90
Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen Diplomarbeit vorgelegt von Sarah Petry Evangelische Fachhochschule Darmstadt Fachbereich Soziale Arbeit Sommersemester 2010 Erstgutachterin: Prof. Dr. phil. Katja Erdmann-Rajski Zweitgutachter: Prof. Dr. rer. pol. Frank Bettinger

Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

  • Upload
    buicong

  • View
    216

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der

Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

Diplomarbeit vorgelegt von

Sarah Petry

Evangelische Fachhochschule Darmstadt

Fachbereich

Soziale Arbeit

Sommersemester 2010

Erstgutachterin:

Prof. Dr. phil. Katja Erdmann-Rajski

Zweitgutachter:

Prof. Dr. rer. pol. Frank Bettinger

Page 2: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

„Wir fragen uns, wer bin ich,

mich brillant, großartig, talentiert,

phantastisch zu nennen?

Aber wer bist Du, Dich nicht so zu nennen?

Du bist ein Kind Gottes.“

Nelson Mandela

Page 3: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3

Inhaltsverzeichnis Einleitung.................................................................................................................... 5

1. Subjektivitätstheorie.............................................................................................. 6

1.1. Historische Blitzlichter des Subjektbegriffs...................................................... 7

1.2. Das Subjekt aus sozialisationstheoretischer Perspektive ................................ 10

1.3. Das Subjekt als Identitätskonstruktion............................................................ 11

1.4. Subjektentwicklung......................................................................................... 13

1.5. Subjektentwicklung als Befähigungs- und Bildungsprozess .......................... 15

1.6. Das schöpferische Subjekt .............................................................................. 16

1.7. Soziale Subjektivität versus Selbstversessenheit ............................................ 17

1.8. Das Subjekt in der Jugendphase...................................................................... 18

1.9. Subjektorientierung in der sozialpädagogischen Arbeit mit Jugendlichen..... 20

2. Tanz ....................................................................................................................... 23

2.1. Wichtige Aspekte des Zeitgenössischen Tanzes............................................. 24

2.1.1. Historische Betrachtungen....................................................................... 24

2.1.2. Körper......................................................................................................29

2.1.3. Bewegung................................................................................................. 30

2.1.4. Die Aspekte Raum, Zeit und Form im Tanz............................................. 31

2.2. Tanz und seine Wechsel-Wirkung mit dem Subjekt....................................... 32

2.2.1. Möglichkeiten der Sinnes- und Körpererfahrung im Tanz durch

Improvisation..................................................................................................... 33

2.2.2. Die harmonisierende Wirkung des Tanzes durch Rhythmus................... 34

2.2.3. Die sozialisierende Wirkung des Tanzes.................................................. 34

2.2.4. Tanz als Kollektiverfahrung..................................................................... 35

2.2.5 Bewegung als Differenzerfahrung............................................................. 37

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen........................................... 38

3.1. Ästhetische Praxis ........................................................................................... 38

3.1.1. Eine historische und terminologische Betrachtung................................. 39

3.1.2. Perspektiven der Ästhetischen Bildung als Kern Ästhetischer Praxis..... 41

3.2. Tanz als Ermöglichung ästhetischer Erfahrung .............................................. 46

Page 4: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

4

3.3. Projektbeispiele............................................................................................... 47

3.3.1. TanzZeit.................................................................................................... 48

3.3.2. Die Arbeit von Royston Maldoom............................................................ 51

3.3.3 Faster-Than-Light-Dance-Company........................................................ 56

3.4. Potentiale im Tanz nach Lowinski und Klinge.............................................. 60

4. Tanzästhetische Projekte als Befähigung zu „sozialer Subjektivität“ ............ 62

4.1. Ein Resumee.................................................................................................... 63

4.1.1. Befähigung zu Selbstbewusstsein............................................................. 63

4.1.2. Befähigung zu (Selbst-) Reflexivität......................................................... 65

4.1.3. Befähigung zu Selbstbestimmung............................................................. 66

4.1.4. Befähigung zu sozialem Handeln............................................................. 67

4.1.5. Befähigung zur Lebenskunst.................................................................... 69

4.2. Beitrag der Sozialen Arbeit ............................................................................. 69

Schlussbemerkung ................................................................................................... 71

Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................... 74

Literaturverzeichnis................................................................................................. 75

Internetquellen ......................................................................................................... 81

Anhang ...................................................................................................................... 83

Persönliche Erklärung............................................................................................. 90

Page 5: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Einleitung

5

Einleitung

Tanz bewegt und formt nicht nur den Körper, sondern bringt insbesondere das Innere

eines Menschen in Schwingung.

In der Bewegung liegt die Chance zur Veränderung.

In ihr kann die Veränderbarkeit der eigenen Lebensbedingungen sowie der eigenen

Persönlichkeit erlebt werden.

Um ein ‚Erlebbar- und Erfahrbar-Machen’ geht es auch in der Ästhetischen Praxis.

Was aber kann und soll erfahren werden?

Welche Möglichkeiten bietet die tanzästhetische Praxis für die Subjektentwicklung?

Vor dem Hintergrund dieser Fragen, möchte ich den Blick insbesondere auf die

Arbeit mit Jugendlichen richten. Mich interessiert dabei, wie die Befähigung zu

“sozialer Subjektivität“ durch Tanz in der Ästhetischen Praxis möglich ist. Da ich die

Stärkung Jugendlicher zu selbstbewussten, selbstbestimmten und sozial handelnden

Subjekten als zentrale Bildungsziele (sozial-) pädagogischer Praxis mit Jugendlichen

halte, mache ich diese Aspekte „sozialer Subjektivität“ zum Kern meiner

Auseinandersetzung mit Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen.

Meiner Arbeit geht voraus, dass ich von der Bedeutsamkeit kreativer, künstlerischer

Bildungsangebote in der Sozialen Arbeit aufgrund eigener Erfahrungen überzeugt

bin. Soziale Arbeit, die ihre AdressatInnen als aktiv gestaltende Subjekte ernst

nimmt, sollte deren Gestaltungsspielraum und dadurch ihre gesellschaftlichen

Teilhabemöglichkeiten durch entsprechende Bildungsangebote erweitern. Ein

weiteres Ziel meiner Arbeit ist daher, eine Begründung und Berechtigung für die

Ästhetische Bildung durch Tanz als Bestandteil der Sozialen Arbeit mit Jugendlichen

zu liefern.

Zu Beginn möchte ich klären, welche wichtigsten Aspekte der Begriff der „sozialen

Subjektivität“ beinhaltet und was er für die Arbeit mit Jugendlichen bedeutet. Dazu

ist es nicht nur notwendig die Entwicklung des Subjektbegriffs zu betrachten,

sondern diesen auch aus verschiedenen sozialwissenschaftlichen Perspektiven zu

beleuchten. Abschließen möchte ich das erste Kapitel mit dem Blick auf das

jugendliche Subjekt.

Page 6: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

1. Subjektivitätstheorie

6

Mit dem zweiten Kapitel möchte ich eine Hinführung zum ästhetischen Medium

Tanz geben, der sich im Rahmen des modernen und zeitgenössischen Tanzes bewegt.

Nach einer Betrachtung der Entstehungsgeschichte des modernen und

zeitgenössischen Tanzes, sollen elementare Aspekte, sowie subjekttheoretische

Bezüge im Tanz beschrieben werden.

Das dritte Kapitel gibt einen vertieften Einblick in die Arbeit mit Tanz in der

Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen. Diesem voran geht eine Auseinandersetzung

mit dem Ästhetik-Begriff, sowie mit dem Kern Ästhetischer Bildung. Durch die

Auswahl dreier Praxisbeispiele sollen anschließend möglichst vielfältige

Perspektiven und Potentiale dieser Arbeit aufgezeigt werden. Ergänzt werden diese

durch die Darstellung einiger Ergebnisse der beiden Tanzwissenschaftlerinnen

Lowinski und Klinge und deren Auseinandersetzung mit der persönlichkeits-

stärkenden Wirkung des Tanzes.

In meinem abschließenden Kapitel möchte ich den Zusammenhang zwischen Tanz in

der Ästhetischen Praxis und der Subjektentwicklung bei Jugendlichen auf Grundlage

der zuvor erarbeiteten Folgerungen systematisch aufzeigen. Die Arbeit möchte ich

beenden mit einem Blick auf den Beitrag, den Soziale Arbeit in der Umsetzung

tanzästhetischer Projekte leisten kann und sollte.

1. Subjektivitätstheorie

Zu Anfang dieses Kapitels bedarf es der Konstituierung eines Bezugsrahmens des

Subjekt-/ Subjektivitätsbegriffs, welcher in der Tradition der Sozialphilosophie und

der Sozialwissenschaften vor dem jeweiligen historischen und gesellschaftlichen

Hintergrund zu verschiedenen Sinngehalten führte. Mit dem Aufkommen des

Subjekt-Begriffs wurde auf der einen Seite starke Kritik an diesem geübt, während

sich auf der anderen Seite Strömungen wiederfinden, welche diesen geradezu

fokussierten und damit gesellschaftliche Umstände ausblendeten.

In dem erziehungswissenschaftlichen Kontext, innerhalb dessen sich diese Arbeit

bewegt, steht der Subjektbegriff heute „als Chiffre für freiheitliches Fühlen, Denken,

Wollen, Handeln, selbstständige Entscheidungen. Er steht für Widerständigkeit,

Selbstbewusstheit und weitgehend selbstbestimmte Verfügung über Lebens-

aktivitäten. Es ist ein kämpferischer Begriff der Selbstermächtigung“1 Die

Befähigung des Subjekts im pädagogischen Bildungskontext muss daher als

1 Meueler (1993) S.8

Page 7: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

1. Subjektivitätstheorie

7

Befähigung „zu einer eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Lebenspraxis auf

der Grundlage einer kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Zwängen,

Normen und Werten“2 gesehen werden.

1.1. Historische Blitzlichter des Subjektbegriffs

Die gesamte philosophische Geschichte des Subjektbegriffs im umfassenden

Rahmen darzustellen führt zu weit, doch möchte ich im folgenden Abschnitt

zumindest einige Blitzlichter der Entwicklung aufzeigen.

Die Zeit der Aufklärung im 18. Jh., als ‚Aufhellung von bisher Verdunkeltem’ ver-

standen, trägt den Wahlspruch: Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu

bedienen. Bereits Descartes realisierte im 17. Jh. deren Prinzipien. Als erster

entdeckt dieser „das Subjekt als eigentliche, denkende Substanz (..), als der

Beziehung zu sich selbst (..) wie allen Nachdenkens über die Wirklichkeit“3 und trifft

eine Unterscheidung zwischen dem Subjekt, als dem Menschen, und dem Objekt,

welchem das Subjekt in der Autonomie seines Denkens überlegen ist. Kant erweitert

die Tätigkeit des Subjekts, von dem selbst denkenden Subjekt zu einem sich selbst

reflektierenden Subjekt, das in der Lage ist sich kritisch mit den ihn umgebenden

Lebensbedingungen und den sie bestimmenden Machtverhältnissen auseinander zu

setzen. Das Subjekt im Sinne Kants „befähigt sich selbst zu selbstständigen,

vernünftig begründeten Handlungen und praktischen Entscheidungen.“4 Indem Kant

die Freiheit des Einzelnen postuliert, tritt er zur Gegenwehr der damaligen

gesellschaftlichen Verhältnisse des Absolutismus an. Da die Freiheit eines Jeden mit

der Freiheit eines Anderen kollidieren kann, weist Kant auf seinen ‚kategorischen

Imperativ’ hin. „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen

kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“5 Für ihn entfaltet sich Subjektivität

durch die „Gemeinschaft freier Subjekte, deren individuelles Handeln eine kollektive

Solidarität und Gerechtigkeit konstituiert“6.

Die Linie des Subjekt-Begriffs lässt sich weiter über die Begründer des

wissenschaftlichen Sozialismus im 19. Jh. Karl Marx und Friedrich Engels verfolgen.

Sie brechen den zunächst philosophischen Begriff auf einen Begriff der Praxis

herunter, der sich in den damaligen politisch, ökonomischen Bedingungen äußert. Sie

2 Scherr (2006) S.170 3 Meueler (1993) S.19 4 Meueler (1993) S.20 5 Kant (1968) Bd. 4 S.421 zit. n. Meueler (1993) S.22 6 Schülein (1981) S.1064 zit n. Meueler (1993) S. 22

Page 8: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

1. Subjektivitätstheorie

8

gehen von den praktischen Verhältnissen aus, in denen sich das Subjekt bewegt, und

kritisieren auf dieser Ebene das bürgerliche Subjektverständnis. Das Subjekt ist darin

gesehen als Marionette innerhalb eines Systems zu verstehen, welches als neu

begründete bürgerliche Gesellschaft dennoch eine Klassengesellschaft mit struktur-

ellen Ungleichheiten darstellt.7 Als wesentlich bestimmendes Merkmal des

bürgerlichen Subjekts gilt die Arbeit. Subjekte sind zu dieser Zeit als ‚Person-

ifikation ökonomischer Kategorien’ zu verstehen. Mit ihrer Kritik dieser Verhältnisse

und an dem daraus resultierenden Subjektbegriff formulieren Marx und Engels die

Forderung „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein

geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“8

Während Marx und Engels die Unterdrückung des Subjekts an den ökonomischen

Bedingungen festmachen, sucht Siegmund Freud als Begründer der Psychoanalyse

im 19.Jh. die Unfreiheit des Subjekts in dessen innerer Realität. Damit erweitert

Freud „das Spektrum des Subjektbegriffs um die Facette unbewußter psychischer

Prozesse, deren Aufklärung Aufgabe der Psychoanalyse als Wissenschaft sei.“9 Nach

Freud gibt es kein autonomes Vernunftsubjekt. Vielmehr unterliegt dieses ver-

schiedenen innerpsychischen Kräften, die Freud als ‚Es’, ‚Über-Ich’ und ‚Ich’

bezeichnet. Dem ‚Ich’ kommt dabei die Aufgabe zu, zwischen dem ‚Es’, d.h. den

inneren Triebenergien und Triebwünschen nach Lust und Anerkennung, und dem

‚Über-Ich’, also den verinnerlichten gesellschaftlichen Verhaltensmustern, Normen

und Forderungen, zu vermitteln. Für Freud ist „Subjekthandeln, sei es gedanklich

reflexiv, verbal, nonverbal und körperlich zum Ausdruck gebracht, (..) immer durch

eine interne Balance zwischen diesen psychischen Instanzen bestimmt.“10 Die

Befreiung des Subjekts bedeutet für ihn, dass „durch einen professionell in Gang

gesetzten emotionalen Prozeß, (..) verdrängte und verleugnete Gefühle wieder

aktiviert, zum Ausdruck gebracht und für die heilende Erkenntnis genutzt werden.“11

Wo sich Freud positiv und hoffnungsvoll der Subjektentwicklung zuwendet, stellt

sich bei den Begründern der Kritischen Theorie Max Horkheimer und Theodor W.

Adorno Anfang des 20.Jh. Pessimismus ein. Ihre Kritik an der Aufklärung als

‚Selbstzerstörung’ richtet sich gegen die rein instrumentelle Selbstbezogenheit des

Menschen, die auf das rücksichtslose Streben nach Selbsterhaltung zielt. „Wenn auch

7 Vgl. Meueler (1993) S.25 8 Marx/Engels (Werke Bd.1) S.385 zit.n. Meueler (1993) S.29 9 Meueler (1993) S.30 10 Meueler (1993) S.32 11 Meueler (1993) S.33

Page 9: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

1. Subjektivitätstheorie

9

die Philosophie der Aufklärung ganz bewusst einen Beitrag dazu liefern wollte, die

Machtausübung von Menschen über Menschen abzuschaffen, so begründete sie für

Horkheimer und Adorno zugleich doch eine sich immer wieder erneuernde Gewalt-

herrschaft, nämlich alles am Maßstab der Rationalität und damit an den Perspektiven

von Effektivität und Beherrschbarkeit auszurichten.“12 Dieser Pessimismus lässt sich

u.a. dadurch erklären, dass anstelle einer Gesellschaft autonomer Subjekte, wie es

sich die Aufklärer erträumten, eine totale Wirtschaftsgesellschaft getreten ist.

Gekennzeichnet ist diese durch eine Unterworfenheit des Einzelnen unter die Regeln

der Warentauschgesellschaft, die dem Subjekt vor allem bestimmte Funktionen

abverlangen. Seine einzige Hoffnung setzt Adorno „auf die gesellschaftlichen

Widersprüche, die für ihn voller Produktivität stecken.“13 Ohne diese Widersprüche

zu lösen, macht er das Nicht-Identische dieser totalen Marktwirtschaft und die

Verneinung des Bestehenden zum Ausgangspunkt neuer Möglichkeiten. Da Adorno

die Befreiung des Subjekts durch die reine Vernunft nicht für möglich hält, schreibt

er der Kunst in diesem Zusammenhang eine höhere Bedeutung zu.14

Beklagt Adorno noch den Verlust des Subjekts, so begrüßt der französische

Philosoph und Strukturalist Michel Foucault Mitte des 20. Jh. diese als ‚Tod des

Subjekts’ zu bezeichnenden Entwicklungen. Für ihn ist der Mensch vor allem als ein

in Strukturen Eingebetteter zu verstehen. Dies bedeutet, „dass das, was den

Menschen möglich macht, ein Ensemble von Strukturen ist, die er zwar denken und

beschreiben kann, deren Subjekt, deren souveränes Bewußstsein er jedoch nicht

ist.“15 Das Entschwinden des bisherigen, historisch konstruierten Subjekts nimmt

Foucault zum Ausgangspunkt für eine neue eigene Ausarbeitung von Subjektivität.

Für ihn besteht Subjektivität in dem reflexiven Prozess des ’Sich-zu-sich-selbst-

Verhalten-Könnens’. Das Subjekt, das unter bestimmte Macht- und Wissens-

komplexe unterworfen ist, hat die Möglichkeit sich zu diesen in Form von Anpas-

sung oder Widerstand zu verhalten. In seiner „Neubegründung der Ethik als

Lebenskunst, als Kunst der Existenz, (..) [fordert er den Einzelnen auf zur]

‚Formierung und Entwicklung einer Praktik seiner selbst, die zum Ziel hat, sich

selbst als den Arbeiter an der Schönheit des eigenen Lebens zu konstituieren’“16.

12 Meueler (1993) S.37 13 Meueler (1993) S.41 14 Vgl. Meueler (1993) S.41 15 Foucault (1987) S.14 zit. n. Meueler (1993) S.43 16 Meueler (1993) S.44-45

Page 10: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

1. Subjektivitätstheorie

10

1.2. Das Subjekt aus sozialisationstheoretischer Perspektive

„ No man is an Island“ John Donne (Gedicht des englischen Dichters)17

„Sozialisation ist nichts Statisches, sondern eine höchst dynamische, prozeßhafte

Angelegenheit, die dem Mensch bereits in den ersten Minuten seines Lebens

widerfährt und ihn bis an sein Lebensende begleitet.“18 Mit ihr gehen die zentralen

Fragen „Wie und warum wird aus einem Neugeborenen ein autonomes,

gesellschaftliches Subjekt? Oder anders: Wie werden wir ein Mitglied der

Gesellschaft?“19 einher. Der Mensch, der im Vergleich zum Tier instinktarm zur

Welt kommt, besitzt einen weiten Entwicklungsspielraum innerhalb seiner Umwelt.

Im Unterschied zu höher entwickelten Tieren, vollziehen sich beim Menschen

entscheidende Entwicklungen erst nach der Geburt und sind daher von der Umwelt

stark beeinflussbar.20 Darin liegen sowohl Chancen als auch Benachteiligungen im

Sinne von Chancenungleichheiten für den Menschen. Der Soziologe Dieter Geulen

beschreibt Sozialisation als einen „Prozess der Persönlichkeitsentwicklung in

Abhängigkeit von der Umwelt, die stets historisch-gesellschaftlich vermittelt ist“21.

Der Begriff der Persönlichkeit wird von dem Sozialwissenschaftler Peter

Zimmermann als „spezifisches Gefüge von Merkmalen, Eigenschaften,

Einstellungen und Handlungskompetenzen, das einen einzelnen Menschen

kennzeichnet“22 beschrieben. Diese drücken sich in „von außen beobachtbare[n]

Verhaltensweisen, Werthaltungen, Wissen, Sprache, wie auch [in] innere[n]

Prozesse[n] und Zustände[n], Gefühle[n] und Motivationen“23 aus. Auch wenn sich

Sozialisationstheorien im Besonderen mit der Persönlichkeitsentwicklung im Kindes-

und Jugendalter auseinandersetzt, findet diese lebenslang immer dann statt, „wenn

Individuen an sozialen Kommunikations- und Handlungszusammenhängen

teilnehmen, die Veränderungen im Individuum veranlassen“24.

Sozialisation kann nicht allein als Prägung des Individuums durch seine Umwelt,

durch soziale Bezugsgruppen oder durch die Gesellschaft gesehen werden. Sie muss

vielmehr als Prozess verstanden werden, „in dem heterogene Erfahrungen und

17 Zit. n. Müller (1977) S.30 18 Lander (1976) S.1 19 Zimmermann (2003) S.13 20 Vgl. Müller (1977) S.30 21 Zimmermann (2003) S.13 22 Zimmermann (2003) S.17 23 Zimmermann (2003) S.17 24 Scherr (2006) S.26

Page 11: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

1. Subjektivitätstheorie

11

Erwartungen emotional und kognitiv verarbeitet werden“25, in dem das Individuum

kein passives Objekt von Einwirkungen ist, sondern aktiv auf diese in eigensinniger

Weise reagiert.26 Diesen Eigenanteil des Subjekts im Sozialisationsprozess fasst der

Pädagoge Jürgen Zinnecker in den Begriff der ‚Selbstsozialisation’.27 Die Pers-

pektive der neueren Sozialisationsforschung auf das Individuum als handlungsfähig-

es, autonomes Subjekt, von dem Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann als Modell

des „produktiv realitätsverarbeitenden Subjekts“28 bezeichnet, stellt „das

menschliche Subjekt in einen sozialen und ökologischen Kontext, der subjektiv

aufgenommen und verarbeitet wird, der in diesem Sinn also auf das Individuum

einwirkt, aber zugleich immer auch durch das Individuum beeinflusst, verändert und

gestaltet wird.“29

Sozialisation kann demnach nicht als absolute Vergesellschaftung durch Anpassung

verstanden werden, sondern muss gleichrangig die individuelle Entfaltung und

Autonomie des Subjekts berücksichtigen. Es geht demnach vielmehr um eine Art

Abgleich und Vermittlung zwischen der inneren Realität des Subjekts und der

äußeren Realität der Umwelt, welche sich durch Interaktion, Kommunikation und

Tätigkeiten gestaltet.30 Der Spracherwerb, sowie die Entwicklung des eigenen

Denkvermögens sind für diesen subjektiven Prozess der Auseinandersetzung mit

sozialen und gesellschaftlichen Vorgaben und Erwartungen von großer Bedeutung.31

1.3. Das Subjekt als Identitätskonstruktion

„Die Annahme des einen Subjekts ist vielleicht nicht notwendig; vielleicht ist es ebenso gut erlaubt, eine Vielfalt von Subjekten anzunehmen.“

Friedrich Nietzsche32

Während sich die Moderne mit ihrer klassischen Identitätsforschung vorwiegend an

den Modellen der stufenweisen Identitätsentwicklung, wie es zum Beispiel Erik H.

Erikson oder Lawrence Kohlberg entwickelten, orientierte, sind für die Frage nach

Identität in der Postmoderne verstärkt die Prozesse von Individualisierung,

Pluralisierung und Globalisierung in den Blick zu nehmen. Der Sozialpsychologe

Heiner Keupp wendet sich in seiner Auseinandersetzung mit dem Identitätsbegriff im 25 Scherr (2006) S.25 26 Hervorgehoben wird diese Eigentätigkeit der Subjekte in einer konstruktivistischen Sozialisationsforschung. 27 Vgl. Zimmermann (2003) S.76-77 28 Hurrelmann (1993) S.64 zit. n. Zimmermann (2003) S.17 29 Hurrelmann (1993) S.64 zit. n. Zimmermann (2003) S.15 30 Vgl. Zimmermann(2003) S.17 31 Vgl. Scherr (2006) S.25 32 Zit. n. Keupp (2009) S.7

Page 12: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

1. Subjektivitätstheorie

12

Besonderen diesen Themen zu. In seinem Vortrag der Tagung „Identitätsentwicklung

in der multioptionalen Gesellschaft“ 200933 lassen sich m.E. zeitgemäße Antworten

zum Identitätsbegriff heute finden, auf die ich im Folgenden einen Blick werfen

möchte.

Identitäten postmoderner Lebensverhältnisse sind in ihrer bruchstückhaften und

fragmentarischen Gestalt zu sehen. Von dem Subjekt ist eine hohe Eigenleistung

gefordert, wenn es um das Zusammenbringen von Erfahrungsfragmenten innerhalb

einer pluralistischen Gesellschaft in einen sinnhaften Zusammenhang geht. Der Titel

„Identitätsentwürfe zwischen postmoderner Diffusität und der Suche nach

Fundamenten“ (Keupp 1998) beschreibt deutlich, welchen Anforderungen sich das

Subjekt heute gegenüber sieht. Identitätsarbeit, als Prozess der konstruktiven

Selbstverortung und „der Herstellung einer Passung zwischen dem subjektiven

‚Innen’ und dem gesellschaftlichen ‚Außen’“34, bezeichnet Keupp als ‚Patchwork’.

Diese Passungsarbeit ist auch als Prozess zu verstehen, in dem die Subjekte mit

pluralen schöpferischen Möglichkeiten patchworkartige Identitätsmuster aus den

Erfahrungsmaterialien ihres Alltags herausbilden. Die Postmoderne löst Begriffe wie

Einheit, Kontinuität und Kohärenz mit den Begriffen Diskontinuität, Fragmentierung

und Zerstreuung ab. Die Idee von Identität, als abschließbare Entwicklung zum

eigentlichen Kern wird vor diesem Hintergrund abgelöst von der Idee beständiger,

alltäglicher Identitätsarbeit als permanente Passungsarbeit, von dem Bild der

Identitätskonstruktion als offenen immer wieder neu zu gestaltenden Prozess .35 Der

Soziologe Sennett spricht von dem Selbst, das sich nie vollendet, sondern sich in

einem Zustand endlosen Werdens befindet. Identität in der Postmoderne lässt sich

lediglich als einen Pluralitätsbegriff ohne Verbindlichkeit fassen.36 Ähnlich hat der

Philosoph Michel de Montaigne (16. Jh.) dieses Gefühl pluraler Möglichkeiten der

eigenen Identität mit folgenden Worten ausgedrückt.

„Ich gebe meiner Seele bald dieses, bald jenes Gesicht, je nach welcher Seite ich sie

wende. (..) Es gibt nichts Zutreffendes, Eindeutiges und Stichhaltiges, das ich über

mich sagen, gar ohne Wenn und Aber in einem einzigen Wort ausdrücken könnte.“

Michel de Montaigne37

33 http://www.ipp-muenchen.de/texte/keupp_09_freising04_text.pdf Abruf: 11.02.10 34 Keupp (2009) S.3 35Vgl. Keupp (2009) S.5 36 Vgl. Fuchs (2001) S.218 37 Zit. n. Keupp (2009) S.6

Page 13: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

1. Subjektivitätstheorie

13

In seinem Vortrag gibt Keupp zwei bedeutende Anhaltspunkte dafür, wie es dem

Subjekt gelingen kann, innerhalb dieser komplexen gesellschaftlichen Verhältnisse

seinen eigenen selbstbestimmten Weg zu finden und zu beschreiten. Einerseits sieht

er für die Subjektentwicklung in Zeiten der Individualisierung einen Kontext der

Anerkennung in Form eines sozialen Netzwerks und einer tragenden Gemeinschaft

vonnöten. Zum Anderen das Finden eines eigenen Lebenssinns, welcher nicht

einfach übernommen, sondern in einem selbstreflexiven Prozess als Gefühl der

Kohärenz, d.h. als Gefühl für einen inneren Zusammenhang und ein zusammen-

gehöriges Ganzes, entwickelt werden muss.38

Nicht zuletzt möchte ich auf drei weitere bedeutsame Bestandteile des Identitäts-

konzepts hinweisen. Zum Einen das Selbstkonzept, welches das Wissen über die

eigene Person meint, außerdem der Selbstwert, d.h „die Wertung der eigenen Person

im Verhältnis zu den Normen und Wertesystemen der Gemeinschaft und (..) die

Kontrollüberzeugung, die subjektive Zuversicht, auf die Lebensumstände einwirken

zu können“39.

1.4. Subjektentwicklung

Die Bildung des Subjekts beschreibt der Erziehungswissenschaftler und Theologe

Erhard Meueler in Anlehnung an den Soziologen Leo Löwenthal als stufenweise

Entwicklung vom ‚kleinen zum großen Ich’. „Das kleine Ich sei das instrumentelle,

das auf das ‚Nächste’ ausgerichtete, grob lustbezogene subjektive Verlangen, mit

dem der Einzelne in einer nicht als solidarisch konzipierten Gesellschaft sich rein auf

sich selbst bezogen zu bestätigen versuche.“40 Im Bemühen um die eigene

Selbsterhaltung, stellt sich das ‚kleine Ich’ der eigenen Lebens- und Alltags-

bewältigung durch ein Wechselspiel von Anpassungsleistungen und Widerständig-

keit gegenüber dem gegebenen Anpassungsdruck, vermittelt durch Triebwünsche

oder Über-Ich Forderungen. Dies bezeichnet Meueler als eher funktionale

Subjekthaftigkeit, die durch eine funktionale Selbstreflexion zustande kommt. Sie

wird bestimmt durch das Bedürfnis nach Handlungssicherheit, die in einer Art

Routinehandlung von ständigen Einzelentscheidungen entlastet wird.

