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Sucht-Selbsthilfe optimieren durch Gesundheitsförderung Sucht - Selbsthilfe – ein Ort für Gesundheitsförderung Ein Projektbericht mit Anregungen für die praktische Arbeit

Sucht-Selbsthilfe – ein Ort für Gesundheitsförderung · So lange Alkohol die Nr. 1 ist, ist alles andere zweitrangig. Sogar die Gesundheit. Selbstverständlich, auch wenn die

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Page 1: Sucht-Selbsthilfe – ein Ort für Gesundheitsförderung · So lange Alkohol die Nr. 1 ist, ist alles andere zweitrangig. Sogar die Gesundheit. Selbstverständlich, auch wenn die

Sucht-Selbsthilfe optimieren durchGesundheitsförderung

Sucht -Selbsthilfe –ein Ort für

GesundheitsförderungEin Projektbericht mit Anregungen für die praktische Arbeit

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Impressum

Herausgeber: Hannelore Breuer, Blaues Kreuz in der Evangelischen Kirche – Bundesverband e. V.Heinz-Josef Janßen, Kreuzbund e. V.Käthe Körtel, Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe – Bundesverband e. V.Reinhard Lahme, Blaues Kreuz in Deutschland e. V.Wiebke Schneider, Guttempler in Deutschland e. V.

Textliche Gestaltung: Dr. Maren Aktas, Hilden

Gestaltung: Uwe Salewski, Leverkusen

Druck: Seltmann GmbH Druckereibetrieb, Lüdenscheid

Auflage: 1. Auflage 2010: 5000 Exemplare

Bildnachweis: Die Quelle ist am Bild ersichtlich, ansonsten entstanden alle anderen Bilder in den Workshops oder wurden von den Verbänden zur Verfügung gestellt.

Dortmund, Hamm, Kassel, Wuppertal, Hamburg, im September 2010

Nachdruck – nur mit Genehmigung der Herausgeber. Auszugsweise Vervielfältigung mit Hinweis auf die Quelle erlaubt.

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Das Projekt „Sucht-Selbsthilfe optimieren durch Gesundheitsförderung (S.o.G)“ und die Herstellung dieses Handbuchs wurden gefördert aus Mitteln des Bundesministeriumsfür Gesundheit, Berlin.

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Geleitworte und Vorwort der Herausgeber 4

A – Projektbericht„Sucht-Selbsthilfe optimieren durch Gesundheitsförderung“ (S.o.G.)

Ganzheitlich gesund – zufrieden abstinent 8Gesund sein: Mehr als nur abstinent leben? 8Wie werde ich „ganzheitlich gesund“? 10Gesünder leben: eine Einstellungssache?! 12

Sucht-Selbsthilfe optimieren durch Gesundheitsförderung – ein lohnenswerter Ansatz 15Die Ausgangslage: Sucht-Selbsthilfe in Deutschland 15Sucht-Selbsthilfe ist ein geeigneter Rahmen für Gesundheitsförderung 15Suchtkranke und deren Angehörige – eine besondere Zielgruppe für gesundheitsorientiertes Verhalten 17

Das Projekt „Sucht-Selbsthilfe optimieren durch Gesundheitsförderung (S.o.G.)“ 19Ziele 20Struktur und Ablauf 20Die Workshopreihe 22Nachhaltigkeit sichern: Multiplikatoren und innerverbandlicher Transfer 25

B – Gesundheitsförderung praktischDie Workshopreihe und ihre Inhalte 28

Der rote Faden 28„Rauchfrei leben“ 32„Gesunde Ernährung“ 39„Bewegung und Sport“ 49

Schritt für Schritt 59Vorbereiten 59Planen 59Umsetzen 60Begleitende Aktivitäten 61

Infobriefe 62

Konkrete Beispiele – Wie können gruppentaugliche Ansätze der Gesundheitsförderung aussehen, die zum Mitmachen motivieren? 78

Angebote auf (überregionaler) Verbandsebene 78

Angebote auf Gruppenebene 79

Literaturverzeichnis 82

Anhang: Kontaktadressen 83

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Gaby Kirschbaum Bundesministerium für Gesundheit

Die Selbsthilfe ist ein unverzichtbarer Teil unseres Gesundheitswe-sens. Die Verbände der Selbsthilfe haben sich in den letzten Jahr-zehnten einen festen Platz in der Struktur unserer gesundheitli-chen Versorgung erarbeitet und sind als Akteure mit spezifischemKnow-how anerkannt. Dies gilt in besonderem Maße für denBereich der Sucht.

Aber die Selbsthilfe ist nicht nur als Akteur von Bedeutung, sie ist vor allem für viele einzelneMenschen mit ihren spezifischen Problemen wichtig. Denn für viele Betroffene ist die Selbsthil-fegruppe die erste Anlaufstelle bei Suchtproblemen, noch bevor sie mit dem professionellen Hil-fesystem in Kontakt kommen. Für viele ist die Selbsthilfe aber auch auf Dauer zu einem wichti-gen Faktor in ihrem Leben geworden. Auch deshalb ist es wichtig, dass die Sucht-Selbsthilfesich kontinuierlich weiterentwickelt. Dazu wollen wir von Seiten des Bundesministeriums fürGesundheit durch die Förderung von innovativen Projekten einen Beitrag leisten.

Die meisten Menschen leben heute nicht allzu gesund. Bewegungsmangel, Stress und ungesun-de Lebensrhythmen bestimmen unseren Alltag. Dies gilt sicher in besonderem Maße für sucht-kranke Menschen. Wir wissen, dass die Quote der Raucherinnen und Raucher in den Gruppenüberdurchschnittlich hoch ist, viele können sich nur schwer entspannen. Auch Angehörige enga-gieren sich oft bis zur Erschöpfung und vernachlässigen die eigenen Bedürfnisse.

Die Idee des Projektes „Sucht-Selbsthilfe optimieren durch Gesundheitsförderung“, kurz S.o.G.,ist es deshalb, eine gesunde Lebensführung zum Thema in den Gruppen der Sucht-Selbsthilfezu machen. Denn ein ungesunder Lebensstil kann mit dazu beitragen, dass sich die Gefahrerhöht, wieder in alte Konsummuster und Verhaltensweisen zurückzufallen.

Die vorliegende Praxishilfe soll dazu beitragen, dass die im Laufe des Projektes entwickeltenIdeen große Verbreitung finden. Damit soll die Gruppenarbeit vor Ort ergänzt und erweitertwerden. Ich wünsche mir, dass die Praxishilfe breit genutzt wird und einen kleinen aber wichti-gen Beitrag dazu leistet, um mehr Menschen von einem gesünderen Leben zu überzeugen.

Berlin, im September 2010

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Dr. Raphael GaßmannDeutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS)

„Abhängig von Alkohol“, das bedeutet auch: Immer mehr ist dasRauschmittel erst zum Betäubungsmittel und dann zum Sucht-mittel geworden. Immer stärker kreisten die Gedanken um „dieFlasche“, bis deren Inhalt schließlich siegte: über den Geist undden freien Willen, den Charakter, die Freundschaften und dieLieben, über vieles andere, das einmal zählte und wichtig war –und über den Körper schon lange. Alkohol wurde Schluck für

Schluck zum absoluten Lebensmittelpunkt, zum Thema Nr.1. Und danach kam lange nichts …

Sich „an den eigenen Haaren“, an vertrauten und an fremden Händen aus dieser Abhängigkeitzu befreien, gelingt den meisten Menschen mit einem großen Nein. „Ich will nie wieder trinken,keinen einzigen Schluck, keine Flasche mehr anrühren!“

Und eins bleibt dabei doch unverändert: die von nichts anderem erreichte Bedeutung desAlkohols. Erst im Verlangen Nr. 1, dann in der Abkehr. Und genau in diesem Sinn gilt die Überzeugung, es gäbe wohl nasse und trockene, aber keine ehemaligen Alkoholiker. So lange Alkohol die Nr. 1 ist, ist alles andere zweitrangig. Sogar die Gesundheit.

Selbstverständlich, auch wenn die ganze Welt etwas anderes erzählt und muntere Legenden umdas angeblich harmlose „eine Glas am Abend“ webt (bei dem es dann meist doch nicht bleibt):Es ist eine sehr gute Entscheidung, keinen Alkohol zu trinken! Ein guter Anfang. Und doch ist eskeine überzeugende Alternative, seine Lebenszeit als Kette rauchende Couchkartoffel zu vergeu-den, die allenfalls in Bewegung kommt, um sich eine neue Kanne starken Kaffee aus der Küchezu holen. Alkoholkonsum rangiert in unseren Breitengraden unter den wichtigsten Ursachen vor-zeitiger Todesfälle, gemeinsam mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Rauchen. Nicht gerade eingutes Argument, den Korn gegen Kippe und Kartoffelchips zu tauschen.

Aber lauter gute Gründe gibt es, neben dem Geist auch den Körper zu bewegen, sich lecker undgesund zu ernähren und allerbeste Luft zu atmen, also nicht ausschließlich das Schädliche zu mei-den, sondern vor allem das Gute und Nützliche zu leben, deutlich länger und zugleich besser zuleben, angenehmer, genussreicher, rücksichtsvoller sich selbst und anderen gegenüber.

Aus Sicht der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen war die Entwicklung des S.o.G.-Projektes durchdie Verbände der Sucht-Selbsthilfe ein großer Schritt ins 21. Jahrhundert. Und ein Wagnis war esauch. Einige vertraten die Meinung, Sucht-Selbsthilfe solle sich mit Sucht befassen - und nicht mitEssen oder Fahrrad fahren. Ich meine, Sucht-Selbsthilfe soll sich mit allem befassen, mit dem Süch-tige, ehemals Süchtige und ihre Partner, Kinder, Eltern, Freunde sich gut und selber helfen können.

Dem Bundesministerium für Gesundheit, namentlich Frau Kirschbaum, dankt die DHS für die unver-zichtbare Unterstützung dieses außergewöhnlich gelungenen Projektes, allen Beteiligten für ihrEngagement und ihre Begeisterung. Der Praxishilfe wünsche ich denselben Erfolg, den S.o.G. erlebt.Sie wird ihn haben, auch ohne diesen Wunsch. Viele gute Ideen sind in ihr zusammen geflossen,viele hilfreiche Erfahrungen. Es lohnt sich, auch in Zukunft davon zu profitieren. Auf ein gutesLeben!

Hamm, im September 2010

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Gesundheitsförderung ist seit einigen Jahren in aller Munde. Kaum ein Mediumverzichtet auf wohlmeinende Ratschläge, wie die Gesundheit Einzelner, bestimmterBevölkerungsgruppen oder der Gesellschaft insgesamt gefördert und verbessert werdenkann. Ohne ein unterstützendes Umfeld bleiben die Ratschläge jedoch nicht seltenohne Wirkung.

Dass auch die Sucht-Selbsthilfe sich dieses Themas gezielt annimmt, ist nicht erstaun-lich, war sie im umfassenden Sinne doch immer schon ein Träger von Gesundheitsför-derung: Suchtkranke und Angehörige in Sucht-Selbsthilfegruppen zeichnen sich durchgegenseitige Unterstützung zur Alltagsbewältigung aus. Sie engagieren sich für dieVerbesserung der eigenen Lebensqualität sowie der Lebensqualität ihrer Wegbegleite-rinnen und –begleiter. Sie vermitteln Hoffnung und Zuversicht auf ein positives Lebenmit bzw. trotz der Abhängigkeitserkrankung. Vor dem Hintergrund der lebenslangandauernden Gefährdung bzw. Betroffenheit als Abhängigkeitskranke binden sich dieMitglieder von Sucht-Selbsthilfegruppen oft über Jahre an ihre Gruppe und ihren Ver-band. Daher ist es wichtig, die Angebote der Sucht-Selbsthilfe grundsätzlich an denRessourcen und Kompetenzen ihrer Mitglieder auszurichten und mit positiv besetztenAktivitäten und Visionen zu verbinden. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee,langjährige erprobte und bewährte Selbsthilfekompetenzen wie anwaltschaftliches Ein-treten füreinander, Befähigen, Vermitteln und Vernetzen zu nutzen und das Thema„Gesundheitsförderung“ gezielt zum Thema eines gemeinsamen Projektes der fünfSucht-Selbsthilfeverbände Blaues Kreuz in Deutschland, Blaues Kreuz in der Evangeli-schen Kirche, Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe, Guttempler in Deutschland undKreuzbund zu machen. Im Projekt „Sucht-Selbsthilfe optimieren durch Gesundheitsför-

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Vorwort

(v.l.n.r.): Heinz-Josef Janßen (Kreuzbund), Käthe Körtel (FK), Wiebke Schneider (Guttempler), Hannelore Breuer (BKE) und Reinhard Lahme (BKD)

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derung“ (S.o.G.) wurden konkret Aspekte körperlicher Gesundheit bearbeitet und in denBereichen „Bewegung und Sport“, „Gesunde Ernährung“ und „Rauchfrei leben“ erprobt.Wichtig erschien uns, nicht „moralinsauer“ und durch Imperative wie „Du darfstnicht…“ die Projektbotschaften und -inhalte zu vermitteln, sondern diese als Zuwachsvon Lebensgenuss und -freude konkret erfahrbar zu machen. In diesem Geist entstandauch diese Handreichung, die sich sowohl an Selbsthilfegruppen(mitglieder) als auchan Selbsthilfeförderer wendet. Wir wünschen uns von der Handreichung, dass sie mitdazu beiträgt, konkrete Impulse zur nachhaltigen Etablierung des Gedankens derGesundheitsförderung in der „Selbsthilfelandschaft“ zu vermitteln.

Danken möchten wir an dieser Stelle den vielen Projektmitarbeiterinnen und -mitarbei-tern, die sich engagiert und kreativ an unserem S.o.G.-Projekt beteiligt haben. Wir dan-ken namentlich zunächst der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), insbeson-dere Herrn Dr. Raphael Gaßmann, die die Idee zu diesem Projekt unterstützend aufge-griffen und dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zur Förderung und Finanzie-rung empfohlen hat. Wir danken der Suchtreferentin des Kreuzbundes, Frau MarianneHolthaus, die erstmalig die Projektidee geäußert hat und die wesentliche Teile des Pro-jektantrages verfasst hat. Dem BMG danken wir für die Finanzierung der gesamten Pro-jektmaßnahme und für die schon bewährt vertrauensvolle und verlässliche Zusammen-arbeit. Und wir danken Frau Dr. Maren Aktas, die das Manuskript dieser Handreichungerstellt hat.

Schließlich danken wir den Protagonistinnen und Protagonisten aus dem Kreis der fünfbeteiligten Verbände, die entweder als Teilnehmende der Workshops oder der „Ver-bandsinternen Arbeitsgruppen“ das Projekt mit Leben gefüllt haben. Nur mit ihremEngagement und ihrer Begeisterung sind sie die Sympathieträger, die die Nachhaltig-keit der Projektergebnisse in den Verbänden sichern und in den Verbänden und Grup-pen lebendig halten können.

Dortmund, Hamm, Kassel, Wuppertal, Hamburg, im September 2010

Hannelore Breuer (BKE)Heinz-Josef Janßen (Kreuzbund)Käthe Körtel (FK)Reinhard Lahme (BKD)Wiebke Schneider (Guttempler)

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Projektbericht„Sucht-Selbsthilfe optimieren durch Gesundheitsförderung“ (S.o.G.)

Ganzheitlich gesund – zufrieden abstinent

■ Gesund sein: Mehr als nur abstinent leben?

„Wird es ein Junge oder ein Mädchen? Achegal, Hauptsache gesund“. – Aber was heißt eseigentlich gesund zu sein? Wann bin ichgesund? Bin ich gesund, wenn mich gerade

keine Krankheit plagt oder bedeutet Gesund-sein mehr? Tatsächlich würde es der Komplexität des Phä-nomens „Gesundheit“ nicht genügen, wennman Gesundheit nur medizinisch verstündeund es als das Fehlen von Krankheit undGebrechen charakterisierte. Die Weltgesund-heitsorganisation (WHO) ermutigte bereits1946 dazu, Gesundheit ganzheitlich zuumschreiben und schuf damit die Vorausset-zung, Gesundheit vor allem auch als sozialeHerausforderung zu begreifen. Eine zeitgemä-ße Übersetzung des Gesundheitsverständnis-ses der WHO könnte demnach lauten:

„Gesundheit ist nicht alles,

aber ohne Gesundheit

ist alles nichts.“ (Schopenhauer)

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Gesundheit ist ein Potential für umfassen-des körperliches, geistiges und sozialesWohlbefinden und nicht allein das Fehlen

von Krankheit und Gebrechen (nach Franz-kowiak & Sabo 1998, S. 19f). Im Anschluss

an dieses Verständnis gab es zahlreiche weite-re Ausdeutungen und Differenzierungen desGesundheitsbegriffs.Hurrelmann (1990) beispielsweise um-schreibt Gesundheit als einen „Zustanddes objektiven und subjektiven Befindenseiner Person, der gegeben ist, wenn diese

Person sich in den physischen, psychischenund sozialen Bereichen ihrer Entwicklung im

Einklang mit den eigenen Möglichkeiten undZielvorstellungen und den jeweils gegebenenäußeren Lebensbedingungen befindet.“

Demnach gehört zum eigenen Gesundheitser-leben ein durch verschiedene Einflussfaktorenbestimmtes, subjektives Empfinden: Ob ichmich gesund oder nicht gesund fühle, hängtvon vielen Faktoren ab, die jeder Mensch an-ders bewertet. D.h. derselbe objektive Gesund-heitszustand kann ganz verschieden erlebtwerden: So kann eine Person, die stark überge-wichtig ist und an Diabetes leidet, sich trotz-dem relativ gesund fühlen und erklären: „Ichbin zwar etwas füllig, dafür aber ein gemütli-cher Mensch. Mein Diabetes ist gut eingestellt,ich kann alles essen, muss nur etwas aufpas-sen.“ Eine andere Person in derselben Aus-gangslage hingegen fühlt sich vielleicht krankund schlecht: „Ich bin viel zu fett. So kann ichmich doch nicht sehen lassen. Ich bleibe lieberzu Hause. Und dann noch diese blöde Zucker-krankheit. Da wird einem noch der letzte Spaßgenommen, wo ich doch nichts Leckeres mehressen darf!“

Wie gesund ich mich fühle, beschränkt sichdabei nicht auf meinen körperlichen Zustand,im Gegenteil: Ich kann körperlich topfit seinund mich trotzdem niedergeschlagen undantriebslos fühlen – oder andersherum vielekörperliche Gebrechen zeigen und dennoch so

energiegeladen sein, dass meine positive Aus-strahlung andere mitreißt.

Seit der WHO-Gesundheitsdefinition von 1946gilt daher als unstrittig, dass Gesundheitimmer alle Bereiche des Daseins einschließt:den physischen Bereich (Körper), den psychi-schen Bereich (Seele) und den sozialenBereich. Diese Bereiche hängen unmittelbarzusammen und beeinflussen sich gegenseitig.Ändert man etwas in einem Bereich, wirkt essich auf die anderen Bereiche ebenfalls aus.Ein Mensch beispielsweise, der frisch verliebtist, fühlt sich meist glücklich und könnte (kör-perlich) Bäume ausreißen. Wenn wir traurigsind, fühlen wir uns oft auch körperlichschlapp. Wer seine Arbeit verliert ist niederge-schmettert und reagiert vielleicht mit körperli-cher Krankheit. Die Ursache von Kopfschmer-zen können Verspannungen sein, die ihrerseitsihren Grund in einer perfektionistischen Ein-stellung des Betroffenen haben können. Daseine greift ins andere, die Bereiche sind alsonicht unabhängig voneinander, sondern alsGanzheit zu betrachten (vgl. Infobrief 1, S. 62). Was prinzipiell für jeden Menschen gilt, wissensuchtkranke Menschen oft aus eigener Erfah-rung zu berichten, nämlich, dass sich die Sucht-erkrankung schädlich auf alle Bereiche desLebens auswirkt: Zu der körperlichen Abhängig-keit kommt die psychische Abhängigkeit, undauch die soziale Seite, die Umwelt, spielt eineRolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltungder Suchterkrankung. Genauso gelingt der lang-wierige Weg aus der Sucht in die Abstinenz –

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der oft von Misserfolgen und Rückschlägenbegleitet ist – dann am ehesten, wenn gleicher-maßen die körperliche, die seelisch-geistigesowie die soziale Seite bedacht werden.

Ist der Weg aus dem Suchtmittelkonsumgeschafft, haben manche Betroffene den Ein-druck, dass das Thema „Gesundheit“ nunabgeschlossen sei („Ich habe es geschafft, jetztbin ich wieder gesund“). Diese Einstellungbirgt eine hohe Rückfallgefahr in sich. Andereabstinent lebende Suchtkranke hingegen erle-ben (überspitzt formuliert) das gegenteiligeGefühl: „Ich trinke zwar nicht mehr, aber ichbin und bleibe (sucht-)krank. Daran kann ichnichts ändern. So richtig rundum wohl undgesund fühlen werde ich mich wohl meinLeben lang nicht mehr. Damit muss ich michhalt abfinden“.

Das ganzheitliche Gesundheitsverständnismacht jedoch Mut, das Ziel der Gesundungselbst und gemeinsam mit anderen aktiv anzu-steuern. Sowohl die individuelle Lebenssitua-tion eines Menschen, mit seiner einzigartigenLebensgeschichte, als auch sein sozialesNetzwerk, in das er eingebunden ist, könnenzusammen für einen gesundheitsförderlichen,heilenden Prozess genutzt werden, die zu mehrkörperlichem, seelischem und sozialem Wohl-befinden des Einzelnen führt.

■ Wie werde ich „ganzheitlich gesund“?

Gesundsein – das steht nicht einfach imGegensatz zu „kranksein“. Gesundheit ist eindynamisches Ergebnis aus dem Zusammenwir-ken von Körper, Geist und sozialer Lebenslage.Zudem ist Gesundheit und ganzheitlichesWohlbefinden ein für jeden Menschen indivi-duelles Gefühl. Es gibt keinen „An-/Aus-Schal-ter“. Vielmehr sollte man besser von „Gesund-werdung“, also einem Prozess sprechen.

Die WHO hat ihr Gesundheitsverständnis von1946 in der ‚Ottawa-Charta für Gesundheits-förderung’ (WHO 1986) konsequent fortge-schrieben. Gesundheitsförderung ist danachein Prozess, der die Selbstbestimmung derMenschen über ihre Gesundheit stärkt (vgl.Franzkowiak & sabo, 1998, S. 96-101). DerProzessgedanke greift die Frage nach der „Ge-sundwerdung“ auf, wie sie Aaron Antonovsky(1979) zu beantworten versuchte. Der Medi-zinsoziologe drehte die vorherrschende krank-heitsorientierte Denkrichtung um undbeschäftigte sich in seinem Ansatz der „Salu-togenese“ (übersetzt: Entstehung von Gesund-heit) mit der Frage, warum und wie einMensch gesund bleibt statt damit, wiesojemand krank wird.

Die logische Konsequenz dieser Sichtweise ist,dass bei der Salutogenese die Fähigkeiten, Res-sourcen und Stärken des Einzelnen in den Vor-

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dergrund rücken und nicht seine Schwächen,Defizite und Probleme: Welche Lebensumstän-de helfen einem Menschen dabei, gesund zuwerden und zu bleiben? Wie kann er seineKräfte mobilisieren? Wie kann er lernen, ansich und seine Fähigkeiten zu glauben? (vgl.Infobrief 1, S. 62).

