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Abstracts Bernhard v. Guretzky Synchronizität Ziel dieses Papiers ist es, den Jungschen Begriff der Synchronizität als Theorie bildende Metapher aus dem rein psychischen Bereich herauszuholen, um ihn auch in anderen Bereichen einzuführen. Dazu werden zunächst die Verbindungen zwischen den physikalischen Begriffen der Komplementarität und Kausalität dargestellt, um dann eine Beschreibung der Synchronizität zu versuchen, die sich stark an diese beiden durch die Quantenphysik geprägten Begriffe anlehnt. Die Beschreibung wird mit Beispielen unterfüttert. Darüber hinaus wird die Bedeutung von Synchronizitäten für die Kreativität herausgearbeitet und deren strukturierenden Funktionen im Unus Mundus beschrieben. Die vorliegende Abhandlung ist auf naturwissenschaftlichem Hintergrund entstanden und versucht so eine modifizierte Sichtweise auf die Begriff Synchronizität und Unus Mundus. Schlüsselwörter: Komplementarität, Kausalität, Synchronizität, Kreativität, Unus Mundus Synchronicity The aim of this paper is to show that Jung's notions of synchronicity and the unus Mundus can be used as metaphors for other theories than psychology as well. To achieve this, the close correspondence between synchronicity and the quantum mechanical notions of complementarity and causality will be shown together with a comprehensive list of examples to illustrate the wide range of the synchronicity concept from physics, the individuation process, to history of science, politics and biology. This paper arose against a scientific backdrop and thus can be considered as an attempt to approach synchronicity and unus mundus from an altered perspective. Keywords: complementarity, causality, synchronicity, creativity, unus mundus Bernhard v. Guretzky, Dr. rer. nat., Studium der Mathematik und Physik in Berlin. 20- jährige Tätigkeit in Industrie und Forschung als Informatiker zuletzt in München. Seit 10 Jahren selbstständiger Unternehmensberater und seit ca. 7 Jahren systemische Aufstellungsarbeit und Forschung an den philosophischen, physikalischen und psychologischen Grundlagen von Aufstellungsphänomenen. Türkenstr. 53, D-80799 München. E-Mail: [email protected]

Synchronizität

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Ziel dieses Papiers ist es, den Jungschen Begriff der Synchronizität als Theorie bildende Metapher aus dem rein psychischen Bereich herauszuholen, um ihn auch in anderen Bereichen einzuführen. Dazu werden zunächst die Verbindungen zwischen den physikalischen Begriffen der Komplementarität und Kausalität dargestellt, um dann eine Beschreibung der Synchronizität zu versuchen, die sich stark an diese beiden durch die Quantenphysik geprägten Begriffe anlehnt. Die Beschreibung wird mit zahlreichen Beispielen unterfüttert.

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Abstracts

Bernhard v. Guretzky

Synchronizität

Ziel dieses Papiers ist es, den Jungschen Begriff der Synchronizität als Theorie bildende Metapher aus dem rein psychischen Bereich herauszuholen, um ihn auch in anderen Bereichen einzuführen. Dazu werden zunächst die Verbindungen zwischen den physikalischen Begriffen der Komplementarität und Kausalität dargestellt, um dann eine Beschreibung der Synchronizität zu versuchen, die sich stark an diese beiden durch die Quantenphysik geprägten Begriffe anlehnt. Die Beschreibung wird mit Beispielen unterfüttert. Darüber hinaus wird die Bedeutung von Synchronizitäten für die Kreativität herausgearbeitet und deren strukturierenden Funktionen im Unus Mundus beschrieben.

Die vorliegende Abhandlung ist auf naturwissenschaftlichem Hintergrund entstanden und versucht so eine modifizierte Sichtweise auf die Begriff Synchronizität und Unus Mundus.

Schlüsselwörter: Komplementarität, Kausalität, Synchronizität, Kreativität, Unus Mundus

Synchronicity

The aim of this paper is to show that Jung's notions of synchronicity and the unus Mundus can be used as metaphors for other theories than psychology as well. To achieve this, the close correspondence between synchronicity and the quantum mechanical notions of complementarity and causality will be shown together with a comprehensive list of examples to illustrate the wide range of the synchronicity concept from physics, the individuation process, to history of science, politics and biology.

This paper arose against a scientific backdrop and thus can be considered as an attempt to approach synchronicity and unus mundus from an altered perspective.

Keywords: complementarity, causality, synchronicity, creativity, unus mundus

Bernhard v. Guretzky, Dr. rer. nat., Studium der Mathematik und Physik in Berlin. 20-jährige Tätigkeit in Industrie und Forschung als Informatiker zuletzt in München. Seit 10 Jahren selbstständiger Unternehmensberater und seit ca. 7 Jahren systemische Aufstellungsarbeit und Forschung an den philosophischen, physikalischen und psychologischen Grundlagen von Aufstellungsphänomenen. Türkenstr. 53, D-80799 München. E-Mail: [email protected]

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Bernhard v. Guretzky

Synchronizität Things derive their being and nature by mutual

dependence and are nothing in themselves. Nagarjuna

Einführung

Eine Theorie ist eine geistige Projektion, in der bestimmte Nuancen herausgehoben werden. Als Abstraktionen eines größeren Kontextes sind Theorien notwendigerweise Provisorien, wie übrigens auch der Kontext, in dem Theorien entstehen, Veränderungen unterworfen ist. "Theorien sind Instrumente und keine Antworten auf Rätsel, auf denen wir uns ausruhen können", wie sich C. G. Jung ausgedrückt hat. Dem hält der Nobelpreisträger und "Mephisto der Quantentheorie" Wolfgang Pauli (1900-1958) entgegen: "Theorien kommen zustande durch ein vom empirischen Material inspiriertes Verstehen, welches am Besten im Anschluss an Plato als zur Deckung von inneren Bildern mit äußeren Objekten und ihrem Verhalten zu deuten ist" (Atmanspacher 1995, S. 46). Basiert dieses Verstehen auf mathematischen Gleichungen, die beschreiben, wie dieses empirische Material zu verknüpfen ist, so erhält man eine physikalische Theorie, die man dann innerhalb der Begrenzung ihres Anwendungsbereiches als "Modell der Wirklichkeit" bezeichnen kann (Pauli 1957).

Pauli betrachtete die physikalischen Theorien als unvollständig in Bezug auf die Welt als Ganzes, jedoch aus einem anderen Grunde als Einstein, der gerade die Quantentheorie mit ihren indeterministischen Aussagen als nicht vollständig ansah, sondern vielmehr deshalb, weil sie die menschliche Realität mit ihren Gefühlen und Werten unberücksichtigt lässt. Seit Plancks Entdeckung des Wirkungsquantums war die Physik gezwungen, ihren Anspruch aufzugeben, im Prinzip die ganze Welt verstehen zu können. Die Aufgabe dieses mechanistischen Weltbildes könnte aber zu einem Gesamtweltbild führen, in welchem die Naturwissenschaften nur ein Teil sind (Jung-Pauli 1952, S. 163f). Pauli kam auf den Gedanken, dass in dem Bereich, der von der modernen Atomphysik und der modernen Psychologie betreten wird, eine Einheitssprache gesucht werden könnte, die die Gegensätze von Physik und Psyche, von Außenwelt und Innenwelt überwindet. Diese Suche nach einem einheitlichen Weltbild ist inzwischen zu einem generellen Bedürfnis herangewachsen und angesichts der zunehmenden Vernetzung der einzelnen Wissenschaften und der damit einhergehenden zunehmenden Komplexität wird ein ganzheitliches Denken immer notwendiger. Dass bislang noch kein einheitlicher Rahmen, in den die Einzelwissenschaften passen, gefunden wurde, ist ja gerade der Grund für Zersplitterung der Wissenschaft. Die Forderung, eine solche stimmige einheitliche Sprache zu finden, bedeutet nicht nur, das Erfassbare sondern auch das Unfassbare

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im Auge zu behalten und eine adäquate Beschreibung des Unfassbaren jenseits unseres Bewusstseins zu finden (Atmanspacher 1995, S. 115).

Dies ist das Hauptthema des fast 30 Jahre währenden Briefwechsels zwischen Pauli und Jung (Jung-Pauli 1992). Er war nicht zuletzt deswegen so fruchtbar, weil beide die Verbindung von Physik und Psychologie für außerordentlich bedeutsam hielten: Aus der Sicht des Physikers ist es eine ungeklärte Frage, wie der Prozess der Theoriebildung abläuft, welche kognitiven bzw. psychischen Prozesse dabei wirken, welche vernachlässigt werden, und wie dies den Naturwissenschaftler als Menschen im Umgang mit sich selbst und seiner Umwelt prägt. Für die Psychologie ist anzunehmen, dass ihre naturwissenschaftliche Hinterfragung ihrer konstruktiven Weiterentwicklung dient (Atmanspacher 1995, S. 262), wie die zunehmende Klarheit in Jungs Begrifflichkeiten diesem Briefwechsel zeigt, wofür Jung Pauli auch ausdrücklich dankbar war.

