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Therapeutische Gemeinschaft Wilschenbruch Prof. Dr. Ruthard Stachowske Substitution, Schwangerschaft und Therapie -1- Substitution, Schwangerschaft und Therapie euroTC Symposium und Training Session 2010: Voneinander Lernen – Integration durch Kooperation Berlin, 9.-10.12.2010

Substitution, Schwangerschaft und · PDF fileTherapeutische Gemeinschaft Wilschenbruch Prof. Dr. Ruthard Stachowske Substitution, Schwangerschaft und Therapie-3-Liebe Kolleginnen und

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-1-

Substitution, Schwangerschaft und

Therapie

euroTC Symposium und Training Session 2010:Voneinander Lernen – Integration durch Kooperation

Berlin, 9.-10.12.2010

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-2-

- Stand der Wissenschaft und Diskussion

- Aktueller Stand der Wissenschaft

Substitution, Schwangerschaft und Therapie

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-3-

Liebe Kolleginnen und Kollegen

ich bedanke mich ganz herzlich für die Möglichkeit, heute im Rahmen der Euro-TC-Konferenz zu Ihnen sprechen zu können

Veröffentlichungen früherer Euro-TC-Konferenzen haben mich bei meiner Arbeit begleitet

einige dieser Beiträge waren bei der Entwicklung des Themas, über das ich heute zu Ihnen spreche, richtungweisend

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beispielhaft möchte ich nur die Arbeiten von Verena Schäfer und von E. Assmy bei Euro-TC „Sucht ohne Grenzen“ 1993 und Euro-TC 1996 benennen

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Verena Schäfer hat damals ausgeführt:

„Es ist die Freiheit jedes einzelnen Menschen, sich für die Drogen zu entscheiden, das Kind aber, das diesen Entscheidungsprozeß noch nicht vollziehen kann, hat ein Recht auf Leben, von daher ist es unsere Pflicht, dafür zu sorgen, daß das Kind zu seinem Recht gelangt, nämlich zum Recht auf menschenwürdiges Leben.

(...) All dies kann ihm nur in einem drogenfreien Milieu zuteil werden. Es ist unsere höchste Pflicht, diese grundlegende Bedingung nie zu vergessen“.

SCHÄFER, 1993, S. 133

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das Thema „Substitution, Schwangerschaft und Therapie“ ist ein Thema, über das wir einerseits viel wissen …

das andererseits wahrnehmbar von „fühlbaren“Belastungen, nicht geklärten Fragestellungen und z. T. auch verdrängten Inhalten besetzt ist …

es ist ein schwer zu greifendes Thema

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das Thema „Substitution und Schwangerschaft“ ist mit „Drogenabhängigkeit und Schwangerschaft und Therapie eng verbunden, da eine Substitution immer ein professionelles Handeln in der Folge einer Drogenabhängigkeit ist

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die pharmakologischen Substanzen, die in einer Drogenabhängigkeit, in einer Substitution und in einer Substitution mit Beikonsum auf das ungeborene Leben wirken, sind in ihrer Bedeutung für das ungeborene Leben annähernd identisch

daher werde ich im Folgenden „Substitution, Drogenabhängigkeit, Schwangerschaft“ synonym nutzen

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die Wissensbestände

wir erleben in den Therapien mit abhängigen erwachsenen Klienten das sie aus ihrem Leben, ihrer Geschichte und der Entwicklung der Abhänigigkeit erzählen

und da spricht immer auch „die Seele des Kindes“dieses erwachsenen Menschen

jeder erwachsene Klient erzählt gleichsam auch die Geschichte seiner Kindheit und seine Familiengeschichte

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unsere Forschungsergebnisse zeigen:

die Abhängigen von heute sind überhäufig selber „Kinder aus suchtkranken Familien“

„Kinder“ aus suchtbelasteten Schwangerschaften und „Kinder“ von abhängigen Müttern und Vätern.

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häufig genug haben ihre Eltern bereits die Medikamente und Drogen konsumiert, die ihre „Kinder“ als erwachsene Drogenabhängige später auch genutzt haben

ab ca.1945 waren dies auch die Medikamente, die heute in der Substitution genutzt werden

so die Opiate wie Methadon, Polamidon und Buprenorphin (das früher Fortal und Temgesic hieß)

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wenn wir also wissen wollen, wie Substitution, Schwangerschaft und Therapie sich zueinander verhalten, können wir die erwachsenen Klienten nach ihrem Leben fragen

um „ihr Leben“ und ihr „So-Geworden-Sein“ zu verstehen

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die andere Seite:

dieses Thema ist durch viel Unklarheit und Nichtwissen und Verdrängen und Verschweigen geprägt

wir wissen heute immer noch nicht sicher, „Was geschieht in Schwangerschaften und Substitutionen?“und “Wie können diese Therapien gelingen?“

