7
22 Abenteuer Philosophie / Nr. 123 philoSPIRIT SYMBOLE Universalsprache der Menschheit Im Advent schmückt ein Adventkranz unsere Wohnungen, zu Weihnachten ein Christbaum; zu Ostern färben wir Eier und schenken uns Hasen – am liebsten aus Schokolade; am 1. Mai wird ein Maibaum aufgestellt, zum Fasching verkleiden wir uns, an Geburtstagen essen wir Torten und zu Neujahr einen Sauschädel. Außerdem schütteln wir uns zur Begrüßung die rechten Hände, tragen Eheringe und zünden unseren Verstorbenen ein Licht an. Symbole sind also in unserem Alltag allgegenwärtig. Doch welche Bedeutung haben all diese Symbole? Vor allem wozu braucht sie der Mensch? Von Hannes Weinelt

SYMBOLE - Abenteuer Philosophie · N. 123 r / Abenteuer Philosophie 23 philoSPIRIT A n den Ufern der großen kanadischen Seen leben bis heute einige Stämme der Ojibway-Indianer

  • Upload
    buingoc

  • View
    214

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

22 Abenteuer Philosophie / Nr. 123

p h i l o S P I R I T

SYMBOLEUniversalsprache der MenschheitIm Advent schmückt ein Adventkranz unsere Wohnungen, zu Weihnachten ein Christbaum; zu Ostern färben wir Eier und schenken uns Hasen – am liebsten aus Schokolade; am 1. Mai wird ein Maibaum aufgestellt, zum Fasching verkleiden wir uns, an Geburtstagen essen wir Torten und zu Neujahr einen Sauschädel. Außerdem schütteln wir uns zur Begrüßung die rechten Hände, tragen Eheringe und zünden unseren Verstorbenen ein Licht an. Symbole sind also in unserem Alltag allgegenwärtig. Doch welche Bedeutung haben all diese Symbole? Vor allem wozu braucht sie der Mensch?

Von Hannes Weinelt

Nr. 123 / Abenteuer Philosophie 23

p h i l o S P I R I T

An den Ufern der großen kanadischen Seen leben bis heute einige Stämme der Ojibway-Indianer. Über Jahr-

hunderte stellten sie fest, dass die ersten drei Monate des Jahres ohne Gewitter vergehen. Im April ist dann der Donner zum ersten Mal zu hören. Die Donnertage steigern sich bis zum Juli, um dann wieder abzunehmen und schließlich im Oktober zum letzten Mal Gewitter zu bringen. Gleichzeitig mit den Donnertagen kommen die Zugvögel aus dem Süden und verschwinden mit den

Gewittern im Oktober, weshalb sie die „Donnervögel“ genannt wurden.

Wir belächeln heute solche Bezeich-nungen, denn schließlich sind

Meteorologie und Ornithologie (Vogelkunde) zwei komplett ver-schiedene Wissenschaft en, und Zugvögel haben mit dem Donner nichts zu tun. Früher nannten wir

solche Völker primitiv, heute vor-wissenschaft lich. Damit jedoch

sind wir auf einem doppel-ten Holzweg: erstens wis-sen auch die Ojibway, dass

die Donnervögel nicht die Ursache der

Gewitter sind, aber es gibt eine off en-

sichtliche Nähe der beiden Phänomene, was den Begriff rechtfertigt. Zweitens gibt es keinen Entwicklungs- geschweige denn Fortschritt vom Weltbild der Ojibway zu einem wissenschaft lichen Weltbild, sondern es sind grundsätzlich zwei verschiedene Betrachtungs- und Verhaltensweisen, die der Mensch gegenüber der Welt einneh-men kann. Was unseren wissenschaft li-chen Augen als untaugliche Wetterkunde erscheint, ist in den Augen der Ojibway einfach eine Ordnung der umgebenden Welt aus der gelebten, praktischen Erfahrung. So wie sich bei unseren bäuerlichen Traditio-nen gelebte Erfahrungen von Anbauformen oder Wetterkunde ergeben, die dem Agrar-wissenschaft ler verborgen bleiben. Dieser verlässt sich lieber auf Pestizide als auf das Anbauen zu einer bestimmten Mondphase oder von Zusatzpfl anzen, um Schädlinge fernzuhalten.