Pauli stellte sich den Erkenntnisprozess als Interaktion zwischen den psychischen Strukturen (Konzepte und ihre formalen Darstellungen) und den physikalischen Strukturen (Beobachtungen von Objekten und ihre Verbindungen untereinander) vor. Die formalen Darstellungen werden dann auf die Realität "projiziert" und die Ergebnisse mit den empirischen Daten verglichen, was im folgenden zu einer Korrektur des Konzepts und der formalen Darstellung führen kann. Das ist soweit klassisches Verfahren in den Naturwissenschaften. Das innere Bild der Realität in der Vorstellung des Wissenschaftlers entsteht dabei unter dem Einfluss strukturierender Elemente, den Archetypen, die "an sich" nicht erkennbar sind wohl aber über ihre Manifestation oder "Konstellation", wie es auf jungianisch heißt. Neue Theorien, neues Wissen entsteht dann, wenn das innere Bild mit den externen Bildern zu Deckung kommt. Das mag erklären, wenn rein mentale Konzepte wie etwa die allgemeine Relativitätstheorie (John A. Wheeler: "Die Masse hat den Raum im Griff, indem sie ihm vorschreibt, wie er sich zu krümmen hat, und der Raum hat die Masse im Griff, indem er ihr vorschreibt, wie sie sich zu bewegen hat.") korrekte Voraussagen über das Verhalten von Körpern machen können (Gieser 2005, S. 208). Pauli sah in den statistischen Aussagen der Quantentheorie das Äquivalent zu Jungs Archetypen. Beider Sicht überführt den engen Begriff des Determinismus in ein erweitertes Verständnis der Beziehungen "psycho-physischer" Probleme (Sparks 2007, S. 75f).

Jung nahm Paulis statistische Sicht der Archetypen begeistert auf und sah in diesen die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten psychischer Ereignisse. Er verstand sie als Anordner von Ideen, Konzepten und Vorstellungen, die nicht nur Geist und Trieb motivieren, sondern auch in physisch materiellen Ereignissen nachzuweisen sind. Dies wird in der Synchronizität empirisch erfahrbar (Atmanspacher 1995, S. 97). Das Konzept der Synchronizität stellte Jung 1952 in (Jung-Pauli 1952) vor, ein Buch das er zusammen mit Paulis Kepler-Aufsatz veröffentlichte, meines Wissens das einzige gemeinsame Werk eines Physikers und Psychologen, das sich deshalb wohl auch als ein gemeinsames Programm verstehen lässt. Ein Programm, Geist und Materie mit einer gemeinsamen Sprache zu beschreiben, die auf den Säulen der Komplementarität, der Kausalität, der Synchronizität und des Unus Mundus ruht. Pauli selbst erkannte die Bedeutung dieser gemeinsamen Arbeit und bezeichnete sie als schicksalhafte Synchronizität. Ganz bewusst wird hier die Verbindung zwischen der

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inhärenten akausalen Natur der Quantenphysik und der Synchronizität hergestellt. Es kann durchaus sein, dass Pauli in der Synchronizität eine Möglichkeit sah, den tieferen Sinn der Akausalität in der Natur zu verstehen (Stapp 2009, S. 155) und dem reinen Empirismus der modernen Wissenschaft wieder eine spirituelle Komponente, die sich so häufig in seinen Träumen gezeigt hatte, zur Seite zu stellen.

Komplementarität

Das Ausschließungsverhältnis zwischen den verschiedenen messbaren Eigenschaften eines mikrophysikalischen Gegenstandes nennt man Komplementarität (Jordan 1951, S. 74). Die mathematische Deutung ist wie folgt: Zwei (physikalische) Variable, die durch die Operatoren P und Q dargestellt werden, heißen komplementär, wenn sie nicht-kommutativ sind. Aus der Vertauschungsrelation , folgen die Heisenbergschen Unbestimmheitsrelationen für Ort und Impuls

bzw. für Energie und Zeit , wobei bzw. die

Messgenauigkeit des Impuls- bzw. Ortsoperators und und die der Energie und Zeit bezeichnet1. Mit anderen Worten: In der Quantenmechanik unterscheidet sich das Ergebnis einer Messung von P und einer darauffolgenden Messung von Q von dem Ergebnis einer Messung von Q und der darauffolgenden Messung von P. Seinem Freund Heisenberg beschrieb Pauli diesen Sachverhalt mit folgenden Worten: "Man kann die Welt mit dem P-Auge und man kann sie mit dem Q-Auge ansehen, aber wenn man beide Augen zugleich aufmachen will, dann wird man irre." Komplementarität durchzieht die gesamte Quantenmechanik (etwa die Spin-Komponenten der Elementarteilchen, weshalb es keine definierten Rotationsachsen in der Quantentheorie gibt), doch in unserer Alltagserfahrung begegnen wir ihr scheinbar nur selten.

Komplementäre Erkenntnisse gehören zusammen, sofern sie Erkenntnisse desselben quantenphysikalischen Systems sind, sie schließen einander jedoch insofern aus, als sie nicht zugleich und für denselben Zeitpunkt erfolgen können. "Die Struktur des Objekts, die darin zum Ausdruck kommt, dass es komplementär erfahren und beschrieben wird, kann mit Bohr als Individualität oder Ganzheit bezeichnet werden" (Atmanspacher 1995, S. 161). Welche Kenntnis gewonnen und welche andere Kenntnis unwiderruflich verloren ist, bleibt der Wahl des Experimentators zwischen einander ausschließenden Versuchsanordnungen überlassen: Die Messung des Ortsoperators erzeugt dabei das "Teilchenbild", während die Messung des Impulsoperators bzw. der Frequenz das "Wellenbild" ergibt. Das unter verschiedenen Versuchsanordnungen gewonnene Material kann also nicht mehr in einem einzelnen Bilde erfasst werden. Erst die Gesamtheit aller Phänomene gibt erschöpfend Aufschluss über die Objekte: So ist mit der Bewegung eines Teilchens stets eine Welle verbunden (Bohr 1985, S. 38). Die Unabhängigkeit der quantenphysikalischen Phänomene von der Art der Beobachtung ist also nicht mehr erfüllt, und die physikalischen Objekte erhalten einen mehrdeutigen und daher symbolischen Charakter (Pauli 1950).

                                                                                                               1 Für eine ausführliche Einführung in die algebraische Darstellung der Quantenmechanik siehe Primas, 1981.

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Dies führt zu der sog. Kopenhagener Deutung der Quantentheorie, nach der es im Kern nur dann sinnvoll ist, von einer physikalischen Größe – eben vom Ort oder dem Interferenzbild – zu sprechen, wenn diese tatsächlich gemessen wird und die Messung des einen die Beobachtung des anderen ausschließt. Ansonsten hat man darüber zu schweigen – was sich fast schon wie der letzte Satz aus Wittgensteins Tractatus anhört. Oder wie es Bohr ausgedrückt hat: "Es ist einfach falsch zu denken, es wäre Aufgabe der Physik herauszufinden, wie die Natur beschaffen ist. Aufgabe der Physik ist vielmehr, herauszufinden, was wir über die Natur sagen können." Eine ausführliche Beschreibung der Kopenhagener Deutung findet man in (Primas 1981, S. 98ff). Übrigens ist die Kopenhagener Deutung nur eine von mehreren der Quantentheorie: Louis de Broglie, David Bohm und vor allem Einstein, wenn er noch gelebt hätte, vertraten 1957 die Interpretation der versteckten Variablen, die gewissermaßen deterministische Instruktionen tragen. Im selben Jahr schlug Hugh Everett die sog. Multiversentheorie vor, eine ebenfalls deterministische Interpretation, die von den meisten Stringtheoretikern und vielen esoterisch angehauchten Physikern wie etwa Fred Alan Wolf verfochten wird.

Herrschte in der klassischen Physik die Vorstellung, dass die physikalische Welt unabhängig von der Beobachtung ist, so erscheint in der Quantenphysik eine unanschauliche "Hintergrundswelt" – so ein von Pauli eingeführter Terminus, aus der das beobachtete Phänomen erst in der Beobachtung hervortritt. Oder wie es Bohrs Schüler John A. Wheeler auf den Punkt gebracht hat: "No phenomenon is a phenomenon until it is an observed phenomenon." Diese Hintergrundswelt repräsentiert das potenziell Mögliche und erst in der Messung erfolgt der Übergang von der Potenzialität zur Aktualität. In der Messung tritt also immer nur ein Aspekt einer zugrundeliegenden Wirklichkeit in Erscheinung.

Hier ahnt man schon die Verbindung zur Jungschen Begriffswelt, und Pauli selbst hat eine psychologische Analogie zur Komplementarität genannt: die Seele ist eine Einheit aus Bewusstem und Unbewusstem. Die Untersuchung einer Seite jedoch schließt die gleichzeitige Untersuchung der anderen Seite aus. Die Untersuchung des Bewusstseins schließt die gleichzeitige Untersuchung des Unbewussten aus und umgekehrt. Und doch kann kein Aspekt der Seele jemals den anderen ersetzen, noch können wir eine Seite vernachlässigen und dennoch ein Gesamtbild von der Person erhalten. In diesem Sinne ist das Unbewusste dem Bewussten komplementär (Mansfield 1998, S. 150).

Für Bohr reichte die Komplementarität über die Grenzen der Physik hinaus. Er verstand sie als Grundprinzip des Lebens, das sich in Gegensatzpaaren von Leben und Tod oder Liebe und Hass manifestierte. Auch für Pauli ist Komplementarität eine Theorie des Werdens, da sie die paradoxe Qualität der Natur beschreibt und nicht versucht, das Paradoxe zu vermeiden. Dies ist nicht etwa als ein Anzeichen für die Unfertigkeit der Quantentheorie zu sehen, wie das Einstein bis zu seinem Lebensende meinte, sondern als eine endgültig errungene Erkenntnis zu bewerten (Jordan 1951, S. 74). Im selben Sinne ist das Unbewusste nicht als nicht vorhandenes Bewusstsein anzusehen (Pauli 1954). Bewusstwerdung ist vielmehr gleichbedeutend mit Trennung, mit Loslösung eines Inhalts vom Unbewussten, wie etwa das Heraustreten und

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Konkretwerden eines Zustandes aus der Fülle der möglichen Zustände beim physikalischen Experiment (Atmanspacher 1995, S. 188).