Subjektentwicklung ist für Meueler nicht denkbar ohne die Entwicklung von

funktionaler zu emanzipatorischer Selbstreflexion. Letztere zielt auf das vollständige

38 Vgl. Keupp (2009) S.23 39 Cabrera-Rivas (2002) S.24 40 Meueler (1993) S.90

Page 14: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

1. Subjektivitätstheorie

14

Begreifen von Handlungen und Interaktionssystemen, auf praktizierte Wider-

ständigkeit gegen Herrschaftsverhältnisse und kann nur durch aktive Selbstver-

änderung entwickelt werden. Die Entwicklung zum ‚großen Ich’ bedeutet demnach,

dass „in eigener Verantwortung unrealisierte Möglichkeiten realisiert, Festgefahrenes

gelockert, Unerschlossenes erschlossen werden kann.“41

Subjektivitätsentwicklung gestaltet sich in einer nach oben offenen Richter-Skala,

kann nicht zielbestimmt geplant werden und ist in der Außenwahrnehmung nicht

immer nachvollziehbar. Sie lässt sich beschreiben, als Ausbau von Widerständigkeit

in der Auseinandersetzung mit der äußeren, der inneren und der sozialen Welt,

welche zur Herstellung von Subjektivität im Sinne einer selbstbewussten

Individualität führt.42

Die Genese von Subjektivität wird von dem Kulturwissenschaftler Max Fuchs als ein

innerer Entwicklungsprozess beschrieben, „der unter konkreten gesellschaftlichen

Bedingungen stattfindet und der über ein aktives Tätigwerden des Einzelnen in

seinem Kontext vorangetrieben wird“43. Dieses selbstinitiierte Tätigwerden des

Subjekts wird durch das Bedürfnis nach „einer immer weitergehenden Verfügung

über die eigenen Lebensbedingungen“44 und durch die Fähigkeit dies umzusetzen,

bedingt.

Subjektivität kann in diesem Sinne als Entwicklung der Möglichkeit verstanden

werden, gestaltend in die eigenen Lebensumstände einzugreifen und diese zu

beherrschen. Grundlage von Subjektentwicklung sind dabei „Handlungsfähigkeit und

-bereitschaft auf der Grundlage der Analyse von Hindernissen, auf der Basis einer

gemeinschaftlich koordinierten Strategie“45 Handlungsfähigkeit wird nicht

ausschließlich durch die Bereitschaft der Subjekte und ihre Handlungsressourcen

bestimmt, sondern hängt auch im Wesentlich von den (Selbst-) Wirksamkeits-

erfahrungen der Subjekte ab. Erleben diese ihre Handlungen als nicht wirksam oder

erfolglos, haben diese negativen Erfahrungen Einfluss auf die Eigeninitiative der

Subjekte. Eine große Rolle für das Wirksamkeitserleben von Individuen spielen

gesellschaftliche Definitionen von Leistung und Defizit, von Erfolg und Misserfolg.

Auch gesellschaftliche Rollenzuschreibungen können dazu führen, dass sich die

Betroffenen kaum handlungswirksam erleben und sich daher weniger für ihre

41 Meueler (1993) S.91 42 Vgl. Meueler (1993) S.89-97 43 Fuchs (2001) S.12 44 Fuchs (2001) S.38 45 Fuchs (2001) S.39

Page 15: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

1. Subjektivitätstheorie

15

Bedürfnisse oder Ziele einsetzen. Das eigene Handlungserleben hängt daher

besonders von dem eigenen sozialen Kontext, sowie von Handlungsbewertungen

anderer ab.46

1.5. Subjektentwicklung als Befähigungs- und Bildungsprozess

Der Begriff der Befähigung findet sich im sozialwissenschaftlichen Kontext vor

allem in dem Empowerment Ansatz, maßgeblich durch den Sozialwissenschaftler

Julian Rappaport hervorgebracht, und in dem von dem Ökonomen Amartya Sen und

der Moralphilosophin Martha Nussbauch hervorgebrachten capability approach

wieder. Empowerment, als Selbstbefähigung und Selbstermächtigung verstanden, ist

ein Ansatz, der Menschen dazu ermächtigen soll, verlorengegangene Fähigkeiten

zurückzuerlangen, sowie die Unüberschaubarkeiten und Belastungen des Alltags in

eigener Kraft zu bewältigen, indem er das Vertrauen in die Stärken des Menschen

setzt.47 Der capability approach oder auch Befähigungsansatz richtet sich auf die

Möglichkeiten der Menschen, ein gelingendes, selbstbestimmtes Leben zu führen.

Der Ansatz setzt nicht nur mit Befähigung an den individuellen Fähigkeiten des

Subjekts ans, sondern auch an den gesellschaftlichen und von der Umwelt bedingten

Möglichkeiten, diese Fähigkeiten hervorzubringen.48 In dieser Doppelbedeutung von

Befähigung liegt m.E. ein wichtiger Schlüssel für die Entwicklung des Subjekts. Die

Entfaltung von Subjektivität durch die Stärkung von Selbstbestimmung und

Selbstbewusstsein bedarf nicht nur der Orientierung an den Fähigkeiten des Subjekts,

sondern insbesondere auch der Schaffung von Bedingungen, welche diesen Raum

geben, sich zu entfalten.

Befähigung sollte sich demnach nicht nur auf Handlungsbefähigung richten, sondern

insbesondere die freie Entfaltung des Subjekts ermöglichen, indem es gesellschaft-

liche Freiräume dazu schafft. Solche Freiräume können im Besonderen durch

Bildungsprozesse initiiert werden. Da sich diese Arbeit der Ästhetischen Praxis

zuwendet, sind hier vor allem ästhetisch-kulturelle Bildungsprozesse gemeint.

Eine passende Umschreibung kultureller Bildung liefert Max Fuchs mit der

Metapher vom ‚aufrechten Gang’, angelehnt an den deutschen Philosophen Ernst

Bloch. Diese erinnert an das Bild, das Meueler von Subjektivität als Entwicklung

‚vom kleinen zum großen Ich’ zeichnet. In dieser Metapher steckt zunächst das Bild

46 Vgl. Grundmann (2008) S.133-135 47 Vgl. Herriger (1997) S.13-14 48 Vgl. Heinrichs (2008) S.54

Page 16: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

1. Subjektivitätstheorie

16

des Gehens. Gehen ist nicht nur zielgerichtet, in dem Sinne, dass man sein Ziel selbst

auswählt oder sich dieses zumindest zu Eigen macht, sondern es ist auch ein Prozess,

bei dem man gegebenenfalls Orientierungshilfen und Wegweiser braucht oder die

Richtung im Gehen selbstbestimmt ändert. Der zweite Aspekt der Metapher, das

Aufrechte beim Gehen, zeugt nicht nur von Selbstbewusstsein, sondern ermöglicht

dem Subjekt auch sich einen Überblick zu verschaffen und sich damit die

Orientierung zu erleichtern.49 Bildung in diesem Sinne ist also „ein Prozeß, ist

Tätigkeit, ist selbstbewusst und selbstbestimmend“50. Das Bild des ‚aufrechten

Ganges’ richtet sich gegen alle Formen von Unterdrückung und ist ein ständiger Akt

der Emanzipation. Es richtet sich außerdem auf die „Verwirklichung von Menschsein

auf dem je höchsten Niveau“51 und schließt dabei insbesondere die ästhetisch-

kulturellen Bedürfnisse des Menschen mit ein.

Fuchs beschreibt noch weitere Facetten von Bildung. Sie ist ein „Ganzheitsbegriff,

der alle Dimensionen von Menschsein (..) einschließt[;] (..) Bildung schließt ein die

Herstellung eines bewussten Verhältnisses zu sich, zu seiner Vergangenheit und

Zukunft, zu seiner natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt[;] (..) Bildung ist

gelebte Subjektivität, wenn mit dieser ein Verständnis gemeint ist (..) [,] das den

Aspekt, Aktivitätszentrum des eigenen Lebens zu sein, hervorbringt.“52

„Bildung geschieht ausschließlich in der Wechselwirkung zwischen Ich und Welt,

durch die subjektive Gestaltung der Welt und ihre Rückwirkung auf das gestaltende

Subjekt, also im Hin und Her, das nicht planbar ist.“53 Deshalb sind

Bildungsprozesse notwendig, in denen sowohl die Aneignung von Neuem, als auch

die kreative, selbstgestalterische Fähigkeit des Subjekts gefordert sind.

1.6. Das schöpferische Subjekt

In der historischen Entwicklung des Subjektbegriffs liegt die Betonung meist auf

dem aufklärerischen vernunftorientierten Denken, Wollen und Handeln. Eine Wende

vom denkenden Subjekt zum empfindenden Subjekt findet jedoch in der Romantik

Anfang des 19. Jh. statt. Hier wird die „Freisetzung der Kräfte groß und tief

empfundener Gefühle“54 betont. Nicht nur die unberührte Natur, sowie die Einheit

49 Vgl. Fuchs (1998) S.13-14 50 Fuchs (1998) S.14 51 Fuchs (1998) S.14 52 Fuchs (1998) S.15 53 http://www.paedagogik.phil.uni-erlangen.de/mitarbeiter/liebau/kultur-und-geist.pdf Abruf:01.02.10. S.9 54 Meueler (1993) S.108

Page 17: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

1. Subjektivitätstheorie

17

von Leib und Seele wird neu entdeckt, sondern auch die schöpferische Freiheit des

Subjekts durch Phantasie, Poesie, Spontanität, Intuition und Inspiration. „Spontanität

erscheint als denkbarer Kern aller Subjekthaftigkeit, weil sie das Objektsein, das Sein

als berechenbares Objekt, durchdringt und überspringt.“55

In einer vernunftbetonten Zeit bedarf es demnach für die Subjektentwicklung der

Schaffung von Frei- und Spielräumen zur Wiedererlangung und Aneignung

spontaner und kreativer Kräfte. Das Subjekt ist mit neuem kreativen

Aktivitätspotential auszustatten, das erkennbar ist „an Vitalität, Initiative und

Ausdauer, Neugier, Impulsivität, Intuition, Inspiration, Freude an unkonventionellen

Einfällen, Witzigkeit, Auffassungstempo, Flüssigkeit im Einfall.“56 Da das Ausleben

persönlicher Kreativität von sozialen Chancen, sowie von der eigenen Biographie

abhängig ist, sind zum einen gesellschaftliche Experimentierräume zu schaffen und

zum andern ist der Einzelne in seiner Bereitschaft zur bewussten Subjektentwicklung

zu ermutigen. Foucault spricht davon „sich selbst zum Objekt einer komplexen und

schwierigen Ausarbeitung zu machen, statt sich als der zu belassen, der man ist.“57

Dazu verwendet er den Begriff der Lebenskunst, die für ihn maßgeblich durch

Reflexivität bestimmt ist. Sie lässt sich beschreiben „als die Erarbeitung neuer

Formen des Lebens, als die Formung und Transformation seiner selbst, als der

Versuch zur Durchdringung und Intensivierung der Existenz“58.

1.7. Soziale Subjektivität versus Selbstversessenheit

„Autonomie nenne ich das Vermögen der Selbsterhaltung, Souveränität das Vermögen der Selbstverschwendung. Ohne Souveränität wird Autonomie zum

Verhängnis.“ Dietmar Kamper, Soziologe59

Der Mensch, der von Kind an auf Kommunikation und Interaktion angewiesen ist,

erlebt seine Realität vor allem als eine durch Beziehungen vermittelte und gedeutete

Wirklichkeit. Subjekte sind im gesellschaftlichen Lebenszusammenhang vor allem

Träger beruflicher und sozialer Rollen. Eine Marktgesellschaft, die durch

Konkurrenz, Selbstbehauptung und Selbstdurchsetzung geprägt ist, fordert in erster

Linie in diesen Rollen Funktionalität von ihren Subjekten. Ich-Identität, die dem

Philosophen und Sozialpsychologen George H. Mead zufolge „in der

55 Meueler (1993) S.109 56 Meueler (1993) S.110 57 Schmid (1991) S.28 zit.n. Meueler (1993) S.110 58 Schmid (1991) S.29 zit. n. Meueler (1993) S.111 59 Zit. n. Meueler (1993) S.102

Page 18: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

1. Subjektivitätstheorie

18

Auseinandersetzung mit den Erwartungen bedeutsamer anderer entsteht“60, verlangt

jedoch mehr als ein reines Funktionieren in vorgegebenen Strukturen. Hier kommen

Bedürfnisse nach Anerkennung, danach geliebt und glücklich zu sein, zum Tragen

die einer Antwort bedürfen. Diese Antwort findet sich in der wechselseitigen

Anerkennung der Subjekte, welche Vorraussetzung für deren Entwicklung ist und

damit die Grundlage für die Entwicklung von Selbstständigkeit, Selbstvertrauen,

Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung bildet.61

Mit dem Aufkommen des New Age und der damit verbundenen Selbstverwirk-

lichungsideologie entwickelte sich eine Überbetonung des Selbstbezugs, der sich in

der Herauslösung des Einzelnen aus gesellschaftlichen und sozialen Verhältnissen

und die Fokussierung auf das ‚Mit- sich- selbst- Experimentierens’ kennzeichnet.

Der Psychoanalytiker Horst E. Richter bezeichnet den Glauben, „neben der

Gesellschaft, in deren Prozesse man durchgängig verwickelt ist, eine gesonderte

humanitäre Psychokultur pflegen zu können“62 als ‚narzisstische Selbsttäuschung’

und Meueler spricht von einer ‚Verklärung von Individualisierung als Vereinzelung’.

Subjektivität strebt demnach keine absolute Autonomie an, sondern „realisiert sich in

der Dialektik von angestrebter Selbstbestimmung und Angewiesensein auf andere“63.

Sie ist nicht lediglich auf sich selbst bezogen, sondern bewegt sich in

verantwortender Haltung auf den anderen zu. Diese Übernahme von Verantwortung

beschreibt der Theologe K.E. Logstrup als wichtigen ‚Beitrag zum Mündigwerden

der Person’.64

1.8. Das Subjekt in der Jugendphase

Die Entstehung der Jugendphase, als eine Art ‚Schonraum’ in dem sich die Subjekte

spezifischen Entwicklungsaufgaben zu stellen haben, geht mit der Industrialisierung

Ende des 19. Jh./ Anfang des 20. Jh. einher. Aufgrund technologischer Entwicklung-

en, die bestimmte Qualifikationen forderten, wurde eine längere Vorbereitungszeit

auf das Berufsleben eingeräumt und damit ein neuer Entfaltungsspielraum für Junge

Erwachsene. Dieser konzentrierte sich jedoch in erster Linie auf das wohlhabende

Bürgertum, sodass die Lebensphase Jugend, „als von den Zwängen der Arbeit

60 Meueler (1993) S.98 61 Vgl. Meueler (1993) S.97-99 62 Meueler (1993) S.106 63 Meueler (1993) S.100 64 Vgl. Meueler (1993) S.101

Page 19: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

1. Subjektivitätstheorie

19

freigesetzte Phase des Lernens und der Entwicklung“65, zunächst als Konstruktion

des Bürgertums gesehen werden kann.66

Innerhalb der industriellen Modernisierungsumbrüche konzentrierte sich der Staat

jedoch vor allem auf proletarische Großstadtjugendliche, die er als „krisengefährdete

und bedrohte Opfer“67 in den Blick nahm. Der pädagogischen Arbeit mit dem

Jugendlichen „ging es stets um Einpassung, Anpassung, Integration, Normen- und

Verhaltenskontrolle, Unterordnung, Disziplinierung und Vereinheitlichung“68, sodass

der Jugendliche „oftmals universalisierend unreflektiert als verwahrloste, kriminelle,

verbrecherische, gottlose und (..) als lebenskorrektionsbedürftige Person

stigmatisiert“69 wurde. Auch wenn diese negativen Konnotationen seit den 1920ern

vermehrt verschwanden, hat sich die sozialpädagogische Arbeit mit Jugendlichen

dieser Stigmatisierungsgefahr auch heute stets bewusst zu sein, dieser entgegen-

zuwirken, und Jugendliche immer im Zusammenhang mit den jeweiligen

gesellschaftlichen Strukturen und Lebensbedingungen zu sehen.

So sind auch die komplexen Entwicklungsanforderungen, welche die Jugendphase

kennzeichnen, „als soziale Anforderungen [zu betrachten], deren legitime

Bewältigungsformen sozial festgelegt werden und die vor dem Hintergrund

spezifischer und ungleicher Lebensbedingungen bewältigt werden“70.

Folgende besonderen Anforderungen der Jugendphase betont der Sozialwissen-

schaftler Klaus Hurrelmann: Die Entwicklung eines eigenen Wert- und Normen-

systems, eines ethischen Bewusstseins, eigener Handlungsmuster, der eigenen

Geschlechterrolle, eines sozialen Bindungsverhaltens sowie interkultureller und

sozialer Kompetenzen.71

Die Erziehungswissenschaftler Wilfried Ferchhoff und Georg Neubauer beschreiben

in ihrem Katalog von Entwicklungsaufgaben weitere Herausforderungen der

Jugendphase. Jugendliche stehen demnach folgenden Anforderungen gegenüber: Der

Akzeptanz der eigenen körperlichen Erscheinung und dessen effektiver Nutzung, der

Lockerung, Ablösung und Gewinnung emotionaler Unabhängigkeit von den Eltern,

einer qualifikationsbezogenen Vorbereitung der beruflichen Karriere, der

Vorbereitung auf Heirat und Familienleben, der Gewinnung eines sozial-

65 Scherr (2006) S.86 66 Vgl. Hurrelmann (1985) S.29-30 67 Ferchhoff (2007) S.28 68 Ferchhoff (2007) S.29 69 Ferchhoff (2007) S.29 70 Scherr (2006) S.88 71 Vgl. Fuchs (2001) S. 96-98 nach Hurrelmann (1985) S.125

Page 20: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

1. Subjektivitätstheorie

20

verantwortungsvollen Verhaltens, der Entwicklung eines relativ stabilen

Selbstkonzeptes, der Aufnahme intimer und emotionaler Beziehungen zum Partner

sowie dem Entwurf eines eigenen Lebensplans.72

Der Sozialwissenschaftler Lothar Böhnisch beschreibt die Jugendphase als „eine

personale Konstellation, die wesentlich durch die Pubertät und ihre soziale Resonanz

strukturiert ist“73, mit dem Begriff der ‚Bedürftigkeit’. „Es handelt sich hierbei um

eine leibseelische, geschlechtstypisch geprägte Zustandsbefindlichkeit Jugendlicher,

in der sich Ungewissheit, Unwirklichkeit, Minderwertigkeit, Omnipotenzgefühl und

Selbstbehauptung gleichermaßen mengen.“74 Damit ist kein Defizit gemeint, sondern

ein innerer Antrieb, der als „ein Suchen nach dem eigenen Selbst bei sich und mit

anderen, immer in der Spannung zu den gesellschaftlichen Erwartungen“75 gewertet

werden kann. Angesichts der Individualierungs- und Pluralisierungsprozesse besteht

die größte Herausforderung für Jugendliche in der Postmoderne darin, „ihre Identität,

Biographie und ihren Sinn - im Rahmen gesellschaftlicher Vorgaben und Zumu-

tungen und einem beständigen Stilwandel der Jugendkulturen im Zugriff von Markt

und Massenmedien, (..) – selbst [zu] ‚basteln’, (..) den ‚Faden ihres Lebens’ selbst zu

finden.“76

1.9. Subjektorientierung in der sozialpädagogischen Arbeit mit Jugendlichen

Das neue subjektorientierte Denken sowohl zum Individuum hin, als auch zu den

Verhältnissen in denen es lebt, sowie das Fördern von Zutrauen des Menschen zu

sich selbst, kann als ein Beitrag des Humanismus gewertet werden.77 Welche

Bedeutung hat aber die Subjektorientierung in der sozialpädagogischen Arbeit mit

Jugendlichen?

Subjektivität kann weder als sozial determiniert, noch als naturgegeben gesehen

werden. Subjekttheorien gehen demnach nicht von dem Subjekt als Marionette

gesellschaftlicher oder naturgegebener Verhältnisse aus, sondern setzen an der

Selbstbestimmungsfähigkeit des Einzelnen an.78 Die Subjekte sollen demnach dazu

berechtigt und befähigt werden, ihr „Leben auf der Grundlage einer bewußten

Auseinandersetzung mit den vorgegebenen gesellschaftlichen Lebensbedingungen

72 Ferchhoff/ Neubauer (1989) S.121-122 73 Böhnisch (2001) S.197 74 Böhnisch (2001) S.197 75 Böhnisch (2001) S.197 76 Hafeneger (2003) S.115 77 Vgl. Abels (2006) S.94 78 Vgl. Scherr (2006) S.170-171

Page 21: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

1. Subjektivitätstheorie

21

selbst bewußt zu gestalten.“79 Die gesellschaftlichen Strukturen können dabei nicht

einseitig als Begrenzung der Selbstbestimmungs- und Selbstbewusstseinsfähigkeit

betrachtet werden, da sie diese Fähigkeiten ebenso hervorbringen, indem sie die

Bedingungen der Entwicklung des Subjekts schaffen.

Als wichtiger Ausgangspunkt für die Entfaltung von Subjektivität gilt die Erfahrung

von sozialer Anerkennung. „Nur wenn wir die Erfahrung machen, daß unsere

besonderen Eigenschaften, das, was uns als Person ausmacht, sozial anerkannt und

respektiert wird, können wir auch uns selbst als Person anerkennen und achten,

Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen entwickeln“80. Anerkennungsverhältnisse sind

fern von Macht- und Herrschaftsstrukturen als wechselseitiges Respektieren zu

charakterisieren. Das Menschenwürde-Axiom, dass die Würde des Menschen

unantastbar ist, verweist darauf, dass jede Person ausnahmslos als „ein

unverwechselbares und besonderes Individuum“81 zu sehen ist. Dieser Grundsatz der

Menschwürde wird in vielen, auch in unseren gesellschaftlichen Strukturen nicht

immer umgesetzt. Deshalb sind soziale Konflikte nicht nur „Auseinandersetzung

über die Verteilung materieller Güter und Ressourcen, sondern [ebenso] Versuche,

dem Anspruch auf Anerkennung der eigenen Person Geltung zu verschaffen.“82

Da in der Lebensphase Jugend Wertschätzung und Selbstachtung aufgrund ihrer

Charakterisierung als Übergangsphase von ‚nicht mehr Kind zu noch nicht

Erwachsener sein‘ und der damit verbundenen Unsicherheit besonders in Frage

gestellt werden, sind diese Themen für Jugendliche besonders zentral. Sie müssen

sich der Aufgabe stellen, „jene Fähigkeiten, Qualifikationen und Persönlichkeits-

eigenschaften zu erwerben, über die man verfügen muß, um als sozial respektabler

Erwachsener gelten zu können.“83

Die sozialpädagogische Aufgabe besteht demnach darin, Jugendlichen zu

ermöglichen, „mehr oder weniger experimentell, mehr oder weniger spielerisch oder

ernsthaft, für sie selbst akzeptable und sozial anerkennungsfähige Lebensentwürfe

[zu] erproben.“84

Als weiterer zentraler Begriff für die Entwicklung von Subjektivität steht neben

Selbstachtung und Anerkennung die Entwicklung von Selbstbewusstsein. Dieser

79 Scherr (1997) S.46 80 Scherr (1997) S.51 81 Scherr (1997) S.51 82 Scherr (1997) S.52 83 Scherr (1997) S.52 84 Scherr (1997) S.54

Page 22: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

1. Subjektivitätstheorie

22

Begriff bezeichnet zum einen die emotionale Haltung, die wir uns selbst gegenüber

haben und zum anderen das Wissen, das wir von uns selbst haben, das sich in der

Fähigkeit ausdrückt „in Reaktion auf äußere Reize nicht einfach nur zu handeln und

zu empfinden, sondern sich selbst zum Gegenstand distanzierter Betrachtung zu

machen.“85 In einem reflexiven Vorgang können eigene Bedürfnisse, Motive,

Gründe oder Interessen in ein sprachlich fassbares Wissen überführt werden, sodass

das Subjekt in der Lage ist, „zwischen Handlungsalternativen abzuwägen, eigene

Bedürfnisse bezüglich ihrer Ursachen und Folgen zu bedenken, sowie das aktuelle

Handeln in Bezug zur eigenen Vergangenheit und Zukunft zu setzen.“86

Selbstbewusstsein drückt sich insbesondere darin aus, in der Lage zu sein, innere und

äußere Zwänge situativ außer Kraft zu setzen.

Für die Arbeit mit Jugendlichen bedeutet dies, Angebote zu schaffen, die den

Jugendlichen eine Auseinandersetzung mit der eigenen Person und dem eigenen

Lebensentwurf ermöglichen. Es sollten Bildungsprozesse initiiert werden, in denen

die Entwicklung von Selbstbewusstsein angeregt und ermöglicht wird.

Als einen letzten bedeutenden Aspekt für die Bildung von Subjekten möchte ich den

Begriff der Selbstbestimmung betrachten. Selbstbestimmung, zu verstehen als

Fähigkeit das eigene Leben selbst und bewusst zu gestalten, sowie sich an

gesellschaftlicher und politischer Gestaltung zu beteiligen, kann durch materielle

Unterversorgung, politische, soziale und kulturelle Bedingungen begrenzt werden.

Eine besondere Rolle spielt dabei die berufliche Rolle der Subjekte und deren

Handlungs- und Entscheidungsautonomie. Kulturelle Selbstbestimmung beinhaltet

die Fähigkeit, „über Sprache und Medien verfügen zu können, in denen Erlebnisse,

Bedürfnisse, Wünsche und Hoffnungen artikuliert werden können.“87 Soziale

Selbstbestimmung ist durch das Vorhandensein von sozialen Netzwerken,

Freundschafts- und Kooperationsbeziehungen, sowie den bewussten Umgang mit

den Beziehungen, in denen man lebt, zu beschreiben.

Die Arbeit mit Jugendlichen hat sich an deren Lebenswirklichkeit zu orientieren, mit

dem Ziel, Beschränkungen eines selbstbestimmten Lebens aufzudecken und diese

abzubauen. Soziale und materielle Lebensbedingungen der Jugendlichen sind in den

Blick zu nehmen und zu verbessern. Ebenso sind durch partizipative Strukturen die

gesellschaftliche und alltagsbezogene Mitgestaltung der Jugendlichen zu fördern.

85 Scherr (1997) S.54 86 Scherr (1997) S.55 87 Scherr (1997) S.58

Page 23: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

2. Tanz

23

Abschließend lassen sich folgende Aspekte für eine subjektorientierte sozial-

pädagogische Arbeit mit Jugendlichen, die auf eine Kultur der Anerkennung, auf

Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung zielt, festhalten. Es geht um die

Herstellung sozialer Handlungsstrukturen, die durch Anerkennung gekennzeichnet

sind und in denen autonomen Subjekten zum Einen gemeinsames Handeln und zum

Anderen Erfahrungen als gestaltungsfähiges Subjekt ermöglicht wird. Egalitäre

Entscheidungsstrukturen in denen Erfahrungen der Teilhabe gemacht werden können

sind ebenso wichtig wie das Erleben der eigenen Stärke als Gegenerfahrung zu

gesellschaftlichen Ohnmachtserfahrungen. Das Initiieren von Bildungsprozessen zur

Förderung und Entfaltung der eigenen Fähigkeiten und zur reflexiven

Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte und –situation bildet den

wichtigsten Kern in der Arbeit mit Jugendlichen.88

Bildungsprozesse, die zu sozialer Subjektivität befähigen, lassen sich m.E. im

Besonderen in der Ästhetischen Praxis wiederfinden. Ich möchte mich im Speziellen

der Praxis zuwenden, die sich mit dem Medium Tanz auseinandersetzt. Bevor ich

den Zusammenhang zwischen Bildung zu Subjektivität und der Durchführung

tanzästhetischer Projekte herstelle, möchte ich im folgenden Kapitel genauer

konstituieren um welche Tanzform es sich hier handelt. Diese werde ich anhand

wichtiger Aspekte und Wirkungsweisen charakterisieren.

2. Tanz

„Nichts offenbart die menschliche Seele so klar und unvermeidbar wie Bewegung und Gestik. (..) in dem Moment, in dem Du Dich bewegst, stehst du offen da, ob

gesund oder krank, so wie du bist.“ Doris Humphry89

Tanz bewegt nicht nur den Körper, sondern er „betrifft den ganzen Menschen, sein

Erleben, seine Emotionalität, sein Verhalten, seine Kognition und seine sozialen

Bezüge.“90 Er kann als ‚Quelle der Freude’ nicht nur zur stützenden Ressource der

alltäglichen Lebensbewältigung werden91, sondern ermöglicht, wie die Tänzerin

Doris Humphry es in dem obigen Zitat ausdrückt, auch einen persönlichen,

authentischen Selbstausdruck.

88 Vgl. Scherr (1997) S.139 89 Zit. n. Willke/ Hölter/ Petzold (1991) S.79 90 Jäger/ Kuckhermann (2004) S.204 91 Vgl. Jäger/ Kuckhermann (2004) S.205

Page 24: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

2. Tanz

24

Hier sei die Rede vom Zeitgenössischen Tanz, auf dessen historische Entwicklung

ich im Folgenden einen Blick werfen möchte, da dieser für das Verständnis der

Zusammenhänge dieser Tanzform unabdingbar ist. Nach einer Auseinandersetzung

mit dem Körper als Kern menschlicher Bewegung sollen weitere bewegungs-

theoretische Aspekte des Tanzes betrachtet werden. Abschließen möchte ich dieses

Kapitel mit verschiedenen Perspektiven auf die Wechselwirkungen zwischen Tanz

und dem Subjekt. Auch wenn ich nicht immer explizit den Zeitgenössischen Tanz

benenne, sondern von dem Tanz allgemein spreche, beziehen sich die Überlegungen

auf den Kontext des Zeitgenössischen und Modernen Tanzes.