Zu allen Zeiten und in allen Kulturen suchte der Mensch den Sinn und die Ord-nung der Dinge. Immer wurde der cha-otischen Vielfalt der Welt eine Ordnung gegeben und den Phänomenen eine Ursache und ein Sinn zugeschrieben. Und diese Ord-nung und Sinngebung funktioniert durch das Symbolisieren. Großartig wird dies vom Philosophen Ernst Cassirer in seiner Philo-sophie der symbolischen Formen dargestellt.

Symbole schaff en Sinn

Nach Cassirer ist Kultur die Art und Weise, wie der Mensch durch Symbole Sinn erzeugt. Symbole entstehen also stets in Ver-bindung zur Sinnlichkeit, haben aber einen Sinn, der über sie hinaus weist. Bleiben wir beim sinnlichen Phänomen von Blitz und Donner: Die alten Griechen schrieben dieses Phänomen dem Gott Zeus zu. Die Etrusker entwickelten aus den Blitzen hoch-komplexe Prophezeiungen, für unsere heu-tige Wissenschaft handelt es sich um elektro-statische Entladungen. Cassirer bezeichnet Mythologie, Sprache, Wissenschaft , Religion und Kunst als gleichwertige symbolische Formen. Der Blitz als elektrostatische Ent-ladung enthüllt uns nicht mehr und nicht weniger über Sinn und Bedeutung dieses Phänomens als der blitzeschleudernde Zeus.

N EUEBu ch ers c heinung

p h i l o S O C I E T Y

Preis: € 18,50 + Versandkostenfür Abonnenten: € 13,50 + VersandkostenBestellung: Verlag Filosofi ca,Münzgrabenstraße 103, 8010 Grazvertrieb@ abenteuer-philosophie.com,Tel.: 0043-316-481443

Der Autor Fernand Schwarz ist Anthropologe und widmet sich seit 40 Jahren der Erforschung der symbolischen Strukturen der antiken aber auch der modernen Gesellschaften.

24 Abenteuer Philosophie / Nr. 123

p h i l o S P I R I T

Kehren wir zu einem Beispiel des Anfangs zurück: warum stellen wir zu Weihnachten einen lichtergeschmückten Nadelbaum auf? Der immergrüne Baum als Symbol des ewigen Lebens in der dunkelsten Zeit des Jahres? Die Lichter als Symbol der Wie-dergeburt der Sonne zur Wintersonnwende? Der Baum ist nun kein einfacher Baum mehr, er repräsentiert das Leben. Die Lich-ter dienen nicht einfach zur Produktion von Helligkeit, sondern repräsentieren die wiedergeborene Sonne. Das Symbolisieren enthüllt uns das Unsichtbare im Sichtbaren, enthüllt uns den im Sichtbaren verborgenen unsichtbaren Sinn.

Ohne die Fähigkeit des Symbolisierens bleiben wir bei der oberfl ächlichen und funktionalen Bedeutung der Dinge, ähn-lich wie die Tiere. Tiere sammeln Zweige, um ihren Unterschlupf auszupolstern, der Mensch jedoch kann daraus einen Advent-kranz formen, einen Kreis aus immergrünen Zweigen, was wiederum das Leben ohne Anfang und E n d e s y mb ol i s i e r t .

Daher ist für Cassirer der Mensch ein homo symbolicus. Der Mensch wird nicht zum Menschen durch die Fähigkeit, Werkzeuge zu schaff en, sondern durch die Fähigkeit des Symbolisierens Sinn und Bedeutung zu schaff en. Der Mensch ist das einzige Wesen der Natur, das existiert und seiner Exis-tenz einen Sinn verleihen kann – dank des symbolischen Denkens. Wenn der Mensch bzw. eine ganze Kultur das symbolische Denken verliert, wir also den Dingen der Welt keinen Sinn mehr verleihen können, wird schließlich das ganze Leben sinn- und bedeutungslos.

Woher kommen die Symbole?