Antonovsky betont, dass kein Mensch völliggesund oder völlig krank sei, sondern irgendwodazwischen stehe. Es besteht seiner Auffassungnach ein Spannungsfeld zwischen Krankheit undGesundheit, in der der Mensch einmal stärker indie eine Richtung, ein anderes mal stärker in dieandere Richtung schreitet. Risikofaktoren (Stres-soren) in unserem Leben treiben uns in Richtung„Krankheit“, Schutzfaktoren (Ressourcen) führenuns in Richtung „Gesundheit“. Jeder Menschkann sich auf diesem Kontinuum lokalisieren (vgl.Abbildung von M. Holthaus, Seminar in Erkner2008). Dabei ist es egal, wo sich der Mensch „ob-jektiv“ befindet. Auch ein nach außen gesunderMensch kann seine Lebensgewohnheiten ändern,so dass er sich (noch) wohler fühlt.Wichtig ist festzuhalten, dass dieses Kontinu-

um bei jedem Menschen durch andere Risiko-und Schutzfaktoren beeinflusst wird. Diesekönnen wiederum sowohl körperlicher, alsauch psychisch-geistiger oder sozialer Natursein. Zu den Risikofaktoren, die den Men-schen in Richtung „Kranksein“ schieben, zäh-

len beispielsweise Vorerkrankungen, Erbfakto-ren, Ängste, Depressionen, Enttäuschungen,Übertreibung, Erziehung, ungesunde Ernäh-rung u. v. m. Schutzfaktoren, die in Richtung„Gesundsein“ schieben, können z. B. guteGene, Neugier, positive Einstellung, Wissen,Erfolgserlebnisse, Maßhalten, Zufriedenheit,Aktivität, ausgewogene Ernährung, unterstüt-zendes Umfeld u. v. m. sein.

Manchmal sind Menschen denselben Stressfak-toren ausgesetzt, erkranken aber nicht in glei-chem Maße. Warum ist das so? Warum kommeneinige Menschen mit einer Belastung gut klar,andere mit derselben aber nicht? Antonovskyversuchte genau diese Frage zu ergründen, alsoherauszufinden, welche Faktoren für dieseunterschiedlichen Reaktionen auf dieselbenRisikofaktoren ausschlaggebend sind. SeinerMeinung nach sind es v.a. die psychischen Kräf-te eines Menschen, die auf die Gesundheit ein-wirken, weniger das körperliche Befinden. Derpsychische und praktische Umgang mit denStressfaktoren macht also den Unterschied:Wenn es dem Einzelnen gelingt, Vertrauen in

seine Fähigkeiten zu entwickeln und Kräfte zumobilisieren, kann er auch bei schlechten kör-perlichen Voraussetzungen viele Schritte in Rich-tung „ganzheitliche Gesundheit“ gehen. DieseMobilisierung von Kräften bezieht sich dabeinicht nur auf die eigenen Kräfte – niemand

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Abbildung 1: Der Mensch im Spannungs-Kontinuum (Holthaus, 2008)

Der Mensch im Spannungs-Kontinuum

Krankheit Gesundheit

Du/Ich

Risikofaktoren

Schutzfaktoren

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muss alles alleine stemmen - sondern schließtauch die Unterstützung durch andere Men-schen und Hilfesysteme ein.

Nach Antonovsky ist es wichtig, ein tiefesGefühl des Vertrauens in die eigenen Kräfte zuerlangen, um mit Stressreizen gut umgehen zukönnen. Wer erlebt, dass seine Kräfte undFähigkeiten ausreichen, um den Anforderun-gen des Lebens zu begegnen, kann diese eherpositiv als „Herausforderung“ ansehen, für diees sich lohnt, Anstrengung zu zeigen.

Antonovsky fand bei Menschen einige hilfrei-che Einstellungen, die ihnen erleichterten, ihrLeben selbst unter schwierigsten Umständengut zu meistern und gesund zu bleiben. Wasdiese Menschen auszeichnete, war das Gefühl,dass ihr Leben trotz aller Widrigkeiten „stim-mig“ war. (Antonovsky bezeichnete diesesLebensgefühl als „Kohärenzgefühl“). Kern-punkte des „Stimmigkeitsgefühls“ sind: “Ichverstehe“ „Ich bewältige“ „Ich erkenne Sinn“.Menschen, die ihr Leben als „stimmig“ empfin-den, erleben demnach die Welt und das, wasin ihr geschieht, grundsätzlich als Etwas, daszu verstehen und zu erklären ist. Gleichzeitigglauben sie an ihre Fähigkeit und die Möglich-keit, Probleme zu bewältigen. Sinnhaftigkeit

heißt, dass der Mensch sein Leben, sein Tun,seine Ziele und Werte als sinnvoll, interessantund lebenswert erachtet. Sich einzusetzenlohnt sich, auch wenn mal etwas schief geht.

■ Gesünder leben: eine Einstellungssache?!

Wer sich als selbstwirksam erlebt, ist davonüberzeugt, dass er auch in schwierigen Situa-tionen handeln und selbst etwas bewirkenkann. Nur wer sich sicher ist, dass er Einflussauf die Dinge und die Welt nehmen kann –und nicht dem Leben hilflos ausgeliefert ist –ist zuversichtlich genug, Veränderungen anzu-streben und durchzuführen. Der Wunsch nachVeränderung kann nämlich nicht von außenverordnet und nach Plan verabreicht werden.Die zentrale Motivation zur Gesundwerdung,zur Teilnahme an Präventions- oder Gesund-heitsförderprogrammen muss von jedem Men-schen selbst ausgehen („Ich möchte gesünderleben, mich wohler fühlen“). Dabei kann jedernur für sich selbst – in seiner individuellenLebenssituation – festlegen, welche Gesund-heitsziele er verfolgen möchte: Was möchteich ändern? Welche Kräfte kann ich dazumobilisieren? Was kann ich realistisch errei-chen?

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Gesundheit ist eine Fähigkeit, Probleme zulösen und Gefühle zu regulieren, durch die einpositives seelisches und körperliches Befinden– insbesondere ein positives Selbstwertgefühl– und ein unterstützendes Netzwerk sozialerBeziehungen erhalten oder wieder hergestelltwird. Aus der Gesundheitsforschung weißman, dass Menschen weniger anfällig fürErkrankungen sind, wenn sie eine positiveWerteorientierung aufweisen, z. B. religiössind, und eine zuversichtliche Zukunftserwar-tung haben. Dasselbe gilt für Menschen, diein ihrer Familie oder Partnerschaft einen star-ken Rückhalt erleben. Denn die aus der Sicher-heit heraus erwachsende Zuversicht wirkt heil-sam, der Körper mobilisiert leichter Abwehr-kräfte. Gebet, Meditation, Entspannungsver-fahren verhelfen zu einer größeren innerenRuhe und Gelassenheit und beugen Stress vor.Daher gilt es zu fragen, an welchen Wertenich mein Leben ausrichte und welche Ziele mirwichtig sind.

Insgesamt gilt, dass eine gute Balance in unse-ren verschiedenen Lebensbereichen wichtig ist(vgl. Infobrief 1, S. 62): Neben Phasen derAnspannung brauchen wir auch Zeiten, indenen wir entspannen und genießen können,in denen wir einfach wir sein können. (Die Pha-sen der Anspannung müssen dabei nichtzwangsläufig negativen Stress bedeuten, auchpositiv empfundene Herausforderungen undBeschäftigungen, wie z. B. Hobbys und Ehren-amt, führen zu Anspannung.)

Tatsächlich ist Zeitdruck in unserer Gesell-schaft ein dominierender Stress erzeugenderFaktor, oft ausgelöst durch ungünstigeArbeitsbedingungen. Daher kommt einer aus-geglichenen „Work-Life-Balance“ im Zusam-menhang mit einer gesunden Lebensführungeine wichtige Bedeutung zu. Wer nur arbeitetund kaum Freizeit hat, führt kein ausgegliche-nes Leben und fühlt sich schnell erschöpftund kraftlos. Daher gilt es zu reflektieren, wel-chen Stellenwert Arbeit und Leistung in mei-

nem Leben haben und in welchem VerhältnisArbeit und Freizeit, Anspannung und Entspan-nung stehen.

Nicht zu vernachlässigen sind dabei auch dieBedürfnisse des Körpers – nach Ruhe, nachNährstoffen, nach Sauerstoff. Wer die Bedürf-nisse seines Körpers zu sehr vernachlässigt,wird irgendwann Probleme im Leben bekom-men, denn der Körper kann Mangel auf Dauerkaum ausgleichen (Mögliche Fragen für dieDiskussion vgl. Infobrief 1, S. 62).

Erst vor dem Hintergrund einer positivenGrundhaltung kann sich das individuelleGesundheitsverhalten nachhaltig verändern.Allerdings ist es ein langer und nicht immererfolgreicher Weg von der vagen Idee etwasverändern zu wollen bis zur praktischen Umset-zung und zur Zielerreichung. Manchmal hilftes dann zu wissen, dass Veränderungsprozesseeine gewisse Systematik aufweisen, d.h. dassbestimmte „Rückschläge“ normal sind, wennman etwas zu verändern versucht.

Ein hilfreiches Modell der Veränderung habendie Psychologen Prochaska und DiClemente(1982) entwickelt. Sie haben eine Abfolge vonsechs Stadien beschrieben, die Menschendurchlaufen, wenn sie ein Problem bearbeiten.Dabei ähnelt der Ablauf der Veränderung demBild eines Rades oder Kreises, da es völlig nor-mal ist, dass eine Person die einzelnen Stadienmehrmals (laut einer Studie drei bis siebenMal) durchläuft, bis sie eine stabile Verände-rung erreicht hat.

Dieses Modell, das im Rahmen der Suchthilfe-arbeit natürlich meist auf das Suchtproblemangewendet wird, kann genauso auf gesund-heitsbezogene Veränderungsziele übertragenwerden. Wählen wir als Beispiel erneut einenstark übergewichtigen Menschen, der davorsteht, Diabetes zu entwickeln. Die sechs Sta-dien der Veränderung sähen möglicherweiseso aus:

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1. Absichtslosigkeit:

Die Person denkt noch nicht über die Möglichkeit einer Veränderung nach und besitzt kein Pro-blembewusstsein. Wird sie z. B. vom Arzt in diesem Stadium darauf aufmerksam gemacht, dasssie ein gesundheitliches Problem hat, reagiert sie möglicherweise überrascht.

2. Absichtsbildung:

Ist Problembewusstsein geschaffen, tritt die Person in die Phase der Absichtsbildung ein. Der Arzt hat durch den Hinweis auf die negativen Folgen von Übergewicht zwar einen Denkanstoß gegeben, der Betroffene schwankt aber noch zwischen dem Wunsch, etwas zu verändern und dem Wunsch, nichts zu tun.

3. Vorbereitung:

Die Person beginnt, ernsthaft über eine Veränderung nachzudenken. Sie äußert sich in einer Art,die wir gemeinhin mit „Motivation“ beschreiben. („Ich muss mein Gewicht reduzieren. Ein drohen-der Diabetes ist ernst zu nehmen! Was kann ich tun? Wie kann ich mich ändern?“). Es entstehtein „Fenster der Möglichkeiten“, das für eine gewisse Zeit geöffnet ist. Wird die Person in dieserZeit aktiv, hält der Änderungsprozess an, wenn nicht, fällt sie in das Stadium vorher zurück.

4. Handlungsstadium:

Die Person unternimmt nun konkrete Schritte der Veränderung. So meldet sie sich vielleicht zueiner Nordic-Walking Gruppe an und nimmt eine vom Arzt verordnete Ernährungsberatung inAnspruch. Hat der Veränderungsprozess begonnen, garantiert dies natürlich nicht automatischdas Beibehalten der neuen Verhaltensweisen. Offensichtlich ist das menschliche Leben voll vonguten Absichten und Veränderungsversuchen gefolgt von kleineren Ausrutschern oder größerenRückfällen.

5. Aufrechterhaltung:

In diesem Stadium besteht die Aufgabe darin, die erzielten Veränderungen zu festigen (z. B.das Nordic-Walking weiterzuführen, die Ernährung tatsächlich umstellen) und einem Zurückfal-len in alte Verhaltensweisen vorzubeugen. Das erfordert hohe Aufmerksamkeit und bewusstesHandeln. Hier ist es von besonderer Bedeutung, sich realistische und attraktive Ziele zu setzen.

6. Rückfall:

Jeder kennt es, dass die guten Vorsätze nach und nach bröckeln. Die Person fällt zurück in diealte Bewegungslosigkeit. Das Ernährungsbuch wandert ins Regal. Die Aufgabe besteht nundarin, erneut in den „Kreislauf der Veränderung“ einzutreten und nicht in diesem Stadium zuverharren. Zu allen Zeiten im Verlauf des Veränderungsprozesses kann es hilfreich sein, andere Menschenbegleitend zur Seite stehen zu haben. Eine beratende Person oder eine (Selbsthilfe-)Gruppekönnen bei der Absichtsbildung und Vorbereitung als Gesprächspartner zur Verfügung stehen,im Stadium der Handlung und Aufrechterhaltung unterstützend wirken und bei einem Zurück-fallen in alte Muster ermutigen, weiterhin über eine Veränderung nachzudenken und helfen,die Entschlusskraft zu erneuern und wieder aktiv zu werden.

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■ Die Ausgangslage: Sucht-Selbsthilfe in Deutschland

In Deutschland leben nach Schätzungen derDeutschen Hauptstelle für Suchtgefahren (DHS, 2010) ca. 1.3 Millionen Alkoholiker.74.000 Menschen sterben vorzeitig an denLangzeitfolgen des Alkoholismus. Dazu kom-men etwa 8 Millionen Menschen, die als Ange-hörige in enger Gemeinschaft mit einem alko-holabhängigen Menschen leben. Viele davonhaben gravierende Stresssymptomatiken ent--wickelt. Suchtkranke und Angehörige suchendaher vielfach Unterstützung in Sucht-Selbst-hilfegruppen. Die Gruppen haben sich auf diechronische Erkrankung eingestellt, indem siemit ihren Angeboten, anders als die professio-nellen Suchthilfeeinrichtungen, den Suchtkran-ken und den Angehörigen dauerhaft zur Verfü-gung stehen.

Etwa 150.000 Menschen finden sich inDeutschland regelmäßig in Sucht-Selbsthilfe-gruppen zusammen. Davon werden rund 4.800Gruppen mit etwa 83.000 Teilnehmenden vonden fünf Sucht-Selbsthilfeverbänden vertreten,die in der DHS organisiert sind (verbandsüber-greifende Statistik, 2006). Die Sucht-Selbsthilfeist inzwischen eine substanzielle eigenständigeSäule in der „Suchthilfelandschaft“ Deutsch-

lands, die gesamtgesellschaftlich eine hoheAnerkennung genießt.

Die verbandsübergreifende Statistik der fünfSucht-Selbsthilfeverbände aus 2006 zeigte,dass rund 52 % der Teilnehmenden direkt imAnschluss an eine Therapie in eine Gruppekamen, 19 % nach einer qualifizierten Entgif-tungsbehandlung und gut 27 % ohne profes-sionelle Hilfe den Weg in eine Selbsthilfegrup-pe fanden.

Eine große Bedeutung kommt der Selbsthilfebei der Sicherung des Rehabilitationserfolgeszu. 86 % aller Patienten, die nach Abschlusseiner stationären Behandlung kontinuierlichan einer Selbsthilfegruppe teilnehmen, bleibenabstinent bzw. leben mit zwischenzeitlichemRückfall weiter abstinent (a. a. O.).

■ Sucht-Selbsthilfe ist ein geeigneter Rahmen für Gesundheitsförderung

Ziele der Sucht-SelbsthilfeIm Zentrum der Sucht-Selbsthilfe steht, dieAbhängigkeitsproblematik zu bewältigen. DieAngebotsstrukturen der Selbsthilfe sind grund-sätzlich auf Veränderungsprozesse ausgerich-tet: Weg von der Sucht und ihren negativenBegleiterscheinungen, hin zu einer abstinen-ten Lebensführung. Dabei geht die Arbeit derSucht-Selbsthilfe jedoch weit über die Absti-nenz hinaus, sowohl für die Betroffenenals auch für die Angehörigen:

„Aufgabe und Ziel der Sucht-Selbsthilfe isteine Lebensgestaltung, die in Einstellungund Verhalten auf dem Hintergrund dereigenen Suchtbetroffenheit persönlichesWachstum, Sinnfindung und Ganzheit-lichkeit stützen und gewährleisten.“

(aus dem Projektantrag, 2008).

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Sucht-Selbsthilfe optimieren durch Gesnundheitsförderung – ein lohnenswerter Ansatz

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Die Motivation zu fördern ist kennzeichnen-der Bestandteil der Sucht-SelbsthilfeDie Motivation zur Verhaltensänderung spieltseit jeher in der Beratung von Suchtkrankeneine unverzichtbare Rolle. Wer von seinerSucht loskommen möchte, muss hochmotiviertsein. Allen Beteiligten ist bewusst, dass dieVeränderungsmotivation einer Person durcheine Vielzahl von Bedingungen beeinflusstwird und eine mangelnde Motivation keinunveränderliches Merkmal darstellt.

Durch die eigenen (Sucht-)Erfahrungen wissendie Selbsthilfemitglieder, wie schwer Verhal-tensänderungen zu erzielen sind. Andererseitshaben sie aber auch erlebt, dass sie sehr gra-vierende Veränderungen in ihrem Leben vor-nehmen konnten. Der Einsatz von Methodender „motivierenden Gesprächsführung“, einhohes Einfühlungsvermögen verbunden miteiner hohen Glaubwürdigkeit durch eigene

Erfahrungen, befähigen die Mitglieder derSucht-Selbsthilfe in besonderer Weise, anderezu einem gesundheitsförderlichen Lebensstilzu motivieren.

So gelingt es ihnen leichter, Menschen zuermutigen, Hilfen in Anspruch zu nehmen, sichSchritt für Schritt ihrer Situation zu stellen undihr Leben selbstbewusst in die Hand zu neh-men. Denn es geht in der Suchtkrankenarbeitallgemein darum, Ratsuchende darin zu moti-vieren, bestimmte Schritte zur Verhaltensände-rung zu tun.

Das Wirkprinzip „Gruppe“ Wesentlicher Wirkfaktor in der Selbsthilfe istdie Gruppenarbeit, die sich an den Grundwer-ten der gegenseitigen Solidarität, der Hoff-nung, der Selbstbestimmung und der Authen-tizität jedes Einzelnen orientiert. Das Gruppen-gespräch zielt darauf ab, sich mit der eigenen

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Suchterkrankung auseinanderzusetzen, umseine Erfahrungen nachhaltig positiv dafür zunutzen, die eigene Persönlichkeit weiter zu ent-wickeln. Durch die in der Gruppe erlebtegrundsätzliche Akzeptanz und die Beziehungs-angebote gelingt es den Suchtkranken undihren Angehörigen, die langjährig erlebte Iso-lation zu überwinden. Oft erleben Betroffeneerstmals nach langer Zeit in der Gruppe wie-der, was es heißt, verstanden und akzeptiert zuwerden. In der Gruppe werden Beziehungengelebt, Konflikte angesprochen und bearbei-tet, Wertschätzung vermittelt. Ein Leben insozialer Verbundenheit gilt als eine Grundlagefür seelische Gesundheit.

Weiterhin kann in der Gruppe modellhaft vonanderen Betroffenen gelernt werden. Informa-tionen über die Suchterkrankung und die Mög-lichkeiten, sie zu bewältigen, bleiben dabeinicht nur graue Theorie. Sie werden erfahrbarund lebendig im erinnerten Erlebten der Betrof-fenen. Schließlich schafft das gemeinschaftli-che Erleben und Tun Sinn- und Werteorientie-rung. Die Betroffenen tragen durch das Prinzip:„Hilfe für sich und andere“ gegenseitig zurKrankheits- und Problembewältigung und zurGesundung bei. Das Wirkprinzip „Gruppe“ istdabei nicht auf suchtspezifische Themenbegrenzt sondern allgemein charakteristischesMerkmal von Selbsthilfearbeit, und damit auchauf gesundheitsrelevante Themen anwendbar.

RessourcenorientierungDie solidarische Unterstützung in Selbsthilfe-gruppen ist häufig problemorientiert ausge-richtet, darf sich aber nicht darauf beschrän-ken. Im Gegenteil: Gerade die lebenslangeGefährdung bzw. Betroffenheit Suchtkrankererfordert, dass die Angebote der Sucht-Selbst-hilfe ressourcenorientiert ausgerichtet sindund mit positiv besetzten Aktivitäten undVisionen verbunden werden. Viele Selbsthilfe-gruppen haben die Bedeutung dieses Blick-wechsels – weg von der reinen Problembear-beitung hin zu einer Betrachtung der Stärken

und Möglichkeiten – bereits verinnerlicht undrichten ihre Themen und Angebote danachaus. Damit ist die Idee, sich dem Thema „Ganz-heitliche Gesundwerdung“ zuzuwenden, wie esdas Projekt S.o.G. tut, nur ein Schritt weiter indieselbe Richtung.

■ Suchtkranke und deren Angehörige –eine besondere Zielgruppe für gesundheitsorientiertes Verhalten

Langfristige Auswirkungen einer SuchterkrankungDie Suchterkrankung ist eine somatische, psychi-sche und soziale Erkrankung, die durch geneti-sche und psychosoziale Faktoren bedingt ist. Sieerfasst den Menschen in allen Bereichen seinerPersönlichkeit und kann ihn und sein sozialesUmfeld, wenn sie länger währt, auch zerstören.Selbst wenn die psychosozialen Faktoren behan-delt werden, die zur Entwicklung der Suchtgeführt haben, führt dies häufig nicht zur Been-digung der Sucht. Die Komplexität der Erkran-kung mit ihren zahlreichen Folgeerscheinungensowie die lebenslange Gefährdung fordern dieBetroffenen auf, ihr Leben dauerhaft auf dieSuchterkrankung einzustellen und sich damitauseinanderzusetzen. Eine Rückfallgefahr bleibtpotenziell auch nach langjähriger Abstinenzerhalten und bedarf dauerhafter Prävention.

Gesundheitliche RisikenViele der Gruppenbesucher rauchen. Auchnach jahrelanger Abstinenz treten zudem Fehl-oder Mangelernährung, Stress oder ungesundeLebensrhythmen in Erscheinung. Darüber hin-aus erreicht Sucht-Selbsthilfe besonders auchMenschen mit einem niedrigen sozioökonomi-schen Status, die aufgrund einer oft belastete-ren Lebensorganisation schneller zu Erkrankun-gen neigen.

Ungünstige LebensbedingungenSuchtkranke und Angehörige haben meist ü-ber viele Jahre in extrem belastenden körperli-chen, emotionalen und sozialen Zuständen

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gelebt. Sie brauchen Zeit und Unterstützung,um sich davon zu erholen. Ein unausgewoge-ner Lebensstil, ohne Phasen der Entspannungund Ruhe, macht krank bzw. krankheitsanfäl-lig. Suchtkranken fällt es oft schwer, anstelledes zuvor eingesetzten Suchtmittels alternati-ve, innere Selbstregulationsmöglichkeiten zurEntspannung zu entwickeln. Dies braucht Übung. Man geht erfahrungsgemäß davonaus, dass es etwa fünf Jahre dauert, bis sichdas Leben eines Suchtkranken nachhaltig gefe-stigt hat, da sich der Abhängige in sehr ver-schiedenen Zusammenhängen neu finden undorganisieren muss. Arbeit und Wohnung wer-den benötigt, Schulden müssen abtragen wer-den, ein die Abstinenz unterstützendes sozia-les Umfeld muss aufgebaut und Möglichkeitender sinnvollen Freizeitgestaltung müssen ent-deckt werden. Zudem ist es bedeutsam, mit-menschliche Verletzungen zu bewältigen undinsgesamt eine lebensbejahende Perspektiveaufzubauen. Nicht selten geht es darum, einganzes Leben neu einzurichten und tief grei-fende Verhaltensveränderungen vorzunehmen(vgl. DHS, 2001). Dasselbe gilt auch für dieAngehörigen, wenn sie sich damit auseinandersetzen, wie die Sucht des Familienmitgliedesdas eigene Leben bestimmt hat.

Daher ist es erforderlich, Sucht-Selbsthilfemit-glieder frühzeitig anzuregen, die verschiedenen

Lebensbereiche möglichst bewusst zu verändernund sich dort, wo es nötig ist, neue Herausforde-rungen und Zielperspektiven zu erarbeiten. Werseinen unterschiedlichen Lebensbereichenbewusst Zeit und Aufmerksamkeit widmet undim Einklang mit äußeren und inneren Rhythmenlebt, erhöht seinen Energiehaushalt, seineSelbstregulationsfähigkeiten und Selbstwirk-samkeitserwartung und leidet damit wenigerunter Stress und Erkrankungen.