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in den nächsten 20 Minuten werde ich Ihnen

die wichtige und verdrängte Geschichte dieses Themas vorstellen

über die Wissenschaft und Fachlichkeit „von heute“ sprechen

über den Zusammenhang zwischen „Schwangerschaft, Substitution und Therapie“ sprechen

die nicht geklärten Fragen des Themas benennen

Forschungsergebnisse über substituierte Schwangerschaftsverläufe und die Lebensentwicklungen der Kinder vorstellen

über die Möglichkeit von Hilfen sprechen

und mögliche Lösungen aufzeigen

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im Folgenden möchte ich über die „wichtige und verdrängte Geschichte des Themas“ in zwei Teilen sprechen

1. über die Entwicklung ab 1803/1806 bis ca. 1960 2. über die Entwicklung von 1960 bis in unsere

Zeit 2010.

die Geschichte des Themas

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1. die wichtige und gleichsam verdrängte Geschichte des Themas

I 1803/1806 – ca. 1960

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wenn ich heute über die „verdrängte Geschichte“dieses Themas spreche, so gibt es eine wissenschaftliche Begründung, im Jahre 2010 der Geschichte dieses Thema an prädestinierter Stelle zu erörtern …

aktuelle Lebensentwicklung ist Ausdruck eines mehrgenerationalen Prozesses

wir können aus der Familiengeschichte der Betroffenen viel lernen

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die Lebensentwicklung des Einzelnen ist Ausdruck seines individuellen Lebens und seiner familiären Entwicklung, der sich in der Entwicklung dieses Lebens zeigt

und ist Ausdruck eines mehrgenerationalen Prozesses, der sich in diesem Leben zeigt

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Horst Eberhard Richter, einer der großen Deutschen Familientherapeuten sagte zu diesem Thema:

“Although we might want to disagree, we have to explore the history of fathers and grand-fathers, which they had concealed. We can’t know who we are and what we want, not until we know who they were and that they wanted. We don’t want to hurt them, but we will feet unclear and dependant as log as we don’t get rid of their ambiguity.”

(Richter 1992, 30)

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und schon in der Bibel war zu lesen

„Werden die Missetaten der Väter heimgesucht bis ins dritte und vierte Glied.“

Römer II

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ein wesentlicher zeitgeschichtlicher Faktor für die Entwicklung der aktuellen Drogenepidemie und gleichsam ein wesentlicher Teil der Geschichte des Themas „Substitution, Schwangerschaft und Therapie“…

in Europa gab es ab ca. 1826 eine historische Drogenepidemie

die in Quantität und Qualität noch ein größeres Ausmaßhatte, als die Epidemie, die wir heute erleben

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ab ca. 1860 hat das Thema „Substitution, Schwangerschaft und Therapie“ eine Bedeutung – seit dieser Zeit werden „Generation für Generation“ Kinder geboren, die in ihrer vorgeburtlichen Entwicklung an den Drogen partizipiert haben, die ihre Mütter konsumiert haben

dies waren weitgehend die Drogen, die wir auch heute kennen

das Thema meines Vortrags ist ein „mehrgenerationales Thema“, dessen Geschichte sehr weitgehend verdrängt ist

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Niemann, GöttingenCocain1860

III : 597KolbeSalicylsäure synth.1874

III : 598Codein wird als Husten-sedativum angewandt

1875

III : 596Geiger-Hesse-Main Atropin1833

II : 745 RobiquetCodein1833

II : 745PelletierNarcein1832

II : 745Posselt-ReimannNicotin1829

III : 596Brom1826

II : 745RungeCoffein1819

I : 462PelletierEmetin1817

III : 596SertuernerMorphin1806* (1)

Zitiert nachEntdeckung / Isolierung durch

Internationaler FreinameJahr d. Isolierung/ Synthese

Drogen-Substanzen

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III : 598Raumann/Kast Sulfonal1889* (6)

RMI 10.391Migränin1893

III : 599Fischer Barbitursäure

Synthese

1895

III : 599Vinci/HarriesEucaine1896

III : 598 Dionin/therap. Anwendung1888* (5)

III : 598EdelanoAmphetamin synth.1887

I : 461NagaiEphedrin T1887

III : 598Cocain wird in die augenärztliche Anästhesie eingeführt

1884

Zitiert nachEntdeckung / Isolierung durch

Internationaler FreinameJahr d. Isolierung/Synthese

Drogen-Substanzen

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I : 387I : 387

KnollKnoll

Dilaudid TDicodid T

1910-1918

I : 387Pantapon1908

III : 600Bromural1907* (10)

I : 386FreundEukodal1906* (9)

III : 600Novocain/Procain,Lokalanästhetika

1904

III : 599Veronal T/ Einführungin die Therapie

1903* (8)

III : 599DreserAspirin/Anti-Pyreticum1899

III : 599HeffterMescalin1898

III : 599DreserHeroin/Diacetyl-morphin T

1898* (7)