Falsch wird eine Beschreibung, sobald sie als einzig wahre behauptet wird. Nur die Gesamtheit aller komplementären Beschreibungen kann die Welt beschreiben. Die Notwendigkeit einer solchen komplementären Beschreibung ist eine Folge der Natur der materiellen Realität selbst, und ist nicht etwa auf Einflüsse der Psyche oder der Beschränkungen der Messapparaturen zurückzuführen. Die Struktur der Welt, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass sie komplementär beschrieben werden muss, reflektiert einen ganzheitlichen Aspekt der materiellen Welt. Die Quantenmechanik als eine Theorie der Materie macht keinerlei Aussagen zum Problem von Geist und Materie. Aber die Tatsache, dass sie eine holistische Theorie ist, die widerspruchsfrei gegenseitig sich ausschließende Sichtweisen (Welle-Teilchen) erfassen kann, legt es nahe, dass die hierbei zum Zuge kommenden Komplementaritätsverhältnisse eine über die Physik hinaus reichende Gültigkeit haben könnten (Atmanspacher 1995, S. 216). Pauli selbst hat dazu das Teilchenbild mit der Materie und das Wellenbild mit der Psyche verglichen und damit einen Erklärungsversuch zwischen der "Interaktion" des Bewusstseins (des Beobachters) und dem beobachteten System gewagt. (Laurikainen 1997, S. 66)

Der Chemiker Ilya Prigogine hat die komplementäre Sichtweise auf die Natur poetischer ausdrückt:

"Die Welt ist reicher, als es sich in einer einzigen Sprache ausdrücken lässt. Die Musik erschöpft sich nicht in ihren aufeinanderfolgenden Stilen von Bach bis Schönberg. Genau so wenig können wir die vielfältigen Aspekte unserer Erfahrung zu einer Beschreibung kondensieren. Wir müssen uns zahlreicher Beschreibungen bedienen, die nicht aufeinander zurückgeführt werden können."

Komplementarität überwindet das tertium non datur; die Welt ist viel zu komplex, als dass man sie mit einer zweiwertigen Logik vollständig erfassen könnte. So zeigt uns die Quantentheorie die Notwendigkeit, scheinbar sich gegenseitig ausschließende Betrachtungsweise einzunehmen.

Kausalität

Die klassische Physik war noch davon überzeugt, dass wir die Natur dazu provozieren können, uns unsere Fragen zu beantworten. Solange Gegenstände und Ereignisse klar voneinander zu trennen und zu unterscheiden sind, solange Kräfte exakt definiert sind und die Zeit für alle gleich und unbeirrt fließt, solange wirft das Konzept der Kausalität keine Probleme auf. In dem Maße aber, in dem die Wissenschaft tiefer in ein Universum innerer Strömungen und dynamischer Entwicklungen eindringt, in Bereiche subtiler Einflüsse und sich kreuzender Skalen, lassen sich keine Kausalketten mehr auffinden, die sich auf lineare Verbindungen einzelner Ereignisse reduzieren ließen (Peat 1989, S. 53). Vielmehr determiniert die Art und Weise unserer Fragen an die Natur die Antworten, die wir bekommen. Wir können die Natur nicht zu einem Monolog veranlassen, stattdessen "müssen wir in einen partizipatorischen Dialog mit der Natur eintreten" (John A. Wheeler in: (Mansfield 1998, S. 136).

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Am Beispiel subatomarer Teilchen lässt sich die durch die Komplementarität gesetzte Begrenzung der Kausalität dadurch hervorheben, dass im Rahmen der klassischen Physik zur Vorausberechnung der Bahn dieses Teilchen eine gleichzeitige Kenntnis der Anfangswerte von Ort und Geschwindigkeit nötig ist – also eben das was quantenphysikalisch wegen der Unbestimmtheitsrelation unmöglich ist. Deshalb kann man die Komplementarität als Verallgemeinerung des Kausalitätsideals ansehen. (Bohr 1985, S. 40).

Akausale physikalische Phänomene sind:

• der radioaktive Zerfall, • die Unbestimmtheit von Ort und Impuls bzw. Zeit und Energie quanten-

mechanischer Teilchen und • die Nicht-Lokalität verschränkter Teilchen (die im selben Augenblick aus

derselben Quelle hervorgegangen sind).

Die Kausalität in der Physik beruht stets auf einer Idealisierung. Selbst die Vorstellung, die Bewegung der Planeten in beliebiger Genauigkeit voraussagen zu können, ist ein Mythos, denn deren Bahnen weichen schon nach relativ kurzer Zeit vom berechneten Kurs ab, weil die Vielzahl der Einflüsse der Himmelskörper in unserem Sonnensystem nicht mehr exakt bestimmt werden kann. Henri Poincaré hat bereits 1890 gezeigt, dass das Problem der Bewegung zweier Planeten im Gravitationsfeld der Sonne nicht mehr allgemein lösbar ist und keine konvergenten Störungsentwicklungen für das langfristige Verhalten des Systems angegeben werden können. Die vielfältigen und subtilen Einflüsse der Realität sind zu komplex, als dass sie mit einem System von Bewegungsgleichungen auf der Basis von Hamilton-Jacobi exakt beschrieben werden könnten. Damit war die Grundlage für die in den 1960er entstandene Chaos- und Komplexitätstheorie gelegt. Lineare Systeme, bei denen Ursache und Wirkung proportional sind, entsprechen einer starken Kausalität. Schwache Kausalität, bei der Ursache und Wirkung nur determiniert sind und deren dynamischen nicht-linearen Gleichungen auch Rückkoppelungen beschreiben, lässt auch Chaos zu, das durch seltsame Attraktoren und Fraktalität fern jeder Regularität bestimmt werden kann. Solch instabiles, aperiodisches Verhalten ist in hohem Grade komplex, es wiederholt sich nicht und fährt fort, die Effekte jeder kleinen Störung zu offenbaren. Die klassische Mechanik kann also höchstens als Metapher für Muster und Bewegungsformen angesehen werden. Der Reduktionismus auf der Basis dieser Theorie, die Linearisierung komplexer Systems in einfachere Teile, ist schlicht begrenzt.

Im Unterschied zu quantenphysikalischen Systemen, in denen prinzipiell die Kausalität durch die Komplementarität und der daraus folgenden Unbestimmtheitsrelation ausgehebelt wird, sind nicht-lineare Systeme, abhängig von den Ausgangsbedingungen. Sie sind das in dem Maße, dass der zukünftige Zustand nur dann mit Sicherheit vorausgesagt werden kann, wenn die Randbedingungen mit absoluter Genauigkeit bekannt sind. Diese Genauigkeit ist gerade bei Phasenübergängen (fest – flüssig – gasförmig) zwar prinzipiell zu erreichen, praktisch aber nicht, denn in der Nähe solcher Grenzwerte werden solche Systeme instabil, weil nicht nur die Bestimmung der Anfangsbedingungen aus den genannten Gründen ungenau sind muss, sondern auch die nicht-linearen Bewegungsgleichungen nur noch näherungsweise lösbar sind. Kleinere Änderungen der Parameter zeigen damit große

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Wirkung. Oder wie es Jung ausgedrückt hat: "Die Natur erfordert vielmehr pluralistische Beschreibungen, und wir können jetzt schon annehmen, dass dieser Pluralismus sowohl kausale als auch akausale – synchronistische – Aspekte enthalten muss" (Peat 1989, S. 80).

Gödels Entdeckung des Unvollständigkeitstheorems im Jahre 1931 und die Notwendigkeit der Aufgabe des Kausalitätsprinzips haben die uralte menschliche Ambition, ein vollständiges und in sich logisches System für die Beschreibung der Welt zu finden, zu Grabe getragen und anstelle dieser fin-de-siècle Mentalität, deren vehementester Vertreter David Hilbert war, neuen Denkweisen Platz gemacht. Jung erkannte hier, dass die Physik den Weg bahnte, akausale Prozesse auch in anderen Bereichen menschlicher Erfahrung zu untersuchen, (Mansfield 1998, S. 102), auch wenn Einstein bis zu seinem Tode der Akausalität und dem Indeterminismus Widerstand ("verborgene Variablen") entgegen setzte und dabei in dem berühmten "EPR"-Papier2 die Unvollständigkeit der Quantentheorie nachzuweisen glaubte, eben weil sie bei der sog. Verschränkung von Zuständen zu Widersprüchen führt. Bohr entkräftete damals die Schlussfolgerungen aus dem EPR-Papier mit dem Hinweis, dass Komplementarität und damit auch Unbestimmtheit "über Distanz" wirke. Daher rührt die Bezeichnung Nicht-Lokalität für mikrophysikalische Systeme. Doch erst 30 Jahre später beendete Bell3 mit seiner nicht minder bahnbrechenden Arbeit alle bis dahin immer wieder geführten EPR-Diskussionen und führte Einsteins Forderung nach versteckten Variablen in der Quantentheorie ad absurdum. Pauli hat diese Bemühungen Einsteins als "regressive Tendenz erkannt, wieder zum alten Ideal des losgelösten Beobachters zurückzukehren".