2.1. Wichtige Aspekte des Zeitgenössischen Tanzes

Die künstlerische Kategorie Tanz, welche durch ihre vielseitigen Facetten und

pluralen Erscheinungsformen gekennzeichnet ist, bedarf für diese Arbeit einer

Einschränkung. Ich möchte mich an dieser Stelle dem künstlerischen

Zeitgenössischen Bühnentanz zuwenden, der sich insbesondere von Formen des

Gesellschafts- und Volkstanzes abgrenzt und an der Bewegung des Ausdruckstanzes

anknüpft. Er lässt sich kennzeichnen durch Aspekte des Modernen Tanzes, des

kreativen Tanzes, des New Dane, sowie des Tanztheaters.

2.1.1. Historische Betrachtungen

Die Ausdruckstanzbewegung und auch der Moderne Tanz fanden ihren Anfang in

den 1920er Jahren in „Zusammenhang mit anderen künstlerischen, sozialen und

pädagogischen Reformbestrebungen“92 als eine Art Protest gegenüber „den

sinnentleerten, erstarrten Ausdrucksformen und Bewegungsmustern des Klassischen

Balletts, gegenüber den gesellschaftlichen Zwängen, gegenüber den vorherrschenden

bürgerlichen Werten, Ordnungen und Moralvorstellungen.“93 Während Isadora

Duncan (1878-1927) und Martha Graham (1894-1991) in den Vereinigten Staaten als

Pioniere des Modern Dance stehen, stellen in der deutschen Tanzbewegung Rudolf

von Laban (1879-1958) und seine Schülerin Mary Wigman (1886-1973) die

Leitfiguren des Ausdruckstanzes und des Modernen Tanzes dar.94 Durch die

Dominanz des Klassischen Balletts, sowie aufgrund der Behinderungen durch den

Nationalsozialismus, kämpfte der Moderne Tanz in Deutschland um Anerkennung,

92 Fleischle-Braun (2000) S.23 93 Fleischle-Braun (2000) S.27 94 Vgl. Fleischle-Braun (2000) S.23 und Postuwka (1999) S.21

Page 25: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

2. Tanz

25

während sich die Bewegung in den Vereinigten Staaten schneller und ungebrochener

entwickelte.95

Der sich im Aufbruch ins 20. Jh. vollzogene Wandel kann als „Epoche der Wendung

zum Menschen hin“ 96 bezeichnet werden. Die „verschiedenen Kulturkritiken, die sich

gegen die erstarrten Konventionen, die Vermassung der Gesellschaft, die Unter-

drückung der Gefühle und der Phantasie zugunsten des Verstandes und gegen den

Intellektualismus wandten“97, bewegten einen Sinneswandel in Europa und den

USA.

Duncan wendete sich gegen diese gesellschaftlichen Zwänge, indem sie „für einen

freieren Umgang mit dem Körper“98 eintrat. Dafür machte sie sich auf die Suche

nach ‚natürlichen und ursprünglichen’ Bewegungen, indem sie sich im Besonderen

mit der Natur auseinandersetzte. Tanz war für Duncan entweder ein Akt der Selbst-

entäußerung, inspiriert durch innere emotionale Stimmungen, oder eine Visualisier-

ung der Musik durch Einfühlung.

Bei Laban zeigte sich ebenfalls, dass die subjektivistische Ausrichtung und

Orientierung am Individuum zur Jahrhundertwende Einzug in die Tanzkunst erhielt.

Für ihn stand „die Persönlichkeitsbildung durch den Tanz von Anfang an im

Zentrum des Blickfelds.“99 Laban formulierte nicht nur „grundlegende Gedanken zur

Tanzpädagogik und einer systematischen Bewegungsanalyse“100, sondern trug in den

1930er Jahren vor allem erheblich zu einer verbesserten gesellschaftlichen Lage und

Anerkennung von TänzerInnen bei, indem er nicht nur Kongresse für TänzerInnen

organisierte, sondern auch eine Berufsorganisation, sowie eine Tanzhochschule

gründete.101 Sein Interesse galt dem Erforschen jeglicher, der Natur des Körpers

innewohnenden, menschlichen Bewegungsmöglichkeiten, insbesondere unter den

Aspekten von Raum und Dynamik.102 Da Laban sich auf die intensive Beschäftigung

mit menschlichem Bewegungsvokabular konzentrierte, löste er den Tanz aus seiner

Abhängigkeit zur Musik und strebte in seinen Choreographien ein ebenbürtiges

Verhältnis dieser an.103

95 Vgl. Kaltenbrunner (2009) S.15-16 96 Postuwka (1999) S.73 97 Postuwka (1999) S.73 98 Lampert (2007) S.110 99 Postuwka (1999) S.73 100 Fleischle-Braun (2000) S.53 101 Vgl. Fleischle-Braun (2000) S.53-54 102 Mit Dynamik meint Laban immer auch die Aspekte von Antrieb und Ausdruck. 103 Vgl. Fleischle-Braun (2000) S.55-59

Page 26: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

2. Tanz

26

Auch wenn ich hier in Kürze nur auf die Arbeit von Duncan als amerikanische

Vertreterin und Laban als europäischen Vertreter der Bewegung des Modernen

Tanzes eingegangen bin, lohnt es sich die Arbeit vieler weiterer Mitbegründer des

Modernen Tanzes zu betrachten, was jedoch für diese Arbeit zu weit greifen würde.

Vielmehr möchte ich die Entwicklungen des Tanzes noch etwas weiter zeichnen.

Im Gegenzug zum Klassischen Ballett gestaltet sich der Moderne Tanz insbesondere

durch „weniger Körperkontrolle durch Muskelspannung; mehr elementare

Bewegungen wie Laufen, Hüpfen, Springen; mehr Fluss durch das Einbringen der

Atmung in der Bewegung; mehr Bewegung im Oberkörper (..); weniger

Körperformung durch die stete Wiederholung eines fixierten Bewegungsvokabulars

in Angesicht von Schweiß und Schmerz“104, sowie durch den Verzicht auf

Spitzentanz aus, an dessen Stelle der Barfuß Tanz titt. Moderner Tanz ist weniger an

Leistung und Körperformung interessiert, sondern zeichnet „sich vielmehr durch

inhaltliche Ziele, wie etwa dem Ideal der Erlangung eines ‚natürlichen’

selbstbestimmten Körpers“105 aus. Dennoch entwickeln sich in den USA, anders als

in der deutschen Ausdruckstanzbewegung, ab den 1930er Jahren normierte

Tanztechniken mit einem fixierten Bewegungsvokabular, die benannt sind nach

deren BegründerInnen Doris Humphrey, Lester Horton, Martha Graham, José Limon

und Merce Cunningham.106

Durch eine radikale Neudefinierung von Tanz „hinsichtlich des Umgangs mit Raum,

der Musik, der Thematik und der Bewegung“107, gründet sich in den 1950er und

1960er Jahren in den USA mit dem Choreographen Merce Cunningham und dem

New Yorker Tänzerkollektiv Judson Church Dance Theatre der Postmodern Dance.

Während der Modern Dance „aus einem starken inneren Ausdrucksbedürfnis

entstanden war“108, standen nun für den Postmodern Dance, insbesondere für

Cunningham „abstrakte, formale, entsymbolisierte Bewegungen (..) ästhetisch im

Vordergrund.“109 „Bewegung sollte nichts mehr ‚bedeuten’, sondern ‚reine’

Bewegung ‚sein’ und sich selbst genügen. (..) Zufall trat an die Stelle von Sinn.“110

Das Judson Dance Theatre verabschiedete sich schließlich ganz von besonderer

Tanztechnik und spezifischem Tanzvokabular. Sie „benutzten in ihren

104 Lampert (2007) S.111 105 Lampert (2007) S.111 106 Vgl. Lampert (2007) S.112 107 Postuwka (1999) S.64 108 Postuwka (1999) S.64 109 Lampert (2007) S.115 110 Kaltenbrunner (2009) S.17

Page 27: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

2. Tanz

27

Improvisationen alltägliche Bewegungen, wie Sitzen, Liegen, Rollen, Fallen.

Bewegungen, die kein Tanztraining benötigen, sodass jeder sie aufführen (..)

kann.“111 Neben der Zusammenarbeit mit verschiedenen MusikerInnen,

PerformancekünstlerInnen und anderen Kunstrichtungen, experimentierte dieses

Tanzkollektiv auch mit surrealen Dingen. „Aus diesen Experimenten wiederum

fanden neue Tanztechniken ihren Namen: die Contact Improvisation und New

Dance.“112

Steve Paxton, der Teil der Judson Church Group war, gilt als Begründer der Contact

Improvisation. „Die Prinzipien der Contact Improvisation, die sich durch das

Erforschen des Verhältnisses des Körpers zur Schwerkraft und zu anderen Körpern

auszeichnet, fordert von den Tänzer [!] einen Körper, der über den Tastsinn (den

Kontakt) und über das Spüren, Bewegung generiert und weniger über das

Visuelle.“113 Durch ständigen Körperkontakt, dem Spiel mit der Balance, sowie

Gewichtsverlagerungen und -übertragungen entstehen in einem kreativen Prozess

zwischen den TänzerInnen gemeinsame Roll- und Hebefiguren, sowie ein

gemeinsamer Bewegungsfluss.

Der New Dance, auch als Neuer Tanz bezeichnet, entwickelte sich Anfang der

1970er Jahre durch eine Gruppe experimenteller TänzerInnen in England.

„Wichtigste dem New Dance zugrunde liegende Idee ist, dass jeder Mensch

einzigartig in seinem Bewegungspotenzial ist und die Quellen für die Bewegungen

im eigenen Körper liegen.“114 „Die Technik des Neuen Tanzes besteht aus einem

Wechselspiel von Spannung und Entspannung im Körper und fokussiert den

minimalen Kraftaufwand in der Bewegung.“115 Durch eine Abwendung von

technischer Perfektion und extremen Leistungsanforderungen, findet im New Dance

eine Demokratisierung des Tanzes statt, der sich dadurch vor allem auch im Laien-

Tanz Bereich verbreitet.116

Hier mündet nun die Linie der Ausdruckstanzbewegung, die sich über den

Modernen Tanz bzw. Modern Dance, den Postmodern Dance, die Contact

Improvisation und den New Dance verfolgen lässt, in den 1980er Jahren in den

Zeitgenössischen Tanz, der auch als Contemporary Dance bezeichnet wird. Der

111 Kaltenbrunner (2009) S.20 112 Lampert (2007) S.115 113 Lampert (2007) S.115 114 Lampert (2007) S.116 115 Lilo Stahl zit. n. Kaltenbrunner (2009) S.22 116 Vgl. Kaltenbrunner (2009) S.22

Page 28: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

2. Tanz

28

Zeitgenössische Tanz lässt sich nicht mehr wie die Avantgardebewegung Anfang des

20. Jh. als reine Gegenkultur verstehen, sondern ist eher als ein gesellschaftlicher

Spiegel zu charakterisieren. Er versucht „die bisherigen ästhetischen und stilistischen

Kategorien bewusst zu überschreiten und zu überwinden“117, was sich zum einen in

den vielen Mischformen bisheriger Tanztechniken erkennen lässt und zum anderen

in der Integration verschiedener anderer Künste, insbesondere von Film- und

Bildproduktionen. Im Zeitgenössischen Tanz lässt sich „eine Tendenz zum

‚Dekonstruktivismus’ der tänzerischen Bewegungsformen und –strukturen“ erken-

nen, der als Grundlage zur Erforschung neuer physikalischer Gesetze und Möglich-

keiten menschlicher Bewegung dient. Im Fokus steht dabei „eine subjektiv-

bestimmte, schöpferische Entwicklung des Bewegungspotentials- und materials“118.

Der professionelle zeitgenössische Tänzer definiert sich nicht über eine bestimmte

Tanztechnik, sondern birgt verschiedene Techniken, mit internationalem Einfluss in

sich und setzt diese situativ different ein.119 Als ein künstlerisch-dramaturgisches

Inszenierungskonzept des Zeitgenössischen Tanzes gilt das Tanztheater. Dieses lässt

sich kennzeichnen als „desillusionierendes, körperliches und sinnliches Theater,

dessen künstlerische Mittel aus der Tradition von Berthold Brechts epischem Theater

kommen, wie beispielsweise Montage, Verfremdung, Anwendung der Collage-

Technik bei der Reihung von Bildern und Szenen (..).“120 Pina Bausch (1940-2009),

als bedeutendste Vertreterin des deutschen Tanztheaters, versuchte in ihren Stücken

‚das Unsichtbare sichtbar zu machen’ indem sie sich auf die Suche nach

unterschiedlichen Ausdrucksformen des Körpers, sowie nach Alltagsbewegungen

machte, und das Denken und Sprechen ebenso mit einschloss.121 Zeitgenössischer

Tanz kann demnach als eine Form gekennzeichnet werden, die verschiedenste

künstlerische, tänzerische Aspekte integriert und daher in einer Vielfalt an

Erscheinungsformen vorkommt.

Als Grundlage im Tanz dient die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper,

weshalb ich mich diesem Aspekt folgend widmen möchte.

117 Fleischle-Braun (2000) S.145 118 Fleischle-Braun (2000) S.151 119 Vgl. Lampert (2007) S.117 120 Fleischle-Braun (2000) S.114 121 Vgl. Fleischle-Braun (2000) S.115

Page 29: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

2. Tanz

29

2.1.2. Körper

Wenn man den Umgang mit Körper, Leib und der Bewegungskultur gegenwärtig

betrachtet, kann man eine doppelte Beobachtung machen. Die Postmoderne ist

gekennzeichnet durch ‚Körpervergessenheit’ und gleichzeitige ‚Körperver-

sessenheit’. Durch eine fortschreitende Entwicklung von Maschinen, Autos und

Computern gerät der Alltag in eine Art Bewegungslosigkeit.122 „Für die zunehmend

komplexer werdenden Probleme [der Gesellschaft] werden immer komplexere Ant-

worten benötigt. Die körperliche Komponente ist bei den anstehenden Lösungs-

versuchen aufgrund ihrer Langsamkeit, Emotionalität, Sinnlichkeit etc. ein

Störfaktor.“123 Sie wird zur ‚Schwundmasse der Moderne’. Die Vergesellschaftung

des Körpers, welche sich in der Forderung nach Konformität, Perfektion, Disziplin

und Gefühlsbeherrschung ausdrückt, verhindert den Zugang zu Selbsterfahrung und

damit den ‚authentischen Selbstausdruck’.124

Demgegenüber steht eine Vermehrung an Bewegungs- und Erlebnisaktivitäten

besonders im Bereich der Extrem-Sportarten, sowie eine Pluralisierung an

expressiven Körperstilen und bunten Selbstinszenierungen besonders im Bereich der

jugendlichen Subkulturen. Als Motiv für die Verlagerung der Bewegungs- und

Körperkultur in den Extrem- und Freizeitbereich nennt Liebau den Versuch „einen

über den Leib vermittelten Zugang zur eigenen Person zu finden – Ersatz für einen

auch leiblich erfahrbaren Alltag.“125 Die Herausforderung in der bewegungsorien-

tierten Arbeit mit Menschen liegt demnach darin, „eine zukunftsoffene

lebenspraktische Körper- und Bewegungssicherheit zu vermitteln, die gegen eine

Entfremdung vom eigenen Körper gerichtet ist.“126

Während der Körper in der empirischen Wissenschaft hauptsächlich als Träger von

Funktionen betrachtet wird, gehen geisteswissenschaftliche Ansätze von dem Körper

als ‚Bedeutungsträger’ aus und fassen dies in den Begriff der Leiblichkeit. Die

Integrative Therapie spricht von dem Leib „als beseelter, lebendiger Körper, der sich

selbst erlebt, seine Erlebnisse speichern kann, und ein Bild von sich selbst hat. Der

Leib nimmt sich selbst und die Welt wahr, ist sich seiner Selbst bewusst und kann

sich an Vergangenes erinnern. Er ist die Verbindung von materieller und

122 Vgl. Liebau (1999) S.111 123 Koch/ Rosse/ Schirp/ Vieth (2003) S.10 124 Vgl. Peter-Bolaender (1991) S.465 125 Liebau (1999) S.111 126 Becker (2000) S.474 zit.n. Koch/ Rosse/ Schirp/ Vieth (2003) S.11

Page 30: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

2. Tanz

30

transmaterieller Realität.“127 Der Leib ist auch gesellschaftlich durchdrungen, da wir

als „leibliche Wesen auf eine gemeinsame Welt [bezogen sind], selbst wenn diese

nicht für uns alle dasselbe bedeutet“128.

Damit umschreibt der Leib-Begriff nicht nur die somatischen Dimensionen, sondern

auch die kognitiven, psychischen und geistigen und gesellschaftlichen Aspekte der

Persönlichkeit. „Das Leibliche findet im Handeln, Lernen, in Kreativität und in der

Bewegung seinen Ausdruck und seine Verbindung zur Außenwelt.“129

Als weiteren elementaren Aspekt des Tanzes, möchte ich die Bewegung folgend

betrachten.

2.1.3. Bewegung

„Bewegungssequenzen sind wie Sätze in einer Sprache, sie sind die eigentlichen

Übermittler jener Dinge, die aus der Welt der Stille empordrängen.“130 Der Körper

dient der Bewegung als Mittler zwischen dem Innen und dem Außen. Durch ihn

werden in der Bewegung die eigene Veränderungsfähigkeit, sowie die Veränder-

barkeit der Umwelt begriffen.131 Im ‚Sichbewegen’ von Innen nach Außen wird die

Willensbewegung zur Lebensäußerung.132 Dies bedeutet jedoch nicht, dass die

körperliche Außenbewegung allein von einer durch Emotionen und Atmung

gesteuerten Innenbewegung bestimmt wird. Vielmehr bedingen diese sich gegen-

seitig. Eine Bewegung des Körpers ist nur möglich, wenn das seelische ‚Innere’ sich

wandeln will. Umgekehrt ist die Änderung des ‚Inneren’ nur möglich durch eine

körperliche Lebensänderung.133 Menschliche Bewegung kann also als Dialog des

Subjekts mit der Umwelt gesehen werden. Sie ist damit nicht von ihrem situativen

Kontext abzukoppeln. Der Bewegungsforscher J. Tamboer spricht von der

Bewegung als eine Art ‚Befragung’. „In der Bewegungshandlung »befragen« wir

unseren Dialogpartner nach seinen Möglichkeiten. Wir befragen beim Gehen den

Boden nach seiner Beschaffenheit oder beim Prellen den Ball nach seiner

Springfähigkeit.“134 In diesem Dialog entstehen subjektive ‚Bedeutungsrelationen’

die Einfluss auf das Erleben des Subjekts haben.

127 Rahm (19939 S.76 zit. n. Haas (1999) S.47 128 Meyer-Drawe zit.n. Klinge (2001) S.246 129 Haas (1999) S.49 130 Laban (1988) S.94-95 131 Vgl. Cabrera-Rivas (2001a) S.182 132 Vgl. Jacobs (1985) S.29 133 Vgl. Jacobs (1985) S.127 134 Rosenberg (1997) S.197

Page 31: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

2. Tanz

31

Jede Bewegung ist dem Axiom unterworfen, welches auch für die rein sprachliche

Kommunikation gilt: ‚Man kann nicht nicht kommunizieren’. Bewegung ist immer

Selbstoffenbarung und bringt das Sein des sich Bewegenden zum Ausdruck. Das

Hineinlegen eines bestimmten Ausdrucks in die Bewegung hat die Absicht etwas

bewusst zu vermitteln und findet sich im Besonderen im Bühnentanz wieder.

Bewegung kann jedoch nicht nur Ausdruck haben, sondern sie ist auch Ausdruck.

„Jeder Mensch hat seine individuelle Bewegungsweise, und jeder spricht mit seiner

Bewegung aus, was in ihm lebt.“135 Für den Tanz bedeutet dies, dass er sich nicht

allein in der Bewegung von Körperteilen ausgestaltet, sondern sich vor allem auf den

Menschen bezieht, der sich in seinem Weltbezug tanzend ausdrückt.136 „Tanz ist

Einheit von Ausdruck und Funktion, durchleuchtete Körperlichkeit, beseelte

Form.“137

2.1.4. Die Aspekte Raum, Zeit und Form im Tanz

Bewegung im Tanz ist immer unter räumlichen, zeitlichen und formgebenden

Aspekten zu betrachten. Zunächst möchte ich mich der Auseinandersetzung mit dem

Aspekt Raum im Zeitgenössischen Tanz widmen. Hierbei sind die Erschließung des

Raumes durch Tanz in allen Ebenen und Dimensionen, die Ausgestaltung des

Raumes durch Tanz, sowie die Erschließung neuer Tanzräume zu betrachten.

Wesentliche Raumkonzepte im Modernen Tanz gehen dabei auf die Erkenntnisse

von Laban zurück. Dieser trennte zunächst den Raum in den persönlichen Raum,

damit ist der die TänzerInnen umgebende Raum, bezeichnet als Kinesphäre, gemeint,

und in den Umgebungs- oder Tanzraum, den er als allgemeinen Raum bezeichnete.138

Der Moderne Tanz experimentiert sowohl mit Bewegungen innerhalb der

Kinesphäre, die sich insbesondere auf die eigene Wahrnehmung physischer

Bewegungsmöglichkeiten konzentrieren, als auch mit Raumrichtungen und Dimen-

sionen des allgemeinen Raums. Ausgangspunkt ist dabei die Idee eines Bewegungs-

zentrums im Körper, bei dessen Verlagerung die eigene Körperachse verlassen wird

und in sogenanntem ‚off-center-work’ neue Bewegungen in der Raumdiagonale, in

der Horizontale und in der Senkrechte erforscht werden. Auch das Oben, Unten,

insbesondere der Boden, und die mittlere Ebene des Raumes werden erforscht, sowie

die Bewegungsrichtungen nach Innen, Außen, Vorn und Hinten. Raumwege und

135 Jacobs (1985) S.99 136 Vgl. Rosenberg (1997) S.207 137 Wigman in Bach (1933) zit.n. Erdmann-Rajski (2001) S.137 138 Vgl. Postuwka (1999) S.102

Page 32: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

2. Tanz

32

Raumform können gerade, rund, eckig, direkt, indirekt, weit oder eng gestaltet

werden. Unter dem Aspekt ‚Space-Design’ wurde der Raum für den Tanz

choreographisch neu genutzt, indem man Bewegungen hinsichtlich ihrer

Wirkungsweise für den Raum neu betrachtete. Da Tanz nicht mehr allein auf

Theaterbühnen aufgeführt wurde, sondern auch zunehmend in Probenräumen, alten

Fabrikgeländen oder im öffentlichen Raum, konnten neue Tanzräume erschlossen

werden.

Der Tanz gestaltet sich in der Auswahl unterschiedlicher Tempi und Rhythmen, in

der Synchronisierung oder Nacheinanderreihung von Bewegungen, sowie in der

Arbeit mit Musik auch in zeitlichen Dimensionen. Zeitgenössischer Tanz bildet nicht

mehr einfach die zeitlichen Strukturen von Musik ab, sondern richtet sich auch nach

dem subjektiven Zeitempfinden der TänzerInnen. Indem nicht mehr nur der objektive

Rhythmus der Musik als Maßstab gilt, sondern Bewegungen auch kontrastierend

dazu gestaltet werden können, wird ein neues Bewusstsein für langsame und

schnelle, plötzliche und allmähliche Bewegungen geschaffen, die nicht mehr allein

aus musikalischen Impulsen gewonnen werden, sondern die auch aus dem Subjekt

selbst oder aus dem gemeinsamen Tanz entstehen können.139

Die Formgebung im Tanz ist sowohl an den Körper als auch an den Raum gebunden.

Mit dem Körper können Formen gestaltet werden, die an geometrische Formen wie

den Kreis, die Kugel, die Spirale, das Viereck oder die Linie erinnern. Diese können

sich sowohl in der Körperhaltung, als auch in der Bewegung ausdrücken. Neue

Formen im Modernen Tanz werden vor allem durch Drehen, Beugen oder Neigen

des Rumpfes erzeugt.140 Formen im Raum lassen sich im Besonderen durch

Symmetrie und Assymmetrie, durch Spiegelung und Verschiebung, sowie durch

verschiedene Aufstellungsformen und Nutzung des Raums gestalten.

2.2. Tanz und seine Wechsel-Wirkung mit dem Subjekt

Während ich in dem vorangegangenen Abschnitt allgemeine Grundlagen des Tanzes

betrachtet habe, möchte ich nun die Verbindung des Tanzes zum Subjekt näher

beleuchten. Dabei muss ich mich zwischen den vielfältigen Betrachtungs-

möglichkeiten durch eine Auswahl auf einige wenige Aspekte beschränken.

139 Vgl. Postuwka (1999) S.107 140 Vgl. Postuwka (1999) S.110

Page 33: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

2. Tanz

33

2.2.1. Möglichkeiten der Sinnes- und Körpererfahrung im Tanz durch Improvisation

Tanz, der als Selbsterfahrungsmedium die Persönlichkeitsentwicklung fördern soll,

muss durch Offenheit für die individuelle Auseinandersetzung mit Bewegungs-

möglichkeiten gekennzeichnet sein. Tanzimprovisation bietet vielfältige Möglich-

keiten für Körper- und Sinneserfahrungen, die nicht funktional vorbestimmt sind. Im

Zentrum sollte hier die Förderung des authentischen Selbstausdrucks stehen. Durch

die gesellschaftlich bedingte ‚Körpervergessenheit’ liegt die Herausforderung darin,

den Umgang und das Erleben mit dem eigenen Körper neu zu ermöglichen. Es geht

dabei um eine „Rückkehr zur Einfachheit und Ursprünglichkeit leiblicher

Präsenz“141. Anzustreben ist eine Einheit von Empfindung und Bewegung, die zur

Harmonisierung von Bewegungsabläufen und damit zu einem Bewegungsfluss

beiträgt. Hierfür sind die Erarbeitung von technischen körperlichen Grundlagen, von

Bewegungsgrundformen, sowie das ‚Spiel mit den Sinnen’ notwendig. „Ansatz,

Verlauf und die Wirkungsweise von Bewegungsvorgängen sollen bewusst gemacht

werden, um ein wichtiges Maß an Selbstkontrolle zu ermöglichen.“142

Der Kern der Improvisation im Tanz liegt jedoch in der explorativen, spielerischen

und neugierigen Auseinandersetzung des Tanzenden mit den eigenen

Bewegungsmöglichkeiten, dem eigenen und den fremden Körpern, dem Raum, der

Musik sowie mit bestimmten Themen.143 Es geht sowohl um ein zielgerichtetes

Erkunden, als auch um ein absichtsloses Experimentieren in der Bewegung.144

Improvisation, welche von hoher kreativer Anforderung gekennzeichnet ist, bedarf

gleichzeitig der Anregungen und Impulse, sowie einer klaren Anleitung eines

Außenstehenden, damit es für den Improvisierenden nicht zu Unsicherheit oder

Frustration kommt.145

Erst der Paradigmenwechsel reform-pädagogischer Strömungen von ‚äußerer

Schulung’ zu ‚innerer Formung’ machte die Improvisation als pädagogisches Prinzip

möglich. Improvisation als expressiver Ausdruck und als die Gestaltung des innerlich

Erlebten verstanden, kann als Leitprinzip der Ausruckstanz-Bewegung gesehen

werden.146

141 Becker/Fritsch (1998) S.73f. zit.n. Kirsch (2005) S.144 142 Kirsch (2005) S.145 143 Vgl. Kirsch (2005) S.166 144 Vgl. Kaltenbrunner (2009) S.174 145 Vgl. Kirsch (2005) S.166 146 Vgl. Postuwka (1999) S.114-115

Page 34: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

2. Tanz

34

2.2.2. Die harmonisierende Wirkung des Tanzes durch Rhythmus

Rhythmus als „ein fließendes Ebenmaß in der Zeit“147 verstanden, setzt ordnende

Akzente zwischen die entgegenwirkenden Kräfte eines jeden Lebens und ist in seiner

jeweiligen Eigenart dem Menschen naturgemäß gegeben bzw. wird von diesem

angeeignet.148 Befindet sich der eigene Lebensrhythmus als Wechselspiel zwischen

Spannung und Entspannung im Gleichgewicht, so ist die Rede von ‚Harmonie’.

Tanz, als rhythmisch-musikalische Bewegung bietet besonderes Potential für die

Harmonisierung der Persönlichkeit, da sich in ihm das Räumliche und Zeitliche als

wichtige Pole des Lebens verbindet. Als eine gestaltbildende, ordnende und

gliedernde Kraft führt Rhythmus nach Haas den Menschen „in die größtmögliche

fundamentale Resonanz der Dinge und ihrer Gesetzmäßigkeiten“149, er belebt und

berührt den Menschen in seinem Inneren, jenseits von Sprache und Verstand. Der

Mensch kann im Tanz ganzheitlich angesprochen werden, „der Leib in der

Bewegung, der Geist in der metrischen Gliederung und die Psyche im Ausdruck“150.

Dies befähigt den Menschen dazu, sich mit sich und der Umwelt in Einklang zu

bringen.151 Tanz verhilft „dem Menschen zur Entfaltung und Gesundung seiner

Kräfte und Funktionen; Trieb-, Schwung- und Spannkräfte, die den angeborenen

Rhythmus jedes Einzelnen mit ausmachen, werden geweckt und veredelt.“152 Der

persönlichkeitsbildende Prozess im Tanz kann demnach als ‚Wiederfinden des

eigenen Rhythmus’ bezeichnet werden.

