „Bei-spiel" (vgl. dazu S. 71 mit Anm. 17), um den unterschiedlichen Grad von Sein bei8λη, είδος und σύνολον zu erl utern.

34 Vgl. unten S. 254, Anm. 47.35 Τα απλά als die vier Elemente vgl. Bonitz, Index Aristotel., s.v. άπλοΰς, 76 b

15-19.36 Das Verh ltnis άπλοΰς - σύνθετος stellt - gut platonisch - f r Plotin generell eine

Wertfolge dar: το τε συγκείμενον εκ πολλών άπλοΰ ουκ δντος οΟδ' αυτό ?σται,V6 [24] 3> Ι4/Ι55 vgl· au£h VI2, ίο, 20-23: Das Einfache ist αρχή des Nicht-Einfachen: έτι ωσπερ το άπλοΰν αρχή μεν αν εΐη του ούχ άπλοΰ, ου μην τούτουκαι γένος (άπλοΰν γαρ αν εΐη το μη άπλοΰν) οΪ5τω και επί του ενός, εί το £ναρχή, ουκ Ισται των μετ' αυτό γένος.

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Ουσία als Genus: Realit t und spraddiche Form 157

Deutlich ist die Stelle VI 2, i, 2^/26 eine Anspielung darauf, da das beider Unterscheidung von Geistes- und Sinnenwelt n tige διαιρεϊσθαι nichtmit dem (terminologisch festgelegten) άντιδιαιρεϊσθαι verwechselt werdendarf: το γαρ διελέσθαι ενταύθα εστί το άφορίσαι και χωρίς θεΐναι.

Sprachlich kann dann dieses „Trennen" die Form eines kontradiktori-schen Gegensatzes annehmen und so das m gliche Mi verst ndnis umgehen:γελοΐον γαρ ύφ3 εν θέσθαι το δν τω μη δντι (VI 2, ι, 23/24). Entsprechendlassen sich aus Plotins Werk eine Vielzahl von Formulierungen aufz hlen,die sich dieses Mittels bedienen, um geistiges und sinnlich wahrnehmbaresSein gegeneinander abzugrenzen37. - Als Gegensatz zu ov und ουσία trittauch der Begriff „γένεσις" ein, der f r Plotin in solchem Zusammenhangdann nicht die Entstehung aus dem Nichts zu einem bestimmten Zeitpunkt,noch auch (wie manchmal sonst) aristotelisch das Werden im Unterschied zuden anderen Modalit ten der Bewegung bezeichnet, sondern - platonisch -die Grundverfa theit des Sinnlichen insgesamt ausdr ckt; z.B. VI 5 [23]2,9—13: έπεί γαρ το μεν εστί πεφορημένον και παντοίας δεχόμενον μετα-βολάς και. εϊ,ς πάντα τόπον διειλημμένον, δ δη γ έ ν ε σ ι ν προσήκοι όνο-μάζειν, αλλ' ουκ ούσίαν, το δε δν αεί, ου διειλημμένον, ωσαύτως κατά ταύταέχον, κτλ. Entsprechend auch VI 3» 2, 2—4: ... την περί τα σώματα φύσινόμωνύμως η ουδέ όλως ούσίαν .. ., άλλα γένεσιν ... Wichtig ist unter denwiederum zahlreichen Belegen f r diesen Gebrauch von γένεσις Μ vor allemII 9 [33] 3> I I~ I4> wo Plotin sich gegen die dramatische Kosmologie derGnostiker wendet39: ανάγκη τοίνυν εφεξής είναι πάντα άλλήλοις και αεί,γενητά δε τα ετέρα τφ παρ5 άλλων είναι, ου τοίνυν έγένετο, αλλ' έγίνετο και

37 Vgl. Ill 6 [26] 6, wo das Geistige in seiner Selbstgen gsamkeit als τελέως δν(Zeile 12) allem Bed rftigen und Unvollkommenen als μη δν (Zeile 21) gegen ber-gestellt wird; pointiert hei t es (Zeilen 31/32): ... αλλ' είναι τούτοις (sc. τοιςσώμασι) το είναι το μη ουσιν είναι; VI 4 [22] ζ, 16-22 wird die Abh ngigkeit derSinnenwelt als μη δν von der Geisteswelt als ov betont; ganz entsprechend auch I 8[5l] 3, I-I2.

38 Vgl. 18 [51] 4,3/4: δτακτος φορά der K rper; II 9 [33] 6,41: εκ γενέσεωςφεύγειν είς ούσίαν; Ill ι [)] }, 1-4: ή εκ τούτων (sc. των στοιχείων) ατάκτωςφορά; III 6 [26] 6,7<>/77: ή γένεσις αυτών (sc. των σωμάτων) καΐ ή φοή καΐ ήφϋορά ου της του δντος φύσεως οΰσα; schlie lich in VI 2,4,12-15: ..., επειδήπερί της ουσίας νοητής και των εκεί γενών και άρχων ό λόγος εστίν, άφελόνταςχρή την εν τοις σώμασι γένεσιν ...