Jung führte diesen in "uns" vorhandenen Widerwillen gegen eine Aufgabe der Annahme von Kausalität auf die archetypische Natur des Determinismus zurück: Das Denken ist prädisponiert, sich aufgrund einer a-priori-Tätigkeit des Verstandes eine deterministische Welt vorzustellen. Laut Kant war Kausalität eine fundamentale Kategorie des Denkens, die in jedem Denkvorgang zum Vorschein komme: So wie das Denken seine Wahrnehmungen in Zeit und Raum hinausverlegen muss, muss es auch zwangsläufig die Kategorie der Kausalität anwenden (Mansfield 1998, S. 100). Bohr dagegen erkannte: "Wir können Kausalität als eine Art der Wahrnehmung auffassen, mit deren Hilfe wir unsere Sinneseindrücke ordnen", und stellte sich damit auf die Seite von Kants schottischem Zeitgenossen David Hume, für den die Verbindung von Ursache und Wirkung zur bloßen Gewohnheit geworden ist.

So zeigt sich die Kausalität als eine Denkweise, die unser gedankliches Erfassen eines Bündels von Ereignissen befriedigt, aber nicht völlig in den Kern der Naturgesetze eindringt; es erfasst lediglich allgemeine Tendenzen und Möglichkeiten. Synchronistisches Denken könnte man dagegen als ein Feld-Denken bezeichnen, dessen Zentrum die Zeit ist (Balmer 1995, S. 12). Kausalität ist die Art, wie wir uns die Brücke zwischen zwei aufeinanderfolgenden Ereignissen vorstellen. Synchronizität aber bezeichnet den zeitlichen und sinngemäßen Parallelismus von psychischen und psychophysischen Ereignissen, welche unsere bisherige Erkenntnis nicht auf ein

                                                                                                               2 Einstein, Podolsky, Rosen: "Can quantum-mechanical description of physical reality be considered complete?"; Phys. Rev. Vol. 47, 777-780 3 J. S. Bell: "On the Einstein-Podolsky-Rosen Paradox"; Physics, Vol. 1, No 3, 195-200 (1964)

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gemeinsames Prinzip reduzieren konnte. Es ist die moderne Psychologie, welche dartut, dass die Kausalität eine gewisse Anordnung der Ereignisse nicht erklärt und dass als Erklärungsprinzip in diesem Fall ein formaler Faktor – nämlich die Gleichzeitigkeit oder eben Synchronizität – in Frage kommt (Jung-Pauli 1952, S. 88).

Synchronizität

Jung kam zum Begriff der Synchronizität (Σ) – Gleichzeitigkeitsrelation – über Schopenhauers Aufsatz "Über die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksale des Einzelnen" in Parerga und Paralipomena, der – tief verwurzelt im Determinismus des 19. Jahrhunderts – nach Kausalketten zur Erklärung sinngemäßer und gleichzeitiger Koinzidenzen suchte. Andererseits stieß Jung durch seine Beschäftigung mit der chinesischen Philosophie und hier insbesondere mit dem I Ging und dem Tao Te King auf den Begriff des Tao ("Sinn"), der ihn darauf brachte, das westliche Denken in Gegensatzpaaren in anderem Licht zu sehen: "Durch die Entfaltung von Bejahung und Verneinung verblasst der Sinn; er wird verdunkelt, wenn man nur kleine fertige Ausschnitte des Daseins ins Auge fasst" (Jung-Pauli 1952, S. 73). Jung erwähnte das erste Mal den Begriff der Synchronizität im Zusammenhang der Veröffentlichung von Richard Wilhelms I Gings im Jahre 1930. Mit kräftiger Unterstützung und wohl auch auf Drängen von Pauli überführte er im Laufe der 40iger Jahre die Σ aus der Ecke der Schafgarbenstengel und der Orakel hinüber in die Welt der Psychologie und Physik.

Bei einem synchronistischen Ereignis spiegelt das äußere Geschehen unerwartet die innere Stimmung oder ein inneres Bild des Beobachters. Bei diesen Koinzidenzen sind Innen und Außen, Psyche und Materie nicht durch eine Wirkung ("akausal") sondern durch einen Sinn verknüpft, wobei unter Sinn nicht etwas Partielles, wie z.B. der Sinn eines Satzes sondern der "sinnvolle Zusammenhang des gesamten Seins" verstanden wird (Atmanspacher 1995, S. 174). Synchronizität ist also keine philosophische Ansicht, sondern sie wird durch eben diese Sinnhaftigkeit zu einem empirischen Begriff. Als Phänomen ist sie nicht rätselhafter ist als es die Diskontinuitäten der Quantenphysik sind. Es ist nur der in uns tief verwurzelte Kausalitätsbegriffs, welcher dem Verständnis synchronistischer Phänomene Schwierigkeiten bereitet und der es als undenkbar erscheinen lässt, dass ursachelose Ereignisse vorkommen (Jung-Pauli 1952, S. 99f). Der "Zufall" soll dann die Gültigkeit des seit Descartes und Spinoza nicht mehr hinterfragten Kausalitätsprinzips wiederherstellen. Synchronizität ist jedoch mehr als lediglich eine zufällige Anordnung nicht verbundener Teile zu einem Muster, denn sie schließt eine Verbindung des Individuellen mit dem Allumfassenden ein und entsteht aus dem Wirken eines tiefgreifenden Prinzips, das Elemente zu grundlegenden Mustern zusammenfasst (Peat 1989, S. 111). Diese grundlegenden Muster – Archetypen – unterstreichen die Bedeutung synchronistischer Ereignisse.

Jung und Pauli waren der Ansicht, dass die Synchronizität Eigenschaften besitzt, die für die Aufklärung der vermuteten Komplementarität von Geist (Psychologie) und Materie (Physik) in Betracht kommen könnten (Atmanspacher 1995, S. 162); denn synchronistische Ereignisse werden als Einmaligkeiten verstanden, in denen sporadisch die Einheit der Welt, von Psyche und Materie (der sog. Unus Mundus) aufblitzt. Jung drückte das wie folgt aus: "Da Psyche und Materie in ein und derselben

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Welt enthalten sind, überdies ständig miteinander in Berührung stehen und schließlich beide auf unanschaulichen transzendenten Faktoren beruhen, so besteht für mich nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Materie und Psyche zwei Aspekte ein und derselben Sache sind. Synchronizitätsphänomene weisen in diese Richtung, indem ohne kausale Verbindung Nicht-Psychisches sich wie Psychisches und vice versa verhalten kann" (Mansfield 1998, S. 224).

Ein Synchronizitätsphänomen besteht aus zwei Faktoren:

• Ein unbewusstes Bild direkt – wörtlich bzw. indirekt – symbolisch oder angedeutet im Bewusstsein als Traum, Einfall oder Ahnung.

• Mit dem Inhalt dieses Bildes koinzidiert ein objektiver Tatbestand.

Es sagt also aus, dass die Glieder einer Koinzidenz durch Gleichzeitigkeit und Sinn verbunden sind und der Sinn sich durch innere Bilder manifestiert. Worin dieser "Sinn" sich offenbart, entzieht sich zunächst der unmittelbaren Erkenntnis (Jung-Pauli 1952, S. 111). Den Terminus "Synchronizität" wählte Jung, weil ihm die Gleichzeitigkeit zweier sinngemäß, doch akausal verbundener Ereignisse als wichtiges Kriterium erschien. Wesentlich ist jedoch die Sinnverbundenheit von Ereignissen, die sich sowohl in der Materie als auch im Geiste zeigen, in der sich eine tiefere Ordnung entfaltet. Σ ist deshalb der Ausdruck des Potenzials, der in einem bestimmten Punkt der Existenz vorhanden ist. Sie wirkt als Hinweis auf den Sinn, der in einem individuellen Leben, einer Beziehung oder in einem historischen Augenblick verborgen ist. In dieser Beziehung zwischen der Anordnung geistiger und physischer Ereignisse, liegt die "numinose" Bedeutung der Synchronizität (Peat 1989, S. 103). Das äußere Ereignis, die Materie wird dabei zum Träger eines tieferen Sinns.

Bei einem Synchronizitätsphänomen benehmen sich die inneren und äußeren Fakten so, als ob ihr Sinnzusammenhang "irgendwo gewusst" wäre, jedoch nicht von unserem eigenen Bewusstsein. Es scheint bewusstseinsunabhängig und -transzendent zu sein. Ein Synchronizitätsphänomen will uns etwas mitteilen; die Sinnhaftigkeit will verstanden werden; es trägt eine Botschaft aus der Gegenwart in die Zukunft, im Gegensatz zur Kausalität, die die Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet. Deshalb ist in Synchronizitätserlebnissen der Blick zurück und die Suche nach den Ursachen kontraproduktiv; vielmehr geht es um einen Wechsel der inneren Einstellung in der Gegenwart (Sparks 2007, S. 54). Wenn sich so das innere Bild in der äußeren Welt manifestiert, berührt uns das, und in uns wächst der Wille zum Verständnis. Das liest sich wie eine Beschreibung von systemischen Strukturaufstellungen, und möglicherweise kann die Synchronizität ein Erklärungsmuster für das Wirken der Aufstellungen liefern. Dieser These soll in einer späteren Arbeit nachgegangen werden.

Wo immer also Innen und Außen, Subjekt und Objekt, Psyche und Materie in unserer Wahrnehmung vertauscht in einer uns sinnvollen Art und Weise in Erscheinung treten, geht es um persönliches Wachstum. Dies geschieht oft an kritischen Punkten im Leben eines Menschen. Synchronizitäten sind schöpferische Augenblicke, in denen sich mögliche zukünftige Ordnungsmuster zeigen (Peat 1989, S. 171), welche das bewusste Wissen übersteigen. Sie sind die "Joker im Kartenspiel der Natur" (Peat),

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weigern sie sich doch einerseits, Regeln zu folgen, und deuten sie andererseits darauf hin, dass wir bei der Suche nach einer Erklärung unserer Welt bedeutende Fingerzeige übersehen haben. Es zeigt sich dabei, dass das Innen, d.h. die Traumwelt oder das Unbewusste, etwas über das Außen weiß, aber auch das Außen, die belebte oder sogar die unbelebte Materie, etwas über das Innen. Synchronizitätsphänomene sind Spiegel, in denen Teile unseres Selbst sichtbar werden.