2.2.3. Die sozialisierende Wirkung des Tanzes

Ein wichtiger Aspekt von Sozialisation ist die Kommunikation, das In-Kontakt-

Treten mit der Umwelt und der Aufbau von Beziehungen. Als wichtigstes Mittel

hierfür dient die Sprache. Während diese in erster Linie kognitive, rationale

Kommunikation ermöglicht, stellt der Körper eine Vielfalt an emotionalen

Ausdrucksmitteln zur Verfügung, welche jedoch gesellschaftlich vernachlässigend

wahrgenommen und reflektiert werden. Im nichtsprachlichen Raum kann Tanz als

ausdruckstärkstes Mittel für Kommunikation gesehen werden.153 Er ist „reich an

Ausdrucksymbolen wie Annäherung, Abwehr, Dominanz, Unterwerfung, 147 Claudi (1976) S.1 148 Auf den Prozess der Aneignung gibt der Aufsatz von Claudi keinen Hinweis, mir scheint er an dieser Stelle aber als wichtige Ergänzung. 149 Haas (2002) S.47 150 Claudi (1976) S.4 151 Vgl. Claudi (1976) S.4 152 Claudi (1976) S.3-4 153 Vgl. Lander (1976) S.3-6

Page 35: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

2. Tanz

35

Einzeldarstellung, Kollektivdarstellung, Darstellung von Gefühlszuständen (..)“154.

Über ihn werden die emotionalen Bereiche des Menschen angesprochen, „die ihn

über seine individuellen Eigenheiten hinaus in Kontakt mit der Umwelt und den

Mitmenschen bringen.“155

Eine weitere Herausforderung des Sozialisationsprozesses ist die Anpassung an

Ordnungs- und Normensysteme, die meist mit einem Aufschub bzw. der Unter-

drückung eigener Bedürfnisse einhergeht. Mit einer gesellschaftlichen Verkümmer-

ung der Bewegung wird besonders für Kinder und Jugendliche der Drang nach einem

‚wilden Sich-Austoben-Dürfen’ verstärkt.156 Für die Subjektentwicklung ist gerade

dieses Bewegungsbedürfnis von besonderer Bedeutung. „Ein Kind, das einen Teil

seiner Konflikte ab-tanzen, sein Darstellungsbedürfnis vor-tanzen, eine Freude aus-

tanzen, seine Verspanntheit in ein erträgliches Gleichgewicht entspannend ein-

tanzen, seine Aggressionen konstruktiv um-tanzen kann, (..) ist eher bereit, nicht nur

sich, sondern auch äußere Zwänge zu verändern.“157

Ein weiterer Aspekt der Sozialisation ist der Erwerb von Rollen, insbesondere

innerhalb bestimmter Gruppen. Wichtig für die Erweiterung von Subjektivität, ist

hierbei, dass gesellschaftlich vorgegebene Rollen nicht einfach übernommen werden

und unverändert am Subjekt lebenslang haften bleiben. Vielmehr muss eine Rollen-

flexibiltität erworben werden, durch die „verschiedene Rollen nach eigenen

Bedürfnissen und nicht nach vorgegebenem Muster“158 ausgefüllt werden können.

Im Tanz, als neuem Erfahrungsraum können verinnerlichte Rollenbilder

aufgebrochen werden, da andere als die gewohnten Kompetenzen gefragt sind.

Jemand, der eher als verbal zurückhaltend gilt, kann sich plötzlich im Mittelpunkt

erleben, wenn hohe körperliche Konzentration und Aufmerksamkeit gefragt sind.

Genauso kann ein Jugendlicher, der negativ als überaktiver ‚Zappelphilipp’ bewertet

wird, im Tanz erfahren, dass diese innerliche und körperliche Kraft zur positiven

Dynamik im Tanz beiträgt.

2.2.4. Tanz als Kollektiverfahrung

„Auftrieb erhält die Tanzkunst, sobald Tänzer sich als Komplizen verstehen.“159 Mit

diesem Satz beginnt der Tanzjournalist Arnd Wesemann seinen Artikel ‚Komplizen’

154 Lander (1976) S.4 155 Claudi (1976) S.10 156 Vgl. Lander (1976) S.7 157 Lander (1976) S.7 158 Lander (1976) S.9 159 Wesemann (2009) S. 10

Page 36: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

2. Tanz

36

der Zeitschrift Ballettanz in der Ausgabe 12.09., der mit einer Beschreibung der

Installation ‚Scattered Crowd’ des Choreographen William Forsythe beginnt. In

dieser Installation lässt Forsythe siebentausend heliumgefüllte weiße Luftballons in

einem Londoner Lagerhaus aufsteigen. Während die Besucher sich einen Weg durch

die Luftballons bahnen, wird selbst von den kleinsten Berührungen ein Luftballon

nach dem anderen angestoßen. Bald schon beginnt, von nur wenigen Luftballons in

Bewegung gesetzt, der ganze Raum zu tanzen.

TänzerInnen, die sich dem Bühnentanz widmen, tragen Verantwortung für die

Umsetzung der Choreographie, die sie in langen Proben erarbeitet haben. Sie

verschreiben sich einer ganz bestimmten Ordnung und man könnte meinen, dass es

keinen Raum für Wechselwirkungen unter ihnen gibt, wie sie in der Ballon-

Installation zu beobachten sind. Forsythe jedoch geht eher von einer Gleichzeitigkeit

aus. „Einerseits gehorcht der Tänzer der Choreographie so wie der Ballon der

Physik, andererseits nimmt er sich wie der Flug eines Ballons die Freiheit, etwas

Unvorhersehbares zu tun.“160

Der Tanz entwickelt sich also nicht nur durch eine gemeinsame Idee, sondern jeder

Einzelne gibt Impulse an die Gruppe, die zu einem gemeinsamen Tanz führen. Die

TänzerInnen werden wie die Luftballons voneinander und miteinander bewegt. Die

Kulturwissenschaftlerin Gesa Ziemer beobachtet, „wie sich in Projektgruppen

schnell sehr intime Beziehungen herstellen“161 Die gemeinsame Arbeit an einem

Stück verlangt körperliche, wie intime Selbstoffenbarung der TänzerInnen, die

Verschwiegenheit nach Außen verlangt. Dadurch entsteht eine Art Komplizenschaft,

die die Gruppe zusammenschweißt.162

In dem Tanztheaterprojekt ‚Freaks’, das Studierende der Evangelischen

Fachhochschule Darmstadt im Januar 2010 unter der Anleitung von Inga Pickel und

Katja Erdmann-Rajski in einem Darmstädter Theater auf die Bühne gebracht haben,

und an dem ich selbst teilgenommen habe, konnte ich ähnliche Beobachtungen

machen. Die Beziehungen der heterogenen Gruppe wurden während der

Probenzeiten durch das gemeinsame Tun, das gemeinsame Bewegen, durch das

Teilen neuer Erfahrungen und das gemeinsame Ziel der Aufführung intensiver und

der Zusammenhalt wurde gestärkt. Man lernte die Mitstudierenden auf eine neue

Weise kennen, bisher verstecktes Potential kam zum Vorschein und da man ein Ziel

160 Wesemann (2009) S.11 161 Wesemann (2009) S.13 162 Wesemann (2009) S.13

Page 37: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

2. Tanz

37

erreichen wollte, wurde ein gemeinsamer Enthusiasmus geweckt. In der

gemeinsamen Auswertung des Projektes gab es viele Stimmen, die dieses

Gemeinschaftsgefühl als besonderen Wert der Arbeit herausstellten.

2.2.5 Bewegung als Differenzerfahrung

Tanz trägt durch Bewegung zur Auseinandersetzung mit sich verändernden Struktur-

en bei. Den Wert dieser Erfahrung möchte ich folgend verdeutlichen.

Während die eigene Identität vor einigen Jahrzehnten noch durch familiäre und

soziale Herkunft, sowie durch Bildung vorgeformt wurde, lösen, wie bereits in

Kapitel 1.3. aufgezeigt, postmoderne Strukturen diese Passformen der eigenen Ich-

Entwicklung auf. Das Verschwinden fester Traditionen empfinden die einen daher

als Befreiungsschlag, während andere von einem Gefühl der Verunsicherung,

Orientierungslosigkeit, Diffusität und der Unbehaustheit begleitet werden.163

Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper im Tanz als ein authentischer

Zugang zur eigenen Leiblichkeit, Ganzheit oder Selbstbestimmung, scheint als eine

Möglichkeit, dieser Orientierungslosigkeit in Form von Selbstvergewisserung

entgegenzuwirken.

Der Motologe Jürgen Seewald denkt die Tendenz zur Auflösung des Tradierten und

das Gefühl für Ganzheit und Kernhaftigkeit in der Bewegung zusammen und

bezeichnet dies als eine ‚dialektische Widerspruchseinheit’. Es geht auf der einen

Seite darum, sich auch in der Bewegung auf eine Weltsicht einzulassen, die ‚im Fluss

ist’ und auf der anderen Seite geht es im Aufspüren der Eigenbefindlichkeit um eine

Selbstvergewisserung und ein ganzheitliches Erleben. Dies ist nach Seewald

möglich, indem sogenannte Differenzerfahrungen betont werden. „Spüren, was ich

mit meiner Bewegung mache und was meine Bewegung mit mir macht, (..)

Gewärtigen der Auswirkungen des Raumes oder anderer Menschen auf die

Eigenbefindlichkeit, (..) Hineinspüren in Ähnlichkeiten und Unterschiede zu den

Bewegungen und Körperhaltungen anderer.“164 Indem sich das eigene Erleben in der

Bewegung auf Veränderungen konzentriert, bleiben diese offen für Neues und

Unvorhergesehenes. Gleichzeitig kann in dem Aufspüren von Unterschieden, die

Eigenbefindlichkeit intensiver erlebt und reflektiert werden. „Erkennen wir die

Kontraste in uns selbst, in den anderen, zwischen uns und den anderen, dann erst sind

163 Vgl. Stelter (2006) S.65 164 Seewald (2000) S.100

Page 38: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

38

wir in der Lage, an der eigenen Identitätsentwicklung zu arbeiten.“165

Der Sozialwissenschaftler Keupp bezweifelt, dass durch eine Hinwendung zur

eigenen Leiblichkeit „Erfahrungen gesellschaftlicher Entfremdungen, Entsinnlichung

und Zerrissenheit ferngehalten werden“166 können. „Der Körper ist heute zum

Medium subjektiver Selbstvergewisserung und -darstellung geworden. Aber auch

gesellschaftliche Macht und Kontrolle vollzieht sich in diesem Medium.“167 Für

Keupp kann daher „der Leib auch kein sicherer Zufluchtsort auf der Flucht vor der

‚ontologischen Bodenlosigkeit’“168 sein. Die Auseinandersetzung mit Veränderbar-

keiten im und mit dem eigenen Körper durch die Bewegung stellt m.E. jedoch eine

wichtige Voraussetzung dar, Unsicherheiten und gesellschaftliche Machtausübung

reflektieren und sie schließlich überwinden zu können.

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

Die bereits in Ansätzen beschriebenen subjektbildenden Aspekte des Tanzes lassen

sich erst dann weiter vervollständigen, wenn man den Blick allgemeiner auf den

Kern Ästhetischer Praxis richtet. Diese umfasst als übergeordnete Kategorie des

Tanzes deren Erfahrungs- und Bildungswerte auf allgemeiner Ebene. Deshalb

möchte ich an dieser Stelle wichtige Aspekte der Ästhetischen Praxis herausarbeiten,

um anschließend den Bogen zum Tanz zu schließen. Als wichtigen Teil dieser Arbeit

möchte ich meinen theoretischen Ausführungen drei repräsentative Beispiele aus der

tanzästhetischen Praxis mit Jugendlichen folgen lassen und wichtige subjekt-

stärkende Aspekte herausarbeiten. Abschließen werde ich dieses Kapitel mit den

Ergebnissen zweier Tanz- und Sozialwissenschaftlerinnen, die sich mit der

persönlichkeitsbildenden Wirkung des Tanzes auseinandergesetzt haben.

3.1. Ästhetische Praxis

„Wann immer wir uns dem ‚ästhetischen Genuss’ hingeben, führt dies zu einem intensiven Erleben der eigenen Person. (…) In der ästhetischen Erfahrung gehen

Ich-Erfahrung und Welt-Erfahrung eine Einheit ein.“ Ursula Brandstätter169

165 Cabrera-Rivas (2001b) S.229 166 Keupp (2000) S. 118 zit. n. Stelter (2006) S.65 167 Keupp (2000) S. 118 zit. n. Stelter (2006) S.65 168 Seewald (2000) S.100 169 Zit. n. Schwarzbauer/ Hofbauer (2007) S.28

Page 39: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

39

3.1.1. Eine historische und terminologische Betrachtung

Um in das Feld der Ästhetischen Praxis einzutauchen, ist ein Blick auf begriffliche

und geschichtliche Zusammenhänge unabdingbar und soll hier in Kürze dargestellt

werden. Besonders treffend erscheint mir hierfür die Beschreibung des

Erziehungswissenschaftlers Hans-Rüdiger Müller: „Mit dem Begriff Ästhetik

(griechisch aisthesis = sinnliche Wahrnehmung) wird in einem allgemeinen Sinne

das Feld jener Welt-Selbstbezüge des Menschen bezeichnet, die sich zwischen den

sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften von Dingen in der Außenwelt und der

leibseelisch-geistigen Wahrnehmungstätigkeit des Subjekts konturieren.“170

Ausgehend von dem Philosophen Alexander G. Baumgarten, der die Ästhetik 1750-

1758 als eigenständige Disziplin begründete und der Ästhetik, d.h. der Aktivität der

menschlichen Sinne, die Chance zu besonderem Verstehen beigemessen hat, griff

Kant dieses Motiv auf, indem er die Sinne als Grundlage für alles setzte, das Einzug

in Verstand und Vernunft erhält. Daran angelehnt begründete Schiller das Potential

für Erziehung und Bildung in der Ästhetik.171 Laut Schiller bewirkt „Kunst (..) die

Erweiterung des rezipierenden Subjekts zu welthafter Ganzheit (..) in ‚möglichster

Harmonie’“.172

„Die Schönheit ist es, durch welche man zur Freiheit wandert.“ Über die ästhetische Erziehung des Menschen, Friedrich Schiller

Hier wird bereits deutlich, dass es eine Unterscheidung zwischen dem

philosophischen Aisthetik-Begriff, als Lehre der sinnlichen Wahrnehmung und

Erkenntnis verstanden, und dem kunsttheoretischen Ästhetik-Begriff, nämlich der

Lehre der Kunst gibt. Die Ästhetik reicht in alle Gebiete menschlicher

Lebensgestaltung 173 und dennoch nimmt die Kunst einen besonderen Platz innerhalb

dieser ein. Sie ist sozusagen ein Teilgebiet dieser. Der Kunstwissenschaftler H.

Böhringer beschreibt Ästhetik als ein ‚Fahrzeug der Erfahrung’ und die

Kunsttheoretikerin C. Pries betrachtet sie als ein ‚Experimentierfeld der

Wahrnehmung’.174

Die Strömungen der Postmoderne, die sich durch eine Pluralität an Wirklichkeits-

konstruktionen auszeichnen, rufen drei notwendige Konsequenzen für ästhetisches

Denken hervor. Ästhetische Wahrnehmung kann erstens immer nur als subjektive

170 Marquardt/ Krieger (2007) S.11 171 Zacharias (2009) S.243 172 Brockhaus Enzyklopädie Bnd 2 APU-BEC S.218 173 Vgl. Brockhaus Enzyklopädie Bnd 2 APU-BEC S.217 174 Vgl. Krieger (2004) S.46

Page 40: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

40

Wahrheit gesehen werden. Ästhetik hat es zweitens immer mit aktiven, autonomen,

wirklichkeitsproduzierenden Subjekten und Rezipienten zu tun, welche drittens

lediglich durch Provokation zu beeinflussen sind.175

Ästhetische Wahrnehmung, als zentraler Begriff der Ästhetischen Praxis, steht „im

Dienste einer vielschichtigen und ständig dem Gegenstand neue Aspekte abringen-

den Erkenntnisleistung.“176 Was im Wahrnehmungsprozess als Moment der

Faszination auftritt, kann als eine besondere Form gesteigerter, bewusster

Aufmerksamkeit gesehen werden.177

Der Begriff der ästhetischen Erfahrung, welcher nahezu bedeutungsgleich dem

Begriff der ästhetischen Wahrnehmung verwendet wird, kann als ein weiterer

Kernbegriff der Ästhetischen Praxis benannt werden. Die Erfahrung des

Ästhetischen richtet sich auf die sinnlichen Qualitäten eines Gegenstandes und

mündet durch die Reflexion des Erlebten in ein ästhetisches Urteil.178 Dieses Urteil

kommt durch die Wahrnehmung der Sinne und das sie begleitende Gefühl zustande.

Dabei erhebt es keinen Anspruch auf bestimmte, richtige Sachverhalte, sondern

urteilt über das Verhältnis der eigenen sinnlichen Vorstellung über etwas und den

subjektiven Gefühlszustand. Damit ist es mehr als ein Wahrnehmungsurteil, weil es

zusätzlich das eigene Gefühl für das Wahrgenommene ins Verhältnis setzt.179

Ästhetische Erfahrung entsteht also in der Beziehung zwischen Subjekt und

Gegenstand180 und vollzieht sich sowohl auf der Ebene des unmittelbaren

emotionalen Erlebens, als auch auf Ebene des bewussten Erkennens.181 Während

ästhetische Wahrnehmung einen sensorischen und bedeutungszuweisenden Prozess

innerhalb ästhetischer Erfahrung darstellt, ist letzteres als summative Erfahrung von

Ästhetik im Ganzen zu verstehen.182 In der ästhetischen Erfahrung spielt nicht nur

das Erkunden der menschlichen Sinne, des Hörens, Sehens, Riechens, Schmeckens

und Fühlens eine Rolle, sondern auch das Denken, Erkennen und Handeln.183 Wird

die ästhetische Erfahrung durch den Vorgang der Reflexion ergänzt, so ist nicht mehr

175 Vgl. Krieger (2004) S.51 176 Krieger (2004) S.57 177 Vgl. Marquardt/ Krieger (2007) S.13 178 Vgl. Krieger (2004) S.62-63 179 Vgl. Koch (1994) S.10 180 Mit Gegenstand kann auch ein Ereignis, wie z.B. der Tanz, Musik oder Poesie gemeint sein. 181 Vgl. Jäger/ Kuckhermann (2004) S.13 182 Vgl. Krieger (2004) S.64 183 Vgl. Liebau (1999) S.133

Page 41: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

41

nur die Rede von einem ästhetischen Erfahrungsprozess, sondern man spricht dann

von einem ästhetischen Bildungsprozess.184

Ästhetische Objekte oder Zeichen weisen sich durch Originalität, Mehrdeutigkeit

und Entfremdung aus. Sie lösen dann eine Faszination auf das ‚verstehenswillige

Subjekt’, den Rezipienten aus, wenn dieser sich bewusst von den Aufgaben der

perspektivischen Innovation, von kognitiver Verunsicherung und von einem

Fiktionalitätsbewusstsein ansprechen lässt. Eine solche Offenheit des Rezipienten

kann als ästhetische Einstellung bezeichnet werden.185 Diese Erfahrung des ganz

Anderen, Neuen wird in der Literatur als Differenzerfahrung zu den im Alltag

gemachten Erfahrungen bezeichnet.186

Da der Begriff der Kreativität (lat. creare = etwas erschaffen) der Ästhetik nahe steht,

möchte ich auf diesen kurz eingehen. Der wesentlich jüngere Begriff Kreativität,

entstanden in den 1950ern, kann als „Allgemeine Bezeichnung für das Auffinden

neuer und origineller Problemlösungen bzw. Mittel des künstlerischen Ausdrucks

durch Synthese von Erfahrung und Phantasie“187 definiert werden. Der

Erziehungswissenschaftler Eckart Liebau kritisiert, dass Kreativität heute aus

wirtschaftlichen, politischen, sozialen oder wissenschaftlichen Gründen oft als Mittel

zum Zweck missbraucht wird. Die Bedeutung von Kreativität für das

Zusammenleben im Alltag und für den Umgang mit dem Chaos der subjektiven

Innenwelt findet sich zwar in den Künsten, nicht aber in der breiten Gesellschaft

wieder.188

3.1.2. Perspektiven der Ästhetischen Bildung als Kern Ästhetischer Praxis

Die Verwendung unterschiedlicher Begrifflichkeiten wie Ästhetische Bildung,

Ästhetische Erziehung, Ästhetisches Lernen, kulturelle Bildung, Schlüssel-

kompetenzen, Lernziele usw. spiegelt die Vielfalt der Autoren wieder, welche sich

dem Thema der Ästhetischen Praxis gewidmet haben. In meinen Ausführungen

möchte ich diese Begrifflichkeiten aufgrund der Komplexität nicht stringent

voneinander abgrenzen, sondern sie vielmehr in ihrer Vielfalt als Perspektiven auf

ein und denselben Kern, nämlich den der Ästhetischen Praxis verwenden.

184 Vgl. Peez (2005) S.16 185 Vgl. Krieger (2004) S.71 186 Vgl. Jäger/ Kuckhermann (2004) S.278-280 187 Fröhlich (2002) S.393 zit.n. Jäger/ Kuckhermann (2004) S.34-35 188 Vgl. http://www.paedagogik.phil.uni-erlangen.de/mitarbeiter/liebau/kultur-und-geist.pdf Abruf:01.02.10. S.3

Page 42: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

42

Jutta Jäger und Ralf Kuckhermann verdeutlichen die Ausgestaltung der Ästhetischen

Praxis mit einem Model, das durch eine Unterteilung in drei Ebenen gekennzeichnet

ist. Die gegenständliche Ebene beinhaltet die spezifische Symbolik verschiedener

ästhetischer Medien wie Bild, Musik, Tanz usw., welche durch ihre ganzheitliche

Wirkung auf die menschlichen Sinne gekennzeichnet sind. Die Handlungsebene, die

sich durch die Begriffe Mimesis (Nachahmung) und Poesie (schöpferische

Neugestaltung) beschreiben lässt, schafft durch ästhetische Produktion, Rezeption

und Kommunikation verschiedene Zugänge zu den ästhetischen Medien. Ergänzt

werden diese Ebenen durch die Subjektebene, auf der sich durch ästhetische

Tätigkeiten ästhetische Erfahrungen herausbilden, welche durch eine Urteilsbildung

in eine persönliche Stilbildung münden.189

Ästhetische Erziehung kann als Förderung „eines basalen Teilvermögens der

menschlichen Erkenntnis- und Erlebnisfähigkeit“190 betrachtet werden. Lutz Koch

sieht den Kern der Ästhetischen Bildung darin, „für das intersubjektiv Schöne und

Erhabene aufgeschlossen zu machen“.191 In dem Erkennen des Schönen und

Erhabenen liegt für Koch in Anlehnung an Kant und Schiller eine doppelte

Bildungsbedeutung. Es bildet den Menschen zu einem in sich harmonischen und

identischen Wesen, sowie zu einem politischen, moralischen Vernunftwesen.192

Liebau sieht folgende Kriterien als die Aufgabe Ästhetischer Erziehung: Die

Förderung abstrakter Kreativität, die Entfaltung von Leiblichkeit, eine kulturelle

Formgebung für das Zusammenleben im Alltag und die Entwicklung der Person.

Vorraussetzung dafür sind die Bereitstellung eines Entfaltungsraumes für

individuelle Ausdrucksformen, die Vermittlung der Fähigkeit sich bestimmter

Medien zu bedienen, eine Prozess- und Produktorientierung, die Bildung zu

subjektiver Wahrnehmungsfähigkeit, eine Bereitstellung an ästhetischem Wissen und

Können, sowie der Bezug zu einer Öffentlichkeit.193

189 Vgl. Jäger/ Kuckhermann (2004) S.15 190 Krieger (2004) S.123 191 Koch (1994) S.11 192 Vgl. Koch (1994) S.15 Kant hat in seiner Analytik des Schönen aufgezeigt, dass das Schöne und Erhabene in einem besonderen Verhältnis zu unserer Seele steht und deren beiden Seiten Sinnlichkeit und Verstand in ein harmonisches Verhältnis setzt. Auch Schiller erklärt in seinem ästhetischen Brief, dass der Mensch nur da ganz Mensch sei, wo er sich dem Schönen öffnet. In der Lust am Schönen, an der sinnlichen Form liegt eine Befreiung vom Selbstbezüglichen der Empfindung, des bloßen Privatvergnügens und darin eine Aufgeschlossenheit „für das Allgemeine und das Verbindende des moralisch und politisch Guten“. Vgl. Koch (1994) S.13-14 193 Vgl. Liebau (1999) S. 120-122

Page 43: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

43

Der Germanist, Kunstgeschichtler und Pädagoge Kaspar H. Spinner entwickelte

zwölf Thesen, die ein umfangreiches Bild Ästhetischer Bildung zeichnen und dabei

deren Kern treffend fassen. Ich möchte diese folgend verkürzt darstellen.

1. Da sinnliche Wahrnehmung die Grundlage ästhetischer Erfahrung bildet, ist es die

Aufgabe Ästhetischer Bildung intensivere, differenziertere und sensiblere

Wahrnehmungserfahrungen zu vermitteln. In Anlehnung an Böhme beschreibt

Spinner Aufmerksamkeit als höchste ästhetische Qualität. Dies bedeutet, dass es im

Wahrnehmungsprozess immer um eine gesteigerte geistige Präsenz gehen muss.194 2.

Die Synästehsie195 ästhetischer Wahrnehmungen, die sich nicht auf einen einzigen

Sinneskanal beschränken, können zu einer wechselseitigen Intensivierung der

Sinneseindrücke führen. Bei der Verbindung dieser Sinneseindrücke ist jedoch die

Gefahr der Reizüberflutung zu beachten.196 3. Ein weiteres wichtiges Merkmal ist die

ästhetische Zeit-Erfahrung, die sich für den Philosophen Martin Seel darin ausdrückt,

dass wir uns ‚Zeit für den Augenblick’ nehmen.197 Der gewohnte Ablauf des Alltags

wird unterbrochen und durch eine intensive Erfahrung des Hier und Jetzt oder durch

das Eintauchen in eine andere Zeit bzw. durch ein anderes Zeiterleben ersetzt.198 4.

Ästhetische Objekte wirken nicht nur durch ihre sinnlich erfahrbare Präsenz, sondern

können vor allem auch Imaginationen wachrufen. Durch Imagination bzw.

Vorstellungskraft werden die Beschränkungen auf das Hier und Jetzt überwunden.

Ästhetische Bildung hat damit die Aufgabe, die Entfaltung subjektiver Imaginations-

fähigkeit zu ermöglichen.199 5. Sie stellt als Unterbrechung der Alltagsroutine ein

Verfremden des Gewohnten dar. Ihr sollte es darum gehen, Offenheit für

Überraschendes, Neugier auf Ungewohntes und die ‚Bereitschaft sich dem

Rätselhaften, Ambivalenten und Irritierenden auszusetzen’, zu fördern.200 6. Diese

Offenheit für Fremdes bietet Möglichkeiten für die Begegnung verschiedener

Kulturen. Durch ästhetische Austauschprozesse zwischen Kulturen findet eine

Annäherung an das Andere statt, die eine Offenheit für kulturelle Vielfalt schafft.201

7. Das gesellschaftskritische und persönlichkeitsstärkende Potential Ästhetischer

Bildung liegt in der Verbindung von Wahrnehmung, Emotion, Imagination und

194 Vgl. Vorst/ Grosser/ Eckardt/ Burrichter (2008) S.9-10 195 In weiterer Literatur findet sich für den Begriff der Synästhesie der Begriff der Polyästhetik wieder. 196 Vgl. Vorst/ Grosser/ Eckardt/ Burrichter (2008) S.10-12 197 Vgl. Vorst/ Grosser/ Eckardt/ Burrichter (2008) S.12 198 Vgl. Vorst/ Grosser/ Eckardt/ Burrichter (2008) S.12-13 199 Vgl. Vorst/ Grosser/ Eckardt/ Burrichter (2008) S.13-14 200 Vgl. Vorst/ Grosser/ Eckardt/ Burrichter (2008) S.14 201 Vgl. Vorst/ Grosser/ Eckardt/ Burrichter (2008) S.16

Page 44: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

44

Kognition, welche in dem Vorgang der Reflexion ihren Zusammenschluss finden.

Reflexion schafft in der Ästhetischen Praxis „ein Bewusstsein dafür, dass die

gegebenen wirklichen Verhältnisse nicht die einzig vorstellbaren sind.“202 8.

Ästhetische Bildung verhilft im eigenen kreativen Gestalten, aber auch in der

Rezeption von Kunst zu einem tieferen symbolischen Verstehen. Die Bedeutung der

Symbolbildung liegt in der Zusammenführung des Einzelnen, Verstreuten und

Zufälligen in einen größeren Zusammenhang, was wiederum zu einem intensiveren

Verstehen führt.203 9. Sie vermittelt einen Einblick in kulturelle Traditionen, der

nicht nur für das Verstehen und Entdecken tradierter kultureller und künstlerischer

Vorstellungsbilder von Bedeutung ist, sondern auch für die Schärfung des Blicks auf

kulturelle und gesellschaftliche Wandlungen.204 10. Ästhetische Erfahrungen führen

erst durch einen kommunikativen Austausch zu einer Vertiefung im Subjekt. Für

einen solchen Austausch in der Ästhetischen Praxis ist eine Gesprächskultur

vonnöten, in der die Beteiligten nicht nur ihre eigenen subjektiven Sichtweisen

einbringen dürfen, sondern sich in abwägender Weise auf den ästhetischen

Gegenstand beziehen können und insbesondere den Respekt für abweichende

Sichtweisen aufbringen. Es geht sowohl um die Fähigkeit eine Sprache für die

eigenen Eindrücke zu finden, als auch um die Bereitschaft die eigene Auffassung

durch Äußerungen anderer zu revidieren oder genauer zu rechtfertigen.205

11. Dass Ästhetische Bildung vor allem auch Identitätsbildung bedeutet, lässt sich an

vier Punkten aufzeigen.