39 Im Hintergrund d rfte die an Plat. Tim. 28 b 6 - c 2 sich entz ndende Diskussiondar ber stehen, ob die dort angesprochene Sch pfung der Welt(seele) w rtlich oderbildlich zu verstehen sei. Spuren dieser Diskussion, die sich vornehmlich um diem glichen Bedeutungen von γεν(ν!)ητός dreht, bei Plutarch De an. procr. in Plat.Tim. 3, 1013 a f.; Proklos In Plat. Tim. ad loc. I 280 Diehl; loannes Philoponos Deaeternitate mundi 6, 8 ff. Rabe.

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158 Plotins platonischer Ansatz der Aristoteleskritik

γενήσεται, δσα γενητά λέγεται. Die Sinnenwelt (τα γενητά) wird hier nichtals Ergebnis eines einmaligen Sch pfungsaktes genommen (Aor. ουκ έγένετο),sondern als immer schon und notwendig so verfa tes Explikat des Geistigenverstanden (Impf, έγίνετο και γενήσεται). Das γενητός vermag dabei so-wohl die Relation der Sinnenwelt zum wahren Sein (εφεξής είναι πάνταάλλήλοις) als auch die eigene Verfa theit zu bezeichnen, weil im undrama-tischen Ordnungsdenken vertikal vorstellbare Degradation und die gleich-sam in der Horizontale vorstellbare Niederwertigkeit der abgeleiteten Seins-stufe in eins gehen.

Zu nennen sind ferner f r das Bem hen Plotins, die verschiedenen For-men von Sein auch sprachlich voneinander zu trennen, solche Stellen, diezwar den Terminus ουσία f r das Sinnliche beibehalten, aber ausdr cklichihren nachgeordneten Rang betonen; so VI 3, 16,36-38: ουσία δε αίσθητήντο εκ πάντων των είρημένων θέμενοι (Anspielung auf die Konstitution dersinnlichen Substanz als συμφόρησις ποιοτήτων) ουδαμώς άσώματον ούσίανεν αύτη τάξομεν *. - Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch u erun-gen, in denen Plotin die Bezeichnung des Sinnlichen als ουσία als irref hrend

bertragung dieses Terminus hinstellt, der dann seinerseits einen (an sichberfl ssigen) Zusatz verlangt, wenn man mit ihm das wahre Sein bezeich-

nen will, so III 7 [45] 6,26-29 (es 8ent um den Begriff der Ewigkeit, dermit dem des Seins zusammenf llt und mehr besagt als ein zugesetztes„immer", das doch nur eine Vermehrung an Zeit ausdr cken kann.): το δεΐσο)ς βέλτιον ην μόνον το „ων" λέγειν, άλλα ωσπερ το δν άρκοΰν όνομα τηουσία επειδή καί την γένεσιν ούσίαν ένόμιζον, έδεήθησαν προς το μαθεΐνκαι προσθήκης του αεί41.

b) Abwehr eines gemeinsamen Genus „τι" des geistigen und des sinnlichwahrnehmbaren Seins im Rahmen der Kritik der stoischen Kategorienlehre

(i) Wenn Plotin jede Bezeichnung des κόσμος αισθητός, die ein Seinausdr ckt, entschieden ablehnt und sich gegen die wendet, die von der

40 VI 1,9,6/7: εί δε καί άσωμάτοις δίδομεν την κυρίαν χωράν και τοις λόγοις . . . ;VI6 [34]' i3> 27~32 (das folgende ist im Vergleich gesprochen, um verschiedeneGrade von Einheitlichkeit klarzumachen): ου γαρ οίον τε εν τοις μη οδσι το μάλλονείναι, αλλ' ωσπερ την ούσίαν κατηγοροϋντες καθ' εκάστου των αίσθητών, κατη-γοροΰντες δε καί κατά των νοητών, κυριώτερον κατά των νοητών την κατηγορίανποιούμεθα εν τοις οδσι το μάλλον και κυριώτερον τιθέντες, ...

