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Die Frage nach dem Rettich regiert den Abend. Viel- leicht muss sie unbeantwortet bleiben. b.23: Ein Trip- tychon. Mozart, Flamenco, Brahms. Zwei Giganten – getrennt durch die Ursuppe. Der Mozart ist schnell erzählt. Schläpfers Choreo- graphie nähert sich der großen g-moll Sinfonie aus geduckter Perspektive. Zwei Möglichkeiten: Da hat einer zu viel Respekt oder zu wenig. Eigentlich Quatsch. Man muss vor Mozart keinen Respekt haben. Durchdringen muss man ihn. Kommentieren vielleicht. Schläpfers Kontaktaufnahme mit dem Salzburger Genie hat etwas Vordergründiges, das die Tiefen nicht anzuschneiden scheint. Mozart aus Lönneberga. Alles scheint verspielt, verwalzert, verländlicht. Im zweiten Satz entsteht eine Einheit von Tanz und Musik. Alles Dreiviertelt sich ineinander. Ein Stück: Aus mehreren Perspektiven gese- hen. Ein bäuerliches Publikum auf Hockern sieht dem Wunder Mozart beim Ausbreiten seiner Waren zu. Bur- schikos die eine Seite, weltumrundend die andere. Man muss Mozart nicht mögen. Trotzdem ist er ein Stein- bruch für das Allgewaltige. Die g-moll Sinfonie – eine Art Phönix: Sich selbst in die Asche reitend, um es her- nach mit einer lupenreinen Auferstehung allen zu zei- gen. Schläpfers Choreographie: Vielleicht einen Tick neben der Spur. Manchmal weiß man nicht, warum sich das Wunder versagt.Warum Musik und Tanz nicht zueinander finden wollen. Vielleicht haben sie zuein- ander gefunden und man saß blind daneben. Das Publi- kum feiert Schläpfers Mozart. Trotzdem sitzt man da und träumt sich in Schläpfers Mahler, seinen Brahms, sei- nen Brahms, seinen Brahms ... Vielleicht hat man sich nicht genügend eingefunden. Schön und Schönheit sind zwei Dimensionen eines nur scheinbar Gleichen. Dann: Flamenco. Kennt man. Denkt man: Gitarre, Kastagnetten, dringender Gesang. Pustekuchen. Was die Choreographin Brigitta Luisa Merki mit der Tanz- compagnie „Flamencos en route“ und den Tänzern des Balletts am Rhein auf die Bühne bringt, ist eine Art Urknall in Zeitlupe: Alles wird zum Geniestreich. Die Bühne (Brigitta Luisa Merki), die Kostüme (Carmen Perez Mateos), das Licht!!! (Thomas Diek). „...Andón- de vas, Siguiriya?“ Capricho Flamenco ist mehr als das Trennstück zwischen Mozart und Brahms. Merki und ihr Ensemble erklären die Welt aus einer anderen Ecke in einer atemberaubenden Mischung aus Urgewaltig- keit und Intimität in einer Manege aus Licht. Merkis Aus- flug in die Welt, das wird schon vor den letzten Tönen klar, ist nicht die Trennwand zwischen Mozart und Brahms – es ist die Klammer. Vielleicht ist der Fla- menco eine Art Ursuppe. Merki lässt Mozart vergessen, ohne dass er überflüssig wird. Merkis Ensemble ser- viert das Kostbarste, was die Kunst zu bieten hat: Gegen- wärtigkeit. Ein Abend kommt in Fahrt. Man sieht die Welt aus den Fenstern eines rasenden Zuges. Je schnel- ler der Atem, umso klarer die Bilder. Und dann das Ende: Ein Verlöschen. Ein Abschied ins Nichts. Kein volles Ensemble, das zum Schlusstableau antritt. Das Stück endet wie ein Gutenachtkuss der Großmutter. Alle Angst ist ausgetrieben. Man könnte sich jetzt auf den Weg in die Nacht machen ..., aber da wartet noch Brahms. Das Violinkonzert in D- Dur op. 77. Eines dieser Ereignisse, eine der Grundvo- kabeln der Violinliteratur. Mats Eks Choreographie setzt auf das Miteinander von Tanz und Musik. Ein bunt gekleidetes Ensemble tritt an und deckt die Bühne mit Zauber. Im Tanz wird sichtbar, dass ein Solokon- zert alles andere ist als ein Solo. Alleine geht