Geringe SelbstwirksamkeitserwartungOft haben Suchtkranke während ihres Sucht-verlaufs ein Gefühl der Machtlosigkeit erlebt.Daher weisen viele eine geringe Selbstwirk-samkeitserwartung auf, d. h. sie tendieren zuder Annahme, ihr Schicksal hänge von äuße-ren Umständen ab und sei von ihnen selbstkaum steuerbar. Vielfach müssen sie erst wie-der lernen, über sich selbst zu bestimmen, sichzu vertreten. Der Impuls, das Leben wiederaktiv zu gestalten, muss innerlich motiviertsein.

Belastung der Angehörigen Angehörige haben in Sorge um das suchtkran-ke Familienmitglied eigene Lebensbereichevernachlässigt, weil sich ihr Denken, Fühlenund Wirken oft bis zur Erschöpfung ausschließ-lich mit dem erkrankten Familienmitgliedbefasst hat. Weil sie ihre eigenen Bedürfnissevernachlässigt haben, entwickeln die Angehö-rigen Stresssymptomatiken, die mitunter inpsychosomatische Erkrankungen münden.

Gefahr der Überlastung durch das EhrenamtLangjährige Selbsthilfemitglieder engagierensich in der Regel im Rahmen des Ehrenamtesin erheblichem Ausmaß für andere Suchtkran-ke bzw. für ihren Selbsthilfeverband. Dies stelltbesondere Ansprüche an ihre Organisationsfä-higkeiten, da sie in der Regel zusätzlich beruf-lich und familiär eingebunden sind. Um sichnicht zu überfordern und damit anfällig füreinen Rückfall zu machen, sollte auf eine aus-gewogene Lebensführung geachtet werden.

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Mit dem Projekt „Sucht-Selbsthilfe optimierendurch Gesundheitsförderung (S.o.G.)“ wollendie fünf Verbände die Angebotsstrukturen derSelbsthilfe gezielt um Themen rund um „Ge-sundwerdung und Gesunderhaltung“ erwei-tern und damit einen Beitrag zur Gesundheitgefährdeter Menschen leisten. Darüber hinauswill das Projekt die Verbände anregen, langfri-stig eine gesundheitsförderliche „Verbandskul-tur“ zu entwickeln, da es dem Einzelnen ineinem gesundheitsfreundlichen Umfeld leich-ter fällt, sich selbst für eine gesündere Lebens-weise zu entscheiden.

Die Sucht-Selbsthilfe hat sich mit ihren spezifi-schen Wirkfaktoren darin bewährt, Lebenswegepositiv und nachhaltig zu beeinflussen. Dahererscheint es folgerichtig, das Selbsthilfepotenzi-al Suchtkranker und Angehöriger auf Gesun-dungsprozesse und Gesundheitsbildung auszu-richten, die mittelbar mit der Suchterkrankungin Zusammenhang stehen. Das Projekt zielt dar-auf ab, Sucht-Selbsthilfemitglieder anzuregen,

Zuversicht in die eigenen Fähigkeiten zu entwi-ckeln, negative emotionale Muster und ungün-stige Denkmuster durch aktives gesundheitsori-entiertes Handeln zu beeinflussen und entspre-chende Ressourcen zu mobilisieren. Gelingt esdem Betroffenen auf diese Weise, seinenLebensstil „ganzheitlich gesünder“ zu gestalten,bietet das die Chance, die Abstinenz zu stabili-sieren und die Rückfallgefahr zu verringern.

Um die Projektidee in die Tat umsetzen zu kön-nen, beantragten die fünf Sucht-Selbsthilfever-bände im Dezember 2007 Fördergelder beim

Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Wiebereits beim erfolgreich durchgeführten Pro-jekt „Brücken Bauen – Junge Suchtkranke undSelbsthilfe“ (2006-2008) wurde der Antraggemeinsam gestellt, um die positiven Synergie-effekte nutzen zu können, die – bei ähnlichemSelbstverständnis der Verbände – durch dieunterschiedlichen Strukturen und Arbeits-schwerpunkte entstehen.

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Das Projekt „Sucht-Selbsthilfe optimieren durch Gesundheitsförderung (S.o.G.)“

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■ Ziele

Im Antrag wurden mit Blick auf die Betroffe-nen und deren Angehörige folgende Ziele for-muliert, die sich im Alltag praktisch nieder-schlagen sollen: ● Die Gesundheitskompetenzen und -ressour-

cen sollen gestärkt werden.● Gesundheitsaufklärung soll präventiv

sowie korrektiv erfolgen.● Sucht- und stressbedingte Gesundheitsrisi-

ken sollen abgemildert bzw. vermiedenwerden.

● Der Umgang mit Gesundheit soll eigenver-antwortlich und nachhaltig orientiertgeschehen.

● Bei der Lebensgestaltung sollen suchtrisi-ko- und rückfallminimierende FaktorenBeachtung finden.

● Die Selbstwirksamkeitskräfte sollen geför-dert werden.

● Ein positives Selbstkonzept soll entwickeltbzw. gefördert werden.

● In der Sucht-Selbsthilfe soll längerfristigdie Implementierung eines umfassend ori-entierten Gesundheitsbewusstseins erfol-gen.

Als aktiv zu bearbeitende Themenkomplexewurden die Bereiche „Rauchfrei leben“, „Ge-sunde Ernährung“ sowie „Bewegung und

Sport“ ausgewählt. Zudem wurden einige kon-krete und messbare Ziele festgelegt, z. B. ● dass eine bestimmte Anzahl von Informati-

onsveranstaltungen und Seminaren zu denThemen bis zum Projektende durchgeführtwerden soll,

● dass die Zahl der rauchfreien Veranstaltun-gen der Selbsthilfeverbände sobald wiemöglich ausgeweitet werden soll,

● dass innerhalb der nächsten fünf Jahre dieAnzahl der Raucher in der Sucht-Selbsthilfevon derzeit etwa 50 % um 10 % gesenkt werden soll,

● dass sportliche/gymnastische Elemente imRahmen von Selbsthilfeveranstaltungenbewusst eingebaut werden sollen,

● dass der Konsum koffeinhaltiger Getränkeim Kontext von Selbsthilfeveranstaltungenreduziert werden soll,

● dass darauf geachtet werden soll, dass in Seminar- und Tagungsstätten für dieTeilnehmenden an Selbsthilfeveranstal-tungen ein reichhaltiges gesundes Ernäh-rungs- und Speisenangebot zur Verfügungsteht.

Die genaue Ausgestaltung der konkreten Zieleund die Erstellung von Aktionsplänen erfolgteim Rahmen des Projekts in verbandsinternenArbeitsgruppen.

■ Struktur und Ablauf

Das Projekt wurde für die Laufzeit vom01.04.2008 bis 30.09.2010 bewilligt undbestand aus folgenden Bausteinen.

VorbereitungsphaseDie Geschäftsführer/-innen der fünf Verbändebegleiteten als „Projektsteuerungsgruppe“ dieProjektrealisierung und gewannen innerhalbihrer Verbände Projektmitarbeiter/-innen. Nach

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erfolgter Bewilligung wurden Interessierte fürdie Teilnahme am Projekt innerhalb der fünfVerbände gewonnen. Von der großen Zahl inter-essierter Gruppenmitglieder konnten 80 am Pro-jekt teilnehmen. Weiterhin wurden in dieserPhase geeignete Referent/-innen angefragt.Innerhalb jedes Verbandes wurde eine „Ver-bandsinterne Arbeitsgruppe“ (ViAG) gebildet,die 5-7 Personen umfasste und deren Aufgabewährend der gesamten Projektlaufzeit u.a. darinbestand, einen regen Austausch zwischen Ver-band und Projekt sicherzustellen und die The-men des Projekts in den Strukturen des jeweili-gen Verbandes zu implementieren (vgl. S. 25).

Kick-Off-Veranstaltung Ende 2008 fand in Erkner bei Berlin eineArbeitstagung als Eröffnungsveranstaltungstatt, bei der die zukünftigen Teilnehmer/-innen(TN) des Projekts auf die Thematik eingestimmtwurden. In Kurzvorträgen wurden die Ziele undInhalte des Projekts vorgestellt, die Erwartun-gen und Wünsche der TN erfragt und es wurdeüber den Projektablauf informiert. Die Kick-Off-Veranstaltung wurde von den TN als sehr anre-gend bewertet, so dass das Ziel, die Mitarbeitund Motivation für eine dauerhafte Teilnahmezu fördern, als erreicht gelten kann.

Workshopreihe In der dritten Phase (2009) fanden im Norden,Süden, Osten und Westen Deutschlands je dreiWorkshops zu den Themen: „Rauchfrei leben“,„Gesunde Ernährung“ und „Bewegung undSport“ statt. Die TN kamen aus allen fünf Ver-bänden. Das Ziel der Workshops bestand nichtnur darin, die TN über die Themen zu informie-ren und persönliche Verhaltensänderungen zubewirken, sondern vor allem darin, die TN alsMultiplikatoren für den Transfer der Workshop-inhalte in die Gruppen- und Verbandsarbeit zugewinnen (vgl. S. 22 und 25). Die Referent/-innen, die für die jeweiligenWorkshops gewonnen werden konnten, zeich-neten sich durch eine hohe fachliche Kompe-tenz, gute didaktisch-methodische Fähigkeiten

sowie Erfahrungen in der Sucht(selbst)hilfear-beit aus. Jedes Workshopthema wurde vonzwei unterschiedlichen Referent/-innen be-handelt. Es gab vorab ein Treffen der Beteilig-ten, bei dem das Curriculum der Workshoprei-he gemeinsam entwickelt und aufeinanderabgestimmt wurde. So konnte trotz unter-schiedlicher Referent/-innen ein einheitlichesKonzept sichergestellt werden. Jeder der dreiWorkshops umfasste ein Wochenende; die Teil-nehmerzahl lag bei etwa 20 Personen proWorkshop. Am Ende jedes Workshops wurdendie TN mit einem Auswertungsbogen gebeten,die Inhalte und die Methodik zu bewerten.

Umsetzungs- und Reflexionsphase Die Ergebnisse aus den Workshops und Diskus-sionen wurden fortlaufend innerhalb der ver-bandsinternen Arbeitsgruppen (ViAG) sowie inder Projektsteuerungsgruppe und bei ver-bandsübergreifenden Arbeitstagungen (VüAT)reflektiert. Die Verbände nutzten die ihnengegebenen Möglichkeiten (Mitarbeitertreffen,Verbandszeitungen, Homepages), um ihre Mit-glieder über die Inhalte und den Fortgang desProjekts zu informieren und Anregungen fürerste Umsetzungen eines ausgewogenerenLebensstils zu geben. Ansätze zur Umsetzungder Workshopinhalte in konkrete gruppentaug-liche Ideen wurden gesammelt und von eini-gen Verbänden bereits in Arbeitsmaterialienwie z. B. Gruppenstundenentwürfe übersetzt.

Abschlusstagung und Ausblick Das Projekt endete im August 2010 mit einerverbandsübergreifenden Arbeitstagung, auf der

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die verbandsinternen Arbeitsgruppen sowie dieProjektsteuerungsgruppe nochmals in den Aus-tausch über das Projekt, seine Inhalte, die ange-stoßenen Veränderungsprozesse, aber auch dieauftretenden Stolpersteine in der Umsetzungtraten. Ziel war es, konkret zu überlegen undfestzuhalten, wie die Erkenntnisse aus dem Pro-jekt möglichst nachhaltig in den Verbänden ver-ankert werden können. Erste Transferveranstal-tungen, die – angeregt durch das Projekt – ineinigen Verbänden bereits stattgefunden habenund einen unverzichtbaren Bestandteil für einenachhaltige Implementierung der Projekter-kenntnisse darstellen, wurden von den TN posi-tiv aufgenommen. In diesen Veranstaltungenwurde gezielt darauf hingearbeitet, die Projekt-inhalte dauerhaft in die Strukturen und diepraktische Arbeit der Verbände zu integrieren, z. B. durch den Beschluss von Aktionsplänen.

Zusammenfassung und Veröffentlichung der Ergebnisse Um allen Mitgliedern in den Verbänden Infor-mationen und Ergebnisse sowie mit dem Pro-jekt verbundene Herausforderungen zu vermit-teln, wurde das vorliegende Handbuch erstellt.Ziel ist es, nicht nur über den Projektverlaufund die Inhalte zu informieren, sondern auchinteressierten Personen, die die Suchthilfear-beit in ihrem Umfeld unter gesundheitsförder-lichen Gesichtspunkten verändern möchten,eine praxisnahe Arbeitshilfe an die Hand zugeben. Zahlreiche während des Projekts erstell-te Materialien für die Gruppenarbeit sind aufden Internetseiten der fünf Verbände abrufbar(Internetadressen vgl. Anhang).

■ Die Workshopreihe

Themenschwerpunkte Drei Themenschwerpunkte wurden für das Pro-jekt ausgewählt und in den Wochenendwork-shops umgesetzt: (1) „Rauchfrei leben“, (2)„gesunde Ernährung“ und (3) „Bewegungund Sport“. Die Auseinandersetzung mit denübergeordneten Themen „Salutogenese“,„Work-Life-Balance“, „Stress und Stressbewälti-gung“ durchzog alle Workshops, wenn auch inunterschiedlichem Ausmaß.

Begründung der Themenauswahl (1) „Rauchfrei leben“: 48 % aller Besucherder Sucht-Selbsthilfegruppen – und damitüberproportional viele Mitglieder – sindRaucher. Es überrascht daher nicht, dass vieleabstinent lebende Alkoholiker an den Folgenihres Tabakkonsums ernsthaft erkrankt sind.Darüber hinaus sind negative Wechselwirkun-gen zwischen Rauchen und Alkohol bekannt.Die eigene Suchterfahrung und das Experten-wissen über Suchterkrankungen können insbe-sondere bei der Tabaksucht gut eingebrachtwerden.

(2) „Gesunde Ernährung“: Eine ausgewogeneErnährung fördert das allgemeine Wohlbefin-den, die körperliche Gesundheit und das psy-chische Wohlbefinden. Suchtkranke Menschenneigen auch in Zeiten der Abstinenz dazu, sichschlecht zu ernähren. Daher ist es sinnvoll, dasThema „gesunde Ernährung“ in der Sucht-Selbsthilfe stärker zu beachten. Besonders vordem Hintergrund von Essstörungen mit sucht-verlagernder Tendenz kommt dem Ernährungs-verhalten Suchtkranker eine große Bedeutungzu. In den Selbsthilfegruppen der fünf Verbän-de treffen sich überwiegend Personen miteinem Alkoholproblem. Für Personen mit mas-siven Essstörungen (z. B. Bulimie, Magersucht)existieren gesonderte Selbsthilfegruppen vonanderen Trägern. Daher wurden diese Themen-bereiche nur am Rande behandelt.

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(3) „Bewegung und Sport“: Suchtkranke Men-schen sind oft über Jahre hinweg mit ihrem Kör-per extrem vernachlässigend umgegangen. Diekörperlich-leiblichen Wahrnehmungs- und Aus-drucksmöglichkeiten sind häufig stark einge-schränkt. Nicht selten kommt es zu einer Reihechronifizierter Folgeerkrankungen. Auch Ange-hörige haben in der Sorge um den suchtkrankenAngehörigen eigene gesundheitliche Belange inder Regel vernachlässigt. Als Folge eines stress-reichen und oft bewegungsarmen Lebensstilshaben sie nicht selten unter psychosomatischenSymptomen gelitten. Studien haben gezeigt,dass sich Sport stressmildernd auswirkt, diesoziale Einbindung fördert und auf der psychi-schen Ebene selbstwertstärkend wirkt. Sportkann daher als eine gute Möglichkeit zur körper-lichen und seelischen Selbstregulation angese-hen werden und sollte daher in der Sucht-Selbst-hilfe dringend stärker beachtet werden.

UUnntteerrsscchhiieeddlliicchhee „„BBrriissaannzz““ ddeerr TThheemmeenn Während Rauchen meist eine Sucht darstelltund damit ein Rauchstopp einen massiven Ein-schnitt in das übliche Verhalten erfordert, kön-nen die Ziele „gesündere Ernährung“ und

„mehr Bewegung“ kleinschrittiger angegangenwerden. Und während bei Diskussionen zumThema Rauchen schnell zwei Fronten entste-hen („unbelehrbare“ Raucher gegen „funda-mentalistische“ Nichtraucher), fällt es oft leich-ter generell über eine „gesündere Ernährung“und „mehr Bewegung“ nachzudenken. DenReferent/-innen war diese Problematik beimThema „Rauchen“ bewusst, so dass sie wäh-rend der Phasen des Erfahrungsaustauschesmöglicher „Frontenbildung“ entgegenzusteu-ern versuchten.

Verknüpfung Allen Projektbeteiligten war es ein Anliegen,die Schwerpunktthemen über die Workshopshinweg inhaltlich miteinander zu verknüpfen,da sie sich wechselseitig bedingen und beein-flussen: So können Anspannung und Stressdazu führen, dass man mehr und ungesünderisst und mehr raucht. Bewegung wiederum giltals eine der wirksamsten Methoden zum Stres-sabbau. Eine ausgewogene Ernährung fördertdas allgemeine Wohlbefinden, die körperlicheGesundheit und auch das psychische Wohlbe-finden usw.

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WWiirrkkwweeiissee ddeerr GGrruuppppeennaarrbbeeiittTeilnehmende (TN) und Mitarbeitende in derSucht-Selbsthilfe verfügen über Expertenwis-sen und einen großen Erfahrungsschatz zumThema „Sucht“. Die im folgenden Absatzzusammengefassten Antworten der Workshop-TN auf die Frage, wozu sie ihre eigene Sucht-geschichte – im Zusammenhang mit demThema Gesundheitsförderung – befähigt, ver-deutlicht die Wirkweise der Sucht-Selbsthilfe: Das fachliche Wissen zum Thema Sucht wirdvon den TN nur als von untergeordneter Bedeu-tung angesehen. Suchtexperten gibt es schließ-lich viele. Entscheidender ist vielmehr der Punktder Glaubwürdigkeit. Durch das Wissen und daseigene Erleben sowohl der Schritte in die Suchtals auch der Schritte aus der Sucht heraus, kön-nen Mitarbeiter in der Sucht-Selbsthilfe Betroffe-ne besser dort abholen, wo sie stehen. Verständ-nis und Toleranz können leichter aufgebrachtwerden, man spricht die gleiche Sprache, mankann leichter Geborgenheit vermitteln. Zudemhaben es die Gruppenteilnehmer/-innen ge-lernt, ihr eigenes Inneres zu reflektieren und über emotionale Inhalte zu reden. Der emotio-nale Zugang zum Thema „Sucht“ ermöglicht es,über Faktenwissen hinauszugehen. Selbsthilfe-arbeit bedeutet generell immer, Menschen inRichtung Gesundheit zu begleiten, ihnen zu hel-fen Stressfaktoren zu verringern und Schutzfak-toren zu stärken.

Zielgruppenspezifisches Vorgehen Bei der Ausgestaltung der Workshops wurdezudem berücksichtigt, dass Suchtkranke ande-re Angebote benötigen als Angehörige, da dieKrankheitsbewältigung jeweils andere Thema-tiken berührt. Außerdem wurde beachtet, dassMänner und Frauen sich in ihrem Gesundheits-verhalten sowie in ihren Stressbewältigungs-strategien unterscheiden. Bei Sportangebotengalt es, auch das Alter und das körperlicheBefinden der TN zu berücksichtigen.

Selbsterfahrung und Selbstreflexion Bei Themen, die die Persönlichkeitsentwicklung

betreffen und bei denen Verhaltensveränderun-gen angestrebt werden, ist ein nur auf die Ver-standesebene ausgerichtetes Vorgehen (d. h.reine Informationsvermittlung) zwangsläufigzum Scheitern verurteilt, wenn nicht gleichzeitigauch die emotionale Ebene (Gefühle, Einstellun-gen, Haltungen) und die körperliche Ebene(Bewegung, Körperhaltung) mit einbezogenwerden. Daher war es den Referent/-innen einbesonderes Anliegen, den TN wiederkehrendeigene, neue Erfahrungen zu ermöglichen, umdamit zu vermitteln, dass die Fähigkeit zugesunder Lebensführung auch noch im Erwach-senenalter erlernt und gestärkt werden kann.Gemeinsame Aktivitäten wirken sich zudempositiv auf die Motivation zur Veränderung aus,weil sie Selbstwirksamkeit und Gestaltungslusterleben lassen und die Selbstreflexion anregen.

Einschätzung der Workshopreihe durch die TeilnehmendenAm Ende jedes Workshops wurden die TNdarum gebeten, einen Fragebogen auszufül-len, in dem sie einschätzen sollten, inwieweitdie Inhalte ihre Erwartungen erfüllt hattenund wie alltagstauglich und praxisrelevant siedie vermittelten Inhalte sowie die Diskussio-nen einschätzten. Insgesamt fielen die Bewer-tungen sehr positiv aus. Lediglich beim Thema„Rauchfrei leben“ äußerten einzelne Personenauch einmal Unzufriedenheit, was sicherlichauch damit zusammenhing, dass bei diesemThema festgefahrende Meinungen stärker auf-einanderprallten. Unabhängig vom Thema wurde der verbands-übergreifende Charakter des Projekts als sehrbereichernd herausgestellt. Auch der ganzheitli-che Ansatz wurde als besonders motivierendund nützlich bewertet. Die Referent/-innen wur-den durchgehend für ihre Fachkenntnis und dieinteressante Aufbereitung der Inhalte gelobt.Schließlich drückte die überwiegende Zahl derTN aus, dass ihnen die Workshops – zum Teilwider Erwarten – sehr viel Spaß und gute Launegebracht hätten und dass sie viele Impulse fürsich persönlich mitgenommen hätten. Als

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Wunsch wurde vereinzelt geäußert, dass mannoch mehr konkretes, praktisches Handwerks-zeug für die Umsetzung in den Gruppengewünscht hätte. (Diese Wünsche nahmen dieVerbände auf und erstellten in der Folge zahlrei-che Materialien, z. B. mit Entwürfen für Grup-penstunden; diese können bei den Verbändenangefordert werden; Adressen s. Anhang).

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Multiplikatoren – die Schlüssel zum Erfolg Die Projektidee und die Workshopinhalte kön-nen noch so gut sein – wenn sie nicht bei derBasis, den Gruppenbesucher/-innen, ankom-men, ist die Mühe vergebens. Daher wurdenalle an den Workshops Interessierten bereitsbei der Vorstellung des Projekts darauf hinge-wiesen, dass ihre Rolle darin besteht, eine Mul-tiplikatorfunktion auszuüben. Allen sollte vonAnfang an klar sein, dass das Projekt nur erfolg-reich sein kann, wenn ein Umdenken nicht nurbei den Workshop-TN selbst passiert, sonderndie Gedanken in die Gruppen und Verbändehineingetragen und dort verbreitet werden.

Multiplizieren will gelernt sein Zum „Multiplizieren“ gehört die Bereitschaft, Ver-antwortung für den Erfolg mit zu übernehmenund sich zu engagieren. Darüber hinaus ist aberauch das entsprechende „Handwerkszeug“ nötig.In jedem Workshop wurde daher ausdrücklichthematisiert, wie die Inhalte erfolgversprechendin die Gruppen vor Ort getragen werden können,aber auch mit welchen Widerständen gerechnetwerden muss. Regelmäßig erscheinende Infobrie-fe sowie ein „Multiplikatorenrundbrief“ riefen denBeteiligten ihre Aufgabe immer wieder insBewusstsein (vgl. S. 26). Schließlich galt es, nichtnur auf der persönlichen Ebene Umdenkprozesseanzustoßen und auf Verhaltensänderungen zuzielen, sondern die TN in ihrer Funktion als Multi-plikatoren in der Selbsthilfearbeit für die Themen-bereiche zu sensibilisieren: Wie kann das Projekt-thema Gesundheitsförderung auf den verschiede-nen Ebenen im eigenen Verband umgesetzt wer-den? Konkret: Wie kann ich sowohl in meinerOrtsgruppe, aber auch auf regionaler und überre-gionaler Ebene einen Diskussionsprozess in Gangsetzen? Wie können gesundheitsförderliche Ver-haltensweisen gestärkt und langfristige Struktu-ren geschaffen werden?