Obwohl der Sinn eines solchen Phänomens nur subjektiv erlebbar ist, legt die Tatsache der Koinzidenz, bei welcher sich auf beiden Ebenen, der psychischen wie der physikalischen, der gleiche Sinn manifestiert, doch den Gedanken nahe, dass dieser Sinn ursprünglich auch im objektiven Geschehen selbst vorhanden sein könnte, dass also in den "Dingen" selbst etwas Sinnartiges stecke. (v. Franz 1970, S. 178f) Diese nur subjektive Wahrnehmung unterscheidet übrigens Synchronizitäten im psychischen Bereich von denen im physischen, die ja in einer festgelegten Versuchsanordnung statistischen Gesetzmäßigkeiten folgen. Im Synchronizitätsphänomen findet eine Verbindung oder, um den Ausdruck von Jung hier einzuführen, eine Conjunctio zweier kosmischer Prinzipien statt, nämlich der Psyche mit der Materie. Dabei geschieht tatsächlich eine Vertauschung der Attribute, denn in solchen Augenblicken benimmt sich die Psyche, als ob sie materiell wäre, oder die Materie, als ob sie zu unserer Psyche gehöre (v. Franz 1970, S. 257).

Die synchronistische Art des Denkens ist eine Differenzierung des primitiven Denkens, in dem die Unterscheidung zwischen psychologischen und physikalischen Wirkungen aufgehoben wird. Für die synchronistische Denkweise ist es sogar wesentlich, beide Bereiche der Realität zu beobachten und zu registrieren, dass in dem Moment, da man diese und jene Gedanken oder Träume hatte (was psychologische Ereignisse wären) , diese oder jene physikalischen Ereignisse eintraten (v. Franz 1987, S. 13f). Oder um es poetischer auszudrücken: "Das synchronistische Prinzip sagt: dass die Sonne in diesem Moment am Himmel steht, Wolken in bestimmten Formationen daran vorbeiziehen, hier ein Mensch einsam in seinem Zimmer arbeitet, anderswo ein Kind geboren wird, wieder anderswo jemand auf den Tod krank ist; also alles das, was in einem bestimmten Augenblick geschieht, ist nicht Zufall, sondern darin waltet ein Sinn oder ein Gesetz. Darum kann der, der einen Teil dieser Situation erfasst, daraus das Ganze konstruieren" (Balmer, 1995, S. 38).

Um des Merkmals der Gleichzeitigkeit wählte Jung den Ausdruck Synchronizität, um damit einen hypothetischen Erklärungsfaktor zu bezeichnen, der der Kausalität ebenbürtig gegenüber steht und eine psychisch bedingte Relativität von Raum und Zeit darstellt (Jung-Pauli 1952, S. 19). Diese Verbindungen hatte Jung ursprünglich in einem Viererschema (Quaternio) dargestellt – solche Diagramme waren für ihn Urformen von Mandalas:

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Auf Anregung Paulis änderte Jung das ursprüngliche Quaternio, um die Ausweitung des Begriffs der Synchronizität auf nicht psychische, materielle Phänomene deutlich zu machen und damit den psychoiden Faktor mit in die Beschreibung der materiellen Natur einzubeziehen. Pauli war davon überzeugt, dass nur eine quaternär ausgerichtete Form von Wissenschaft wieder geistig fruchtbar und ethisch angemessen zugleich sein kann.

Dieses Quaternio symbolisiert die Gegensätze zwischen Energie und Raumzeit einerseits und Kausalität und Synchronizität andererseits: Energie und Raumzeit sind Metaphern für unsere Erfahrungen in der Welt. Aufgrund der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation sind Energie und Raumzeit komplementäre Kriterien für Ereignisse, so wie unser Verständnis der kausalen Welt durch eine andere Art von Verbindung, nämlich der durch Sinn oder Synchronizität, ergänzt werden muss. Diese Quaternio soll die Brücke zwischen Geist und Materie, zwischen Psychologie und Physik symbolisieren. Pauli sah darin sogar neben den deterministischen und statistischen Gesetzen der klassischen - und der Quantenphysik einerseits und der des

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Zufalls andererseits eine dritte Möglichkeit von sog. "Simultangesetzen" (Fischer 2004, S. 175), wie sie etwa in der biologischen Evolution zum Tragen kommen.

Für Jung war ein einheitliches Verständnis von Natur und Mensch wichtiger als eine neue Therapieform auf der Basis seiner Psychologie. Die Jung'sche Analyse ist weniger am Ego des Einzelnen interessiert, als vielmehr daran, wie ein sinnvolles ganzheitliches Leben geführt werden kann. Für Pauli bedeuteten diese Vorstellungen ein Wiedererwachen alchemistischer Gedankengänge in den Naturwissenschaften, in dem er den Begriff der Synchronizität als Fortgang der Physik von der klassischen Trinität (Raum – Zeit – Kausalität) zu einer Quaternität der Grundbegriffe verstand, in der dann die Diskontinuität und Akausalität der postklassischen Physik ihren methodisch begründeten Platz finden. Ihn selbst könnte man daher als modernen Alchemisten bezeichnen. Für beide wurde damit das Konzept der Synchronizität zu einer in die Zukunft weisenden Naturphilosophie (Jung-Pauli 1992, S. 107f) Ja man kann die gleichzeitige Entstehung und Formulierung der analytischen Psychologie durch Jung und die Formulierung der Quantenmechanik durch Bohr, Pauli und Heisenberg selbst als synchronistisches Ereignis bezeichnen, das seinen Niederschlag 25 Jahre später in der gemeinsamen Veröffentlichung der Essays über die Synchronizität und Kepler und Fludd gefunden hat.

Pauli wies einem Synchronizitätsphänomen die folgenden empirisch nachprüfbaren Eigenschaften zu (Gieser, 2005, S. 282) und versuchte damit, es vom Odium der Subjektivität und Unwissenschaftlichkeit zu befreien:

• Koinzidenz oder das zeitliches Zusammentreffen von Umständen: Warum passiert etwas zur selben Zeit?

• Numinosität oder das besondere Empfinden für ungewöhnliche psychische Zustände.

• Korrespondenz oder Analogie, Sympathie, Harmonie, Ähnlichkeit oder Zusammenwachsen

• Automorphismus oder die Idee einer sich selbst reproduzierenden "Gestalt" des psychischen Geschehens, auch "Archetypus" genannt.

• Schöpfung oder das Neue, Einzigartige • Transzendenz oder die Parallelität zweier psychischer Zustände, eines

psychischen Zustandes und eines physikalischen Systems oder zweier oder mehrer physikalischer Systeme.

Pauli und Jung sahen die Welt als ein einziges, ungeteiltes Ganzes, dessen Muster und Formen aus einem Untergrund auftauchen, eine Zeitlang aufrechterhalten werden und dann zurückfallen. Dieses ungeteilte Ganze, der Materie und Geist gemeinsam ist, kann als Platz für das Bewusstsein verstanden werden (Peat 1989, S. 94). Synchronizitäten haben ihren Ursprung in einem Grunde, der jenseits der konventionellen Wissenskategorien liegt und der sich allen Versuchen widersetzt, Grenzen zu ziehen oder Trennlinien zwischen den besonderen Erfahrungsbereichen aufzustellen. Es gibt Ereignisse, die sich zu sinnvollen Mustern bündeln, ohne sich der üblichen Schub- und Zugkräfte der Kausalität zu bedienen. Deshalb überschreiten Synchronizitäten die normalen Gesetze der Naturwissenschaft und das simplifizierte Modell von Kausalketten muss ersetzt werden durch Kausalnetzwerke, in denen letztlich "Alles alles andere verursacht". Jungs und Paulis Anliegen war es,

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Synchronizität als Brücke zu sehen, deren einer Pfeiler in der "Objektivität" der Wissenschaft steht und deren anderer sich auf die Subjektivität persönlicher Werte gründet.

Synchronizitäten und quantenmechanische Korrelationen sind zweifelsfrei beobachtbare Phänomene: Die nicht vorhersagbaren und ursachelosen Quantensprünge von Elektronen sind nach Paulis Verständnis nicht nur selbst synchronistische Phänomene, sondern auch umgekehrt die Ursachen, die Synchronizitäten in der Natur überhaupt ermöglichen (Sparks 2007, S. 46). Wie weit sie in unser Leben hineinragen ist heute nicht abschließend zu beurteilen. Wenn Synchronzitätsphänomene jedoch an die Wissenschaft angeschlossen werden können, so könnte das nur über die quantenmechanischen Effekte in unseren Sinnesorganen möglich sein, also in erster Linie die Unschärfe bei der Tätigkeit der Hirnrinde, und der Tunneleffekt bei den elektrischen Vorgängen im zentralen Nervensystem ("spin as a mind-pixel") (Cramer 1998, S. 147f). Physikalisch könnte eine Synchronizität als quantentheoretische Verschränkungen zwischen Geist und Materie verstanden werden, wobei Symmetrien oder Resonanzen als Medium der Übertragung verantwortlich sein könnten.

Beispiele

Für Jung wie für Pauli war die Synchronizität nicht nur ein gedankliches Konstrukt, sondern beide verstanden sie als einen empirischen Begriff (Jung-Pauli 1952, S. 99).

