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Symbolische Kommunikation und gesellschaftlicheWenesysteme Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496 BandS

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Symbolische Kommunikation und gesellschaftlicheWenesysteme

Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496

BandS

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Christoph Danmann,Marian Füssel und Stefanic Ruther (Hgg.)

RAUM UND KONFLIKT

Zur symbolischen Konsrituierung gesellschaftlicher Ordnungin Mittelalter und Früher Neuzeit

2004MÜNSTERRHEMA

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STEFANIE RÜTHER

VON DER MACHT, VERGEBEN ZU KÖNNEN

Symbolische Formen der Konfliktbeilegung im späten Mittelalteram Beispiel Braunschweigs und der Hanse

Wie für das Früh- und Hochmittelalter läßt sich auch für das Spätmittelalter ein ganzesSystem von Regeln der Konfliktführung beschreiben, das darauf zielte, Gewaltanwen-dung zu begrenzen, Eskalation zu erschweren und Bemühungen um dieWiederherstel-lung des Friedens zu befördern.' Hierzu gehörten der Nachweis eines ausreichendenFehdegrundes, die förmliche Ansage der Fehde, der Einsatz von Vermittlern, die oft-mals schon vor dem ersten Waffengang in Aktion traten, aber auch die klassischenFehdehandlungen selbst, die nicht darauf ausgerichtet waren, den Gegner zu vernich-ten, sondern ihn zum Einlenken zu bewegen." Für eine Gesellschaft ohne staatlichesGewaltmonopol wurde die adelige Fehde als legitimes Recht auf bewaffnete Selbsthilfe

1 VgI. GERD ALTHOFF, Regeln der Gewaltanwendung im Mittelalter, in: ROLF PETER SIEFERLE undHELGA BREUNINGER (Hgg.), Kulturen der Gewalt. Rirualisierung und Symbolisierung von Gewalt inder Geschichte, Frankfurt a.M. [u.a.] 1998, S. 154-17°; DERS., Schranken der Gewalt. Wie gewalttätig wardas -finstere- Mittelalter? in: HORST BRUNNER (Hg.), Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neu-zeit. Gründe, Begründungen, Bilder, Bräuche, Recht, Wiesbaden 1999, S.I-23; DERS., -Besiegte findenselten oder nie Gnade«, und wie man aus dieser Not eine Tugend machte, in: STEFFEN MARTUS, MARINAMÜNKLER und WERNER RÖCKE (Hgg.), Schlachtfelder. Codierung von Gewalt im medialen Wandel, Berlin2003, S. 131-145.

2 Zur Regelhaftigkeit der mittelalterlichen Fehde vgl. DITo BRUNNER, Land und Herrschaft. Grundfra-gen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, Darmstadt 61970; HERBERT AsMUS,Rechtsprobleme des mittelalterlichen Fehdewesens. Dargestellt anhand Südhannoverscher Quellen vor-nehmlich des Archivs der Stadt Göningen, Diss. Göningen 1951;ELISABETH ORTH, Die Fehden der StadtFrankfurt am Main im Spätrnittelalter. Fehderecht und Fehdepraxis im 14. und 15-Jahrhundert, Wiesba-den 1973; ULRICH ANDERMANN, Ritterliche Gewalt und bürgerliche Selbstbehauptung. Untersuchungenzur Kriminalisierung und Bekämpfung des spätrnittelalterlichen Raubrittertums am Beispiel norddeutscherHansestädte, Frankfurt a.M. 1991; THOMAS VOGEL, Fehderecht und Fehdepraxis im Spätmittelalter amBeispiel der Reichsstadt Nümberg (14°4-1438), Frankfurt a.M. 1994; ANDREAS WIDMER, -Daz ein bub dieeidgenossen angreif,« Eine Untersuchung zu Fehdewesen und Raubrittertum am Beispiel der Gruber-Fehde13~1430, Bern 1995; GAOl ALGAll, -Sie würden hinten nach so gail.« Vom sozialen Gebrauch der Fehdeim späten Mittelalter, in: THOMAS LINDENBERGER und ALF LÜDTKE (Hgg.), Physische Gewalt. Studienzur Geschichte der Neuzeit, Frankfurt a.M. 1995, S. 39-77; ALEXANDER JENDORFF und STEFFEN KRIEB,Adel im Konflikt. Beobachtungen zu den Austragungsformen der Fehde im Spätmittelalter, in: Zeitschriftfür Historische Forschung 30, 2003, S. 179-206.

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deklariert.' Auch für die innerstädtischen Konfrontationen wurden ein Demonstrati-onsrecht konstatiert und regelhafte Verlaufsformen herausgearbeitet."

Doch trotz dieser Regelhaftigkeit bleibt festzuhalten, daß Konflikte in der Wahrneh-mung der Akteure die bestehende Ordnung und die Werte einer Gesellschaft in Fragestellen kormten.f Es bedurfte daher eines hohen Aufwands, um die Ordnung wieder-herzustellen oder sie neu zu konstituieren. Auch mußte der so geschaffenen Ordnungerneut Legitimität verliehen werden. Die Formen, mit denen Konflikte beigelegt wur-den, hatten dabei mehrere Funktionen zu erfüllen. Sie sollten die neuen oder auch dieWiederherstellung der alten Herrschaftsverhältnisse für alleBeteiligtensichtbar machensowie den Frieden auf Dauer installieren." Des weiteren mußte ein Ausgleich für diemateriellen und symbolischen Schäden geschaffen werden, wie er in den Genugtu-ungsleistungen zu fassen ist. Eine große Bedeutung kam auch der Wiedereingliederungder Schuldigen, respektive der Unterlegenen in die Gemeinschaft zu, wie sie durchdie offen zur Schau gestellte Reue und öffentliche Erklärungen und Entschuldigungenfür das Vorgehen vorbereitet wurde." Vertragliche Regelungen konnten die zukünftigeStellung der unterlegenen Partei festschreiben. Besondere Maßnahmen erforderte diezu leistende Sühne für die Opfer, wie sie beispielsweise durch die Stiftung ewiger Mes-

.1 Vgl. BRUNNER (wie Anm. 2) S.}2; GERD ALTHOFF, Konfliktverhalten und Rechtsbewußtsein. Die Welfenim 12.Jahrhundert, in: DERS., Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde,Darmstadt 1997, S.57ff. Zur Kritik an der Einschätzung der Fehde als gewaltsamen Rechtsaustrag vgl.den Überblick über die Forschungsdiskussion bei JUTTA NOWOSADTKO, Krieg, Gewalt und Ordnung.Einführung in die Militärgeschichte, Tübingen 2002, S. 181-185.

4 Vgl. hierzu vor allem die verschiedenen Untersuchungen von Wilfried Ehbrecht, gesammelt in: DERS.,Konsens und Konflikt. Skizzen und Überlegungen zur älteren Verfassungsgeschichte deutseher Städte, hg,von PETER jOHANEK, Köln!WeimarlWien 2001.

5 Vgl. SIMON ROBERTS, Ordnung und Konflikr. Eine Einführung in die Rechtsethnologie, Stuttgart 1981,S·46-55· Dennoch können Konllikte auf die geseUschaftliche Ordnung stabilisierend wirken oder als derenintegrativer Bestandteil verstanden werden, vgL NIKLAS LUHMANN, Konllikt und Recht, in: DERS., Aus-differenzierung des Rechts, Frankfurt a.M, 1981, S. 92-II2; JAN AsSMANN und ALEIDA ASSMANN, Kulturund Konflikt. Aspekte einer Theorie des unkommunikativen HandeIns, in: JAN AsSMANN und DIETRICHHARTH (Hgg.), Kultur und Konflikt, Frankfurt a.M. 1990, S.II-48. Zur sozialen Funktion der spätrnit-telalterliche Fehde vgl. JOSEPH MORSEL, -Das sy sich min der besstenn gewarsamig schicken, das sydurch die widerwertigenn Franckenn nin nidergeworffen werdenn. « Überlegungen zum sozialen Sinn derFehdepraxis am Beispiel des spätrnittelalterlichen Franken, in: DIETER RÖDEL und JOACHIM SCHNEIDER(Hgg.), Strukturen der Gesellschaft im Mittelalter, Interdisziplinäre Mediävistik in Würzburg, Wiesbaden1996, S.140-167·

6 Vgl. KLAUS SCHREINER, Gerechtigkeit und Frieden haben sich geküßt. Friedensstiftung durch symbolischesHandeln, in: JOACHIM FRIED (Hg.), Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und späten Mirtel-alter, Sigmaringen 1996, 5.37-86; PETER SCHUSTER, Der Gelobte Frieden. Täter, Opfer und Herrschaft imspätmittelalterlichen Konstanz, Konstanz 1995.

7 Vgl. GERD ALTHOFF, Das Privileg der deditio. Formen gütlicher Konfliktbeilegung in der minelalterlichenAdelsgesellschaft, in: DERS. (wie Arun. 3) S. 99-125; GEOFFREY KOZIOL, Begging Pardon and Favor. Ritualand Political Order in Early Medieval France, Ithaca/London 1992; TIMcrrHY REUTER, Unruhestiftung,Fehde, Rebellion, Widerstand: Gewalt und Frieden in der Politik der Salierzeit. in: STEFAN WEINFURTER(Hg.), Die Salier und das Reich, Bd. 3, Sigmaringen 1991, 5.297-325.

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sen oder auch die Errichtung von Sühnekreuzen erfüllt werden konnre." Man kannteim Mittelalter eine Vielzahl von symbolischen Akten, Zeremonien und Ritualen, diediesen Funktionen in unterschiedlicher Weise Rechnung trugen und dazu dienten, dieBeilegung von Auseinandersetzungen zum Ausdruck zu bringen und den gesellschaftli-chen Konsens wiederherzustellen. Vor allen anderen Formen ist hier für das Früh- undHochmittelalter wohl die öffentliche Unterwerlung, die deditio, zu nennen, »die seitdem 10. Jahrhundert so häufig bezeugt ist, daß man sie als eine gängige Form der Kon-fliktbeilegung im Hochadel bezeichnen kann.«? Auch wenn solche deditiones für dasSpätmittelalter bisher nicht mit der gleichen Intensität gesammelt und analysiert wurdenwie für das Früh- und Hochmittelalter, so lassen die bisher bekannten Fälle vermuten,daß diese Form der sozialen Praxis gütlicher Konfliktbeilegung auch im Spätmittelaltergesellschaftliche Relevanz besaß.'?

I. Unterwerfungen von Städten im späten Mittelalter?

Im Bewußtsein der spätmittelalterlichen Zeitgenossen scheint das Verständnis und dieAkzeptanz dieser symbolischen Handlung zur Beilegung von Konflikten weiterhinpräsent gewesen zu sein.'! So mußten beispielsweise 1311 die Bürger von CremonaHeinrich VII. von Luxemburg in härenen Gewändern als Büßer gekleidet entgegen-ziehen, und auch die Bürger vor Calais ersuchten 1347 auf diese Art um die GnadeKönig Eduards von England.F 1380 baten die Braunschweiger Bürger in Lübeck dieVertreter der hansischen Städte um Verzeihung, um so nach der Verhansung die Wie-deraufnahme in die Hanse zu erlangen.'? Noch 1438 mußten die Bürger von Brügge

8 VgI. DIETRICH W. POECK, Sühne durch Gedenken - Das Recht der Opfer, in: CLEMENS WISCHERMANN(Hg.), Die Legitimität der Erinnerung und die Geschichtswissenschaft, Stuttgart 1996, S. 113-136.