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Page 26: Sucht-Selbsthilfe – ein Ort für Gesundheitsförderung · So lange Alkohol die Nr. 1 ist, ist alles andere zweitrangig. Sogar die Gesundheit. Selbstverständlich, auch wenn die

Veränderungen nachhaltig sichern. Eine Gefahr von zeitlich befristeten Projektenbesteht darin, dass die Begeisterung nachEnde der Projektlaufzeit allmählich nachlässtund die Inhalte nach und nach in Vergessen-heit geraten. Um dieser Gefahr entgegenzuwir-ken, wurden die bereits erwähnten „Verbands-internen Arbeitsgruppen“ (ViAG) gebildet. Siesind fester Bestandteil des Projekts und vonbesonderer Bedeutung, weil sie sich um einengrößtmöglichen innerverbandlichen Transferder Inhalte bemühen.

Die Verbandsinterne Arbeitsgruppe (ViAG)Jede Arbeitsgruppe setzte sich aus ca. 5-7 Mit-arbeitenden des jeweiligen Verbandes zusam-men, die nach Möglichkeit auch eine struktu-

relle Funktion innerhalb ihres Verbandes innehaben (Gruppenleitung, Verbandsvorsitz,Geschäftsführung). Vertreten waren sowohlEhrenamtliche, die z.T. als Multiplikator/-in-nen am Projekt teilnahmen, als auch haupt-amtliche Mitarbeiter/-innen. Die Gruppen tra-fen sich mehrmals jährlich.

Ziele der ViAG Die ViAG richtete ihr Augenmerk weniger aufdie konkreten Inhalte als vielmehr auf dieübergeordneten Rahmenbedingungen. Disku-tiert wurden Fragen wie: Auf welche Weisekönnen die bestehenden Verbandsstrukturen (z. B. Gremien, Zeitschriften) für eine dauerhaf-te Verankerung der Projektinhalte genutzt wer-den? Wo ist es notwendig, Strukturen im Sinne

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■ S.o.G. – da steckt eine positive Haltung drin:

Legen Sie Wert darauf, als Sympathieträ-ger/-in wahrgenommen zu werden; werbenSie mit Lust für eine gute Sache – für einegesündere Lebensführung. „Offenheit“ und„positives Denken“ sind Ihre „Eintrittskar-ten“. Lassen Sie die Menschen spüren, dassgesünder leben gut tut, Freude macht undFreunde schafft.

■ S.o.G. – da kann man/frau auf unter-schiedliche Weise vorgehen:

Sich Wissen und Fähigkeiten aneignen unddieses alles weitergeben, vervielfältigen,„multiplizieren“.S.o.G.-Inhalte vermitteln und hierzu mode-rieren; helfen, Kompromisse aushandeln. Für ein gesünderes, genussvolleres Lebensensibilisieren und helfen, gute Ansätzeweiterzuentwickeln.Sich selbst mit der eigenen Multiplikator-Rol-le gut vernetzen – im Verband die Struktu-

ren nutzen (Vorstände, Gruppenleitungen),mit anderen MultiplikatorInnen – nichtzuletzt mit den Teilnehmenden der Ver-bandsinternen Arbeitsgruppen – die gutenwie die misslungenen Praxisbeispiele kom-munizieren (Auch durch Fehler lernen wir).Zur „Kür“ der Multiplikatoren-Funktion zählt,dass Sie Aufgaben gut und gern delegieren,d. h. dass Sie Aufgaben abgeben an ande-re, die – vielleicht durch Sie angeregt – aktivwerden wollen.Lassen Sie sich selbst helfen, entwickeln Siesich selbst weiter: signalisieren Sie, dassRückmeldungen erwünscht sind.

■ S.o.G. soll ermöglichen, unterstützen undfördern, nicht überfordern:

Multiplikatoren sollten sich selbst und ande-re nicht überfordern! Sie müssen nicht wis-sen und nicht leisten, was die S.o.G.-Fachre-ferenten/-innen der Workshops wissen undgeleistet haben – nehmen Sie sie als Orien-tierung und Anregung für das, was Sieselbst beitragen können.

Aus dem Multiplikatoren-Brief, Juli 2009 (Text: Tremmel):

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des Projekts abzuändern? Welche neuen Wegekönnen beschritten werden, um ein langfristiganhaltendes Umdenken im Verband zu schaf-fen? Wie können die Multiplikator/-innen inihrer Arbeit unterstützt werden?Aus den Diskussionen entstanden bisher bei-spielsweise Aktionspläne, die konkrete Teilzielebeschreiben, sowie Diagramme zum Verständ-nis verbandsinterner Informationsflüssen oderChecklisten für die Multiplikator/-innen. Diein der ViAG erarbeiteten Impulse sollen dazu

dienen, nach Abschluss der Projektphase dieProjektideen weiterzutragen und für eine ste-tig wachsende Sensibilisierung für Gesund-heitsförderung in der Sucht-Selbsthilfe zu sor-gen. Ein Erfolg auf ganzer Linie kann dann ver-bucht werden, wenn die Gedanken der „ganz-heitlichen Gesundheitsförderung“ die Sucht-Selbsthilfe voll durchdrungen haben und dieProjektinhalte ein selbstverständlicher Be-standteil der Verbandsstruktur und –kulturgeworden sind.

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■ Was will ich umsetzen?

■ Bis wann will ich das machen?

■ Wie will ich es machen?

■ Wie sollen die konkreten Inhalte aussehen?

■ Welche Botschaft will ich vermitteln?

■ Was ist dabei mein Ziel?

■ Wie oft will ich mein Vorhaben umsetzen?

■ Welche Unterstützung brauche ich dazu?

Beispiel für eine „Checkliste“ für Multiplikator/-innen:

© Light Impression - Fotolia.com

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■ Der rote Faden

Abfrage der ErwartungenDen Referent/-innen war es wichtig, die Wün--sche und Erwartungen der TN in die Themen-arbeit aufzunehmen und sich flexibel denBedürfnissen der Gruppe anzupassen. Über dieThemen hinweg äußerten die TN ein generel-les Interesse an Faktenwissen (v. a. zu gesun-der Ernährung und Nikotin). Darüber hinauswurde der Wunsch nach persönlichen Erfah-rungen geäußert, aber auch ausdrücklich for-muliert, dass man Ideen erhalten wolle, wiedie einzelnen Themen vor Ort in der Sucht-Selbsthilfe umgesetzt werden könnten.

Salutogenese und Worklife-BalanceFragen wie: Was bedeutet Gesundheit allge-mein? Was bedeutet Gesundheit für mich per-sönlich? Welchen Stellenwert haben mein körper-liches Wohlbefinden / meine Arbeit / meinsoziales Umfeld / mein psychisches Wohlbefin-den … für mich? Welche Werte bestimmen meinLeben etc.? durchzogen die Workshops und wur-den in unterschiedlichen Variationen behandelt.

Die Ergebnisse einer Kleingruppenarbeit zumThema „Salutogenese – Was hält michgesund?“ zeigen beispielhaft die Vielfalt derSichtweisen und die Diskussionsfreude der TNauf, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

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BGesundheitsförderungpraktisch

Die Workshopreihe und ihre Inhalte

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Genießen können Etwas zu genießen fällt vielen Menschenschwer. Suchtkranke haben sogar oft besonde-re Probleme damit, weil ihr Gefühl für das, wasihnen „gut tut“ während der akuten Suchtpha-se verlorengegangen ist. Das Suchtmittel hatscheinbar alle Bedürfnisse erfüllt.

Genießen zu können, sich Ruhe zu gönnen,Geschmäcker, Geräusche, Farben, Gefühle inten-siv erleben zu können, kann aber wieder erlerntwerden. Und wenn es gelingt, sich an verschie-denen „kleinen“ Dingen zu erfreuen, sich zubelohnen, sich zu entspannen, verlieren Ersatz-mittel (Tabak, Schokolade, Torte o. ä.) an Bedeu-tung. Etwas zu genießen heißt, sich mit allenSinnen einer Sache oder einem Ding zuzuwen-

den: Hören, Schmecken, Sehen, Tasten, Riechenund das „Bauchgefühl“ spielen zusammen. Wel-che Situationen, welches Essen, welche Musiketc. ich wirklich genieße, kann ich dabei nurselbst herausfinden, da Genuss individuell undpersönlich ist.

In Kleingruppen wurde erarbeitet, was „Genuss“eigentlich bedeutet: Dabei wurde klar, dass esum intensives Erleben und Wohlfühlen vonhoher Qualität geht. Man geht beim Genießenganz im Hier und Jetzt auf und ist „ganz beisich“. Genuss hat darüber hinaus etwas mit Ent-schleunigung, Zeit haben und Entspannung zutun. Oft baut sich auch Vorfreude auf, die eben-falls bereits genossen werden kann. Wenn mangenießt, belohnt man sich selbst und tut sich

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„Psychische Gesundheit“bedeutet …

■ Antrieb haben■ mit sich selbst im Ein-

klang/Gleichgewicht sein■ Konfliktbewältigungs-

strategien konstruktiv einsetzen

■ Geben und Nehmen in einer Balance

■ Einen Sinn im Leben sehen■ Eigenverantwortlich aktiv

werden können■ Sich selbst bewusst

wahrnehmen■ Grenzen setzen können

und eigene Grenzen akzeptieren

■ Sich selbst lieb haben■ Gesunder Egoismus■ Selbstwert

„Salutogenese – Was hält mich gesund?“Gesundheit ist für mich …

■ Radfahren, Wandern■ Bewegung jeder Art■ fit sein■ Ernährung■ abstinent leben■ Ausgeglichenheit■ innere Ruhe■ körperlich-seelischer

Einklang; körperlich-geistiges Wohlempfinden

■ Zufriedenheit■ Sauna, Wasser■ Happiness■ was nicht krank macht■ eine spannende Auseinan-

dersetzung mit meinemLeben

■ Lachen, fröhlich sein■ nie aufhören zu lernen

„Soziale Gesundheit“ bedeutet …

■ Bindungsfähigkeit■ Bereitschaft des Menschen,

dass er sich wohl fühlen darf■ Streitkultur■ Gewaltfreie Kommunikation■ Toleranz, Akzeptanz■ Integrationsfähigkeit■ Interesse an den

Mitmenschen■ „einen eigenen Platz“

finden und einnehmen■ in verschiedenen Situa-

tionen leben können■ die eigenen Kompetenzen

kennen und entsprechendeinsetzen können

■ Verantwortung überneh-men und Verantwortungabgeben können

■ Ein soziales Netz haben■ Ethische/religiöse/

moralische Werte haben.

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etwas Gutes. Auf jeden Fall muss man sich Zeitnehmen und versuchen, sich zu entspannen, umalle Sinne wach auf das zu Genießende ausrich-ten zu können.

So unterschiedlich wie die Menschen sind, soabwechslungsreich ist auch, was sie besondersgenießen: So genießt manch einer beispiels-weise Ruhe, die Natur, Farbenspiele. Anderegenießen alles, was ein besonderes „Aha-Erleb-nis“ produziert (z. B. Urlaub, Reisen, Abenteu-er, Hobbys, Spiele, Fliegen). Der Nächste liebtes, sich bei Sport und Bewegung richtig auszu-powern, während der andere besser entspannt,wenn er ein Buch liest, Musik hört oder ins

Theater geht. Begegnungen mit Menschen,Gemeinschaft, Feiern und Gespräche können,genauso wie Berührungen, Kitzeln und Sexua-lität, Quelle von „Genuss“ sein. Außerdemgenießen wir es, wenn wir Erfolg haben undAnerkennung erfahren oder wenn Vertrauen inuns gesetzt wird.

Genuss hat zu tun mit Maßhalten, damit, sichbewusst zu steuern, aus dem Alltag für einenkurzen Moment oder einen längeren Zeitraumherauszutreten und seine Sinne gezielt auszu-richten. Oft erfordert es anfänglich Mut undÜberwindung, sich auf das bewusste Genießenvon etwas einzulassen.

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Genießen lernenWie lässt sich ein „Genusstraining“ in der Sucht-Selbsthilfe einbauen? Während der Gesprächein den Workshops wurden verschiedene Ideengesammelt. So fiel auf, dass viele Gruppenmit-glieder gerne über ihr Hobby reden. Solche indi-viduellen „Genusserlebnisse“ können guteAnknüpfungspunkte sein für Fragen wie „Wastut mir gut? Was genieße ich?“ (Beispielsweiseberichteten Workshop-TN von einer Pilgerwan-

derung auf dem Jakobsweg und vom Hobby des„Kreativen Schreibens“). Die in vielen Gruppenbereits vorhandenen Kreativ-Angebote könnenbewusst um den Aspekt des „Genießens undEntspannens“ während der Tätigkeiten erwei-tert werden. Spezielle „Genusserlebnisse“ kön-nen eingeführt werden, z. B. Gestaltung einerWohlfühlatmosphäre im Gruppenraum, Erlebeneines Barfuß-Pfades, „die Schokoladenmeditati-on“ (siehe S. 49) oder Ähnliches.

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gen im Gruppenalltag bzw. für Gruppenak-tivitäten?

3. Verband – Wie können die Projektinhalte inder Region oder dem Verband bekanntgemacht und langfristig verankert werden?

Verankerung auf Verbandsebene1

Zwei Aspekte sind auf Verbandsebene entschei-dend: (1) Information und (2) Schaffung dauer-hafter Strukturen. Über das Projekt und dieWorkshopinhalte zu informieren gelingt überVorstellungen bei Leitertreffen und Mitglieder-versammlungen, auf Fachtagungen, über Ver-bandszeitungen und die Homepage. Referent/-innen können für Vorträge eingeladen werden,Informationsmaterialien selbst erstellt, aberauch bestellt und ausgeteilt werden. Zur Finan-zierung gesundheitsfördernder Maßnahmen stel-len beispielsweise Krankenkassen Gelder bereit.

Die langfristige Verankerung des Themas „Ge-sundheitsförderung“ in den Verbänden erforderteine kontinuierliche Befassung mit den Inhalten.Punktuelle Veranstaltungen bleiben schnellohne Konsequenzen und verlaufen leicht imSande. Es gilt vielmehr dauerhafte Strukturen zuschaffen und Multiplikatoren zu finden, die dasThema immer wieder ins Bewusstsein rufen undauf überregionaler Ebene auf die Tagesordnungsetzen. Eine Aufnahme des Schwerpunkts „Ge-sundheitsförderung“ in die Schulungen für Grup-penleiter und die Ausbildung zum „FreiwilligenSuchtkrankenhelfer“ stellen hier gute Möglich-keiten dar. In den verbandsinternen Arbeitsgrup-pen wurde – angepasst an die Bedürfnisse undMöglichkeiten des jeweiligen Verbandes – anersten Maßnahmen für eine langfristige Veranke-rung der Projektinhalte gearbeitet (Erstellungvon Materialien, Seminarplanungen, Aktionsplä-ne …). Eine Weiterführung der Arbeitsgruppen über das Projektende hinaus wird dabei als sinn-voll erachtet.

Motivierung / Weg der kleinen SchritteDas Wissen darum, dass Verhaltensänderungennicht einfach anzustoßen sind und die Motivati-on schnell nachlassen kann, führt zu der zentra-len Botschaft, dass man das Ziel der „Sucht-Selbsthilfeoptimierung durch Gesundheitsförde-rung“ nur über einen „Weg der kleinen Schritte“erreichen kann. So wurde in den Workshopsimmer wieder das Thema „Motivation“ aufgegrif-fen, Methoden der motivierenden Gesprächsfüh-rung erarbeitet und darauf geachtet, dass Ziel-setzungen immer auf ihre Realisierungsmöglich-keiten hin abgeschätzt werden, um frustrierendeErlebnisse möglichst zu vermeiden.

Auf der anderen Seite wurde den TN ermöglicht,die Inhalte am eigenen Leib zu erfahren (Ent-spannungsverfahren, Bewegungselemente,Selbsterfahrungselemente zum Thema „Ge-nuss“), um die persönliche Motivation zu stei-gern als Multiplikator aufzutreten. Nur Men-schen, die selbst für eine Sache Feuer gefangenhaben, können ansteckend auf andere wirken.

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Es gibt nicht nur ansteckende Krankheiten, es gibt auch ansteckendeGesundheit. (Kurt Hahn)

Sammlung konkreter Umsetzungsvorschläge Ein Ziel der Workshops war es, Ideen zu sam-meln, wie das Thema „Gesundheitsförderung“in der Sucht-Selbsthilfearbeit eingeführt, bzw.dort, wo bereits Ansätze vorhanden sind, ver-tieft und langfristig verankert werden kann.Dabei galt es stets, verschiedene Ebenen zubetrachten, die unterschiedliche Methodenund Umsetzungsstrategien erfordern:1. Einzelperson – Wie kann der Einzelne sein

Verhalten ändern?2. Gruppe – Wie kann das Thema in der Grup-

pe eingeführt und bearbeitet werden? Wel-che konkreten Ideen gibt es für Veränderun-

1Da die Umsetzungsvorschläge auf der Person- undGruppenebene für die drei Themenbereiche unterschied-lich sind, werden sie an späterer Stelle in den Workshop-Beschreibungen dargestellt.

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■ „Rauchfrei leben“

Teilnehmende (TN) und Mitarbeitende in derSucht-Selbsthilfearbeit verfügen über Exper-tenwissen und einen großen Erfahrungsschatzzum Thema „Sucht“, auf den genauso wie beiden Themen „Alkohol“ oder „Medikamente“auch bei der Auseinandersetzung mit demRauchen zurückgegriffen werden kann. DerWorkshop „Rauchfrei leben“ wurde insgesamtvier Mal durchgeführt (Ost/West/Nord/Süd),davon zweimal von Albrecht Aupperle (Dipl.-Sozialarbeiter/Coach, Hiddenhausen) undzweimal von Heinz-Willi Lahme (Dipl.-Sozialar-beiter, Bad Fredeburg).

sibilisierung für das Thema auch in der Sucht-Selbsthilfe ein Umdenken statt.

Rauchen und Alkoholismus Wie wichtig das Thema „Rauchfrei leben“ gera-de in der Sucht-Selbsthilfe ist, zeigt sich daran,dass überproportinal viele der Mitglieder inder Sucht-Selbsthilfe (nämlich 48%) rauchen(vgl. verbandsübergreifende Erhebung der fünfVerbände, 2006). Es überrascht daher nicht,dass viele abstinent lebende Alkoholiker anden Folgen ihres Tabakkonsums ernsthafterkrankt sind. Darüber hinaus sind negativeWechselwirkungen zwischen Rauchen undAlkohol bekannt: So steigert Rauchen die Emp-fänglichkeit für Alkohol(missbrauch) und Alko-hol begünstigt einen höheren Tabakkonsum.

Rauchstopp und Sucht-Selbsthilfe Konkrete Angebote zur Tabakentwöhnung gibtes jedoch in der Sucht-Selbsthilfe bisher nurvereinzelt, obgleich eine systematische und flä-chendeckende Thematisierung der Problema-tik mit entsprechenden Angeboten überaussinnvoll wäre. Denn internationale Studien zei-gen, dass die persönliche Unterstützung durchAngehörige, Freunde und Bekannte oder eineGruppe äußerst effektiv ist und einen erhebli-chen Anteil am Erfolg einer Tabakentwöhnunghat (vgl. Farke, 2004). Immerhin sind rauch-freie Gruppentreffen in vielen Gruppen inzwi-schen Standard.

In den öffentlichen Debatten um rauchfreieSchulen, Arbeitsplätze usw. zeigt sich zudem,dass neben der individuellen Motivation dieFormulierung kollektiver, gemeinsamer Zielesehr wirksam und hilfreich bei der Förderungder Abstinenz sein kann. Selbsthilfegruppenbieten somit ein ideales, niedrigschwelligesForum, um abstinenzmotivierte Raucher zuerreichen. Nach der Erfahrung vieler Gruppenist „Rauchen“ jedoch andererseits ein Reizthe-ma, besonders dann, wenn eine nichtrauchen-de Person das Thema in die Gruppe einbringt.

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„Mit dem Rauchen aufzu-hören ist die einfachsteSache der Welt. Ich habe esschon 100 Mal ausprobiert“.

(Mark Twain)

Einführung

Fakten zum Tabakkonsum Durch Rauchen verursachte Gesundheitsschä-den nehmen in Deutschland eine Spitzenpositi-on ein: Jährlich sterben rund 140.000 Men-schen an den Folgen ihres Tabakkonsums (DHS,2006). Die Kosten, die durch das Rauchen unddie damit verbundenen gesundheitlichen Pro-bleme resultieren, sind enorm hoch. Da nebenden Gefahren durch das Rauchen auch dieGefahren des Passivrauchens zunehmend in dasgesellschaftliche Bewusstsein getreten sind, istein Einstellungswandel zu verzeichnen, dernicht zuletzt in den ausgesprochenen Rauchver-boten in öffentlichen Einrichtungen deutlichwird. Während in der Sucht-Selbsthilfe langeZeit die Meinung vorherrschend war, Tabakab-hängigkeit sei im Vergleich zu den anderenSüchten von geringerer Bedeutung, findet nichtzuletzt durch diese gesamtgesellschaftliche Sen-

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sinkt zwar, der Tabakindustrie gelingt esjedoch weiterhin, die Gefährlichkeit des Rau-chens herunterzuspielen.

Wirkungsweise Wissenswertes aus der Biologie und Pharmako-logie zur Wirkweise der „schnellsten Droge derWelt – Tabak“ (Nikotin ist bereits 7 Sekundennach der Inhalation im Gehirn nachweisbar)machten deutlich, wie schädlich der Einflussvom Rauchen auf den menschlichen Körper ist.Angesprochen wurden beispielsweise der schä-digende Effekt der einzelnen Inhaltsstoffe (neben Nikotin auch Schwermetalle, Geschmacks-verstärker etc.) und die Langsamkeit der Abbau-prozesse (Nikotin braucht etwa zwei Wochen bisdrei Monate, um vom Körper abgebaut zu wer-den). Dabei wurde auch auf die gesundheitli-chen Risiken des Passivrauchens eingegangen,die in manchen Gutachten als noch höher alsbeim Rauchen eingeschätzt werden.

Vorteile des Nichtrauchens Kehrt man die Sichtweise um – weg von denRisiken des Rauchens hin zu den Vorteilen desNichtrauchens für den Organismus, so lassensich diese eindrücklich veranschaulichen: 20Minuten nach dem Rauchstopp normalisiert

Stolpersteine Sich mit dem Thema „Tabakabhängigkeit“ inden Selbsthilfegruppen zu befassen, ist dahernicht ganz unproblematisch: Zunächst erhof-fen die Hilfesuchenden wegen anderer Sucht-mittel Unterstützung, so dass die Beschäfti-gung mit diesen Suchtmitteln im Vordergrundsteht. Die Vorstellung, nunmehr auch nochauf das Rauchen verzichten zu sollen – daszudem über hohes Suchtpotential verfügt –erscheint vielen Suchtkranken als „Zuviel desGuten“, so dass sie ihren Tabakkonsum (-zunächst) nicht einschränken oder aufgebenwollen. Manche Raucher haben auch schoneinige fehlgeschlagene Abstinenzversucheunternommen und unterschätzen daher ihreSelbstwirksamkeit hinsichtlich eines erfolgrei-chen Rauchstopps.

Erwartungen der Teilnehmenden

Die TN formulierten eine Bandbreite vonErwartungen: So äußerten sie sowohl denWunsch, generelles Wissen über Nikotinabhän-gigkeit (Theorie und Fakten; generelle Informa-tionen zu Möglichkeiten der Nikotinentwöh-nung) zu erlangen, stellten aber auch Anforde-rungen an die Referenten, die darauf hinwei-sen, dass sie bereits „Experten“ im Bereich derSucht sind („Rauchen als Suchtverlagerung?“).Zudem erhofften sich einige (rauchende) TNpersönliche Impulse mit möglichst konkretenTipps („Wohin mit den Händen?“). Schließlichwünschten einige TN ein Aufgreifen der The-men Prävention und Rückfallvermeidung.

Theorie – Daten und Fakten2

VerbreitungDie Referenten informierten die TN in Vorträ-gen über die aktuellen Daten und Fakten zumTabakkonsum in unserer Gesellschaft, u. a. imVergleich zu anderen Suchtmitteln (suchtbe-dingte Todesfälle pro Jahr: Drogen 1.500 /Alkohol: 42.000 / Tabak: 110.000-140.000).Die gesellschaftliche Akzeptanz des Rauchens

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2Anmerkung: Es existieren unzählige Bücher, Broschürenund Internetseiten, die Informationen zum Rauchen undzur Raucherentwöhnung in hervorragend aufbereiteterForm liefern. In diesem Handbuch wird daher nur einekleine Auswahl an Daten und Fakten zur Verdeutlichungder Workshopinhalte getroffen. Für weitere Informationensei auf S. 38 verwiesen.

