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Sonderausgabe - Der Mann aus Boston - Juni 1872 Mr. Crawford aus Boston und sein Ende in Tucson Zum Markttag von Tucson, am 07. Juni 1872, kündigte man uns einen Bankier an, doch offensichtlich war den vielen Besuchern der Markt auf der U.S. Grant Road wesentlich attraktiver als die Bank von Tucson, von der es zwischenzeitlich hieß, dass sich hier nie mehr irgendein seriöser Banker blicken ließe. So nah an der Grenze zu Mexiko, immer irgendwelche Outlaws im Hinterland, regelmäßige Überfälle in den 70ern - da litt das Ansehen der Bank von Tucson doch so sehr, dass man hier kaum von einer Stammkundschaft sprechen kann. Sollte sich das Bild nun wandeln, angesichts der ruhigeren Zeit unter Bürgermeisterin Lulu? Wohl kaum, denn die Silberminen in Nevada liefern zwar einen gewissen Aufschwung, von dem auch Tucson partizipieren möchte, wenn die Silbertransporte nach Texas hier Station machen und ggf. ein sicheres Zwischenlager suchen, wohingegen hier ein potenter Banker bislang ausblieb. Und auch dieser, so denn der Mann aus Boston interes- santerweise sowohl pekuniäre wie auch geistlichen Hintergrund hatte, blieb in Tucson nicht auf Dauer, doch dies hatte andere schwerwiegende Gründe, über welche der TC nachfolgend berichten möchte. Im Vorfeld sein angemerkt, dass ich als Chefredakteur des TC und Inhaber von Tucson Chronicle Waren aller Art Inc. zu jenem Tage in Tucson anwesend war, über manche Vorkommnisse aber nur aufgrund der Informationen Dritter berichten kann. Letztlich setzt sich hier ein Bild zusammen, welches manchem geneigten Leser als der Wahrheit entsprechend wirken wird. Ich möchte jedoch aufgrund meiner subjektiven Sicht darauf hinweisen, dass in diesem speziellen Fall der Bericht eine gewisse Objektivität nicht erreichen wird – spätestens bei der Fragestellung zur Todesstrafe im Allgemeinen – und daher als TC-Sonderausgabe veröffentlicht wird. Sollte ein Leser also aufgrund eigener Erkenntnisse eine andere Interpretation haben, so mag er gerne mit dem TC Kontakt aufnehmen. Wir werden dann die alternative Sicht in der oder den kommenden Ausgabe(n) veröffentlichen. Mein junger Kompagnon Oxi hat bislang in Boston auch noch nicht die erhofften Informationen über Mr. Crawford ermitteln können. Auch hier hoffen wir, dass sich uns noch Erkenntnisse erschließen, welche helfen, das Verhalten von Mr. Crawford besser zu verstehen. Ich denke, dass wir nur so dem facettenreichen Fall des Mannes aus Boston gerecht werden können. Nun denn, es war Markttag am 7. Juni, ein schöner Samstag, die U.S. Grant Road von Tina's Inn bis zum Ortsausgang voll mit Händlern und Käufern, ein reges Treiben zu dem der angekündigte Banker aus Boston von Doc Schumann begleitet eintraf und als Mr. Crawford vorgestellt wurde. Der hagere Mann mit seinem schmal geschnittenen Bart schlenderte mit seinem Gehstock interessiert über den Markt. Durch seine städtische, dezente aber doch exquisite Kleidung fiel er in der Menge auf wie ein weißer Schimmel in einer Gruppe von Mulis.

TC-Story: Der Mann aus Boston

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Über die letzten Tage von Mr. Crawford in Tucson und AZ Arizona. Eine Story vom Tucscon Cronicle nebst Anmerkungen zur Todesstrafe, Juni 1872.10-seitiges Dokument über ein mehrtägiges Roleplay auf der größten deutschsprachigen WildWest-Sim in SecondLife. Herausgeber: AWRCATS Writer

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Mr. Crawford aus Boston und sein Ende in Tucson

Zum Markttag von Tucson, am 07. Juni 1872, kündigte man uns einen Bankier an, doch offensichtlich war den vielen Besuchern der Markt auf der U.S. Grant Road wesentlich attraktiver als die Bank von Tucson, von der es zwischenzeitlich hieß, dass sich hier nie mehr irgendein seriöser Banker blicken ließe. So nah an der Grenze zu Mexiko, immer irgendwelche Outlaws im Hinterland, regelmäßige Überfälle in den 70ern - da litt das Ansehen der Bank von Tucson doch so sehr, dass man hier kaum von einer Stammkundschaft sprechen kann.

Sollte sich das Bild nun wandeln, angesichts der ruhigeren Zeit unter Bürgermeisterin Lulu? Wohl kaum, denn die Silberminen in Nevada liefern zwar einen gewissen Aufschwung, von dem auch Tucson partizipieren möchte, wenn die Silbertransporte nach Texas hier Station machen und ggf. ein sicheres Zwischenlager suchen, wohingegen hier ein potenter Banker bislang ausblieb. Und auch dieser, so denn der Mann aus Boston interes-santerweise sowohl pekuniäre wie auch geistlichen Hintergrund hatte, blieb in Tucson nicht auf Dauer, doch dies hatte andere schwerwiegende Gründe, über welche der TC nachfolgend berichten möchte.