41 Vgl. V ι [ίο] 5> ιο/ιι: ου γαρ δγκοι τα πρώτα ουδέ μεγέθη· τα γαρ παχέα ταΟταυστέρα, δ οντά ή αϊσθησις οϊεται.

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Ουσία als Genus: Realit t und sprachliche Form 159

Sinnenwelt als ov sprechen, so weist er auf die Uneigentlichkeit der ουσίααισθητή und damit auf die Unm glichkeit hin, ber das πρότερον-ΰστερονder beiden ούσίαι ein gemeinsames Genus zu setzen. Der Satz VI 2, 1,21-23: δει δε νοεϊν ταΰτα απ' αλλήλων δι/ηρημένα ούχ ως γένους τον τι εις ταΰταδιηρημένου, ούδ5 ούτως οΐεσθαι τον Πλάτωνα πεποιηκέναι, der anundf rsichmit allen eben genannten Stellen zusammengeh rt, zeigt jedoch, da dieEinstufung der Sinnenwelt als μη δν (bzw. γιγνόμενον), der Geisteswelt alsov und damit die Formulierung ihres Verh ltnisses als kontradiktorischerGegensatz nicht gen gt, um ein falsches Verst ndnis dieses Verh ltnissesabzuwehren und es nicht als άντιδιαίρεσις eines obersten γένος erscheinenzu lassen. Offensichtlich bietet das τι die M glichkeit, den Gegensatz vonGeistes- und Sinnenwelt auch dann zu bergipfeln, wenn dieser die Formδν - μη ο ν hat.

Aus einer Notiz bei Proklos In Plat. Tim. I 227,3-18 Diehl (zu Tim.27 a) l t sich schlie en, da Plotin hier vielleicht gegen den Platoniker Se-verus polemisiert: Dieser hatte die Frage Tim. 27 d 6-28 a ι τι το δν αεί,γένεσιν δε ουκ έχον, και τι το γιγνόμενον μεν αεί, δν δε ουδέποτε; auf diePlotin hier deutlich anspielt (Platon leitet die Stelle mit πρώτον δ ι α ι ρ ε -τ έ ο ν τάδε ein!), als Aussage verstanden und gemeint, Platon habe berτο δν αεί und το γιγνόμενον das τι als Genus gesetzt, und hatte dieses alsπαν erkl rt.

(2) Welche Einw nde Plotin gegen die Setzung eines obersten Genusτι vorzubringen hat, wird aus seiner Widerlegung der stoischen Kategorien-lehre deutlich, in der wir das Vorbild f r des Severus Verfahrensweise ver-muten d rfen:

Plotin nennt bei seiner Widerlegung der stoischen Kategorienlehre''2

VI 1,25,1-10 das τι das oberste Genus ber den stoischen Kategorienΰποκείμενον, ποιόν, πώς έχον und προς τί πως έχον, argumentiert gegendiese Unterordnung jedoch so, da er von den Paaren ασώματα : σώματα(25, 7) und δν . μη δν (25, ίο) ausgeht: i. Das τι kann kein gemeinsamesGenus ber σώματα und ασώματα sein; 2. Die Setzung nur eines oberstenGenus macht dessen Differenzierung unm glich; 3. Das τι m te entwederδν oder μη δν sein.

W hrend das zweite Argument sich der aristotelischen Regel bedient,42 Als Zeugnis f r die stoische Kategorienlehre werden die Plotin-Stellen bei Rieth,

Grundbegriffe, 70-84, bes. 79 f., auch Exkurs 10, 190/191; Elorduy, Sozialphilo-sophie, 78-97, bes. 92-95, ausgewertet; vgl. vor allem auch Goldschmidt, Le Systemestoicien, 13-25. Hier soll zun chst jedoch nicht nach dem m glichen Sinn derstoischen Kategorien, sondern nach dem Sinn der plotiniscfaen Kritik gefragt werden.

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160 Plotins platonischer Ansatz der Aristoteleskritik

da ein einziges Summum Genus zu setzen unm glich sei, weil seine Diffe-renzen nicht aus ihm selbst kommen k nnten, sondern von au en hinzu-treten m ten43, liegen dem ersten und dem dritten Argument dieselben

berlegungen zugrunde wie VI i, 2,4-8, wo Plotin die Unterordnung vonουσία αισθητή (σώματα) und ουσία νοητή (ασώματα) unter ein Genus zu-r ckweist. Ausgef hrt ist das hier VI i, 25 aber nur f r das Paar ov - μηδν: es hei t 25, 8-10: „Dieses Etwas ist ferner entweder seiend oder nicht-seiend, und ist es seiend, so ist es eine seiner Gattungen, ist es nichtseiend,so ist das Seiende nichtseiend". Solche Argumentation hat zu ihrer Voraus-setzung, da alles Seiende (im weiteren Sinne des Wortes) entweder demeinen oder dem anderen der beiden Seinsbereiche angeh rt, da also auchdas τι entweder ein ov oder ein μη δν ist. Es m te deshalb mit einem derGlieder der aus ihm hervorgehenden Teilung identisch sein. Plotin dr cktdas hier nicht ganz parallel aus: Er sagt zwar: „Ist das τι seiend, so ist eseine seiner Species", sagt aber nicht: „Ist das τι nichtseiend, so ist es gleich-falls eine seiner Species", sondern (wohl um die f r ihn absurde Konse-quenz deutlich zu machen): „Ist das τι nichtseiend, so ist das Seiende nicht-seiend. " Solches folgt daraus, da ein Genus τι = μη δν auch von seinerSpecies δν gelten und dieses deshalb zu einem Nichtseienden machen w rde.Des Proklos Bemerkung a.a.O.: ούτως γαρ και το γιγνόμενον ειη πάν καιτο αεί δν, mit der er Severus zu widerlegen sucht, geht von denselben Vor-aussetzungen wie Plotin aus.

