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Suchtprävention im sozialen Wandel – Geschichte und Geschichten Richard Müller Fachtagung der SFA: Worauf basiert die Suchtprävention? Freiburg 24. Mai 2007

Suchtprävention im sozialen Wandel - sfa-ispa.ch · Auch die Prohibition begleitet die Menschen seit Urzeiten 1. prohibitionistisches Zeugnis ägyptischer Papyrus 2000 v. Chr. «Ich,

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Suchtprävention im sozialen Wandel –

Geschichte und Geschichten

Richard Müller

Fachtagung der SFA:Worauf basiert die Suchtprävention?

Freiburg 24. Mai 2007

«Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht

unergründlich nennen?»(Thomas Mann)

Drogen aller Art sind Teil der sozio-historischen Wirklichkeit des Menschen

«Wir haben den Soma getrunken.Wir sind unsterblich geworden.Wir sind zum Licht gekommen.Wir haben die Götter getroffen.»(Rig Veda 1200 bis 1000 v. Chr.)

Auch die Prohibition begleitet die Menschen seit Urzeiten

1. prohibitionistisches Zeugnis ägyptischer Papyrus 2000 v. Chr.

«Ich, Dein Vorgesetzter, verbiete dir, in die Taverne zu gehen;denn dort wirst du zum Tier erniedrigt»

Codex Hammurabi (1728-1686 v. Chr.)Strenge Bierausschankbestimmungen

In der Antike finden sich unzählige Vorschriften zum Alkoholgebrauch

Drogen im Mittelalter

Mit dem Hexenwahn im Mittelalter gerät das Wissen der weisen Frauen um die Drogen in VerrufSchmerz ist die Strafe Gottes –Mittel gegen Schmerzen = Pakt mit dem TeufelNur eine Drogen bleibt göttlich – das Blut Christi – der AlkoholSittenmandate und Luxusverordnungen im Mittelalter zur Sozialdisziplinierung der Plebejer

Staat greift seit je her in die Präferenzen der Bürger ein

In Syrien des 16. Jh. werdenKaffeehäuser als Lasterhöhlen geschlossenSultan Murad IV (1612-1640) verbietet Tabak- und Alkoholkonsum bei TodesstrafeZar Michael verbietet Rauchen (1634) und lässt Raucher auspeitschen, kastrierenPapst Innozenz X. exkommuniziert Raucher

Der Fiskus entdeckt die Einträglichkeit der

DrogensteuernJames I., Autor von “A Counterblaste to Tobacco” (1604), erhebt exorbitante TabakzölleAlkoholmonopole, Tabakmonopole werden eingeführt, doch fiskalisch begründetIwan der Schreckliche (1564-72) erfindet die Kabaken: Wodkasteuer wird zur Stütze des Staates, wer Alkoholproduktion kontrolliert, hat die Macht im Staat Whiskey-Rebellion gegen Steuern (1794) von George Washington mit der Armee unterdrückt

Auch in der Schweiz …Tabakverbote in Basel, Bern, ZürichVerbote halten sich zum Teil bis ins 2. Jahrzehnt des 18. JahrhundertsDoch unter der Macht des Handels, beginnt sich der Tabakkonsum durchzusetzenVor allem Tabak-schnupfen setzt sich –zunächst als Luxusgut (mit köstlichsten Accessoires) bei der Elite – durch

Der neue Diskurs: moralischer Utopismus

Kreuzüge gegen Alkohol und Drogenmoralische Unternehmer wollen das Elend ausrotten, nicht immer zimperlich in der Wahl der Mittel

Alkoholprohibition in USAReverend Bill Sundayam 16.01.1920 (Tag als Prohibition in Kraft trat):«The reign of tears is over.The slums will soon be a memory. We will turn our prisons into factories and our jails into storehouses.Men will walk upright now, woman will smile, and the children will laugh.Hell will be forever for rent.»