Im Vorfeld sein angemerkt, dass ich als Chefredakteur des TC und Inhaber von Tucson Chronicle Waren aller Art Inc. zu jenem Tage in Tucson anwesend war, über manche Vorkommnisse aber nur aufgrund der Informationen Dritter berichten kann. Letztlich setzt sich hier ein Bild zusammen, welches manchem

geneigten Leser als der Wahrheit entsprechend wirken wird. Ich möchte jedoch aufgrund meiner subjektiven Sicht darauf hinweisen, dass in diesem speziellen Fall der Bericht eine gewisse Objektivität nicht erreichen wird – spätestens bei der Fragestellung zur Todesstrafe im Allgemeinen – und daher als TC-Sonderausgabe veröffentlicht wird.

Sollte ein Leser also aufgrund eigener Erkenntnisse eine andere Interpretation haben, so mag er gerne mit dem TC Kontakt aufnehmen. Wir werden dann die alternative Sicht in der oder den kommenden Ausgabe(n) veröffentlichen. Mein junger Kompagnon Oxi hat bislang in Boston auch noch nicht die erhofften Informationen über Mr. Crawford ermitteln können. Auch hier hoffen wir, dass sich uns noch Erkenntnisse erschließen, welche helfen, das Verhalten von Mr. Crawford besser zu verstehen. Ich

denke, dass wir nur so dem facettenreichen Fall des Mannes aus Boston gerecht werden können.

Nun denn, es war Markttag am 7. Juni, ein schöner Samstag, die U.S. Grant Road von Tina's Inn bis zum Ortsausgang voll mit Händlern und Käufern, ein reges Treiben zu dem der angekündigte Banker aus Boston von Doc Schumann begleitet eintraf und als Mr. Crawford vorgestellt wurde.

Der hagere Mann mit seinem schmal geschnittenen Bart schlenderte mit seinem Gehstock interessiert über den Markt. Durch seine städtische, dezente aber doch exquisite Kleidung fiel er in der Menge auf wie ein weißer Schimmel in einer Gruppe von Mulis.

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Er führte das eine und andere Gespräch, bis er zum Kräuterstand von Goldhaar kam. Die Apachin mit dem hellen Haar mag ja einigen Lesern bekannt sein, ist sie doch schon seit Jahren als Heilerin und Kräuterkundige ein gern gesehener Gast in der Stadt. So war es denn auch nicht weiter verwunderlich, dass sie auch diesen Markttag als Händlerin mitgestaltete. Jedoch reagierte Mr. Crawford aus Boston derart unerwartet und heftig auf ihre Anwesenheit, dass ein Teil der Händler am Ende der Straße ob ihrer Kundschaft beraubt wurden, denn plötzlich entwickelte sich am Stand von Goldhaar eine heftige Diskussion, an welcher ich selbst auch beteiligt war. Nach einem ersten Erstarren rief Mr. Crawford Goldhaar mit dem Namen 'Sybille' an, was offenbar alle, auch Goldhaar selbst, sehr verwunderte. Dann benannte er sie als seine Tochter, was wiederum Goldhaar und die Umstehenden zum Stutzen brachte.

Wie sollte so ein Mann wie dieser feine Herr aus Boston der Vater einer Apachin sein? Die einen schüttelten den Kopf, andere blickten nur kurz auf zur Sonne und es war ihnen anzumerken, dass sie wohl dachten, dass der Mann aus Boston die Hitze in Tucson nicht so recht vertrüge – ist dies doch neben dem Alkoholkonsum der häufigste Grund für geistige Fehlleistungen in unserer Region. Doch hier entwickelte sich die Sache offenbar anders.

Mr. Crawford verwies auf ein Schmuckstück, eine etwas abgegriffene Halskette, mit der Goldhaar in der Regel anzutreffen ist. Dies bezeichnete er als ein Geschmeide seiner verstorbenen Frau, welches zu ihrer Lebzeiten an die gemeinsame Tochter Sybille gegeben worden sei. Die Tochter sei vor etwa 20 Jahren während eines Überfalls von der Familie getrennt worden. Zumindest wurden damals vom Kind keine Leiche und auch keine sonstigen Spuren entdeckt. Nach einiger Zeit ging man daher davon aus, dass das Kind unauffindbar in der Wildnis verstorben oder verschleppt worden sei. Letzteres konnte man aber nie verifizieren, dann alle Such-

kommandos und auch privat initiierte Suchen blieben erfolglos. Ob des Verlusts der Tochter verfiel Mrs. Crawford in einen bedauernswerten Geisteszustand, welcher letztlich zu ihrem Tode führte.

Goldhaar hingegen erwiderte, dass sie unmöglich die Tochter dieses Mannes aus Boston sein könne. Sie erinnere sich ja immerhin noch wage an ihre Eltern, welche bei einem Überfall in der Wildnis des Westens auf einer Reise ums Leben kamen. Als kleines Kind habe sie allein überlebt und auch nur deshalb, weil nach dem Überfall eine zufällig vorbei-kommende Gruppe von Apachen an dem grausigen Ort eintrafen, das verstörte Kind fanden und sich ihrer erbarmten. Sie nahmen es unter ihren Schutz, pflegten und hegten es in ihrem Stamm wie ein eigenes Kind.