So ist Plotins Auffassung vom stoischen τι von vornherein von der Formbestimmt, in der es beim Platoniker Severus begegnet. Das stoische τι wirdaus dieser Perspektive mit denselben Argumenten widerlegbar, die Plotinbereits VI i, 2 gegen ein gemeinsames Genus ουσία ber ουσία νοητή undουσία αίστ'ϊητή ins Feld gef hrt hatte: Die besondere Weise der Unter-schiedenheit von Geistes- und Sinnenwelt erlaubt kein gemeinsames Ge-nus, auch wenn dieses, wie bei Severus, die Form des τι hat **.

(3) Seine detaillierte Polemik gegen die stoische Kategorienlehre be-

43 Vgl. noch einmal Arist. Metaph. B 3,998 b 23-27, dazu oben S. 67, und Arist.Top. IV 2,122 b 15; Metaph. I 8,1058 a 6-8.

44 Anders, m. E. zu spekulativ, Martano, Due precursor!, 9-21. Der Verf. sieht inSeverus einen Vorl ufer Plotins, der mit der Setzung des τι ber δν und γιγνάμενονden metaphysischen Aspekt dieser stoischen Lehre zur Geltung bringe. Er wertetdas τι (da es als παν auftritt) als „indifferenzata identit di essere e divenire" undsieht in seiner Setzung den ersten Schritt zum plotinischen Monismus des Einen;er mu freilich als Unterschied bekennen, da das Eine Plotins „non e concepitopanteisticamente come absorbente in se il moltiplice, ma dinamicamente producente,e trascendente il prodotto pur rimanendo in esso." (a. a. O., 12).

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Ουσία als Genus: Realit t und sprachliche Form 161

ginnt Plotin VI 1,25, 12-14 nut dem Satze: υποκείμενα μεν γαρ πρώτατάξαντες και την ΰλην ενταύθα των άλλων προτάξαντες την πρώτην αύτοϊςδοκοΰσαν αρχήν συντάττουσι τοις μετά την αρχήν αυτών. („Die zugrunde-liegenden Dinge r cken sie an die erste Stelle und stellen hierher, vor dieanderen Dinge, die Materie; und damit stellen sie das, was sie f r dasoberste Prinzip halten, in den gleichen Rang wie das, was diesem ihremPrinzip nachfolgt."). Obwohl nach II 4 [12] 1,6-11 allein die Materie alsύποκείμενον in der stoischen Philosophie ausgewiesen ist45, zeigt DexipposIn Arist. cat. 23, 25 fi. Busse (SVF II 374), da bei der Stoa (wenigstensvom aristotelischen Standpunkte) von einem zweifachen ύποκείμενον ge-redet werden kann, weil das stoische ποιόν die sinnlich wahrnehmbare Sub-stanz in ihrer wesentlichen Beschaffenheit und somit das den AkzidentienZugrundeliegende bezeichnet **. Entsprechend meint υποκείμενα μεν πρώτοντάξαντες, da die Stoiker die Materie und die sinnlich wahrnehmbarenSubstanzen als vorrangiges Sein angesehen h tten; και την ΰλην ενταύθατων άλλων (sc. υποκειμένων) προτάξαντες zeigt, da sie das als MaterieZugrundeliegende den vielen υποκείμενα, die als sinnlich wahrnehmbareSubstanzen den Akzidentien zugrunde liegen, vorgeordnet und also, wieII 4 [12] 1,6-11 bereits betont, der Materie die erste Stelle gegeben h t-ten. Da das so konstituierte πρότερον-υστερον- Verh ltnis im Widerspruchsteht zu der VI i, 25, 1-5 behaupteten Ordnung der vier Kategorien unter

45 II 4 [12] 1,6-11 : και l μεν σώματα μόνον τα δντα είναι Φέμενοι καΐ τηνούσίαν εν τούτοις μίαν τε την ΰλην λένουσι καί τοις στοιχείοις ύποβεβλήσθαι καιαυτήν είναι την ούσίαν, τα δ'&λλα πάντα οίον πάθη ταύτης καΐ πως ίχουσαναυτήν και τα στοιχεία είναι. („Diejenigen, welche die Dinge nur als K rper unddie Substanz nur in die K rper setzen, behaupten, da die Materie eine sei undunter den Elementen liege; sie sei die Substanz, die anderen Dinge aber seien allenur gewisserma en ihre Affektionen, und auch die Elemente seien nur eine be-stimmte Befindlichkeit von ihr.").