Zitiert nachEntdeckung / Isolierung durch

Internationaler FreinameJahr d. Isolierung/ Synthese

Drogen-Substanzen

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Pervitin1938

Schaumann

III : 601

III : 601

III : 605;

III : 605

Polamidon/Methadon

1942

III : 605Dexedrin/Appetithemmer

1943

III : 605HoffmannLSD T1943

III : 606Antabus/Alk.-Entziehung

1948

Trivalin1912* (11)

III : 600Luminal1912

Ephedrin/Synthese T1920

Barbitursäuren/synth. und symmetrische

1922

Dolantin1940

Zitiert nachEntdeckung / Isolierung durch

Internationaler FreinameJahr d. Isolierung/Synthese

Drogen-Substanzen

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-27-

die Substitution ist keine Erfindung der Neuzeit seit 1990, sie hat ihren Ursprung in der historischen Drogenepidemie

ab ca. 1860 als medizinisch anerkannte Methode zum Heilen der vielen Abhängigkeitskranken entwickelt und akzeptiert

und aus dieser Zeit der verdrängten historischen Drogenepidemie ab ca. 1860 f. gibt es wertvolle überlieferte Dokumente zu dem Thema „Substitution und Drogenabhängigkeit, Schwangerschaft und Therapie“

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-28-

im Folgenden möchte ich Ihnen kurz einige wichtige Daten zu Substitution, Drogenabhängigkeit Schwangerschaft und Therapie zeigen

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Académie des sciences du Paris. Sitzung vom 11. Januar 1886

2) Cadéac und Malet: Der Uebergang des Morphium von der Mutter auf den Foetus

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-33-

die Bedeutung dieser Drogenepidemie in der Nachkriegszeit 2. Weltkrieg wird an der „verdrängten Geschichte“ des Medikamentes Subutex verstehbar

Subutex bekannte Medikament wurde 1967 als Arzneimittel „Fortral“ entwickelt und vertrieben

und 1980 f. unter dem veränderten Namen „Temgisic“als Arzneimittel vertrieben

und ab 1990 als Substitut „Subutex“ vermeintlich neu auf den Markt gebracht

so wissen auch die Großeltern und die Eltern der drogenabhängigen „Kinder“, wie Buprenorphin wirkt...

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-34-

es gibt eine drei bis fünf generational verdrängte Geschichte des Themas „chemisch-pharmazeutische Substanzen in Schwangerschaft/Substitution und Therapie“

die Drogenabhängigen von heute und ihre Familie und Generationen sind sehr viel mehr mit diesem Thema in ihren Schwangerschaften und in ihren frühen Kindheiten in Berührung gekommen, als wir überhaupt nur ahnen können.

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-35-

2. Die aktuelle Geschichte des Themas „Substitution, Schwangerschaft und

Therapie“

II 1960 - 2010

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-36-

die wissenschaftliche Beschreibung dieses Themas und die fachlichen Konzepte haben eine nachvollziehbare Geschichte in der Zeit ab 1960

der erste große internationale Kongress zu dem Thema „Sucht und Schwangerschaft“ hat im November 1981 hier in Berlin in der FU stattgefunden

ich habe Ihnen einige Kopien des Kongressbandes von damals mitgebracht

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-37-

ein Zitat …

„In der Vorgeschichte der süchtigen Mutter selbst finden sich gehäuft mangelnde positive Erfahrungen mit der eigenen primären Bezugsperson, die sie in der Symbiose mit dem eigenen Kind ähnlich nacherlebt…“

„COPOLILLO 1975[…] Kurz: Die süchtige Mutter ist in Gefahr, aus ihren Kindern wiederum Süchtige zu machen, nicht im Sinne organisch vererbter Abhängigkeit, sondern indem sie sie gerade jenen Traumata aussetzt, die bei ihr selbst die Voraussetzung für die Drogenabhängigkeit schufen.“

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1981 wurde in Deutschland die „Föderation Drogenhilfe“ gegründet

ein Zusammenschluss der Einrichtungen, die Eltern und ihre Kinder mit in die Therapieeinrichtung aufgenommen haben

- der Tannenhof hier in Berlin- das Therapiezentrum Hohehorst in Bremen - und das Therapiezentrum Tübingen

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-39-

in diesen Einrichtungen wurden Schwangere und auch Kinder „aufgenommen“, ohne dass explizite Therapien und Behandlungsprogramme für die Kinder entwickelt waren

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-40-

ab 1990 gab es in Deutschland einige Neugründungen von Einrichtungen, in denen explizit die Kinder als eigene Klientengruppe anerkannt wurden - und dies meinte auch die Kinder, die suchtbelastete Schwangerschaften erlebt haben

in dieser Zeit begann verstärkt die wissenschaftliche Aufarbeitung von „Drogen, Schwangerschaft, Kinder und Familie“