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sich der Blutdruck, nach acht Stunden ist daseingeatmete Kohlenmonoxid durch Sauerstoffersetzt, nach einem Tag beginnt das Herzinfarkt-risiko zu sinken, nach einem Monat verbessertsich die Farbe und Spannkraft der Haut, nachdrei Monaten hat sich die Lungenfunktion umca. 30 % verbessert. Ein Jahr nach Ende desNikotinkonsums hat sich das Herzinfarktrisikohalbiert und nach fünf Jahren hat sich auch dasLungenkrebsrisiko halbiert. (Normalerweise istdas relative Risiko von Rauchern, an Lungen-krebs zu erkranken nämlich 22x so hoch wie inder Bevölkerung; Raucher machen 90 % allerLungenkrebspatienten aus.)

Suchtverhalten Der Nikotinkonsum von Rauchern variiert breit– so greifen „Genussraucher“ nur ab und zu zurZigarette, massiv rauchende „Suchtraucher“hingegen leeren mehrere Schachteln am Tag.Besprochen wurden die Merkmale des süchti-gen Verhaltens (wie Regelmäßigkeit, ein dau-erhaftes Verlangen, stets Vorrat haben, Angstvor Entzug) und die Funktion von Rauchen fürden Raucher. Auch auf Unterschiede zwischenRauchen und Trinken (z. B. Konsum in kleinenMengen: Genussrauchen ist schädlich, Genus-strinken nicht) wurde eingegangen.

Diagnostik und Therapie von Tabakabhängigkeit Die Referenten stellten bestehende Verfahrenzur Ermittlung einer Tabakabhängigkeit vor (z.B. den Fagerström-Test) und informierten überverschiedene Möglichkeiten zur Tabakentwöh-nung. Systematisch wurden verschiedenemethodische Grundsätze der Entwöhnung von-einander abgegrenzt (u. a. Verhaltenstherapie,Musterunterbrechung, Nikotinersatztherapie,Beratung) und einzelne wissenschaftlich fun-dierte Programme vorgestellt („das RauchfreiProgramm in 7 Schritten“, „Nichtraucher in 6Wochen“ und „Smoke Stopp – 12-tägiges Ent-wöhnungsprogramm“). Alternative Methodenund deren Heilversprechen wurden bewertetund diskutiert (z. B. Hypnose, Akupunktur).

SelbstmanagementAls wichtige Fertigkeiten beim Rauchstopp wur-den Selbstmanagementtechniken herausge-stellt: Wie kann ich meine vertrauten (Rauch-)Verhaltensmuster unterbrechen und alternativeMuster entwickeln? Wie kann ich Rückfallrisikenvermeiden und was mache ich, wenn es doch zueinem „Ausrutscher“ gekommen ist?

Erfahrungsaustausch / Selbstreflexion: Dem Erfahrungsaustausch kam in allen Work-shops eine zentrale Rolle zu. Beim Thema„Rauchen“ entbehrte er, wie bereits erwähnt,nicht einer gewissen Brisanz: Langjährige Rau-cher/-innen und überzeugte Nicht-Raucher/-innen trafen aufeinander. Die Antworten aufden folgenden unbeendeten Satz zeigen dieaufeinandertreffenden Sichtweisen: „Rauchenist für mich pure Entspannung, … eine lästigeAngewohnheit meiner Freunde, … totalerSchwachsinn, … ein bewältigtes Laster.“

Mit dem Spruch „Es geht nicht darum, Raucherzu diskriminieren, sondern das Rauchen“wurde immer wieder an die zentrale Bedeu-tung eines wohlmeinenden Umgangs mitein-ander erinnert. In der Tat gelang es den TN inden meisten Workshops auch gut, sich in dieandere „Partei“ hineinzuversetzen und trotzaller unterschiedlichen Auffassungen wert-schätzend miteinander umzugehen.

Vor- und Nachteile des Rauchens bzw. des Nichtrauchens Der Erfahrungsaustausch war bewusst so kon-zipiert worden, dass nicht nur die Nachteiledes Rauchens und die Vorteile des Nichtrau-chens gegeneinander aufgerechnet wurden,was schnell zu einem Klima des „erhobenenZeigefingers“ ausarten kann. Vielmehr wurdegezielt auch die Auseinandersetzung mit denpositiven Effekten des Rauchens und denNachteilen des Nichtrauchens gesucht. (EinAusschnitt aus den Gesprächsbeiträgen der TNfindet sich in der folgenden Auflistung.)Wie subjektiv die Bewertung des Rauchens bzw.

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Nichtrauchens ist, zeigt die Einordnung von „Ge-nuss und Entspannung“: Während manche Per-sonen diesen Zustand des Wohlbefindens durch

das Rauchen erreichen, halten andere Genussund Entspannung gerade dann für erreichbar,wenn sie Nichtraucher sind.

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Vor- und Nachteile des Rauchens bzw. des Nichtrauchens

Vorteile

■ Entspannung,Beruhigung

■ (zusätzliche Pausenhaben; Zeit fürmich; Denkpausen

■ die eigene Gefühlemanipulieren

■ Ablenkung, Zeitver-treib

■ Gefühl des „Luxus“,sich etwas leistenzu können

■ Genuss

■ schneller Kontakt-aufbau zu anderenRauchern, Kontakt-pflege

■ Gemütlichkeit /Geselligkeit, Kom-munikation

■ Appetitzügler,macht schlank

■ Verdauung anregend

■ aufputschendeWirkung

■ der Staat hat mehrEinnahmen

■ Diskriminierung derRaucher, Rauchver-bot; Spaltung derGesellschaft

■ Gesundheitsschä-digung; Krebsrisiko;Raucherhusten;Hautalterung

■ Abhängigkeit

■ Schädigung desVolkseinkommens;erhöhte Kranken-kosten für den Staat

■ Tabak ist teuer

■ gestärktesSelbstwertgefühl

■ unabhängig, nichtunter Zwang stehen

■ mehr Zeit, mehrFreizeit

■ mehr Sex■ Vorbildfunktion■ Genuss und Ent-

spannung, ruhigere,ausgeglichenereLebensweise

■ kein schlechtesGewissen gegenü-ber Passivrauchern

■ saubere Luft■ angenehmerer

Geruch

■ bessere Gesundheit,niedrigeresErkrankungsrisiko,langes Leben

■ Geschmackssinngestärkt

■ mehr „Luft“ beimBewegen

■ Geldersparnis

■ neidisch auf dengenießerischenRaucher

■ übergangsweiseschlechte Laune,Gereiztheit

■ weniger sozialeKontakte;Ausgrenzung

■ mögliche Suchtver-lagerung (Gewichts-zunahme)

Nachteile Vorteile Nachteile

Rauchen Nichtrauchen

Psychisch-Emotionaler Bereich:

Sozialer Bereich

Körperlicher Bereich

Materieller / finanzieller Bereich

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Gruppenebene – Sensibilisierung Das hochemotionale Thema „Rauchstopp“ indie Gruppe einzubringen erfordert, wie mehr-fach erwähnt, einiges an Fingerspitzengefühl.Die TN formulierten einige zentrale Botschaf-ten, die beachtet werden müssen, um das heik-le Thema sinnvoll in der Gruppe bearbeiten zukönnen: Zunächst muss jede Gruppe individuellentscheiden dürfen, ob sie sich mit dem Thema„Rauchfrei leben“ überhaupt befassen will odernicht. Dann sollte für das schwierige Themageworben werden – man darf nichts erzwingen

wollen. Das heißt, dass das Thema positiv ein-gebracht werden sollte und keine Wertungenund Angriffe vorgenommen werden dürfen.Informationen müssen vorsichtig und sensibelformuliert werden, wertfrei und nicht „moralin-sauer“. Ganz zentral ist, dass keine „Jagd“ aufRaucher gemacht werden darf. Nicht der Rau-cher ist zu diskriminieren, sondern das Rau-chen. Für Nichtraucher heißt das, dass sie ihreHaltung den Rauchern gegenüber kritisch über-prüfen sollten. In erster Linie geht es um einenwertvollen Menschen. Das Suchtproblem ist

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Personebene Wie der Einzelne es schafft, mit dem Rauchenaufzuhören und welche Ratschläge in Entwöh-nungsprogrammen dazu gegeben werden, sollhier nicht im Einzelnen aufgeführt werden. DieIdeen, die die TN dazu in Kleingruppenarbeitsammelten, reichten von Ablenkung (Bewe-gung, Entspannungsmethoden, Gebet, Hobbys),über Ersatz (oraler Ersatz z. B. Rohkost; Nikotin-pflaster) bis zu mentalem „Training“ (bewussteVerabschiedung vom Rauchen, Genusstraining,

Gedankenstopp sowie verhaltenstherapeutischeÜbungen, z. B. um die Koppelung Kaffee/Niko-tin zu lösen). Prinzipiell kann es eine hilfreicheMethode sein, diejenigen Gruppenmitglieder zuWort kommen zu lassen, die bereits mit demRauchen aufgehört haben: Von den Workshop-TN haben einige mit einer bewussten Entschei-dung (z. B. aufgrund einer Schwangerschaft)aufgehört zu rauchen, andere haben sich Vorbil-der gesucht oder sich selbst kleine erreichbareZiele gesetzt und sich belohnt.

Umsetzung und Verankerung der Workshopinhalte

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zweitrangig. Schließlich muss das eigene (Vor-bild-)Verhalten überdacht werden. Die Grup-penbegleiter/-innen sollten – wenn sie selbstRaucher sind – ihre Rauchutensilien währenddes Gruppengespräches nicht offen zeigen, z. B.Zigarettenpaket / Feuerzeug neben den Unter-lagen oder in der Hemdtasche.

Bedenkenswert ist auch die Tatsache, dass Rau-cher und Nichtraucher andere Voraussetzungenmitbringen, um das Ziel „Rauchstopp!“ in denGruppen thematisieren zu können. Diese Unter-schiede kann man positiv nutzen. So können ins-

besondere Raucher, die aufhören möchten, dasThema in die Gruppe tragen, indem sie dieanderen Gruppenmitglieder darum bitten, deneigenen Prozess vom Rauchen zum Nichtrau-chen zu unterstützen. Alternativ könnten Rau-cher und Nichtraucher gemeinsam ein Team bil-den, um das Thema in der Gruppe zu behan-deln, weil sich dann alle TN solidarisieren kön-nen. Ein weiterer vorgeschlagener Weg bestehtdarin, über das Thema „Gesundheitsförderungim Allgemeinen“ und „Salutogenese“ einzustei-gen und sich nach und nach an das Thema „we-niger Rauchen“ heranzutasten.

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Gruppenebene – konkrete Ideen Besondere Themenabende, zu denen auch exter-ne Referent/-innen eingeladen werden können,dienen zur Vertiefung der Thematik. Flyer, Bro-schüren und anderes Material helfen, über Rau-chen und Raucherentwöhnungsprogramme zuinformieren. Bekunden dann TN den Wunsch, inder Tat mit dem Rauchen aufzuhören, kann über-legt werden, vorhandene Entwöhnungskurse, dieregional angeboten werden, zu besuchen, oder –wenn mehrere Personen interessiert sind – selbsteinen Referenten / eine Referentin für einenKurs einzuladen. Auch eine zusätzliche „Raucher-selbsthilfegruppe“ kann sinnvoll sein, wenn aus-reichend viele Gruppenteilnehmer/-innen ihrRauchverhalten ändern möchten. Mit Veränderungen der Gruppenregeln, die

natürlich mit allen gemeinsam diskutiert wer-den sollten, können die abstinenzwilligen Rau-cher von allen unterstützt werden. So solltenalle Veranstaltungen der Sucht-Selbsthilfegrundsätzlich rauchfrei angeboten werden. (Auch kann man durch eine veränderte Wort-wahl Veränderungen bewirken – z. B. „Regene-rationspause für alle“ statt „Raucherpause“).Ein Vorschlag – den man sicherlich kontroversdiskutieren kann – folgt dem Prinzip „SteterTropfen höhlt den Stein“: Man könnte einSchild an den Gruppenraum hängen mit derAufschrift: „Auch Rauchen ist eine Sucht“. Dar-über hinaus kann man sich mit der Frage aus-einandersetzen, wie die Zeit, die vorher mitdem Rauchen verbracht wurde, nun alternativgenutzt werden kann.

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Dass alle Diskussionen in einer wertschätzen-den Atmosphäre stattfinden müssen, die dieTN mit einbezieht und ihnen nichts aufdrückt,sollte dabei selbstverständlich sein. Der Info-brief 4 (vgl. S. 74) gibt gute Anregungen fürdas Gruppengespräch. Entspannungsübungenkönnen in jeden Gruppenabend eingebautwerden.

Infomaterialien; weiterführende Literatur; Adressen

Internetadressen ● www.iprevent.de (Homepage des Referen-

ten Albrecht Aupperle)● www.bbs-ev.de/heinz-willi_lahme.php

(Homepage des Referenten Heinz-WilliLahme)

● www.bzga.de (Bundesgesundheitszentralefür gesundheitliche Aufklärung)

● www.rauchfrei-info.de● www.medizin.uni-tuebingen.de/ukpp/akr

(Arbeitskreis Raucherentwöhnung der UniTübingen)

● www.dkfz.de (Deutsches Krebsforschungs-zentrum)

Empfehlenswerte Infobroschüren und Materialien● DHS-Info Tabakabhängigkeit (www.dhs.de)Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklä-

rung (BZgA): „Das Rauchfrei Programm“ (6Sitzungen mit Trainer); wird über Kran-kenkassen angeboten und finanziellunterstützt

● SmokeStopp: 12-tägiges Tabakent-wöhnungsprogramm in Bad Frede-burg (www.smokestopp.de)

● „Rauchen oder Nichtrauchen?“ Leitfadenfür Gruppen; (www.bkk.de)

● Viele Krankenkassen bieten gute Informa-tionen und Materialien

● Zahlen, Fakten und Trends jeweils im aktu-ellen „Jahrbuch Sucht“ der DHS

Telefonberatung● unter 01805/892031 (Bundeszentrale für

gesundheitliche Aufklärung; BZgA)● unter 06221/424200 (Deutsches Krebs-

forschungszentrum)

Weiterführende Literatur:● Batra, A., Buchkremer, G. (2008). Nichtrau-

chen! Erfolgreich aussteigen in 6 Wochen.Stuttgart: Kohlhammer.

● Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklä-rung (Hrsg.): Ja, ich werde rauchfrei!;Bestellnummer.: 31 350 000

● Lindinger, P. (2004). Nichtrauchen undtrotzdem schlank. Frankfurt: Fischer.

● Mohl, H. (1995): Rauchen, der erfolgreicheAusstieg. Berlin: Springer.

● Rihs, M. & Lotti, H. (1995). Frei vom Rau-chen. Gezielt aufhören – und das Leben neugenießen. Bern: Hans Huber.

● Unland, H. (2000). Der Raucher-Ratgeber:Nichtraucher werden und bleiben. Mün-

chen: CIP Medien.

Sonstiges● Die Krankenkassen bilden Trai-ner für Raucherentwöhnungskurseaus; die Schulungen dauern 3-5Tage und wenden sich an Perso-

nen, die aus pädagogischen odermedizinischen Berufsfeldern kommen.

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Page 39: Sucht-Selbsthilfe – ein Ort für Gesundheitsförderung · So lange Alkohol die Nr. 1 ist, ist alles andere zweitrangig. Sogar die Gesundheit. Selbstverständlich, auch wenn die

ren, zielt eine bewusste, ausgewogene Ernäh-rung auf mehr: Der Organismus benötigt eineausgewogene Mischung an Nährstoffen. DerGeist benötigt Phasen des Innehaltens undGenießens. Schmackhaftes gesundes Essen inpassender Atmosphäre lädt zum Genießen ein.Im Workshop geht es also nicht um „Abneh-men“, sondern in erster Linie um den Beitrag,den ausgewogenes, gesundes Essen für dasganzheitliche Wohlbefinden leistet.

Zentrale Botschaften aus dem Workshop: „Esgibt keine schlechten Lebensmittel, es kommtauf die Menge an.“; „Ich darf alles essen – ichmuss auf nichts verzichten“; „Niemand machtim Rahmen seiner Ernährung alles falsch!Wichtig ist herauszufinden, was jemand richtigmacht. Dies gilt es zu verstärken.“Der Verzicht bzw. das Maßhalten werden oftmit negativen Gefühlen assoziiert. Anderer-seits kann Verzicht aber auch zu Freiheit füh-ren. In den Diskussionen wurden von den TN z. B. folgende Gedanken formuliert:

■ „Gesunde Ernährung“Eine ausgewogene Ernährung fördert das allge-meine und psychische Wohlbefinden und diekörperliche Gesundheit. Da suchtkranke Men-schen auch in Zeiten der Abstinenz häufig zuFehl- oder Mangelernährung neigen, ist es sinn-voll, dem Thema „gesunde Ernährung“ eine grö-ßere Beachtung in der Sucht-Selbsthilfe zukom-men zu lassen. Besonders vor dem Hintergrundvon Essstörungen mit suchtverlagernder Ten-denz kommt dem Ernährungsverhalten Sucht-kranker eine große Bedeutung zu.Der Workshop wurde viermal durchgeführt,zweimal von Birgit Blumenschein (Diätassi-stentin, Dipl.-Medizinpädagogin, Münster) undzweimal von Silke Kröger (Dipl.-Ernährungswis-senschaftlerin, Göttingen).

Einführung

„Gesunde Ernährung“ und „Genuss“ – ein Widerspruch? Die „Gesunde Ernährung“ ist ein Themenkom-plex, der widersprüchliche Gefühle hervorruft.Eigentlich ist es ein Leichtes der allgemeinenAussage zuzustimmen, dass es wichtig sei, sichgesund zu ernähren. Andererseits entstehtschnell ein negativer Beigeschmack, wenn vongesunder Ernährung gesprochen wird, weil „Er-nährung“ gleich nach „Verzicht auf Genussund Lebensqualität“ klingt. Viele Menschenfühlen sich sofort genötigt, ihr Gewicht und ihrEssverhalten rechtfertigen oder entschuldigenzu müssen. Denn der Begriff „Ernährung“ wirdschnell mit „gesund“ und damit mit „nicht le-cker“ assoziiert, Begriffe wie „Essen“ und „Trin-ken“ hingegen werden eher mit Genuss ver-knüpft. Daher wäre es klüger von „gesundemEssen“ statt von „gesunder Ernährung“ zu spre-chen. Wie auch immer man das Kind nun nen-nen möchte, es gilt, dass gesundes Essen aufjeden Fall mit Lebensqualität zu tun hat!

Gesundes Essen zielt auf mehrAuch wenn sich viele Menschen mit gesunderErnährung befassen, um ihr Gewicht zu reduzie-

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● „Wenn ich etwas loslassen kann, werde ich frei“.

● „Im Verzicht liegt der Gewinn.“● „Es ist gut, dass Ihr nicht satt geworden

seid,“ (Anselm Grün), denn Sattsein kannauch Trägheit mit sich bringen.

● „Ich will Nein-Sagen lernen.“ „Es ist meine freie Entscheidung.“

● „Ich mache mir bewusst, dass ich heuteein bestimmtes Produkt nicht essen muss.Wir haben keinen Mangel. Es gibt wiederdavon.“

Ernährung und AlkoholismusWährend der akuten Suchtphasen ernährensich Alkoholkranke in den meisten Fällen sehrschlecht. Kalorien werden dabei über den Alko-hol zugeführt, starker Vitaminmangel führtmitunter zu massiven Denk- und Gedächtnis-störungen. Auch in Abstinenzzeiten setzt sichdie Mangel- und Fehlernährung häufig fort,weil das Bewusstsein und das „Know-How“ füreine bessere Ernährung fehlen.

Gesunde Ernährung und Sucht-Selbsthilfe Die Sucht-Selbsthilfe hat bislang nur ein wenigausgeprägtes Bewusstsein darüber entwickelt,wie bedeutend eine ausgewogene Ernährung fürdas allgemeine Wohlbefinden und die Fitnesseines Menschen ist. Das „klassische“ Gruppen-treffen baut auf Kaffee und Kekse, gesellige Bei-sammensein nehmen wahlweise die Form von

deftigen Grillabenden oder Tortenschlachten an.Vieles davon basiert vermutlich stärker aufGewohnheiten als auf der bewussten Entschei-dung für das eine oder andere Nahrungsmittel.

Theorie – Unser Essverhalten3

Unser Essverhalten wird durch viele Faktorenbeeinflusst, einige davon sind uns gar nichtmehr bewusst, weil sie von Geburt an schritt-weise und unbemerkt unser Verhalten geformthaben. Bei „falschem“ Essen und ungünstigenGewohnheiten ist es daher sinnvoll, die Hinter-gründe zu durchleuchten und zu verstehen.

Externe Einflussfaktoren auf das EssverhaltenFrüh und sehr prägend wirkt sich die Erziehungund das Vorbild in der Familie auf das Essverhal-ten aus: Wurden die Mahlzeiten in der Familiein Ruhe gemeinsam eingenommen oder suchtesich in Hetze jeder selbst etwas zusammen?Wurde Wert darauf gelegt, dass immer der Tel-ler leer gegessen wurde? Ging „Liebe durch denMagen“ und galt nur als „gutes Kind“, werimmer schön viel aß? Oder stammt jemand aus

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3 Anmerkung: Es existieren unzählige Ratgeber undInternetseiten zur ausgewogenen Ernährung (vgl. Seite48). Im Folgenden wird nur eine kleine Auswahl ausder „Theorie“ zur Verdeutlichung der Workshopinhaltedargestellt.

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der Generation der Kriegskinder und ist mitMangel und Hunger aufgewachsen?

Bei der Reflexion über die eigene „Essverhal-ten-Sozialisation“ wird deutlich, wie das indivi-duelle Verhalten früh geprägt worden ist. Indiesem Kontext sei darauf hingewiesen, dassEssen oft als Erziehungsmittel missbrauchtwird – z. B. als Tröster (ein Bonbon, wenn sichdas Kind weh getan hat) oder als Bestechungs-und Belohnungsmittel („Wenn du … dannkriegst du auch ein Eis.“).

In Gesellschaft isst es sich besser. Kleine Kinderessen z. B. in der Kinderkrippe mit VergnügenGerichte, die sie zu Hause nicht anrühren wür-den oder verweigern ein Lebensmittel, wenn esdie Freunde auch tun; Vorbilder anderer undGruppenzwang beeinflussen genauso Erwach-sene, z. B. wenn sie mit Kollegen in der Kantineessen. Auch die Werbung gibt sich viel Mühe,unser Wahlverhalten zu manipulieren. Schließ-lich bestimmen der Preis der Lebensmittel unddas Zeitbudget, das wir uns für das Kochen unddas Essen zugestehen, unsere Lebensmittelaus-wahl.

Interne EinflussfaktorenNatürlich bestimmt das eigene körperliche undseelische Befinden das aktuelle Essverhalten

und das Geschmacksempfinden. Ausgelaugtvon einer langen Wanderung, kommt mir auchdas angetrocknete Butterbrot wie eine Köstlich-keit vor; bei großem Durst trinke ich so viel, dassmir anschließend schlecht wird; schon wenigFrust lässt mich eine ganze Tüte Chips essen.

Essen mit allen Sinnen Was wir gerne essen und was uns das Wasserim Mund zusammenlaufen lässt, wird zudemdurch Merkmale der Produkte bestimmt: DasAussehen, der Geruch, der Geschmack, aberauch die Konsistenz eines Lebensmittel, lässtes uns mehr oder weniger gut schmecken.Nicht umsonst gibt es den Beruf des „Food-De-signers“, der in den Versuchsküchen der gro-ßen Lebensmittelkonzerne versucht, das „per-fekte Produkt“ herzustellen. (Aber nicht alles,was „gesund und lecker“ aussieht besteht ausden entsprechend gesunden Inhaltsstoffen.)