Wie bereits mit dem Model von Jäger/Kuckhermann dargestellt, geht es in der

Ästhetischen Praxis um die Auseinandersetzung des Subjekts mit einem Ästhetischen

Gegenstand durch eine Ästhetische Tätigkeit. Da der Gegenstand immer persönliche

Anteile des Subjekts enthält, ergibt sich in der Auseinandersetzung des Subjekts mit

diesem erstens ein reflektiertes Verhältnis zur eigenen Subjektivität.

Durch die eben beschriebene Gesprächskultur, steht das Subjekt immer in einem

kommunikativen Zusammenhang, in dem vorwiegend Persönliches, d.h. eigene

Emotionen und Gedanken ausgetauscht werden. Identitätsentwicklung ist gerade auf

solche Interaktion angewiesen.

202 Vorst/ Grosser/ Eckardt/ Burrichter (2008) S.17 203 Vgl. Vorst/ Grosser/ Eckardt/ Burrichter (2008) S.18 204 Vgl. Vorst/ Grosser/ Eckardt/ Burrichter (2008) S.19 205 Vgl. Vorst/ Grosser/ Eckardt/ Burrichter (2008) S.19-21

Page 45: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

45

Ästhetische Praxis hängt aber vor allem mit Selbstwerterfahrung zusammen. Sie

bedeutet für den Rezipienten oder Produzenten, dass er es wert ist, eine „zwecklose“,

ästhetische Erfahrung zu machen.

Spinner bezeichnet ästhetische Erfahrung als eine ‚Bejahung des eigenen Lebens’.

Weiter kann ästhetisches Gestalten demnach auch Ausdruck für das eigene erfahrene

Leid sein und bietet damit die Möglichkeit, das Leidvolle zu verarbeiten und in das

eigene Leben zu integrieren.206

12. Sie bietet nicht zuletzt einen alternativen Zugang zur Welt, der sich von dem

dominierenden zweckrationalen, wissenschaftlich-objektivierenden Zugang

unterscheidet und gerade durch seine subjektive, sich von der Norm

unterscheidenden Gestalt seine Berechtigung erhalten sollte.207

Die folgende Auseinandersetzung mit dem Begriff der Kulturellen Bildung soll wie

bereits erwähnt nicht als Unterscheidung, sondern als erweiternde Beschreibung der

Ästhetischen Praxis verstanden werden. In der kulturellen Bildung geht es laut

Liebau um die ganze Bandbreite an freien und praktischen Künsten, um die

Entwicklung der subjektiven Wahrnehmungs-, Denk-, Urteils-, Handlungs-,

Ausdrucks-, und Darstellungsformen in ihrer gesamten Vielfalt.208 „Sie beansprucht

eine besondere Affinität oder auch Statthalterschaft zugunsten von Phantasie,

Kreativität, Imagination, Transformation bis zu Grenzüberschreitungen,

Fremdheitserfahrung, Utopie, Spiel und Experiment."209

Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) setzt sich nicht

nur für jugend-, bildungs- und kulturpolitische Interessen ein, sondern sie führt auch

regelmäßige Modellprojekte, sowie Evaluationen in diesem Bereich durch.210 Einer

ausführlichen Auseinandersetzung mit der Arbeit der BKJ kann diese Arbeit nicht

gerecht werden, dennoch möchte ich auf die durch die BKJ eingeführte

Systematisierung von Schlüsselkompetenzen211 hinweisen, welche nicht nur

bedeutsam für die Entfaltung der Persönlichkeit, sondern auch für die Befähigung

des Subjekts zur aktiven Teilhabe an der Gesellschaft sind. Sie lassen sich in

folgende fünf Kerngebiete einteilen: Selbstkompetenzen, Sozialkompetenzen,

206 Vgl. Vorst/ Grosser/ Eckardt/ Burrichter (2008) S.21-22 207 Vgl. Vorst/ Grosser/ Eckardt/ Burrichter (2008) S.22-23 208 http://www.paedagogik.phil.uni-erlangen.de/mitarbeiter/liebau/kultur-und-geist.pdf Abruf: 01.02.10. S.5 209 Zacharias (2009) S.241 210 http://www.bkj-remscheid.de/ Abruf: 23.02.10 211 Diese wurden im Rahmen des Projektes Kompetenznachweis Kultur der BKJ entwickelt. Der Kompetenznachweis Kultur lässt sich als Bildungspass verstehen, der die von Jugendlichen erfassten Schlüsselkompetenzen in der Kulturarbeit nachweist.

Page 46: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

46

Kulturelle Kompetenzen, Methodenkompetenzen und allgemeine künstlerische

Kompetenzen.212 Ästhetische Bildung, die auf die Persönlichkeitsentfaltung von

Subjekten zielt, sollte sich immer an der Förderung dieser Kompetenzen orientieren.

Schließen möchte ich dieses Kapitel mit dem Begriff der Lebenskunst, den Zacharias

als mögliche Schlüsselkompetenz aller Teilkompetenzen in der Kulturpädagogik

setzt. Mit dem Beitrag Foucaults über die Ästhetik der Existenz als Frage nach den

Möglichkeiten gelingenden Lebens, wird diese, aufgegriffen von Schmid in dem

Begriff der Lebenskunst, zu einem wichtigen Paradigma der Kulturpädagogik.213

Lebenskunst lernen, im Sinne einer aktiven und kreativen Gestaltung des eigenen

Lebens entsprechend der eigenen Potenziale, mit der Orientierung daran “sich selbst

biografisch verantwortlich zu formen und zu entwickeln“214, sieht Zacharias als

„konzeptionelles Leitmotiv gerade subjektorientierter kulturell-künstlerischer

Bildung ohne Wirklichkeitsverlust und mit politischen Dimensionen.“215 Damit wird

hier eine Trennung von Kunst und Leben aufgehoben.

3.2. Tanz als Ermöglichung ästhetischer Erfahrung

„Ich lobe den Tanz, denn er befreit den Menschen von der Schwere der Dinge, bindet den Vereinzelten zu Gemeinschaft. (..) Der Tanz fordert den befreiten, den

schwingenden Menschen im Gleichgewicht aller Kräfte. Ich lobe den Tanz! O Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen.“

Augustinus, 400 n. Chr.216

Ästhetische Praxis bietet die Möglichkeit „die [eigene] Erfahrungswirklichkeit

gestaltend zu reflektieren“. Diese Bearbeitung und Reflexion findet „weder im

praktisch-zweckorientierten Handeln, noch im theoretischen Erkennen, sondern

allein im expressiven Umgang mit präsentativen Medien“217 wie dem Tanz statt. „Im

ästhetischen Spiel mit der Tanzkunst kann sich der Mensch ein wenig über seine

Wirklichkeit erheben“218. „Dabei sind die Bewegungselemente des Tanzes so [zu]

erarbeiten, dass sie ganz von innen her durchlebt werden.“219 Dann ermöglicht Tanz

„die Unbefangenheit, in der der Mensch sich und die Umwelt vergisst und nur die

212 Vgl. BKJ (Hrsg.) (2006) Der Kompetenznachweis Kultur. S.55-66 Diese Kernkompetenzen lassen sich in eine Vielzahl weiterer Teilkompetenzen unterteilen. 213 Vgl. Jäger/ Kuckhermann (2004) S.25 214 Zacharias (2009) S.248 215 Zacharias (2009) S.249 216 Zit. n. Lowinski (2007) S.118 217 Bannmüller/ Röthig (1990) S.103 218 Lowinski (2007) S.117 219 Jacobs (1985) S.185

Page 47: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

47

Bewegung spürt, die Lebendigkeit in der Ruhe, das Maß und die innere Haltung in

der Geschwindigkeit“220.

Diese Intensität des Erlebens in der Bewegung beschreibt der Psychologe Mihaly

Csikszentmihalyi als „‘flow‘, ein ‚Fließen‘, das innerlich wie äußerlich als

hochbefriedigend erlebt werden kann“221. Csikszentmihalyi beschäftigte sich mit

dem Phänomen ‚Freude‘ und deren Bedeutung für den Menschen. Er geht davon aus,

dass Freude zusammenhängt mit der eigenen Wirkmächtigkeit, Dinge tun zu können

die fernab von alltäglicher Lebensbewältigung nicht lebenswichtig erscheinen.

Wichtig erscheint ihm dabei die Erfahrung der eigenen Kompetenzen, des

Wachstums, der Selbststeigerung sowie der Überschreitung des Selbst. „Ein Mensch

sollte seine Fähigkeiten voll in eine Situation einbringen können, wo die

Anforderungen das Wachstum neuer Fähigkeiten stimulieren.“222

3.3. Projektbeispiele

Im folgenden Abschnitt möchte ich mich einigen Beispielen der Ästhetischen Praxis

zuwenden, die mit der Inszenierung künstlerischer Tanzprojekte m.E. einen

erheblichen Beitrag zur Subjektentwicklung von Jugendlichen leisten. Wie genau ich

dieser Beitrag aussehen kann, soll dabei aufgezeigt werden.

Zunächst möchte ich das Projekt ‚TanzZeit – Zeit für Tanz in Schulen’ in Berlin

vorstellen. Besonders interessant sind hierbei Stimmen von ProjektteilnehmerInnen,

die ich an dieser Stelle betrachten möchte. Des Weiteren werde ich auf die Arbeit

von Royston Maldoom eingehen, der weltweit Tanzprojekte mit in der Gesellschaft

benachteiligten Menschen, als Community Dance bezeichnet, initiiert und diese als

Choreograph leitet. Auf Grundlage seiner Autobiographie, einiger Interviews und

Projektbeschreibungen, lassen sich aus seiner Arbeit konzeptionelle und

pädagogische Leitprinzipien ableiten.

Abschließen möchte ich dieses Kapitel mit einem Experteninterview, das ich mit

Volker Eisenach, dem künstlerischen Leiter der Faster-Than-Light-Dance-Company

Berlin, führte. Auch diese Company widmet sich künstlerischen Tanzprojekten, die

barrierefrei Jugendlichen der Stadt Berlin den Zugang zu ästhetischen Erfahrungen in

Form von zeitgenössischem Bühnentanz ermöglichen sollen.

220 Jacobs (1985) S.185 221 Meueler (1993) S.126 222 Csikszentmihalyi (1985) S.231 zit. n. Meueler (1993) S.130

Page 48: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

48

Die Auswahl dieser drei Beispiele habe ich aufgrund deren langjährigen Erfahrungen

und vielfältigen Projektdurchführungen gewählt.

3.3.1. TanzZeit

Das Projekt ‚TanzZeit – Zeit für Tanz in Schulen’ wurde 2005 gegründet und ist dem

Dachverband Zeitgenössischer Tanz Berlin e. V. (ZTB) angegliedert. In der

Zusammenarbeit zwischen KünstlerInnen und PädagogInnen wurden bereits in den

ersten zwei Jahren Projekte in über 200 Schulklassen Berlins durchgeführt. Die

Motivation der Durchführenden dieser Projekte rührt aus der Überzeugung, dass

Tanz nicht nur die Integration junger Menschen unterschiedlicher Herkunft fördert,

sondern durch die Vermittlung von Bewegungsvielfalt und Körperbewusstsein auch

das Selbstbewusstsein der Kinder und Jugendlichen stärkt. Dies ist wiederum eine

wichtige Vorraussetzung für andere positive Lernprozesse. Neben dieser

ganzheitlichen Förderung von jungen Menschen durch die Vermittlung von Tanz,

Kultur und Bühnenerfahrung, geht es dem Projekt TanzZeit auch um eine

Etablierung des Tanzes im Bildungswesen.223

Aus der Projektarbeit an Schulen hat sich 2008 die TanzZeit Jugendcompany

gegründet. Sie richtet sich an diejenigen Jugendlichen, die durch die Teilnahme an

ersten Projekten daran interessiert sind, weitere Erfahrungen in kontinuierlichem

Training zu sammeln, was zu weiteren regelmäßigen Tanzproduktionen führt. Sie

sollen dabei nicht nur ihre Tanzerfahrungen und neu gewonnenen Sozialkompe-

tenzen weiterentwickeln. TanzZeit geht es auch darum, die Jugendlichen auf der

‚Schwelle zwischen Schule und Beruf’ zu begleiten und ihnen alternative Wege

aufzuzeigen. Welche Veränderungen und Entwicklungen die Jugendlichen innerhalb

solcher Projekte durchmachen, lässt sich am ehesten herausfinden, indem man diese

selbst befragt. In einem Kurzvideo, das die Projektarbeit der Jugendcompany

dokumentiert, kommen die Jugendlichen selbst zu Wort.224 Einigen Stimmen möchte

ich hier beispielhaft Raum geben.

Teilnehmer 1:

„Ich kann meine Geschichte ni erzählen, so, weil die mir einfach viel zu Nahe liegt. Ich sag den Menschen nicht wirklich was passiert is so, drück meine Geschichte im

223 Vgl. http://www.tanzzeit-schule.de/tanzzeit/tanzzeit.php?PHPSESSID= d8478f8a8edd3b7adb46e5c5a1852828 Abruf: 25.03.2010 224 Vgl. http://www.tanzzeit-schule.de/tanzzeit/jugendcompany.php?PHPSESSID= d8478f8a8edd3b7adb46e5c5a1852828 Abruf: 25.03.2010; siehe auch CD-Anhang

Page 49: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

49

Tanz aus. Mit meinen Bewegungen. Zu meinem Vater hab ich ken Kontakt mehr so, und meine Mutter findet so, dass ich eh nichts auf die Reihe kriege. Dass ich en

hoffnungsloser Fall bin. Ich hab ja auch immer gesagt, oh ich kann nischts und ich bin total Scheiße ich kann das ni und na dann bin ich zum Breakdance gekommen

und so hab ich meinem Leben nen neuen Sinn gegeben. Vom Breakdance bin ich zum HipHop zum Rappen, vom Rappen zum Frame und jetzt bin ich hier.

Ich muss sagen, dass ich am Anfang ziemlich skeptisch war. So von wegen Barfuss tanzen und so. Boah Alter ich hab übelst abgekotzt. Vor allen Dingen hatte ich dann

übelste Fussschmerzen.“

Auf drei Aspekte möchte ich in diesem Zitat Bezug nehmen. Der Junge berichtet

davon, dass nicht nur er selbst, sondern auch seine Eltern von ihrem Sohn das Bild

eines Versagers im Kopf haben. Dar Tanz liefert ihm eine direkte Gegenerfahrung

zu diesen verinnerlichten Erfahrungen und diesem negativen Selbstbild. Durch ihn

erlebt der Junge sein eigenes Können. Dort wo er seine eigene Geschichte, seine

Gefühle mit Worten nicht zu äußern vermag, schenkt ihm der Tanz eine neue

Ausrucksmöglichkeit. Das, was er anfangs im zeitgenössischen Tanz als fremd und

anstrengend erlebt, nimmt er für die neuen Erfahrungen in Kauf. Dies schenkt ihm

nicht nur eine Horizonterweiterung, sondern stärkt auch sein Durchhaltevermögen,

da die harte Arbeit in ein Tanzstück mündet, auf das er später stolz zurück schauen

kann.

Teilnehmerin 2: „Das ist ja hier mit viel Improvisation, hätte ich so nen Kurs mitgemacht, so mit nem Tanzlehrer so richtig, hätte ich eigentlich nur nachgemacht. Dann wär ich vielleicht

nicht ich selbst gewesen, sondern hätte nur versucht Schritte irgendwie zu verfolgen.“

Die Teilnehmerin macht deutlich, dass durch die Arbeit mit Improvisation ein Teil

ihres Selbst zum Vorschein kommt. Sie schätzt den authentischen Selbstausdruck

gegenüber dem einfachen Nachahmen von Bewegungen.

Teilnehmerin 3:

„Und das Tanzen verbindet einen dann schon. Vor allem wenn man sich jetzt nicht so gut kennt, und dann zusammen jetzt aber auch irgendwie Gemeinsamkeiten findet

wie man sich ausdrücken kann oder wie man ohne Worte sozusagen miteinander kommunizieren kann.“

Tanz verbindet, das kommt hier deutlich zum Ausdruck. Dort wo scheinbar keine

Gemeinsamkeiten zu finden sind, lässt sich plötzlich über einen neuen

Kommunikationsweg, über den Körper, Verbindendes ausmachen. Neue Erfahrungen

Page 50: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

50

werden geteilt und bringen die Teilnehmer emotional näher zueinander. Indem

Schranken zwischen den TeilnehmerInnen durchbrochen werden, wird diesen ein

Zugehen auf zunächst Fremdes ermöglicht.

Teilnehmer 4:

„Also ich hab mich eigentlich sehr gut entwickelt, weil davor war ich eigentlich so

nen Typ der nicht so gern im Mittelpunkt steht. Hab ich jetzt auch ein Solo am Ende bekommen. Und jetzt bin ich auch mehr selbstbewusster geworden und geh auch

mehr auf die Leute zu.“

Die neue Erfahrung des Jungen, bei einer Tanzaufführung im Mittelpunkt zu stehen

befähigt ihn, dieses Erleben in seinen Alltag zu übertragen. Auch außerhalb des

Tanzraums fällt es ihm nun leichter auf andere zuzugehen. Der Tanz stärkt dabei

nicht nur das Vertrauen des Jungen in sich selbst, sondern auch sein Vertrauen

darein, von anderen anerkannt und angenommen zu sein.

Teilnehmerin 5:

„Tanzen heißt für mich, ich selbst sein zu können und sich nicht unterkriegen zu lassen. Wenn ich tanze, fühle ich mich wie ein anderer Mensch, wie eine bessere

Version von mir.“

Die Teilnehmerin spricht hier von einem starken Freiheitsgefühl. Das, was im Alltag

nicht realisierbar zu sein scheint, wird durch den Tanz möglich. Dieses Gefühl der

Ermächtigung ‚sich nicht unterkriegen zu lassen’, kann im Tanz gestärkt und

schließlich in den Alltag mit hinein genommen werden. Die Teilnehmerin lernt im

Tanz eine neue positive Seite von sich selbst kennen. Damit wird ihre

Selbstwahrnehmung positiv erweitert.

Teilnehmer 6:

„Im zeitgenössischen Tanz fand ich eine ganz neue Welt für mich, denn er zeigte mir

alltägliche ganz selbstverständliche Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.“ Eine neue Welt erschließt sich diesem Teilnehmer im Tanz. Zur Routine gewordener

Alltag wird plötzlich aus anderen Blickwinkeln wahrgenommen und kann sich

schließlich interessanter, inspirierter und kreativer gestalten lassen. In dem

Entdecken von Neuem liegen verschiedene Chancen: das Finden neuer Lösungs-

wege, die Erweiterung der eigenen ‚Weltsicht’ sowie die Entfaltung von Freude im

schöpferischen Tun.

Page 51: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

51

3.3.2. Die Arbeit von Royston Maldoom

“Dance can give a voice to the voiceless.” Royston Maldoom225

Als wichtigsten Kern der Arbeit des britischen Choreographen Royston Maldoom,

der inzwischen in Berlin lebt und daher viele seiner Projekte auch in Deutschland

durchführt, soll hier die Philosophie und die Bewegung des Community Dance, als

deren wichtiger Mitbegründer Maldoom gilt, betrachtet werden.

„Royston Maldoom engagiert sich weltweit und ist fasziniert davon, mit Menschen

unter verschiedensten Voraussetzung [!] zu arbeiten, d.h. mit Problem- und

Straßenkindern, Behinderten, Gefangenen, mit Menschen in Kriegs- und

Krisengebieten, und ihnen dabei die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu entdecken,

ihre Leidenschaften und ihr Können. Er ist davon überzeugt, dass Kunst Leben und

Gesellschaften verändert und gegenseitiges Verständnis und Zusammenleben

unterstützen und fördern kann.“226 So heißt es auf seiner Internetseite. Dass

Maldoom mit der Kunst tatsächlich einen gesellschaftsrelevanten neuen Weg

beschreitet, wird nicht allein durch die Vielzahl seiner Projekte deutlich, sondern

auch durch die öffentliche Resonanz, welche diese erhalten. Angefangen durch den

Dokumentarfilm ‚Rhythm is it’ 2005, der das Tanzprojekt ‚Le Sacre du Printemps’

mit 250 Berliner SchülerInnen in Zusammenarbeit mit den Berlinern Philharmo-

nikern begleitete, über das Community Dance Projekt mit der Adunga Tanz

Company in Äthiopien, das mit 18 Straßenkindern durchgeführt wurde und anderen

politisch und sozial relevanten Projekten, die Maldoom in Deutschland und weltweit

u.a. in Nordirland, USA, Peru, Kroatien, initiierte.

Was bedeutet nun Community Dance? Die Idee dieser Ende der 1970er Jahre in

England startenden Bewegung „hatte zunächst nichts mit Tanz zu tun, sondern mit

Entwicklungen im Erziehungs- und Gesellschaftssystem unter Aspekten von

chancengleicher Ausbildung, kommunikativer Nachbarschaft und kultureller

Toleranz.“227 Für den Tanz bedeutete dies, die Abschirmung des elitären,

professionellen Tanzes zu durchbrechen und Tanz für jedermann zugänglich zu

machen. Dabei sollte die Qualität jedoch nicht leiden. Die Mitbegründerin des

Community Dance Tamara McLorg spricht in ihrem Vortrag, eingebunden in das

Projekt ‚Can Do Can Dance’ in Hamburg 2006, davon. „If we are working with 225 Zit. n. http://www.royston-maldoom.net/about/philosophie.php?id_language=1 Abruf: 23.3.2010 226 http://www.royston-maldoom.net/about/philosophie.php?id_language=1 Abruf: 23.03.2010 227 http://www.abendblatt.de/kultur-live/article415945/Was-ist-denn-Community-Dance.html Abruf: 23.03.2010; Artikel des Hamburger Abendblatts von Klaus Witzeling

Page 52: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

52

people in the community, we have to take them the best, not second best.“228

Hauptmotivation des Community Dances ist es, Menschen unterschiedlichen Alters

und Geschlechts, ethnischer Zugehörigkeit oder sozialer Herkunft, unabhängig von

Talent oder Erfahrung im Tanz zusammenzubringen und in dieser Diversität die

Entwicklung neuer Ausrucksformen zu ermöglichen.229 Dabei steht u.a. im

Vordergrund, Etikettierungen entgegenzuwirken, die bestimmten Personengruppen

gesellschaftlich angehaftet werden. „(..) I think we will achieve something, when we

got rid of the labels. That we´re not saying: ‘I`m working with someone with

disabilities’ or ‘I`m working with a group of immigrants’ (..) No! - ‘I`m working

with a group of people!’”230

Maldoom stellte in einer Veranstaltung des Heidelberger Deutsch-Amerikanischen

Instituts am 18.03.2010 seine Autobiographie ‘Tanz um dein Leben’ vor. Da ich die

Gelegenheit hatte an dieser Buchvorstellung teilzunehmen, möchte ich folgendes

Beispiel wiedergeben, das Maldoom während seines Vortrags erzählte.

Nach einem Projekt mit Frauen aus dem Holloway-Gefängnis in London fragt er

diese, warum sie daran teilgenommen haben. Eine Frau erklärt ihm, dass sie im

Rahmen des Resozialisierungsprogramms monatlich eine Auswahl auf einer Art

‚Möglichkeiten-Markt’ zu treffen hat. In einer Halle befinden sich Stände

verschiedener Organisationen, die den Frauen verschiedene Angebote machen. Da

lassen sich beispielsweise Angebote für alleinerziehende Mütter finden, Beratung für

Drogenabhängige oder Unterstützungen bei der Arbeitssuche nach der Entlassung

werden angeboten. Und dann war da dieser Stand, beschreibt diese eine Frau, der

‚einfach nur’ Tänzerinnen suchte. Sie war sichtlich berührt davon, in einer ganz

anderen Rolle angesprochen zu werden, welche sie nicht auf Defizite oder gar ihren

kriminellen Status reduzierte.

Dieses Ziel verfolgt der Community Dance, indem er den Tänzer, den Künstler im

Menschen ansprechen möchte. Maldoom sagt in einem Interview für die Zeitschrift

‚Psychologie Heute’: „Wenn ich also in einem Gefängnis arbeite, dann arbeite ich

mit den Menschen nicht als Gefangenen, sondern als potentiellen [!] Tänzern.“231

Denn „Kunst erlaubt es uns, über stereotypische Bilder der Gemeinschaft und die

228 http://www.candocandance.de/history.html Abruf: 23.03.2010 229 Vgl. http://www.royston-maldoom.net/about/philosophie.php?id_language=1 Abruf: 23.03.2010 230 http://www.candocandance.de/history.html Abruf: 23.03.2010 231 http://www.royston-maldoom.net/service/download.php?id_language=1 Abruf: 01.02.2010

Page 53: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

53

Begrenzungen des Selbst hinauszugehen.“232 Weniger die Alltagsthemen der

Teilnehmer stehen im Mittelpunkt, als vielmehr ein gemeinsamer künstlerischer

Prozess. Denn für Maldoom hat das gemeinsame Tanzen „per se eine soziale und

politische Aussage, wenn man es mit einer gewissen Strenge und Disziplin betreibt.

Ein gemeinsamer Tanz bedeutet gemeinsames Wachstum. Übergreifende Themen

ermutigen die Teilnehmer, sich auch außerhalb stärker zu engagieren, denn die

Tänzer machen die Erfahrung, dass sie nicht machtlos sind, ganz egal unter welchen

Umständen sie leben.“233

Der Community Dance richtet sich nicht allein an spezifische Zielgruppen. Vielmehr

ist es ihm ein Anliegen, Menschen unterschiedlichen Hintergrunds zusammen-

zuführen. „Wenn mehrere Gruppen zusammenarbeiten, entdecken die Teilnehmer,

dass sie ein Teil einer größeren Gemeinschaft sind, die Neues und Überraschendes

bereithält – und das lässt sie unter Umständen ihre eigene Stellung in der

Gesellschaft mit ganz neuen Augen sehen.“234 Die Arbeit sollte möglichst im

öffentlichen Leben stattfinden, dort wo Nachbarschaftsbegegnungen möglich sind,

Menschen aus Neugier dazu stoßen können, um spontan selbst mitzutanzen oder das

Projekt aus Begeisterung organisatorisch unterstützen.235

Eines seiner Projekte, das Maldoom 1994 im südafrikanischen Durban kurz nach der

Abschaffung der Apartheid und der Wahl Nelson Mandelas zum Staatspräsidenten

durchführte, widmete sich der Vision, in dem Theater der Stadt, das bisher nur der

weißen Bevölkerung Zutritt verschaffte, eine Aufführung mit Menschen sowohl der

weißen, als auch der schwarzen Bevölkerung auf die Beine zu stellen. Während

seiner Arbeit machte Maldoom in den Pausen folgende wunderbaren Beobachtungen:

„Die weiblichen Teenager setzten sich in die Mitte und tratschten, während die

älteren Jungen draußen die fußballerischen Fähigkeiten der jeweils anderen auf die

Probe stellten. Wieder einmal konnte ich sehen, wie Grenzen überwunden wurden,

wenn der negative und trennende Einfluss der Politik wegfiel und ein gemeinsames

Interesse bestand. Und zweifellos hat die Körperlichkeit des Tanzes ebenfalls eine

Rolle gespielt.“236

Community Dance kann zum Durchbrechen von Grenzen und zu Integration

beitragen, indem es ein gemeinsames Tun in den Mittelpunkt stellt, das allen

232 Maldoom (2010) S.146 233 Maldoom (2010) S.146-147 234 Carley (2010) S.18 235 Vgl. Carley (2010) S.18-19 236 Maldoom (2010) S.189-190

Page 54: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

54

Beteiligten neue Erfahrungen vermittelt. Die zwischenmenschlichen Begegnungen in

den Probenpausen, wie sie Maldoom beschreibt, können dazu einen ebenso großen

Beitrag leisten, wie der gemeinsame kreative Schaffensprozess selbst.

In einem Interview mit der Sprachwissenschaftlerin und Bühnentänzerin Alexandra

L. Zepter spricht Maldoom u.a. darüber, wie Tanz das Durchbrechen von negativen

Haltungen gegenüber unterschiedlichen ökonomischen, sozialen, religiösen und

kulturellen Hintergründen vermag. Zum einen mag es nach Maldoom daran liegen,

„dass wir uns [im Tanz] sehr körperlich engagieren und es sehr schwer ist,

voreingenommen zu bleiben, ein Vorurteil gegen andere Menschen zu haben, mit

denen du physisch zusammengearbeitet hast, um Lösungen für Probleme zu

finden.“237 Zum anderen gibt Tanz „außerhalb vorurteilsbehafteter Sprache (..) viel

weniger Gelegenheit für Missverständnisse. Es ist die nonverbale Kommunikation,

die sehr stark ist, Körpersprache, ergreifend; und das ist es, wenn wir miteinander

tanzen, wir verhandeln Raum, wir teilen Zeit, wir müssen uns sehr bewusst über die

Situation der anderen im Raum sein oder über den Platz, wenn wir alle zusammen

auf der Bühne sind. Es ist ziemlich raffiniert im sozialen Zusammenhang: Wir

müssen vertrauen, sehr oft heben wir, stützen wir, vermeiden wir, dass wir alle

zusammenstoßen – und das ist eine sehr differenzierte soziale Aktivität.“238

Über die Rolle des Tanzes in der Erziehung und in der Entwicklung von Lern- und

Verstehensstrategien sagt Maldoom, dass dieser uns auf das Lernen vorbereitet; „er

macht uns offen für das Lernen. Einer der Weisen, in der er das tut, ist, dass er uns

ein Gefühl der Selbstachtung vermittelt, ein Gefühl von Wert, der Idee, dass wir

wichtig sind, dass wir lernen können, dass wir Einfluss auf unser eigenes Leben

haben können.“239

Maldoom spricht außerdem in diesem Interview über seine Arbeit mit Jugendlichen.

