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86 SamMag/Sonntag, 13./ 14. November 1993 Nr. 26$ WOCHENENDE \J e<;3ürd)er3etag /. Ausbruchstag, Aufnahme vom 14. November 1963, 14.00 Uhr. Schwane, aschegeladene Fontänen färben die Ausbruchswolke dunkel. 3. Ausbruchstag, 16. November 1963. Man erkennt deutlich, dass der Aus- bruch aus mindestens zwei Kratern gespeist wird. 4. Ausbruchstag, 17. November 1963. Die Insel ragt bereits 60 Meter Ober den Meeresspiegel, die Eruptionswolke ist auf 8000 Meter Höhe gestiegen. Surtsey bei Island - vulkangeboren Von Franz-Karl von Linden (Text und Bild) Surtseys Geschichte begann am 14. November 1963 morgens um sieben. Da entdeckte man, dass am isländischen Schelfrand, 33 Kilometer von der Südküste entfernt und 23 Kilometer südwest- lich der Westmännerinsel Heimaey, in 130 Metern Meerestiefe ein Vulkan ausgebrochen war. Um drei Uhr nachmittags war die weiss- leuchtende Eruptionswolke bereits 6000 Meter hoch und konnte auch vom 120 Kilometer entfernten Reykjavik aus gesehen werden. In der Nacht zum 15. November durchbrach der Vulkan die Meeresoberfläche, eine neue Insel war erschienen und wuchs rasch heran. Am 16. November war sie schon 40 Meter hoch und 550 Meter lang, am 23. November hatte sie eine Höhe von 100 Metern und eine Länge von 900 Metern erreicht. Die Aus- bruchswolke war inzwischen auf 10 000 Metern Höhe angelangt. Der Vulkan erhielt den Namen Surtur, nach dem obersten der Feuerriesen, die in der germanischen Mythologie am Ende der Weltzeit von Süden herkommen, um die Erde durch Feuer zu zer- stören. Am 3. April 1964 endete die explosive Phase, weil ein Bims- steinriff dem Meerwasser den Zugang zum Kraterschlot versperrte. Am 4. April begann Lava auszufliessen, zumeist nach Süden, so dass die Küstenlinie dort immer weiter ins Meer hinausgeschoben wurde. Im Sommer und Frühherbst 1964 wurde so viel Lava geför- dert, dass Surtsey sich um % Hektaren pro Tag vergrösserte. Anfang April 1965 erlosch der Krater. *m Oktober 1965 wurde am Nord- hang eine Schutzhütte errichtet, Surtsey zum Naturschutzgebiet er- klärt und allen Nichtwissenschaftern der Zutritt untersagt. Ende Mai tauchte 600 Meter nordöstlich von Surtsey eine Tochterinsel auf, die jedoch Ende Oktober 1965 während eines Herbststurms wieder verschwand. Ende Dezember 1965 erschien eine zweite Tochterinsel südlich von Surtsey. Sie wurde 28 Hektaren gross und konnte sich zehn Monate lang behaupten, ehe sie eben- falls unterging. Am 19. August 1966 öffnete sich auf Surtsey eine Spalte, es bildeten sich drei Krater, aus denen grosse Mengen Lava flossen. Dieser Ausbruch endete im Dezember 1966. Ende Decem- ber brach eine weitere Spalte auf, deren Lava erstmal s zur Ostk.lste floss. Am 3. Januar 1967 öffnete sich eine dritte Spalte. Aus ihr floss Lava erstmals über den Nordhang in die Lagune hinunter. Am 5. Juni 1967 wurde zum letztenmal ein glühender Lavastrom auf der Vulkaninsel beobachtet. Insgesamt dauerte der Ausbruch süd- lich von Island drei Jahre und fast sieben Monate. Er ging als zweit- längster Ausbruch in die isländische Geschichte ein. Im Sommer 1977 wurde auf Surtsey ein Leuchtturm in Betrieb genommen, der bis Dezember 1983 als südlichster Leuchtturm Islands seinen Dienst versah, ehe er einem Sturm zum Opfer fiel. Die Vulkaninsel Surtsey selbst jedoch, die nun am 15. November dreissig Jahre alt wird, hat der stürmischen Nordsee bis heute trotzen können. Luftaufnahme des aktiven Kraters Surtur 11 vom 23. September 1964. Aufnahme vom 5. Juli 1965 aus grosser Höhe in Richtung Nordosten. Surtsey ist 2,6 Quadratkilometer gross, die Tochterinsel, die im Herbst 1965 wieder Surtsey heute: Luftbild des Isländischen Vermessungsamtes, aufgenommen verschwand, ragt etwa 60 Meter über den Meeresspiegel. Im Hintergrund die Westmännerinseln und die isländische Südküste. aus 2200 Metern Höhe am 16. Juli 1993. Neue Zürcher Zeitung vom 13.11.1993

Surtsey bei Island vulkangeboren - Neue Zürcher Zeitung...Surtsey ist 2,6 Quadratkilometer gross, die Tochterinsel, die im Herbst 1965 wieder Surtsey heute: Luftbild des Isländischen

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Page 1: Surtsey bei Island vulkangeboren - Neue Zürcher Zeitung...Surtsey ist 2,6 Quadratkilometer gross, die Tochterinsel, die im Herbst 1965 wieder Surtsey heute: Luftbild des Isländischen

86 SamMag/Sonntag, 13./ 14. November 1993 Nr. 26$ WOCHENENDE \J e<;3ürd)er3etag

/. Ausbruchstag, Aufnahme vom 14. November 1963, 14.00 Uhr. Schwane,aschegeladene Fontänen färben die Ausbruchswolke dunkel.