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-41-

die Einrichtungen, die sich damals gegründet haben …

das Therapiezentrum Ludwigsmühle, Helmut Schwehm und Manfred Nowak sind heute hier

die Therapeutische Gemeinschaft Wilschenbruch 1993

der Tannenhof hier in Berlin

und die Beratungsstelle „Extra“ in München

zählen heute u.a. zu den Institutionen, die sehr spezielle Hilfen für Kinder anbieten

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-42-

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-43-

Fragen, die uns bewegen …

wie erklärt sich die vorgeburtliche „psychische Entwicklung der Kinder“?

wie wirken chemisch-pharmazeutische Substanzen in der Schwangerschaft?

mit welchen Folgen für das ungeborene Leben und für das geborene Leben?

wie stellen sich Schwangerschaftsverläufe von polytoxikoman drogenabhängigen Frauen dar?

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-44-

im Folgenden die Wissensbestände, auf die wir heute sicher zurückgreifen können

vorweg Grundlagenarbeit

die komplexen Zusammenhänge zwischen vor- und nachgeburtlichem Leben …

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-45-

Über die vorgeburtliche psychische und physische Entwicklung

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-46-

grundlegend für das Verstehen dieser komplexen Zusammenhänge und für das Verstehen der Wirkung von Substitution, Schwangerschaft und Therapie ist es, die verschiedenen Ebenen der vorgeburtlichen Entwicklung und der nachgeburtlichen Rückkopplungen der Kinder zu verstehen

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-47-

Die (psychische) Entwicklung des ungeborenen Kindes

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-48-

in der Schwangerschaft wächst im Mutterleib aus einer Zelle ein lebensfähiger Mensch, auch mit seiner „Seele“, heran

Periode der Zygotenteilung, der Implantation und der zweiblättrigen Keimscheibe

Gewöhnlich unempfindlich gegen Teratogene

Pränataler Tod Stärkere morphologische Abnormitäten

Herz

Beine

Arme

Physiologische Defekte und weniger stark ausgeprägte morphologische Abnormitäten

OhrenÄußere Genitalien

Augen

Zentralnervensystem

ZähneGaumen

Embryonalzeit (in Wochen) Fetalzeit (in Wochen) Geburt

4 5 6 7 8 12 16 20-36 38

bezeichnet den üblichen Angriffspunkt des Teratogens

Auge Auge Ohr

Gaumen Gehirn

Äußere Genitalien

3

Herz

ZNS Herz

ArmeBeine

Ohr

aus Mutschler: Arzneimittelwirkung

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-50-

es besteht eine symbiotische Verbindung zwischen Mutter und Kind... das Kind ist durch die Mutter und durch bereits mögliche eigene Wahrnehmungen mit der Außenwelt im ständigen Kontakt. Es erhält durch die Plazenta Nahrung, Hormone, Immunabwehrstoffe und Sauerstoff, jedoch auch Schadstoffe, Medikamente usw. Es bewegt sich mit der Mutter, beide schlafen, essen oder „rauchen“ gemeinsam (vgl. Mietzel 2002, S.77).

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-51-

das Ungeborene kann sehen, hören, erleben, schmecken und auf einem einfachen Niveau im Mutterleib sogar lernen. (...) es fühlt schon und hat ein Erinnerungsvermögen

alles, was dem Kind in den neun Monaten zwischen Empfängnis und Geburt widerfährt, wirkt sich in entscheidender Weise auf die nachgeburtliche Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes, seine Neigungen und Ambitionen aus

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-52-

"Ab dem Augenblick der Zeugung werden alle positiven aber auch traumatischen Ereignisse in irgendeiner Weise von dem reifenden Kind wahrgenommen und gespeichert. Sie sind nachgeburtlich unbewusst oder vorbewusst abrufbar. (...) es kommt zu einer kontinuierlichen Interaktion zwischen dem Kind und seiner Umwelt, vor allem mit seiner Mutter"

(vgl. http://www.haus-samaria.de/vortrage/3__Vortrag/3__vortrag.html)

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-53-

„Das Kind trinkt mit, es raucht mit, es liebt mit und es hasst mit, es vergnügt sich mit, wenn die Mutter sich freut und es leidet mit. Es empfindet die Herztöne der Mutter mit, erschrickt, wenn sie erschrickt, sorgt sich um sie, weil es ohne sie nicht leben kann, sein Leben hängt von ihr und von ihrem Leben ab“

Freyberg, 1997 zit. n. Krens/Krens 2006, 26

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-54-

Krens/Krens stellen fest, dass

„die pränatale Erfahrung die erste und grundlegendste Beziehungserfahrung im Leben eines Menschen darstellt. (...)