„Mit den Jugendlichen kämpfst du richtig. Bei ihnen findet sich bereits eine kurze

Lebenszeit der Abkopplung, sehr oft eine Spur von Scheitern oder Unsicherheit sich

selbst gegenüber, dem Leben gegenüber. Deshalb musst du eine ganze Menge

Abbauarbeit machen, bevor du wiederaufbauen kannst. Du musst dich mit der

237 http://www.worthaus.com/Worthaus_NEU/Interview%20Royston%20Maldoom.pdf Abruf: 23.03.2010; S.6 238 http://www.worthaus.com/Worthaus_NEU/Interview%20Royston%20Maldoom.pdf Abruf: 23.03.2010; S.6-7 239 http://www.worthaus.com/Worthaus_NEU/Interview%20Royston%20Maldoom.pdf Abruf: 23.03.2010; S.7

Page 55: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

55

Haltung auseinandersetzen, die sie bereits angenommen haben, und diese Gefühle

und Einstellungen eintauschen gegen etwas Positiveres.“240

Eines der wichtigsten Grundprinzipien für die Arbeit mit jungen Menschen ist für

Maldoom der Glaube an deren Potential. In seinem Vortrag ‚Bildung durch

Bewegung’ auf dem McKinsey Kongress über Frühkindliche Bildung im Oktober

2006 in Berlin widmet er sich diesem Thema. „Fühlen (..) [die Jugendlichen] nur

einen Augenblick, dass man nicht an ihr Potential glaubt und so Teil derjenigen Welt

wird, der sie so häufig ausgesetzt sind und die sie nicht anerkennt, sie nicht

respektiert, kein Vertrauen in ihre Potenziale setzt, fallen sie sofort zurück auf ihre

gewohnte Meinung von sich, die viele Kinder, aber auch viele unter uns von sich

haben, nach der man ein Versager ist, jemand, dem nichts gelingt.“241 Das

Selbstvertrauen junger Menschen hängt demnach stark von den Haltungen der sie

umgebenden Erwachsenen ab. „Ich genieße den Augenblick nach einer Vorstellung,

wenn ein Lehrer oder ein Elternteil sagt: »Ich hätte nie gedacht, dass mein Kind

(oder mein Schüler) solche Fähigkeiten hat.« Dann darf ich antworten: »Nun wissen

sie, was das eigentliche Problem ist.«“242

Junge Menschen tragen oft ein bestimmtes Selbstbild mit sich, das davon bestimmt

ist sich nicht geliebt, angenommen und wertvoll zu fühlen. Dieses Bild tragen sie

häufig als Selbstschutz vor sich und verhindern damit wirkliche Nähe zu anderen.

Maldoom nennt dieses Bild das ‚Adoptivkind’. „Das ‚Adoptivkind’ ist eine Collage

aus den Äußerungen von Erwachsenen und Gleichaltrigen und wird von einer allzu

menschlichen Verwundbarkeit zusammengehalten. (..) Ich arbeite nicht mit dem

‚Adoptivkind’. Ich arbeite nur mit der wirklichen Person – dem talentierten,

kreativen Wesen, dem Menschen mit dem außergewöhnlichen Potential.“243

Die besondere Macht des Tanzes beschreibt Maldoom folgendermaßen. „Die

wortlose Sprache des Tanzes ist (..) eine weitere Möglichkeit das Selbst zu

erforschen, verborgene Wünsche zu entdecken und mit anderen in Kontakt zu treten.

Fehlt beispielsweise aufgrund einer besonderen Bedürftigkeit oder geringer Bildung

240 http://www.worthaus.com/Worthaus_NEU/Interview%20Royston%20Maldoom.pdf Abruf: 23.03.2010; S.5-6 241 http://www.royston-maldoom.net/service/download.php?id_language=1 Abruf: 01.02.2010; lecture_maldoom_oct06.pdf 242 Maldoom (2010) S.59 243 Maldoom (2010) S.61

Page 56: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

56

die Fähigkeit, sich mit konventionellen Mitteln mitzuteilen, kann der Tanz ein

wertvolles Hilfsmittel sein sich darzustellen und mit anderen zu kommunizieren.“244

In seinem Vortrag für das European Foundation Centre in Istanbul 2008 heißt es:

„Tanz integriert den Körper, die am stärksten vernachlässigte Komponente der

menschlichen Persönlichkeit, die aber eine immens wichtige Rolle in der

Kommunikation mit uns selbst, mit anderen und mit der Umwelt spielt. Ohne die

harmonische Interaktion des physischen, emotionalen und kognitiven Selbst sind

Kommunikation, Selbstbewusstsein und Verstehen zutiefst gehemmt.“245

3.3.3 Faster-Than-Light-Dance-Company

Nun möchte ich einen Blick auf die Arbeit der Faster-Than-Light-Dance-Company

(FTL)246 werfen, mit dessen künstlerischem Leiter Volker Eisenach ich am

26.03.2010 über Telefonkonferenz ein 30-minütiges Interview geführt habe.

Während das Interview im Anhang vollständig aufgeführt ist, möchte ich an dieser

Stelle eine Zusammenfassung bzw. Auswertung dessen folgen lassen.

Die FTL produziert seit 1992 in Berlin professionelle Tanzstücke im Bereich des

zeitgenössischen Bühnentanzes mit Jugendlichen unterschiedlicher sozialer und

kultureller Herkunft. Jährlich finden mehrfach Projekte in unterschiedlichster

Ausgestaltung statt und Jugendliche der Stadt Berlin erhalten in jedem Projekt neu

die Möglichkeit, daran teilzunehmen.

Zunächst interessierte mich, wie Eisenach selbst zum zeitgenössischen Tanz kam,

worin er professionell in London ausgebildet wurde. Durch spannende Tanz-

aufführungen an seiner damaligen Oberschule wurde er angelockt, selbst einmal an

einer der Tanz AGs teilzunehmen. Ohne zu wissen, was ihn erwarten würde, traute er

sich eines Tages und machte so begeistert seine ersten Tanzschritte. Als seine

Tanzlehrerin und Choreographin einen Aushang über ein Projekt mit dem damals in

Deutschland noch eher unbekannten Royston Maldoom sieht, ermutigte sie Eisenach,

dort mitzumachen. Es handelte sich um ein Jugendprojekt für SchülerInnen, das in

den Sommerferien statt fand, auf 3 Jahre angelegt war und eine Brücke zwischen den

damaligen Kulturhauptstädten Berlin (1988) und Glasgow (1990) schlagen sollte.

Eisenach meldete sich an und blieb auch während der Verlängerung auf 4 Jahre bei

dem Projekt dabei. „Das war so eine ganz andere Herangehensweise, ein anderes

244 Maldoom (2010) S.39 245 Carley (2010) S.154 246 Vgl. http://www.ftl-online.com/FTL/start Abruf: 29.03.2010

Page 57: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

57

Bewegungsvokabular, was mir sehr gefallen hat und was sehr kraftvoll war.“247 So

entschied er auf die Anfrage von Maldoom, auch in weiteren Projekten in Duisburg

mitzutanzen bis dieser ihn schließlich motivierte, eine professionelle Ausbildung zu

durchlaufen. Während Eisenach bis dahin als Jugendlicher rein hobbymäßig tanzte,

ging er gleichzeitig seine ersten kleinen Schritte als Choreograph, indem er mit 18

Jahren die Leitung der Tanz Gruppe seiner Schule übernahm. Was aus heutiger Sicht

sehr bewundernswert ist, machte er damals kaum öffentlich und brachte dennoch

zusammen mit Freunden viele, kleine Stücke auf die Bühne. Schließlich begann er

seine Ausbildung nach einer Aufnahmeprüfung an der Rambert School of Ballet and

Contemporary Dance in London.

Befragt nach seiner Arbeit mit der FTL und den Zielen, die er mit seinen Projekten

verfolgt, antwortete Eisenach: „Die Arbeit der (..) FTL richtet sich an alle Leute, die

grundsätzlich Interesse am Tanzen haben, egal ob Vorkenntnisse vorhanden sind

oder nicht. Und bei uns ist es sehr, sehr wichtig, dass wir keine Aufnahmeprüfung

haben oder Audition oder Casting (..) Unsere Projekte sind grundsätzlich auch

kostenlos und wir schicken niemanden wieder nach Hause, weil er zu wenig, zu viel

oder zu was auch immer getanzt hat.“248 Die Projekte mit den 15- bis 25-Jährigen

können als 2-wöchige Ferienprojekte oder auch als über Monate langfristig angelegte

Projekte gestaltet werden, in denen nicht nur Grundkenntnisse des zeitgenössischen

Tanzes vermittelt werden, sondern auf die am Ende immer auch eine große

Aufführung folgt. Die Jugendlichen sollen dabei die Gelegenheit bekommen, ihre

harte Arbeit einem Publikum in professionellem Rahmen zu präsentieren, um ein

Feedback und Anerkennung für ihre Arbeit zu erhalten.

Die FTL geht dabei weg von „MTV oder VIVA“ und widmet sich dem

zeitgenössischen Bühnentanz, der kaum unter den Jugendlichen verbreitet ist. Mich

interessiert, wie die Jugendlichen auf das für sie Fremde und Neue reagieren.

Für Eisenach besitzt Tanz mit Jugendlichen nicht mehr Berührungsängste, als andere

Freizeitaktivitäten. „Man muss natürlich den ersten Schritt über die Schwelle machen

und danach ist Tanzen für die auch sehr, sehr einfach.“249 Die Jugendlichen

gewinnen schnell einen Zugang und können dadurch „sehr große Fortschritte machen

und beachtliche Leistungen auf die Bühne bringen, die sie selber nicht erwartet

hätten und die auch die Zuschauer nicht erwartet hätten. Das ist für uns natürlich

247 Volker Eisenach zit. n. Interview vom 26.03.2010 s. Anhang S.2 248 Volker Eisenach zit. n. Interview vom 26.03.2010 s. Anhang S.3 249 Volker Eisenach zit. n. Interview vom 26.03.2010 s. Anhang S.4

Page 58: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

58

immer faszinierend zu sehen, wie sich Teilnehmer und Teilnehmerinnen innerhalb

von sehr kurzer Zeit tänzerisch, menschlich entwickeln.“250

Ich wollte noch etwas genauer wissen, welche Entwicklungen die Jugendlichen

während eines Probenprozesses durchmachen. Eisenach spricht insbesondere die

soziale Entwicklung an, welche die Gruppe in der gemeinsamen Erarbeitung eines

Stücks durchmacht. „Man kann nicht allein nur auf der Bühne tanzen, es reicht nicht,

wenn nur eine Person auf der Bühne richtig ist (..), sondern ein Ensemble muss ein

Ergebnis auf die Bühne bringen, mit dem alle Beteiligten zufrieden sind oder wo alle

gleich gut sind und gleich wichtig sind. (..) Man muss sich gegenseitig vertrauen,

man muss aufeinander Rücksicht nehmen, man muss natürlich auch seinen eigenen

Körper kennenlernen"251 Damit spricht Eisenach die Auseinandersetzung der

TeilnehmerInnen nicht nur mit den anderen an, sondern insbesondere auch mit der

eigenen körperlichen Situiertheit, mit Fähigkeiten, Begrenzungen und Bedürfnissen.

Diese selbstreflexiven Vorgänge werden nicht immer offen oder verbal thematisiert,

sondern werden unterschwellig mitgenommen. „Dadurch, dass wir nicht jedes Mal

den Finger drauf halten und sagen, guck mal, jetzt passiert gerade das und das, (..)

haben die Jugendlichen es viel einfacher, damit umzugehen und viel weniger

Hemmschwelle, vielleicht Sachen auch anzunehmen.“252 Die Jugendlichen machen

demnach keine ‚pädagogisierten’ Lernschritte, sondern dürfen sich spielerisch und

gestalterisch in ihrer Persönlichkeit entfalten.

Auch wenn Eisenach als Künstler und Choreograph arbeitet, kommen seine Projekte

ohne pädagogisches Arbeiten nicht aus. „Man muss immer ein Gleichgewicht

zwischen künstlerischem Arbeiten und pädagogischem Arbeiten haben, weil man

sonst keine einzige Bewegung den Leuten beibringen kann oder furchtbare

Probenatmosphäre schafft.“253

Ich wollte wissen, ob Eisenach in seinen Projekten eine Veränderung im Selbstbe-

wusstsein der Jugendlichen beobachten kann. Er sprach von Entwicklungen, die

nicht von einem Moment auf den nächsten passieren, sondern die sich in einem

längeren Prozess, vielleicht auch erst nach Projektende beobachten lassen. Er ist

davon überzeugt, dass es kein Tanzprojekt gibt, das nicht irgendwie einen positiven

Effekt auf das Leben der TeilnehmerInnen hat. „Und wenn es nur ist, (..) dass sie dir

250 Volker Eisenach zit. n. Interview vom 26.03.2010 s. Anhang S.4 251 Volker Eisenach zit. n. Interview vom 26.03.2010 s. Anhang S.5 252 Volker Eisenach zit. n. Interview vom 26.03.2010 s. Anhang S.5 253 Volker Eisenach zit. n. Interview vom 26.03.2010 s. Anhang S.5

Page 59: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

59

dann plötzlich nach Wochen der Arbeit das erste Mal ins Gesicht schauen oder dir in

die Augen schauen, oder einfach nur ein bisschen mehr lächeln, oder sich gerade

halten.“254 Selbst wenn die Jugendlichen keinen weiteren Tanzweg einschlagen oder

ihn gar zum Berufswunsch machen, lässt ein solches Projekt diese nicht unberührt.

„Und wenn es nur ist, dass man die Musik dann nach 5 Jahren mal wieder hört oder

sich dran erinnert oder Fotos sieht oder sich das Video anguckt.“255 Diese positiven

Erfahrungen können demnach auch in Form von Erinnerungen in den Jugendlichen

weiter wirken und sie in ihrer Alltagsroutine ermutigen.

Die FTL schafft einen barrierefreien Zugang zu Bildung und ästhetischen

Erfahrungen, indem sie bewusst auf Aufnahmeprüfungen verzichtet, die Möglichkeit

zur kostenfreien Teilnahme schafft und Anfänger gemeinsam mit Fortgeschrittenen

auf die Bühne bringt. Da es auch ein Kern Sozialer Arbeit sein sollte, gesellschaft-

liche Teilhabe zu ermöglichen und Chancenungerechtigkeiten abzubauen, interessiert

mich, welchen Beitrag Soziale Arbeit leisten kann, wenn es um die Umsetzung der

bisher beschriebenen Projekte geht. Eisenach beschrieb zwei Projektformen, die

unterschiedliche Herangehensweisen benötigen: „Wenn ich ein Projekt mit fünf

Leuten habe, dann brauche ich da eine andere Herangehensweise, als wenn ich 200

Leute habe, die über zwei Monate zusammen arbeiten.“256 Ihm ist dabei wichtig, dass

das jeweilige Projekt „choreographisch auf die Jugendlichen zugeschnitten ist, dass

sie nicht überfordert sind, sondern nur gefordert, dass sie ihre besten Sachen zeigen

können, ohne (..) das Gefühl zu haben, ‚oh, sie machen sich hier lächerlich’, sondern

dass sie am Tag der Aufführung einfach ein sicheres Gefühl haben.“257

Wenn es um die Umsetzung großer Projekte geht, benötigt man nicht nur Lehrer die

betreuend helfen, sondern auch viele weitere Personen, die das Projekt im

Hintergrund unterstützen. Ein Ansatzpunkt Sozialer Arbeit sollte m.E. in der

Wegbereitung dieser Projekte liegen. Dies kann durch Netzwerkarbeit,

Öffentlichkeitsarbeit, organisatorische und personelle Unterstützung geschehen.

Wenn junge Menschen durch Projekte, wie sie die FTL in Berlin durchführt, die

Chance bekommen, unabhängig von ihrem sozialen oder kulturellen Hintergrund

unter professioneller Anleitung künstlerische, ästhetische Erfahrungen zu sammeln,

werden dadurch nicht nur neue Bildungschancen geschaffen und gesellschaftliche

254 Volker Eisenach zit. n. Interview vom 26.03.2010 s. Anhang S.6 255 Volker Eisenach zit. n. Interview vom 26.03.2010 s. Anhang S.6-7 256 Volker Eisenach zit. n. Interview vom 26.03.2010 s. Anhang S.7 257 Volker Eisenach zit. n. Interview vom 26.03.2010 s. Anhang S.7

Page 60: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

60

Partizipation ermöglicht, sondern auch ganz individuell wichtige Impulse für die

biographische Entwicklung einzelner Jugendlicher gesetzt

3.4. Potentiale im Tanz nach Lowinski und Klinge

Die Sozialwissenschaftlerin und Tanzpädagogin Felicitas Lowinski entwirft in ihrem

Buch ‚Bewegung im Dazwischen’ eine Projektkonzeption, die einen körperorien-

tierten, kulturpädagogischen Ansatz für die Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen

verfolgt. Dafür setzt sie sich ausführlich mit der Lebenswelt benachteiligter

Jugendlicher, mit der körperlichen Dimension von Kulturpädagogik, sowie mit den

Wirkungsweisen von Tanz auseinander. In einem Resümee richtet sie ihren Blick

darauf, welches Potential Tanz für die kulturpädagogische Arbeit mit Jugendlichen

birgt. Ihre Ergebnisse möchte ich an dieser Stelle verkürzt darstellen.

Durch eine körperliche Selbstvergewisserung und die Bewältigung kreativer

Aufgaben im Tanz wird das Kompetenz- und Selbstwirksamkeitsgefühl der

Jugendlichen gestärkt.258 Da das Körperbewusstsein unmittelbar mit dem Selbst-

bewusstsein zusammenhängt, bietet der Tanz Entwicklungspotential zu einem

selbstbewussten Subjekt. Durch das Sich-Erproben und Gestalten im tanzästhe-

tischen Projekt, entfaltet das Subjekt Schlüsselqualifikationen, die es ihm ermöglich-

en, sich als kompetent und wirksam zu erleben.259 „Durch den bewussten Eigen-

kontakt im Experimentieren mit Bewegungsmöglichkeiten“260 wird das Außen neu

wahrgenommen und zuvor Fremdes kann für den Jugendlichen nun einen

berechtigten Platz erhalten. Das kreative Schaffen und die Bewegung im Tanz

bewirken eine Veränderung des rezeptiven, trägen Verhaltens, das Jugendliche zum

Teil begleitet. Auch unruhiges, aggressives Verhalten kann verändert werden, sobald

die Wahrnehmung und Aufmerksamkeit auf einen selbst gerichtet wird. Durch einen

spielerischen Umgang mit Bewegungen werden festgefahrene Bewegungs- und

Beziehungsmuster aufgebrochen, und ein Gefühl für mögliche Alternativen kann

geweckt werden.

Des Weiteren werden interaktionelle Fähigkeiten gestärkt, da die tanzästhetische

Praxis in gruppenbezogenen Kontexten immer auf Kommunikation angelegt ist.

Partizipationsmöglichkeiten werden geschaffen und durch das Entdecken und

Präsentieren neuer Fähigkeiten, erhalten die Jugendlichen soziale Anerkennung.

258 Vgl. Lowinski (2007) S.142 und S.214 259 Vgl. Lowinski (2007) S.150 260 Lowinski (2007) S.214

Page 61: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

3. Tanz in der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen

61

Im Tanz sieht Lowinski einen Beitrag zur Lebenskunst, die ich bereits in

vorangegangenen Kapiteln als einen von Foucault und Zacharias verwendeten

Begriff, beschrieben habe. Als Lebenskunst ist in ihrem Sinne „eine Anwendung von

Kunst aufs Leben (..), also die bewusste und unbewusste Anwendung von

Erfahrungen und Können aus einem körperorientierten kulturpädagogischen Projekt

auf die persönliche Lebensweise“261 gemeint. Körperorientierte Kulturpädagogik

muss demnach nicht nur als ein künstlerischer Erfahrungsprozess, sondern auch als

„bescheidene und mühevolle Arbeit einer punktuellen Verbesserung spezifischer

Verhältnisse“262 betrachtet werden.

Tanz bietet Jugendlichen das Erkennen und Erleben eigener Handlungs-

möglichkeiten. Dadurch werden „Erfahrungen aufgearbeitet, die den Jugendlichen

verstehen lassen, dass jeder Mensch auf seine Art mit Brüchen, Unwahrscheinlich-

keiten und Widerständen leben muss und kann.“263 Durch die Auseinandersetzung

mit zunächst Neuem und Fremdem, sowie durch die Vernetzung verschiedener

Träger in kulturpädagogischen Projekten, wird der Horizont der Jugendlichen

erweitert. Die Jugendlichen können sich ein neues Bild von sich und der Welt

machen und erhalten „die Chance für neue Wege und andere Gangarten“264.

In ihrem Aufsatz ‚Tanz als Medium kultureller Bildung’ schlüsselt die Tanzwissen-

schaftlerin Antje Klinge auf, welche Bildungs- und Entwicklungschancen ihrer

Meinung nach im Tanz liegen. Einige ihrer Thesen möchte ich wiedergeben.

„Jede Konfrontation des vorhandenen Bewegungsvokabulars mit neuen, bislang

unbekannten und mitunter fremden Bewegungsmöglichkeiten löst Irritationen und

[damit] Reflexionen mit dem eigenen Körper- und Selbstbild aus.“265 Durch

„räumliche(n) oder zeitliche(n) Modifizierung bekannter oder vertrauter Bewegungs-

weisen“266 wird der Erfahrungsspielraum vergrößert. Die Auseinandersetzung mit

dem eigenen Körper lehrt nicht nur über dessen Funktionalität, sondern vermittelt

auch die Grenzen und den Spielraum der eigenen Möglichkeiten „auf eine

unmittelbar sinnliche Weise“267. Auf diese Weise wird nicht nur das eigene Körper-

bild, sondern auch das Selbstbild erweitert. Selbstvertrauen kann im Tanz dadurch

261 Lowinski (2007) S.216 262 Lowinski (2007) S.217 263 Lowinski (2007) S.217 264 Lowinski (2007) S.218 265 Klinge (2004) S.174 266 Klinge (2004) S.174 267 Klinge (2004) S.174

Page 62: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

4. Tanzästhetische Projekte als Befähigung zu „sozialer Subjektivität“

62

gestärkt werden, „indem (..) bislang ungeordnete Eindrücke und vage Vorstellungen

in zunehmend deutlichere Ausrucksformen“268 gebracht werden.

Tanz als ‚Verstehen mit dem Körper’ kann zunächst als eine vorreflexive Form des

Verstehens bezeichnet werden, worauf jedoch ein Nachvollziehen und Aufspüren der

Logik des Bewegens folgt. Tanzen im Miteinander fordert immer auch die Fähigkeit

des Einfühlens in menschliches Verhalten und vermag daher auch die Logik

menschlichen Verhaltens im ästhetischen Prozess aufzudecken. Auf diese Weise

kann die Reflexionsfähigkeit im Tanz gestärkt werden. Erfolgt ein tanzästhetisches

Projekt, das in eine Aufführung mündet, werden die TeilnehmerInnen aufgefordert

„für das entstandene Gestaltungsergebnis Verantwortung zu übernehmen, um die

Aussage als [ihren] (..) Standpunkt vor anderen vertreten zu können.“269 Dies

verlangt insbesondere Reflexionsfähigkeit hinsichtlich möglicher Wirkungen.

Neben der bisher beschriebenen Wirkung von Tanz auf die Persönlichkeitsentfaltung

und die Reflexionsfähigkeit, sieht Klinge weitere wichtige Aspekte im Tanz in

dessen Befähigung zu kulturellem Verstehen, sowie zu Ausdrucks- und

Kommunikationsfähigkeit. Weitere wichtige Chancen im Tanz liegen für Klinge in

dessen Unmittelbarkeit. Da lebensweltliche und biographische Erfahrungen im

Körper verankert sind, und daher eine Distanzierung von ihnen im Tanz unmöglich

ist, findet immer eine zum Teil spielerische Auseinandersetzung mit der eigenen

Biographie und Lebenswelt statt. Durch den individuellen und subjektiven Charakter

des Tanzes, können diese darin auf die je eigene Weise verarbeitet und ausgedrückt

werden.270

4. Tanzästhetische Projekte als Befähigung zu „sozialer Subjektivität“

Mit diesem abschließenden Kapitel möchte ich die Fäden meiner Arbeit zusammen-

führen und das Potential tanzästhetischer Projekte mit Jugendlichen für deren

Entwicklung zu mehr Selbstbewusstsein, Selbstbestimmungsfähigkeit und sozialer

Kompetenz systematisch aufzeigen.

Dies soll auf der Grundlage der in dieser Arbeit erarbeiteten subjekttheoretischen und

tanztheoretischen Aspekte sowie mit Hilfe meiner Ausführungen zur Ästhetischen

Praxis und Betrachtungen dreier repräsentativer Praxisbeispiele geschehen. Zuletzt

268 Klinge (2004) S.174 269 Klinge (2004) S.174 270 Vgl. Klinge (2004) S.172-173

Page 63: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

4. Tanzästhetische Projekte als Befähigung zu „sozialer Subjektivität“

63

möchte ich Bezug zur Sozialen Arbeit nehmen und aufzeigen, welchen Beitrag diese

im Rahmen der Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen leisten kann.

4.1. Ein Resumee

Die Verästelungen dieser Arbeit sollen nun zu einem Bild zusammengefügt werden,

das den Zusammenhang von ‚sozialer Subjektivität’ und ‚Tanz in der Ästhetischen

Praxis mit Jugendlichen’ noch einmal deutlich nachzeichnet.

Durch das Aufzeigen verschiedener sozialwissenschaftlicher Perspektiven

hinsichtlich des Subjektbegriffs, sowie die Subjektentwicklung in Kapitel 1, bemühte

ich mich um eine Annäherung an die Frage: Was bedeutet Befähigung zu „sozialer

Subjektivität“ insbesondere für Jugendliche im Einzelnen? Aus den verschiedenen

Aspekten möchte ich für diese Schlussbetrachtung fünf Hauptaspekte herausgreifen

und sie in Bezug zu meinen weiteren Ausführungen, betreffend den Tanz in der

Ästhetischen Praxis, setzen.

4.1.1. Befähigung zu Selbstbewusstsein

Selbstbewusstsein, das als Zutrauen zu sich selbst bezeichnet werden kann, bedarf

insbesondere Erfahrungen von sozialer Anerkennung sowie das Gefühl für den

eigenen Wert, nämlich ein unverwechselbares und besonderes Individuum zu sein.

Für Jugendliche bedeutet dies aufgrund besonderer Entwicklungsansprüche und

Bedürftigkeit die Überwindung von Unsicherheiten und Omnipotenzgefühlen hin zu

einem stabilen und realistischen Selbstkonzept. Dieses wird durch einen Prozess

konstruktiver Selbstverortung in alltäglicher Passungsarbeit zwischen dem

subjektiven Innen und dem gesellschaftlichen Außen erlangt. Eine besondere Rolle

spielen dabei die Auseinandersetzung und der Umgang mit der eigenen körperlichen

Erscheinung, sowie das Erleben der eigenen Stärken und der (Selbst-)

Wirksamkeitserfahrungen.

Wie ich versucht habe aufzudecken, liegen in der tanzästhetischen Praxis mehrere

Potentiale zur Befähigung Jugendlicher zu mehr Selbstbewusstsein. Im Tanz wird

nicht nur ein über den Leib vermittelter Zugang zur eigenen Person ermöglicht,

sondern auch eine Ausdrucksform geschaffen, in der sich der Jugendliche neu

erfinden oder erklären kann. Ein Teilnehmer der TanzZeit Jugendcompany erzählt

eindrücklich in seinen eigenen Worten, welche Gegenerfahrungen er zu seinem

Alltag im Tanz machen konnte. Er entdeckt nicht nur zum ersten Mal seine

Fähigkeiten und kann dadurch eine Zuschreibungsänderung vornehmen und sein

Page 64: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

4. Tanzästhetische Projekte als Befähigung zu „sozialer Subjektivität“

64

negatives Selbstbild auf den Kopf stellen, sondern er findet auch eine neue Form,

seine eigene Geschichte zu erzählen sowie seine Gefühle zu äußern. Was ihm mit

Worten nur schwer gelingt, findet im Tanz eine neue Ausrucksmöglichkeit.

Die Ästhetische Praxis ermöglicht als Experimentierfeld der Wahrnehmung die

spielerische Erkundung der Selbst-Weltbezüge, die nicht allein über den Verstand

erfahrbar sind. Ästhetische Erfahrungen über die menschlichen Sinne ermöglichen

ein tieferes Erleben und Verstehen dieser und verhelfen dem Jugendlichen dadurch

zu einer bewussten Selbstverortung. Für Spinner liegt die Selbstwerterfahrung in der

Ästhetischen Praxis in dem Wert, eine zwecklose Erfahrung machen zu dürfen, die

nicht auf Effizienz oder Leistung ausgerichtet ist. Das Bewältigen kreativer

Aufgaben, sowie das Sich-Erproben im Gestaltungsprozess verhelfen über das

Erlangen von Schlüsselqualifikationen zu einem Kompetenz- und (Selbst-)

Wirksamkeitsgefühl. Zu diesen gehören die Selbstkompetenzen, Sozialkompetenzen,

Kulturelle Kompetenzen, Methodenkompetenzen und allgemeinen künstlerischen

Kompetenzen.

Indem ungeordnete Eindrücke und vage Vorstellungen im Tanz durch innere

Formung eine deutlichere Ausdrucksform finden, kann nach Klinge das

Selbstvertrauen gestärkt werden. Tanz kann dann einen inneren Klärungs- und

Sortierungsprozess in Gang setzen. Rhythmus im Tanz ermöglicht durch seine

ordnende und belebende Kraft dem Subjekt innere Sicherheit und Freude.

Für Maldoom ist der Glaube an das Potential von Jugendlichen der wichtigste

Schlüssel zur Stärkung ihres Selbstvertrauens. PädagogInnen besitzen demnach eine

besonders hohe Verantwortung für das Selbstbild, das Jugendliche von sich

entwickeln. Oft ist dieses negativ geprägt und dient als Selbstschutz. Unsere Aufgabe

ist es nach Maldoom, mit dem Talent und der Kreativität hinter dieser Maske zu

arbeiten.

