Tauler Predigt 49

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  • 8/9/2019 Tauler Predigt 49

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    J oh an n e s T au l e r P r e di g t 4 9 Diese Predigt vom gleichen zwlften Sonntag (nach Dreifaltigkeit) nach dem Evangeliumdes heiligen Markus zeigt uns, wie ein gottliebender Mensch, dessen Ohren durch die siebenGaben des Heiligen Geistes geffnet sind, sich in der Freude nicht berhebt und im Leidnicht verzagt.

    ZUM HEUTIGEN TAGE lesen wir im ' Evangelium, da man, als der Herr auseiner Landschaft in eine andere ging, ihm einen Mann brachte, der von Geburt antaubstumm war. Beides tritt notwendigerweise vereint auf: wer taub geboren ist,mu auch stumm sein. Denn er besitzt kein Gehr lind wei daher nicht, wasspreche!1 ist. Unser Herr legte seine Finger in des Taubstummen Ohren und

    befeuchtete dessen Zunge mit seinem Speichel. Dann sagte er: "Ephpheta", dasheit: "Tu dich auf!"Als das Volk das Wunder sah, lief alles zusammen, und siesprachen voller Verwunderung: "Er hat alles gut gemacht; den Tauben gibt erGehr, den Stummen die Sprache."

    Hier gilt es nun, sehr genau zu prfen, was den Menschen taub macht. Dadurch, daunsere Altvorderen, das erste Menschenpaar, den Einflsterungen des bsenFeindes ihr Ohr liehen, sind sie taub geworden und wir nach ihnen; daher knnenwir die liebevolle Einsprache des ewigen Wortes weder hren noch verstehen. Und

    doch wissen wir, da das ewige Wort uns so unaussprechlich nahe und in uns ist inunserem Grunde, da wir uns selbst, unsere eigene Natur, unser Gedanke, alles, waswir nennen, sagen oder verstehen knnen, uns nicht so nahe, nicht so in uns ist wiedas ewige Wort. Dies spricht ohne Unterla in den Menschen; der Mensch aber hrtdies alles nicht wegen groer Taubheit, die ihn befallen hat. Wessen Schuld -ist das?

    Ich will es euch sagen: es ist dem Menschen, ich wei nicht was, in die Ohrengefallen und hat sie ihm verstopft, da er das liebevolle Wort nicht hren kann. Unddavon wurde sein Wesen so verdunkelt, da er auch die Sprache verlor und sich

    selbst nicht mehr erkennt. Wollte er von seinem Innern sprechen, er knnte es nicht;er wei nicht, woran er ist, und kennt seine eigene Art und Weise nicht. Das ist dieUrsache. Der Feind hat ihm ins Ohr geflstert, und dem hat er zugehrt; und davonist er stumm und taub geworden. Was hat es dann mit dem schdlichen Geflsterdes Feindes auf sich? Das ist all die Unordnung, die in dich leuchtet .und auf dicheinspricht, sei es nun ber Liebe oder Gunst der Geschpfe oder die Welt, und wasder alles anhaftet:

    Gut und Ehre, Freunde oder Verwandte, deine eigene Natur, und was dir die Liebe

    oder Gunst der Geschpfe eintrgt: von all dem flstert er dem Menschen etwas ein,denn er ist allezeit bei ihm.

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    Merket: Wozu der Mensch 'geneigt ist, in seinem Inneren oder ueren, es sei Freudoder Leid, sofort mischt er sich da ein und verseucht den Menschen damit und redetes ihm ein. Und die Bilder, die der Mensch auf diese Weise erhlt, flieen in dieOhren seiner Innerlichkeit, derart, da das ewige Wort von diesem Menschen nichtmehr verstanden werden kann. Wollte nun der Mensch sogleich seine Ohren, seinenSeelengrund rasch von (solcher Versuchung) abkehren, sie wre gar leicht zuberwinden. Aber solange der Mensch sein Ohr der Einflsterung leiht, sie betrachtet, mit ihr (gleichsam) verhandelt, geheime Aussprache zustande kommenlt und schwankt, ob er sich der Versuchung entziehen oder ausliefern soll, so ist erschon so gut wie besiegt, und die Versuchung ist auf einem sehr kritischen Punktangelangt. Kehre (vielmehr) schnell und entschlossen dein Ohr von der

    Einflsterung ab: und du hast die Versuchung schon fast berwunden. Dasermglicht dir, das ewige Wort zu hren, und befreit dich von deiner Taubheit. Vondieser werden nicht nur weltliche Leute befallen, sondern auch geistliche, die sichmit Liebe und Zuneigung den Geschpfen zuwenden und in ihrer Macht sind.