Die ominöse Halskette habe erst viel später ihren Weg in den Besitz von Goldhaar gefunden. Goldhaar erläuterte, dass sie als junge Heilerin eines Tages auf einen schwer verletzten Soldaten traf, dessen Tod sie nicht mehr verhindern konnte. Der Mann trug ihr mit seinem letzten Willen auf, dieses Schmuckstück, das nach dieser Erzählung seiner Frau gehört haben solle, als letzten Gruß mitzunehmen und es, so es denn möglich sei, seiner Frau zukommen zu lassen. Solange dies nicht gelänge, solle Goldhaar das Schmuckstück verwahren und es achten, als wenn es ihr eigenes wäre. An dieses Versprechen gebunden, trüge Goldhaar die Halskette aus weißer Hand, in Erinnerung an den armen Soldaten und immer auf der Suche nach dessen Witwe. Auch diese Darstellung klang für die Umstehenden plausibel, doch Mr. Crawford ließ diese Sicht nicht zu. Im Gegenteil, er fühlte sich offenbar durch Goldhaars Angaben mehr bestätigt als zuvor und herrschte Goldhaar an, mit ihm nach Boston zu gehen. Die Apachin war heftigst erschrocken ob der wüsten Ansprache, die Mr. Crawford an sie richtete. Nach kurzer Zeit war klar, dass sie total verängstigt war und in dem Mann aus Boston ihren leiblichen Vater nicht erkannte.

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Ich selbst versuchte, auf Mr. Crawford beruhigend einzureden, doch vergebens. Jedes weitere Argument wurde verworfen oder in eigenem Sinne verdreht aufgenommen. Mr. Crawford teilte mir mit, er kenne in Boston schon die richtigen Mediziner, die diese Frau wieder im Kopfe geraderücken könnten. Sie sei genauso störrisch wir ihre Mutter und müsse entsprechend mit harter Hand geführt werden.

Als Mr. Crawford Goldhaar noch weiter bedrängen wollte, floh diese, ihren Stand außer Acht lassend und entschlüpfte durch die Menge, die sich mittlerweile um uns geschart hatte, wie ein Reh, das im letzten Moment aus dem Versteck bricht und durch ein Schlupfloch im Unterholz springt, welches der Luchs beim Anschleichen als einziges übersehen hatte.

Mr. Crawford konnte ihr ob seiner Gehbehinderung und der dichtstehenden Schaulustigen nicht folgen und rief ihr in Ermangelung seiner physischen Möglichkeiten noch wüste Worte nach, denen ich entnahm, dass er diese Auseinandersetzung zwar verloren, den Kampf um Goldhaar aber keineswegs aufgegeben hatte. Das Entschwinden von Goldhaar entspannte letztlich die Situation und der Markt ging weiter, nun jedoch in gedämpfter Form, wohl auch, weil sich nun manches Gespräch über die wunder-liche Szene an Goldhaars Kräuterkarren drehte und den Mann aus Boston, der mittlerweile in Richtung Saloon unterwegs war.

Da ich noch ein Gespräch mit den Edwards aus Oregon führte – Mr. Edwards ist dort Sheriff und bekleidete zuvor in der Kavallerie ein höheres Amt – war ich eine Zeitlang mit anderen Dingen beschäftigt. Immerhin war Mr. Edwards ein Fundstück aus Treibgut in die Hände gekommen, welches er mir noch gerne präsentieren wollte. Da nun der Markt zu Ende war, gingen wir in den Saloon, wobei Mr. Edward und seine Frau mich nicht darüber im Unklaren ließen, dass dieser Mann aus Boston alles andere als eine Bereicherung der

hiesigen Gesellschaft sei. Beiden schien er ins-besondere ob seines Auftritts auf dem Markt äußerst fragwürdig, da er einerseits Machtausübung gegen jeden Willen und Verstand und andererseits offenbar über umfangreiche Geldmittel verfüge. Ob ihre kritische, wenn nicht gar ablehnende Haltung noch durch andere Vorkommnisse begründet war, die mir nicht so direkt benannt wurden, war mir zu der Zeit nicht klar. Nennen wir es einfach Menschenkenntnis, was Mr. Edwards zu seiner Haltung bewog.

Im Tina’s Inn gab ich den beiden einen aus, auch um ein wenig die ertragene Aufregung herunter zu spülen. Während mir Mr. Edwards von seinem mechanischen Fundstück berichtete (der TC wird an anderer Stelle hierzu berichten), bemerkte ich, wie Mr. Crawford, der vor uns den Saloon betreten hatte, mit jemand sprach, der dem Aussehen nach zu der handfesten Sorte von Herumtreibern zuzurechnen ist, welche für eine Handvoll Dollar so gut wie jeden Job machen. Scheinbar wurde man sich gerade handels-einig, allerdings bekam ich nicht viel mit und wollte es wohl auch nicht, trotz meinem allgemeinen Inter-esse. Aber zu dem Zeitpunkt beschäftigte ich mich gedanklich mit Mr. Edward und dessen Maschine und hatte daher das restliche Geschehen im Saloon so ziemlich vernachlässigt. Mr. Edwards, seine Frau und machten uns spät auf den Weg.

Unser Weg führte uns an der High Shaparal-Ranch vorbei und im weiteren Verlauf meinten wir in der im Osten einen hageren Reiter zu erblicken, der von Norden kommend von einem Indianer gefolgt relativ flott dahinritt. Im Nachhinein betrachtet konnte dies Mr. Crawford gewesen sein. Der restliche Abend verlief ohne weitere Besonderheiten, außer einem technischen Erfolg, weshalb Mr. Edwards mich einlud, den darauffolgenden Tag mit einer Fahrt zu beginnen, wozu ich als Ziel Fort Lowell vorschlug, da dort zum Gottesdienst eingeladen wurde. Unsere Fahrt führte uns daher Tags darauf, am Sonntag, nach Fort Lowell, wo wir gerade noch rechtzeitig eintrafen.