Zunächst erkennen wir, dass den Symbo-len der verschiedenen Völker und Kulturen eine Tradition von Mythen und Legenden zugrunde liegt. Diese Traditionen sind oft so stark in einem Kollektiv verankert, dass sie selbst durch eine neue religiöse oder wissenschaft liche Struktur nicht zum Ver-schwinden gebracht werden können. So zum Beispiel war das Ereignis der Winter-sonnwende mit seiner Symbolik des Lichtes so stark in den keltisch-germanischen Tra-ditionen Europas verwurzelt, dass das neu entstehende Christentum das Weihnachts-fest und die Geburt von Jesus schließlich auf dieses Datum legen musste. Vielfach wurden heidnische Traditionen einfach

mit christlichen Symbolen überlagert.Aus heutiger philosophischer und anthro-

pologischer Sicht wird das Symbol generell unter die Idee des Zeichens eingeordnet, wobei man drei Ebenen unterscheidet: ers-tens das Zeichen an sich, wie zum Beispiel mathematische Zeichen, oder die Noten-schrift in der Musik oder auch Verkehrs-zeichen. Das Zeichen ist dadurch defi niert, dass der Zusammenhang zwischen dem sichtbaren Bild und seiner Bedeutung will-kürlich ist. Ein „P“ steht für Parken, ein auf dem Kopf stehendes Dreieck für negativen Vorrang, usw. Die nächste Ebene ist die Allegorie. Diese dient dazu, eine abstrakte Idee sichtbar zu machen. Beispielsweise die Gerechtigkeit, lat. Iustitia. Sie wurde im Bild einer Frau mit verbundenen Augen, Schwert und Waage zusammengefasst. Eine solche Allegorie erschließt sich uns durch

eine Reihe von Interpretationsschritten: was bedeuten die verbundenen Augen, die Waage, das Schwert?

Bei der dritten Ebene, dem Symbol, ist diese interpretierende Arbeit nicht not-wendig. Das Symbol lässt seine unsichtbare Bedeutung unmittelbar erahnen. Die Waage steht für „Abwägen“, für „ausgleichende Gerechtigkeit“, das Schwert für „Kampf “ und „Urteilsvollstreckung“. Die Bedeutung ist unmittelbar im Symbol angelegt, das Symbol ist also nicht willkürlich. Weder ein Schaukelstuhl noch eine Friedenstaube kön-nen Symbole für den Kampf sein. Zeichen sind austauschbar, Symbole stehen mehr oder weniger fest.

Schon Goethe unterschied in seinen „Maximen und Refl exionen“ das Symbol von der Allegorie. Für ihn ist das Symbol eine „aufschließende Kraft “, die „im Beson-deren das Allgemeine und im Allgemeinen das Besondere darzustellen vermag“. „Die Symbolik verwandelt die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild, und so, dass die Idee im Bild immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt und, selbst in allen Spra-chen ausgesprochen, doch unaussprechlich bliebe.“ Das Symbol besitzt demnach eine unendliche Bedeutungsfülle. Und diese ist nicht rational und kann sogar widersprüch-lich sein. Feuer kann zum Beispiel für Geist, Iustitia

Das Zeichen, wie z. B. ein

Verkehrszeichen, ist im Gegensatz zum

Symbol ein willkürlich bestimmtes Bild

Nr. 123 / Abenteuer Philosophie 25

p h i l o S P I R I T

Erkenntnis, Schöpfung, Transformation, das Göttliche aber auch für Blenden, Zerstörung oder Krieg stehen. Niemals kann ein Bild den gesamten Inhalt darstellen, aber immer ist das Symbol ein Mittler zwischen der sinnlichen Welt und den dahinter verbor-genen Ideen, zwischen dem Sicht- und dem Unsichtbaren.

Für C. G. Jung enthält jedes Symbol einen „Archetypus als unanschaulichen, aber energiegeladenen Bedeutungskern“. Symbole werden für Jung nie bewusst erson-nen, sondern vom Unterbewussten produ-ziert, worauf auch seine Traumpsychologie aufb aut. Die Sprache unserer Träume ist eine Symbolsprache, eine Sprache unseres Unbewussten und sogar eines kollektiven Unbewussten, das heißt diese Sprache ist universell. Zu diesem Schluss gelangt auch Erich Fromm: er nennt die Symbole die

„Universalsprache der Menschheit“, die in allen Kulturen und zu allen Zeiten gleich ist. Der moderne Mensch jedoch hat diese Sprache verlernt, und sie ist nur noch in unseren Träumen vorhanden.