1. Radioaktiver Zerfall. Die Zeitmomente des Zerfalls der Einzelatome sind nicht determiniert und existieren nicht unabhängig von ihrer Beobachtung in geeigneten Experimenten. Die Beobachtung des Einzelatoms löst diesen aus dem Zustands- d.h. Sinnzusammenhang mit den anderen Atomen und verknüpft es stattdessen mit dem Beobachtenden und seiner Zeit. Daraus ergibt sich folgende Analogie mit den synchronistischen Phänomenen auf archetypischer Grundlage: Der Fall, in dem vom einzelnen Radiumatom nicht festgestellt werden kann, ob es sich im Anfangs- oder Endzustand des radioaktiven Zerfalls befindet, entspricht der Verbundenheit des Einzelindividuums mit dem kollektiven Unbewussten durch einen ihm unbewussten archetypischen Inhalt. Die Feststellung der Bewusstseinslage des Individuums, die es aus dem kollektiven Unbewussten heraushebt und die das synchronistische Phänomen zum Verschwinden bringt, entspricht der Bestimmung des Energieniveaus des Einzelatoms durch ein besonderes Experiment (Jung-Pauli 1992, S. 45). Daher stand in den zahlreichen Träumen von Pauli der radioaktive Zerfall auch als Symbol für die Synchronizität (Lindorff 2004, S. 208).

2. Die Naturkonstanten haben genau den Wert, der notwendig ist, damit die komplexe Selbstorganisation in Schwung kommt, um bewusste Wesen wie die Menschen zu ermöglichen. Dazu gehört auch die berühmte Feinstrukturkonstante (1/137; Pauli erschrak, als er kurz vor seinem Tode ins Krankenhaus mit der Raumnummer 137 eingeliefert würde und wusste, dass er dort nicht mehr lebend rauskommen würde), die mit der Elementarladung e, dem Planckschen Wirkungsquantum h, der Lichtgeschwindigkeit c und der elektrischen Feldkonstanten ε zusammenhängt. Warum die einzelnen Konstanten die Werte haben, die sie haben, kann bislang nicht erklärt

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werden. Dies lässt auf das sog. "anthropische Prinzip" schließen, nach dem die Natur sich so organisiert, dass sie Bewusstsein hervorbringen kann. Der renommierte englische Physiker Paul Davies sieht dahinter ein Synchronizitätsphänomen (Davies, 1989), und dass Pauli ähnlich dachte, zeigt sein Schrecken über die Einlieferung in Krankenzimmer 137 und die Gewissheit, dort sein "Bewusstsein zu verlieren".

3. Auch gesellschaftliche Veränderungen lassen sich auf die Synchronizität zurückführen, wenn nämlich Menschen, die in keinerlei Verbindung zueinander stehen, gleichzeitig sehr ähnliche Gedanken, Ideen oder Entdeckungen verfolgen. (Yasuo 2008, S. 166) Umgangssprachlich gibt es dafür den Ausdruck, "die Zeit sei reif". Beispiele für solche Phänomene sind etwa die gleichzeitige, sonst aber völlig eigenständige Entwicklung des Differentialkalküls durch Newton und Leibniz (Yasuo, 2008, S. 196), des Periodensystems der Elemente durch J. L. Meyer im Jahre 1868 und ein Jahr später durch D. I. Mendelejew oder die 68er Bewegung, die sich um den ganzen Globus von der Kulturrevolution Maos über die Studentenbewegungen in den westlichen Industriestaaten bis zum Prager Frühling verbreitet hat. Im erdgeschichtlichen Kontext ließe sich vielleicht sogar die "Kambrische Explosion" als synchronistisches Ereignis verstehen, als vor ca. 540 Millionen Jahren viele neue Arten sich entwickelten und grundlegend neue genetische Baupläne entstanden. Bei diesen u. ä. Synchronizitätsereignissen muss die Frage nach dem Sinnzusammenhang neu gestellt werden, denn bei ihnen geht es wohl nicht vorrangig um ihre Bedeutung für eine Einzelperson. Der Sinn solcher Synchronizitätsphänomene ist m. E. vielmehr im kollektiven Erreichen einer höheren Bewusstseinsstufe der menschlichen Entwicklung zu suchen. Denn das oberste Ziel sowohl der Evolution als auch der persönlichen Entwicklung – der Individuation – kann mit Jung die individuelle und kollektive Bewusstwerdung angesehen werden (Stevens 1982, S 75). So lassen sich derartige synchronistische Ereignisse als Hinweise auf den teleologischen Faktor (Laurikainen, 1997, S. 91), der unser Leben bestimmt, deuten.

4. Folgendes Beispiel wird gemeinhin als paradigmatisches Beispiel für die Synchronizität zitiert: Eine Patientin Jungs träumte von einem Skarabäus, und zu seiner Überraschung flog ein gemeiner Rosenkäfer ins Zimmer, während sie den Traum erzählte. Ohne einen geschulten Beobachter hätte es nur eine Ähnlichkeit zwischen dem äußeren und inneren Ereignis gegeben; nur wenn man weiß, dass der Skarabäus ein Symbol des wiedergeborenen Sonnengottes ist, d.h. eine Wiedergeburt des Bewusstseins bedeutet, wird das Ereignis sinnvoll. Synchronistische Ereignisse bilden also Augenblicke, in denen ein "kosmischer", ein "größerer" Sinn einem Individuum bewusst wird; das ist im Allgemeinen eine erschütternde Erfahrung. Man ist betroffen, weil man spürt, dass eine höhere Macht auf einen zielt, häufig indem es einem einen Streich spielt (v. Franz 1988, S. 331).

5. Eine Patientin Jungs erzählte ihm, dass beim Tode ihrer Mutter und Großmutter sich vor dem Fenster des Sterbezimmers eine große Zahl von Vögeln versammelt hätte. Nach Abschluss der psychologischen Behandlung ihres Mannes traten bei ihm Symptome auf, die auf eine Herzerkrankung hinwiesen. Ein zugezogener Spezialist konnte jedoch bei der ersten Behandlung nichts Besorgniserregendes feststellen. Auf dem Heimweg von dieser Konsultation brach der Patient auf der Straße zusammen. Als er sterbend nach Hause gebracht wurde, war seine Frau bereits in ängstlicher

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Unruhe, weil ein ganzer Vogelschwarm sich auf ihrem Haus niedergelassen hatte (Jung-Pauli 1952, S. 23).

6. Der Umfall des Bücherregals, als Freud Jung zum Kronprinzen auserwählen wollte und Jung gegen den Widerstand Freuds auf seiner Interpretation des Ereignisses als "katalytische Exteriorisation" bestand.

7. Sokrates träumte, er habe einen jungen Schwan auf seinem Schoß gehalten, der, als er größer wurde und sein Gefieder voll entwickelt war, mit lauten Jubeltönen in die Lüfte emporgestiegen sei. Am Tag darauf wurde ihm der junge Plato vorgestellt. In dem Vogel hatte Sokrates sogleich seinen neuen Schüler erkannt.

8. 1954 träumt Pauli: Ich bin zusammen mit einer "dunklen Frau" (Direktor "Spiegler", wie sie in späteren Träumen heißen soll) in einem Raum, in dem Symmetrie-Experimente durchgeführt werden. Während die anderen im Raum die Spiegelungen als reale Objekte betrachten, besteht zwischen der Frau und mir das Einvernehmen, dass es sich nur um Spiegelbilder handelt. Drei Jahre nach diesem Traum entdeckten Yang und Lee, dass die Spiegelsymmetrie (parity) bei schwachen Wechselwirkungen verletzt wird, d.h. dass es notwendig ist, zwischen Objekt und dessen Spiegelung (Umkehrung der Vorzeichen der Raumkoordinaten) zu unterscheiden, sehr zum Ärger von Pauli, der noch 1955 in einer Festschrift sein sog. CPT-Theorem (charge, parity, time) aufgestellt hatte. Der Traum nahm also die Entdeckung der Verletzung der Symmetrie voraus. Pauli tat sich zunächst schwer damit; so machte der Witz die Runde, dass er nach seinem Tod im Himmel Gott aufforderte, ihm den Grund für die Symmetrieverletzung zu beweisen, was dieser natürlich nicht konnte. Pauli suchte deshalb nach allgemeineren Symmetrien, wobei es notwendig war, tiefer in die Strukturen der Materie vorzudringen, weil er weniger Symmetrieeigenschaften in Teilaspekten von Ladung, Raum und Zeit vermutete: das Symmetrieproblem betrifft das Verhältnis zwischen dem Archetyp des Selbst und dem des Egos. Der Archetyp selbst wird damit zu einem unsichtbaren Spiegel (Gieser 2005, S. 327). Heraus kam eine weitere bahnbrechende Arbeit Paulis, die erst Ende der 90ier Jahre mit der Entdeckung der Verletzung der Zeitsymmetrie experimentell bestätigt wurde, nämlich dass Symmetrien immer als Ganzes – als C+P+T und nicht als Einzeleigenschaften – betrachtet werden müssen. Paulis erweiterter Symmetriesatz hat in der Tat weitreichende Konsequenzen, erklärt er doch, warum nach dem Big Bang die gleichviel vorhanden Teilchen und Anti-Teilchen sich nicht augenblicklich in Energie verwandelt haben, was letztendlich die Ursache dafür ist, warum wir überhaupt in einer stofflichen Welt leben.