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Der Gottesdienst war erfreulicherweise sehr gut besucht und fand im Freien auf dem Exerzierplatz des Forts statt. Unangenehm überrascht waren wir jedoch, dass hier Mr. Crawford mit Goldhaar im Schlepptau im wahrsten Sinne des Wortes auftauchte. Er wirkte fahrig. Mr. Edwards und ich versuchten, mehr Informationen zu bekommen, warum Goldhaar den nun bei ihm und insbesondere, weshalb sie gefesselt war.

Doch der Gottesdienst war kaum vergangen und wir hatten uns mehr einen Überblick verschafft, denn verstanden, wie Goldhaar in die Hände von Crawford gefallen war, als von draußen eine größere Ansammlung von Apachen gemeldet wurden.

Dieser äußere Umstand bewog den General Major Owen Thursday, sofort den Alarm auszurufen. Frauen und Kinder waren in der Waschküche des Forts zu bringen, welche vor direktem Beschuss geschützt ist, während die Soldaten die Palisaden besetzten und man das Tor sicherte.

Dass Mr. Crawford inmitten dieses Trubels Goldhaar mit einer Eisenkette an einen Pfahl kettete, erschien uns höchst merkwürdig. Daher beschlossen wir, die Wirrungen des Alarms zu nutzen und Goldhaar zu befreien. Mr. Edwards hatte zum Glück in seinem Werkzeug für die Fahrt in dem neumodischen Gefährt so einiges dabei, was sich bei einem technischen Defekt nützlich erweisen könnte und fand daher eine Eisensäge, die nun zur Befreiung von Goldhaar herhalten sollte. Doch dazu war es erforderlich, Mr. Crawford von Goldhaar so weit wie möglich zu trennen und abzulenken.

Dies geschah situationsbedingt einerseits durch die zunehmende Hektik, die in erste Geplänkel ausartete, da die Apachen lautstark und unmissverständlich die Freiheit für ihr Stammesmitglied forderten und Crawford als Menschenräuber und anderer Taten bezichtigten. Offenbar hatte der Mann aus Boston aus ihrer Sicht mit fremder Hilfe Goldhaar entführt

und man war dabei nicht gerade zimperlich umgegangen. Der General, der den Standpunkt von Mr. Crawford insofern teilte, als dass er keinen Weißen in die Hände von wildgewordenen Apachen freiwillig übergeben wollte und – solange das Verwandtschaftsverhältnis nicht geklärt sei – Goldhaar als potentielle Weiße und Tochter von Mr. Crawford ansah, befehligte einen Angriff und das Ausrücken unter dem Schutz der Kanonen des Forts.

In diesem Chaos versuchte Mr. Edwards ein Kettenglied oder den Schlossbügel zu zersägen, während ich mit anderen auf Mr. Crawford einredete. Als dies zu misslingen drohte und Mr. Crawford mit seinem Stock und zwei Revolvern nicht gerade unbewaffnet war, entschloss ich mich, mit einer fast leeren Whiskeyflasche dem Manne etwas mehr Respekt beizubringen. So warnte ich ihn, wenn er mich denn bedränge oder noch schlimmeres passiere, dass ich dann vielleicht nicht mehr die Flasche mit dem brisanten Sprengöle halte könne. Manchen Umstehenden war bekannt, dass ich mit Sprengölen experimentiert hatte und dass diese Drohung durchaus ernst gemeint sein konnte. So gewannen wir die nötige Zeit für Mr. Edwards.

Doch als wir schon dachten, wir hätten alles einigermaßen im Griff, stürmte der General, dessen Truppen draußen in ein unerwartet heftiges Kreuzfeuer geraten waren, auf Mr. Crawford zu und bezichtigte den Mann aus Bosten, zu wenig für das gezahlt zu haben, was da nun geschehe. Dem konnte man nur mutmaßend entnehmen, dass Mr. Crawford irgendwie den General mit Geld bestochen oder beauftragt hatte, etwaige Angriffe, die nach einem Menschenraub zu erwarten gewesen wären, mit militärischen Mitteln abzuwenden.

Dass der Widerstand der Apachen jedoch derart heftig ausfallen würde, war zumindest dem General offenbar nicht bewusst gewesen. Mr. Crawford forderte ihn auf, zu schweigen, doch der General insistierte weiter.

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Da ging es dann ganz plötzlich: Mr. Crawford stellte seinen Stock beiseite und zog seine Revolver und ehe noch ein weiteres Wort fallen konnte, feuerte er mehrere Schüsse auf den General aus nächste Nähe ab.

Währenddessen war Goldhaar von ihren Fesseln befreit und hatte im Schutz einer Gruppe von Frauen, ich meine Mrs. Edwards war mit zugegen, gefunden. Mr. Edwards versuchte einzuschreiten, als er die Schüsse vernahm, doch der General lag schon reglos im Sand des Exerzierplatzes, während Mr. Crawford die Situation nutzte und die Flucht ergriff. Er muss irgendwie über die Palisaden gekommen sein und Mr. Edwards nahm die Verfolgung auf. Derweil ebbten die Schusswechsel zwischen der Cavallery und den Apachen ab.

Goldhaar wies nur einige Schürfwunden von der Fesselung auf und so riefen wir den Apachen zu, dass Goldhaar wieder frei sei. Bald darauf kam sie auch wieder in die Obhut ihres Stammes, ich brachte sie persönlich heim.