Mit Hilfe der angeführten Praxisbeispiele konnte ich verdeutlichen, welche

Bedeutung Aufführungen für die Jugendlichen haben. Die eigene Arbeit auf einer

Bühne in professionellem Rahmen zeigen zu dürfen, dafür ein Feedback,

Anerkennung und Applaus zu bekommen, nimmt direkten Einfluss auf das

Selbstwertgefühl der Jugendlichen. Eisenach beschreibt auch körperliche Verände-

rungen, die er teilweise während der Probenzeiten erkennen kann: Ein erstes In-die-

Augen-Schauen, ein Lächeln oder eine plötzlich gerade Haltung. Es zeigt sich

außerdem, dass sich diese veränderten Selbstwerterfahrungen in den Alltag hinein

Page 65: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

4. Tanzästhetische Projekte als Befähigung zu „sozialer Subjektivität“

65

nehmen lassen. So beschreibt ein weiterer Teilnehmer der TanzZeit Jugendcompany,

dass es ihm nun nach seinem ersten getanzten Solo leichter fällt, auf andere

Jugendliche zuzugehen.

4.1.2. Befähigung zu (Selbst-) Reflexivität

Selbstbewusstsein beinhaltet über das Gefühl für den eigenen Wert hinaus auch das

Wissen über die eigene Person und die eigenen Lebensbedingungen. Gemeint ist hier

die Fähigkeit zur (Selbst-) Reflexion, zum ‚Sich-zu-sich-selbst-Verhalten-Können’,

das sich in der Auseinandersetzung mit der eigenen Person, den gesellschaftlichen

Strukturen, sowie dem eigenen Lebensentwurf entwickelt. Jugendliche können nur

auf Grundlage einer Reflexionsfähigkeit ein eigenes Wert- und Normensystem,

eigene Handlungsmuster sowie den eigenen Lebensplan entwerfen. Welchen Beitrag

können tanzästhetische Projekte leisten?

Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Ausdrucksformen und die Konfrontation

mit bisher fremdem Bewegungsvokabular im Tanz löst Reflexionen mit dem eigenen

Körper und Selbstbild aus. Eigene Grenzen und Möglichkeiten werden auf diese

Weise erkundet und erweitert. Da lebensweltliche und biographische Erfahrungen im

Körper verankert sind, können diese unmittelbar von den Jugendlichen im Tanz

begriffen und verarbeitet werden. Am Ende eines jeden Tanzprojektes, in dem Sinne

wie ich sie hier beschrieben habe, steht eine Aufführung. Die Jugendlichen müssen

sich bereits während des Probenprozesses darüber bewusst werden, welche Aussagen

sie treffen möchten, d.h. was sie ihrem Publikum kommunizieren möchten. Dadurch

wird nicht nur die Reflexionsfähigkeit bezüglich der eigenen Ziele geschult, sondern

auch über mögliche Wirkungen nachgedacht.

Durch ästhetische Erfahrungen können nicht nur neue kreative Lösungsmöglich-

keiten gefunden werden, sondern auch alte Rollen, Bewegungs- und

Beziehungsmuster aufgebrochen werden. Dies wird möglich, indem ästhetische

Bildung auf das Verfremden von Gewohntem zielt. Wenn sich die Jugendlichen auf

Ungewohntes und Irritierendes einlassen, lernen sie neue Perspektiven auf sich

selbst, ihren Alltag sowie ihren eigenen Lebensentwurf kennen. Der gewohnte

Alltagsablauf wird unterbrochen und die Aufmerksamkeit auf die besonderen

Erfahrungen des Augenblicks gelenkt. Diese können sich zum Einen als

horizonterweiternde Gegenerfahrungen erweisen, die den Jugendlichen ein

Bewusstsein dafür schaffen, dass die gegebenen Verhältnisse, nicht die einzig

Page 66: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

4. Tanzästhetische Projekte als Befähigung zu „sozialer Subjektivität“

66

vorstellbaren sind. Zum Anderen verhelfen sie den Jugendlichen zu einem tieferen

symbolischen Verstehen größerer Zusammenhänge.

Der Community Dance sieht seine besondere Aufgabe darin, Menschen

unterschiedlichster Herkunft im Tanz zusammenzubringen. Darin liegt eine

besondere Chance zur Auseinandersetzung mit der eigenen und fremden Kultur, den

unterschiedlichen Erfahrungen, Gewohnheiten und Einstellungen.

Ein besonderes Potential von Bewegung liegt in der Ermöglichung von

Differenzerfahrungen. Im Erleben von Unterschieden wird dem Subjekt ermöglicht

zu erkennen, ’was ist’ und ’was sein kann’. Durch die Konzentration auf

Unterschiede kann sowohl die Eigenbefindlichkeit reflektiert werden, als auch Neues

erprobt werden. Indem Bewegungen im Tanz als Veränderungen betrachtet und unter

dem Aspekt wahrgenommen werden, was diese bezüglich der Eigenbefindlichkeit

bewirken, kann die Reflexionsfähigkeit der Jugendlichen gefördert und gestärkt

werden.

4.1.3. Befähigung zu Selbstbestimmung

Selbstbestimmung bedeutet, nicht nur im Sinne der Selbstermächtigung, über eigene

Lebensaktivitäten zu verfügen und die eigenen Lebensbedingungen aktiv zu

gestalten, sondern auch gesellschaftliche und andere äußere oder innere Zwänge

außer Kraft setzen zu können. Für Jugendliche besteht die besondere Aufgabe auf

dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben in der Gewinnung emotionaler

Unabhängigkeit von den Eltern sowie in der Verwirklichung eigener Berufswünsche

und eines eigenen Lebensplanes.

Die Ästhetische Praxis fördert diese Entwicklung, indem sie freie Erfahrungs- und

Experimentierräume zur Verfügung stellt. Die gesamte Ausdruckstanzbewegung

kann als Gegenentwurf gegenüber gesellschaftlicher Zwänge gesehen werden. Indem

diese sich weniger für körperliche Leistung und vorgegebene Formen interessierte,

rückten inhaltliche Ziele wie die Auseinandersetzung mit dem Inneren des Menschen

sowie die Erlangung eines selbstbestimmten Körpers in den Vordergrund.

Jugendliche werden in diesem Sinne in der tanzästhetischen Praxis dazu ermutigt,

sich dem eigenen Ausdrucksbedürfnis zu widmen und damit eigene Interessen und

Ziele zu verfolgen.

Bewegung ermöglicht den Jugendlichen mit den Worten Landers ausgedrückt,

Konflikte ab-zutanzen, ihr Darstellungsbedürfnis vor-zutanzen, Freude aus-zutanzen

und Aggressionen konstruktiv um-zutanzen. Dies befähigt die Subjekte nicht nur

Page 67: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

4. Tanzästhetische Projekte als Befähigung zu „sozialer Subjektivität“

67

dazu, sich über innere Zwänge zu ermächtigen, sondern ermutigt diese auch äußere

Zwänge zu verändern. Maldoom spricht davon, dass Tanz uns nicht nur ein Gefühl

der Selbstachtung vermittelt, sondern auch die Idee, dass wir wichtig sind. Auf der

Grundlage dieses Selbstwertgefühls können die Jugendlichen unabhängiger von

äußeren und inneren Bedingungen lernen, Einfluss auf das eigene Leben zu nehmen.

Eine Teilnehmerin der TanzZeit Jugendcompany fasst das in die Worte: Tanzen heißt

für mich, ich selbst sein zu können und sich nicht unterkriegen zu lassen. Dieses

Gefühl von Ganzheit und Freiheit schreibt bereits Schiller als wichtigen Gewinn der

Kunst zu.

Tanzästhetische Projekte bieten dem Subjekt einen alternativen Zugang zur Welt, der

sich von dem dominierenden zweckrationalen Zugang unterscheidet und können

ihnen dadurch zur Durchdringung gesellschaftlicher Normen verhelfen. Durch die

Erlangung zahlreicher Schlüsselkompetenzen werden die Jugendlichen dazu

befähigt, sich auch außerhalb der Tanzpraxis als kompetente und wertvolle Subjekte

zu erleben. Die berufliche Orientierung der Jugendlichen kann unterstützt werden,

indem diese ihre eigenen Fähigkeiten und Stärken erkunden können. Selbst wenn ein

Projekt für die Jugendlichen ein einmaliges Erlebnis bleibt, können positive

Erinnerungen diese dazu ermutigen, die Alltagsroutine zu durchbrechen.

4.1.4. Befähigung zu sozialem Handeln

Wie der Soziologe Kamper es bereits ausdrückte, wird Autonomie ohne

Souveränität, ohne soziale Verantwortung zum Verhängnis. Auch Keupp verdeut-

lichte, dass Subjekte in Zeiten der Individualisierung auf tragende Gemeinschaften

und soziale Netzwerke angewiesen sind und die Sozialisationstheorie zeigt, dass wir

soziale Interaktion und Anerkennung brauchen.

Jugendliche stehen damit nicht nur vor der Herausforderung, selbstbestimmt einen

eigenen Lebensplan zu entwerfen und sich innerhalb unübersichtlicher gesellschaf-

tlicher Strukturen selbst zu verorten. Sie sind darüber hinaus auch gefordert,

Beziehungen einzugehen und ein soziales Bindungsverhalten sowie soziale Kompet-

enzen zu erlernen. Tanz und Bewegung bieten hierfür neue Kommunika-

tionsmöglichkeiten, einen alternativen emotionalen Zugang zu anderen Subjekten.

Durch tanzästhetische Projekte werden die Jugendlichen nicht nur gemeinsam

bewegt, sondern auch durch eine gemeinsame Idee zusammengehalten. Da andere als

die alltäglichen Kompetenzen angesprochen werden, kommt verstecktes Potential

Page 68: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

4. Tanzästhetische Projekte als Befähigung zu „sozialer Subjektivität“

68

zum Vorschein und die TeilnehmerInnen können sich aus einer neuen Perspektive

kennenlernen.

Welches integrative Moment Tanz haben kann, beschreibt Maldoom mit seinen

Projekten besonders gut. Die TeilnehmerInnen, die mit ganz unterschiedlichen

Hintergründen an einem gemeinsamen Projekt arbeiten, können erkennen, dass sie

Teil einer größeren Gemeinschaft sind. Indem ein gemeinsames Tun im Mittelpunkt

steht, das neue Erfahrungen vermittelt, können Grenzen durchbrochen werden. Eine

Teilnehmerin der TanzZeit Jugendcompany berichtet, wie sich im Tanz

Gemeinsamkeiten entdecken lassen, die zuvor nicht sichtbar waren.

Auch Eisenach weist auf die sozialen Entwicklungen hin, die sich bei Jugendlichen

während eines Tanzprojektes beobachten lassen. Die Jugendlichen müssen

Rücksichtnahme und Vertrauen lernen, die Ziele des Projektes gemeinsam tragen.

Sie müssen lernen, sich während der Proben gegenseitig zu unterstützen, denn am

Ende stehen alle gemeinsam auf der Bühne und alle sollen mit diesem Ergebnis

zufrieden sein. Die Jugendlichen lernen sich gegenseitig zu heben, zu stützen und

Zusammenstöße zu vermeiden.

Tanz findet außerhalb vorurteilsbehafteter Sprache statt und bietet aufgrund dieser

nonverbalen Kommunikation weniger Gelegenheiten für Missverständnisse.

Tanzprojekte sind neben der nonverbalen Kommunikation in der Bewegung aber

auch auf eine Gesprächskultur angewiesen, in der eigene Sichtweisen, Eindrücke

sowie gegenseitige Anerkennung ausgetauscht werden. Hier können die

Jugendlichen lernen, eine Sprache für die eigenen Bedürfnisse und Sichtweisen zu

finden. Die Erfahrungen in der Gruppe ermöglichen es, eigene Auffassungen durch

die Meinung anderer zu revidieren oder genauer zu rechtfertigen. Eine Kultur

konstruktiver Kritik und sozialen Lernens kann geschaffen werden.

Die Postmoderne steht vor der Herausforderung den Subjektivierungsgewinn der

Moderne zu steigern und gleichzeitig einen durch Individualisierung bedingten

Vergemeinschaftungsverlust aufzufangen. Für die Ästhetische Praxis bedeutet dies

eine „Gratwanderung zwischen Gleichklang und Verschiedenheit des Ausdrucker-

lebens in der Bewegungsweise Tanz, die den Individualisierungswunsch im

Gemeinschaftserlebnis zugleich befriedigen soll.“271

271 Treptow (1993) S.93

Page 69: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

4. Tanzästhetische Projekte als Befähigung zu „sozialer Subjektivität“

69

4.1.5. Befähigung zur Lebenskunst

Lebenskunst, mit Foucault gesprochen als Kunst der Existenz, zielt auf das Subjekt

als ‚Arbeiter an der Schönheit des eigenen Lebens’. Das Schöne, den Wert und den

Sinn des eigenen Lebens zu erkennen und zu verfolgen bedarf all dieser voran

beschriebenen Fähigkeiten. Selbstbewusstsein, (Selbst-) Reflexivität, Selbstbestim-

mung und soziale Kompetenzen sind die Grundlage für das Subjekt, um den Faden

des eigenen Lebens zu erkennen sowie dieses bewusst nach eigenen Vorstellungen

und Bedürfnissen verantwortungsvoll zu gestalten. In einer vernunftbetonten

Gesellschaft sind hierfür insbesondere die kreativen Kräfte wiederzubeleben.

Vitalität, Initiative, Ausdauer, Neugier, Intuition, Inspiration, Impulsivität und

Humor sind nur einige wichtige Vorraussetzungen um die ‚Schönheit des eigenen

Lebens’ zu erkennen und (aus) zu schöpfen. Die Ästhetische Praxis weckt diese

Kräfte, indem sie ihren Kern nicht an der Vernunft, sondern an der sinnlichen

Wahrnehmung festmacht. Subjekte können diese schlummernden Fähigkeiten durch

ästhetische Bildung wie dem Tanz neu beleben und ‚über sich hinaus wachsen’. Den

eigenen Potentialen entsprechend, werden die Subjekte ermutigt, das eigene Leben

aktiv und kreativ zu gestalten. Auch Leiderfahrungen können im kreativen Prozess

bearbeitet werden. Durch Erfahrungen des eigenen Wertes und der Gemeinschaft

können die Subjekte Kraft schöpfen, und das Leidvolle im eigenen Leben

bewältigen. Die Herausforderung besteht darin, die Erfahrungen und angesprochenen

Kompetenzen aus dem künstlerischen Prozess auf das eigene Leben zu übertragen.

Diese Brücke herzustellen und den Jugendlichen eine Anwendung des Erlebten im

eigenen Leben zu ermöglichen, muss Aufgabe der (Sozial-) Pädagogik sein.

4.2. Beitrag der Sozialen Arbeit

Beginnen möchte ich mit der Geschichte des 12-Jährigen Jeremy272, der an einem

Musical Projekt der Theodor-Heuss-Schule (THS) Marburg im Februar-März 2010

teilnahm. Ich begleitete dieses Projekt für den Bereich Tanz. Es fand in

Zusammenarbeit zwischen dem Marburger Bildungs- und Studienzentrum, dem

Verein passion1 und Lehrern der THS statt. In einem Zeitraum von sechs Wochen

probten die 60 SchülerInnen der 6. Klassen jeden Montag in der 7./8. Stunde in den

Bereichen Schauspiel, Tanz, Gesang und Bühnenbild, um schließlich ein Musical zu

272 Name wurde geändert.

Page 70: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

4. Tanzästhetische Projekte als Befähigung zu „sozialer Subjektivität“

70

erarbeiten, das in drei Aufführungen vor Eltern, LehrerInnen, SchülerInnen und

anderen Interessierten aufgeführt wurde.

Jeremy, der als Schauspieler und Tänzer an dem Projekt teilnahm, fiel zunächst

durch harte verbale und körperliche Äußerungen gegenüber seinen MitschülerInnen

auf, und es fiel ihm schwer, sich für die Proben zu konzentrieren. Dennoch erschien

er zu jeder Probe, und es zeigte sich langsam, dass er Freude am Tanzen entwickelte.

Als ich in der letzten Probe mit den TänzeInnen die Stücke durchging, stellte ich

erstaunt fest, dass Jeremy nicht nur als Einziger jeden Schritt beherrschte, sondern

sich mit diesen auch exakt in die Musik einfühlen konnte. Die Musical Aufführung

endete mit einem Hip-Hop Stück, das alle 20 TänzerInnen gemeinsam auf der Bühne

aufführten. Jeremy war es, der in der ersten Reihe stand und allen 20 TänzerInnen

den Einsatz gab und diese mit seiner Sicherheit in den Schritten durch das Stück

führte. Seine Mutter, die dadurch auffiel, dass sie in der zweiten Reihe sitzend laut

telefonierte, während die Kinder ihr Bestes auf der Bühne gaben, verschwand mit

Jeremy unmittelbar nach der Aufführung ohne ein Wort der Anerkennung.

Bewegt von der Entwicklung des Jungen, der seine harte Coolness in den Proben

gegen positive Aufregung während der Aufführung eintauschte, da er ernsthaft

zeigen konnte welche Fähigkeiten in ihm stecken, ging ich gegen Projektende auf ihn

zu. Ich spiegelte ihm, welche Leistung er vollbracht hatte und fragte ihn, ob er daran

interessiert sei, Tanzunterricht zu nehmen. Er reagierte freudig und hatte dennoch die

Sorge, wie er zu einer Tanzschule kommen sollte. Seine Mutter um Unterstützung zu

bitten, schien ihm keine Option zu sein. Erst als ich sagte, dass ich ihn abholen und

wieder nach Hause bringen würde, willigte er strahlend ein.

Was möchte ich mit dieser Geschichte zum Ausdruck bringen? Ich möchte mit

meiner Arbeit aufzeigen, welche Bedeutsamkeit ästhetische Erfahrungen, wie sie im

Tanz gemacht werden können, für die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen

haben. Es wäre falsch zu denken, alle SozialpädgogInnen müssten dafür zu

KünstlerInnen werden. Vielmehr sehe ich die Aufgabe Sozialer Arbeit darin,

unterschiedlichste Möglichkeitsräume für solche Erfahrungen zu schaffen. Dies ist

m.E. durch zwei Wege möglich.

Zum Einen sollte es Aufgabe Sozialer Arbeit sein, Projekte, wie ich sie hier

beschrieben habe, selbst zu initiieren oder durch Netzwerkarbeit zu fördern. Dies

kann bedeuten sich in kommunale Politik einzuschalten, an Schulen und

KünstlerInnen heranzutreten, kreative Räume in der Jugendhilfe und in der

Page 71: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Schlussbemerkung

71

Jugendarbeit zu schaffen, sowie Orte zu errichten an denen Bildungsprozesse aus

dem kreativen künstlerischen Bereich regelmäßig stattfinden können. Schule,

Jugend- und Kulturarbeit weisen sich aus durch ihre „Verpflichtung auf ein starkes,

handlungsfähiges Subjekt, das sein eigenes Projekt des guten Lebens nur im Kontext

geeigneter sozialer und politischer Rahmenbedingungen definiert.“273

Zum Anderen, und das hoffe ich mit der Geschichte von Jeremy verdeutlicht zu

haben, sollte Soziale Arbeit den Blick auch auf das kreative Potential von

Jugendlichen gerichtet haben, das in einer ökonomisch ausgerichteten Gesellschaft

nicht sofort und vordergründig zum Vorschein kommt.

Für Zacharias ist das Zentralmotiv kultureller Bildung die Stärkung des Subjekts, die

in der Befähigung zu einer starken personalen Identität zugunsten eines gelingenden

Lebens liegt. Dazu sollte sich kulturelle Bildung dem ganzen Menschen, d.h. seiner

Biographie und seiner jeweiligen Kompetenz widmen.274 An der Geschichte von

Jeremy wird deutlich, welche Bedingungen den Zugang und die Chance auf Bildung

verhindern können. In dem Fall ist es die familiäre Unterstützung die fehlt, wenn es

um die regelmäßige Teilnahme an Bildungsangeboten geht. Hier wäre in Form von

Einzelhilfe Unterstützung zu leisten. In anderen Fällen liegen andere Hinderungs-

gründe vor, die passgenauer, individueller Unterstützung bedürfen.

Nur im Zusammenwirken von Einzel-, Gruppen-, und Gemeinwesenarbeit kann es

Sozialer Arbeit gelingen, sich an dem Abbau dieser Chancenungleichheiten zu

beteiligen. Es gilt sich für diejenigen einzusetzen, denen der Zugang zu, im Rahmen

dieser Arbeit besonders zu betonenden kreativen Bildungsangeboten, und damit auch

zu gesellschaftlicher Teilhabe, verwehrt bleibt.

Schlussbemerkung Ich hoffe, es ist mir gelungen, in dieser vorwiegend theoretischen Auseinandersetz-

ung mit Subjektbildung von Jugendlichen und der Ästhetischen Bildung durch

Zeitgenössischen Tanz, einige wichtige Aspekte, Zusammenhänge, Potentiale und

Perspektiven aufzuzeigen. Mir war es dabei besonders wichtig, einerseits den Blick

auch auf diejenigen Personen und Institutionen zu richten, die aus eigener Erfahrung

schöpfend, das Potential tanzästhetischer Projekte für Jugendliche benennen können,

da sie es in ihrer beruflichen Praxis täglich erleben. Zum Anderen sollten die

Stimmen teilnehmender Jugendlicher Gehör erhalten. Dass es sich hierbei nicht um

273 Fuchs in: Otto/Oelkers (2006) S.219 zit. n. AdB Zacharias (2009) S.242 274 Vgl. Zacharias (2009) S.242

Page 72: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Schlussbemerkung

72

eine empirische Erhebung, sondern um eine Verstärkung und Veranschaulichung

theoretischer Ausführungen durch einen Praxisbezug handelt, sollte evident sein.

Auch dass es sich lediglich um Ausschnitte der komplexen Themengebiete, sowie

um eine Auswahl noch weiter reichender Literaturquellen handelt, möchte ich an

dieser Stelle betonen. Vielen Autoren aus den Tanz- und Sozialwissenschaften, die

wertvolle Beiträge zum Thema dieser Arbeit verfassten, konnte ich an dieser Stelle

leider keinen Platz einräumen.

Zuletzt möchte ich bemerken, dass ich mich hier zwar für die künstlerische Kategorie

Tanz entschieden habe, viele subjektbildende Aspekte sich aber auch in anderen

Feldern der Ästhetischen Praxis wiederfinden lassen.

Bedauerlicher Weise werden gerade musisch-künstlerische Fächer aus dem Lehrplan

in Schulen gestrichen. Der Schwerpunkt schulischer Pädagogik wird somit auf

zweckrationale Ziele gelegt. Dabei – und das macht die Auseinandersetzung mit dem

Thema dieser Arbeit deutlich - ist es gerade diese Ästhetische Bildung, die unsere

Kinder und Jugendlichen zu starken, selbstbewussten und sozial kompetenten

Subjekten befähigt.

Daher gilt es für die Soziale Arbeit, sich für Projekte einzusetzen, die Jugendliche

ästhetisch bilden und sie dadurch zu “sozialer Subjektivität“ befähigen. Das Wissen

über die Potentiale der Ästhetischen Praxis und im Speziellen tanzästhetischer

Projektarbeit soll nicht einfach versiegen, sondern weitergehend noch stärker genutzt

werden. Dies kann bedeuten, im Gemeinwesen Bedingungen zu schaffen, welche

diese wertvollen Erfahrungen ermöglichen. Es kann auch bedeuten, konkrete

ästhetische Projekte zu initiieren und umzusetzen oder Einzelnen den Zugang zu

diesen zu ermöglichen.

Die Orientierung an bisher durchgeführten Modellprojekten kann dabei

Unterstützung und Motivation sein. Ebenso das Feedback der teilnehmenden

Jugendlichen, die, wie es diese Arbeit zeigt, in der Lage sind, ihre Erfahrungen in

tiefe, bedeutsame Worte zu fassen.

Da ich selbst erfahren und gesehen habe, welche bedeutsamen Entwicklungsschritte

Kinder und Jugendliche in künstlerischen Prozessen hin zu selbstbewussteren, sozial

kompetenten Subjekten gehen, bin ich nicht nur von dem Potential tanzästhetischer

Projekte überzeugt. Ich hege auch den persönlichen Wunsch, das Feld der

Ästhetischen Praxis in der Zukunft stärker von SozialpädagogInnen unterstützt,

gestaltet und in der Arbeit mit Jugendlichen etabliert zu sehen.

Page 73: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Schlussbemerkung

73

Ich träume davon, und damit schließe ich diese Arbeit, dass einem jeden

Jugendlichen das Erleben des eigenen Wertes, eigener Selbstbestimmungsfähigkeit

und sozialer Gemeinschaft ermöglicht wird. Die Bereitstellung ästhetischer

Erfahrungen, fernab eines ökonomischen, zweckorientierten Leistungsdrucks, sowie

die Nutzung, Erschließung und Etablierung (tanz-) ästhetischer Projektarbeit, ist dazu

m.E. ein bedeutsamer Schritt in die richtige Richtung.

Page 74: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Abkürzungsverzeichnis

74

Abkürzungsverzeichnis

bes. = besondere

BKJ = Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung

bzw. = beziehungsweise

d.h. = das heißt

etc. = et cetera

FTL = Faster-Than-Light-Dance-Company

Jh. = Jahrhundert

lat. = lateinisch

m.E. = meines Erachtens

sinnl. = sinnliche

u.a. = unter anderem

zit.n. = zitiert nach

Page 75: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Literaturverzeichnis

75

Literaturverzeichnis

Abels H. (2006): Identität. Lehrbuch. Wiesbaden: VS Verlag für

Sozialwissenschaften.

Bannmüller E./ Röthig P. (1990): Grundlagen und Perspektiven ästhetischer und

rhythmischer Bewegungserziehung. Stuttgart: Ernst Klett Verlag für Wissen und

Bildung.

Böhnisch L. (2001): Sozialpädagogik der Lebensalter. Eine Einführung. Weinheim:

Juventa Verlag, 2. überarbeitete Auflage.

Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung e.V. - BKJ (Hrsg.) (2006): Der

Kompetenznachweis Kultur. Ein Nachweis von Schlüsselkompetenzen durch

kulturelle Bildung. Schriftenreihe der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung

e.V. Band 63. Remscheid, 3. Auflage.

Brockhaus Enzyklopädie Bnd 2 APU-BEC. Mannheim: Brockhaus Verlag,19.

völlig neu bearbeitete Auflage.

Cabrera-Rivas C. (2001a): Der Körper, das Medium zwischen innen und außen –

über die Möglichkeit, tanzend Bewegung zu erfahren. In: Moegling K. (Hrsg.):

Integrative Bewegungslehre Teil 2. Wahrnehmung, Ausdruck und

Bewegungsqualität. Reihe Bewegungslehre und Bewegungsforschung Band 14.

Immenhausen bei Kassel: Prolog Verlag. S.182-196.

Cabrera-Rivas C. (2001b): Fremde Tanzformen und vertraute Bewegungen.

Identitätsfindung in der interkulturellen Bewegungserziehung. In: Karoß S./ Welzin

L. (Hrsg.): Tanz – Politik – Identität. Jahrbuch Tanzforschung 11. Hamburg: LiT

Verlag. S.225-242.

Carley J. (2010): Royston Maldoom. Community Dance. Jeder kann tanzen. Das

Praxisbuch. Leipzig: Henschel Verlag.

Page 76: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Literaturverzeichnis

76

Claudi. I. (1976): Tanz und Sozialisation 1. In: Tanz und Erziehung. Der Frankfurter

Tanzkreis. Informationen 6. 2. Auflage. S.2-13.

Erdmann- Rajski K. (2001): Palucca. Künstlerische Identität in politischen

Systemen. In: Karoß S./ Welzin L. (Hrsg.): Tanz – Politik – Identität. Jahrbuch

Tanzforschung 11. Hamburg: LiT Verlag. S.135-158

Ferchhoff W. (2007): Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert. Lebensformen

und Lebensstile. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Ferchhoff W./ Neubauer G. (1989): Jugend und Postmoderne. Analysen und

Reflexionen über die Suche nach neuen Lebensorientierungen. Weinheim und

München: Juventa Verlag.

Fleischle-Braun C. (2000): Der Moderne Tanz. Geschichte und

Vermittlungskonzepte. Butzbach-Griedel: Afra-Verlag.

Fuchs M. (1998): Kulturelle Bildung und der Körper. In: Gesellschaft für

Tanzforschung e.V. (Hrsg.): Jahrbuch Tanzforschung Band 9. Wilhelmshaven:

Verlag der Heinrichshofen-Bücher. S.9-24.

Fuchs M. (2001): Persönlichkeit und Subjektivität. Historische und systematische

Studien zu ihrer Genese. Opladen: Leske + Budrich Verlag.

Grundmann M. (2008): Handlungsbefähigung – eine sozialisationstheoretische

Perspektive. In: Otto H.-U./ Ziegler H. (Hrsg.): Capabilities – Handlungsbefähigung

und Verwirklichungschancen in der Erziehungswissenschaft. Wiesbaden: VS Verlag

für Sozialwissenschaften. S.131-142.

Haas R. (1999): Entwicklung und Bewegung. Der Entwurf einer angewandten

Motologie des Erwachsenenalters. Schorndorf: Hofmann Verlag.

Page 77: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Literaturverzeichnis

77

Hafeneger B. (2003): Lernen und Bildung im Prozess jugendkultureller

Modernisierung. In: Koch J./ Rose L./ Schirp J./ Vieth J. (Hrsg.): Bewegungs- und

körperorientierte Ansätze in der Sozialen Arbeit. BSJ-Jahrbuch 2002/2003. Opladen:

Leske + Budrich Verlag. S.107-132.