3. Ausbruchstag, 16. November 1963. Man erkennt deutlich, dass der Aus-bruch aus mindestens zwei Kratern gespeist wird.

4. Ausbruchstag, 17. November 1963. Die Insel ragt bereits 60 Meter Oberden Meeresspiegel, die Eruptionswolke ist auf8000 Meter Höhe gestiegen.

Surtsey bei Island - vulkangeborenVon Franz-Karl von Linden (Text und Bild)

Surtseys Geschichte begann am 14. November 1963 morgens

um sieben. Da entdeckte man, dass am isländischen Schelfrand,33 Kilometer von der Südküste entfernt und 23 Kilometer südwest-lich der Westmännerinsel Heimaey, in 130 Metern Meerestiefe einVulkan ausgebrochen war. Um drei Uhr nachmittags war die weiss-leuchtende Eruptionswolke bereits 6000 Meter hoch und konnteauch vom 120 Kilometer entfernten Reykjavik aus gesehen werden.In der Nacht zum 15. November durchbrach der Vulkan dieMeeresoberfläche, eine neue Insel war erschienen und wuchs raschheran. Am 16. November war sie schon 40 Meter hoch und550 Meter lang, am 23. November hatte sie eine Höhe von100 Metern und eine Länge von 900 Metern erreicht. Die Aus-bruchswolke war inzwischen auf 10 000 Metern Höhe angelangt.

Der Vulkan erhielt den Namen Surtur, nach dem obersten derFeuerriesen, die in der germanischen Mythologie am Ende der

Weltzeit von Süden herkommen, um die Erde durch Feuer zu zer-stören. Am 3. April 1964 endete die explosive Phase, weil ein Bims-steinriff dem Meerwasser den Zugang zum Kraterschlot versperrte.Am 4. April begann Lava auszufliessen, zumeist nach Süden, sodass die Küstenlinie dort immer weiter ins Meer hinausgeschoben

wurde. Im Sommer und Frühherbst 1964 wurde so viel Lava geför-dert, dass Surtsey sich um % Hektaren pro Tag vergrösserte. AnfangApril 1965 erlosch der Krater. *m Oktober 1965 wurde am Nord-hang eine Schutzhütte errichtet, Surtsey zum Naturschutzgebiet er-klärt und allen Nichtwissenschaftern der Zutritt untersagt.

Ende Mai tauchte 600 Meter nordöstlich von Surtsey eineTochterinsel auf, die jedoch Ende Oktober 1965 während einesHerbststurms wieder verschwand. Ende Dezember 1965 erschieneine zweite Tochterinsel südlich von Surtsey. Sie wurde 28 Hektarengross und konnte sich zehn Monate lang behaupten, ehe sie eben-

falls unterging. Am 19. August 1966 öffnete sich auf Surtsey eineSpalte, es bildeten sich drei Krater, aus denen grosse Mengen Lavaflossen. Dieser Ausbruch endete im Dezember 1966. Ende Decem-ber brach eine weitere Spalte auf, deren Lava erstmals zur Ostk.lstefloss. Am 3. Januar 1967 öffnete sich eine dritte Spalte. Aus ihr flossLava erstmals über den Nordhang in die Lagune hinunter. Am5. Juni 1967 wurde zum letztenmal ein glühender Lavastrom aufder Vulkaninsel beobachtet. Insgesamt dauerte der Ausbruch süd-lich von Island drei Jahre und fast sieben Monate. Er ging als zweit-längster Ausbruch in die isländische Geschichte ein. Im Sommer1977 wurde auf Surtsey ein Leuchtturm in Betrieb genommen, derbis Dezember 1983 als südlichster Leuchtturm Islands seinenDienst versah, ehe er einem Sturm zum Opfer fiel. Die VulkaninselSurtsey selbst jedoch, die nun am 15. November dreissig Jahre altwird, hat der stürmischen Nordsee bis heute trotzen können.

Luftaufnahme des aktiven Kraters Surtur 11 vom 23. September 1964.

Aufnahme vom 5. Juli 1965 aus grosser Höhe in Richtung Nordosten. Surtsey ist 2,6 Quadratkilometer gross, die Tochterinsel, die im Herbst 1965 wieder Surtsey heute: Luftbild des Isländischen Vermessungsamtes, aufgenommenverschwand, ragt etwa 60 Meter über den Meeresspiegel. Im Hintergrund die Westmännerinseln und die isländische Südküste. aus 2200 Metern Höhe am 16. Juli 1993.

Neue Zürcher Zeitung vom 13.11.1993