    Der Teufel nimmt dies wahr und fhrt ihnen diese Bilder vor, wenn 'er sie bereit zuderen Aufnahme findet. Manche werden auch taub dadurch, da sie ihren eigenen Vorhaben und ihren Gewohnheiten in der sinnlichen Wirklichkeit nachgeben, dasheit mit Eigenwillen und ueren Gepflogenheiten, die sie bei den Geschpfen

    wahrgenommen und von diesen bernommen haben

    1

    . All dies gleitet in des Menschen Ohren, derart, da das ewige Wort dadurch nichtgehrt und verstanden werden kann. Wohl mu der Mensch gute innige Angewohnheiten besitzen, doch ohne Eigenwillen, Gebet oder heilige Betrachtungund dergleichen mehr" damit die Natur ermuntert, der Geist erhoben, der Menschin sein (eigenes) Innere gezogen werde. Doch mu das ohne jeglichen Eigenwillenvor sich gehen, so da er mehr ein inneres Hinhorchen habe auf das ewige Wort undden inneren Grund. Man darf es nicht machen wie gewisse auf ihrem Stand verharrende Menschen, die sich bis an ihren Tod an ihre ueren bungen haltenund sich nicht bemhen voranzukommen. Will Gott in ihr Inneres sprechen, danndringt ihnen ' sogleich stets etwas anderes in die Ohren, so da sie 'Gottes Wort nicht vernehmen knnen. Meine Lieben! Solcher Hindernisse sind gar viel, und es gibt viele Leute, die auf diesem Stand beharren, da man groen Schmerz am Ende,wenn alle Dinge offenbar werden, erblicken wird.

    Freilich wird Gottes Wort in keines Menschen Ohr gesprochen, wenn er nicht Gottliebt. Die Schrift sagt: "Wenn ihr mich liebt, werdet ihr mein Wort vernehmen."Sankt Gregor sagt:

    1Unter Mitbenutzung der wrtlichen bersetzung, die Corin, Sermons II, 315 Anm. 1 gibt.

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    "Willst du wissen, ob du Gott liebst, so achte aufmerksam darauf, wie du dich verhltst, wenn schwerer Schmerz und schweres Leiden auf dich fllt, es sei voninnen oder auen, woher es immer komme; wenn deine innere Drangsal so gro ist,da du dich weder hierher noch dorthin wenden kannst, wenn du nicht weit, woran

    du bist, und nichts mehr zu unterscheiden vermagst; wenn von auen sich einunerwarteter Leidenssturm erhebt mit groer Bedrngnis: wenn du dann in deinemGrunde innen in Frieden und frei von Verstrtheit bleibst, derart, dass (in solcherLage) du dich nicht zu ungestmen Worten und Handlungen, zu ungestmemBetragen verleiten lt, dann ist kein Zweifel, da du Gott (wirklich) liebst." Wo wirklich wahre Liebe ist, berhebt sich der Mensch bei freudigen Vorkommnissennicht und verzagt nicht in traurigen. Man mag dir nehmen oder geben, wenn dir dergeliebte Liebende bleibt, bist du in innerem Frieden. Selbst wenn der uere Menschklagt oder weint, mu man das wohl hingehen lassen, wenn nur der innere Mensch

    seinen Frieden bewahrt, ihm an Gottes Wille gengt, wenn (nur) Gott ihm bleibt.Findest du das nicht in dir, so bist du in Wahrheit taub, und du hast das ewige Wortnicht wirklich vernommen.