9 ALTHOFF (wie Arun. 7) S. 100: -jedern Mediävisten bekannt sind Fälle solcher Unterwerfungsakte, die immernach einem ganz ähnlichen Schema ablaufen: Barfuß und im Büßergewand wirft sich ein Konfliktgegner demanderen zu Füßen, ergibt sich auf Gnade oder Ungnade, indem er sein Schicksal der Willkür des Gegnersanheirn stellt. [ ... ] Dies geschah zumeist vor großer Öffentlichkeit [ ... ].«

10 Vgl. GERD ALTHOFF, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003,S.18d.

II Vgl. CLAUDIA GARNIER, Zeichen und Schrift. Symbolische Handlungen und literale Fixierungam Beispielvon Friedensschlüssen des 13·jahrhunderts, in: Frühmittelalterliche Studien 32, 1998, S.263-287; DIES.,Injurien und Satisfaktion. Zum Stellenwert rituellen Handelns in Ehrkonflikten des spätmittelalterlichenund frühneuzeitlichen Adels, in: Zeitschrift für Historische Forschung 29,2002, S. 525-560.

12 Zu Cremona vgl. Kaiser Heinrichs Romfahn. Zur Inszenierung von Politik in einer Trierer BiJderhandschriftdes 14· jahrhunderts, hearb. von WOLFGANG SCHMID, Koblenz 2000; ROLAND PAULER, Die deutschenKönige und Italien im 14·Jahrhundert. Von Heinrich VII. bis Karl IV., Darmstadt 1997, S. Sof. ; FRANZ-jOSEFHEYEN, Kaiser Heinrichs Romfahn. Die Bilderchronik von Kaiser Heinrich VII. und Kurfürst Balduin vonLuxemburg (1308-1313), Boppard a. Rhein 1965; zu Calais vgl. JEAN-MARIE MOEGLIN, Edouard III etles six bourgeois de Calais, in: Revue Historique 292, 1994, S.229-267; DERS., Von der richtigen An zukapitulieren: Die sechs Bürger von Calais (1347), in: HANs-HENNING KORTÜM (Hg.), Krieg im Mittelalter,Berlin 2001, S. 141-166.

13 Zur Unterwerfung Braunschweigs vgl. HERMANN KAMP, Friedensstifter und Vermittler im Mittelalter,Darmstadt 2001, S. 252ff.; POECK (wie Arun. 8) S.130f. und die unten in Arun. 30 genannte Literatur,

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Herzog Philipp den Guten fußfällig um Gnade bitten, um so der Zerstörung ihrer Stadtzu entgehen." Die genannten Beispiele sind in der Forschung hinlänglich bekannt undwurden bereits mehrfach im Hinblick auf die Kontinuität bestimmter symbolischerFormen diskutiert."

Auffallend ist, daß es sich in allen Fällen um Bürger handelt, die in demütigenderGeste für ihr Handeln um Verzeihung bitten. Der Schluß liegt nahe, daß aufgrunddes sozialen Gefälles die Könige, Herzöge und Grafen im Falle eines Konflikts daraufbestanden, daß die unterlegenen, nichtadeligen Bürger ihnen Genugtuung leisteten undsich öffentlich ihrer Herrschaft unterwarfen. Doch zum einen nahmen im Falle derBraunschweiger bürgerliche Vertreter die Unterwerfung entgegen. Zum anderen las-sen sich im späten Mittelalter zahlreiche Konflikte zwischen Stadt- oder Landesherrenund ihren Städten nennen, die durch einen Vertrag oder eine Sühneurkunde beigelegtwurden. So konnte im Jahr 1377 eine Fehde zwischen der Stadt Braunschweig undihrem Herrn Herzog Ernst von Braunschweig durch einen Sühnevertrag geschlichtetwerden, in dem sich die Stadt verpflichtete, dreihundert Mark Silber an ihren Herzog zuzahlen. 16Vorausgegangen waren Verhandlungen zwischen den Fehdegegnem, in denenbeide Parteien die Sühne zu geloben hatten. 17Das Fehdebuch der Stadt weist noch wei-tere Sühne- und Friedensverträge nach diesem Muster auf;18von aufwendig gestaltetenUnterwerfungsritualen hingegen, in denen das Ende der Fehden der jeweilig betroffe-nen Öffentlichkeit präsentiert wurde, berichten die Aufzeichnungen der Stadt über ihrezahlreichen Fehden mit den benachbarten Adeligen nichts. 19Als die Dortmunder Fehde1388 nach langwierigen Verhandlungen endlieh beigelegt werden konnte, verpflichtetesich die Stadt Dortmund in ähnlicher Weise, den beiden Landesherren, dem Grafen vonder Mark und dem Erzbischof von Köln, je 7(X)O Gulden zukommen zu lassen.j? Dabeilegte man von Seiten der Stadt offenbar großen Wert darauf, daß die Zahlung freiwilligerfolgte, und es sich dabei viel mehr um ein Geschenk als um eine Genugtuungs- oder

14 Vgl. RICHARDVAUGHAN,Philip me Good, London 1970, S. 811-92;POECK(wie Anrn. 8) S. 120ff.15 Vgl. GARNIER,Injurien (wie Anrn.n) S. 537; KLAUSSCHREINER,Mtdis pedibus. Barfüßigkeit als religiöses

und politisches Ritual, in: GERD ALTHOFF(Hg.), Fonnen und Funktionen öffentlicher Konununikation imMittelalter, Stuttgart 2001, S. 53-124,hier S. 78ff.; ALTHOFF(wie Anm.ro) S.184ff.

16 Vgl. Fehdebuch der Stadt Braunschweig, 1377-1388,in: Die Chroniken der Niedersächsischen Städte, Braun-schweig I, bearb. von KARLHEGEL,Leipzig 1868,S. 25-120, hier S. 25f.

17 Ebd. S. 25: -Hir up her use vorbenomende here herthoge Ernst unde de Rat ene ghanzcze vruntlike soneghelovet, also dat use vorbenomede here deme Rade den brei wedder antworden schal, dar de veyde ummeuppestan was. unde in der sone schullet bedeghedinget wesen alle de de von beyden halven to der veydekomen weren.«

18VgI. etwa ebd. S. 55,6off., 102, I12f.19 Auch in den edierten Städtechroniken der Stadt Braunschweig finden sich mit Ausnahme der genann-

ten Unterwerfung Braunschweigs vor den Vertretern der Hansestädte keine Belege über öffentlich gestal-tete Unterwerfungen, vgl. Die Chroniken der Niedersächsischen Städte, Braunschweig 1-3, Leipzig [u.a.]1868-1928.Zur städtischen Geschichtsschreibung in Braunschweig vgl. JOACHIMEHLERS,Historiographie,Geschichtsbild und Stadtverfassung im spätmittelaJterlichen Braunschweig. Wandlungen des Geschichts-bewußtseins, in: MANFREDGARZMANN(Hg.), Rat und Verfassung im mitte1alterlichen Braunschweig.Festschrift zum 600jährigen Bestehen der Ratsverfassung 1386-1986,Braunschweig 1986, S. 99-134.

20 VgI. CLAUDIAGARNIER,Symbole der Konßiktführung im 14.Jahrhundert. Die Dortmunder Fehde von1388/89, in: Westfälische Zeitschrift 152,2002, S. 23-46.

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Sühneleistung handelte.I' Ein Jahr später hatten die schwäbischen Städte große Sum-men an die Fürsten und Herren zu zahlen, wodurch der erste süddeutsche Städtekriegbeendet werden konnte.P Zuvor hatte König Wenzel ihren Städtebund als gesetzes-widrig aufgelöst und ihnen befohlen, sich mit den Fürsten über deren Ansprüche zuvergleichen."

Die wenigen Beispiele zeigen, daß den Akteuren einer spätmittelalterlichen Fehdeoffenbar mehrere Optionen zur Verfügung standen, um einen Konflikt zu beenden.Rituelles Handeln, wie eine öffentliche Unterwerfung, konnte dabei ebenso ein geeig-netes Mittel sein, um Genugtuung für die entstandenen symbolischen Verletzungen undmateriellen Einbußen zu leisten und die Wiederherstellung der Ordnung anzuzeigen,wie ein schriftlich festgehaltener Vertrag, in dem entsprechende Ausgleichsleistungenfestgelegt wurden. Damit stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen die jewei-ligen spezifischen Formen der Konfliktbeilegung zur Anwendung gebracht wurden,der im Folgenden genauer nachgegangen werden soll. Dabei sind die verschiedenenModelle von eher -symbolischer- oder eher -diskursiver- Kommunikation nicht als sichgegenseitig ausschließende soziale Praktiken zu begreifen, die zueinander in Konkur-renz standen oder sich sogar gegenseitig im Sinne einer zunehmenden -Rationalisierung-ablösten." Eine scharfe Trennung der jeweiligenFormen scheint schon alleine deswegennicht angebracht, weil bereits imHochmittelalter über die genauen Bedingungen einer

21 Zur Bedeutung von Geschenken im Mittelalter vgl. GAOl ALGAZI, VALENTIN GROEBNER und BERNHARDJUSSEN (Hgg.), Negotiating the Gih. Pre-Modem Figurations of Exchange, Göttingen 2003·

22 Trotz seiner grundlegenden Bedeutung für das Verhältnis von Kaiser, Fürsten und Städten im spätmittelal-terlichen Reich hat der erste süddeutsche Städtekrieg in der jüngeren Forschung kaum Beachnmg gefunden.Für einen ersten Überblick über Ursache und Verlauf des Konflikts ist man daher weitestgehend auf ältereDarstellungen angewiesen, vgl. WlUlEl.M VISCHER, Geschichte des schwäbischen Städtebundes der jahre1376-1389, in: Forschungen zur deutschen Geschichte 2, 1862, S.I-202, hier S.I05£.; HEINZ ANGERMEIER,Städtebünde und Landfriede im 14.jahrhundert, in: Historisches jahrbuch 7, 1957, S. 34-45; PAULJOACHIMHEINIG, Reichsstädte, Freie Städte und Königtum 1389-145°. Ein Beitrag zur deutschen Verfassungsge-schichte, Wiesbaden 1983; EBERHARD HOLTZ, Reichstädte und Zentralgewalt unter König Wenzel 1376-1400, Diss, Berlin 1987 (Ost), Warendorf 1993; zur Rolle Nürnbergs im Städtekrieg vgl. ALEXANDER SCHU-BERT,Der Stadt Nutz oder Notdurft. Die Reichsstadt Nürnberg und der Städtekrieg von 1388/89, Husum2003. Eine eingehende Untersuchung der Fürsten, Herren und Städte im Städtekrieg 1388/89 wird von mirvorbereitet.

23 Vgl. HOLTZ (wie Anm. 22) S. 125ff.24 Vgl. allgemein zum Spannungsverhältnis von symbolischer und diskursiver Kommunikation in vormoder-

nen Gesellschaften GERD ALTHOFF und LUDWIG SIEP, Symbolische Kommunikation und gesellschaftlicheWertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution. Der neue Münsterer Sonderforschungs-bereich 496, in: Frühmittelalterliche Studien 34, 2000, S. 393-412. Gerade für die Politische Kommuni-kation in der Modeme ist die Bedeutung von Symbolen und Ritualen betont worden, vgl. RÜDIGERVOIGT (Hg.), Politik der Symbole - Symbole der Politik, Opladen 1989; MURRAY EDELMANN, Politik alsRitual. Die symbolische Funktion staatlicher Instimtionen und politischen HandeIns, Frankfun a.M. 1990;HANS-GEORG SoEFFNER, Erzwungene Ästhetik. Repräsentation, Zeremoniell und Ritual in der Politik, in:MARTIN jURGA und HERBERT WILLEMS (Hgg.), Inszenierungsgesellschaft. Ein einführendes Handbuch,Opladen 1998, S. 215-234; HERFRIED MÜNKLER, Die Theatralisierung der Politik, in: JOSEF FRÜCHTL undjÖRG ZIMMERMANN(Hgg.), Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines künstlerischen, kulturellen undgesellschaftlichen Phänomens, Frankfun a.M. 2001, S. 144-163.