Woher also kommen die Symbole? Von nirgendwo! Vielmehr sind sie schon im Menschsein angelegt. Alles wird zum Symbol, dort wo der menschliche Geist die dahinter liegende Bedeutung erfasst, die gesamte Natur, auch wir selbst sind ein Sym-bol, all unser Erleben ist ein Symbol, sobald wir den Sinn dieses Erlebten begreifen.

Wozu brauchen wir Symbole?

Die Sinnfunktion des Symbols wurde schon erwähnt. Ohne symbolisches Denken können wir den Dingen keinen Sinn ver-leihen. Zum Beispiel unseren Krankheiten: obwohl sogar unsere Sprache diesbezüglich voller Symbole ist, wie „die Nase voll haben“,

„das geht mir an die Nieren“, „etwas liegt mir im Magen“, oder „die Galle geht mir über“, haben wir verlernt, was Krankhei-ten uns symbolisch zu sagen versuchen. Indem wir die Krankheiten mit Tabletten aus der Welt schaff en und schließlich auch den Tod negieren, begreifen wir auch das Leben nicht mehr. Denn erst die Integra-tion von Krankheit und Tod gibt unserem Leben einen tieferen Sinn. Sobald wir an unseren Tod denken, denken wir an den Sinn unseres Lebens. Mittels des symbo-lischen Denkens lösen wir uns vom rein oberfl ächlichen äußeren Schein der Dinge und erfassen ihre innere Bedeutung und Wirklichkeit: ein äußeres Achselzucken erkennen wir als innere Ratlosigkeit, ein Geschenk als Zuneigung, einen Unfall als Zeichen, dass ich zu schnell in meinem Leben unterwegs bin.

Symbole haben aber auch eine große Bedeutung als Kommunikationsmit-tel. Nicht umsonst heißt es „ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“. Manchmal ist das Überreichen einer Blume mächtiger als tau-

sende Erklärungen, das Reichen einer Hand oder eine Umarmung stärker als hunderte Ratschläge. Symbole sind die eigentliche Sprache des Menschen. Die alten Sprachen sind voll von Sprichwörtern und blumigen, symbolischen Bildern. Unsere Sprache ist sehr technisch geworden und an festen Begriff en orientiert. Symbole sprechen in jedem Menschen andere Bilder an, werden aber von jedem auf seiner Ebene verstanden. Worte dagegen führen gerade durch ihre Eindeutigkeit zu häufi gen Missverständnis-sen. Die Symbolsprache umfasst neben dem Rationalen auch das Emotionale und das Mysterium. Eine der berühmtesten Predig-ten Buddhas bestand einfach darin, seinen Zuhörern eine Blume zu präsentieren, ohne ein einziges Wort zu sprechen.

Das Absinken der Symbole

Diesen Ausdruck fi nden wir beim großen Religionsphilosophen Mircea Eliade in sei-nem Werk „Die Religionen und das Heilige“. Er führt dabei das Symbol der Perle an, die ursprünglich eine magisch-religiöse Bedeu-tung hatte. Als „vom Wasser geboren“ und auch „vom Mond geboren“ (Atharva Veda), außerdem in der Muschel, dem weiblichen Symbol schlechthin, herangereift , hat die Perle in allen Kulturen eine große Bedeu-

Symbol von symbolon

Im alten Griechenland wurde beim Schließen einer Freundschaft oder eines

Vertrages ein Tontäfelchen in zwei Teile zerbrochen, sodass sich die beiden

Partner oder auch deren Vertreter jederzeit wiedererkennen konnten. Aus

diesem Zusammenfügen (griechisch symballein) entstand der Begriff Symbol

(griechisch symbolon). Das symbolon war also das sichtbare Zeichen für eine

unsichtbare Wirklichkeit, nämlich die einer Freundschaft oder eines Vertra-

ges. Schon Aristoteles bezeichnete die Sprache insgesamt als symbolon der

Vorgänge der Seele und das lateinische symbolum, mit (Kenn)zeichen oder

auch (Sinn)bild übersetzt, wird schließlich zu unserem Begriff Symbol.