Sie stellt die Basis unseres Seins dar, sie ist der Ursprung unseres emotionalen Lebens.(...)

sie unterstützt das Gefühl von Kohärenz und Ganzheit unseres Organismus, sie bestätigt ein Gefühl der Sicherheit, das auf der Erfahrung kontinuierlicher emotionaler Verbundenheit beruht. Sie erlaubt tiefe Entspannung und emotionale Offenheit und ein Grundgefühl von Vertrauen und Hoffnung dem Leben gegenüber“

Krens/Krens 2006, 53

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-55-

„Wenn die Mutter sich z.B. ängstlich fühlt, werden vermehrt Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet. (...)

Alle Stoffe überschreiten ohne Probleme die Placentaschranke und stimulieren den Fötus biochemisch, die physiologische Reaktion auf genau dieses Gefühl von Angst und Furcht“

Hüther/ Krens 2008, 97

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-56-

„Pränatal traumatisierende Ereignisse sind unserer Auffassung nach Situationen, die das pränatale Kind als lebensgefährlich erlebt. Das können toxische, virale Einflüsse sein genauso wie Störungen der Nahrungs-und Sauerstoffzufuhr, überlebte Abtreibungsversuche oder andere Gewalttätigkeiten gegenüber dem Kind, wie chronische, hasserfüllte Ablehnung der Schwangerschaft durch die Mutter. Auch Situationen, die die Mutter als lebensgefährlich bzw. psychisch bedrohlich erlebt, können eingeschlossen werden“

Krens/Krens 2006, 47

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-57-

Diese Erfahrungen können sich auch auf die nachgeburtliche Entwicklung bedeutend auswirken. Hüther führt hierzu aus:

„Die Fähigkeit, gemachte Erfahrung in Form innerer Bilder zu erinnern und in einer Weise mitzuteilen, die von anderen verstanden wird, entwickelt sich erst nach dem Spracherwerb. Deshalb sind all jene Erfahrungen, die bereits im Säuglingsalter oder gar intrauterin gemacht werden, zwar im Gedächtnis der Zellen, einzelner Organe, einzelner Hirnbereiche oder des ganzen Körpers abgespeichert. Sie können jedoch nicht bewusst explizit erinnert oder mitgeteilt werden. Später können sie bisweilen auf implizite, etwas körperliche Weise zum Ausdruck kommen“

Hüther 2005, 61

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-58-

die Entwicklung des „Ungeborenen Lebens“ und das Risiko durch

pharmakologische Einflussfaktoren

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-59-

die Partizipation des ungeborenen Kindes an den verschiedenen pharmakologischen Substanzen, die die schwangere Frau im Verlaufe ihrer Schwangerschaft konsumiert, ist durch die Grundbedingungen der pränatalen Lebensreifung begründet

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-60-

die Blutkreisläufe von Mutter und ungeborenem Kind sind durch die Plazenta gegenseitig beeinflussbar

in der Plazenta werden „natürliche Gifte“ durch die permeable Membran gefiltert

alle bekannten legalen und illegalen pharmakologischen Substanzen sind plazentagängig:

die filtrierende Funktion der permeablen Membran wirkt nicht mehr bei den bekannten pharmakologische Substanzen

diese erreichen demnach annähernd ungefiltert das ungeborene Kind (vgl. Mutschler 2001, 96)

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-61-

damit entfällt der natürliche Schutz des ungeborenen Kindes vor toxischen (giftigen) und teratogenen (missbildenden) Einflüssen

das ungeborene Kind partizipiert unmittelbar an allen durch die Mutter konsumierten pharmakologischen Substanzen

bei abhängigen Konsummustern der Mutter wird das Kind demzufolge passiv abhängig

(vgl. Sobot 2001, 7)

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-62-

Die Bedeutung dieser Zusammenhänge ist „tiefer“ erst zu verstehen, wenn realisiert wird …

Alle bekannten legalen und illegalen Drogen haben eine

toxische(giftige)

pharmakologische Potenz

teratogene(missbildende)

und/oder

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-63-

Daraus folgt, dass das ungeborene Kind entweder

durch die toxische Potenz der Drogensubstanzen direkt beeinflusst

und/oder- durch die teratogene Potenz irreversibel geschädigt werden kann

(vgl. u.a. Mutschler 2001, 95 f).

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-64-

Pharmakologie und Schwangerschaft

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-65-

Durch Quellen, aus der Wissenschaft der Pharmakologie, ist belegt, dass die pharmakologischen Substanzen

Nikotin Haschisch Heroin Polamidon und die verschiedenen legalen pharmakologischen

Substanzen, also Medikamente, eine zumindest toxische Potenz haben

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-66-

Von den Drogensubstanzen

Alkohol Amphetamine Barbiturate Kokain Crack LSD und je nach Konsummuster auch von den Substanzen,

die "nur" eine toxischePotenz haben,

ist die teratogene Potenz nachgewiesen

(vgl. Mutschler 2001, S.95 f)