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öffentlich Unterwerfung zuvor intensiv verhandelt werden konnte." Warum aber kames im Spätmittelalter nur in bestimmten Fallen gütlicher Konfliktbeilegung zu der imHochmittelalter so gängigen Form der deditio?

Eine mögliche Antwort auf diese Frage könnte in Rang und Status der beteilig-ten Konfliktparteien liegen. Denn bei den oben angeführten Fehden, die durch eineSühneurkunde beendet wurden, handelt es sich vornehmlich um Konflikte der Städtemit ihren Landesherren, anderen Hochadeligen oder auch mit dem Kaiser. Die deditioaber stellte im Hochmittelalter ein ausgehandeltes und inszeniertes Ritual dar, das vorallem der Hochadel bei der Beendigung seiner Konflikte nutzte, so daß man es für dieseZeit als Privileg des Adels bezeichnen kann." Sein Gelingen beruhte auf dem Zusam-menspiel von Ausgleich und Genugtuung, von Demut und Vergebung.27 Es ist alsodenkbar, daß der Adel auch im Spätmittelalter grundsätzlich an der Vorstellung fest-hielt, daß Bürger nicht satisfaktionsfähig waren, und er es daher vorzog, Konflikte mitdiesen durch Sühneverträge zu beenden, deren Hauptinhalt oftmals die Zahlung hoherEntschädigungssummen an die Adeligen war. Demgemäß wären die oben angeführtenBeispielevon Cremona, Calais und Brügge Ausnahmefälle, in denen der zuvor geleisteteWiderstand der Bürger vielleicht eine so große Ehrverletzung der gegnerischen Parteidarstellte, daß die Kaiser, Könige und Herzöge auf eine öffentliche Genugtuung nichtverzichten wollten.

Doch für das Zustandekommen und Gelingen des Rituals scheint die soziale Stellungderjenigen Partei, die die Unterwerfung entgegennimmt, von noch größerer Bedeutungzu sein als das Ausmaß der vorangegangenen Verletzungen und Verluste. Damit dieUnterwerfung ihre Funktion erfüllen kann, nämlich möglichst dauerhaft und verbind-lich einen Konflikt zu beenden, muß es eine Person oder Gruppe geben, die so vielAutorität besitzt, daß sie durch ihre Worte der Verzeihung die Veränderung des gesell-schaftlichen Status der betroffenen Akteure vom Feind zum Freund bewirken kann. Siemuß die performative Macht besitzen, durch den Sprachgebrauch und die begleitendenHandlungen auf die Situation wie die Akteure einwirken zu können." Voraussetzung

25 VgI. GERO ALTHOFF,Demonstration und Inszenierung. Spielregeln der Kommunikation in mittelalterlicherÖffentlichkeit, in: DERS. (wie Anm. 3) S. 229-257.

26 So lassen sich bis ins 16. Jahrhundert hinein Belege für öffentliche inszenierte Unterwerfungen von Fürstengegenüber dem Kaiser finden, vgl. BARBARA STOLLBERG-R!UNGER, Knien vor Gott - Knien vor demKaiser. Zum Ritualwandel im Konfessionskonßikt, in: GERO ALTHOFF (Hg.), Zeichen - Rituale - Werte.Internationales Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfälischen Wtlhelms-UniversitätMünster, Münster 2004, S. 499-531.

27 ALTHOFF (wie Anm. 7) S. 100: »Composuio und salis/actio sind zentrale Termini für diesen Vorgang. Satis-faktionsfähig aber war durchaus nicht jeder - und die Genugtuungsleistung der deditio war im frühen undhohen Mittelalter ein Adelsprivileg. «

28 VgI. hierzu die Überlegungen Pierre Bourdieus zu den Bedingungen der Wukmächtigkeit von Einsetzungs-riten, PIERRE BOURDIEU, Sprache und symbolische Macht, in: DERS., Was heißt sprechen? Die Ökonomiedes sprachlichen Tauschs, Wien 1990, S. 71-113, hier S. 75: -Der autorisierte Sprecher kann nur deshalb mitWorten auf andere Akteure und vermitteis ihrer Arbeit auf die Dinge selber einwirken, weil in seinem Wortdas symbolische Kapital konzentriert ist, das von der Gruppe akkumuliert wurde, die ihm die Vollmachtgegeben hat und deren Bevollmächtigter er ist.« Zum Begriff der Performanz vgl. UWE WIRTH (Hg.),Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M. 2002; CHRISTOPH

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dafür ist, daß die Rolle, die eine Person oder Gruppe innerhalb des Rituals einnimmt,in Einklang steht mit der sozialen Position, die sie innerhalb der Gesellschaft für sich inAnspruch nelunen kann.29

Dies soll am Beispiel der Hanse und ihrer Rolle bei der Beilegung des innerstädti-schen Konflikts in Braunschweig gezeigt werden, der in der Forschung als die -Schichtdes Rates- bekannt ist. Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, Ursachen und Verlaufdes Konflikts zu untersuchen, sondern es geht in erster Linie um die Frage, welche Per-sonen, Gruppen oder Institutionen mit welchen Mitteln versuchten, in dem Konfliktzu vermitteln oder ihn beizulegen und wodurch ein solches Engagement motiviert undlegitimiert gewesen sein könnte." Die Frage lautet mithin: Wer hatte im Spätmittelal-ter ausreichende Autorität eine Unterwerfung auszuhandeln, zu erzwingen oder auchentgegenzunelunen?

n. Die Braunschweiger -Schicht- und erste Versuche der Vermittlung

Im April 1374 kam es in Braunschweig zu einem bewaffneten Aufruhr, der sich gegenden bestehenden Rat richtete und zur Einsetzung eines neuen Rates führte.'! Auslöserder Unruhen waren die vom Rat geplanten Steuererhöhungen, die nötig gewordenwaren, nachdem die Stadt durch eine expansive Landgebietspolitik und die unglücklicheBeteiligung an einer Fehde gegen den Bischof von Magdeburg in erhebliche Finanznotgeraten war.32 Am Montag, den I7. April, trat daher der Braunschweiger Rat mit denGildemeistern zusammen, um über die Einführung einer neuen Steuer zu verhartdeln. 33Die Verhandlungen verliefen ohne eine sichtbare Einigung, doch im Anschluß kam es,

WULF, MICHAEL GöHLICH und jÖRG ZIRMS (Hgg.), Grundlagen des Performativen. Eine Einführung indie Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln, Weinheim/München 2001. .

2'1 -Die meisten Bedingungen, die für das Gelingen einer performativen Aussage erfüllt sein müssen, reduzierensich letztlich darauf. daß der Sprecher - oder besser seine soziale Funktion - und sein Diskurs in einemadäquaten Verhältnis zueinander stehen müssen.' BOURDIEU (wie Anm. 28) S. 77.

30 Vgl. zur -Schicht des Rates- WILFRIED EHBRECHT, Eintracht und Zwietracht, Ursache, Anlaß, Verlauf undWirkung von Stadtkonßikten, in: DERS. (wie Anm. 4) S. 155-180; DERS., Die Braunschweiger -Schichten-.Zu Stadtkonßikten im Hanseraum, in: GERD SPIES (Hg.), Brunswiek 1031 - Braunschweig 1981. Die StadtHeinrichs des Löwen von den Anfängen bis zur Gegenwart, Folgeband [2]: Vorträge und Rückblick, Braun-schweig 1982, S. 37-50; MATTHIAS PuHLE. Braunschweig und die Hanse bis zum Ende des 14. Jahrhunderts,in: ebd., Festschrift zur Ausstellung [I], S.I05-129; DERS., Die Politik der Stadt Braunschweig innerhalb dessächsischen Städtebundes und der Hanse im Mittelalter, Braunschweig 1985, S. 28-33.

31 Die Kenntnis der Braunschweiger -Schicht- verdanken wir der Schilderung Hermann Botes, Stadtchronistund Zolleinnehmer in der Stadt Braunschweig, HERMANN BOTE, -Das Schichtbuch-, in: Chroniken 2 (wieAnm. 19), bearb, von LUDWIG HÄNSELMANN, Leipzig 1880, S. 269-493; zur Person Hermann Botes vgl.HERBERT BLUME und EBERHARD ROHSE, Hermann Bote. Städtisch-hansischer Autor in Braunschweig1488-1988. Beiträge zum Braunschweiger Bote-Kolloquium 1988, Tübingen 1991.

32 Vgl. PuHLE, Braunschweig und die Hanse (wie Anm. 30) S.1I7. Siehe auch die ausführliche Begründung derfinanziellen Notlage in einem ,Brief der vertriebenen Ratsherren', abgedruckt in: Hanserecesse. Die Recesseund andere Akten der Hansetage I.Abteilung (1256-1430), hg. durch die Historische Commission bei derKöniglichen Acadetnie der Wissenschaften, Bd. 2, Leipzig 1872, Nr. 78, S. 89-91, hier S. 89.

33 Vgl. BOTE (wie Anm. 31) S. 311•

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wahrscheinlich aufgrund eines Gerüchtes, zu gewalttätigen Ausschreitungen der Gildenund der Gemeinde, in deren Verlauf acht Mitglieder des Rates getötet wurden. Mannahm sie gefangen und ließ ihnen in einer Art öffentlicher Hinrichtung die Köpfeabschlagen. Andere Angehörige der alten Geschlechter, die nicht rechtzeitig fliehenkonnten, wurden unter Arrest gestellt oder mit ihren Familien aus der Stadt vertrieben;ihre Güter wurden beschlagnahmt.P'

Inwieweit der Verlauf der Verhandlungen die Ursache für die dann folgendengewalttätigen Ausschreitungen in der Gemeinde gewesen ist, läßt sich aus den wider-sprüchlichen Darstellungen der verschiedenen Parteien nicht mit Sicherheit entneh-men.35 Daß der Rat vor der Einführung neuer Steuern die Vertreter der Gemeindeum deren Zustimmung bitten wollte, ist jedoch durchaus nicht ungewöhnlich und gibtallein noch nicht Grund zu der Annahme, daß »der Rat in sich zerstritten und unsi-cher geworden« war, und sich möglicherweise »unter den Ratsmitgliedern so etwas wieRevolutionsfurcht breit gemaehr- hatte." Aber es weist auf länger anhaltende sozialeSpannungen innerhalb der Stadt hin, wenn die Gilden und Handwerker dem Gerücht,der Rat halte die Gildemeister gefangen und wolle sie heimlieh töten, ohne zu zögernGlauben schenkten und dieses zum Anlaß nahmen, gewaltsam gegen einige Ratsher-ren vorzugehen und ihre Wohnhäuser zu plündern." Diese hatten ihre Ursache vorallem in der Dominanz der Altstädter Geschlechter im Braunschweiger Rat, währenddie Vertreter der Gilden und der anderen Weichbilder von der Regierung der Stadtweitestgehend ausgeschlossen blieben."

Wahrscheinlich schon am darauffolgenden Tag, also noch während der Unruhen,erschienen vor den Toren Braunschweigs verschiedene Personen, um in den Konfliktvermittelnd einzugreifen. Der Bischof von Hildesheim, als oberster geistlicherHerr derStadt, hatte den Abt von St.Michael in Begleitung eines Rechtsgelehrten gesandt, umseine Vermittlung anzubieten.P Bischof Gerhard von Hildesheim war der klassischenRolle seines Amtes als Vermittler und Friedensstifter schon im Jahr zuvor erfolgreichnachgekommen, als er einen Ausgleich zwischen den Askaniern und den Welfen umdie Herrschaft Lüneburg herbeiführte.'? Aber diesmal blieb er ohne Erfolg: Die Braun-

J.4 vgI. ebd. S.312-315.35 Nach der Darstellung der Vertriebenen hatte man den Gildemeistern lediglich vorgeschlagen, eine Steuer

auf die Einfuhr von Getreide zu erheben, und diese den Ämtern und Gilden zur Beratung überlassen.Demnach sei man dann auch friedlich auseinandergegangen, vgl. Hanserecesse (wie Anm. 32) Nr. 78, S. 90.Die Gilden hingegen beschuldigten den alten Rat, gleich eine ganze Reihe neuer Steuern geplant zu haben,unter anderem auf Bier und Wein, was man als -weder de vriheyt der stad, der ghilden unde der gantzenmeynheit- empfand, vgl. ebd, Nr.84, S.9Sf.