Im alten Ägypten wurde das Symbol in Form von zwei, einen Hohlraum

bildenden Händen dargestellt. Damit wird die Idee des Tragens und Bein-

haltens zum Ausdruck gebracht – das Symbol als Träger eines verborgenen,

nicht sichtbaren Inhaltes.

Perlen haben in allen Kulturen eine große

Bedeutung

26 Abenteuer Philosophie / Nr. 123

p h i l o S P I R I T

tung für die Frau. Sie wird als Amulett für das Glück in der Liebe, für Fruchtbarkeit und das Gebären verwendet. Auch beim Totenkult spielt sie daher eine Rolle. In der Medizin wurde die Perle zu einem wichtigen Heilmittel vor allem bei Melancholie, Epi-lepsie und Wahnsinn. Wie man sieht, alles Krankheiten, die einen Zusammenhang mit dem Mondischen aufweisen.

Schließlich jedoch sinkt das Symbol der Perle in den Aberglauben ab, wie zum Bei-spiel, dass man sie nicht schenken solle, da sie Tränen bringen würden, oder verkommt zu einer rein ästhetisch-ökonomischen Bedeutung.

Dieses Absinken der Symbole lässt sich auch bei all den eingangs erwähnten Bei-spielen feststellen. Aus unseren Festen

schwindet mehr und mehr das Wissen um ihre Bedeutung. Über 80% unserer Kinder sprechen bei Weihnachten nur noch von den Geschenken, der Christbaum ist ein Schmuckstück und Süßigkeitenlieferant. Und auch der Osterhase dient als reiner Geschenkebringer, als Fruchtbarkeitssym-bol und Kulttier der germanischen Früh-lingsgöttin Ostara (deren Symbol übrigens außerdem das Ei als Keimzelle des Lebens ist) ist er kaum noch bekannt.

Mit dem Absinken der Symbole verlieren sich das Heilige und das Mysterium aus all unseren Lebensbereichen. Zurück bleibt das rein Profane, das Wirtschaft liche, bestenfalls das Soziale und das Ästhetische. Feste haben nur noch einen gesellschaft lichen Wert, sie stellen eine sinn-lose Tradition dar. Damit verbindet sich der Mensch nicht mehr mit dem kosmischen Geschehen, die Zeit wird nicht mehr als ein ewiges zyklisches Gesche-hen erlebt, in dem man sich permanent erneuert, sondern nur noch als ein sand-uhrartiges Davonrinnen, in dem man stetig altert. Mit dem Verlust des symbolischen Denkens gehen dem Menschen Sinn und Bedeutung seiner Existenz verloren. Der Mensch verliert das Menschliche. Er wird funktional, mechanisch und automatisch.

Eine notwendige Rückkehr der Symbole

Da letztlich alles symbolisch ist, lassen sich Symbole auch nicht verbannen. Doch möchte ich hier eine bewusste Unterschei-dung vornehmen zwischen den natürli-chen Symbolen als „Universalsprache der Menschheit“ (Erich Fromm), und den künstlich und bewusst vom Menschen geschaff enen Symbolen, die das Wissen um das Unbewusste im Menschen zweckorien-tiert nützen. Politisch hat wohl kein System die Macht der Symbole so sehr benützt und missbraucht wie der Nationalsozialis-mus. Dieser Missbrauch wirkt bis heute in einer Art Symbolphobie nach. Aber auch 9/11 ist ein politisch instrumentalisiertes Symbol, das uns die unsichtbare Terror-gefahr allgegenwärtig macht. In unseren heutigen, sogenannten Demokratien sind bewusst instrumentalisierte Symbole all-gegenwärtig. Der als erster Spin-Doktor

Der Beginn des Doktor Spin

Edward L. Bernays gilt als Vater der Propaganda. Er half Unternehmen und

Staatschefs auf der ganzen Welt. Kein Wunder: Sigmund Freud war sein

Onkel.

Unter diesem Titel veröff entlichte die Süddeutsche 2007 einen Artikel von

Dirk Schäfer.