9. "Man hat den Eindruck, dass die äußeren physikalischen Umstände einerseits und ihnen angepasste erblichen Veränderungen der Gene andererseits, zwar nicht kausal-reproduzierbar zusammenhängen, aber doch einmal – die zufälligen Schwankungen der auftretenden Mutationen korrigierend – sinnhaft und zweckmäßig zusammen mit den äußeren Umständen aufgetreten sind. Gemäß dieser Hypothese, die sich von der Darwin'schen unterscheidet, begegnen wir hier einem dritten Typus von Naturgesetzen, der in einer Korrektur der Schwankungen des Zufalls durch sinnhafte Koinzidenzen nicht kausal verbundener Ereignisse besteht. Dieses ganzheitliche Auftreten sinngemäßer Koinzidenzen (Synchronizität) in der biologischen Evolution könnte einen psychischen Faktor anzeigen und der auf einer höheren Stufe als

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Emotionalität bzw. Erregung erscheinen könnte". (Pauli: "Die Klavierstunde" in: Atmanspacher 1995)

10. Ein Beispiel aus eigener Erfahrung: Während regelmäßiger Aufenthalte in den USA besuchte ich immer wieder einen spirituellen Lehrer der Advaita-Linie. Einige Zeit nach meiner Rückkehr aus den USA fühlte ich mich innerlich leer und war unschlüssig über meine berufliche Zukunft. Dieser Zustand währte einige Zeit. Im Moment einer depressiven Phase erhielt ich einen Brief von diesem Lehrer, in dem er mir versicherte, dass alles gut werden würde. Dazu ist zu sagen, dass dieser Lehrer nur über eine Postfachadresse erreichbar und ich ihm nie vorher meine postalischen Koordinaten mitgeteilt hatte. Dass dieser Brief mich im Moment einer großen inneren Not erreicht, gab mir meinen Mut und meine Zuversicht zurück.

11. In den sog. prognostischen Träumen erkennt man Zusammenhänge im täglichen Leben zwischen den morgens erinnerten Traumbildern und nachfolgenden Tagesereignissen. Was im Tagleben geschieht, nehmen solche Träume fast wortwörtlich vorweg. So lassen sich Tagerlebnisse "manipulieren", wenn einem die zugehörigen Traumerlebnisse nicht gefallen. Dabei ist darauf zu achten, im Wachleben nichts von dem zu tun oder zu sagen, was zuvor im Traum getan oder gesagt wurde. Solche prognostische Träume offenbaren, dass die Psyche anderen Zeitläufen folgt als die "chronologische" Zeit unserer Umwelt (Adler 1989, S. 24ff).

12. Wo Sinneswahrnehmungen an sich unmöglich sind – etwa bei Nahtodes- oder Außerkörpererfahrungen – kann es sich wohl um gar nichts anderes handeln als um Synchronizitäten (Jung-Pauli 1952, S. 96).

13. Psychische Korrelationen zwischen zwei Menschen, wofür es zahlreiche Beispiele gibt. Solche Synchronizitätsereignisse sind weit häufiger zu erfahren als diejenigen zwischen einem geistigen und materiellen Zustands eines Menschen.

Hat man selbst den Zufall als beliebtes Erklärungsmodell ausgeschaltet und nimmt die mögliche Bedeutung und die Gleichzeitigkeit von Synchronizitätserlebnissen ernst, so wird man nach einer Weile eine ganze Reihe solcher Phänomene auch bei sich selbst entdecken.

Synchronizität und Kreativität

Synchronizitätserlebnisse sind Fälle, in denen die Kreativität die Schranken des Selbst durchbricht und das Reich des Bewusstseins durchdringt. Sie weisen uns darauf hin, dass das Bewusstsein und der Geist tiefere Schichten enthalten, die bis zu einer Quelle unkonditionierter Kreativität hinabreichen. Synchronizitätserlebnisse sind also Hinweise auf ein verbindendes Prinzip zwischen den Schichten unseres Selbst und der Welt. Ihre Symbolhaftigkeit wird damit zur Quelle von Kreativität, erlaubt sie uns doch einen Blick in eben diese Schichten, in denen wir uns mit unserer Intuition, unseren Gefühlen und Emotionen verbinden können. Kreativität gehört nach Jung – neben Sexualität, Arbeit, Hunger und Selbstbetrachtung – zu den fünf wesentlichen Instinkten des Menschen. Das Materielle und das Geistige gehören auf der "synchronistischen Ebene" nicht länger verschiedenen Ordnungen der Erfahrung an sondern sind die beiden Seiten einer Münze. Einem Geist, der ständig für Veränderungen

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aufgeschlossen ist, wird Synchronizität als etwas sehr Natürliches erscheinen, enthüllt sie doch die umfassenden Muster der Natur und des Geistes und bietet einen Zusammenhang, in dem gleichzeitige Geschehnisse ihren Sinn erhalten.

Im Gegensatz zur rein empiristischen Auffassung, wonach die Naturgesetze allein aus dem Erfahrungsmaterial entnommen werden können, ist inzwischen auch von vielen Physikern und Mathematikern die Rolle der Richtung der Aufmerksamkeit und der Intuition bei den über bloße Erfahrung hinausgehenden, zur Aufstellung eines Systems von Naturgesetzen nötigen Begriffen und Ideen betont worden (Jung-Pauli 1952, S. 111). Zahlreiche Beispiele seiner Kollegen und seine eigenen Erfahrungen brachten Pauli auf die Idee, dass es eine enge Verbindung zwischen archetypischen inneren Bildern und der Lösung naturwissenschaftlicher Probleme gäbe (siehe Beispiel 8), denn Archetypen organisieren Bildern und Ideen im Bereich der Psyche. Der Physiker Roger Penrose versuchte kürzlich, Neurophysiologie und Physik zu kombinieren und so zu einer Erklärung des Denkprozesses und der Intuition zu kommen: Für Strukturen innerhalb der Neuronen gilt die Unbestimmtheitsrelation, also haben logische Prozesse keine alleinige Gültigkeit; Ungewissheit und Vieldeutigkeit wird eingeführt und damit der Wirkstoff für die Intuition (Miller 2009, S. 275).

Der Uroboros (vgl. Abb1. und Abb. 2), der mandalaförmige, sich in den Schwanz beißende Drache, symbolisiert seit alters her Selbstreferenz, Rekursion und die Vereinigung von Gegensätzen. Er ist das alchemistische Symbol der Verfeinerung der vier Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft zum magischen fünften Element, der quinta essentia, dem ultimativen Zustand der Erkenntnis. Die symbolische Bedeutung des Uroboros lässt sich als Integration der vier Funktionen Denken, Fühlen, Empfinden und Intuition – dem Zustand der Individuation – interpretieren. Der Zustand, in dem die linke – rationale – und die rechte – irrationale – Hirnhälfte im Einklang sind. In unserer von der Rationalität beherrschten Zeit bedeutet das eine vermehrte Hinwendung zu Irrationalität, zum Eros, um die Einseitigkeit der westlich-rationalen Wissenschaftskultur zu überwinden und der Kreativität einen neuen Schub mit der Einbeziehung des Fühlens und Empfindens zu verleihen. Das ist genau der Schritt, den Pauli mit seiner Kepler-Fludd-Arbeit beschritten hat. Der Uroboros steht also für Neubeginn und Kreativität, für den Stein des Weisen, den "lapis philosophorum", und Synchronizitätsphänomene sind die Hinweise auf dem Weg der Integration von Rationalem und Irrationalem.

Jung hat das wie folgt formuliert:

"Die Psychische Matrix ist die Quelle, aus der uns Träume zustoßen, die seltsam mehr wissen als das Bewusstsein. Von dort stammen die Einfälle und Ideen, von denen wir 'ahnen', dass wir sie nicht selbst 'gemacht' haben. Da die 'objektive Psyche' nicht auf die Person begrenzt ist, wird sie auch nicht durch den Körper begrenzt. Sie manifestiert sich daher nicht nur im Menschen sondern in Tieren oder physikalischen Gegebenheiten. Diese letzteren Phänomene bezeichne ich als Synchronizität" (Atmanspacher 1995, S. 94f).

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Abb.1: Zeichnung aus einem griechischen Manuskript von 1478

Abb. 1 Fries in einem Kloster aus dem 13. Jahrhundert südlich von Siena (Torri)

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Synchronizität und Unus Mundus

Insofern sich im Synchronizitätsphänomen die gleichen Strukturen in der unbewussten Psyche und in der Materie manifestieren, rückt die schon von den Alchemisten hinter dem Dualismus von Psyche und Materie geahnte Einheit des Seins in empirisch fassbare Nähe. Diese Einheit des Seins hat Jung als Unus Mundus bezeichnet, der die Annahme zugrunde liegt, dass die Vielfältigkeit der empirisch erfassbaren Welt auf der Grundlage einer Einheit derselben beruht, und dass nicht zwei oder mehrere prinzipiell verschiedene Welten zusammen existieren oder miteinander vermengt seien. Vielmehr gehört alles Getrennte und Verschiedene in ein und dieselbe Welt, die allerdings nicht "sinnenfällig" ist (v. Franz 1970, S. 16). Im Unus Mundus ist die Spaltung von Psyche und Materie noch nicht vollzogen und die Trennung von Subjekt und Objekt nicht vorgenommen. Der Unus Mundus entspräche dann letztlich der Idee einer Beseeltheit der Materie, der Geist ist noch an die Materie gebunden. Aufgrund dieser ursprünglichen Einheit sind beide Bereiche noch korreliert, durch ihren Sinn verbunden, obwohl es keine kausale Brücke gibt. Der Begriff selbst geht auf den belgischen Alchemisten Gerhard Dorn zurück. In neuester Zeit werden die komplementären Aspekte von Psyche und Physis mathematisch als nicht-kommutative Banach-Algebren – übrigens dieselbe Klasse von Räumen, der auch die quantenmechanischen Zustandsoperatoren angehören – symbolisiert und damit ein abstraktes Modell für den Unus Mundus geschaffen (Atmanspacher 2009, S. 179).

Die Idee des Unus Mundus hat mit der Entwicklung der Quantentheorie zusätzliche Bedeutung bekommen: Oben wurde bereits erwähnt, dass diese als eine holistische Theorie der Materie zu betrachten ist, die keinerlei Unterscheidung zwischen materiellem Objekt und der Messapparatur kennt, in der also Subjekt und Objekt nicht getrennt sind und eine Symmetrie herrscht, die keinerlei Strukturen erkennen lässt. Im Moment des physikalischen Experiments wird diese Einheit jedoch aufgeben und das Objekt der Beobachtung von dessen Umgebung getrennt. Diese willkürliche Zerlegung eines Gesamtsystems in seine Teile heißt "Heisenberg-Schnitt" und definiert Messobjekt und Messapparatur. Dieser Vorgang führt dann zwangsläufig zu einer irreduziblen Beschreibung, welche nur noch Wahrscheinlichkeitsaussagen erlaubt. Andererseits wird durch die Symmetriebrechung der Beobachtung erst eine Struktur im Gesamtsystem sichtbar. Eine Synchronizität, die ja innere Strukturen im äußeren System aufzeigt, lässt sich somit als Symmetriebrechung im Unus Mundus verstehen (Atmanspacher 2009, S.186 u. 229). Für Pauli war Symmetrie ein Archetyp, der tieferliegende Erkenntnisse über die Natur offenbart, als man sie in den Elementarteilchen findet. Symmetrie bestimmt für ihn den Unus Mundus (Peat 1998).

Der Hauptaspekt des Unus Mundus ist, dass er eine einheitliche "Welt der Möglichkeiten" ist, die noch nicht in konkrete, in der Raumzeit existierende Objekte auseinandergebrochen ist. Jung beschreibt das als "potenzielle Welt des ersten Schöpfungstages, als noch nichts in actu war". Diese potenzielle Welt ist analog der einer Messung vorausgegangenen Wellenfunktion ψ. Ebenso wie das unbeobachtete Quantensystem besteht der Unus Mundus aus Möglichkeiten und Potenzialitäten: Indem ein individueller Geist den Möglichkeiten im Unus Mundus objektive Existenz

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verleiht und so die Welt miterschafft, bringt er unvermeidlich einen besonderen Gesichtspunkt, eine subjektive Einzigartigkeit mit ins Spiel (Mansfield 1998, S. 266). In den Synchronizitätserfahrungen erhaschen wir einen Blick auf den Unus Mundus. Mehr noch: Synchronistische Phänomene sind der empirische Beweis für dessen Existenz; ohne sie wäre er reine Spekulation. Damit ist die enge Verbindung zwischen Synchronizität, Archetyp und kollektivem Unbewussten hergestellt (Donati 2004, S. 713).

Man kann also sagen, dass die Physik Ordnungen schafft im Psychischen und die Psyche im Gebiet der Materie. Marie-Louise v. Franz, eine enge Vertraute von Pauli – zu eng nach den Vorstellungen von Paulis Witwe, die deren Briefe an ihn nach seinem Tode allesamt verbrannt hatte – nahm diesen Gedanken auf und verstand als ordnendes geistiges Prinzip die Zahl, also die Mathematik (Sparks 2007, S. 121). Diese uns innewohnende mathematische Struktur dient unserem Wachstum und unserer Selbsterkenntnis. Sie wird uns laut v. Franz durch Symbole in Synchronizitätserlebnissen sichtbar gemacht, die so etwas wie Botschaften des Urgrundes in dem Einzelnen wirken und die auch nur vom Einzelnen wirklich verstanden werden können (v. Franz 1970, S. 267).

Jung selbst war ein großer Verfechter der Zahl "Vier", deshalb wohl seine Vorliebe für Quaternios. In der Vier sah er die Rückkehr zur Ureins, wo der Mensch noch kritiklos und unbewusst in seiner Umgebung lebt. Auf der Zwei-Stufe mit einem dualistischen Welt- und Gottesbild hingegen entsteht Spannung, Zweifel, Kritik an Gott, an dem Leben, an der Natur, an sich selbst. Der Dreizustand bedeutet demgegenüber Einsicht, Bewusstwerdung, Wiederfinden der Einheit auf höherer Stufe, mit einem Wort Erkenntnis (v. Franz 1970, S. 118). Dem rationalen "trinitarischen" Denken (Plato, Kepler, Descartes, Einstein) fehlt aber eine weitere, die vierte Stufe, schließt diese doch Gefühle, Werte und das Irrationale ein, die laut Aristoteles uns erst von anderen unterscheiden und so zur Voraussetzung der Individuation wird. In der "Rückkehr" zur Vier wird die Intuition einbezogen. Vertreter dieses "quaternarischen" Denkens sind Pythagoras, Parmenides, Kant, Schopenhauer, Bohr und natürlich Pauli, die der westlichen Tradition des "Entweder-Oder" ein "Sowohl-als-Auch" gegenüberstellen. Ein schönes Beispiel dafür ist die Einführung des Begriffs der Komplementarität in der Physik. Hier stellt sich auch die Frage, ob die prozessuale Logik des Tetralemma (v. Guretzky 2005) nicht genau diesem "quaternarischen" Denken entspricht. Dies ist an späterer Stelle noch zu klären.

Den Zahlen "Eins" bis "Vier"4 lassen sich also vier Grundprinzipien zuordnen: "Der Empfindungsvorgang stellt im Wesentlichen fest, das etwas ist, das Denken, was es bedeutet, das Gefühl, was es wert ist und die Intuition ist Vermuten und Ahnen über das Woher und Wohin." Diese beiden Gegensatzpaare Denken/Fühlen und Empfinden/Intuition repräsentieren komplementäre Aspekte psychologischer Typen. Daraus ergibt sich folgendes Viererschema (Atmanspacher 1995, S. 206), das den

                                                                                                               4 Das "quaternarische" Denken geht möglicherweise auf den frühmittelalterlichen Neuplatoniker Johannes Scottus (John the Scot) zurück, der die Wirklichkeit in vier Stufen einteilt: (1) Das, was erschafft, aber nicht erschaffen ist - Gott. (2) Das, was erschaffen ist und erschafft – Gottes Sohn. (3) Das, was erschaffen ist und nichts erschafft – der Heilige Geist. (4) Das, was weder erschaffen ist, noch erschafft – die Rückkehr zu Gott.

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Erkenntnisprozess im Unus Mundus widerspiegelt:

Paulis Bemerkung, dass "man es im 17. Jahrhundert zu weit getrieben hätte", bezieht sich darauf, dass "in der kartesischen Wissenschaft die Hauptfunktion das abstrakte Denken ist, welches versucht, die Tatsachen der Außenwelt in allgemeinen Begriffen zu erfassen. Seit ihrem Siegeszug sind die in der Naturwissenschaft dominanten und hochentwickelten Funktionen das Denken und das Empfinden. Sie bestimmen die kollektiv gültigen naturwissenschaftlichen Normen." (Atmanspacher 1995, S. 207) Als einer der ganz wenigen Naturwissenschaftler von Weltruhm war es Pauli jedoch klar, dass zum Wesen der Naturwissenschaft auch der Schatten gehört, der kompensatorisch in der Hintergrundwelt wirkt. Diese "dunkle" Seite des Fühlens und der Intuition sind in der modernen Wissenschaft weit minder differenziert, ja sie wird bei vielen heute aktiv wenn nicht bekämpft so doch vernachlässigt. Trotzdem sind diese Funktionen von gleicher Bedeutung wie das andere Gegensatzpaar "Denken – Empfinden". Denn nur sie erlauben den Naturwissenschaften einen Zugang zu der Welt des "Imaginalen". Die heutige Wissenschaftstheorie kümmert sich fast ausschließlich um die lichten Aspekte, um empirische und theoretische Ableitungen, vernachlässigt jedoch den Entstehungskontext und damit die Fragen des Sinnzusammenhangs (Atmanspacher 1995, S. 207). Dieser Schritt, den Descartes im 17. Jahrhundert eingeleitet hatte, war für die Mathematisierung der Naturwissenschaften notwendig, sie hat aber auch ein folgenschweres Vakuum entstehen lassen, auf das Pauli mit seiner Bemerkung hinweist.

"Der kartesische Dualismus ist ein Holzweg, aber wir kommen nur auf diesem Holzweg weiter – freilich nur wenn wir einsehen, dass das ein notwendiger erster Schritt war." (Atmanspacher 1995, S. 213)

Literatur

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Adler, G. (1989): "Reflections on chance, fate, and synchronicity", Psychological

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Atmanspacher et al. (1995): Der Pauli-Jung Dialog und seine Bedeutung für die

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Atmanspacher et al. (2009): Recasting Reality: Wolfgang Pauli's Philosophical Ideas

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Ballmer, K. (1995): Synchronizität. Siegen, Edition LGC.

Bohr, N. (1985): Atomphysik und menschliche Erkenntnis". Braunschweig, Vieweg.

Cramer, F. (1998): Symphonie des Lebendigen. Frankfurt/M, Insel.

Davies, P. (1989): "Synchronicity and the Cosmic Blueprint"; Psychological

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Donati, M. (2004): "Beyond synchronicity: the worldview of Carl Gustav Jung and

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Fischer, E.P. (2004): Brücken zum Kosmos – Wolfgang Pauli zwischen Kernphysik und

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