36 PuHLE, Braunschweig und die Hanse (wie Anm. 30) S.1l8; vgl. EBERHARD IsENMANN, Die deutsehe Stadtim Spätmittelalter (il5O-ISOO). Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, WlTtSchaft, Stuttgart1988, S. 132f.

37 VgI. Bon: (wie Arun. }I) S. 311;Heimliche Rechenschah, in: Chroniken (wie Anm.I6) S. 1lI-207, hier S.13738 VgI. ebd. S. mf.; EHBRECHT, Eintracht (wie Arun. }o) S.163.39 VgI. LUDWIG HÄNSELMANN,Beilagen, in: Chroniken (wie Arun.I6) S.283--482, hier S. 335.40 HANS PATZE, Die welfischen 'Ierritorien im 4. Jahrhundert, in: DERS. (Hg.), Der deutsehe Territorialstaat

im 14. Jahrhundert 2, Sigrnaringen 1971, S.7-99, hier S·74; zu Bischöfen als Vermittler vgl. KAMP (wieAnm.13) S.173ff.

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schweiger nahmen das Angebot der Vermittlung nicht an. Auch die Räte der umliegen-den Städte,Hildesheim, Goslar und Helmstedt, schickten ihreVertreter,die »hedden dargherne twischen gesproken.e" Mit Goslar und Helmstedt hatte Braunschweig 1360 einStädtebündnis geschlossen, in dem man sich gegenseitigeHilfe nicht nur gegen äußereFriedensbrecher, sondern auch bei innerstädtischen Unruhen zugesagt hatte: »Wereok,dar [... ] jenich meynheyt sik erhove wedder den Rat, de stad to vordervende, datscolden desse stede alle der stadt to helpen mid allen truwen, wes se mochten, dat seunverdervet bleve.«42Es ist zu recht darauf hingewiesen worden, daß diese Erweite-rung auf die Abwehr innerer Feinde, wie sie in einer Vielzahl von Städtebündnissender zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu finden ist, einen Wandel in der Bewertungder innerstädtischen Unruhen widerspiegelt. »Bündnisse zwischen Bürgergruppen undHerrschaftsgruppen, die der jeweiligenRatspolitik entgegenliefen«,wurden als Störungder geltenden Ordnung und »als mögliche Gefährdung des Stadtfriedens kriminali-siert«.43Doch der mit den Bündnissen verbundene Anspruch, im Ernstfall auch in dieinneren Verhältnisse der verbündeten Städte einzugreifen, beschränkte sich in diesemFall auf das Vermittlungsangebot, daß von den Vertretern der Gilden ebenfallsabgelehntwurde.

Hilfe mögen die vertriebenen Ratsherren auch von den welfischenHerzögen erwar-tet haben. Tatsächlich eilte Herzog Albrecht ß. von Grubenhagen persönlich nachBraunschweig, um sich den streitenden Paneien als Richter anzubieten. »He woldeid en helpen richten mit rechte: hedde we ghebroken ant lif, he scolde mit deme livebeteren, eder ant gut, he schulde mit deme ghude beteren, unde dat en unschuldig manunschuldig bleve.«44Der Herzog erschien also nicht in der Rolle eines Vermittlers vorden Toren der Stadt, sondern um seinen legitimenAnspruch als Stadt- und Gerichtsherrgeltend zu machen. So erinnerte er die Braunschweiger daran, daß sie »sine huldegedenunde swornen borghere weren«.45Die neuen Herren vertrösteten ihn damit, daß siesich darüber beraten wollten, doch statt einer Antwort erhielt er die Nachricht, daß

41 Vgl. die -Rechtfertigungsschrift der Vertriebenen<, abgedruckt bei HÄNSELMANN (wie Anm. 39) S.357-361,hier S. 358.

42 Hansisches Urkundenbuch, Bd. 3, I, bearb. von KONSTANTIN HÖHIBAUM, Halle 1882, Nr. 203, S. 97f. DerBund, zu dem noch die Städte Lüneburg, Hannover, Einbeek und Hameln gehörten, wurde zunächst aufdrei Jahre geschlossen und regelmäßig verlängert, vgl. WILFRIED ERBRECHT, Hanse und spätmitteWterlicheBürgerkämpfe in Niedersachsen und Westfalen, in: DERS. (wie Anm. 4) S. 105-128, hier S. u6£. mit Anm. 71;MANFRED GARZMANN, Stadtherr und Gemeinde in Braunschweig im 13.und 14.Jahrhundert, Braunschweig1976, S. 2I9f., S. 249; PuHLE, Politik (wie Anm. 30) S. 25ff.

43 WILFRIED ERBRECHT, Magdeburg im sächsischen Städtebund. Zur Erforschung städtischer Politik inTeilräwnen der Hanse, in: DERS. (wie Anm.4) S.I29-I52, hier S. 140. In eindeutiger Parteinahme für dieBürger betont Ehbrecht dagegen ihr -Redn- auf Widerstand gegen »einen mißwirtschaftenden, außenpoli-tisch kurzsichtigen und Vetternwirtschaft treibenden Rat«, EHBRECHT, Eintracht (wie Anm. 30) S. 163.

.. -Redufertigungsschrift der Vertriebenen< (wie Anm. 41) S. 358.45 Ebd. Die Stadt hatte Albrecht U. von Grubenhagen am 29. Juni 1361gehuldigt, vgl. Urkundenbuch der Stadt

Braunschweig, Bd. I Statute und Rechtebriefe, hg. durch den Archiv Verein zu Braunschweig, Braunschweig1861, Nr.44, S. 51f.

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man einen Teil der alten Ratsherren, über die er hatte Gericht halten wollen, bereitshingerichtet hatte."

Daß Herzog Albrecht II. seine Rolle als oberster Gerichtsherr nicht wahrnehmenkonnte und unverrichteter Dinge wieder abziehen mußte, ist symptomatisch für diePosition der welfischen Landesherren gegenüber ihren Städten. Letztere hatten es ver-standen, die dauernden Konflikte der welfischen Herzöge um die Erbfolge, diemit einerVielzahl von Teilungen der Herrschaft einhergingen, für sich zu nutzen und sich demEinfluß ihrer Stadtherren weitestgehend zu entziehen.i/ Inden verworrenen politischenVerhältnissen des Lüneburger Erbfolgekrieges wußte auch der inzwischen neugewählteRat die Konkurrenz der Fürsten zu nutzen. Kaum einen Monat nach der -Schicht- ließsich Herzog Ernst nach Braunschweig einholen und nahm die Huldigung der Bürgerentgegen." Der Herzog ließ sich diese Anerkennung des neuen Rates bezahlen, ebensowie die wenig später erfolgte Aussöhnung mit Herzog Otto von Göttingen die Stadtgroße Summen kostete." Auch wenn die Fürsten ihren Nutzen aus dem gewaltsa-men Umsturz der politischen Verhältnisse in Braunschweig ziehen konnten, so bleibtfestzuhalten, daß zur Zeit der -Schicht- anscheinend keiner der welfischen Herzögeausreichende Autorität besaß, um in den innerstädtischen Konflikt der bedeutendstenStadt ihrer Herrschaft auch nur vermittelnd, geschweigedenn befehlend einzuschreiten.

m. Das Eingreifen der Hanse

Niemand konnte das besser beurteilen als die Räte der anderen welfischen Städte,die aufgrund der unmittelbaren Nachbarschaft fürchten mußten, daß die Unruhen aufihre Städte übergreifen konnten. Und so sahen sich Hannover, Minden, Hameln undLüneburg veranlaßt. Hilfe an anderer Stelle zu suchen.5O Bis auf Minden waren auchdiese Städte Mitglieder des bereits erwähnten städtischen Bündnisses, in dem man sich

46 -Rechtfertigungsschrih der Vertriebenen- (wie Anm. 41) S. 358.Die Beschreibung der Vertriebenen zeugt vonder Hilflosigkeit des Herzogs: "Do erne dat to wetende wan, do sad he up und und reyd myd grotemejamere unde ummode von dannen.«

47 VgI. zur wachsenden Autonomie der Stadt im 13.und 14. Jahrhundert GARZMANN(wie Anm.42) S.174-239; PATZE(wie Anm. 40) S. 52f·, 59-82.

48 VgI. Urkundenbuch der Stadt Braunschweig (wie Anm.45) Nr.52, S.6If.; GARZMANN (wie Anm.42)S.248. Schon in der -Schicht der Gildemeister- [292194 hatten sich die Aufständischen die ungeklärtenMachtverhältnisse zu nutze gemacht, indem sie Herzog Heinrich von Grubenhagen die Huldigung leisteten,die ihm der Rat bisher verweigert hatte. Der Rat hingegen huldigte bald darauf dessen Bruder Heinrich, derelf Mitglieder des Gilderates hinrichten ließ und damit die -Sducht- beendete, vgl. ebd. S. 243ff.; Bors (wieAnm. 31) S. 299ff.

49 VgI. Heimliche Rechenschaft (wie Anm. 37) S. 138; HÄNSELMANN(wie Anm. 39) S. 412ff. Nach der Dar-stellung Botes zahlte der neue Rat Herzog Otto auch Geld dafür, daß er die Güter der vertriebenen undgetöteten Ratsherren nahm bzw. freigab. Das Gut verschenkten die Braunschweiger zu großen Teilen an diesie umgebenden Herzöge, Grafen und Herren, vgl. Bors (wie Anm. 31) S. 315f.

so Vgl. Hanserecesse (wie Anm. F) Nr. 73, S. 82.

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wechselseitigeHilfe gegen aufständische Gemeinden versprochen hatte." Wahrschein-lichnoch im selbenMonat wandten sie sich an Lübeck und die hansischen Seestädtemitder Bitte, einigeHerren dazu zu bringen, den Braunschweigern Gegenwehr zu leisten:»dat ichteswelker heren wille dar to ghemaket worde, dat de dissen stur deden, den datbest voghede to donde.e"

Die unbestimmte Aufforderung, daß diejenigen Herren, denen das am bestenanstände, den Braunschweigern Einhalt gebieten sollten, gibt Raum für Spekulationen,wer damit angesprochen werden sollte.53 Stuart Jenks hat vermutet, daß die Hanno-veraner, deren Schreiben als einziges überliefert ist, damit nur ihren eigenen StadtherrnAlbrecht von Sachsen-Wittenberg gemeint haben könnten.P' Eine Einmischung derLandesherren in innerstädtische Belange mußte aber aus Sicht der Hanse vermiedenwerden, da sie eine Bedrohung der städtischen Freiheiten bedeutete. Dies sei der allei-nige Grund gewesen, der die Vertreter der hansischen Städte im Falle Braunschweigszum Eingreifen bewegt habe, während sie beim Kölner Weberaufstand wenige Jahrespäter keine Anstrengungen in dieser Richtung unternommen haben.P Wenn die wel-fischen Städte jedoch Herzog Albrecht mit der Beilegungdes Braunschweiger Konfliktsbetraut wissen wollten, dann ist kaum nachvollziehbar, warum sich die Hannoveranernicht direkt an ihren Stadtherrn gewandt haben, mit dem sie doch seit ihrer Huldigung1371 eng verbunden waren. 56 Es erscheint dagegen wesentlich plausibler, daß mit denSchreiben der welfischen Städte die Hansestädte aufgefordert werden sollten, geeig-nete Vertreter aus ihren Reihen zu bestimmen, die sich der Sache annehmen sollten,wie es denn auch geschehen ist.57 Mit der Deutung des Hilfegesuchs der betroffenenStädte verbindet sich ganz wesentlich die Frage, welche Kompetenzen den Vertreternder Hansestädte bei innerstädtischen Auseinandersetzungen zugestanden wurden undinwieweit die von ihnen beanspruchte Rolle als Vermittler und Schiedsrichter sich mitden an sie herangetragenen Erwartungen deckte.