Die Erfindung der Prävention

Präventionsbegriff extrem beliebigPrävention ist mit der Entdeckung der Gestaltbarkeit von Gesellschaft verbunden

Auguste Comte (1798-1857):«Voir pour savoirSavoir pour prévoirPrévoir pour prévenir»

Prävention als Faszinosum

staatlichen Handelnsfür die Linken“egalitäre Selbstverwirklichung”für die Rechten“jeder schütze seineeigene Gesundheit”für die Konservativen“höchste Pflicht ist,Mitglied des Staates zu sein”

Marx

Mills

Hegel

Im Paradies Präventanien� niemand raucht� Drogen sind unbekannt � alle trinken vernünftig� alle essen 5mal Gemüse am Tag� alle ertüchtigen sich während

einer halben Stunde pro Tag� jedermann schläft 8 Stunden, nicht mehr und

nicht weniger� alle fahren Dreirad und nicht Auto� niemand legt sich mehr als 30 Minuten an die

Sonne� Wenn jemand ausschert, spürt er den sanften

Zwang des Staates� Da alle 120 Jahre alt werden, arbeitet man bis 80� Leider ist Präventanien bankrott

Lob der Prävention

Prävention erlöst uns der Sysiphosarbeit desReagierens auf NormabweichungenPrävention öffnet uns den Weg dem frustrierenden Reparaturbetrieb, in dem anSymptomen laboriert wirdPrävention hilft sparen, denn Prävention soll ja verhüten, ehe Schaden entsteht

Der präventiveBlick

Prävention im Sinne von Vorbeugen ist völlig vernünftig. Wir alle verhalten uns präventiv

� Zähneputzen gegen Karies� Wärmeschutz vor dem Skilaufen� Wasservorrat auf dem Wüstentreck� Schutz vor unerwünschter Schwangerschaft

Vorkehrungen schützen uns nicht mit Gewissheit, aber sie mindern das Risiko,Schaden zu erleiden

Prävention ist offenbar ein sinnvolles und vernünftiges Verhalten, wenn wir selbst

entscheiden können, was uns frommt.

Schwierigkeiten entstehen dann, wenn andere für uns

entscheiden.

Problem erkannt -Gefahr gebannt?

Intervention, ehe auslatenter Gefährdung konkreteGefahr wirdWissen um Beziehung zwischen Latenz und Manifestation beruht häufig auf Plausibilitäten undHoffnungen, und nicht auf WissenPrävention verkommt zum Würfelspiel oderIntervention beruht auf weltanschaulichen Annahmen

Ist Prävention «an sich»unschuldig oder neutral?Sie ist es, dann und nur dann, wenn ich selbst über mein Verhalten entscheiden kannkritisch wird es, wenn andere für mich entscheiden und Macht ausübendie Macht nämlich, Ziele zu setzen undVerhalten zu steuern⇒ insofern ist Prävention stets autoritär

Die «verlorene Unschuld» der

PräventionPrävention auf dem Gebiete der Arbeits- undUmwelthygiene eine ErfolgsstoryAuch hinsichtlich der Infektionskrankheiten sind Erfolge der Prävention erklecklich«Unschuld» geht verloren, sobald sich diePrävention mit Verhalten beschäftigtWas wurde in der Geschichte der Prävention nicht alles unternommen, um «abweichendem Verhalten» vorzubeugen

Sterilisationals präventives

HandelnSozialdarwinismus dominiert die gegen Endedes 19. Jh. aufkommende PsychiatrieGalton entwickelt die Eugenik: Förderung der Fortpflanzung des Wertvollen, Verhinderung der Fortpflanzung des MinderwertigenAlle führenden Pschychiater des ausgehenden19. Jh. sind Rassisten Zwangssterilisation bis weit ins 20.Jahrhundert. In der Schweiz ein dunkles Kapitel der Geschichte

Prävention – Schlagwort der Moderne

Prävention⇒ Auftretenswahrscheinlichkeit von

unerwünschten Zuständen oder Zustandsfolgen bei Individuen oder Gruppen

von Individuen verhindern oder mindern

Aus dieser Sicht ist der Sinn und die Legitimation der Prävention evident

⇒Prävention ist an sich «gutes Handeln» undethisch fundiert

Die Verhütung der OnanieMasturbation wird im 19. Jh. als Ursache vieler Geisteskrankheiten angesehen:Epilepsie, jugendliche Rebellion, Hysterie,Neurosen etc.Kleine Jungen und Mädchen werden mit ingeniösen Apparaten malträtiert, um dieBerührung der Genitalien zu vermeiden

Beschneidung als moderne Prävention

Besondere «Heilmethode» ist die Beschneidung der JungenBeschneidung als Onanieprophylaxe findet rasende Verbreitung, besonders im prüden Nordamerika, zwecks Abschreckung selbstverständlich ohne AnästhesieFür Mädchen wird das Auftragen vonKarbolsäure auf die Klitoris empfohlen

Beispiele zeigen...