Derweil verfolgte Mr. Edwards den flüchtigen Mann aus Boston. Die Jagd verlief heftig und Mr. Crawford verschoss offenbar seine gesamte Munition, was nicht ohne Querschläge auf die im Freien vor dem Fort befindlichen Personen abging. Als Mr. Edwards den Flüchtigen letztlich stellen konnte, wobei ihm seine Fechtkunst mit dem Militärsäbel zu Gute kam, steckte Crawford einiges ein, bevor er sich geschlagen im wahrsten Sinne des Wortes gab. Erst wurde er ins Fort Lowell zurückgebracht und notdürftig medizinisch versorgt um dann mit starkem Geleitschutz in die Stadt gebracht zu werden wo Mr. Chance sein Amt als Sheriff wahrnahm.

Fast wäre eine Gruppe Apachen dem Sheriff zuvorgekommen. Diese hatten sich vom Norden in die Stadt begeben, während der Tross mit dem Gefangenen von Osten in die Stadt zog. So traf man sich direkt vor dem Sheriffgebäude und die Situation wurde erneut brenzlig. Letztlich war es Goldhaars

Wunsch, Mr. Crawford der weißen Gerichtsbarkeit zu überlassen, sonst hätte wohl der eine oder andere Stammesgenosse schon seine eigene Variante der Bestrafung wegen Entführung und Angriff auf die Apachen gerne an Crawford zur Anwendung gebracht. So kam der Mann aus Boston ins Gefängnis von Tucson und ich versicherte mich persönlich, dass er hier keinen weiteren Bestechungsversuch unternehmen konnte. Einzig eine telegraphische Mitteilung wurde ihm zugestanden, die er denn wohl eine Zeitlang nach seiner ersten Genesung unter Aufsicht machen sollte.

Die Gerichtsverhandlung konnte und musste stattfinden, als der ehrenwerte Richter Deerhunter in der Stadt weilte. Nach einer Voruntersuchung kam es in der darauffolgenden Woche zur Verhandlung, welche ungewöhnlich lange dauerte.

Dies lag wohl unter anderem daran, dass es doch einige Anklagepunkte waren, derer der Mann aus Boston beschuldigt wurde und jeder einzelne hätte sein Gewicht für eine längere Haft haben können. Andererseits waren da ungewöhnliche viele Beteiligte, welche ihre Aussagen zu Protokoll gegeben hatten. Und Mr. Crawfords Sicht auf die Dinge stellte denn auch so manches in Frage, was anfangs vielleicht noch klar und eindeutig ausgesehen hatte.

Letztlich blieben drei zu beurteilende Vorwürfe übrig. Mr. Crawford verteidigte sich selbst, da seine Anwälte aus Boston nicht zugegen waren, da diese offenbar nicht oder zu spät über die doch sehr zeitige Gerichtsverhandlung informiert wurden. Bezüglich der Klärung des verwandtschaftlichen Verhältnisses blieb es im Unklaren, da sich einerseits Goldhaar nicht an Mr. Crawford als leiblichen Vater erinnern konnte und andererseits Mr. Crawford nicht eindeutig beweisen konnte, dass seine Sicht die Richtige sei. Allein der Halsschmuck blieb als verbindendes Indiz, wobei dessen Herkunft zwar von Crawford bezeugt und dessen Besitz von Goldhaar nicht abgestritten wurde.

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Jedoch die Art und Weise, wie das Geschmeide in den Besitz Goldhaars kommen konnte, blieb wiederum strittig und unklar aus der Sicht eines neutralen Betrachters. Ebenso war es nicht klar, ob es sich wirklich um genau das Familienerbstück oder ein gleichartiges Geschmeide handeln könnte, Mr. Crawford hier also vielleicht nur einem tragischen Missverständnis zum Opfer gefallen war, was seine nachfolgenden Taten jedoch nicht entschuldigen kann.

Da Mr. Crawford bei der Entführung von Goldhaar nicht zugegen war, konnte ihm diese nicht zur Last gelegt werden, auch wenn es einigen Beobachtern der Verhandlung klar erschien, dass die Entführung von ihm geplant und durch bezahlte Dritte ausgeführt wurde.

Angesichts des Alters der Entführten war die Fesselung – auch unter dem Gesichtspunkt, dass es seine Tochter sein könnte – mehr als verwunderlich. So blieb auf der einen Seite die Sichtweise, dass die Entführung ein abgekartetes Spiel sein konnte, in dem Mr. Crawford den ehrenvollen Retter von Goldhaar mimte, sich aber dennoch als Auftraggeber der Entführung und Freiheits-beraubung schuldig gemacht haben konnte, eine unbewiesene Annahme.

Der Vorwurf der Bestechung des Generals und hierdurch des Missbrauch der Army stand auch im Raum. Der in diesem Zusammenhang stehende öffent-lich ausgeübte Mord war denn auch der einfachste, wenn auch schwerwiegendste Vorwurf, dem sich der Mann aus Boston stellen musste. Captain Adderstein, die hier als Zeugin und als Anklägerin auftrat, fasste die Ergebnisse der gerichtlichen Auseinandersetzung mit den

Fakten und Facetten des Falles in der ab-schließenden Anklage wie folgt zusammen:

"Ich habe drei Punkte, mit denen der Angeklagte sich schuldig gemacht hat. Punkt 1: Freiheitsentzug und versuchte Entführung. Mister Crawford hat nie ein Bild seiner vermeintlichen Tochter gezeigt. Woher sollen wir wissen wie sie aussah? So geht er hin und nimmt sich auf der Straße die erstbeste Frau und lässt sie entführen. Als Grund gibt er eine Kette an. So eine Kette kann es mehrmals geben. Er hat keine besonderen Merkmale der Kette genannt. Die Zeugin sagte, sie hat die Kette von einem verstorbenen Soldaten. Auch das Alter der Zeugin und der vorgegebenen Tochter stimmen nicht überein. Schon wenn es seine Tochter wäre – in dem Alter Fesseln anzulegen ist ein Freiheitsentzug!