51 Puhle vermutet, daß Hildesheim und Goslar sich aufgrund ihrer traditionell engen Verbindung mit Braun-schweig nicht an der Aufforderung, gegen die Aufrührer vorzugehen, beteiligten, während Hannover undLüneburg sich ihm Rahmen des Lüneburger Erbfolgekriegs ohnehin im Gegensatz zu Braunschweig befan-den, vgl. PtmLE, Politik (wie Anrn. 30) S. 31.

52 Schreiben Hannovers an Lübeck und die Seestädte, Hanserecesse (wie Anrn. 32) Nr. 71, S. 80 .• En schud desnicht, so vrochte wy, dat velen steden dar unghemak van enstan rnoghe.« Zur Rolle der Hanse als Vermittlerund Schiedsrichter in diesem Konflikt vgl. auch KAMP (wie Anrn. 13) S. 252ff.

53 Vgl. KARL SCHILLER und AUGUST LüBBEN, Mittelniederdeutsches Wönerbuch, Bd.5, Bremen 1880(Nachdr. Münster I'}69), s. 269, die =vogen« mit -füglich, schicklich sein, passen, anstehen- übersetzen.

54 STUART JENKS, Die Einstellung der Hanse zu den Stadtaufständen im Spätminelalter, in: VOLKER HENN(Hg.), Die hansischen Tagfahrten zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Trier 2001, S. 75-108, hier S. 79f.

55 Ebd. S.80: -Bis Anfang des 15. Jahrhunderts waren es stets die Gefahr des landesherrlichen Eingreifensin städtische Unruhen und die damit verbundene Bedrohung der städtischen Autonomie, die die Hansebewogen, mit dem Druckmittel der Verhansung eine Lösung herbeizuführen .• Zu Köln vgl. ebd. S. 85.

56 Vgl. PATZE (wie Anrn. 40) S.7I.57 Daß in dem Schreiben von -heren- die Rede ist, widerspricht dieser Annahme nicht, da diese Titulatur seit

der Mine des IJ. Jahrhunderts auch für Bürgermeister und Ratsmitglieder gebräuchlich wurde, vgl. THOMASBEHRMANN, Zum Wandel der öffentlichen Anrede im Spätmirtelalter, in: ALTHOFF (wie Anm. 15) S. 291-JI8, hier S. 301.

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Einen weiteren Hinweis darauf gibt eine Klageschrift der vertriebenen Braunschwei-ger Ratsherren. Die Exulanten hatten Zuflucht »in allen steden unde in der furstenlanden-'" gefunden und wandten sich, nachdem sie die Hoffnung auf Unterstützungdurch die welfischen Herzöge aufgeben mußten, mit der Bitte um Rat und Hilfe an dieRäte der befreundeten Städte."

»Hir umme bidde we, leven heren, dor god, na deme we to nemene liken mid en komen enkonnen, dat gy uns dorch ere willen unde bescherminghe aller guden frede helpen unde radenwillen, wo we unseme dinghe don moghen, dat de grote suHwolt gesturet werde, unde wenicht also jammerliken vorderft und ervelos bliven ane schulde. Gy scollen over uns livesundegudes mechtich wesen to rechte.,,60

Die vertriebenen Ratsherren überantworteten die Beilegung des Konflikts also denVertretern der hansischen Städte. Und mehr noch: Sie gestanden ihnen zu, im FallederBraunschweiger -Schicht- einUrteil über ihr Leben und Gut zu fällen, dem sie sich fügenwollten. Die Hilfegesuche bringen zum Ausdruck, daß die Städte die Versammlung derhansischen Städte als eine übergeordnete Instanz ansahen, von der man sich nicht nurRat und Hilfe selbst bei innerstädtischen Angelegenheiten erhoffte, sondern der manauch die Rolle eines Schiedsrichters zuwies.f

Diese Stellung entspricht der Entwicklung, die die Städte-Gemeinschaft seit derMitte des 14.Jahrhunderts genommen hatte. Die Auseinandersetzungen mit Flandernum die Privilegien der Hansekaufleute in Brügge in den 1350erJahren hatten die Räteder hansischen Städte veranlaßt, die politischen Entscheidungen nicht mehr den Vertre-tern der Kontore vor Ort zu überlassen, sondern auf gemeinsamen Tagen zu verhan-deln.62 Diese Versammlung der Ratssendboten, die 1356zum ersten Mal zusammentrat,gewann rasch an Bedeutung. Hier wurde die hansische Politik insgesamt bestimmt, diegemeinsamen Beschlüsseverliehen dem Hansetag politischen Einfluß.63So konnte mandurch eine vereinte Blockadepolitik 1360erreichen, daß die Flandern den Hansen alleihre Handelsprivilegien bestätigen mußten.64 Als die hansischen Städte sich wenigeJahre später durch die Expansionspolitik Waldemars von Dänemark erneut in ihrenHandelsfreiheiten bedroht sahen, verständigten sie sich auf ein militärisches Bündnis,

58 Bon: (wie Anm. 31) S. 316.59 Der genaue Adressatenkreis ist nicht mehr nachzuvollziehen, erhalten hat sich nur ein Brief an die Stadt

Göttingen, vgl. HÄNSELMANN (wie Anm. 39) S. 345f.60 Hanserecesse (wie Anm. 32) Nr. 78, S.91.61 Die Erklärung der Vertriebenen, sich einem Urteil der hansischen Vertreter unterwerfen zu wollen, verweist

auf die gängigen Verfahren eines mittelalterlichen Schiedsgerichts, nach dem sich beide Konffiktparteien vorBeginn der Verhandlungen förmlich bereit erklärten, die Entscheidung des Schiedsgerichtes anzuerkennen,vgl. zur Bedeutung des Schiedsgerichts als Mittel der Konffiktbeilegung im späten Mittelalter KAMP (wieAnm. 13) S. 236-260.

62 Vgl. PHILIPPE DOLLINGER, Die Hanse, Stuttgart 1989, S.89-96; DIETRICH W. POECK, Kontorverlegungals Mittel hansischer Diplomatie, in: NILS ]ÖRN, WERNER PARAVICINJ und HORST WERNICKE (Hgg.),Hansekaufleute in Brügge, Teil4: Beiträge der Internationalen Tagung inBrügge, April 1996, Frankfun 2000,

S. 33-53, hier S. 38 f.63 Zur Bedeutung der Hansetage vgl. VOLKER HENN, Hansische lagfahrten in der zweiten HäIhe des 14.Jahr-

hunderts, in: DERS. (wie Anm. 54) S. 1-22.M VgI. POECK (wie Anm. 62) S. 38f.

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dessen Eingreifen zu einer eindeutigen Niederlage des Dänen und den Abschluß desStralsunder Friedens führte.65

Die in Stralsund imJuli 1374 versammelten Sendboten der hansischen Städte moch-ten sich also durch ihre politische Stellung wie die direkten Hilfegesuche legitimiertsehen, Lübeck, Hamburg, Lüneburg und andere Nachbarstädte Braunschweigs damitzu beauftragen, einen gütlichen Tag mit den Braunschweigern zu halten. Don sollteüber das Geschehene verhandelt werden, damit »den bedderven luden, de ere vrundvorloren hebben, unde ok vordreven, vorvested unde beschattet syn, lyk unde recht«66- also Genugtuung und Recht - widerfahre. Diesen Beschluß teilte man den Braun-schweigern mit und forderte sie auf, der Stadt Lübeck bis zu einem bestimmten Terminmitzuteilen, was sie in dieser Sache zu tun gedächten. Es handelte sich bei dem Schrei-ben also weniger um ein Vermittlungsangebot als vielmehr um eine An Vorladung,denn den Braunschweigern wurde dringend geraten, den Tag nicht aufzuschieben, umnoch mehr Ungemach zu vermeiden." Was die Hansevenreter damit meinten, wirddeutlich in ihrem Schreiben an die übrigen hansischen Städte: Falls die Aufrührer sichweigern sollten, zu einem solchen Tag zu erscheinen, wollte man Braunschweig vonden Rechten und Freiheiten der hansischen Kaufleute ausschließen.t"

Der Anspruch der Hansestädte, alsVermittler oder gar als Schiedsrichter aufzutreten,beruhte also nicht darauf, daß sie hoffen konnten, von beiden Kontliktparteien in dieserRolle Akzeptanz zu finden, sondern auf Rang und Ansehen ihrer Vereinigung und derEinschätzung, daß ihnen in dem politischen Mittel der Verhansung Zwangsmaßnahmenzur Verfügung standen, mit denen sie die eine Seite zum Einlenken bewegen konnten.f"Bis zu diesem Punkt läßt sich das Vorgehen der hansischen Städte dennoch als imRahmen der gängigen Schlichtungsverfahren im Mittelalter beschreiben, wie sie vorallem im Bereich des Adels zu beobachten sind. So konnten auch die mittelalterlichenKönige, wenn ihre Vorschläge zur Beilegung des Konflikts mißachtet wurden, mitGericht und Acht versuchen, Druck auf die Konfliktpaneien auszuüben, um sie dadurchzum Einlenken zu bewegen.i?

Doch die im Juli 1374 in Stralsund versammelten Ratssendboten der Hansestädtegingen in ihren Beschlüssen noch darüber hinaus: Man wollte, sollte sich der neueRat in Braunschweig nicht zu Verhandlungen bereit finden, »over alle de jenen, de darraed edder daed mede had hebben, richten [... ] in allen steden, wor ze quemen, anere hogheste, alze over mordere.v" Mit der Androhung der Verhansung blieben dieHansestädte noch imRahmen der Tätigkeit eines Schlichters, in dem sie ein ihnen zurVerfügung stehendes Druckmittel einsetzten, um die Braunschweiger zu Verhandlungen

6~ vgI. DoLUNGER, (wie Arun. 62) S. 96-102; AHASVER V. BRANDT, Die Hanse und die nordischen Mächte,Kö1nlOpiaden 1962.