46 Dexippos In Arist. cat. 23,25-30 B.: „Ιστι το ύποκείμενον διττόν καΐ κατά τουςαπό της Στοας καί κατά τους πρεσβυτέρους· Εν μεν το λεγόμενον πρώτον ύποκεΐ-μενον ως ή αποιος ΰλη, ην δυνάμει Αριστοτέλης φησ'ι, δεύτερον δε ύποκείμενοντο ποιόν, 8 κοινώς ή Ιδίως υφίσταται· ύποκείμενον γαρ καί 6 χαλκός καί 6Σωκράτης τοις έγγινομένοις ή κατηγορουμένοις κατ* αυτών. Bei solcher Gleich-setzung des stoischen ποιόν mit der ουσία qua ύποκείμενον der Akzidentien stelltsich nat rlich vom peripatetisch-platonischen Standpunkte die Frage, wie sich diewesensbestimmenden Qualit ten zu den akzidentellen verhalten, die bei Dexipposa. a. O., 24, 2 ff. angeschnitten wird, indem er (24, 2-4) sagt: δύο τοίνυν υποκει-μένων όντων πολλά των έγνινομένων ως προς το πρώτον ύποκείμενον ενύποκειμένφ δντα ως προς το δεύτερον ουκ ην εν ύποκειμένφ, αλλά μέρη αύτοϋ(n mlich eben dann, wenn es sich um Qualit ten handelt, die das Wesen desstoischen ποιόν = der aristotelischen ουσία ausmachen). Zur Breite des stoischenποιόν vgl. Rieth, Grundbegriffe, 55—69; Pohlenz, Stoa, II 39 f. zu I 69, Zeile 9.

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ein Genus τι als dessen είδη, wird die stoische Lehre von dorther ange-griffen (711,25,15-23).

Das anschlie ende Argument (VI i, 25,23-25) wirft den Stoikern vor,nicht eine Einteilung des Seienden selbst gegeben, sondern dessen Prin-zipien genannt zu haben. Unter der Voraussetzung, da die Materie dasvorrangige Sein ist (vgl. noch VI i, 25, 21-23: έπεί και αυτοί φήσουσι παράτης ύλης, οΐμαι, τοις άλλοις το είναι ύπάρχειν) und da τα οντά die Sinnen-dinge sind, verh lt sich die Materie als das undifferenziert allem Zugrunde-liegende (το ύποκείμενον εν άριθμοΰντες, Zeile 23) zur Pluralit t der οντάwie das Prinzip des Seienden zu dem Seienden selbst. - Auff llig ist dabeifreilich, da in der Folgerung αλλ' α ρ χ ά ς των όντων ζητοΰσι die αρχήim Plural erscheint; denn Plotins Argument scheint ja gerade vorauszusetzen,da sich die erste stoische Kategorie ύποκείμενον zur zweiten ποιόν wie dieeine αρχή zu den οντά verhalte.

Dies kl rt sich im Blick auf Plotins Ausf hrungen ber das stoischeποιόν VI 1,29: Hier geht Plotin ebenfalls von dem Widerspruch zwischendem πρότερον-υστερον-Verh ltnis der stoischen Kategorien und ihrer gleich-rangigen Stellung unter dem Genus τι aus: Insofern das ποιόν als Kategorieneben dem ύποκείμενον und unabh ngig von ihm genannt wird, mu es einEinfaches sein und darf nichts von der Materie an sich haben, darf also auchnicht f r das σύνθετον aus ΰλη und εΐδος stehen (Zeilen 1-4). Ist das ποιόνjedoch (weil es ja doch das irgendwie beschaffene Seiende meint) ein σύνθε-τον, dann kann es unm glich als Kategorie neben das ύποκείμενον =ΰλη treten (Zeilen 6-10); und selbstverst ndlich ist auch eine Erkl rungdes stoischen ποιόν als πάθη της ουσίας (i. e. της ύλης), wie Plotin sie VI i,25,25-27 und II 4 [12] i, 6-ii versucht, unzureichend, da bei einer sol-chen Beziehung die Unterordnung unter ein Genus v llig absurd erscheint47.