Geschichte der Prävention ist die Geschichte vonNormalisierungsversuchen – oft ohne ätiologisches Wissen Wer Prävention sagt, denkt eine bestimmte oder unbestimmte Gefahr mitVor allem das Jugendalter wird als Risikophase definiertKinder und Jugendliche werden zur Projektionsfläche von Ängsten der Erwachsenen

Risikoblick der Erwachsenen� Jugendzeit=Risikozeit=Risikogruppe

� Spontanes, wagemutiges Handeln=Risiko

Jugendliche beliebteste Zielgruppe der Prävention

zumeist gefangenes Publikum müssen sich die Wohltaten der Prävention nolens volens über sich ergehen lassen

Zugleich glorifizieren Erwachsene die eigene JugendzeitTendenz immer früher, insbesondere SuchtpräventionResultat des Scheiterns der Prävention bei Jugendlichen

Paradigmen der Prävention

Du kannst nicht! (weil es dir nicht zusteht)Sozialdisziplinierung

Du sollst nicht! (weil dies gegen die Moral verstösst)

Entdeckung der Eigenverantwortlichkeit des Menschen„Der Teufel liegt in der Seele des Menschen“

Du darfst nicht! (weil es gefährlich ist)Aufklärung und Furchtbotschaften

Du darfst, wenn du autonom bist! (wenn du dich und deine Umwelt im Griff hast)

„Drogenmündigkeit“

Phasen der Drogenprävention(aufeinander aufbauend und rückgekoppelt,

Mischvarianten)

1. Abschreckung und Repression2. Information, Sachaufklärung3. Vermittlung funktionaler Äquivalente,

affektive Erziehung4. Resistenztechniken, normative Erziehung5. Förderung von Lebenskompetenzen6. Gesundheitsförderung (setting im Fokus)7. Risikobegleitung, Erziehung zur

„Drogenmündigkeit“

Der Sinn der PräventionPrävention macht nur Sinn, wenn ein Verhalten oder ein Zustand als unerwünscht definiert wird. Es gilt deshalb– abzuschrecken– zu verhindern– zu disziplinieren– zu vermeiden– zu reduzieren– zu kontrollieren– zu sichern– zu begrenzen– zu fördern– zu verbessern ...

Unser gefahrenfixiertes Ansinnen macht uns bei vielen Adressaten suspekt!

Akzeptanzorientierte Suchtprävention

Möglichkeit, Drogen lebenskompetent und kontrolliert zu konsumierenVerbraucher/innenberatung, -schulung

Sachgerechte, Vor- und Nachteile einbeziehende Substanzkenntnisse

Vermittlung risikoarmer, regelorientierter, ritualgestützer, gesundheitsschonender und genussbezogener Gebrauchsvarianten

Sensibilität für Risiken

⇨ Selbstbezogene Vermeidung zwanghafter Drogengebrauchsmuster

Was lehrt uns die Geschichte der PräventionGeschichte der Prävention ist die Geschichte von Normalisierungsversuchen, von Kreuzzügen, aber auch der Compassion mit der leidenden KreaturWer Prävention sagt, denkt eine bestimmte oder unbestimmte Gefahr mitVor allem das Jugendalter wird als Risikophase definiertKinder und Jugendliche werden zur Projektionsfläche von Ängsten der Erwachsenen

Quo vadis?«wenn man nicht weiss, welchen Hafen man ansteuert,

ist kein Wind günstig» Seneca

Die Lebensdauer eines Trends beträgt etwa 15 Jahre – dies gilt auch für DrogenkonjunkturenDank «Refraiming» leben Trends längerHirnforschung und Informatik wachsen zusammen Übersinnliche Erlebnisse durch elektronische Beeinflussung des Gehirns (Verdrahtung von Chips mit Nervenzellen)Hirnbeeinflussungsmaschinen: mit magnetischen Feldern werden übersinnliche Erlebnisse evoziert

5 Minuten Erleuchtung im Supermarkt

Danke fürs Zuhören