66 Hanserecesse (wie Anm.jz) Nr.79, S. 91.67 Ebd.: -und rade dyt hoge, dat gi dit nicht vorlegghen umme meer unghemakes to vormidendes68 Ebd. Nr. So, S. 92: -dar me se vorwisede ut aI des copmans rehtcheid und vriheid in allen steden jeghenen,

dar de copman rechtcheid unde vriheid heft und bruket.«69 Zur Nähe des spätmittelalterlichen Vermittlers zum Schiedsrichter vgl. KAMP (wie Arun. 13) S. 256ff.70 VgI. ebd. S.254.71 Hanserecesse (wie Anrn.jz) Nr. So, S.92•

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zu zwingen." Die Aufforderung, über die am Aufruhr Beteiligten in allen Städten, indenen sie aufgegriffen würden, Gericht zu halten, konnte hingegen einen Eingriff inverschiedene - stadtherrliche, landesherrliche wie kaiserliche - Rechte bedeuten. Undso fand diese Forderung auch nicht die uneingeschränkte Zustimmung der übrigenhansischen Vertreter.Das zeigt die zögerliche Antwort der Stadt Dortmund an Lübeck,daß man zu diesem Beschluß nichts genaues sagen könne, da in einigen Städten diehöchste Gerichtsbarkeit den Landesherren zustehe.P

Daß sich nicht eindeutig bestimmen läßt, ob die Hanse sich in dem Konflikt inder Rolle eines Vermittlers oder eher eines Richters sah, verweist auf die uneinheitlicheBeurteilung der Braunschweiger -Schicht- durch die jeweiligen Akteure. Gemäß denFormulierungen der sächsischen Bündnisse, die den innerstädtischen Aufruhr mit derBedrohung durch äußere Feinde gleichgesetzt hatten, läßt sich die -Schicht-alsKonflikt,ähnlich einer Fehde mit den umliegenden adeligen Herren, beschreiben. In diesemFallewar die Beilegung durch einen Vergleich,der durch einen gütlichen Tag oder einförmliches Schiedsgericht gefunden werden konnte, ein üblichesMittel. Im Mittelpunktsolcher Verfahren stand der Ausgleich der entstandenen Schädigungen, wie er auch imBriefder Hansevertreter an dieBraunschweiger zum Ausdruck kommt. Doch angesichtsder drohenden Gefahr, daß das Braunschweiger Ereignis als Vorbild dienen könnte unddie Unruhen sich auf andere Städte ausweiten könnten, war offenbar zumindest einTeil der hansischen Vertreter bereit, die Aufrührer in die Nähe von Verbrechern zustellen, über die man zu richten hatte/4 So beabsichtigten bereits die Ratssendboten,die sich im Mai 1374 in Lubeck zum erstenmal mit der -Schicht-befaßten, Braunschweigaufgrund des dort begangenen Unrechts aus der Hanse auszuschließen. Das Mittel derVerhansung erscheint in der Formulierung des Rezesses jedoch weniger alsDruckmittel,um die Braunschweiger zum Einlenken zu bewegen und sich zu vergleichen, denn alsStrafe." Weiterhin wurde hier schon vorgeschlagen, über die am Aufruhr Beteiligtenin allen Städten Gericht zu halten wie über Mörder. Es entspricht dem Charakterder Hanse, daß über diese weitreichenden Beschlüsse erst mit den anderen Städtenberatschlagt werden mußte und man sich auf ein etwas gemäßigteres, an den üblichenRegeln der gütlichen Konfliktbeilegung orientiertes Vorgehen einigte. Offenbar warensich die Vertreter der verschiedenen Städte nicht gänzlich einigin der harten Verurteilungder Unrechtmäßigkeit des neuen Braunschweiger Rates, der ja inzwischen zumindestdie Aussöhnung und Anerkennung der welfischen Herzöge erreicht hatte.

Zudem konnte innerstädtischer Aufruhr in einem bestimmten Rahmen als legitimeForm des Widerstandes gehen." Das kommt in dem Brief der Braunschweiger Meisterund Gilden an ihre Kollegen in Lüneburg, Lübeck und Hamburg zum Ausdruck, in

72 VgI. JENKS (wie Anm, 54) 5. 78f.73 Hanserecesse (wie Anm.31) Nr. 81, S. 93.74 Ebd. Nr.80, 5.91: »Wurde dat nicht ghestured, dar mochte mench man alzodane bilde nemen, dar id

mengher guden stad to vorderve queme.~75 Ebd. Nr.73, 5.82: »na deme male dat de meynheyd van Brunswyk ovele daen hebben ( .. J dat me se dar

umme vorwisen schal du des copmannes rechtecheyd.«76 VgI. EliBRECHT, Eintracht (wie Arun. 30) S. 157£'

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dem sie die Ereignisse aus ihrer Sicht schilderten. Ausführlich legten sie dar, welchesUnrecht der alte Brauschweiger Rat »weder de vriheyt der stad, der ghilden und dergantzen meynheyt« begangen hätte, und betonten, daß die Hinrichtungen der Ratsher-ren rechtmäßig gewesen seien, da ihnen ein Gericht vorausgegangen sei." Folgerichtigverstanden die neuen Ratsherren das Eingreifen der Hansen als Einmischung und ver-wahrten sich nachdrücklich dagegen, für Mörder gehalten zu werden."

So ließen sie drei Termine für einen gütlichen Tag verstreichen, ohne zu erscheinen,"?Erst im Februar 1375 fanden sie sich zu einem Treffen mit den Vertretern Lüneburgs,Lübecks und Hamburgs in Lüneburg bereit, das jedoch erfolglos blieb, weil sich dieBraunschweiger weigerten »lyk vor unlyk to donde«.80 Oie Beharrlichkeit, mit der dieneuen Braunschweiger Ratsherren an der Rechtmäßigkeit ihres Handelns festhielten,und ihre anhaltende Weigerung, die Autorität der hansischen Städte als Schiedsrichter indieser Sache anzuerkennen, führten dazu, daß Braunschweig imJuni 1375 aus der Hanseausgeschlossen wurde." Damit verloren die Braunschweiger Kaufleute ihr Anrecht aufdie hansischen Privilegien und Freiheiten, jeglicher Handel mit ihnen wurde in denhansischen Städten und Kontoren unter Strafe verboten. Oie Hansen hielten auch anihrer Aufforderung fest, über die am Aufstand Beteiligten, sofern man ihrer habhaftwerden konnte, Gericht zu halten, beschränkten dies allerdings auf die Städte, die »indes copmans rechte- waren. Diese Maßnahmen sollten gelten, »bis sie für ihre Untatensoviel Genugtuung leisten, wie redlieh und möglich ist.«82

Die Verhansung wäre einem totalen wirtschaftlichen Boykott gleichgekommen, demdie Braunschweiger sicher nicht lange hätten standhalten können. Doch es fehlten derVereinigung nicht nur die Mittel, um solche weitreichenden Beschlüsse, vor allem anden ausländischen Handelsplätzen, auch durchzusetzen, sondern es ist bezeichnend fürdas Wesen der Vereinigung als reiner Interessensgemeinschaft, wenn auch in diesemFall ihrer Handlungsfähigkeit durch die Interessen der einzelnen Städte und Bürger-schaften Grenzen gesetzt waren. Zahlreiche Verschärfungen der Bestimmungen zu denBoykottmaßnahmen der Hanse weisen darauf hin, daß der Handel mit Braunschweig

77 Hanserecesse (wie Anm.jz) Nr.84. S. 96; vgl. auch ERBRECHT, Eintracht (wie Arun. }o) S. 165f., der dieHinrichtung der Braunschweiger Ratsherren im Rahmen der geltenden Rechtsauffassung als legitim beurteilt,da diese sich durch ihre schlechte Finanzpolitik schuldig gemacht hätten.

78 Hanserecesse (wie Anm.jz) Nr.84, S.96: -Unde use heren unde vrunde unde uns dunket des, dat wejuwen ratheren unde andem radden van andem sieden umme [de] schicht van rechte icht plichtich sin, undewunderet des sere, dat se sick da mede also vele bekurnmeret.«

79 VgI. ebd. Nr.82, S.94. Den dritten Tag in CeIle hatten die Braunschweiger selber vorgeschlagen. Daß siedann aber nicht erschienen und somit die Ratssendboten don vergeblich zwei Tage auf sie warteten, werdendie hansischen Städte als besonderen Affront gegen ihre Vereinigung verstanden haben, vgl. auch den Briefdes Lübecker Rates an die Gilden zu Braunschweig ebd. Nr. 85, S. 96 f.

80 VgI. ebd. S.97.81 VgI. ebd. Nr. 92, S. 106£.82 • Alle dessen vorscrevenen srucke scolen waren alzo langhe, wente se umme desse vorsprokenen unclad also

vele likes don, als redelk unde moghelik is .« Ebd. S. 107.

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nicht gänzlich unterbunden werden konnte" Und so dauerte es drei Jahre, bis dieBraunschweiger soweit in politische wie wirtschaftliche Isolation gerieten, daß sie sichgezwungen sahen, mit den hansischen Vertretern erneut in Verhandlungen zu treten.84

IV. Die Verhandlungen

Auf einem Tagzu Stralsund 1378 baten die Braunschweiger, daß man die Städte Lübeck,Hamburg und Lüneburg bevollmächtigen möge, mit ihnen einen gütlichen Tag zu ver-einbaren." Der Annährung vorausgegangen war ein Appell Kaiser Karls IV. an dieHansestädte, die Brauschweiger wieder in die Hanse aufzunehmen, da sie unschuldigseien." Ob der offene Brief den Gang der Verhandlungen beeinflußt hat, ist fraglich,da das Dokument lediglich im Archiv der Stadt Braunschweig überliefert ist und in denRezessen der Hansetage keine Erwähnung findet.87 Er ist dennoch für die Frage nachder Akzeptanz der hansischen Gemeinschaft als Richter von besonderem Interesse,da der Kaiser forderte: »Et si qui ex vestris haberent forsan contra dietos mercato-res Brunswicenses aliqiud accionis, hoc coram suis dominis prosequantur, qui facientipsis justicie complementum.s " Damit wies Karl IV. den Anspruch der Hanse, überdie Braunschweiger Recht zu sprechen, eindeutig zurück. Trotz des offensichtlichenUnwillens bzw. Unvermögens der welfischen Herzöge, in der Braunschweiger Ange-legenheit für einen Ausgleich zu sorgen und damit den Frieden wieder herzustellen,versuchte der Kaiser gegen den Anspruch der Städte, in städtischen Angelegenheiteneine legitime eigeneForm der Konfliktbeilegung zu etablieren, die Autorität der Fürstenin ihren Territorien als oberste Gerichtsherren zu erhalten. Wenn die hansischen Städtevon diesem Schreiben Kenntnis erhalten hatten, so ist dennoch nicht zu erkennen, daßsie sich dadurch in irgendeiner Form beeinflussen ließen.

Sie bemühten sich weiterhin um eine Beilegung des Konflikts mit den ihnen zurVerfügung stehenden Mitteln, und so führten 1379 Verhandlungen der Vertreter dergenannten Städte (Hamburg, Lüneburg und Lübeck) mit dem Braunschweiger Rats-notar in Mölln zu einem ersten Vertragsentwurf, auf dessen Grundlage die spätereSühne vollzogen werden sollte.89 Doch da beide Seiten sich nicht endgültig einigenkonnten, sandte man »meyster Johan Vritzen mit ener raminghe in de stad to Bruns-wyk«, der den Entwurf Rat, Gilden und Gemeinde vorlas.90 Auf einem Hansetag inLübeck am 24. Juni 1379 ließ der Braunschweiger Rat durch seinen Ratsschreiber, der

83 Vgl. PuHLE, Politik (wie Arun. 30) S. 32f.; Dsas., Zum Zeitpunkt der Verhansung der Stadt Braunschweig.Ein Beitrag zur Datierung einer Urkunde, in: Braunschweigisches Jahrbuch 61, 1980, S. 7-16; EHBRECHT,

Eintracht (wie Arun. }o) S. 166; HÄNSELMANN (wie Arun. 39) S. 377f.S4 Zu den wirtschaftlichen und politischen Folgen der Verhansung vgl. PuHLE, Politik (wie Anm. }o) S. }If.85 Vgl. Hanserecesse (wie Anm. }2) Nr. 156, S. 168.86 Vgl. PuHLE, Braunschweig und die Hanse (wie Arun. jo) S. 120; HÄNSELMANN (wie Arun. }9) S. }79ff.87 Vgl. Hanserecesse (wie Arun. }2) S. 157 und Nr. 152, S. 162.88 Ebd. Nr. 152,S. 16}.89 Ebd. Nr. 182, S. 196f.90 Ebd. Nr. 190, S. 209.

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seine Bevollmächtigung, für die Stadt zu sprechen, durch eine »credencien« nachwei-sen konnte, mitteilen, »dat ze al de stucke, de en to Molne ghesecht worden, ghemeannamen willen, behalven um de vordrevene, wo me des eens werden kunde.«?'