    Auch an folgendem sollst du erkennen, ob du eine ttige Liebe besitzest. Fhlst duDankbarkeit fr das viele Gute, das Gott dir erwiesen hat, dir und den anderenGeschpfen Himmels und der Erden, in seiner heiligen Menschwerdung und den verschiedenen Gaben und Gnaden, die er ohne Unterla allen Menschen erweist?bst du eine allen Menschen zukommende Liebesttigkeit, nicht allein gegenber

    den Deinen, sondern gegenber allen? Es seien Ordensfrauen, Mnche oderBeginen, welcher Art und Weise (ihr Leben) sei, immer sollte sich ttige Liebezeigen. Nicht aber darfst du dich selbst lieben, dich und das Deine! Diese ttige, allenzukommende Liebe ist von unermelichem, wunderbarem Nutzen. Wisset, meineLieben, den wahren geluterten, verklrten Freunden Gottes schmilzt das Herz vorLiebe zu allen Menschen, sie seien lebendig oder tot. Und gbe es diese Leute nicht,wir wren bel daran.

    Du sollst deine Liebe auch nach auen sehen lassen, sosehr es dir mglich ist, durch

    Gaben, Trstung, Hilfeleistung, (guten) Rat, ohne dich darum des Notwendigen zuberauben. Kannst du das nicht, so sollst du deine Liebe ' allezeit antreiben, es, falls dues knntest, gerne es tun, soweit du (nur) vermagst. An diesen Zeichen erkennt manwahrhaftig die Liebe (eines Menschen), und da dieser Mensch nicht taub ist.

    Da nun kommt unser Herr, legt seinen heiligen Finger in des Menschen Ohr undbefeuchtet mit Speichel seine Zunge: und der Mensch beginnt zu reden. Davon, ihrLieben, wre Wunders viel zu sagen. Wir nehmen uns hier (aber nur) die heiligensieben Gaben des Heiligen Geistes vor, die dem Menschen (mit dem Augenblick)

    gegeben werden, da unser Herr seinen Finger in des tauben Menschen Ohr legt. Diesbewirkt, da der Mensch in Wahrheit Gottes Wort hrt.

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    Zum ersten wird ihm gegeben der Geist der (Gottes)furcht. Sie entzieht demMenschen den Eigenwillen, lehrt ihn (die Einflsterung des bsen Geistes)2 zufliehen, sich in allen Dingen (Gott) berlassen (und befreien) von allerungeordneten Anmaung und Selbstgeflligkeit.

    An zweiter Stelle empfngt der Mensch den Geist der Sanftmut, der ihn gtig,freundlich und barmherzig sein lt; er greift keines Menschen Ttigkeit mitselbstischem, hartem Urteil an, wird (vielmehr) vertrglich.

    Mit der dritten Berhrung3 gibt (Gott dem Menschen) den Geist der Wissenschaft;dadurch wird der Mensch klug, das heit, er wird innerlich getrieben, zu erfahren,wie er, in seinem Inneren gem dem liebsten Willen Gottes sich verhalten soll.

    Die vierte Gabe ist die des gttlichen Starkmutes: der Mensch wird so stark imHerrn, da es ihm ein leichtes und kleines ist, alle Ding,e um Gottes willen zu leiden,zu tun oder zu lassen. Zum fnften erhlt der Mensch die Gabe des (guten) Rates:wer sich diesem Geist ffnet und ihm folgt, wird ein gar liebenswerter Mensch.

    An sechster und siebenter Stelle vermittelt des Herrn Berhrung die Gaben desErkenntnisvermgens und der verkostenden Weisheit. Diese beiden, meine Lieben,sind so erhaben und von so berragendem Adel, da man sie eher erfahren sollte, alsdavon zu sprechen. Mchten unsere Ohren in Wahrheit aufgetan werden, da wirdas ewige Wort in uns hren knnten! Dazu helfe uns Gott.

    AMEN.

    2Die Klammer zu Vetter 194, 6 dient der Verdeutlichung.

    3Vetter, 194,11 wrtlich .mit dem dritten Finger".