nichts. Selbst wenn die Violine die Herrschaft antritt, bekommt sie Kumpanen – die Compagnie. Ek setzt auf eine Mischung aus Zauberhaftigkeit und Lyrik – macht aber auch nicht Halt davor, die Tänzer in den Marschschritt zu zwingen, wenn die Musik die Vorlage liefert. Der Tanz ordnet sich ein und gewinnt durch Verschmel- zung mit dem Material Musik. Der zweite Satz liefert Schönheit aus. Schönheit braucht kein Personal. Musik ist in der Lage, wortlos Wundsalbe aufzutragen. Musik, das zeigt der zweite Satz des Konzertes, braucht das Konkrete nicht. Das Konkrete stört, weil es andockt. Der zweite Satz ist Augen-zu-Musik. Ek lässt bunte Tücher über die Bühne ziehen. Ja – das ist die Lösung: Die Menschen überge- hen und nur in Tönen leben. Keinen Bezug nehmen. Dann: Die Rettiche. Zwischen den Tüchern schweben sie über die Bühne und stiften in ihrer Konkretwer- dung etwas eher Albernes. „Wenn ich erst ein Pro- grammheft brauche, damit ich den Rettich verstehe, dann stimmt was nicht mit der Konstruktion“, sagt einer anschließend im Foyer. Am besten ist der Ret- tisch schnell vergessen, obwohl man im letzten Satz den eigenen Kopf erst wieder wegdrehen muss von der Säku- larisierung des Unantastbaren. Man muss sich zurück- arbeiten in die Betäubung, in das Unbeschreibbare. Manchmal braucht es eine Rettung vor dem Menschsein- müssen. Musik und Tanz können sich ins Wortlose flüchten – in ein Reich, das der Einsamkeit des Fühlens vorbehalten ist. Es braucht keinen Rettich zum Über- leben, es braucht nur den Mut, die Schönheit zu ertra- gen. Rettich Lausbub Urknall Symphonie g-moll Choreographie : Martin Schläpfer Musikalische Leitung: Marc Piollet Bühne und Kostüme: Florian Etti Licht: Thomas Diek Ballettmeisterinnen: Antoinette Laurent, Kerstin Feig Düsseldorfer Symphoniker „... Adónde vas, Siguiriya?“ Choreographie und Bühne : Brigitta Luisa Merki Kostüme: Carmen Perez Mateos Licht: Thomas Diek Ton: Markus Luginbühl - audiopool Tanzcompagnie Flamencos en route Musikensemble Flamencos en route Tänzerinnen und Tänzer des Balletts am Rhein Ballettmeister: Callum Hastie Rättika Choreographie : Mats Ek Musikalische Leitung: Marc Piollet Bühne und Kostüme: Mylla Ek Licht: Erik Berglung Einstudierung: Ana Laguna, Eva Säfström Ballettmeister: Uwe Schröter Düsseldorfer Symphoniker Solo-Violine: Marc Bouchkov Sachika Abe Marlúcia do Amaral Camille Andriot Rashaen Arts Doris Becker Andriy Boyetskyy Paul Calderone Jackson Carroll Martin Chaix Wun Sze Chan Odsuren Dagva Sabrina Delafield Mariana Dias Feline van Dijken Sonia Dvorak Michael Foster Filipe Frederico Nathalie Guth Philip Handschin Alexandra Inculet Christine Jaroszewski Richard Jones Yuko Kato So-Yeon Kim Helen Clare Kinney Marquet K. Lee Sonny Locsin Anne Marchand Marcos Menha Bruno Narnhammer Alban Pinet Louisa Rachedi Boris Randzio Aryanne Raymundo Claudine Schoch Alexandre Simões Elisabeta Stanculescu Julie Thirault Irene Vaqueiro Virginia Segarra Vidal Compagnie Flamenco en route Carmen Angulo Carmen Iglesias Raquel Lamadrid Eloy Aguilar Alvise Carbone Ricardo Moro Musikensemble Flamenco en route Juan Gomez Pascual de Lorca Rocio Soto Fredrik Gille Emilia Amper Weitere Aufführungen: Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf, Donnerstag, 19. März; Samstag, 21 März; Mittwoch 25. März; Samstag, 28. März; Mittwoch, 1. April; Sonntag, 5. April, 18.30 Uhr; Sonntag, 12. April, 15 Uhr; Sonntag, 21. Juni, 18.30 Uhr; Donnerstag 25. Juni. (Alle anderen Aufführungen beginnen um 19.30 Uhr. Dauer: Circa zweidreiviertel Stunden; zwei Pausen.