Die gestellte Bedingung weist darauf hin, daß die Wiedereingliederung der Angehö-rigen des alten Rates in die neue städtische Ordnung, wie sie sich in Braunschweig nachder -Schicht- etablieren sollte, ein schwerwiegendes Problem für den neuen Rat darstellte.Die zukünftige Stellung der vertriebenen Ratsherren in der städtischen Gemeinschaftund die Formen der zu leistenden Genugtuung konnten sowohl innerstädtisch wie auchin der hansischen Gemeinschaft zum sichtbaren Zeichen der Legitimität des neuen Rateswerden. Dabei erscheinen die Bedingungen der hansischen Vertreter im Hinblick aufdie Wiederaufnahme der vertriebenen Ratsherren und den Ausgleich der materiellenSchäden aus heutiger Sicht als überraschend moderat. Zwar sollten die Braunschweigergewährleisten, daß die enteigneten Güter innerhalb wie außerhalb der Stadt wiederzurückgegeben würden, doch ein Anspruch auf die Ratssitze war damit anscheinendnicht verbunden/" Die Forderung, »dat gi dor ere willen der stad den raad tho Bruns-wyk in der olden stad wedder besetten mid eerliken rentheneren unde kopluden, a1sede raad vore staan heft, eer de schicht schach«, ließ zum einen offen, wer zu diesemKreis gehören sollte, und überließ zum anderen die Wahl den Mitgliedern des neuenRates.93 Darüber hinaus gestand man den Braunschweigern zu, in Absprache mit denhansischen Städten einzelnen Ratsherren wegen besonderer Vergehen die Rückkehr indie Stadt zu verweigern. Der Sorge, daß die Vertriebenen nach ihrer Reintegration indie städtische Gemeinschaft Zwietracht sähen würden, begegnete man mit dem Ange-bot, im voraus Briefe, Eide oder Bürgen von diesen zu fordern." Die Bedingungenzeugen davon, daß man auch von Seiten der Hanse bemüht war zu verhindern, daß dieAnsprüche der vertriebenen Ratsherren auf Wiedergutmachung der materiellen Ein-bußen und symbolischen Beschädigungen den innerstädtischen Frieden und damit einedauerhafte Beilegungdes Konflikts gefährdeten. Als diese Zugeständnisse an den neuenRat den Braunschweigern dennoch nicht weitreichend genug erschienen, verständigteman sich auf die Minimalforderung, daß zunächst nur vier der Vertriebenen in die Stadtzurückkehren sollten. Ein Ausgleichmit den übrigen sollte durch spätere Verhandlungenzwischen Vertriebenen und neuem Rat gefunden werden."

Doch die Bedenken der Braunschweiger bezogen sich nicht nur auf die konkre-ten Umstände der Wiederaufnahme ihrer früheren Ratsherren und deren materielleAnsprüche, sondern auch auf die symbolischen Formen der zu leistenden Genugtu-ung. Ein Vergleichdes ursprünglichen Vertragsentwurfs mit den endgültigen Bedingun-gen der Sühne, wie sie im Sommer 1380 geschlossen wurde, macht deutlich, daß die

91 Ebd.92 Ebd. Nr. 187. S. 204.93 Als ehrliche und gute Kaufleuten konnten sich auch die Mitglieder des neuen Rates verstehen, vgl. JENKS

(wie Anm. 54) S. 79.94 'Thtsächlicb mußten die vertriebenen Braunschweiger sich später urkundlich mit der ausgehandelten Sühne

einverstanden erklären und Urfehde leisten, vgl. Hanserecesse (wie Anm. 32) NT.216 und 217, S. 259; vgl.HÄNSELMANN (wie Anm. 39) S. 388ff.

95 VgI. Hanserecesse (wie Anm. 32) NT. 190, S. 209 und NT. 216, S. 259; siehe auch KAMP (wie Anm. 13) S. 254.

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genauen Bedingungen der Sühne das Ergebnis zäher Verhandlungen waren. Dabei hat-ten die Braunschweiger bei allem Druck, den die Hanse auf sie ausübte, offensichtlichmehr Handlungsspielraum, als der symbolische Akt der Unterwerfung selbst und seinespäteren Darstellungen in der chronikalischen Überlieferung vermuten läßt.96

V. Die Sühne

Die Vereinbarungen des Sühnevertrags lassen sich in drei Bereiche unterteilen. An ersterStelle stehen die zahlreichen Maßnahmen, mit denen sich die Braunschweiger verpflich-teten, Sühne für die während der -Schicht- getöteten Ratsherren zu leisten. Hierzugehörte der Bau einer steinernen Kapelle in Braunschweig und die Stiftung zweier ewi-ger Messen mit allem Zubehör. Zwei Priester sollten dort -vlitliken bidden to ewighentiiden vor der erliken lude zeele, de in der schicht doot ghebleven zint.« 97 Des weiterenhatte der neue Rat für jeden während der -Schicht- Getöteten einen Pilger nach Romzu senden, der dort für deren Seelenheil beten sollte. Diese Punkte wurden aus demVertragsentwurfs nahezu identisch in die Sühne übernommen. Die prominente Stellungdieser Regelungen innerhalb des Sühnevertrags macht deutlich, daß die Sicherung derMemoria der getöteten Ratsherren und ihre damit verbundene symbolische Wieder-eingliederung in die städtische Gemeinschaft als unabdingbare Voraussetzung für dieWiederherstellung der Ordnung in Braunschweig angesehen wurde." So wurden dieSchilde der acht Hingerichteten in der neu errichteten Auctors-Kapelle beim Rathausaufgehängt, welche in der Zukunft eine Station innerhalb der städtischen Prozessio-nen bildete."? Auf diese Weise wurden die Ereignisse der -Schicht- in das gemeinsameGedächtnis der Stadt eingebunden.

Erst an zweiter Stelle innerhalb des Sühnevertrags folgen die Bedingungen, unterdenen die Braunschweiger öffentlich für ihre Vergehen Abbitte zu leisten hatten. Hierzuhatte der ursprüngliche Vertragsentwurf aus Mölln vorgesehen, daß zwei Bürgermeisterund acht ehrliche Bürger, also genau so viele, wie in der -Schicht- getötet worden waren,nach Lübeck kommen sollten. 100 Diese mußten mit der vollen Macht des Rates und allerBürger zu Braunschweig ausgestattet sein, und das mit einer »besegelden credencien,mit der stat van Brunswik hangende ingesegel besegelt« nachweisen können.'?' DieAufmerksamkeit, die man dem Nachweis der Vollmacht der Braunschweiger Abge-

96 Vgl, Hanserecesse (wie Anm. 32) Nr. 182, S. 196f. und Nr. 218, S. 259ff.97 Ebd. S. 260.98 VgI. POECK (wie Anm. 8) S. 131.99 VgI. BoTE (wie Anm.31) S.318: ,.[ ... ] unde in de kappellen worden gehenget achte schilde, ore wapen,

der doden, unde alle jar twye myt vigilien und selmyssen beghan: eyns uppe den dach alse de schiehrschach [ ... ].«; WILFRIED EHBRECHT, Die Stadt und ihre Heiligen. Aspekte und Probleme nach Beispielenwest- und norddeutscher Städte, in: ELLEN WIDDER, MARK MERSIOWSKYund PETER JOHANEK (Hgg.),Vestigia Monasteriensia. Westfalen - Rheinland - Niederlande, Bielefeld 1995, S. 197-261, hier S. 230ff.

100 BoTE (wie Anm.31) 5.317: »[ ... ] de van Brunswick mosten um orern Rade senden to Lubke vor degemeynen hensestede so mennigen man also mennigen man se gedadet hadden.«

101 Hanserecesse (wie Anm. 32) Nr. 182, S. 197.

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sandten widmete, verweist auf die Zweifel der hansischen Vertreter an der Autorität desneuen Rates, stellvertretend für die ganze Stadt Braunschweig sprechen, bzw. um Ver-zeihung bitten zu können.P' Im Laufe der Verhandlungen konnten die Braunschweigerdiese Zweifel aber wohl ausräumen, so daß dieser Punkt fallen gelassen wurde.

Von besonderem Interesse sind aber nun die Abweichungen der beiden Schriftstückeim Hinblick auf die genauen Bedingungen der zu leistenden Abbitte. Der Entwurf sahvor, daß die Braunschweiger Abgesandten ohne Mantel und Hut vor die Angehörigender Getöteten und die vertriebenen Ratsherren treten und zu diesen sprechen sollten:

»De schicht de bynnen Brunswyk gesehen is in juwen doden vrunden und an ju, de ist inhastem mode gesehen, und dat is uns leit, und willen dar war maken mit unsen eden, giehtghy uns des nieht vordraghen willen und bidden ju dorch Got und doreh unser leven vrowenwillen, dat gi uns dat vorgeven.«

Die Entschuldigung sollte in Gegenwart der Vertreter der hansischen Städte geleistetwerden, von denen die Braunschweiger im Anschluß daran eigens Vergebung erbetensollten, für das, »wes se an en gebroken hebben, dat se en dat ok vorgeven, und nemense wedder in eres kopmannes rechticheit [ ... ]. « Im ursprünglichen Sühneentwurf wurdealso hinsichtlich der Vergehen der Braunschweiger deutlich unterschieden. Zum einenhatten sich die Aufrührer durch die Hinrichtungen, Vertreibungen und Enteignungenan den ehemaligen Ratsherren schuldig gemacht. Zum anderen hatten sie durch ihrenanhaltenden Widerstand gegen die Versuche der Hanse, das Schiedsverfahren an sich zuziehen, deren Autorität in Frage gestellt. Dementsprechend bedurfte es einer zweifachenEntschuldigung vor den verschiedenen Parteien. Dabei läßt sich an der vorgesehenenReihenfolge auch eine Wertigkeit der Vergehen ablesen: Hauptadressat waren zunächstdie unmittelbar von den Gewalttaten der -Schicht- betroffenen Braunschweiger. DieGegenwart der Hansen war zwar erforderlich, aber sie standen erst an zweiter Stelle.

Die öffentliche Abbitte der Braunschweiger, wie sie dann nach dem endgültigenSühnevertrag im August 1380 vollzogen wurde, brachte durch die Abfolge ihrer Insze-nierungjedoch eine andere Wertung der Geschehnisse zum Ausdruck.'?' Die in Lübeckerschienenen Bürgermeister und Bürger aus Braunschweig mußten »vor de menen stedeund en jeghenwardicheyt der vordrevenen, edder de erer macht hebben, komen undspreken: De schicht, de binnen Brunswik gescheen is, de is in hasten mode gescheen,unde is uns leet [ ... ].« t04 Die Worte der Entschuldigung wurden demnach von den Ver-tretern der Hanse entgegengenommen, die Rolle der Vertriebenen in dem Akt wurdeauf ihre Anwesenheit verkürzt. Sie wurden nicht mehr als die direkt Betroffenen der-Schicht- angesprochen, denn die Formulierung »was an Euren toten Verwandten undan Euch geschehen ist« entfiel. Es ist anzunehmen, daß die Braunschweiger in denVerhandlungen durchsetzen konnten, daß die Form der öffentlichen Unterwerfungkeine direkte Anerkennung ihrer Schuld gegenüber den vertriebenen Ratsherren zum

102 Ähnliche Bedenken hatte man bezüglich der vertriebenen Ratsherren, vgl. ebd.: -Uppe de sulven tiidschollen dar ok de vordrevenen komen mit vuller macht van der doden und der andern wegen, den deschiehr andrepen mach.«

103 VgI. ebd. Nr.lI9, S.l6If.104 Ebd. Nr. 218, S.260.

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Ausdruck brachte, wie sie noch im Vertragsentwurf vorgesehen war. Die statt dessengefundene, allgemein gehaltene Formulierung, daß die -Schicht- den Braunschweigernleid täte, schloß zwar die Hinrichtungen und Enteignungen nicht explizit aus, sie bein-haltete aber auch nicht das öffentliche Eingeständnis, daß ihr Handeln gegenüber demvorherigen Rat illegitim war. Diese Verschiebung des Aussagegehalts der öffentlichenUnterwerfung wird noch an einem weiteren Detail deutlich. Hatten die hansischenUnterhändler ursprünglich vorgesehen, daß die Braunschweiger »ane hoyken und anekogelen «, also ohne Hut und Mantel, vor die vertriebenen Braunschweiger treten sollten,so wurde diese Bestimmung nicht in den abschließenden Sühnevertrag übernommen.Hut und Mantel waren im späten Mittelalter nicht nur Mittel der ständischen Distink-tion, besonders wenn sie aus kostbaren Stoffen gefertigt und mit Pelz besetzt waren,sondern besaßen auch rechtsrelevante Eigenschatren.I'" So konnte das Erscheinen vorGericht mit Hut und Mantel im 14. Jahrhundert mit einer Geldstrafe bestraft werden.Einerseits hätte es also als Zeichen ihrer Demütigung gelten können, wenn die Braun-schweiger ihrer bürgerlichen Standeskleidung entledigt um Verzeihung hätten bittenmüssen. Andererseits wäre durch einen solchen Aufzug die Nähe des Aktes zu einemförmlichen Gericht, vor dem die Braunschweiger sich zu verantworten hatten, zumAusdruck gebracht worden. Aber offensichtlich konnten die Braunschweiger in denVerhandlungen durchsetzen, daß diese Bedingung fallen gelassen wurde.