Wenn aber die ποια (f) ποια, VI 1,29,4) von der ΰλη unabh ngig seinsollen und also mit dem σύνθετον nicht identisch sein d rfen, dann sind sieασώματα και δραστήρια (29, 5) und nehmen als solche den Platz von είδηein. Aus dieser platonisch-peripatetischen Sicht vermag nicht nur das stoischeύποκείμενον, sondern auch das stoische ποιόν als αρχή zu gelten; dies wirdhier nicht expressis verbis ausgesprochen, l t sich aber aus der Verwendung

*7 „Wenn sie nun lediglich die Materie als Seiendes gelten lassen wollen und alleanderen Dinge als Erleidung der Materie bestimmen, dann d rfen sie dem Seiendenund den anderen Dingen nicht eine gemeinsame Klasse (γένος) vorordnen, sondernihre Lehre w re sinnvoller, wenn sie zwischen der Seinsheit (ουσία) und derenErleidungen (πάθη) unterschieden und diese dann eingeteilt h tten." (VI 1,25,25-27). - II 4 [12] i, 6-ii ist zitiert oben S. 161, Anm. 45.

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Ουσία als Genus: Realit t und sprachliche Form 163

des Terminus δραστήριον erschlie en, da dieser das wirkende der stoischenPrinzipien und damit platonisch-perlpatetisch das είδος bezeichnet *.

VI i, 26, i-n greift Plotin die stoische Lehre, die ϋλη sei πρώτη αρχήoder berhaupt αρχή, in der Weise an, da er das Verh ltnis von Materieund qualifiziertem K rper aristotelisch als δυνάμει - ενεργεία-Beziehung hin-stellt, die Priorit t des Aktualen vor dem Potentiellen betont und von dorther die Setzung der Materie als πρώτη αρχή widerlegt sieht. - Wegen ihresPrinzipiencharakters darf die Materie ferner nicht, wie die Stoiker es tun,als unqualifizierter K rper erkl rt werden49, da ein K rper (das ist PlotinsArgument VI i, 26,17-26) stets aus ύλη und εΐδος zusammengesetzt, einPrinzip dagegen per definitionem einfach ist. Es mu also die Materie alsEinfaches unterschieden sein von der Vielheit der Bestimmungen, die einenK rper ausmachen. Nicht nur die Dreidimensionalit t (als solche ohnehinblo Bestimmung des mathematischen K rpers), sondern auch die Festig-keit (άντιτυπία, Widerst ndigkeit50), damit aber eine qualitative Bestimmt-heit, machen den K rper aus und entheben ihn der f r ein Prinzip unab-dingbaren Einfachheit.

(4) Bezeichnend f r Plotins Polemik gegen die Stoa ist es, wie er sichperipatetischer Argumente bedient und so den ersten Schritt mit dem Peri-patos zusammen tut, schlie lich aber die in diesen Argumenten auftauchen-den Begriffe platonisch bewertet:

So ist der Vorwurf: ου τα οντά έξαριθμοΰνται, αλλ' αρχάς των όντωνζητοΰσι (VI 1,25,23/24) als solcher nur sinnvoll, wenn es als Ziel derKategorienlehre angesehen wird, eine blo e Einteilung des Seienden nachKlassen zu geben, die Frage nach den Prinzipien des Seienden aber von derFrage nach der Art und Weise seiner Einteilung zu trennen. Dieses Argumentsteht au erhalb des Horizontes, der mit der Bestimmung der Form deswahren Seins als γένη άμα και άρχαί, mit der pointierten Wertung jederdiskursiven Klassifizierung als κατηγορίαι und endlich mit der Einsch tzungdes Sinnendinges als συμφόρησις ποιοτήτων και ύλης gegeben ist. Als peri-patetisch sind zun chst auch die erw hnte Abwertung des ύποκείμενον alsΰλη, die Aufwertung des ποιόν als είδος mit Hilfe der δυνάμει-ένεργεία-Relation (VI 1,26, i-n) und die Argumente anzusehen, die von der not-wendigen Einfachheit dieser vermeintlichen Prinzipien ausgehen.

« Vgl. Philon De op. mund. 8; I 2,18 Wendland = SVF II 302.49 Vgl. Alex. Aphrod. De mixt. 224,32 f. Bruns = SVF II 310; Aetius Plac. 1,9,

7 = SVF II 325: l Στωΐκοί σώμα την ί$λην αποφαίνονται,so [Galen]1 De qu l, incorp. 10; XIX 483 K hn = SVF II 381: του σώματος

τοΰτον δρον elval φασιν, το τριχη διαστατόν μετ* άντιτυπίας.