Heinrichs J-H. (2008): Capabilities: Egalitaristische Vorgaben einer Maßeinheit. In:

Otto H.-U./ Ziegler H. (Hrsg.): Capabilities – Handlungsbefähigung und

Verwirklichungschancen in der Erziehungswissenschaft. Wiesbaden: VS Verlag für

Sozialwissenschaften. S.54-68.

Herriger N. (1997): Empowerment in der Sozialen Arbeit – Eine Einführung.

Stuttgart: Kohlhammer Verlag.

Hurrelmann K. (1985): Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwissen-

schaftliche Jugendforschung. Grundlagentexte Soziologie. Weinheim und München:

Juventa Verlag.

Jacobs D. (1985): Bewegungs-Bildung/ Menschenbildung. Wolfenbüttel: Georg

Kallmeyer Verlag.

Jäger J./ Kuckhermann R. (Hrsg.) (2004): Ästhetische Praxis in der Sozialen

Arbeit. Wahrnehmung, Gestaltung und Kommunikation. Weinheim und München:

Juventa Verlag.

Kaltenbrunner T. (2009): contact improvisation. bewegen – sich begegnen –

miteinander tanzen. Aachen: Meyer & Meyer Verlag, 3. überarbeitete Auflage.

Keupp H.(2008): Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der

Spätmoderne. Reinbeck bei Hamburg. Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, 4. Auflage.

Kirsch S. (2005): Im Tanz die Sinne erfahren. Die Ausbildung der Identität durch

eine sinnesorientierte Tanzpädagogik. Hamburg: Dr. Kovac Verlag.

Page 78: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Literaturverzeichnis

78

Klinge A. (2001): Der Körper als Zugang subjektorientierten Lernens. In: Karoß S./

Welzin L. (Hrsg.): Tanz – Politik – Identität. Jahrbuch Tanzforschung 11. Hamburg:

LiT Verlag. S.243-256.

Klinge A. (2004): Tanz als Medium kultureller Bildung. In: Bundesvereinigung

Kulturelle Jugendbildung e.V. – BKJ (Hrsg.): Kultur leben lernen.

Bildungswirkungen und Bildungsauftrag der Kinder und Jugendkulturarbeit.

Schriftenreihe der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung 60. Remscheid:

Topprint. S.171-177.

Koch L. (1994): Einleitende Bemerkungen zum Thema »Pädagogik und Ästhetik«.

In: Koch L./ Marotzki W. Peukert H. (Hrsg.): Pädagogik und Ästhetik. Schriften zur

Bildungs- und Erziehungsphilosophie. Weinheim: Deutscher Studienverlag. S.8-19.

Krieger W. (2004): Wahrnehmung und ästhetische Erziehung. Zur Neukonzept-

ionierung ästhetischer Erziehung im Paradigma der Selbstorganisation.

Bochum/ Freiburg: Projektverlag.

Laban R.v.(1988): Die Kunst der Bewegung. Wilhelmshafen: Florian Noetzel

Verlag.

Lander H.: Tanz und Sozialisation 2. In: Tanz und Erziehung. Der Frankfurter

Tanzkreis. Informationen 6. 2. Auflage. S.14-25.

Lampert F. (2007): Tanzimprovisation. Geschichte – Theorie – Verfahren –

Vermittlung. Bielefeld: Transcript Verlag.

Liebau E. (1999): Erfahrung und Verantwortung. Werteerziehung als Pädagogik der

Teilhabe. Weinheim: Juventa Verlag.

Lowinski F. (2007): Bewegung im Dazwischen. Ein körperorientierter Ansatz für

kulturpädagogische Projekte mit benachteiligten Jugendlichen. Bielefeld: Transcript

Verlag.

Page 79: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Literaturverzeichnis

79

Maldoom R. (2010): Tanz um dein Leben. Meine Arbeit, meine Geschichte.

Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag.

Marquardt P./ Krieger W. (2007): Potenziale Ästhetischer Praxis in der Sozialen

Arbeit. Eine Untersuchung zum Bereich Kultur-Ästhetik-Medien in Lehre und

Praxis. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.

Meueler E. (1998): Die Türen des Käfigs. Wege zum Subjekt in der

Erwachsenenbildung. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag, 2. veränderte Auflage.

Müller H. (1977): Sozialisation und Individualität. München: Kösel Verlag.

Rosenberg C. (1997): Tanzen als Dialog mit der Welt – Zur Bedeutung eines

dialogischen Bewegungsverständnisses für die Tanzpädagogik. In: Gesellschaft für

Tanzforschung e.V. (Hrsg.): Jahrbuch Tanzforschung Band 7. 1996. Wilhelmshaven:

Verlag der Heinrichshofen-Bücher. S.195-209.

Peez G. (2005): Evaluation ästhetischer Erfahrungs- und Bildungsprozesse. Beispiele

zu ihrer empirischen Forschung. München: Kopaed Verlag.

Peter-Bolaender M.(1991): Persönlichkeitsentwicklung und Selbsterfahrung durch

Tanz. In: Willke E./ Hölter G./ Petzold H. (Hrsg.): Tanztherapie. Theorie und Praxis.

Ein Handbuch. Paderborn: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung. S.465-486.

Postuwka G. (1999): Moderner Tanz und Tanzerziehung. Analyse historischer und

gegenwärtiger Entwicklungstendenzen. Schorndorf: Verlag Karl Hofmann.

Scherr A. (1997): Subjektorientierte Jugendarbeit. Eine Einführung in die

Grundlagen emanzipatorischer Jugendarbeit. Weinheim und München: Juventa

Verlag.

Scherr A. (Hrsg.) (2006): Soziologische Basics. Eine Einführung für Pädagogen und

Pädagoginnen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Page 80: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Literaturverzeichnis

80

Schwarzbauer M./ Hofbauer G. (Hrsg.) (2007): Polyästhetik im 21.Jahrhundert.

Chancen und Grenzen ästhetischer Erziehung. Frankfurt am Main: Peter Lang

Verlag.

Seewald J. (2000): Durch Bewegung zur Identität? Motologische Sichten auf das

Identitätsproblem. In: Motorik.23 (2000) Heft 3, S.94-101.

Stelter R. (2006): Sich –Bewegen – auf den Spuren von Selbst und Identität. In:

Motorik. 29 (2006) Heft 2, S.65-74.

Treptow R. (1993): Bewegung als Erlebnis und Gestaltung: Zum Wandel

jugendlicher Selbstbehauptung und Prinzipien moderner Jugendkulturarbeit.

Weinheim und München: Juventa Verlag.

Vorst C./ Grosser S./ Eckardt J./ Burrichter R. (Hrsg.) (2008): Ästhetisches

Lernen. Studien zur Germanistik und Anglistik. Frankfurt am Main: Peter Lang

Verlag.

Wesemann A.(2009): Komplizen. In: Ballettanz. Europe´s leading dance magazine.

Kreative Komplizen. Heft 12.09, S.8-13.

Zacharias W. (2009): Politische Aspekte kulturell-ästhetischer Bildung und

Dimensionen des Politischen in der Kulturellen Bildung. Oder: Alles hängt mit allem

zusammen, irgendwie und sowieso. In: Außerschulische Bildung. Arbeitskreis

deutscher Bildungsstätten e.V. AdB. Materialien zur politischen Jugend- und

Erwachsenenbildung. Ästhetische und künstlerische Dimensionen politischer

Bildung. Heft 3-2009, S.241-250.

Zimmermann P. (2003): Grundwissen Sozialisation. Opladen: Leske + Budrich

Verlag, 2. Auflage.

Page 81: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Internetquellen

81

Internetquellen

http://www.abendblatt.de/kultur-live/article415945/Was-ist-denn-Community-

Dance.html, Abruf: 23.03.2010

Artikel von Klaus Witzeling: Was ist Community Dance?

http://www.bkj-remscheid.de/, Abruf: 23.02.10

http://www.candocandance.de/history.html, Abruf: 23.03.2010

Vortrag von Tamara McLorg, 2006 in Hamburg.

http://www.ftl-online.com/FTL/start, Abruf: 29.03.2010

http://www.ipp-muenchen.de/texte/keupp_09_freising04_text.pdf, Abruf: 11.02.10

Vortrag von Heiner Keupp, 2009 in Freising. Fragmente oder Einheit? Wie heute

Identität geschaffen wird.

http://www.paedagogik.phil.uni-erlangen.de/mitarbeiter/liebau/kultur-und-geist.pdf,

Abruf: 01.02.10

Eckart Liebau: Kultur und Geist.

http://www.royston-maldoom.net/service/download.php?id_language=1,

Abruf: 01.02.10

im_gespräch-psychologieheute.pdf, Royston Maldoom im Gespräch mit Gabriele

Michel, erschienen in Psychologie Heute compact 2007 Heft 16: „Schule

verändern!“.

Lecture_maldoom_okt06.pdf, Kongress McKinsey Frühkindliche Bildung, Oktober

2006, Berlin. Lecture Royston Maldoom „Bildung durch Bewegung“.

http://www.royston-maldoom.net/about/philosophie.php?id_language=1

Abruf: 23.03.2010

http://www.tanzzeit-schule.de/tanzzeit/tanzzeit.php?PHPSESSID=

d8478f8a8edd3b7adb46e5c5a1852828, Abruf: 25.03.2010

Page 82: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

82

http://www.tanzzeit-schule.de/tanzzeit/jugendcompany.php?PHPSESSID=

d8478f8a8edd3b7adb46e5c5a1852828

Abruf: 25.03.2010

TanzZeit – Jugendcompany

http://www.worthaus.com/Worthaus_NEU/Interview%20Royston%20Maldoom.pdf

Abruf: 23.03.2010

Interview mit Roysten Maldoom durchgeführt von Alexandra Lavinia Zepter.

Page 83: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Anhang

83

Anhang

1. Interviewtranskription

Interview geführt mit Volker Eisenach am 26.03.2010 über Telefonkonferenz

SP = Sarah Petry VE = Volker Eisenach SP:

Ich danke erstmal, dass sie sich Zeit nehmen für dieses Interview.

VE:

Bitte, Bitte.

SP:

Sie sind professioneller Tänzer und Choreograph, ich musste es nachlesen, ausgebildet an

der Rambert School of Ballet and Contemporary Dance und der Imperial Society of Teachers

of Dancing in London. Mich würde es interessieren, wie sie selbst zum Tanz gekommen

sind, vielleicht können sie einen kurzen Abriss darüber geben?

VE:

Ich bin zum Tanzen gekommen, weil an meiner Oberschule eine Tanz AG angeboten wurde.

Die haben viele Aufführungen gemacht, die sehr sehr toll waren zum Zuschauen. Da war

immer volles Haus, die haben immer richtig tolle Unterhaltung gemacht und ich fand das

sehr faszinierend und wollte irgendwie da mitmachen. Ich wusste aber gar nicht was mich da

so richtig erwartet und bin dann eines Tages einfach mal hingegangen und hab dadurch so

meine ersten Tanzschritte gemacht und fand das alles sehr sehr toll.

SP:

Das heißt sie haben auch eher spät angefangen mit Tanz?

VE:

Ja, spät wenn man das vergleicht mit Balletttänzern die mit vier oder fünf anfangen, ja klar.

SP:

Ende der 1980er sind sie dann auf die Arbeit von Royston Maldoom gestoßen, haben in

einigen Stücken selbst mitgetanzt und ihm auch in vielen seiner Projekten assistiert. Was hat

sie an dieser Arbeit fasziniert?

VE:

Ich bin zu Royston Maldooms Arbeit gekommen weil meine damalige Choreographin

irgendwie so einen Aushang gesehen hat und mir den Zettel in die Hand gedrückt hat. Ja da

kommt irgend so ein Brite nach Berlin, ob ich Lust da mitzumachen hätte. Joa, hab mich da

dann so formlos beworben, weil es so ein Jugendprojekt war für Schüler in den

Sommerferien; war über drei Jahre angelegt und sollte die Kulturhauptstädte Berlin und

Glasgow verbinden. Berlin war 1988, wenn ich mich nicht irre, Kulturhauptstadt und

Glasgow 1990. Und das sollte so ein Brückenschlag zwischen beiden Ländern sein und auch

Seite 1

Page 84: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Anhang

84

mit Jugendlichen aus beiden Ländern zusammenarbeiten. Und da hab ich halt das erste Mal

seine Arbeit kennen gelernt, hab mitgetanzt und das war so eine ganz andere

Herangehensweise, ein anderes Bewegungsvokabular, was mir sehr gefallen hat und was

sehr kraftvoll war. Dann wurde das Projekt noch auf 4 Jahre verlängert und als es dann in

Berlin irgendwann nicht mehr weiter geführt wurde, hat Royston mich gefragt, ob ich Lust

habe mit nach Duisburg zu kommen, weil er auch in Duisburg ähnliche Projekte macht. Und

dann meinte ich natürlich gern, weil ich seine Arbeit toll finde und ihn toll finde. Und hab

dann glaub für 3 Jahre auch in Duisburg bei seinen Projekten mitgetanzt, die er dort mit Ulla

Weltike zusammen gemacht hat. Irgendwann hat Royston mich dann gefragt ob ich schon

mal überlegt habe Tänzer zu werden, das war noch in Berlin, und ich musste sagen Nein,

weil ich das wirklich noch nie überlegt habe, und bin dann nach vielen Jahren Verspätung,

hab ich meine Aufnahmeprüfung in England gemacht und bin dann hingegangen.

SP:

Das heißt, sie haben ihre professionelle Tanzausbildung auch erst im Anschluss an diese

Projekte angefangen?

VE:

Ja, ich habe vorher rein hobbymäßig als Jugendlicher getanzt und hab aber immer mehr

choreographisch gearbeitet. Hab meine ersten zaghaften Schritte gemacht, weil die

Choreographin, die damals bei uns an der Schule war, konnte nur noch selten kommen oder

musste immer weniger kommen und dann hab ich halt so ganz langsam Schrittchen für

Schrittchen die Gruppe übernommen, ohne dass ich es eigentlich wollte oder wusste; und

war dann mit 18 eigentlich der Leiter von einer Tanzgruppe, was aus heutiger Sicht sehr

‚Wow’ ist, weil damit hab ich selber nicht gerechnet und hätte es damals auch nie so

bezeichnet und habs auch nie so öffentlich gemacht. Aber das waren halt so meine ersten, ja

Gehversuche als Choreograph, hab meine ersten Arbeiten gemacht und hatte halt nicht den

Druck, dass es nach so und so viel Tagen aufgeführt werden muss. Und hab da dann über

Jahre mit Freunden zusammen gearbeitet und viele kleine, tolle Sachen auf die Bühne

gebracht.

SP:

Jetzt bringen sie nicht nur kleine Sachen auf die Bühne, sondern seit 1992 bringen sie mit

ihrer Tanzcompany Faster-than-Light-Dance-Company professionelle Tanzstücke auf die

Bühne. Die Projekte sind zugänglich, ich würde jetzt mal sagen für Jedermann, also nicht nur

für professionelle Tänzer, sondern besonders auch für Anfänger ohne Aufnahmeprüfung.

Was ist die Absicht mit ihren Projekten oder wie kann ich mir so einen Projektverlauf

vorstellen?

VE:

Die Arbeit der Faster-than-Light-Dance-Company oder der FTL richtet sich an alle Leute,

Seite 2

Page 85: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Anhang

85

die grundsätzlich Interesse am Tanzen haben, egal ob Vorkenntnisse vorhanden sind oder

nicht. Und bei uns ist es sehr sehr wichtig, dass wir keine Aufnahmeprüfung haben oder

Audition oder Casting, sondern dass bei uns grundsätzlich alle mitmachen können. Unsere

Projekte sind grundsätzlich auch kostenlos und wir schicken niemanden wieder nach Hause,

weil er zu wenig, zu viel oder zu was auch immer getanzt hat. Wir möchten mit unserer

Arbeit alle Leute erreichen, sowohl Zuchauer als auch Darsteller, arbeiten hauptsächlich mit

Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 15 und 25 Jahren zusammen und bringen

denen Grundbegriffe, Grundkenntnisse des Tanzens bei, inszenieren kleine und große

Aufführungen mit denen. Wir machen Ferienprojekte einerseits, die eine oder zwei Wochen

dauern können, wir machen aber auch über Monate angelegte langfristige Projekte, die dann

in der Regel an den Wochenenden geprobt werden. Ziel ist es immer nach egal wie lange der

Probenprozess ist, eine Aufführung auf die Bühne zu bringen, dass die Jugendlichen ein

Ergebnis haben, was sie auch vor Publikum in einem professionellen Rahmen präsentieren

können und ein ganz eindeutiges Feedback auch bekommen für die Arbeit, die sie in der

Probenzeit geleistet haben. Wir gehen dabei etwas weg von MTV oder VIVA, sondern wir

machen zeitgenössischen Bühnentanz der bei Jugendlichen ja auch nicht primär verbreitet ist

und machen alles musikalisch, von Klassik über Rammstein, bis alte Musik bis Musical.

Alles wozu wir gerade Lust haben machen wir; sehr sehr ernste Themen, sehr lustige

Themen und versuchen durch ein breit gestreutes Angebot an unterschiedlichen Projekten,

an unterschiedlichen Themen ein sehr abwechslungsreiches Programm für die Zuschauer

und für die Darsteller zusammenstellen zu können.

SP:

Jetzt haben sie gerade gesagt zeitgenössischer Tanz, ist da nicht erstmal eine

Berührungsangst von Jugendlichen da? Das ist ja schon eher was ganz Neues, was sie bisher

noch nicht kennen. Wie erleben sie das, wie Jugendliche da ran gehen mit was ganz neuem

Fremden?

VE:

Also ich glaub diese Berührungsangst ist meistens von Menschen, die nicht so primär damit

arbeiten. Letztendlich hat man vor allem Berührungsangst. Egal ob es in den Bus steigen ist,

oder tanzen oder Brötchen backen. Klar ist es was Neues, wir haben ja nun nicht die Tänzer,

die seit zehn Jahren auf der Bühne tanzen, sondern wir haben sehr oft Anfänger und da ist es

glaub ich genauso als ob sie woanders hingehen. Man muss natürlich den ersten Schritt über

die Schwelle machen und danach ist Tanzen für die auch sehr, sehr einfach, dazu Zugang zu

gewinnen und wenn die Jugendlichen mitmachen wollen können sie sehr, sehr große

Fortschritte machen und beachtliche Leistungen auf die Bühne bringen, die sie selber nicht

erwartet hätten und die auch die Zuschauer nicht erwartet hätten. Das ist für uns natürlich

immer faszinierend zu sehen, wie sich Teilnehmer und Teilnehmerinnen innerhalb von sehr

Seite 3

Page 86: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Anhang

86

kurzer Zeit tänzerisch, menschlich verändern, verbessern und Ergebnisse auf die Bühne

bringen, mit denen sie oder die Zuschauer nicht gerechnet haben.

SP:

Das heißt es werden in den Projekten nicht nur körperliche Fähigkeiten herausgefordert,

angesprochen, sondern da passieren auch andere Dinge mit den Jugendlichen. Sie haben jetzt

gesagt menschlich verändern. Sind da Fähigkeiten die sie besonders beobachten, was in so

einem Projektprozess mit den Jugendlichen geschieht?

VE:

Wenn Tanzprojekte gemacht werden, werden viele Fähigkeiten von den Tänzern und

Tänzerinnen egal wie alt sie sind verlangt, gefördert und ausgebaut. Z.B. dass man ganz

offensichtlich miteinander arbeitet. Man kann nicht allein nur auf der Bühne tanzen, es reicht

nicht wenn nur eine Person auf der Bühne richtig ist oder eine Person falsch ist, sondern ein

Ensemble muss ein Ergebnis auf die Bühne bringen wo alle Beteiligten mit zufrieden sind

oder wo alle gleich gut sind und gleich wichtig sind. Wenn man nicht mit einem Partner

zusammenarbeiten kann, ist es natürlich schwierig. In unserer Arbeit ist es natürlich schön zu

sehen, dass es da nicht nennenswerte Schwierigkeiten gibt, sondern dass sie da sehr

unvoreingenommen und sehr offen an die Sachen ran gehen und viele Sachen, die von

Außen vielleicht etwas schwierig erscheinen relativ einfach meistern. Diese Zusammenarbeit

ist das Eine, man muss sich gegenseitig vertrauen, man muss aufeinander Rücksicht nehmen,

man muss natürlich auch seinen eigenen Körper kennen, kennenlernen. Dehnen,

Aufwärmen, tänzerisch verbessern, denen Tanztechnik beibringen. Wenn man das auf einem

Blatt Papier sieht, ist das vielleicht etwas abschreckend, weil da so vieles angesprochen wird.

Aber es sind auch oft Sachen, die unterschwellig oder unbewusst nur mitgenommen werden

und teilweise nicht verbal thematisiert werden, die einfach ganz automatisch passieren. Und

dadurch dass wir nicht jedes Mal den Finger drauf halten und sagen, guck mal, jetzt passiert

gerade das und das, und das und das und das, haben die Jugendlichen es viel einfacher damit

umzugehen und viel, viel weniger Hemmschwelle vielleicht Sachen auch anzunehmen.

SP:

Ich hab noch 2 Fragen, die auch ein bisschen den Bogen zu meiner Arbeit schließen oder

auch zur Sozialen Arbeit. Ich weiß, dass es ihnen immer auch wichtig ist zu sagen, dass sie

keine Pädagogen sind, sondern dass sie als Künstler arbeiten. Und dennoch passieren Dinge

so als Nebeneffekt in einem künstlerischen Prozess, was auch ein pädagogischer Beitrag

vielleicht in dem Sinn ist.

VE:

Also ich bin der Meinung dass man mit Anfängern und auch mit Profis niemals arbeiten

kann, wenn man nur künstlerisch arbeitet oder wenn man nur pädagogisch arbeitet. Man

muss immer ein Gleichgewicht zwischen künstlerischem Arbeiten und pädagogischem

Seite 4

Page 87: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Anhang

87

Arbeiten haben, weil man sonst keine einzige Bewegung den Leuten beibringen kann, oder

furchtbare Probenatmosphäre schafft. Das geht nicht auseinander und ich glaub jetzt die

Diskussion zu führen, wie sehr man Pädagoge und wie sehr man Künstler ist und wie viel

Prozent von dem einen und wie viel Prozent von dem anderen bringt glaub ich überhaupt

nichts. Man muss so arbeiten wie es einem am Besten und der Gruppe mit der man

zusammenarbeitet am Besten tut, aber es geht nicht das eine ohne das andere. Das ist diese

berühmte Frage was war zuerst da, die Henne oder das Ei? Es geht nicht das eine ohne das

andere.

SP:

Der Titel meiner Arbeit lautet "Taz als Befähigung zu „sozialer Subjektivität“ in der

Ästhetischen Praxis mit Jugendlichen". Langer Titel, d.h. für mich, ich gehe davon aus, dass

Tanz, wenn er in künstlerische Projekte eingebunden ist, Potential hat junge Menschen zu

fördern in ihren Fähigkeiten; Sie zu sozialem, verantwortungsvollen Handeln zu fördern,

indem sie ein Gemeinschaftsprojekt sind, zu mehr Selbstbewusst-sein und

Selbstbestimmung. Können sie aus ihrer Praxiserfahrung die Thesen bestätigen oder dazu

was sagen?

VE:

Naja, es ist ein sehr, sehr umfassender Titel der so 10 000 Sachen gleichzeitig anspricht. Ich

hab jetzt wenig gefunden, was dem was ich kennengelernt habe, widerspricht.

SP:

Also, was mir ganz besonders wichtig ist, ist was das Selbstbewusstsein angeht. Im Tanz

vorn zu stehen, sie haben auch noch mal gesagt, wie wichtig es ist, dass es in eine

Aufführung mündet, wo man Anerkennung bekommt. Das war mir das wichtigste, ob es

wirklich in einem Prozess zu beobachten ist, dass sich etwas an dem Selbstbewusstsein der

Jugendlichen verändert.

VE:

Ja auf jeden Fall, man hat ja nichts weiter auf die Bühne zu bringen, als sich selber. Man ist

ja nur mit seinem Körper da oben und das sind halt nicht Veränderungen, die von einer

Sekunde auf die nächste passieren, sondern die auch sehr stark längerfristig sind. Die dann

vielleicht nach Wochen oder Monaten passieren, oder auch sehr oft erst wenn die Proben

oder die Aufführungen vorbei sind. Aber ich bin fest der Meinung, dass es Niemanden gibt,

den so ein Tanzprojekt unberührt lässt und dass so ein Tanzprojekt immer positive

Auswirkungen auf das Leben des jeweiligen Teilnehmers oder der Teilnehmerin hat. Und

wenn es nur ist, wie man es bei einigen gesehen hat, dass sie dir dann plötzlich nach Wochen

der Arbeit das erste Mal ins Gesicht schauen oder dir in die Augen schauen, oder einfach nur

ein bisschen mehr lächeln, oder sich gerade halten. Das hat immer einen positiven Effekt,

auch wenn die Leute später nie was in die Richtung professioneller Tänzer machen wollen,

Seite 5

Page 88: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Anhang

88

also wenn sie nicht diesen Tanz als Berufswunsch wählen wollen, sondern wenn sie dann

ihren Job machen, der ihnen das tägliche Brot geben wird. Es hat immer ne positive

Auswirkung. Und wenn es nur ist, dass man die Musik dann nach 5 Jahren mal wieder hört

oder sich dran erinnert oder Fotos sieht. Oder sich das Video anguckt. Da nimmt jeder was

Positives von mit nach Hause.

SP:

Ja. Eine letzte Frage noch. Mich würde es interessieren welchen Beitrag Soziale Arbeit

leisten könnte. Indem sie keine Aufnahmeprüfungen haben, auch kostenlosen Zugang haben,

sind sie dabei, Bildungschancen zu schaffen, für Jedermann zugänglich. Das, denke ich

sollte auch Aufgabe Sozialer Arbeit sein, und mich würde es interessieren, ob es was gibt,

das Soziale Arbeit für die Projekte, die sie durchführen, tun kann, oder ob es da

Berührungspunkte gibt.

(VE fragt noch mal nach der konkreten Fragestellung)

SP:

Ich denke da an Unterstützungsmöglichkeiten in einem Projektverlauf oder an politische

Vorbereitung, ich weiß nicht wie viel Vorarbeit so ein Projekt ist, mit Ansprechpartnern oder

ob sie auch Pädagogen dabei haben in ihren Projekten.

VE:

Das hängt immer ganz davon ab, was das für ein Projekt ist und wie viel damit

zusammenhängt. Wenn ich ein Projekt mit 5 Leuten habe, dann brauche ich da eine andere

Herangehensweise, als wenn ich 200 Leute habe, die über 2 Monate zusammen arbeiten. Ich

mache 2 unterschiedliche Tanzrichtungen oder Projektrichtungen sowieso. Das eine ist die

Arbeit, die ich mit meiner Gruppe der FTL mache, wo Jugendliche zu mir kommen, die

tanzen wollen und das in ihrer Freizeit machen und die andere Arbeit ist, dass ich selber als

Choreograph in eine Schule oder künstlerische Einrichtung gehe, die dann über einen

bestimmten Zeitraum mit mir zusammenarbeiten, wo dann auch oft Leute dabei sind, die das

machen müssen, weil der Lehrer es z.B. gesagt hat. Das sind so zwei ganz unterschiedliche,

ja, Qualitäten von Arbeit und da gibt es natürlich immer andere Vorraussetzungen, die kann

man nicht so sehr über einen Kamm schehren. Klar muss man darauf achten, dass es

choreographisch auf die Jugendlichen zugeschnitten ist, dass sie nicht überfordert sind,

sondern nur gefordert, dass sie ihre besten Sachen zeigen können, ohne sich zu blamieren

oder das Gefühl haben, oh sie machen sich hier lächerlich, sondern dass sie am Tag der

Aufführung einfach ein sicheres Gefühl haben. Oder auch während des ganzen

Probenprozesses wissen, dass sie nicht Angst haben müssen, sondern dass der Mensch der da

vorn steht und die Menschen wissen wo es lang geht und sie in sicherer Umgebung sind. Bei

meinen Projekten, die ich allein mit der FTL mache, sind es meistens nur ein oder zwei

Menschen die mit mir künstlerisch zusammen arbeiten. Aber bei Projekten, die größer

Seite 6

Page 89: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Anhang

89

werden braucht man Leute, die sich um Kostüme kümmern, braucht man viele Lehrer die

noch betreuend helfen, je mehr Leute auf der Bühne sind, desto mehr Leute braucht man

natürlich auch im Hintergrund um das ganz Projekt zu unterstützen.

SP:

Ja, damit sind wir auch schon am Ende und ich bedanke mich ganz herzlich und wünsche

viel Erfolg und Freude weiter bei der Arbeit.

VE:

Das ist sehr nett. Ich hoffe es hat geholfen.

SP:

Ja vielen Dank.

VE:

Bitteschön.

2. CD Anhang – Video der TanzZeit-Jugendcompany

Alle Rechte sind TanzZeit - Tanz in Schulen unter der Leitung von Livia Patrizi

vorbehalten.

Das Video dient als Quellensicherung und ist für weitere Veröffentlichungen nur in

Rücksprache mit TanzZeit zu verwenden.

http://www.tanzzeit-schule.de/tanzzeit/impressum.php?PHPSESSID=

c13e4e38db07a069e1eb0564416a5a72

Seite 7

Page 90: Tanz als Befähigung zu “sozialer Subjektivität“ in der ...memotion.info/wp-content/uploads/2010/06/Diplomarbeit1.pdf · Einleitung 5 Einleitung Tanz bewegt und formt nicht nur

Persönliche Erklärung

90

Persönliche Erklärung

Ich versichere, dass ich diese Arbeit ohne fremde Hilfe angefertigt und mich anderer

als der von mir angegebenen Schriften und Hilfsmittel nicht bedient habe.

Datum

(Sarah Petry)