Doch dieser Sieg imKampf um die symbolischen Formen, in dem um jedes Detailgerungen werden konnte - da durch sie weitreichende Aussagen über die zukünftigesoziale Ordnung in Braunschweig getroffen wurden - war für die Aufrührer nur vongeringer Wrrkung. 106Die allgemein herrschenden Vorstellungen über Ablauf und Formeiner Unterwerfung führten dazu, daß in der städtischen Erinnerung, wie sie durch diezeitgenössische Chronistik geformt wurde, die öffentliche Abbitte der Braunschweigerals demütige Unterwerfung festgeschrieben wurde. So berichtet das Schichtbuch, daßdie Braunschweiger »beschemet« die Hansestädte um Vergebung baten; der LübeckerFranziskanerlesemeister Detmar nannte den Akt eine -grote sone«.107 Im 16. Jahr-hundert hatte sich die Erinnerung an eine -regelgerechte- Unterwerfung der Aufrührersoweit verfestigt, daß die städtische Chronistik festhalten konnte, wie »die acht Raths-boten mit Wollenwant bekleidet, barhäuptig und barfuß, brennende Wachskerzen inden Händen, in Prozession zur Stellezogen, fußfällig ihre Bitten vortrugen und Verzei-hung gewannen.« 108Im Gedächtnis der städtischen Gemeinschaft nahm die -Schicht-

105 VgI. An. -Gugel-, in: Deutsches Rechtswönerbuch 4, 1939-1951, Sp. 1233-1235, und An. -Mantel-, in: ebd.9, 1996, Sp. 172-179.

106 VgI. ALTHOFF (wie Arun. 10) S. 27f.; DERs. (wie Arun. 7) S. 109.107 BOTE (wie Arun. 31) S. 317; Deanar-Chronik von 1101-1395, in: Die Chroniken der Niedersächsischen

Städte, Lübeck I, hg. von KARL KOPPMANN,Leipzig 1884>S. 189-597, hier S. 568; vgl. auch HÄNSELMANN(wie Anm. 39) s.385 f.; zur parteiischen Darstellung der Braunschweiger -Schichten- in den Chroniken vgl.EHBRECHT, Braunschweiger Schichten (wie Anm. 30) S. 43ff.; DERS., Eintracht (wie Arun. 30) S. 163ff.

108HÄNSELMANN(wie Arun. 39) S. 385. SoAndreas Schoppius in seiner Chronik von 1561,die später zahlreicheErgänzungen und Umarbeitungen erfahren hat, bisher allerdings weder wissenschaftlich uneersucht nochediert wurde, und daher hier nach der Darstellung Ludwig Hänselmanns wiedergegeben wird, vgl. auchDERS., Das Schichtbuch. Geschichten von Ungehorsam und Aufruhr in Braunschweig 1292-1514. Nach

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und die darauf folgende Bußleistung einen singulären Status ein. Gleichwohl gab esoffenbar auch unter den Bürgern spezifische Vorstellungen von den symbolischen For-men einer förmlichen deditio, die aus der Welt des mittelalterlichen Adels übernommenwurden. In dem Bedürfnis, die Erinnerung an das Ereignis im kollektiven Gedächtnisder Stadt zu verankern und dabei die an der -Schicht- Beteiligten als negatives Exempeldarzustellen, griff die städtische Historiographie diese mit einer Unterwerfung verbun-denen Erwarrungshaltungen auf.109 So konnte sie die Differenzierungen, wie sie in derSühneurkunde getroffen wurden, vergessen lassen. Die Vorstellung von einer mittel-alterlichen Unterwerfung als Ensemble von bestimmten Elementen, die zwar in ihrenDetails verhandelbar waren, aber im Kern den Ablauf des Rituals bestimmten, hat sichauch in der Forschung niedergeschlagen, so daß sie oftmals einer nötigen Differenzie-rung im Wege steht.!'?

Eine ähnliche Umformung erfuhr auch die Rolle der Vertriebenen und die Wieder-herstellung ihrer Rechte, wie sie in dem dritten Abschnitt des Sühnevertrages geregeltwurde. Gemäß den Vorverhandlungen sollten die ehemaligen Ratsherren wieder in dieStadtgemeinschaft aufgenommen werden und ihre Güter zurückgegeben werden. Auchwenn das Schichtbuch berichtet, daß die vertriebenen Ratsherren von den Vertretern derHansestädte nach Braunschweig begleitet wurden und damit die alte Ordnung wiederhergestellt war, mußten diese auch nach Abschluß des Sühnevertrags, der ihre Belangenur unzureichend klärte, noch jahrelang auf Ausgleich des ihnen zugefügten symboli-schen und materiellen Schadens warten. t t t Eine Wiederaufnahme in den Rat der Stadtblieb jedoch den meisten verwehrt. Nur drei der durch die -Schicht« vertriebenen Rats-herren fanden in der Zeit zwischen 1380 und 1400 wieder Zugang zu den Ratssitzen.während hingegen die meisten der Ratsherren, die in der Zeit der Verhansung an derBraunschweiger Ratsherrschaft beteiligt waren, auch nach 1380 im Amt verblieben. nzVon einer Wiederherstellung der alten Ordnung durch die Sühne von 1380 kann alsonicht die Rede sein. Dennoch vermeldet der Rezeß der hansischen Versammlung zuLubeck am 12. August 1380 den Abschluß der Sühne und die Wiederaufnahme Braun-schweigs in die Hanse. t 13

Dies entspricht der Haltung der hansischen Städte, wie sie sich imAblauf des Kon-fliktes und an den symbolischen Formen seiner Beilegung ablesen läßt. Diese hatten

dem Niederdeutschen des Zollschreibers Hennann Bothen und anderen Überlieferungen, Braunschweig1886, S. 40

109 In ähnlicher Weise unterlag auch die -Unterwerfung- der Bürger von Calais einer Umdeutung durch diespätere Chronistik, wie MOEGLlN, Bürger von Calais (wie Anm. 12) gezeigt hat.

110 VgI. bspw. die Darstellungen bei SCHREINER (wie Arun. 15) S.78 und ALTHOFF (wie Anm. IS) S. 186.111 BOTE (wie Arun. 31) S. 317: -Hyrna do redden de van Lubke, Hamborch unde Luneborch to Brunswick in

de stadt unde vorden de slechte dar wedder in, unde makeden dar eynen Tad wedder so tovoren was.« DieVersanunlung der hansischen Ratssendboten mußte die Braunschweiger noch mehrmals ZUTEinhaltung derSühnebestimmungen im Hinblick auf Wiederaufnahme und Entschädigung der Vertriebenen ermahnen,vgl. Hanserecesse (wie Anm.jz) NT. 251, S.303 und Nr.258, S.314; vgl. HÄNSELMANN (wie Anrn.39)S·399ff.

112 VgI. MATTHIAS PuHLE, Die Braunschweiger -Schichten, (Aufstände) und ihre verfassungsrechtlichen fol-gen, in: GARZMANN (wie Anm. 19) S. 235-251, hier S. 240.

m VgI. Hanserecesse (wie Anm. 32) Nr. 219. S. 261f.

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durch die öffentliche Abbitte in Lübeck Genugtuung dafür erhalten, daß die Braun-schweiger sich so andauernd ihren Anweisungen widersetzt und ihre Autorität alsordnende Instanz für alle ihre Mitglieder nicht anerkannt hatten. Es ist noch einmalzu betonen, daß die Braunschweiger diese Entschuldigung zwar in Gegenwart dervertriebenen Ratsherren zu leisten hatten, sie sich aber eindeutig an die Vertreter derHansestädte richtete. Sie galt also nicht so sehr den eigentlichen Konfliktgegnern undGeschädigten als vielmehr den Vermittlern, die im Laufe des Konflikts selbst zur Parteigeworden waren. Die Botschaft, die mit der öffentlichen Inszenierung vermittelt werdensollte, zielte nicht auf dieWiederherstellung der alten Ordnung der städtischen Gemein-schaft in Braunschweig, sondern auf die Demonstration der Machtstellung der Hanse.Und so, wie die Regelungen über die Rückkehr der vertriebenen Ratsherren und dieRückgabe ihrer Güter erst am Schluß des Sühnevertrags standen, so trat die Regelungihrer Ansprüche nach der vollzogenen Sühne in den Hintergrund. Denn es gingwenigerum die Restitution der Rechte der alten Ratsherren alsvielmehr um die Etablierung derneuen Machtstruktur der Hanse in Ablösung der geschwächten herzoglichen Gewalt.

VI. Zusammenfassung

Am Ende des 14. Jahrhunderts besaß die hansische Gemeinschaft im norddeutschenRaum ein solchesGewicht, daß ihr dieAufgabe zugetragen wurde, innerstädtische Kon-flikte zu vermitteln und zu entscheiden.'!" Damit trat sie zumindest vorübergehend andie Stelle der Landes- und Stadtherren, die aufgrund der mangelnden Autorität ihrerRolle als Richter und Friedensstifter zu dieser Zeit nicht mehr gerecht werden konn-ten. Es konnte deutlich gemacht werden, daß die Regeln der Konfliktführung, wie dieInstitutionen der Vermittlung, der Schiedsgerichtsbarkeit und die Möglichkeiten einergütlichen Konfliktbeilegung durch Unterwerfung und Sühnevertrag, nicht immer undunverändert ihreWirkung entfalten konnten.I'! Eine genaueAnalyse der verschiedenenRegelungen in den Sühneverträgen, den Akten der Unterwerfung und anderen Formendes Friedenschlusses kann zeigen, wie differenziert man auf die spezifischen Störungenund Verletzungen der geltenden Ordnung zu reagieren vermochte. Gleichwohl unter-lagen die Praktiken der gütlichen Konfliktbeilegung bestimmten Erwartungshaltungen,die es ermöglichten, das Geschehene in der Erinnerung umzuformen und verschiedenauszudeuten.

Es erscheint lohnenswert, gerade die Bedingungen einer Veränderung der Regelnzur Konfliktbeilegung im Spätmittelalter weiter zu untersuchen, denn die Macht oderdas Unvermögen, Konflikte erfolgreich zu vermitteln, Unterwerfungen auszuhandelnund dem Konfliktgegner verzeihen zu können, kann als ein geeignetes Kriterium fürdie soziale Stellung der Konfliktgegner dienen.

114 Zur weiteren Entwicklung der Hanse und ihrer Regelungskompetenz in innerstädtischen Konflikten vgl.ERBRECHT (wie Anrn. 42) S. I15ff.;JENKS (wie Anrn. 54) S. 82ff.

115 Zur -Geschichdichkeit der Rituale- vgl. ALTHOFF (wie Anrn. 10) S. I95ff.