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Die Frage nach dem Rettich regiert den Abend. Viel-leicht muss sie unbeantwortet bleiben. b.23: Ein Trip-tychon. Mozart, Flamenco, Brahms. Zwei Giganten –getrennt durch die Ursuppe.

Der Mozart ist schnell erzählt. Schläpfers Choreo-graphie nähert sich der großen g-moll Sinfonie ausgeduckter Perspektive. Zwei Möglichkeiten: Da hat einerzu viel Respekt oder zu wenig. Eigentlich Quatsch. Manmuss vor Mozart keinen Respekt haben. Durchdringenmuss man ihn. Kommentieren vielleicht. SchläpfersKontaktaufnahme mit dem Salzburger Genie hat etwasVordergründiges, das die Tiefen nicht anzuschneidenscheint. Mozart aus Lönneberga. Alles scheint verspielt,verwalzert, verländlicht. Im zweiten Satz entsteht eineEinheit von Tanz und Musik. Alles Dreiviertelt sichineinander. Ein Stück: Aus mehreren Perspektiven gese-hen. Ein bäuerliches Publikum auf Hockern sieht demWunder Mozart beim Ausbreiten seiner Waren zu. Bur-schikos die eine Seite, weltumrundend die andere. Manmuss Mozart nicht mögen. Trotzdem ist er ein Stein-bruch für das Allgewaltige. Die g-moll Sinfonie – eineArt Phönix: Sich selbst in die Asche reitend, um es her-nach mit einer lupenreinen Auferstehung allen zu zei-gen. Schläpfers Choreographie: Vielleicht einen Tickneben der Spur. Manchmal weiß man nicht, warumsich das Wunder versagt. Warum Musik und Tanz nichtzueinander finden wollen. Vielleicht haben sie zuein-ander gefunden und man saß blind daneben. Das Publi-kum feiert Schläpfers Mozart. Trotzdem sitzt man da undträumt sich in Schläpfers Mahler, seinen Brahms, sei-nen Brahms, seinen Brahms ... Vielleicht hat man sichnicht genügend eingefunden. Schön und Schönheit sindzwei Dimensionen eines nur scheinbar Gleichen.

Dann: Flamenco. Kennt man. Denkt man: Gitarre,Kastagnetten, dringender Gesang. Pustekuchen. Wasdie Choreographin Brigitta Luisa Merki mit der Tanz-compagnie „Flamencos en route“ und den Tänzern desBalletts am Rhein auf die Bühne bringt, ist eine ArtUrknall in Zeitlupe: Alles wird zum Geniestreich. DieBühne (Brigitta Luisa Merki), die Kostüme (CarmenPerez Mateos), das Licht!!! (Thomas Diek). „...Andón-de vas, Siguiriya?“ Capricho Flamenco ist mehr als dasTrennstück zwischen Mozart und Brahms. Merki undihr Ensemble erklären die Welt aus einer anderen Eckein einer atemberaubenden Mischung aus Urgewaltig-keit und Intimität in einer Manege aus Licht. Merkis Aus-flug in die Welt, das wird schon vor den letzten Tönenklar, ist nicht die Trennwand zwischen Mozart undBrahms – es ist die Klammer. Vielleicht ist der Fla-menco eine Art Ursuppe. Merki lässt Mozart vergessen,ohne dass er überflüssig wird. Merkis Ensemble ser-viert das Kostbarste, was die Kunst zu bieten hat: Gegen-wärtigkeit. Ein Abend kommt in Fahrt. Man sieht dieWelt aus den Fenstern eines rasenden Zuges. Je schnel-ler der Atem, umso klarer die Bilder. Und dann dasEnde: Ein Verlöschen. Ein Abschied ins Nichts. Keinvolles Ensemble, das zum Schlusstableau antritt. DasStück endet wie ein Gutenachtkuss der Großmutter.Alle Angst ist ausgetrieben. Man könnte sich jetzt aufden Weg in die Nacht machen ...,

aber da wartet noch Brahms. Das Violinkonzert in D-Dur op. 77. Eines dieser Ereignisse, eine der Grundvo-kabeln der Violinliteratur. Mats Eks Choreographiesetzt auf das Miteinander von Tanz und Musik. Einbunt gekleidetes Ensemble tritt an und deckt die Bühnemit Zauber. Im Tanz wird sichtbar, dass ein Solokon-zert alles andere ist als ein Solo. Alleine geht nichts.Selbst wenn die Violine die Herrschaft antritt, bekommtsie Kumpanen – die Compagnie. Ek setzt auf eineMischung aus Zauberhaftigkeit und Lyrik – macht aberauch nicht Halt davor, die Tänzer in den Marschschrittzu zwingen, wenn die Musik die Vorlage liefert. DerTanz ordnet sich ein und gewinnt durch Verschmel-zung mit dem Material Musik.