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-67-

Kinder abhängigkeitskranker Mütter und Substitution

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-68-

suchtkranke Frauen konsumieren oftmals auch in der Schwangerschaft Drogen, deren toxische und teratogen pharmakologische Potenz in der Pharmakologie beschrieben ist

auch in einer suchtmedizinischen Behandlung wird die Gefahr für das Ungeborene nicht hinreichend berücksichtigt, wenn der Schwangeren Ersatzmittel zur Verfügung gestellt werden und dabei ein polytoxikomanes Konsummuster von der Mutter gelebt wird

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-69-

grundsätzlich gilt immer zu fragen …

welche Substanzen haben auf das ungeborene Leben gewirkt?

denn alle bekannten pharmakologischen Substanzen sind plazentagängig

das ungeborene Leben partizipiert an den pharmakologischen Substanzen, die die Mutter konsumiert hat …

und wird analog abhängig davon

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-70-

die Frage, ob „legale oder illegale“ Substanzen in der Schwangerschaft gewirkt haben, ist daher eine nachrangige Frage

dem ungeborenen Leben ist es „egal“, ob es von legalen oder illegalen Substanzen häufig irreversibel geschädigt wurde

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-71-

Suchtbelastete Schwangerschaftsverläufe und die spezifischen Folgen sind immer noch Ursache Nr. 1 für Behinderungen von Kindern in der Bundesrepublik

es werden jährlich ca. 4500 Kinder mit irreversiblen Schädigungen durch Alkohol und ca. 2250 Kinder mit schweren Schädigungen durch Drogensubstanzen geboren

insgesamt ca. 6750 Kinder pro Jahr

in der Contergan-Katastrophe sind insgesamt ca. 5400 Kinder geboren worden

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-72-

ein polytoxikomanes Konsummuster mit Substanzen, deren teratogene und toxische Potenz in der Wissenschaft der Pharmakologie beschrieben ist, ist ein im Alltag übliches Konsummuster

das ungeborene Leben wird im Alltag mit pharmakologischen Substanzen geschädigt, deren teratogene und toxische pharmakologische Potenz bekannt ist

ohne dass auch nur der Hauch einer Chance besteht, dieses ungeborene Leben zu schützen

dies gilt auch für polytoxikomane Konsummuster in suchtmedizinischer Behandlung!

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-73-

keines der im Kontext eines abhängigen elterlichen Lebens konsumierten Arzneimittel (dies sind die Substitute Methadon, L-Polamidon und Subutex) hat eine uneingeschränkte Zulassung für den Gebrauch in der Schwangerschaft!

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-74-

„Was passiert in Schwangerschaften mit polytoxikoman abhängigen Müttern mit und

ohne suchtmedizinische Behandlung wirklich?“

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-75-

seit 1993 haben wir und wissenschaftlich arbeitende KollegInnen der Fachgruppe „Eltern, Kind und Drogen“des FDR* uns mit der Frage beschäftigt:

wie stellt sich die Entwicklung des ungeborenen Lebens in Schwangerschaften dar, wenn diese Kinder von polytoxikoman abhängigen Müttern – und Vätern –ausgetragen werden

* Fachverband Drogen und Rauschmittel e. V.

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-76-

wir haben 100 Schwangerschaften drogenabhängiger Frauen analysiert – davon waren

- 68 Mütter polytoxikoman drogenabhängig ohne suchtmedizinische Betreuung

- 24 Mütter polytoxikoman drogenabhängig und wurden suchtmedizinisch betreut

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-77-

eine erste Erkenntnis:

Mütter in suchtmedizinischer Behandlung hatten bei einigen Substanzen signifikant „größere Mengen Drogen“ konsumiert als abhängige Mütter ohne suchtmedizinische Behandlung

100 %

37,5 %

4,2 %

4,2 %

8,3 %

58,3 %

8,3 %

62,5 %

91,7 %

4,2 %

87,7 %

100 %

Substitution mit Beikonsum (24 P.)

ICD 10: F19.22, F17.24

1,5 % Opioidantagonist Nemexin

1,5 % Cortisol + Asylfidine; ärztlich notwendig

5,9 % Ecstasy

16,1 % Amphetamine

2,9 % Halluzinogen Psylocybin

2,9 % Subutex

1,5 % Crack

1,5 % Crystal

92,6 % Nikotin

76,4 % Alkohol

10,2 % Nichtopioide Analgetika

5,9 %LSD

5,9 % Antidepressiva

1,47 % Trizyklische Antidepressiva

72 % Cannabis

2,9 % Barbiturate

17,6 % Benzodiazepine

32,3 %Kokain

10,2 % Kodein

38,2 % Heroin

13,2 %Methadon/Polamidon

Substanzabhängigkeit u.Polytoxikomanie (68P.)