Der 1891 in Wien geborene Bernays verstand es wie kaum ein anderer die

Massen emotional anzusprechen und zu manipulieren. Aufbauend auf dem

Werk seines Onkels Sigmund Freud lernte er die verborgenen und irrationalen

Kräfte des Menschen gewinnbringend zu nutzen und kreierte damit quasi im

Alleingang die moderne Werbe- und PR Industrie. Unter dem Motto „Amerika

von einer Kultur des Bedarfs zu einer Kultur der Wünsche hinzuführen“ wurde

der Grundstein der heutigen Konsumkultur, in der man das kauft, was man

eigentlich nicht braucht, gelegt. Ihm gelang es, die Amerikaner zum Eintritt in

den Ersten Weltkrieg zu bewegen, die Europäer vom Weltfrieden mit amerika-

nischen Waff en zu überzeugen, die linksgerichtete Regierung Guatemalas zu

stürzen, Durchschnittsamerikaner mit Bankkrediten zum Kauf von Aktien zu

bewegen (wofür er auch von den Banken bezahlt wurde) u.v.m.

In seinem Buch „Propaganda“ (das übrigens Göbbels Vorbild für dessen

gesamte nationalsozialistische Propaganda wurde) schreibt er:

„Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten

und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen

Gesellschaft. Wer die ungesehenen Gesellschaftsmechanismen manipuliert,

bildet eine unsichtbare Regierung, welche die wahre Herrschermacht unseres

Landes ist. Wir werden regiert, unser Verstand geformt, unsere Geschmäcker

gebildet, unsere Ideen größtenteils von Männern suggeriert, von denen wir nie

gehört haben. Dies ist ein logisches Ergebnis der Art wie unsere demokratische

Gesellschaft organisiert ist. Große Menschenzahlen müssen auf diese Weise

kooperieren, wenn sie in einer ausgeglichen funktionierenden Gesellschaft

zusammenleben sollen. In beinahe jeder Handlung unseres Lebens, ob in

der Sphäre der Politik oder bei Geschäften, in unserem sozialen Verhalten

und unserem ethischen Denken werden wir durch eine relativ geringe Zahl

an Personen dominiert, welche die mentalen Prozesse und Verhaltensmuster

der Massen verstehen. Sie sind es, die die Fäden ziehen, welche das öff entliche

Denken kontrollieren.“

Nr. 123 / Abenteuer Philosophie 27

p h i l o S P I R I T

bezeichnete Edward Bernays (ein Enkel Sigmund Freuds) sagt dazu in seinem Buch „Propaganda“: „Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokra-tischen Gesellschaft .“ Bernays verstand es, das ganze Wissen um die unbewussten Kräft e im Menschen zu nützen, und daraus die moderne Werbe- und PR-Industrie zur Geburt zu bringen – unterstützt durch die neuen Möglichkeiten der Massenmedien. Damit gelang es ihm unter anderem, die Amerikaner zum Eintritt in den Ersten Weltkrieg zu bewegen.

Gerade unsere Unbewusstheit dem Sym-bolischen gegenüber macht uns so anfällig für die Manipulation durch instrumenta-lisierte Symbole.

Notwendig ist also eine bewusste Rück-kehr zum symbolischen Denken. Da es in unseren Bildungssystemen von einem

einseitigen Intellektualismus überlagert ist, müssen wir uns wohl selbst behelfen. In unzähligen Büchern und Filmen begegnen wir modernen Mythen mit ihrer Symbol-sprache (zum Beispiel „Herr der Ringe“). Große Psychologen, Philosophen und Reli-gionswissenschaft er wie Ernst Cassierer, C. G. Jung, Mircea Eliade, Erich Fromm, Joseph Campbell u.v.a. haben das Tor zu den Symbolen als Universalsprache der Menschheit wieder geöff net. Auch in die-sem Magazin „Abenteuer Philosophie“ vermittelt die Rubrik „Symbolik“ einen Zugang dazu.

Doch dieser Zugang steht jedem off en: in der Sonne, die jeden Tag die Welt in Licht und Wärme taucht, im Feuer, das entgegen der Schwerkraft immer nach oben strebt, im Wasser, das nach jedem aufwühlenden Sturm wieder sein inneres Gleichgewicht fi ndet. Können wir wie dieses Wasser, wie dieses Feuer, wie diese Sonne sein? ☐11. September 2001