Der zweite Satz liefert Schönheit aus. Schönheitbraucht kein Personal. Musik ist in der Lage, wortlosWundsalbe aufzutragen. Musik, das zeigt der zweiteSatz des Konzertes, braucht das Konkrete nicht. DasKonkrete stört, weil es andockt. Der zweite Satz istAugen-zu-Musik. Ek lässt bunte Tücher über die Bühneziehen. Ja – das ist die Lösung: Die Menschen überge-hen und nur in Tönen leben. Keinen Bezug nehmen.Dann: Die Rettiche. Zwischen den Tüchern schwebensie über die Bühne und stiften in ihrer Konkretwer-dung etwas eher Albernes. „Wenn ich erst ein Pro-grammheft brauche, damit ich den Rettich verstehe,dann stimmt was nicht mit der Konstruktion“, sagteiner anschließend im Foyer. Am besten ist der Ret-tisch schnell vergessen, obwohl man im letzten Satz deneigenen Kopf erst wieder wegdrehen muss von der Säku-larisierung des Unantastbaren. Man muss sich zurück-arbeiten in die Betäubung, in das Unbeschreibbare.Manchmal braucht es eine Rettung vor dem Menschsein-müssen. Musik und Tanz können sich ins Wortloseflüchten – in ein Reich, das der Einsamkeit des Fühlensvorbehalten ist. Es braucht keinen Rettich zum Über-leben, es braucht nur den Mut, die Schönheit zu ertra-gen.

RettichLausbubUrknall

Symphonie g-mollChoreographie :Martin Schläpfer

Musikalische Leitung:Marc Piollet

Bühne und Kostüme:Florian Etti

Licht:Thomas Diek

Ballettmeisterinnen:Antoinette Laurent, Kerstin Feig

Düsseldorfer Symphoniker

„... Adónde vas, Siguiriya?“Choreographie und Bühne :

Brigitta Luisa MerkiKostüme:

Carmen Perez MateosLicht:

Thomas DiekTon:

Markus Luginbühl - audiopoolTanzcompagnie Flamencos en routeMusikensemble Flamencos en route

Tänzerinnen und Tänzer des Balletts am Rhein

Ballettmeister: Callum Hastie

RättikaChoreographie :

Mats EkMusikalische Leitung:

Marc PiolletBühne und Kostüme:

Mylla EkLicht:

Erik BerglungEinstudierung:

Ana Laguna, Eva SäfströmBallettmeister:Uwe Schröter

Düsseldorfer SymphonikerSolo-Violine:

Marc Bouchkov

Sachika AbeMarlúcia do Amaral

Camille AndriotRashaen ArtsDoris Becker

Andriy BoyetskyyPaul CalderoneJackson CarrollMartin Chaix

Wun Sze ChanOdsuren Dagva

Sabrina DelafieldMariana Dias

Feline van Dijken Sonia DvorakMichael FosterFilipe FredericoNathalie Guth

Philip HandschinAlexandra Inculet

Christine JaroszewskiRichard Jones

Yuko KatoSo-Yeon Kim

Helen Clare Kinney Marquet K. LeeSonny Locsin

Anne MarchandMarcos Menha

Bruno NarnhammerAlban Pinet

Louisa RachediBoris Randzio

Aryanne RaymundoClaudine Schoch

Alexandre SimõesElisabeta Stanculescu

Julie ThiraultIrene Vaqueiro

Virginia Segarra Vidal

Compagnie Flamenco en routeCarmen AnguloCarmen IglesiasRaquel Lamadrid

Eloy AguilarAlvise CarboneRicardo Moro

Musikensemble Flamenco en routeJuan Gomez

Pascual de LorcaRocio Soto

Fredrik GilleEmilia Amper

Weitere Aufführungen:Deutsche Oper am Rhein,

Düsseldorf, Donnerstag, 19.März; Samstag, 21 März;

Mittwoch 25. März; Samstag,28. März; Mittwoch, 1. April;Sonntag, 5. April, 18.30 Uhr;Sonntag, 12. April, 15 Uhr;

Sonntag, 21. Juni, 18.30 Uhr;Donnerstag 25. Juni. (Alle

anderen Aufführungenbeginnen um 19.30 Uhr.

Dauer: Circa zweidreiviertelStunden; zwei Pausen.