Hungergefühl und SättigungHunger und Durst sowie Sättigung werdendurch das Gehirn gesteuert. Das Gefühl derSättigung tritt dabei zeitlich etwas verzögertauf, so dass bei schnellem Essen die Gefahrbesteht, dass man mehr isst, als eigentlich zumSattsein nötig ist. Bei Übergewichtigen sinddas Hunger- und das Sättigungsgefühl nichtmehr ausreichend gut ausgeprägt.

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Theorie – Ernährung und Lebensmittelkunde

Aktuelle ErnährungsempfehlungenErnährungsempfehlungen auf der Höhe deraktuellen Erkenntnisse liefern beispielsweisedie Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (dge) oder der aid-infodienst. So hat die dge10 „goldene Regeln“ formuliert, die als Richt-schnur für eine gute Ernährung genutzt wer-den können (vgl. Infobrief 2, S. 66). Die im Folgenden abgebildete Ernährungspy-ramide und der Ernährungskreis stellen Ernäh-rungsempfehlungen bildlich dar. In der Pyra-mide stellen die Lebensmittel und Getränkeim „grünen Bereich“ die Grundlage der Mahl-zeiten dar, sollten also in ausreichenderMenge verzehrt werden. Gelb hinterlegt sindtierische Produkte (Milchprodukte, Fleisch,Fisch), die ergänzend wichtige Nährstoffe lie-fern, allerdings in nicht zu großen Mengen ver-zehrt werden sollten. Rot markiert sindschließlich u. a. Süßigkeiten, die nur in gerin-gen Mengen gegessen werden sollten. DerErnährungskreis zeigt ebenfalls an, wie einegünstige Gewichtung der Nahrungsmittel-gruppen aussieht.

Gemüse wurden Kräuter, Gewürze und Salz,Getreide, Fette und Öle, Nüsse, Milch undMilchprodukte, Fleisch, Fisch und Eier,Getränke und Süßungsmittel besprochen. DieErnährungsexpertinnen wiesen auf Besonder-heiten der Nahrungsmittel hin, die bei einerausgewogenen Ernährung beachtet werdensollten und gaben konkrete Tipps. Schließlichinformierten sie die TN über Bio-Produkteund was dahinter steckt, über Suchtstoffe inNahrungsmitteln (z. B. Geschmacksverstärker,Gewürze, Röststoffe etc.) und gingen auf dasThema Werbung ein.

Tipps und Tricks Die Umsetzung einer Ernährungsumstellungbedarf im Alltag einiger Veränderungen. DieReferentinnen gaben daher z. B. Tipps, woraufman beim Einkaufen achten sollte oder wieman sich das Kochen erleichtert durch Vorrats-haltung und einen vorab erstellten Wochen-

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Kleine Lebensmittelkunde Die Referentinnen stellten den Workshop-TNdie verschiedenen Lebensmittelgruppen vor.Dabei wurden die jeweiligen günstigen undungünstigen Inhaltsstoffe aufgelistet sowiedie Vor- und Nachteile einzelner Zuberei-tungsarten besprochen. Neben Obst und

plan. Getränke sowie Obst und Gemüse wer-den z. B. öfter konsumiert, wenn sie einenhohen „Aufforderungscharakter“ besitzen, z. B.gut sichtbar und zugänglich postiert sowie„nett angerichtet“ werden (z. B. bunter Obst-korb auf dem Tisch, schöne Karaffe).

Quelle: www.aid.de Quelle: www.dge.de

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Ausgewogene Ernährung und GewichtsreduktionAbnehmen funktioniert nicht über „wenigeressen“, sondern über eine ausgewogene Ernäh-rung nach der Ernährungspyramide und wirdunterstützt über die Einhaltung einfacher Verhal-tensregeln. So gibt es leicht zu merkende Regelnwie „Je später der Tag ist, desto kleiner solltendie Mengen sein, die man zu sich nimmt“, oderkleine Tipps: „Wenn man erschöpft und hungrigist, ist es besser erst ausreichend zu trinken unddann erst zu überlegen, was man essen kann. Inder umgekehrten Reihenfolge kann es schnell

der Fall sein, dass man zu viel isst.“ Diätempfeh-lungen und Programme sollten daraufhin abge-klopft werden, ob sie wirklich das Ziel einer nach-haltigen Ernährungsumstellung verfolgen oderob kurzfristige „Heilsversprechen“ womöglichmithilfe teurer Präparate gemacht werden. Inletzterem Fall ist Vorsicht geboten. Die auf denLebensmitteln angegebenen Nährwerttabellenhelfen, den Energiewert, sowie die inhaltlicheZusammensetzung der Lebensmittel abzuschät-zen. Dabei sollte genau die „Portionsgröße“beachtet werden – sie beinhaltet meistens nureinen Bruchteil der Packung.

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Vollwertig essen und trinken nach den 10 Regeln der DGE

1. Vielseitig essenGenießen Sie die Lebensmittelvielfalt. (…)

2. Reichlich Getreideprodukte – und KartoffelnBrot, Nudeln, Reis, Getreideflocken, ambesten aus Vollkorn sowie Kartoffelnenthalten kaum Fett, aber reichlich Vit-amine, Mineralstoffe sowie Ballaststoffeund sekundäre Pflanzenstoffe. (…)

3. Gemüse und Obst – Nimm „5 am Tag“…Genießen Sie 5 Portionen Gemüse undObst am Tag, möglichst frisch, nur kurzgegart, oder auch 1 Portion als Saft –idealerweise zu jeder Hauptmahlzeit undauch als Zwischenmahlzeit. (…)

4. Täglich Milch und Milchprodukte;ein- bis zweimal in der Woche Fisch;Fleisch, Wurstwaren sowie Eier in MaßenDiese Lebensmittel enthalten wertvolleNährstoffe. (…) Mehr als 300 – 600Gramm Fleisch oder Wurst pro Wochesollten es nicht sein. Bevorzugen Sie fett-arme Produkte.

5. Wenig Fett und fettreiche LebensmittelFett liefert lebensnotwendige (essenziel-le) Fettsäuren und fetthaltige Lebensmit-tel enthalten auch fettlösliche Vitamine.(…) Bevorzugen Sie pflanzliche Öle undFette (z. B. Raps- und Sojaöl und daraushergestellte Streichfette). Achten Sie aufunsichtbares Fett, das in Fleischerzeug-nissen, Milchprodukten, Gebäck und Süß-waren sowie in Fast-Food und Fertigpro-dukten meist enthalten ist. Insgesamt 60 – 80 Gramm Fett pro Tag reichen aus.

6. Zucker und Salz in MaßenVerzehren Sie Zucker und Lebensmittel,bzw. Getränke, die mit verschiedenen Zuc-kerarten (z. B. Glucosesirup) hergestellt wur-den, nur gelegentlich. Würzen Sie kreativmit Kräutern und Gewürzen und wenigSalz. Verwenden Sie Salz mit Jod und Fluorid.

7. Reichlich FlüssigkeitWasser ist absolut lebensnotwendig. Trin-ken Sie rund 1,5 Liter Flüssigkeit jeden Tag.Bevorzugen Sie Wasser – ohne oder mitKohlensäure – und andere kalorienarmeGetränke. (…)

8. Schmackhaft und schonend zubereitenGaren Sie die jeweiligen Speisen bei mög-lichst niedrigen Temperaturen, soweit esgeht kurz, mit wenig Wasser und wenigFett. (…)

9. Nehmen Sie sich Zeit,genießen Sie Ihr Essen Bewusstes Essenhilft, richtig zu essen. Auch das Auge isstmit. Lassen Sie sich Zeit beim Essen. Dasmacht Spaß, regt an vielseitig zuzugreifenund fördert das Sättigungsempfinden.

10. Achten Sie auf Ihr Gewichtund bleiben Sie in Bewegung AusgewogeneErnährung, viel körperliche Bewegung undSport (30 bis 60 Minuten pro Tag) gehörenzusammen. Mit dem richtigen Körperge-wicht fühlen Sie sich wohl und fördern IhreGesundheit.

Art.-Nr. 122402 © 2009 www.dge.de

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Erfahrungsaustausch/Selbstreflexion

Meine EssgewohnheitenEin sinnvoller Einstieg in die Beschäftigung mitden eigenen Essgewohnheiten ist es, seinen Spei--seplan einmal genau unter die Lupe zu nehmen.(Was esse ich üblicherweise zu welchen Zeitenund Situationen in welchen Mengen?). Dabei wirdman feststellen, dass das Essverhalten in unsererZeit geprägt ist durch „moderne Trends“, z. B. Fin-gerfood, Convenience-Food, Light-Produkte, dasses darum geht, etwas schnell zubereiten zu kön-nen, auch unterwegs zu essen. Seltener findensich Grundsätze wie „Ich esse, weil ich hungrig bin“oder „Ich höre auf zu essen, wenn ich satt bin.“ Wenn man seinen eigenen Speiseplan miteinem „idealen“ Tagesspeiseplan gemäß denoffiziellen Ernährungsempfehlungen vergleicht,lassen sich gut Ansatzpunkte für sinnvolle Ver-änderungen entdecken. Dabei ist es wichtig,sich bewusst zu machen, was einem selbst gut-tut. Daran dürfen und sollen sich die Essge-wohnheiten orientieren. So ist es beispielweiseunerheblich, ob man drei oder fünf Mal täglichisst. Allerdings wird eine warme Mahlzeit amTag empfohlen, um die Lebensmittelvielfalt nut-zen zu können.

Ungünstige Essgewohnheiten und Alternativen Bei der Beschäftigung mit den eigenen Essge-

wohnheiten wurden im Workshop neben günsti-gen auch ungünstige Essgewohnheiten bespro-chen und mögliche Alternativen diskutiert. Bei-spiele aus diesen Diskussionen sind in der nach-folgenden Tabelle gegenübergestellt.

Was möchte ich an meinem Essverhalten verändern? Die TN nutzten den Austausch in der Gruppe,um sich zu überlegen, was sie an ihrem Essver-halten ändern wollen. Die Zielsetzungenwaren dabei sehr unterschiedlich global bzw.konkret. Allgemeine Aussagen wie „Ich will ins-gesamt mehr auf meine Ernährung achten“oder „Ich will meine Aufmerksamkeit aufmeine Bedürfnisse erhöhen“, wurden genausoformuliert, wie konkrete, sofort umsetzbareZiele wie „Ich will täglich Frischkorn-Brei zu mirnehmen“, „Ich nehme ab sofort täglich Obstmit zur Arbeit“ oder „Ich werfe ein Stück Süß-stoff weniger in meine Tasse Kaffee“. AndereAbsichten bestanden darin, einen Speise-Wo-chenplan aufzustellen, eine Schale mit Obstsowie Wasser sichtbar zu postieren, öfter Roh-kost zu essen, weniger Süßigkeiten und Kaffeezu konsumieren. Auch wer sich noch keine kon-kreten Ziele setzen wollte, machte mituntermit seinen Antworten deutlich, dass einUmdenkprozess angestoßen werden konnte:„Ich werde über meinen Fleischkonsum nach-denken“.

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Meine ungünstigen Essgewohnheiten Was kann ich stattdessen tun?

■ Ich esse unregelmäßig■ Ich nehme mir keine Zeit, esse zu schnell■ Ich esse oft im Stehen■ Ich beschäftige mich zu viel und zu

lange mit der Essenszubereitung ■ Ich trinke zu wenig

■ Ich esse kein oder zu wenig Obst

■ Ich esse aus Langeweile oder Frust■ Ich esse aus Müdigkeit■ Ich esse immer alle Reste auf■ Ich bin ein „Dauerdiätler“■ Ich bin zu bequem zum gesund essen ■ Ich belohne mich gerne mit Essen

■ Ich gehe oft meinem Partner zuliebeEssen, auch wenn ich keinen Hungerhabe

■ Pausen zum Essen bewusst einplanen■ sich bewusst Zeit nehmen, Zeit einplanen■ sich bewusst Zeit nehmen und hinsetzen■ Struktur einhalten, planen

■ auf ausreichendes Trinken achten; sich z. B. soviel auf den Tisch stellen, wie manam Tag trinken möchte

■ Obst kaufen und in Sichtweite legen; mit-nehmen für die Pausen am Arbeitsplatz

■ leeren Kühlschrank haben■ ausruhen, schlafen■ Reste wegwerfen■ Essen mit Genuss lernen■ den „Blick nach innen“ wagen■ Zeit für sich bewusst und anders gestal-

ten; andere Belohnungen überlegen■ nur Vor- oder Nachspeise auswählen

© Gleb Semenjuk - Fotolia.com

Konfliktsituationen erkennen als Risikoprophylaxe Wer sich entschlossen hat, sich gesünder undausgewogener zu ernähren, evtl. mit dem Ziel,das Gewicht zu reduzieren, wird sich immerwieder in Situationen befinden, in denen er„über die Stränge“ schlägt. Es kann hilfreichsein, sich solche Risikosituationen schon vorabzu vergegenwärtigen: Welches sind für michKonfliktsituationen, in denen ich gefährdet bin„ungesund“ zu essen? Welche Situationen undGefühle sind für meinen Alltag gefährlich? Wiekann ich den Umgang mit meinen Lieblingsle-bensmitteln so modifizieren, dass sie z. B. ein

Trostpflaster bleiben? Welche Alternativenkönnte ich wählen, wenn ich z. B. Heißhungerauf Schokolade habe? (Beispiele: Schokoladekaufen, die bereits portioniert ist); etwas ande-res essen, z. B. Obst oder einen Vollkornkeks;Sport treiben; sich ablenken; lachen). EineÄußerung zeigt, wie kreativ man werden kann:„Wenn ich ein Stück essen möchte, dann sageich mir: Okay, das darfst du, aber ich lasse mirZeit. In zehn Minuten beschäftige ich michnoch einmal damit, vorerst mache ich etwasanderes. Wenn ich es danach immer noch will,dann esse ich eben. (Oft ist die Gier daraufaber weg).“

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Genusstraining Als eindrucksvoll erlebten die Workshop-TNeine Meditation („Schokoladenmeditation“)zum Thema „Genießen“. Dabei lutschten dieTN jeweils eineinhalb Minuten lang eine Rosi-ne, ein Stückchen Schokolade oder ein Gummi-bärchen. Wie war es, sich mit einem Lebensmit-tel so lange zu beschäftigen? Hat es andersgeschmeckt als sonst? Könnte ich im Alltagmanchmal langsamer essen? Will ich das?

Umsetzung und Verankerung der Workshopinhalte

Gemäß dem Motto „Gemeinsam sind wirstark“, können die positiven Wirkkräfte derGruppe für Änderungen der Ess- und Ernäh-rungsgewohnheiten genutzt werden. Die Aus-einandersetzung mit den hinter dem reinenEssverhalten liegenden Bedingungen, Prägun-gen und Erfahrungen im Gruppengesprächführt zu hilfreichen Erkenntnissen und moti-viert. „Ich brauche einen Plan wie ich mein Ess-verhalten ändern kann“, äußerte ein Teilneh-

mer. Wie bei Suchterkrankungen gilt auch füreine Ernährungsumstellung, dass man übersich selbst nachdenken muss: Was bedeutetmir das Essen, wo habe ich Frust? Was will ichdamit wettmachen? „Wenn du mit dir im Rei-nen bist, kannst du es leichter schaffen“, z. B.das Gewicht zu reduzieren.

PersonebeneEine Umstellung seiner Ernährungsgewohnhei-ten zugunsten einer ausgewogeneren Ernäh-rung erfordert einerseits eine bewusste Ent-scheidung, sein Verhalten ändern zu wollen,andererseits aber auch das entsprechende Wis-sen über den „Gesundheitsgehalt“ der unter-schiedlichen Nahrungsmittel und Zuberei-tungsarten. Daher erfordert eine Ernährungs-umstellung einiges an Aufwand. Eine profes-sionelle Beratung durch Ernährungsberater/-innen und das Besuchen von Kursen kann hiervon großem Nutzen sein. (In den Workshops istes den Referentinnen hervorragend gelungen,die TN nicht nur zu motivieren sondern auchumfassend zu informieren.)

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Gruppenebene – Sensibilisierung Um auf das Thema „Gesunde Ernährung“ auf-merksam zu machen, gilt es wiederum Neugierzu entfachen und zu informieren ohne zumoralisieren oder die Gruppe zu etwas zu drän-gen. Die bestehende Stimmung innerhalb derGruppe sollte sensibel aufgegriffen werdenund wenn Interesse signalisiert wird, kann

besprochen werden, welche Aspekte besondersaufgegriffen werden sollen. Beispiele: EinGruppenabend zum Thema „Was mir gut tut“,ein „Genusstraining“, ein „Gewohnheitscheck“oder ein Informationsabend über gesundeLebensmittel, Bioprodukte o. ä. Ein Hinzuzie-hen von Ernährungsexperten kann dabei hilf-reich sein.

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Gruppenebene – konkrete Ideen An konkreten Ideen mangelte es den Workshop-TN nicht. Ein Einkaufstraining mit einer Fachper-son organisieren, eine Rezeptbörse für fleischloseGerichte anbieten, mit der Gruppe einen Speise-plan erstellen, die eigenen Ernährungsgewohn-heiten unter die Lupe nehmen u. v. m.

Kleine Veränderungen, die von den Multiplika-toren selbst durchgeführt werden, könnengleichsam „schleichend“ die Gewohnheiten ver-ändern: selbst zur Weihnachtsfeier gesünderesEssen mitbringen, Salat und Obst anbieten stattKaffee, Kuchen und Würstchen oder zum Grilla-

bend Vollkornbrotbesorgen und selbstdavon essen. Manch-mal hilft es mehr,sein eigenes Verhal-ten als „stilles Vor-bild“ wirken zu lassenals lautstark auf „ge-sünderes Essen“ zupochen. Es ist zu ver-meiden, dass man alsMoralapostel undKalorienzähler auf-tritt.

Infomaterialien; weiterführende Literatur; Adressen

Ernährungsberatung Ansprechpartner für Ernährungsberatung sindu. a. die Krankenkassen, die geeignete Pro-gramme und Personen vermitteln können, beivorliegender Grunderkrankung verordnet auchder Hausarzt eine Ernährungsberatung. Kran-kenkassen bezuschussen sowohl eine präventi-ve individuelle Ernährungsberatung als auchPräventionsveranstaltungen rund um dasThema Ernährung, wenn diese in Form von Pro-jekten durchgeführt werden (z. B. Workshops).

Dazu muss ein Konzept (1-2 Seiten) einge-reicht werden mit inhaltlichen und organisato-rischen Informationen (über Leitung, Ziel,Dauer, Methodik, Inhalte und Ablauf der Grup-pentreffen, Kursmaterialien, Räumlichkeiten).Für die Konzepterstellung kann man die beauf-tragten Referent/-innen heranziehen.

Internetadressen der Workshopreferentinnen:● www.ernaehrungstherapie-blumen-

schein.de (Referentin Birgit Blumenschein) ● www.richtig-essen-macht-fit.de (Referentin

Silke Kröger)

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■ „Bewegung und Sport“

Studien haben gezeigt, dass sich Sport stressmil-dernd auswirkt, die soziale Einbindung fördertund auf der psychischen Ebene selbstwertstär-kend wirkt, d. h. dass Bewegung in die verschie-denen Bereiche des Daseins hinein positiv wirktund damit das allgemeine Wohlbefinden ganz-heitlich verbessert. Das Thema „Bewegung undSport“ verlangt daher dringend nach einer grö-ßeren Beachtung in der Sucht-Selbsthilfe. DerWorkshop wurde viermal durchgeführt, zweimalvon Horst Pfefferle (Sporttherapeut, Wilhelms-dorf) und zweimal von Prof. Dr. Gerd Schnack (Arzt, Allensbach ).

Einführung

Stressreicher und bewegungsarmer Lebensstil Suchtkranke Menschen sind oft über Jahre hin-weg mit ihrem Körper extrem vernachlässigendumgegangen und auch Angehörige habeneigene gesundheitliche Belange in der Regelhinten an gestellt. Nicht selten finden sich inbeiden Gruppen durch den stressreichen undoft bewegungsarmen Lebensstil chronifizierteErkrankungen, die langwierige medikamentö-se Behandlungen erforderlich machen. Auchpsychosomatische Symptome treten gehäuftauf. Als Anzeichen für Stress gelten z. B. ein

Internetadressen für weitere Informationen:● www.aid.de (Allgemeiner Informations-

dienst- Verbraucherschutz, Ernährung,Landwirtschaft)

● www.bzga.de (Bundeszentrale für gesund-heitliche Aufklärung)

● www.dge.de (Deutsche Gesellschaft fürErnährung)

● www.dfie.de (Deutsches Institut für Ernäh-rungsforschung)

● www.verbraucherministerium.de● www.vzbv.de (Verbraucherzentrale Bundes-

verband e.V.)

● www.cma.de (Centrale Marketingagentur;„Bestes vom Bauern“)

● www.adipositas-gesellschaft.de● www.5amtag.de

(5 am Tag – Gesundheitskampagne)

Weiterführende Literatur:● Reich, G. & Kröger, S. (2007). Essstörung –

gesunde Ernährung wieder entdecken. Stutt-gart: Trias.

● Vollmer und andere (1995; 2007). Lebens-mittelführer Obst, Gemüse und Lebensmittel-führer Fleisch, Fisch. Stuttgart: dtv, Thieme.

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erhöhter Ruhepuls, ein erhöhter Blutdruck,eine gestörte Aktivität des Verdauungssy-stems, ein erhöhter Muskeltonus (z. B. Verspan-nungen der Rückenmuskulatur) und eine Ver-änderung der Atmung (z. B. abgeflacht oderbeschleunigt) (vgl. van der Mei u.a., 1997).

Positive Auswirkungen von Sport Viele wissenschaftliche Studien haben diepositiven Auswirkungen von regelmäßigensportlichen Aktivitäten (insbesondere in Aus-dauersportarten) auf das körperliche und see-lische Gesamtwohlbefinden nachhaltig belegt.Sport wirkt stressmildernd, fördert die sozialeEinbindung und wirkt auf der psychischenEbene selbstwertstärkend. Durch die viel-schichtigen positiven Auswirkungen auf denKörper wird grundsätzlich eine allgemeineErhöhung der Widerstandskraft gegenüberBelastungen erreicht. Aufgrund eines Abbausvon Stresshormonen im Körper stellt sich eineschnellere Erholung des Organismus nach Kon-frontationen mit stressreichen Situationen ein(vgl. Kaluza, 2004).

In einer Metastudie über den Stellenwert vonSport in der Behandlung psychischer Belastun-gen bestätigte sich, dass ein Fitnessprogrammoder ein Lauftraining im Zusammenhang mit

Die Persönlichkeitsentwicklungunter dem Aspekt der Bewegung Bewegung wirkt sich also nicht nur positiv aufden Organismus aus, sondern auch auf die Psy-che. Wahrnehmung, Denken, Fühlen, Wollenund die Beziehungsgestaltung machen die Per-sönlichkeit des Menschen aus. Bewegungsfähig-keit ist eine Voraussetzung zur Entwicklung die-ser genannten Prozesse, denn es gibt ein Zusam-menspiel zwischen der Leistungsfähigkeit desGehirns, emotionalem Wohlbefinden, sozialerStabilität und Bewegungsfähigkeit. Warum istdas so? „Bewegungsfähigkeit“ im weiterenSinne bedeutet mehr als nur „motorische Bewe-gung“: Es geht dabei darum, sich mit sich selbst,seinem Körper, der eigenen Ausdauer, demWohlbefinden etc. auseinanderzusetzen undeine Beziehung zu sich selbst zu bekommen.Darüber hinaus tritt man in den Austausch mitder dinglichen Umwelt (z. B. der Natur), aberauch mit der sozialen Umwelt, d. h. mit anderenMenschen (z. B. bei Gruppensportarten).

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verringerter Depressivität und Ängstlichkeitdie Abstinenzraten bei Alkoholkranken verbes-sert, das Selbstwertgefühl steigert und dasGefühl der Hilflosigkeit erheblich verringert (-vgl. Brooks u.a., 1997).

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Es wurden aber auch sehr konkrete Fragen for-muliert (z. B. ob bestimmte Sicherheitsbedin-gungen eingehalten werden müssten, wenn inder Selbsthilfegruppe Bewegungsangebotegemacht würden). Manche TN äußerten auchBefürchtungen – dass es „nur um Laufen“gehe, dass es „zu anstrengend“ würde.