ICD 10. F10.24, F11.24, F12.24, F14.24, F17.24, F19.24

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-79-

die Hersteller der Arzneimittel/Substitute Hexal, Sanovi Aventis und Essex pharma habe ich gebeten, die Unbedenklichkeit für die therapeutische Anwendung ihrer Arzneimittel L-Polamidon, Methadon und Subutex bei einem polytoxikomanen Konsummuster und substituiert mit Beikonsum in der Schwangerschaft und in der anschließenden Stillzeit zu bestätigen

alle drei Hersteller haben auf die enormen Risiken hingewiesen, die ein solches Handeln in sich birgt, und sie haben Ausschlusskriterien benannt

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-80-

danach habe ich drei der führenden deutschen Lehrstühle für Pharmakologie diese Konsummuster vorgelegt um diese nach dem Stand „ihrer“Wissenschaft zu analysieren

alle drei Lehrstühle sehen sich außerstande, diese Konsummuster „polytoxikoman“ zu definieren

mit dem Wissensstand der Pharmakologie sind diese polytoxikomanen Konsummuster nicht in ihrem pharmakologischen Wirkspektrum erklärbar

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-81-

„Über das Leben der Kinder nach ‚polytoxikomanen Schwangerschaften’“

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-82-

wir haben gefragt, wie denn die Störungsbilder der Kinder waren, die diese Schwangerschaften und ihre Sozialisation in suchtkranken Elternhäusern erlebt haben

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-83-

es wurde erkennbar, dass diese Kinder so komplex gestört sind, dass eine altersgemäße Entwicklung kaum möglich ist

die Schulfähigkeit, das Sozialverhalten sowie die Chance, sozial integriert zu sein, sind aufgrund der schweren Schädigungen und Störungsbilder kaum mehr möglich

diese Kinder sind entweder durch ihre vorgeburtliche Belastung oder durch ihre nachgeburtlichen Sozialisationsbedingungen im Kontext suchtkranker Eltern schwerst belastet und benachteiligt

die Zukunft dieser Kinder ist hoch belastet – und es bedarf dringend einer Positionierung der Suchthilfe, um hier schnellstmöglich Hilfen anzubieten

Störungsbilder der Kinder u. Jugendlichen nachgeburtlich

8,7 %

8,7 %

4,3 %

8,7 %

17,4 %26,1 %78,3 %47,8 %0,0 %

39,1 %8,7 %

34,8 %26,1 %8,7 %

95,7 %30,4 %

69,6 %4,3 %21,7 %95,7 % 95,7 %

2

2

1

2

4618110

92862227

16152222

Substitution mit Beikonsum (23)

ICD 10: F19.22, F17.24

12,5 %

57,1 %

32,1 %

5,4 %

17,9 %42,9 %94,6 %73,2 %19,6 %

51,8 %7,1 %

12,5 %8,9 %8,9 %

87,5 %12,5 %

78,6 %7,1 %

10,7 %23,2 %32,1%

721. Sexueller Missbrauch d. Kindes

3220. Körperliche Misshandlung d. Kindes

1819. Entwicklungstörung schulischer Fähigkeiten

318. Enkopresis (wenn schon eine zeitlang trocken)

1017. Enuresis N= / diurna/nocturna (älter als 4 Jahre)

2416. Störung des Sozialverhaltens5315. Psychosoziale Deprivation4114. Reaktive Bindungsstörung1113. Alkoholembryopathie

2912. Fütterstörung im Säugl.- undKleinkindalter

411. Herzfehler710. Sehfähigkeit beeinträchtigt59. Hyperkinetische Störung58. Hypertonie

497. Verhaltens- u. emotionale Störung76. Hypotonie

445. Störung d. geist.,soz. u. körperl. Entwicklung

44. „Floppy-Syndrom“ (P94.2)63. Frühgeburt (v.d. 37. SSW)

132. bis zu 3 Monate nach Entzug18*1. Neonatales Abstinenzsyndrom

Substanzabhängigkeit u.Polytoxikomanie (56.)

ICD 10. F10.24, F11.24, F12.24, F14.24, F17.24, F19.24

(*wahrscheinlich unerkannt 22/38 Prozent)

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-85-

Therapie Eltern und Kinder

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-86-

wichtig ist, dass Eltern und Kinder gemeinsam an Therapien teilnehmen und gemeinsam ihre lange Entwicklung in ein drogenstabiles Leben beginnen

Eltern brauchen mehr Unterstützung als „ledige Klienten“, da eine solche Therapie und die sich an die Therapie anschließende Lebensphase immer „hoch und doppelt belastete Lebensphasen“ sind

Eltern „kümmern“ sich um ihre Therapie, ihre cleane Lebensentwicklung, ihren Beruf und ihre Partnerschaft

und sie müssen die Therapie ihrer Kinder begleiten, lernen ihre Kinder zu begleiten und sie zu erziehen, um so „Mutter und Vater“ zu werden

so wie sie es in der Regel in ihrer eigenen Kindheit nicht erlebt haben – und wofür sie auch kein Vorbild, keine „innere Orientierung“ haben