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164 Plotins platonischer Ansatz der Aristoteleskritik

Aber Plotin bringt die Dinge dann doch, wo m glich, mit platonischerAkzentuierung: Da Gr e, Qualit t und berhaupt alle positiven Bestim-mungen von der Materie zu unterscheiden sind (dazu war eben VI 1,26,17-26 zitiert worden), mu die Materie als ein αμορφον, παθητόν, ζωήςαμορον, άνόητον, σκοτεινόν, αόριστον beschrieben, also mit Attributen be-legt werden, die nicht nur den ουσία-Charakter, sondern auch den αρχή-Charakter ausschlie en und sie so als platonisches μη δν erweisen (VI i, 27,2/3)51. - Umgekehrt wird das stoische ποιόν, einmal als είδος verstanden,dann auch ganz entschieden als sichtbare Form transzendenter Wirksamkeitgewertet; d.h. von ihm das Verhalten eines platonischen είδος gefordertund angesichts der Nichterf llung dieser Forderung gegen die Stoa argu-mentiert: Das zeigt sich in den Formulierungen VI i, 29,10-14, die dasoben zitierte Argument erweitern, als ein Einfaches k nne das ποιόν keinσύνθετον, sondern m sse das είδος bezeichnen: „Und sehen sie in den Wie-beschaffenen eine wiebeschaffene Materie" (nehmen also die ποια nicht fjποια), „dann sind erstlich die Formkr fte f r sie in die Materie gebunden(οι λόγοι ... ενυλοι), sie verursachen nicht erst bei ihrem Eintritt in dieMaterie ein Zusammengesetztes" (wie es die plotinischen λόγοι tun), „son-dern sie m ssen schon vor dem Zuammengesetzten, das sie verursachen, ausMaterie und Gestalt zusammengesetzt sein; dann k nnen sie folglich nichtGestalten (είδη) und formende Kr fte (λόγοι) sein", (was die ποια aber -und das ist das Platonische im aristotelischen Argument - nach PlotinsMeinung sind).

Diese Identifizierung des υποκείμενον mit der ύλη, des ποιόν mit demεΐδος und ihre platonische Bewertung machen deutlich, warum Plotin VIi, 25, i-io ohne weiteres von der Vierzahl der Kategorien zu den Paarenασώματα — σώματα (Zeile 7) und δν-μή δν (Zeilen 9/10) bergehen undvon dorther polemisieren kann52.

51 Vgl. Hermodor bei Simplikios In Arist. phys. 248,13-15 D.: δστε δστατον καΐδμορφον και απειρον και ουκ δν το τοιούτον (sc. την ΰλην) λέγεσθαι χατάάπόφασιν του οντος. τφ τοιούτφ δε ου προσήκειν οίτε αρχής οΰτε ουσίας, αλλ*εν ακρισία τινί φέρεσθαι. Diese Parallele zeigt, da die platonisdie Zweiprinzipien-lehre axiologisch zum Monismus tendiert. Vgl. oben 8.41.

52 Πώς Ιχον und προς τί πως ε*χον machen vom Standpunkte dieser Polemik denBereich der aristotelischen Akzidentien aus, sind dann aber in der Weise kritisierbar,da einmal das Verh ltnis von ποιόν und πώς Ι"χον und damit der Untersdiiedzwischen wesentlicher und akzidenteller Beschaffenheit nicht pr zise festgelegtscheint (vgl. Plotin VI 1,30,1-9 und oben S. 161, Anm. 46 zu Dexippos In Arist.cat. 24,2 f. B.), da zum anderen die mit πώς ε*χον angesprochenen Seinsverhalt-nisse allzu undifferenziert wiedergegeben scheinen (Plotin VI i, 30,9-21). - Daandererseits die stoische Kategorieneinteilung auf die Darbietung der aristotelischen

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Ουσία als Genus: Realit t und spradilidie Form 165

(5) Anzumerken bleibt dieses: Das Verst ndnis plotinischer Stoa-Pole-mik wird nicht nur dadurch erschwert, da man durch ihre peripatetisch-platonische Form hindurch nach dem Sinn der stoischen Kategorienlehre zufragen hat, sondern bereits schon dadurch, da Plotin die Ankn pfung andas aristotelische είδος-υλη-συναμφότερον-Schema und die platonische Be-wertung dieser Denkformen hier ohne Schwierigkeiten gelingt, wiewohldoch die vorhergehende Aristoteles-Kritik und die in VI 3 anschlie endeeigene Kategorienlehre des Sinnh'di-Wahrnehmbaren auf eine Destruktionder als συναμφότερον aus είδος und ΰλη verstandenen ουσία αισθητή aus-gehen.