Theorie4 – Stress, Bewegungsmangel und Erkrankungen

Vorüberlegungen zu Bewegung und TrägheitBiologie und Physik liegen im Wettstreit beimThema „Bewegung“. H. Pfefferle formulierte esprovokant so: „Bewegung ist ein Kennzeichendes Lebens und Trägheit eine Eigenschaft derMasse“. Diese fast schon philosophisch anmu-

Grundprinzipien von „lustvoller Bewegung“ Beim Sich-bewegen und Sport treiben mit demZiel der ganzheitlichen Gesundwerdung undGesunderhaltung steht der Grundsatz im Zen-trum, dass alles, was ich tue, hilft, mein Lebenzu entfalten. Es geht also nicht darum, sich undandere zu Höchstleistungen anzutreiben unddamit zu überfordern. So führt H. Pfefferle seineErfahrungen als Marathon- und Bergläufer alsBeispiel an. Ihm sei es dabei immer wichtig, auf-recht und fröhlich ins Ziel zu gelangen, mit sichselbst befreundet zu bleiben und den eigenenMöglichkeiten nicht zu entfliehen.

Wichtig ist bei Untrainierten, langsam inBewegung zu kommen, die eigenen Grenzenwahrzunehmen, um sie nicht zu überschreiten,und sich vor Beginn eines umfangreicherenBewegungsprogramms ärztlich durchcheckenzu lassen.

Prävention ist besser Die Ergebnisse der High-Tech-Medizin sind nicht so gut wie das, wasBewegung auf Dauer bewirken kann. Dabeisollte man sich von anfänglichen Durststreckennicht entmutigen lassen: Je mehr Bewegungser-fahrungen ein Mensch macht, desto sichererwerden seine Bewegungen. Das trifft auch aufdas Gehirn zu. Jede Veränderung im Verhalteneines Menschen ist Training für das Gehirn. DasGehirn lebt bei der Bewältigung von Krankhei-ten vom „Prinzip Hoffnung“, was Placeboeffek-te eindrucksvoll belegen, die zeigen, dass vieleErkrankungen mithilfe positiver Überzeugun-gen geheilt werden können. Der menschliche Organismus verfügt übergesundheitliche Begabungen, die im Sinne derSelbstorganisation kultiviert werden können,wenn eine Lebensstiländerung erfolgt.

Erwartungen der Teilnehmenden

Die Erwartungen der TN bezogen sich v. a. aufImpulse und Anregungen, wie das Thema indie Gruppe getragen und „mehr Bewegung“im (Gruppen-)Alltag umgesetzt werden könne.

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4 Anmerkung: Auch zum Thema Sport und Bewegungmangelt es nicht an guter Literatur und unzähligenInformationen und Programmen im Internet. Daher wirdim Folgenden wiederum nur beispielhaft angerissen, welche Inhalte in den Workshops vermittelt wurden. Für weitere Informationen sei auf Seite 58 verwiesen.

tende Aussage beinhaltet viele Grundgedan-ken dessen, was sportliche Betätigung bedeu-tet und warum sie oft so schwer zu realisierenist. Für das Leben des Organismus ist „Bewe-gung“ unerlässlich: der Blutkreislauf ist inBewegung, der Stoffwechsel in den Zellen istBewegung, Pflanzen „bewegen“ sich, indemsie ständig wachsen. Dabei bedarf Bewegung

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grundsätzlich immer der Zufuhr von Energie –einerseits in Form von Nahrungsmitteln ande-rerseits in Form von Motivation. Dem natürli-chen Drang nach Bewegung steht jedoch die„Trägheit“ entgegen. Ganz physikalischbetrachtet ist Masse an sich unbewegt undstatisch. Wenn man die Trägheit überwindenmöchte und eine Masse in Bewegung verset-zen möchte, braucht man Energie (z. B. einenAutomotor). Ohne Energie keine Bewegung,aber: Energiezufuhr ohne Energieverbrauchfördert die Trägheit der Masse!

Die Wirkung von Stress und Bewegungsman-gel auf das Herz-Kreislaufsystem Ursprünglich ist eine Stressreaktion für denmenschlichen Organismus überlebensnotwen-dig, weil der Kampf- und Fluchtimpuls des Men-schen stimuliert wird. In unserer heutigen Zeit

muss aber nun niemand mehr vor einem Angrei-fer flüchten, d. h. es fehlen die ausgleichendenBewegungen. Der Organismus muss die Stress-belastung anderweitig bewältigen, was ihmaber nur schlecht gelingt. Stressbelastung undBewegungsmangel führen daher in unseremtechnisierten Zeitalter schnell zu Erkrankungenwie Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck,Arteriosklerose und Typ-II-Diabetes. Das gesam-te Herz-Kreislaufsystem reagiert anfällig fürStress und Bewegungsmangel. Vor hundert Jah-ren ist man schließlich noch um die 30 km amTag gegangen. Heute läuft man durchschnitt-lich nur noch 1 km täglich mit gravierenden Fol-gen für unsere Fettstoffwechsel. Eine Übersichtstabelle (den Seminarunterla-gen von H. Pfefferle entnommen) fasst dienegativen Auswirkungen von Bewegungsman-gel auf das Herz-Kreislaufsystem zusammen.

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Muskelatophie

geringeKapillarisierung

CO2-Mangel-

versorgung

schwacheHerzmus-kulatur

hohe Ruhepuls-frequenz

geringe HMV unterBelastung

geringere Strö-mungsgeschwin-

digkeit des Blutesin den Gefäßen

venöserRückstrom reduzieert

Blutdruckzu-nahme Mangel-versorgung des

Gewebes

geringe Toleranzbei Belastungs-

zunahmen

permanent hoheBelastung

für das Herz

höhereHerzfrequenzerforderlich

es können sich leichterAblagerun-gen bilden

Blutstau in denGefäßen

Überforderungdes Herzens und

der Gefäße

Überforderungdes Herzens und

der Gefäße

Überforderungdes Herzens und

der Gefäße

geringeLeistungsfähig-keit von Herz

und Organismus

Arteriosklerose

Mangelver-sorgung

Gefäßschä-digungen

Herzinfarktrisikosteigt

Herzinfarktrisikosteigt

Herzinfarktrisikosteigt

Herz-schwäche

Herzinfarkt

Bewegungsmangel

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Die periphere Wirkung einseitiger Bewegun-gen auf Muskeln und Gelenke Dauerhafter Stress wirkt sich nicht nur allge-mein auf den Organismus aus, sondern beson-ders auf den Stütz- und Bewegungsapparat. Sostellen chronische Rückenschmerzen eine häu-fige „moderne Berufskrankheit“ dar. EinseitigeBelastungen wie z. B. durch das „Mausklicken“am Computer führen zu Verspannungen imHandgelenk, das Bein schmerzt beim Autofah-ren, tägliches Sitzen verkürzt die Hüftlenden-muskel u. v. m.Eigentlich ist Bewegung jedoch nicht „einseitig“sondern lebt von Schwung und Gegenschwung.So muss der Arm, wenn man etwas werfen möch-te, ausholen, d. h. wir müssen ihn in die zielabge-wandte Gegenposition führen, um Schwung zuholen. Dabei wird die beteiligte Muskulatur biszu 120 % über die Grundlänge hinaus gedehntund tankt auf diese Weise Kraft auf. Bei moder-ner Berufsarbeit ist dieser energieförderndeGegenschwung vernichtet worden. Will man deno. g. Zivilisationskrankheiten vorbeugen, mussman Übungen wählen, die den „Gegenschwung“

beachten, z. B. „Gegenschwung-Stretchings“ (vgl.Schnack, 2006, S. 14).

Die Stresswirkung zu vieler Sinnesreize Nicht nur einseitige bzw. fehlende Bewegungenstressen unseren Organismus, sondern auch einezu hohe Reizdichte. Unser zentrales Nervensy-stem, das Gehirn, muss eingehende Sinnesreizeverarbeiten. Unsere Welt ist im Gegensatz zurWelt unserer Vorfahren lauter, bunter undabwechslungsreicher geworden, bis hin zu einerÜberflutung mit Reizen, gegen die man sichkaum wehren kann. Eine zu hohe Dichte an Sin-nesreizen überreizt jedoch unsere Nervenbah-nen, der entstehende „Stress“ schränkt die geisti-gen und kreativen Funktionen ein. Auch negati-ves Denken, Sorgen und Ängste wirken als Stres-soren auf den Organismus. Wir haben uns alsmoderne Menschen zwar an die hohe Dichte vonInformationen gewöhnt und füllen unseren All-tag daher entsprechend auch mit vielen Aktivitä-ten, unserem Organismus tun wir damit jedochnichts Gutes. Im Gegenteil: Sorgen, Ängste unddas „Burn-out-Syndrom“ gewinnen an Raum.

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Theorie – Stressbewältigung durch Ausdauertraining

Atemgesteuertes Ausdauertraining zur Herzkreislauf-PräventionDa unser Organismus noch genauso funktio-niert wie bei unseren Vorfahren, benötigenwir täglich mehr Bewegung als es das Zurecht-kommen im „modernen Leben“ erfordert. Umdas Herzkreislauf-System optimal zu fordernohne es zu überfordern, empfehlen Expertentäglich 30 min moderates Ausdauertrainingin der „sauerstoffreichen (aeroben) Gesund-heitszone“. Diese Belastungsintensität hältman z. B. ein, wenn man konsequent bei der

Bewegung durch die Nase atmet und dieAnstrengung reduziert, wenn die Nasenat-mung nicht mehr ausreicht und man durchden Mund atmen muss. Bei Nasenatmungwerden die Lungenbläschen gut belüftet,Nase, Rachen, Hals, Bronchien und Lungensind geschützt, weil die Luft befeuchtet undgereinigt ist. Durch das atemgesteuerte Aus-dauertraining werden alle Körperzellen opti-mal mit Sauerstoff und Energie versorgt. Werso trainiert kann seine Leistung aufbauen undüberflüssige Pfunde abbauen. Kommen Stressund Bewegungsmangel zusammen, brenntunsere Lebenskerze an beiden Enden gleich-zeitig ab (Gerd Schnack).

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„Laufen mit allen Sinnen“ Ein Paradebeispiel für Ausdauertraining ist dasLaufen im Freien. Laufen ist ein Individualsportmit meditativem Charakter: Beim Laufen in derNatur kann man die Landschaft in seiner ganzenFülle aufnehmen und das Hören auf den eigenenAtemrhythmus wirkt meditativ. Falscher Ehrgeizist dabei fehl am Platze. Wichtig ist es, die Inten-sität und Dauer des Laufens über einen geeigne-ten Trainingsplan langsam zu steigern und dabeiauf die richtige Lauftechnik zu achten.

„Tanzjogging auf dem Trampolin“Prof. Schnack empfiehlt als Ausdauer-training Tanzjogging auf einem klei-nen Trampolin, das man im Wohn-zimmer oder im Garten aufstellenkann. Man bewegt sich per„Swing-Walking“, d. h. in Formeines beschwingten Gehensoder Laufens im Rhythmus derMusik. Der Gegenschwung beijedem Schritt erleichtert mit sei-nem Energieschub die Bewe-gung. Schnell verfügbar kannman z. B. gleich nach der Arbeit15-30 min üben. Die Wirkungauf das Herzkreislaufsystem isthervorragend, Venen und Lym-

phe werden trainiert, genauso wie die Wirbel-säule, während Gelenke und Beckenbodennicht so stark erschüttert werden. Gleichzeitigist es „geistiges Jogging“, weil die Koordinati-on geschult wird, im fortgeschrittenen Alterwirkt dieses Koordinationstraining gleichsamals „Antisturzprogramm“.

Weitere Ausdauersportarten Ebenfalls im Freien kann man Walken und Fahr-radfahren, Bergsteigen, Wandern u. v. m. Aqua-jogging heißt eine neue Disziplin im Wasser,deren gesundheitsfördernde Wirkung dem kon-

ventionellen Schwimmen deutlich über-legen ist. Beim Walking kann man

ein „Stretching“ im Vorüberge-hen einbauen, indem man zwi-schendurch Pirouetten drehtund durch die Belastungsverla-gerung Wirbelsäule und Gelen-ke schont. Auch „Retrowal-king“, also Rückwärtsgehen,hat seinen Reiz. Es ist nicht nurein „geistiges Jogging“ durchden Überraschungseffekt, son-dern es schont auch die Wirbel-säule und die Kniegelenke z. B.auf der Treppe oder in den Ber-gen.

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Theorie – Prävention von Muskel- und Gelenkschmerzen

Geeignete Übungen Verspannungen und Erkrankungen des Mus-kel-Sehnen-Apparats vermindern die Lebens-qualität erheblich. Einseitige Bewegungen unddauerhafte Fehlhaltungen sind oft die Ursa-che. Eine Möglichkeit, einen Ausgleich zuschaffen, besteht in Elastizitätstraining z. B. inForm von „Gegenschwung-Stretching.“ Prof.Schnack hat dazu beispielsweise einen Zyklusvon Übungen vorgestellt („die 7 Hanseaten“),die einfach zu erlernen und gut zu behaltensind (vgl. Infobrief 3, S. 70). Die beanspruch-ten Muskeln, nämlich jene, die bei täglicherRoutinearbeit oft vernachlässigt werden (z. B.Nacken, Rücken, Streckmuskeln der Unterarmeund Hände, Gesäß und Bauchmuskeln) wer-den dabei nicht nur gedehnt, sondern auchgestärkt. Viele Übungen können zu Hausedurchgeführt werden, indem man das Bett, dieWand oder einen Stuhl zu „Fitnessgeräten“umfunktioniert. Zur Stärkung der Rückenmus-kulatur bietet sich darüber hinaus gezieltes

Krafttraining an, wie es von einigen Sportstu-dios angeboten wird.

Theorie – Prävention von psychischem und geistigem Stress

Entspannung Wir leben in einer lauten, schnellen, hellen Welt,in der insbesondere die Dichte der zentral zuverarbeitenden Sinnesreize drastisch zugenom-men hat. Entspannung ist praktisch nicht vorge-sehen, es fehlt an schöpferischen Pausen. Dabeiist der menschliche Organismus auf den Wech-sel zwischen Stress und Entspannung angewie-sen. Nicht der Stress macht eigentlich krank,sondern die fehlende Entspannung. Daher soll-te man versuchen, „schöpferische Pausen“ inden Stressalltag einzubauen. Das sorgt für eineinnere Ausgeglichenheit, die mit einem neuenGlücksgefühl einhergeht.

Meditation Meditative Übungen können hier entgegenwir-ken: Nach neuesten Erkenntnissen haben sieeine enorm hohe Gesundheitswirkung. Sie wir-

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ken sogar effektiver als zu ehrgeizig betriebenesAusdauertraining. Durch Meditation können wirbis ins hohe Alter fit bleiben und beispielsweiseneue Gehirnzellen bilden. Oft wird Meditationdurch Musik unterstützt, dabei sollte die Musikeinförmig sein (z. B. gregorianische Musik). Ähnlich entspannend wirken eingestreute Bewe-gungspausen, in denen man sich freudvoll kör-perlich betätigt, stärkend auf die psychischenKräfte. Auch kreative, schöpferische Pausen (z. B.Malen, Musizieren, Handarbeiten, Werken) kön-nen meditativ wirken.

EntspannungsverfahrenKurse zum Erlernen von Entspannungsverfah-ren (wie autogenes Training oder progressiveMuskelentspannung nach Jacobsen) werdenvon vielen Volkshochschulen oder Gesund-heitszentren angeboten.

Selbsterfahrung/Selbstreflexion

Bewegungslosigkeit erfahren Sich bewegen zu können ist eine große Gabe.Sich nicht bewegen zu können ein enormer Ver-lust. Mit einer Übung wurde den TN des Work-shops dieses erfahrbar gemacht: Sie sollten sichauf einen Stuhl setzen, die Beine fest auf denBoden stellen und nicht lösen. Bei dem Versuch,sich zu bewegen, wurde deutlich, wie einge-schränkt der Mensch dabei ist.

Bewegungsformen erfahren Über Bewegung kann man schlechttheoretisieren, man muss sie selbsterleben. Daher wurden im Work-shop verschiedene Bewegungsfor-men gemeinsam bewusst erlebt:stehen, auf der Stelle gehen, durch-einander gehen, kräftigende Bewe-gungen, kreisende, Bewegungenmit geschlossenen Augen, hüpfen,tanzen, laufen. Wie erlebe ich dieseBewegungen? Welche sind mirangenehm? Welche eher unange-nehm?

Angeleitete Bewegungseinheiten Auf dem Gelände der Tagungsstätte wurdenkleine Laufeinheiten (u. a. eine dreiviertel-stündige Lauf-Geh-Einheit nach Trainings-plan) durchgeführt, um den TN Laufen als einBeispiel für eine Ausdauersportart nahe zubringen. Auch Spazierengehen stand auf demPlan. Darüber hinaus wurden ruhige undzügige Bewegungsübungen zu Musik imRaum ausprobiert. Ziel war nicht nur, die TNverschiedene Bewegungsarten erproben zulassen, sondern v. a. erleben zu lassen, dassBewegung lustvoll sein kann und Spaßmacht.

Die Rückmeldungen der TN zu den Übungenwaren durchweg positiv. Sie äußerten, eingutes Körpergefühl erlebt zu haben. DieBalance zwischen Anspannung und Entspan-nung habe gestimmt. Der Tag sei kurzweiliggewesen. Zudem äußerte niemand ein Gefühlder Überforderung. Im Gegenteil: manch einTN war stolz darauf, z. B. das Laufprogrammgeschafft zu haben, was er sich selbst vorherüberhaupt nicht zugetraut hätte.

Umsetzung und Verankerung der Workshopinhalte In vielen Gruppen gibt es bereits zusätzlich zuden Gesprächsabenden vielfältige Bewegungs-angebote (vgl. S. 78). Dabei handelt es sich

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einerseits um regelmäßig stattfindende Grup-pensportveranstaltungen (z. B. Anmieten einerTurnhalle zum wöchentlichen Tischtennisspie-len), regelmäßig aber selten stattfindende Aus-flüge (sommerliche Fahrradtour, 1.-Mai-Wande-rung, jährliches Fußballturnier) oder unregel-mäßig wiederkehrende Veranstaltungen (z. B.Kegelabende). Weniger verbreitet sind „kleine“Bewegungseinheiten, die in die üblichen Grup-penzusammenkünfte eingebaut werden kön-

nen. Diese wurden v. a. durch das Projekt ange-regt.

Das zeigt, dass das Bewusstsein und das Wis-sen über die Bedeutung allgemein von Bewe-gung noch nicht sehr stark in den Gruppen ver-ankert ist. Gemeinsame sportliche Aktivitätenwerden eher unter dem Aspekt des „gemeinsa-men Freizeiterlebens“ wahrgenommen statt alsgesundheitsförderliche Maßnahme.

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Personebene Natürlich ist es sinnvoll, sich – so wie gemein-hin empfohlen wird – mehrmals in der Wochefür etwa 30 min sportlich zu betätigen. Geeig-nete Ausdauersportarten sind, wie bereitserwähnt: Jogging/Laufen (mit einem Puls-schlag von etwa 130/min und Nasenatmung;lieber langsam mit Pausen und lang (30 minund mehr) als schnell und kurz; locker und lust-voll laufen); Radeln (lieber weit als schnell),schwimmen (lieber zeitlich länger als langeStrecken), Tanzen, Bergwandern, Skilanglauf. Viele Menschen schaffen es aber nicht, diesemAnspruch des regelmäßigen Ausdauersporttrei-bens gerecht zu werden und lassen den Gedan-ken an Bewegung frustriert komplett fallen. Dasmuss jedoch nicht sein. Im Gegenteil – im Work-shop war es wichtig, den TN zu zeigen, dass„kleine Bewegungsepisoden“ im Alltag ganz

leicht eingebaut werden können und diese klei-nen Bewegungseinheiten bereits Wirkung zei-gen. So gibt es z. T. altbewährte Tricks: ● statt des Aufzugs die Treppe benutzen● Wartezeiten z. B. an Bahnhof oder Flugha-

fen nutzen, um ein „Treppentraining“durchzuführen (eine sec pro Stufe)

● wo immer möglich, auf das Auto verzichtenund zu Fuß gehen oder das Fahrrad nutzen

● „Walkingeinheiten“ auf dem Nachhause-weg einbauen, z. B. beim Bus einfach einbis zwei Stationen eher aussteigen

● sich selbst bedienen, statt sich bedienen zulassen

● die Fernbedienung an den Fernseher legen(wie gemein!)

● eine rote Ampel nutzen, um Entspannungs-übungen für Nacken und Schulter durchzu-führen

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Gruppenebene – Sensibilisierung Zentral bei der Auseinandersetzung mit demThema Bewegung ist – wie bei den beiden ande-ren Themen auch – dass die eigene Begeisterungspürbar wird: „Wenn ich bewegt bin, bewege ichauch andere“. Wenn ich Freude ausstrahle, kannich andere leichter zum Mitmachen motivieren.Sicherlich gibt es auch einzelne Gruppenteilneh-mer, die eigene Erfahrungen einbringen können,welche sportlichen Betätigungen sie wie oft,wann und wo ausüben. Dadurch entsteht eineVielfalt, von der alle profitieren können. Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema

ist weiterhin daran zu denken, auf die Möglich-keiten und Potentiale der TN zu fokussierenund nicht von den Grenzen her zu denken.Sonst kann schnell eine frustrierte Stimmungentstehen („So etwas ist für mich, bei meinemGesundheitszustand/ bei meinem Überge-wicht/ bei meinem Alter ... nichts“). Wichtigist, in kleinen Schritten zu denken und sich unddie anderen Gruppenteilnehmer/-innen nichtzu überfordern. Wird ein umfangreiches Bewe-gungsprogramm geplant, sollten die Gruppen-teilnehmer/-innen angehalten werden, sichvorab ärztlich untersuchen zu lassen.

Gruppenebene – konkrete Ideen Möglicherweise werden über das Gespräch TNangeregt, eine neue Sportart auszuprobierenoder früher einmal ausgeübte Sportarten wie-der zu beleben: „Ich habe doch in meinerJugend gerne Tischtennis / Badminton / Ten-nis gespielt …“. Vielleicht finden sich hier „Ten-nispartner“, die gemeinsam einen Platz mie-ten, oder es bilden sich kleine Gruppen von TN,die gerne dieselbe Bewegung einmal auspro-bieren möchten (z. B. gemeinsame Anmeldungzum VHS-Kurs: „Israelische Volkstänze“). DerVorteil der Gruppe ist, dass man (fast) immerjemanden finden kann, der mitmacht.Dadurch können ganz neue Gruppenerlebnisseentstehen. Wenn man den Kontakt zu örtli-chen Sportvereinen sucht, kann ein breitesAngebote von Sportarten zu einem günstigen

Preis ausprobiert und ausgeübt werden. Dortkann man auch Trainer finden, die vielleichteinmal in die Gruppe eingeladen werden kön-nen, um dort direkt zu informieren oder Bewe-gungen erleben zu lassen.

Infomaterialien; weiterführende Literatur; Adressen

Veröffentlichungen der Referenten:● Pfefferle, H. (1992). Sport und Spiel als

Therapie. Wuppertal: Blaukreuz-Verlag. ● Pfefferle, H. (2001). Mit Sport weitet sich

der Blick. Freundeskreis-Journal, Ausgabe2, 2001.

● Schnack, G. (2006). Prävention in den All-tag integrieren. Der Allgemeinarzt, Ausgabe14, (S. 46-48).

● Schnack, G. (2009). Natürlich gesund.Human-Bionik – Leben in Balance. Ausdau-er stärken, richtig dehnen, wirksam ent-spannen. Mein Programm. Freiburg: Herder

Internetadressen: ● http://www.swing-and-relaxx.ch ● www.praeventionszentrum.com

(Prof. Dr. Gerd Schnack)

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Schritt für Schritt

Für die Multiplikator/-innen, die an dem Pro-jekt teilgenommen haben und die Leser/-in-nen dieses Handbuchs, die sich durch dasGelesene haben anstecken lassen, und die nundas Thema „Gesundheitsförderung“ in dieArbeit vor Ort tragen möchten, ist das folgen-de Kapitel gedacht. Darin sind nochmalswichtige Erkenntnisse aus dem Projekt zusam-mengefasst und zur schrittweisen Orientierungin einen groben Ablaufplan gebracht.