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-87-

dabei werden sie auch erkennen, welche Folgen „ihr drogenabhängiges Leben“ für sie selber, ihre Familie und insbesondere ihre Kinder wirklich hatte – und das sind schwere Phasen in der Therapie, bei denen diese Eltern Hilfen brauchen!!

noch wichtiger ist jedoch, den Kindern zu helfen – und dafür gibt es keine entwickelten Standards. Daher werde ich im Folgenden „die Grundwerte“ benennen“, die in jeder Therapie eines Kindes von Bedeutung sind – und die in unterschiedlichen therapeutischen Settings anzuwenden sind

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-88-

haben wir immer und immer wieder in den Therapien erlebt, wie Kinder, die unter dem Einfluss schwerer und schwerster Belastungen in der Schwangerschaft und ihrer vorgeburtliche ,frühkindliche und kindliche Entwicklung gelebt haben, sich in einer Weise entwickelt haben, wie wir es uns häufig nicht vorstellen konnten

und wenn wir gefragt haben, was hat diesen Kindern genützt, dann waren es zuerst einmal „scheinbar einfache“ Unterstützungsfaktoren, Hilfen, die so auch in der UN-Kinderrechtskonvention beschrieben sind. Alleine die Umsetzung dieser „Rechte der Kinder“ hat eine enorme positive und schnelle Wirkung für die Kinder

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-89-

wenn wir alle Daten, die wir über die Schwangerschaft, die Geburt und die Entwicklung der Kinder verstehen, zusammentragen und analysieren, dann können wir eine Menge an Wissen und Erkenntnissen für die Therapie und vor allem für das Verstehen dieser Kinder zusammenfügen

dies sind die Daten, die uns aus der Gynäkologie, aus der Neonatologie und aus der Pädiatrie in der Regel zur Verfügung stehen, sie ergeben so etwas wie ein Bild des Kindes, das wir versuchen sollten, zu verstehen

denn so kann es gelingen, das Kind und seine besondere bisherige Lebensentwicklung zu verstehen

und dies ist die elementare Voraussetzung für die Gestaltung von Therapieprozessen

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-90-

die Therapie dieser Familiensysteme und der Kinder benötigt interdisziplinäre Hilfe

sie bedarf der Vernetzung in einem komplexen System zwischen Pädiatrie, verschiedenen Therapieverfahren in der Erwachsenentherapie, Lebensbedingungen für die Kinder und eine Unterstützung der Lebensentwicklung der Kinder über einen langen Zeitraum

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-91-

es ist nötig, in der Schule mit den Lehrern zu reden und ihnen zu sagen

dass diese Kinder nicht „unmotiviert“ sind, dass sie aber in Folge einer Partizipation an Alkohol / Drogen in der Schwangerschaft in bestimmten Bereichen nicht lernen können

dass es ihnen nicht möglich ist, bestimmte neuro-biologische Vernetzungsleistungen zu vollbringen

dass sie in ihren Bewegungsabläufen anders sind als andere Kinder

dass sie unruhiger sind

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-92-

aber wenn es gelingt, Verständnis für diese besondere Folge der Schwangerschaftsentwicklung und der hochbelasteten Sozialisationsbedingungen zu wecken und diese Kinder fachlich auch zu beschützen, sie zu unterstützen, dann haben diese Kindern eine Chance, für sich ein Leben außerhalb der generationalen Muster zu entwickeln

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-93-

wir haben erlebt, wie viele dieser Kinder sich bis heute in einer Art entwickeln, wie es bewundernswert ist

wir haben erleben können, dass mit alle dem, worüber ich gerade gesprochen habe, konstruktive und manchmal auch bewundernswerte Entwicklungen möglich geworden sind

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-94-

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

www.jugendhilfe-lueneburg.dewww.stachowske.de Download des Vortrages unter Vorträge / Euro TC 2010

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-95-

Literatur zum Thema

Ruthard Stachowske "Sucht und Drogen im ICF-Modell“, Heidelberg 2008

Ruthard Stachowske, Hrsg"Drogen, Schwangerschaft und Lebensentwicklung der Kinder“, Heidelberg 2008

Arnhild Sobot"Kinder Drogenabhängiger -Pränatale und frühkindliche Entwicklung“, Lüneburg 2001

Ruthard Stachowske"Mehrgenerationentherapie und Genogramme in der Drogenhilfe“, Heidelberg 2001

Ruthard Stachowske "Familienorientierte stationäre Drogentherapie“, Geesthacht 1994

Christian von Dewitz „Pränataldiagnostik, Behinderung und Schwangerschaftsabbruch. Eine (verfassungs-) rechtliche und rechtspolitische Betrachtung“, Berlin 2006

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Substitution, Schwangerschaft und Therapie-96-

Dr. Ruthard StachowskeLeiter der Therapeutischen Gemeinschaft WilschenbruchJugendhilfe Lüneburg gGmbHReiherstieg 1521337 Lüneburg

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