Punkt 2: Einsatz der Army zu persönlichen Zwecken und damit Bestechung einer Amtsperson. Zwei Zeugen haben ausgesagt, dass der Mister dem General Geld gegeben hat. Der General forderte, als er bemerkte, dass es eine größere Sache werden würde, mehr Geld - was der Angeklagte nicht bereit war zu zahlen.

Wo wir zu Punkt 3 kommen, dem Mord an dem General. Drei ehrbare Leute von hier konnten den Angeklagten zweifelsfrei be-zeugen, dass er auf den General geschossen hat: das wären der Sheriff von Oregon, Mister Writer, der Verleger und Chef des Tucson Chronicle und Cpt. Adderstein, Adjutantin und Stellvertreterin der Kommandantin des Forts Lowell. Alle drei konnten sehen, wie der Herr die tödlichen Schüsse auf den General abgefeuert hat und diese drei Leute sind hier in der Gegend wohlbekannt.

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Ich bitte das Gericht die Punkte zu bewerten und gerecht zu entscheiden. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit."

Richter Deerhunter hatte das Resümee der Anklage aufmerksam verfolgt, wie es auch fast alle anderen Besuchter taten. Er nickte und fragte in seiner nüchternen Art nur am Ende nach dem von der Anklage geforderten Strafmaß.

Cpt. Adderstein musste nicht lange überlegen und sprach sich, angesichts des schwerwiegendsten Anklagepunktes und der Anzahl der Zeugen hierzu für die Beteiligten kaum überraschend, formell für die Höchststrafe aus, was in diesem Fall fast belehrend geklungen hätte, wäre die Antwort nicht von einem integren Offizier ausgesprochen und vom Richter zuvor der Form halber eingefordert worden: "Auf Mord steht die Todesstrafe, Euer Ehren!"

Nachdem sich die Anklage-vertreterin setzte, erhobt sich Henry Crawford. Mr. Anthony, mein Sitznachbar und ebenfalls von der Truppe aus Fort Lowell, nickte dieser zustimmend zu und behielt dann Mr. Crawford fest im Auge. Richter Deerhunter fragte: "So hat der Angeklagte noch was zu seiner Sache zu sagen?"

Mr. Crawford fasste sich und trat erneut vor. Nachdem er einen scharfen Blick auf die Anklägerseite geworfen hatte räusperte er sich und wartete das Gemurmel ab, bevor er sein Schlussplädoyer vortrug.

So lauschten wir am Ende der Verhandlung seiner zusammenfassenden Sicht, welche erwartungsgemäß gänzlich anders ausfiel, als die des Anklägers.

Zum ersten Anklagepunkt verwies Mr. Crawford auf die seinige Sicht und einige Aussagen, die im Laufe der Untersuchung zu dieser Fragestellung gemacht wurde:

"Wir hörten von den Opfern, dass ich nicht beteiligt war als sie im Wald verschleppt wurde. Des Weiteren hörten sie, dass ich bedroht wurde, dass sie sie töten würden, wenn sie ihr Geld nicht bekommen sollten. Es stimmt, dass sie zum eigenen Schutz von mir gefesselt war, um sich nicht zu verletzten, aber ich bin in eine öffentliche Kutsche gestiegen mit Zeugen, was, wenn ich jemanden entführen wollte, niemals gemacht hätte!" Demnach wäre seine Handlung von Außenstehenden vielleicht

nur irrtümlich falsch interpretiert worden, denn aus seiner Sicht war es eine ehrenhafte Nothilfe.

So blieben denn die Bestechung von Militärpersonen, somit miss-bräuchlicher Einsatz von Militär-einrichtungen und Personal sowie die Ermordung von General Major Thursday. Zu diesen Vorwürfen argumentierte Crawford, dies sei "völlig aus der Luft gegriffen. Einsatz der Army zu persönlichen Zwecken und damit Bestechung einer Amtsperson – dazu gibt es nicht einen Beweis. Wir kamen in dem Fort an und sofort begann der Angriff auf das Fort durch diese Indianer. Ich hätte gar keine

Möglichkeit gehabt, eine ganze Armee zu bestechen. Des Weiteren beruht dieser Punkt alleine auf der Aussage, dass der General von mir Geld wollte. Wegen was, wurde nie ausgesprochen!" Somit mochten im Gegenzug dazu die Vorwürfe im Raume stehen bleiben, ob er denn nicht im Vorfeld eine Bestechung vorgenommen haben konnte.

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Der letzte und schwerwiegendste Anklagepunkt, die Ermordung des Generals im Fort Lowell fand auch eine Erklärung durch den Angeklagten: "Wir hörten viel darüber - der General ist gehirnlos durch Fort gerannt. Dann hörten wir eine Aussage, die mich beschuldigt, wo die Zeugin aber selbst einen Grund hatte, ihn tot zu sehen, damit die von ihm angeordnete Schlacht gegen die Apachen beendet wird. Aber Fakt ist, dass heute ans Licht kam, dass ich während der ganzen Schlacht und den Schüssen bedroht wurde mit einer selbstgebauten Bombe und ich um mein Leben fürchtete, als es zu einen Feuergefecht kam." Während dieser Aussage war in Col. Addersteins Gesicht keine Regung auszumachen und ich hielt mich bedeckt, immerhin war ich ja hierzu nicht in Kreuzverhör genommen worden.