Dieses Nebeneinander von Aristoteles-Rezeption und Aristoteles-Kritikist - wie sich noch deutlicher erweisen soll - die Grundform der plotinischenAristoteles-Begegnung. Die im Mittelplatonismus sichtbare Trennung vonείδος ενυλον und είδος χωριστόν, die Rede von der „Teilhabe" des einen amanderen, erm glichen es Plotin genauso wie den aristotelesfreundlichen Neu-platonikern, mit den aristotelischen Begriffen εΐδος-ΰλη-σύνολον, ούσία-συμβεβηκότα, δύναμις-ένέργεια zu operieren. Immer auch verm gen die Pla-toniker zusammen mit den Peripatetikern gegen die stoische Pr valenz desMateriellen zu argumentieren, da die von den Peripatetikern ins Spiel ge-brachte Vorrangigkeit des Unk rperlichen (die in ihrem Ursprung bei Aristo-teles ohnehin platonisch ist) von den Platonikern bernommen und nochkonsequenter ausgewertet werden kann. Vor diesem Hintergrund ist derHauptteil der plotinischen Polemik gegen die Stoa (also VI r, 25,12 fi.) zusehen.

Dieser Teil bleibt also, da die aristotelischen Begriffe zwar platonischgewertet, ansonsten aber aus der platonischen Akzentuierung von ΰλη undείδος keine Konsequenzen f r das Verst ndnis dieser Begriffe selbst gezogenwerden, auf einem anderen Reflexionsniveau als die Aristoteles-Kritik in

Kategorien so gewirkt hat, da zwischen tats chlich a m Seienden Befindlichemund blo bezeichenbaren Relationen z w i s c h e n Seienden unterschieden wird(vgl. Dexippos In Arist. cat. 23,30 B.: έγγινόμενα und κατηγορούμενα; ent-sprechend Plotin VI 3, 3, 3/4: τα μεν κατηγορούμενα μόνον, τα δε καΐ συμβεβη-κότα mit weiterer Unterteilung der συμβεβηκότα, dazu TH-B IV b, 483 f.), ist eineandere Frage: Die Ansicht des Aristoteles selbst, da im Ausgesagtsein der Akzi-dentien von der ουσία deren Seinsweise sich zeige, weicht hier einem mehr ph no-menologischen Verfahren, die Form akzidentellen Seins grunds tzlich zu bestim-men. Dies gilt sowohl f r Dexippos (als aristotelesfreundlichen Kommentator) alsauch f r Plotin. Aber: F r Plotin ist diese Einteilung nur ein Durchgang zu denwahren Verh ltnissen, zu der ουσία αίσφητή als οημφόρησις ποιοτήτων, deren Auf-deckung sich bewu t mit einer Zur ckweisung des Diskursiv-Sprachlichen (also desSeinsvergewisserungs-Bereiches des Aristoteles) verbindet.

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166 Plotins platonischer Ansatz der Aristoteleskritik

den vorangehenden Kapiteln und die eigene Kategorienlehre des Sinnlich-Wahrnehmbaren: W hrend Plotin Aristoteles gegen ber und sidi selbstnach den Bedingungen fragt, die es erm glichen, da trotz des transitori-sdien Charakters der Sinnenwelt den Sinnen Gestalthaftes erscheint, under damit das Verh ltnis von είδος und ΰλη als „Teilen" der ουσία αισθητήund so deren Gesamtkonstitution, insofern sich diese in der Unterscheidungzwischen wesentlicher und akzidenteller Beschaffenheit ausdr ckt, in Fragestellt, wird hier gegen die Stoa vom ΰλη-εΐδος-Schema aus polemisiert, ohnehinter es mit letzter platonischer Konsequenz zur ckzutragen.

Die einleitende Ablehnung des τι als eines obersten Genus (VI 1,25,6-i o) hat dagegen einen etwas anderen Charakter, da hier die platonischeWertung entscheidend f r das Argument selbst ist. Zwar mu auch vomStandpunkt des Peripatos das τι als Genus abgelehnt werden: Alex. Aphrod.In Arist. top. 301, 19-25 W. (= SVF II 329) weist das τι als Genus berδν und μη ον zur ck, weil aristotelisch ov und τι zusammenfallen; er er-l utert, die Stoiker seien deshalb abweichend verfahren, weil f r sie Seinund K rper, d. h. aber auch Nichtsein und Unk rperliches, identisch seien,und zeigt so unausgesprochen, da f r ihn K rperliches und Unk rperlichesgleicherma en als Sein und als „Etwas" gelten. Er setzt aber, wie sichzeigen wird H, rein formal das Sein (die ουσία) als Genus f r K rperlichesund Unk rperliches an, macht diese beiden Formen von Sein also zu Glie-dern einer Antidihairesis und begeht dadurch den Fehler, den Plotin geradebek mpft.

53 Vgl. unten S. 188 ff.

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