Vorbereiten

Eigene Motivation reflektieren Zunächst sollte ich mir über meine eigenenVorstellungen, Wünsche und Ziele klar werden.Welcher Bereich der Gesundheitsförderungspricht mich persönlich besonders an? Womitmöchte ich mich genauer befassen? Es istnicht zielführend, ein Thema herauszugreifen,das ich zwar „wichtig für andere“ halte, dasmich aber nicht bewegt.

Mitstreiter und Mitdenker gewinnen Niemand kann und sollte auf sich alleingestellt ein solches Projekt in Angriff nehmen,um nicht vor lauter „Gesundheitsförderung fürandere“ sich selbst zu überfordern (Hierkommt die angesprochene Gefahr ins Spiel,sich als Suchtkranker oder Angehöriger imEhrenamt über Gebühr zu verausgaben). Vondem Vorteil der Arbeitsteilung abgesehen,macht es zu mehreren aber auch viel mehrSpaß, Ideen zu entwickeln. Also sollte man ver-suchen, ein kleines „Projektteam S.o.G.“ zugründen.

Die Gruppe einschätzen Selbstverständlich sollte man seiner Gruppekein Thema aufzwingen (das würde auch nichtfunktionieren), jedoch muss unbedingtgedankliche Vorarbeit geleistet werden. Wosteht die Gruppe? Mit welchen Themen und

Problemen befassen wir uns hauptsächlich?Gibt es gesundheitsrelevante Themen, diespontan schon im Gespräch aufgetaucht sind,die man aufgreifen könnte (z. B. jemand hat über Arztbesuch berichtet, bei dem der zumehr Bewegung riet; oder jemand hat erzählt,dass er mit dem Rauchen aufhören will o. ä.).

Sich für ein Thema entscheiden Da das Themenfeld „Ganzheitlich gesund –zufrieden abstinent“ sehr breit ist, sollte sichdas Projektteam für die weiteren Planungennun zunächst für ein Thema entscheiden. Dasheißt ja nicht, dass die anderen Themen keineBerücksichtigung finden sollen. Aber besser istes, die Themen nacheinander anzugehen,dafür tiefer ins Thema einzusteigen, als vieleThemen nur zu streifen.

Das generelle Interesse der Gruppe abfragen Je nachdem, wie die Gruppenleitung organi-siert ist, kann im Mitarbeiterkreis oder (bei klei-nen Gruppen) auch in der Gesamtgruppe dasgenerelle Interesse abgefragt werden, sich miteinem „gesundheitsförderlichen Thema“ näherzu befassen (im Sinne von: Hättet Ihr Lust,euch in den nächsten Wochen mit dem Themaxy zu befassen, wir waren da auf einem Work-shop und würden euch gerne davon mehrberichten. Wenn ja, würden wir uns Gedankenmachen, auf welche Weise wir das Thema ambesten einbringen können.).

Planen

Sich kundig machen Zu diesem Zeitpunkt geht es darum, sich selbsteinen groben Überblick über die Möglichkeitenzu verschaffen. Wo kann man Informationenerhalten? Kostenlose Broschüren und Infoma-terialien kann man sich schon einmal zurAnsicht bestellen. Gibt es möglicherweise

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Geldquellen, die angezapft werden könnten (z.B. Krankenkassen)? Mit wem könnte man vorOrt zusammenarbeiten (z. B. Welche Sportver-eine gibt es überhaupt? Was bieten sie an?).

Planung der Einführung ins Thema – Sensibilisieren und Motivieren Der erste Schritt zur Stärkung gesundheitsför-derlicher Verhaltensweisen in der Gruppebesteht in der Sensibilisierung für das Thema.Hier werden die Grundlagen gelegt. Daher istdas „Wie“ der Themeneinführung extrem wich-tig: Die „Stimmung“ kann in die richtige Rich-tung gelenkt werden, aber es besteht auch dieGefahr – bei ungünstiger Einführung des The-mas – Widerstände zu erzeugen, die später nurschwer abgebaut werden können. Daher solltedie Einführung in das Thema gut überlegt undgeplant sein. So gilt es unbedingt „Moralisie-rungen“ zu vermeiden („Raucher schädigen jaalle ganz schlimm, v. a. uns Nichtraucher!Daher finden wir, dass ….“), keinen Druck auf-zubauen und Einzelne nicht zu demütigen (-„Wir wissen ja, dass zwei von uns dringend malabnehmen müssten). Vielmehr sollte manInteresse wecken, z. B. indem man von deneigenen Erfahrungen im Workshop berichtet,man kann auch mit einem besonderen Auf-hänger beginnen (z. B. der „Schokoladenmedi-tation“, ein paar Bewegungsübungen mit den„Hanseaten“, einen passenden Film zeigen).Das Motto sollte heißen: „Locken undGeschmack machen“ statt „Druck ausübenund Überstülpen.“

Planung der Informationsvermittlung Wie in den Beschreibungen der Workshopin-halte deutlich wurde, sind Verhaltensänderun-gen nicht nur von der Motivation abhängig,sondern es bedarf auch eines gewissen Ausma-ßes an Wissen und Kenntnissen über die The-men. (Sich „ausgewogen ernähren“ klingt jaschön und gut, aber wodurch zeichnet sicheine gesunde Ernährung denn aus?). Wennjemand im Projektteam Spaß daran hat, sich ineines der Themen intensiv einzuarbeiten, sollte

er oder sie das ruhig selbst tun. Unter Umstän-den kann es jedoch sinnvoller sein, eine/nReferent/-in einzuladen, eine Gruppenstundezu gestalten, einen Vortrag zu halten oderauch ein Seminar durchzuführen. Welche Formdie Informationsveranstaltung annimmt, istvon Gruppe zu Gruppe zu entscheiden.

Umsetzen

In das Thema einführen Der in der Planungsphase durchdachte Ein-stieg in das Thema wird nun bei einem Grup-penabend oder über eine Informationsveran-staltung umgesetzt. Dabei ist es wichtig, dasThema wirklich offen zu gestalten und dieGruppenteilnehmer/-innen aktiv in das Erle-ben und die Diskussionen einzubeziehen.

Motivieren Das Ziel der Sensibilisierung für ein gesund-heitsförderliches Thema liegt nicht darin, nureinen schönen Gruppenabend gestaltet zuhaben („Gut, dass wir darüber gesprochenhaben!“), sondern Ziel ist es, eine Verhaltens-änderung der Gruppe bzw. der einzelnen TNanzuregen. Daher besteht der zweite Schrittdarin, von einem generellen Interesse amThema, tatsächlich in das „Rad der Verände-rung“ einzutreten und den TN der Gruppe zuhelfen, eine Veränderungsabsicht zu bilden.

Ideen entwickeln Ist es gelungen, die Gruppe für ein Thema sostark zu begeistern, dass die einzelnen TN (bzw.die Mehrzahl der TN) sich tatsächlich Verhaltens-änderungen wünschen, müssen nun konkreteIdeen entwickelt werden. Dabei ist wichtig, die Ebene der angestrebtenVeränderungen genau zu definieren. Am Bei-spiel „Bewegung“ könnten die Fragen wie folgtaussehen: Soll es um Verhaltensänderungen aufder persönlichen Ebene gehen? Dann überlegenwir gemeinsam, wer welche Bewegungen gerneausführt, ob sich Kleingruppen oder Trainings-partner finden o. ä.;

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Oder wollen wir auf der Ebene unserer Gruppeetwas verändern? Dann wäre zu überlegen, obwir z. B. Bewegungselemente in unserenGesprächsabend routinemäßig einbauen wol-len, ob wir regelmäßig zusätzliche Sportgruppenanbieten wollen, ob wir als Verein Kontakt zueinem Sportverein aufnehmen wollen o. ä.Schließlich kann sich eine Gruppe (evtl. zueinem späteren Zeitpunkt) vornehmen, insge-samt auf den Verband einwirken zu wollen, umauch andere Gruppen zu mehr Bewegunganzuregen. In dem Fall organisiert man viel-leicht ein überregionales Sportturnier oder einWochenendseminar, zu dem TN aus anderenGruppen eingeladen werden.

Veranstaltungen organisieren und durchführen Je nachdem welche Form die Veranstaltungannehmen soll (Gesprächsabend, Vortrag,Workshop, Event, Tagesveranstaltung, mehrtä-giges Seminar, mehrwöchiger Kurs etc.), ist derorganisatorische Aufwand natürlich unter-schiedlich umfangreich. Neben den üblichenFragen (geeigneter Zeitpunkt/ Datum/ Ort/Räumlichkeiten/ Anreise-und Parkmöglichkei-ten/ technisches Equipment etc.) sollten alleMöglichkeiten gezielt nochmals darauf geprüftwerden, inwieweit ein „ganzheitlich gesunder“Rahmen geschaffen werden kann. Wenn ichbeispielsweise ein Raucherseminar organisiere,sollte ich bei der Auswahl des Tagungsortesdarauf achten, dass gesundes Essen angebo-ten wird (d. h. dass die Pausenverpflegung

nicht, wie üblich, aus Kaffee und Keksenbesteht, sondern vielmehr alternativ auch Obstund Tees angeboten werden) und auf Bewe-gungsmöglichkeiten geachtet wird.

Begleitende Aktivitäten

Öffentlichkeitsarbeit Je nachdem welche Form die gesundheitsför-dernden Angebote annehmen, bietet es sichan, darüber auch in den lokalen Medien zuberichten. Gerade die Lokalpresse ist daraninteressiert, aus dem Vereinsleben zu berichtenund Gesundheitsthemen stehen derzeit hochim Kurs. So kann gleich „Werbung“ für dieSelbsthilfegruppe gemacht werden. Ein Vor-trag, ein Fußballturnier oder ein Kochkurs kön-nen z. B. gezielt für alle geöffnet werden undhelfen damit vielleicht die Sucht-Selbsthilfe zuenttabuisieren. Möglicherweise gelingt es so,Suchtkranken und Angehörigen, die nochnicht den Weg in die Selbsthilfe gefundenhaben, die Kontaktaufnahme zu erleichtern.

Verbandsinterne Öffentlichkeitsarbeit Ein gelungener Gruppenabend, ein erfolgrei-cher Workshop oder ein ungewöhnliches „Be-wegungsabenteuer“ sollten Anlass sein, ande-re an den guten Erlebnissen teilhaben zu las-sen und ggf. andere zu ähnlichem Gesund-heitsverhalten anzuregen. Über Artikel für dieVerbandszeitschrift oder die Homepage freutsich jede/r Redakteur/-in.

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In diesem Abschnitt sollen abschließend einige konkrete Beispiele aufgeführt werden,wie die Themen „Rauchfrei leben“, „GesundeErnährung“ und „Bewegung und Sport“ inden Gruppen vor Ort ausgestaltet werden können.

Viele Selbsthilfegruppen in den fünf Verbän-den führen die eine oder andere gesundheits-förderliche Aktion schon seit Jahren durch. Im Projekt wurde eine „Pinnwand“ eingerich-tet, an die die konkreten Umsetzungsbeispieleaus den Gruppen und Verbänden geheftetwurden. Einige Beispiele sollen exemplarischherausgegriffen werden; weitere Beispiele sind bei der Darstellung der Workshopinhaltebereits genannt worden.

■ Angebote auf (überregionaler) Verbandsebene

Anbieten von Seminaren und Freizeiten Ein „Rauchstopp-Seminar“, Veranstaltungenzur Einführung in die ausgewogene Ernäh-rung, vielleicht ein „Wellness-Wochenende“,eine Skifreizeit, ein Einkehrwochenende mitGebet und Meditation, eine (Fahrrad-/Kanu-)Wanderreise (vielleicht auf einem Pilgerweg?),ein „Neue-Sportarten-Erprobungs-Wochenen-de“, ein Segeltörn u. v. m.

Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, wiedie im Projekt S.o.G. entwickelten Ideen in diePraxis umgesetzt werden können. MehrtägigeSeminare und Freizeiten lassen sich oftmalsbesser überregional organisieren, können abernatürlich auch von einzelnen Gruppen durch-geführt werden.

Konzeptentwicklung Nicht jede Gruppe muss das Rad neu erfinden.Ein auf Landes- oder Bundesverbandsebeneeingesetzte/-r Mitarbeiter/-in oder eineArbeitsgruppe (z. B. die im Projekt entstande-nen verbandsinternen Arbeitsgruppen) solltesich mit der Entwicklung bzw. Sammlung undSystematisierung von Konzepten befassen.Entstehen könnten: ● Entwürfe für einzelne Gruppenstunden

(vgl. die während des Projekts erstelltenMaterialien auf den Homepages der Ver-bände)

● Konzepte für eine Nichtraucher-Gruppe alsZusatzangebot

● Seminareinheiten zur Einbindung derGesundheitsthemen in die Ausbildungzum Freiwilligen Suchtkrankenhelfer

● Erstellung und Aktualisierung einer Litera-turliste mit geeigneten Büchern und Bro-schüren

● Erstellung und Aktualisierung einer Listemit geeigneten Referent/-innen undTagungshäusern

● Einführen einer „Gesundheitsecke“ in derVerbandszeitschrift und auf der Homepa-ge, um das Thema immer wieder insGedächtnis zu rufen

Raum für Austausch und Vernetzung bieten In der Verbandszeitschrift könnte ebenfallsRaum geschaffen werden für die Vorstellungvon Angeboten und Events, die in Folge vonS.o.G. entstanden sind. Eine Email-Verteilerli-ste oder ein Newsletter, der an Interessierteverschickt wird, könnte auch eine Möglichkeitsein, dass sich die Leute miteinander vernet-zen, die sich besonders für das Thema Gesund-heitsförderung in der Selbsthilfe interessieren.

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Konkrete Beispiele – Wie können gruppentaugliche Ansätze der Gesundheits-förderung aussehen, die zum Mitmachen motivieren?

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Beispiele von der „S.o.G.-Pinnwand“:

Was? Landesseminar „Feminis-tische Selbstverteidigung“

Wer? Landesverband Schleswig-Holstein

Wie viele? 16 SeminarbesucherinnenWann? 16. Mai 2009Wie oft? jährlichWie gut? wunderbar, ausgebucht,

große BegeisterungWiederholung? Eventuell zwei Mal jährlich

Was? Landesseminar „Ernährungnach Alkoholmissbrauch“

Wer? Landesverband Schleswig-Holstein

Wie viele? 16 Seminarbesucher/innenWann? 19.-21. Juni 2009Wie oft? einmal pro JahrWie gut? In den letzten beiden Jahren

gut angenommenWiederholung? Ja

Was? „Wie kann ich meineGesundheit fördern“, Fach-gespräch Stadt Halle/Saale

Wer? Mitarbeit des Landesverban-des Sachsen-Anhalt

Wie viele? 100-120Wann? Oktober 2008Wie oft?Wie gut? Sehr gutWiederholung?

Was? RaucherseminarWer? Landesverband WürttembergWie viele? 20-25Wann? April und JuniWie oft? 2 mal jährlichWie gut? gutWiederholung? Geplant – bei Interesse

■ Angebote auf Gruppenebene

Die Optimierung der Sucht-Selbsthilfe durchGesundheitsförderung kann unzählige Formenannehmen. Mit dem wenigsten Aufwand las-sen sich kleine Veränderungen im Alltag vor-nehmen, kurzfristige und einmalige Aktionenbedürfen mehr Vorbereitung und langfristigeUmstrukturierungen bzw. der Aufbau dauer-hafter weiterer Angebote erfordert den läng-sten Atem. Viele Workshop-TN haben begon-nen, die neu gewonnenen Ideen in ihren Grup-pen umzusetzen. Aus der Vielzahl der Beispie-le von der „S.o.G.-Pinnwand“ sollen dabei nureinige beispielhaft herausgegriffen werden.

Veränderungen im (Gruppen-)Alltag

Was? Bewegungsübungen in derPause (statt Raucherpause)

Wer? BKD-Gruppe in KasselWie viele? 20 PersonenWann? seit Juni 2009Wie oft? alle 14 TageWie gut? Tut allen gutWiederholung? Ja

Was? Bewegung in der GruppeWer? Freundeskreise LV Bremen,

Gruppe 02Wie viele? 10-15 PersonenWann? Montags, während des Grup-

penabendsWie oft? Ein Mal die WocheWie gut? Nach anfänglichem Gemaule

jetzt gutWiederholung? Jede Woche

Was? Idee: Bewegung mit Musik,im gehen-sitzen-stehen (so können alle dran teil-nehmen)

Wer? Guttempler Gemeinschaft„Frohe Zukunft“ und Gäste,Lübeck

Wie viele? ca. 14 Personen

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Wann? Freitag Abend (Gruppen-abend) Start im November

Wie oft? 2 mal im Monat ca. 20 Min.Wie gut? wollen mal sehenWiederholung? wollen wir hoffen

Was? Tagesseminar: Preiswertund gesund kochen

Wer? Kreuzbund AhausWie viele? 24 TeilnehmerWann? 1. Oktober 2009Wie oft? ErstmaligWie gut? Kurs überbuchtWiederholung? Auf jeden Fall

Wiederkehrende Angebote

Bewegung und Sport: ● Radtour, Wanderung z. B. an Feiertagen

mit anschließendem gemütlichen Beisam-mensein

● Abendwanderung im Anschluss an dasGruppentreffen

● Wöchentlich stattfindende Sportgruppen (in Zusammenarbeit mit Sportvereinen,oder selbst angemietete Hallen): Kegeln,Bowling, Tischtennis, Fußball, Volleyball,Handball, Tanz, Wandern, Walken, Laufen,Angeln

Was? Inline- und Hockeykurse(kostenlos)

Wer? Kreuzbund Ahaus und Ahau-ser Hockeyverein

Wie viele? 8-12 JugendlicheWann? samstags morgensWie oft? 1. Samstag im MonatWie gut? rege NachfrageWiederholung? regelmäßig

Was? Lauf-Treff für AnfängerWer? Kreuzbund Ahaus mit Vfl

AhausWie viele? 15 TeilnehmerWann? mittwochs morgen 8:30 UhrWie oft? wöchentlich mit Hausaufga-

beWie gut? Sehr gut (6 Minuten laufen,

1 Minute gehen)Wiederholung? Ja

Was? Gymnastik „Bodystylingmixed by Liesl”

Wer? Freundeskreis NeumarktWie viele? 10-15Wann? Freitag 19:00-20:00 UhrWie oft? wöchentlichWie gut? Sehr gutWiederholung? Ja

Was? Wege zur Entspannung -Fitness-Mix mit Musik

Wer? Kreuzbund-Gruppen SpeyerWie viele? 15 Frauen, 12 MännerWann? 17-18 Uhr und 18.15 bis

19.15 UhrWie oft? 14-tägigWie gut? sehr gute Resonanz führte

zum Angebot von zwei Kur-sen: Muskelkräftigung und -entspannung im Sitzen undStehen; Wirbelsäulengymna-stik; Herz-Kreislauf-Gymna-stik, Phantasiereisen, Yoga-E-lemente, Autogenes Training- in Kooperation mit der VHS

Wiederholung? dauerhaftes Angebot

Was? Kräuterwanderung (inte-griert auch den BereichErnährung)

Wer? Kreuzbund DiözesanverbandEichstätt

Wie viele? 28 PersonenWann? regelmäßig jährlich im Früh-

jahr

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Wie oft? einmal jährlichWie gut? begeisterte TeilnahmeWiederholung? ja, Nachfrage ist groß

Gesunde Ernährung:● Rezeptbörse einrichten● Kochtreffs z. B. unter einem Thema/Motto:

– Vegetarische Küche– Landestypische Gerichte (vielleicht gibt

es „Experten“ in der Gruppe)– „Gerichte aus der Kindheit neu ent-

decken“● Kochtreffs der besonders kreativen Art:

– „Heute kochen wir BLAU“ (mit „blau“ imTitel („Forelle blau“) oder nur mit blauenLebensmitteln (Aubergine, Blaubeeren) –„Kochen in den Vereinsfarben“)

– „Unsere gesunde/vegetarische WM-Küche“ …

● Spielerisches Kochen:– Kochduell mit gesunden Zutaten

Was? Vegetarisch statt KuchenWer? BKE HusumWie viele? 18 PersonenWann? Ab November 2009Wie oft? Alle 14 TageWie gut? Schauen wir malWiederholung? Ja

Was? „Pütt un Pann“ - KochgruppeWer? Freundeskreis EckernfördeWie viele? 8-10 PersonenWann?Wie oft? 2 x im MonatWie gut? Sehr gutWiederholung?

Was? ErnährungsquizWer? Frauengruppe, Wuppertal,

KreuzbundWie viele? ca 8 FrauenWann? Dienstags, während des Grup-

penabends

Wie oft? einmal bis jetztWie gut? kam gut anWiederholung? als Methode für Gruppen-

abende geeignet

Beispiele für „Besondere Veranstaltungen“● Wattwanderung; Strandspaziergang● Wanderung im Naturpark● Stadtwanderungen (verschiedene Städte)● Fußgängerrallye● Adventswanderung● abendliche Stadtwanderung mit abschlie-

ßender Einkehr in ein vegetarisches Bistro● Sommerfest mit Bewegungsspielen (Dart,

Hufeisenwerfen; Torwandschießen, Gummi-stiefelweitwurf)

Was? Fahrradtour (25 km) mitPicknick auf Spielplatz

Wer? Guttempler Gemeinschaft„Trolle“, Hamburg

Wie viele? 10 Erwachsene, 4 KinderWann? 19. April 2009Wie oft? jährlichWie gut? viel Spaß, gute GesprächeWiederholung? Ja

Was? DrachenbootregattaWer? Guttempler-Gemeinschaft

„Humanitas“ Mülheim/RuhrWie viele? 20 PersonenWann? 30. August 2009Wie oft? 1x im Jahr + TrainingWie gut? Toll, 13 Platz von 20Wiederholung? jährlich

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Literaturverzeichnis

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Kontaktadressen

BBllaauueess KKrreeuuzz iinn DDeeuuttsscchhllaanndd ee.. VV..Tel.: +49 (0)202 – 62 003 – 0Fax: +49 (0)202 – 62 003 – 81Schubertstraße 41D – 42289 WuppertalE-mail: [email protected]: www.blaues-kreuz.de

BBllaauueess KKrreeuuzz iinn ddeerr EEvvaannggeelliisscchheenn KKiirrcchhee ––BBuunnddeessvveerrbbaanndd ee.. VV.. Tel.: +49 (0)231 – 58 64 13 – 2 Fax: +49 (0)231 – 58 64 13 – 3 Julius-Vogel-Straße 44 D – 44149 Dortmund E-Mail: [email protected]: www.blaues-kreuz.org

FFrreeuunnddeesskkrreeiissee ffüürr SSuucchhttkkrraannkkeennhhiillffee –– BBuunnddeessvveerrbbaanndd ee.. VV..Tel.: +49 (0)561 – 78 04 13Fax: +49 (0)561 – 71 12 82Untere Königsstr. 86D – 34117 KasselE-mail: [email protected]: www.freundeskreise-sucht.de

GGuutttteemmpplleerr iinn DDeeuuttsscchhllaanndd ee.. VV..Tel.: +49 (0)40 - 24 58 80Fax: +49 (0)40 - 24 14 30Adenauerallee 45D – 20097 HamburgE-Mail: [email protected]: www.guttempler.de www.juvente.de

KKrreeuuzzbbuunndd ee.. VV..Tel.: +49 (0)2381 – 67 272 – 0Fax: +49 (0)2381 – 67 272 – 33Münsterstraße 25D – 59065 Hamm/Westf.Email: [email protected]: www.kreuzbund.de

DDeeuuttsscchhee HHaauuppttsstteellllee ffüürr SSuucchhttffrraaggeenn((DDHHSS)) ee.. VV.. Tel.: +49 (0)2381 – 9015 – 0 Fax: +49 (0)2381 – 9015 – 30 Westenwall 4D – 59065 Hamm E-Mail: [email protected]: www.dhs.de

BBuunnddeessmmiinniisstteerriiuumm ffüürr GGeessuunnddhheeiitt ((BBMMGG))Tel.: +49 (030)18 – 441 – 0Friedrichstraße 108D – 10117 BerlinWeb: www.bmg.bund.de

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Ein Projekt der fünf Sucht-Selbsthilfeverbände

Gefördert durch das Bundesministerium für Gesundheit,unterstützt von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen