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MOTORRAD NEWS 7/2006 53 SZENE Aus der Werkstatt W enn ich morgens in die Werkstatt komme, mei- nen Overall anziehe und mir die Hände mit Schutzcreme ein- reibe, während das nächste Motor- rad auf der Hebebühne steht, dann kommt mir so manchmal in den Sinn, wie ähnlich das Berufsleben von Mechanikern und Ärzten doch ist. So muss sich eigentlich ein Arzt fühlen, der in seinen OP-Anzug schlüpft, sich die Hände desinfi- ziert und seinen Mundschutz an- legt, während der nächste Patient auf dem OP-Tisch wartet. Und je weiter man diesen Gedan- ken verfolgt, um so mehr Gemein- samkeiten lassen sich finden. Gut, der Verdienst des Arztes dürfte um einiges höher liegen und mit der Zweityacht in der Karibik wird’s bei mir wohl auch nichts mehr. Aber wenn die Werkstatt zur Praxis wird, das Motorrad zum Patienten, die Bühne zum OP-Tisch und die Repa- ratur zur Behandlung, wird auch aus dem Mechaniker ein anderer. Ein Medichaniker vielleicht, Motopäde oder Schraubologe. Denn auch er muss sich ständig auf neue Patien- ten einstellen, Wehwehchen von ernsten Krankheiten unterscheiden und sich zwischen einfachen Be- handlungen oder schwierigen Ope- rationen entscheiden. Der Viertaktmotor, mit seinem durch Ventile gesteuerten Wechsel von Frisch- und Abgasen, ist letzt- endlich nichts anderes als die lo- gische Weiterentwicklung des men- schlichen Herzens. Beide stellen mit ihren verblüffend ähnlichen Funk- tionsweisen den Antrieb ihres je- weiligen Systems dar. Und ist eigent- lich die bevorzugte Barzahlung in den Werkstätten etwas anderes als die ärztliche Bevorzugung von Pri- Was die Götter in Weiß so alles ge- meinsam haben mit den Göttern in Blau. vatpatienten und Selbstzahlern? Ge- meinsamkeiten über Gemeinsam- keiten. Nur bin ich noch nie zu ei- nem liegengebliebenen Motorrad geeilt und habe gerufen „Lassen Sie mich durch! Ich bin Mechaniker !” Wie beim Arzt steht auch in der Werkstatt am Anfang die Anamese. Welcher Art sind die Beschwerden? Wann traten sie zum ersten Mal auf? Wie häufig treten sie auf und sind sie stärker geworden? Treten die Beschwer- den nur unter be- stimmten Umstän- den auf oder bildet sich der Patient alles nur ein? Ihr würdet nicht glau- ben, wie viele Motorrad-Hypochon- der es gibt. So wie manche Leute sich ihr Knie operieren lassen, nur weil es ein wenig zwickt, so lassen andere ihre Motoren überholen, ih- re Getriebe neu lagern oder ihre Lenk- kopflager erneuern – nicht selten ohne jeglichen Anlass. Die Behandlungen gehen dann kreuz und quer durch die Gebüh- renverordnung. Da gibt es Störun- gen wie Probleme beim Atmen. Kein Wunder, der Luftfilter sitzt ja kom- plett zu. Da haben wir wohl die letzte Vorsorgeuntersuchung ge- schwänzt, hmm? Eine steife Wirbel- säule erfordert dagegen sofortiges Erneuern des Lenkkopflagers. Ver- dauungsprobleme mit schwarzen Zündker- zen und Blähungen müssen mit intensi- vem Vergasereinstel- len behandelt werden. Was? Der Patient ist nicht mehr der Jüngs- te und etwas leistungs- schwach? Na, dann wollen doch erst mal den Blutdruck – oh, Verzeihung – den Kompressionsdruck messen. Naja, ist wohl nicht mehr der bes- te. Aber seien wir mal ehrlich, wer von uns bringt im reiferen Alter noch Höchstleistungen? Schwieriger dagegen war der Fall einer K100, die bereits 23 Jahre auf dem Buckel hatte. Motorradjahre wohlgemerkt. Das sind doch min- destens doppelt so viele Menschen- jahre. Das Getriebe wollte einfach nicht mehr so richtig. Ein klarer Fall für die Geriatrie. Um eine intensive Untersuchung kommt man da nicht mehr herum. Nach Öffnung des erkrankten Or- gans zeigte sich eine Zerstörung im fortgeschrittenen Stadium. Gangrad und Schaltgabel waren gebrochen, die Bruchstücke und Späne hatten fast alle Bauteile in Mitleidenschaft gezogen. Au weia. Das kriegen wir mit Tabletten alleine aber nicht mehr hin. Da hilft nur noch eins: ein Spen- derorgan! Günstig bei ebay gefun- den, implantiert und der Patient be- wegt sich wieder besser als je zuvor. Und was ist am besten, um gesund zu bleiben? Genau! Richtige Ernäh- rung, Motoröl guter Qualität und viel Bewegung. Hier empfehle ich: Zweimal täglich die kurvenreiche Hausstrecke locker abfahren. Vor oder nach den Mahlzeiten? Egal! Ärzte und Schrau- ber haben viele Gemeinsamkeiten. Nur habe ich noch nie gesagt: „Lassen Sie mich durch, ich bin Mechaniker“ DER NÄCHSTE BITTE Euer Schrauberprinz Fotos: Andreas Prinz/www.motorradkarawane.de Motopäde oder Schraubologe: Wenn es aus die Hebebühne zum OP-Tisch wird, verändert sich auch der Mechaniker

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MOTORRAD NEWS 7/2006 53

SZENEAus der Werkstatt

W enn ich morgens in dieWerkstatt komme, mei-nen Overall anziehe und

mir die Hände mit Schutzcreme ein-reibe, während das nächste Motor-rad auf der Hebebühne steht, dannkommt mir so manchmal in denSinn, wie ähnlich das Berufslebenvon Mechanikern und Ärzten dochist. So muss sich eigentlich ein Arztfühlen, der in seinen OP-Anzugschlüpft, sich die Hände desinfi-ziert und seinen Mundschutz an-legt, während der nächste Patientauf dem OP-Tisch wartet.

Und je weiter man diesen Gedan-ken verfolgt, um so mehr Gemein-samkeiten lassen sich finden. Gut,der Verdienst des Arztes dürfte umeiniges höher liegen und mit derZweityacht in der Karibik wird’sbei mir wohl auch nichts mehr. Aberwenn die Werkstatt zur Praxis wird,das Motorrad zum Patienten, dieBühne zum OP-Tisch und die Repa-ratur zur Behandlung, wird auch ausdem Mechaniker ein anderer. EinMedichaniker vielleicht, Motopädeoder Schraubologe. Denn auch ermuss sich ständig auf neue Patien-ten einstellen, Wehwehchen vonernsten Krankheiten unterscheidenund sich zwischen einfachen Be-handlungen oder schwierigen Ope-rationen entscheiden.

Der Viertaktmotor, mit seinemdurch Ventile gesteuerten Wechselvon Frisch- und Abgasen, ist letzt-endlich nichts anderes als die lo-gische Weiterentwicklung des men-schlichen Herzens. Beide stellen mitihren verblüffend ähnlichen Funk-tionsweisen den Antrieb ihres je-weiligen Systems dar. Und ist eigent-lich die bevorzugte Barzahlung inden Werkstätten etwas anderes alsdie ärztliche Bevorzugung von Pri-

Was die Götter inWeiß so alles ge-meinsam haben mitden Göttern in Blau.

vatpatienten und Selbstzahlern? Ge-meinsamkeiten über Gemeinsam-keiten. Nur bin ich noch nie zu ei-nem liegengebliebenen Motorradgeeilt und habe gerufen „Lassen Siemich durch! Ich bin Mechaniker !”

Wie beim Arzt steht auch in derWerkstatt am Anfang die Anamese.Welcher Art sind dieBeschwerden? Wanntraten sie zum erstenMal auf? Wie häufigtreten sie auf und sindsie stärker geworden?Treten die Beschwer-den nur unter be-stimmten Umstän-den auf oder bildet sich der Patientalles nur ein? Ihr würdet nicht glau-ben, wie viele Motorrad-Hypochon-der es gibt. So wie manche Leutesich ihr Knie operieren lassen, nurweil es ein wenig zwickt, so lassenandere ihre Motoren überholen, ih-re Getriebe neu lagern oder ihre Lenk-kopflager erneuern – nicht seltenohne jeglichen Anlass.

Die Behandlungen gehen dannkreuz und quer durch die Gebüh-

renverordnung. Da gibt es Störun-gen wie Probleme beim Atmen. KeinWunder, der Luftfilter sitzt ja kom-plett zu. Da haben wir wohl dieletzte Vorsorgeuntersuchung ge-schwänzt, hmm? Eine steife Wirbel-säule erfordert dagegen sofortigesErneuern des Lenkkopflagers. Ver-

dauungsprobleme mitschwarzen Zündker-zen und Blähungenmüssen mit intensi-vem Vergasereinstel-len behandelt werden. Was? Der Patient istnicht mehr der Jüngs-te und etwas leistungs-

schwach? Na, dann wollen doch erstmal den Blutdruck – oh, Verzeihung– den Kompressionsdruck messen.Naja, ist wohl nicht mehr der bes-te. Aber seien wir mal ehrlich, wervon uns bringt im reiferen Alternoch Höchstleistungen?

Schwieriger dagegen war der Falleiner K100, die bereits 23 Jahre aufdem Buckel hatte. Motorradjahrewohlgemerkt. Das sind doch min-destens doppelt so viele Menschen-

jahre. Das Getriebe wollte einfachnicht mehr so richtig. Ein klarer Fallfür die Geriatrie. Um eine intensiveUntersuchung kommt man da nichtmehr herum.

Nach Öffnung des erkrankten Or-gans zeigte sich eine Zerstörung imfortgeschrittenen Stadium. Gangradund Schaltgabel waren gebrochen,die Bruchstücke und Späne hattenfast alle Bauteile in Mitleidenschaftgezogen. Au weia. Das kriegen wirmit Tabletten alleine aber nicht mehrhin. Da hilft nur noch eins: ein Spen-derorgan! Günstig bei ebay gefun-den, implantiert und der Patient be-wegt sich wieder besser als je zuvor.

Und was ist am besten, um gesundzu bleiben? Genau! Richtige Ernäh-rung, Motoröl guter Qualität undviel Bewegung. Hier empfehle ich:Zweimal täglich die kurvenreicheHausstrecke locker abfahren. Voroder nach den Mahlzeiten? Egal!

Ärzte und Schrau-ber haben viele

Gemeinsamkeiten.Nur habe ich nochnie gesagt: „LassenSie mich durch, ichbin Mechaniker“

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EuerSchrauberprinz

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