Zum Ende seines Plädoyers erinnerte Mr. Crawford nochmals an seine Beweggründe, welche ihn mehr oder weniger zufällig an die Orte des Geschehens brachten und welche doch für sich betrachtet durchaus ehrenhaft seien: "Euer Ehren, ich war 20 Jahre auf der Suche nach meiner Tochter und als ich sie endlich wieder finde, wird alles Mögliche unternommen, sie mir wieder zu nehmen. Das Einzige, was ich mir vorwerfe ist, dass ich zu viel Angst hatte und ohne sie aus diesem Höllenfort floh. Ich beantrage Freispruch in allen drei Fällen. Danke." Danach ging er sichtlich bedrückt zur Anklagebank zurück.

Richter Deerhunter hatte sich schon lange Zeit mit dem Fall beschäftigt und an diesem Tag etliche Stimmen und letztlich auch die des Angeklagten gehört. Egal welche Meinung nun der eine oder andere Besucher der Verhandlung haben mochte, am Ende zählt das Urteil des Richters. Und dieser ließ nicht lange darauf warten. Nachdem alle Anwesenden sich von ihren Plätzen erhoben hatten

verkündete er in dem ihm eigenen Dialekt: "Ich befinde den Angeklagten schuldig in allen Punkten und verurteile Mr. Henry Crawford zum Tod durch Hängen. Schließe hiermit den Fall ab. Der Tag der Hinrichtung wird von dem Sheriff bestimmt."

Der anwesende Sheriff John T. Chance bestätigte dies mit einem trockenen "OK, Richter, ich werde alles veranlassen und den Henker aufbieten." Mr. Crawford sprach daraufhin den Sheriff an: "Bringen Sie mich hier weg und ich erwarte Papier und Feder. Ich werde das Begnadigungsschreiben jetzt selbst in die Hand nehmen, nachdem Sie schon nicht in der Lage waren, meinen Anwalt zu kontaktieren!" Doch Mr. Crawford hat das Begnadigungsschreiben offenbar nie aufgesetzt.

Es war mir vergönnt, den Delinquenten in der Zelle vor der Vollstreckung des Urteils noch einmal zu besuchen und ich durfte ihn ob der Hintergründe und des Ausgangs der Verhandlung kurz befragen. Das Ergebnis des Interviews war, dass ich einen verbitterten, vom Leben enttäuschten Manne vorfand, der fest in dem Glauben stand, jeweils das Richtige getan zu haben. Dass dies zu seiner Verurteilung geführt hat, nahm er als Schicksal an, nicht ohne gegen die Art und Weise, wie die Gesetze und die Staatsmacht hier in Arizona und Tucson mit ihm umgegangen seien, zu klagen. Auf meine Frage hin,

ob er gegebenenfalls ein milderes Strafmaß als Alternative dem jetzigen Urteil denn vorzöge, antwortete er mir, dass er nun lieber am Strang ende, denn einer solchen aus seiner Sicht ungerechten Behandlung unnötig weiter ausgesetzt zu sein. In seiner Verbitterung sah er zu diesem Zeitpunkt, kurz nach der Verkündung des Urteilsspruchs, keinerlei Alternativen zu der Strafe, welcher er zugeführt werden sollte.

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Ich erlaubte mir zu einem späteren Zeitpunkt auch Richter Deerhunter zum Thema der Todesstrafe zu befragen, obgleich ich mir bewusst war, dass Richter das geltende Recht als Richtlinie ihrer Entscheidungen achten müssen und zur Veränderung von Gesetzen nicht die Richter, sondern Politiker Entscheidungen zu fällen haben. Mr. Deerhunter gewährte mir dennoch eine persönliche Antwort, die da lautete: "Solange es Morde gibt, wird es auch die Todesstrafe geben."

Und so werden wir wohl noch eine längere Zeit in der irrtümlichen Auslegung einer uralten alttestamentarischen Tradition verhaftet bleiben, wo zum populären Beispiel in Exodus, dem 2. Buch Mose, Kapitel 21 Vers 22 bis 27 ausgeführt wird, dass für Verbrechen oder Schäden durchaus pekuniäre Entschädigungen in Betracht zu ziehen sind und auch das Nehmen eines Lebens durchaus mit einer adäquaten Leistung abgegolten werden kann. Die Formulierung in Form einer Aufzählung verweist nur darauf, dass jeweils ein angemessenes Maß der Entschädigung anzustreben sei:

22 „Wenn Männer miteinander raufen und dabei eine schwangere Frau treffen, sodass sie eine Fehlgeburt hat, ohne dass ein weiterer Schaden entsteht, dann soll der Täter eine Buße zahlen, die ihm der Ehemann der Frau auferlegt; er kann die Zahlung nach dem Urteil von Schiedsrichtern leisten. 23 Ist weiterer Schaden entstanden, dann musst du geben: Leben für Leben, 24 Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß, 25 Brandmal für Brandmal, Wunde für Wunde, Strieme für Strieme. 26 Wenn einer seinem Sklaven oder seiner Sklavin ein Auge ausschlägt, soll er ihn für das ausgeschlagene Auge freilassen. 27 Wenn er seinem Sklaven oder seiner Sklavin

einen Zahn ausschlägt, soll er ihn für den ausgeschlagenen Zahn freilassen.“

Die in Vers 23 verwendete Formulierung Leben für Leben zielt eher darauf ab, dass wenn jemandem z. B. ein Stück Vieh geraubt wurde, er Anrecht auf ein (adäquates) lebendes Vieh habe oder anders gesagt: Was hilft es mir, wenn meine Kuh erschossen wurde, die Kuh des Täters ebenfalls töten zu lassen? Ich will doch stattdessen eine andere lebendige Kuh als Ersatz. Gerade die beiden letzten Verse bezeugen, dass es nicht um identische körperliche Rache, sondern um gerechte Entschädigung geht – sonst stünde dort ja etwas wie: Wenn er seinem Sklaven oder seiner Sklavin einen Zahn ausschlägt, soll der Sklave oder die Sklavin seinem Herrn auch einen Zahn ausschlagen dürfen. Gerade, dass dies dort so nicht steht, ist ein Argument gegen eine körperliche Rache, welche in Blutrache und endlose Fehde enden müsste.

Dennoch verharren wir hier noch auf dem Grundsatz, dass das Strafmaß für bestimmte Taten der Tod des Täters sein müsse und vielleicht nur, weil die Strafe nicht in Selbstjustiz, sondern durch Gewalten-trennung und einen Amtsvertreter ausgesprochen wird, entheben wir uns der Folgen einer immer-währenden, darauffolgenden Rache. Ich fordere unsere Politiker auf, diese Haltung täglich zu über-denken und habe mich zur Hinrichtung von Mr. Crawford bewusst nicht eingefunden. Diese Hinrichtungen bilden nur zu oft ein Spektakel, welches vielleicht potentielle Täter von ihrem Tun abhalten mag. Dennoch finde ich, dass diese öffentliche Form der Hinrichtung zur Verrohung unserer Gesellschaft nicht abträglich ist. Zur Hinrichtung von Mr. Crawford sei hier daher der Vollständigkeit halber das Protokoll von Cpt. Adderstein veröffentlicht:

Page 10: TC-Story: Der Mann aus Boston

S o n d er a u s ga be - D e r M a n n a us B o s to n - J u n i 1 8 7 2 P . 1 0

„Am Freitag, dem 20.06., fand die Hinrichtung des Verurteilten Mr. Crawford mittels Tod durch den Strang statt. Die 6th US Cavalry wurde hinzugezogen um die Sicherheit in der Stadt Tucson zu gewährleisten. An diesem Abend ließ ich die Truppe im Fort Lowell antreten um die Befehle für den Abend auszugeben. Danach marschierten wir nach Tucson, wo schon eine Menge Leute auf die Hinrichtung warteten. Ich gab Befehl, dass sich die Soldaten auf die Positionen aufteilen sollten.

Nun erschien der Scharfrichter und der Verurteilte wurde durch den Sheriff der Stadt Tucson vorgeführt. Der Verurteilte wurde zum Galgen gebracht und der Scharfrichter legte ihm die Schlinge um den Hals. Auf die Frage, ob der Verurteilte noch ein letztes Wort an die Versammelten richten möchte verneinte er dieses. Damit waltete der Scharfrichter seines Amtes und löste die Verriegelungsmechanik, so dass der Verurteilte herniedersackte. Ein schneller Tod durch Genickbruch stellte sich aber bei ihm nicht ein. Es dauerte eine ganze Weile, gefühlt einige Minuten, in der der Verurteilte im Todeskampf röchelte. Danach war Stille. Der Scharfrichter fragte nach einem Arzt, der den Tod feststellen sollte. Hierauf meldete ich mich als Militärärztin und begab mich zum Galgen. Dort angekommen maß ich den Puls, hörte am Körper und testete die Reflexe. Als ich keine Lebensfunktionen mehr feststellen konnte bescheinigte ich den Tod des Verurteilten. Er wurde daraufhin abgenommen und dem Bestatter übergeben. Dieser legte ihn in den Sarg und fuhr ihn auf den städtischen Friedhof der Stadt Tucson, wo er noch am selben Abend beigesetzt wurde. Da es friedlich blieb und die Menschenansammlung sich danach auflöste, ordnete ich Dienstschluss und Rück-verlegung ins Fort Lowell an.

gez. CPT Nadine Adderstein

Adjutantin der Kommandantin des Forts Lowell Col. T. McLane“

Für das Grab wurde ein Grabstein gestiftet. Sollten sich Angehörige von Mr. Crawford einfinden, soll die letzte Ruhestätte wenigstens ordentlich und auf-findbar sein. Das ist das Mindeste, was die Stadt Tucson für den Mann tun konnte, welcher anfangs als die Hoffnung für das Bankwesen von Tucson gehandelt wurde und dessen Schicksal ihm hier ein jähes Ende bereitet hat.

Wenn sich nach dieser Berichterstattung noch sachdienliche Hinweise zum Fall von Mr. Crawford ergeben, wird der Tucson Chronicle diese ebenfalls gerne veröffentlichen. Ebenso hoffen wir ja auch noch auf Hinweise aus Boston, wo Oxi momentan weilt, um hierzu zu recherchieren. (aw)

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Tucson Chronicle, U. S. Grant Road, Tucson, AZ Arizona Chefredakteur: Arthur Writer